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Wie mir meine Berufswahl „aufgezwungen“ wurde

Mit siebzehn Jahren machte ich den Realschulabschluss. Welchen Beruf sollte ich nun ergreifen? Mit dieser Frage hatte ich mich nie groß auseinandergesetzt. Nur eines war mir klar: Mein Beruf sollte viel mit Menschen zu tun haben. Büroarbeit oder Maschinen, nein Danke! Helfen wollte ich, täglich mit recht vielen Menschen in Kontakt kommen.

Welche Möglichkeiten boten sich da? Lehrer oder Pfarrer – ja, das wäre schon was für mich gewesen, aber dazu hätte ich das Abitur und anschließend ein Studium benötigt. So lange wollte ich die Schulbank nicht mehr mit meinem Hosenboden blank wetzen. Also ging ich zum Beratungstermin beim Arbeitsamt. Und da fand ich ein Berufsbild, das mir auf Anhieb gefiel: Diplom-Pädagoge! Behinderte oder schwererziehbare Kinder und Jugendliche betreuen, das konnte ich mir gut vorstellen. Je mehr ich mich mit dieser Idee auseinandersetzte, umso schöner erschien mir dieser Beruf. Allerdings musste ich dazu das Fachabitur nachholen und dann in Freiburg studieren. Doch das fand ich durchaus akzeptabel, zumal ich das Fachabitur innerhalb eines Jahres an der gleichen Schule machen konnte, an der ich dann das Studium zum Pädagogen absolvieren musste. Das Studium selbst würde dann nochmals drei Jahre in Anspruch nehmen. Begeistert schwärmte ich meinen Eltern vor.

„Pädagogen werden immer gebraucht. Davon wird es nie zu viele geben …“ Damals traf dies noch zu, heute sieht die Lage völlig anders aus.

Mein Vater, der zu Hause immer das entscheidende Wort zu sagen hatte, stimmte meinen Plänen tatsächlich zu. Ich war happy. So machte ich einen Termin mit dem Leiter der Fachhochschule aus und fuhr in der folgenden Woche nach Freiburg. Das Gespräch mit dem freundlichen Herrn bestärkte mich in meiner Entscheidung, die richtige Berufswahl getroffen zu haben. Aufnahmeantrag, Studienleitlinien, Lehrgangsgebührenordnung, er gab mir einen Packen Papiere mit, die ich von meinem Vater unterschrieben, baldigst an ihn zurücksenden sollte. Mündlich hatten wir soweit alles besprochen. Da ich schon mal in Freiburg war, besuchte ich noch ein älteres Ehepaar, das ich von der Jugendarbeit her kannte. Sie freuten sich mit mir, dass ich mich für diesen Beruf entschieden hatte.

Nach einem ausgiebigen Mittagessen, das meinen immer hungrigen Magen beruhigte, hatten sie für mich noch eine Riesenüberraschung parat: Sie boten mir in ihrem Haus ein möbliertes Zimmer mit Dusche und Kochnische an und das auch noch mietfrei! Mein Glück war vollkommen. Ich sah die Zukunft in den herrlichsten Farben. Voll innerer Freude fuhr ich am Abend mit dem Zug nach Hause und berichtete meinen Eltern sehr ausführlich von der tollen Schule, dem mietfreien Zimmer und dem schönen Freiburg. Zum Schluss gab ich meinem Vater die ganzen Unterlagen, mit denen ich mich vor lauter glücklichen Zukunftsgedanken gar nicht beschäftigt hatte, zum Unterschreiben. Ich bat ihn, sie möglichst bald zu unterschreiben, damit mir niemand diesen tollen Studienplatz wegschnappen konnte.

Die kalte Dusche kam am nächsten Abend. Mein Vater bat mich ins Wohnzimmer. Schon das allein war für mich ein Warnsignal, denn ins Wohnzimmer zu kommen bedeutete immer, dass etwas Außergewöhnliches passierte sein musste. Es war mir klar, dass Vater in den Formularen etwas gefunden haben musste, was er nicht akzeptieren konnte. Verflixt, warum hatte ich mir den ganzen Formularsalat nicht durchgelesen, oder wenigstens oberflächlich angesehen. Nun war es zu spät.

Und es kam dicke, ohne Schonung, ohne Alternative. Mein Vater sprach meist wenig, aber wenn, dann direkt und ohne großes Drumherum.

„Diese Schule kannst du dir aus dem Kopf schlagen. Du wirst wohl nicht erwarten, dass wir zu Hause Pellkartoffel und Quark essen, nur um dir dein Studium zu finanzieren. Such dir einen anderen Beruf. Das Studium ist entschieden zu teuer.“

Das saß! Es gab für ihn nichts weiter zu erklären. Ich brachte kein Wort heraus. Den Tränen nahe, ging ich auf mein Zimmer und handelte treu meiner Devise: Erst eine Nacht darüber schlafen, morgen sieht die Welt anders aus. Doch Vaters Meinung änderte sich über Nacht in keiner Weise. Trotzdem hatte ich Hoffnung. Um den Studienplatz belegen zu können, war ein Praktikum von mindestens sechs Monaten Dauer in einer sozialen Einrichtung vorgeschrieben. Diese Zeit erschien mir lang genug, um meinen Vater irgendwie doch noch von der Richtigkeit meiner Pläne zu überzeugen. Außerdem gab es für dieses Praktikum Geld. Ich wusste zwar nicht, wie viel, aber vielleicht …, wenn das selbstverdiente Geld … und von meinen Eltern dann der Rest?

Eine Praktikantenstelle war schnell gefunden. In einem Alten- und Pflegeheim in der nahen Stadt bekam ich, nach persönlicher Vorstellung sofort eine Zusage. Am nächsten Ersten konnte ich anfangen. Bis dahin kämpfte ich noch mit vielen Fragen, und oft wurde ich unsicher, ob dieses Praktikum das Richtige für mich war. Unserer 80-jährigen Nachbarin einzukaufen und die Kohlen aus dem Keller zu holen war ja leicht und einfach; ihr die Zehennägel zu schneiden und die Hornhaut an den Fersen abzuhobeln, weil sie sich nicht mehr so tief bücken konnte, auch das war nicht schwer. Aber pflegebedürftige, bettlägerige Leute rundum versorgen?

Zu Hause war der Kummer groß, denn im Heim hatte ich nicht nur freie Verpflegung (waren die sich im Klaren, welche Mengen ich verschlingen konnte?), sondern auch ein kleines Zimmer stand mir zur Verfügung. Diese Gelegenheit, auf eigenen Füßen zu stehen, nutzte ich natürlich. Am Stichtag zog ich mit Vorfreude, einem kleinen Koffer voller Habseligkeiten, aber auch vielen Bedenken und einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch los. Von meinem Vater hatte ich mich am Abend zuvor schon verabschiedet, da er morgens sehr früh aus dem Haus zur Arbeit musste. Als ich nun meiner Mutter „Ade“ sagen wollte, fand ich sie nicht. Die Zeit war knapp und der Bus wartete meinetwegen bestimmt nicht. Ob es wohl angebracht war, gleich am ersten Arbeitstag zu spät zu kommen? Ich wollte aber auch nicht gehen, ohne mich von meiner Mutter zu verabschieden. Endlich entdeckte ich sie im Stall, wo sie meine Kaninchen fütterte, die ich nun leider auch zurücklassen musste. Aber in der Stadt begann für mich ein völlig neues Leben. Tränen rannen über ihr Gesicht. Es fiel ihr schwer, mich nun einfach so ziehen zu lassen. Mich kostete es viel Anstrengung, die eigenen Tränen zu unterdrücken. So machte ich den Abschied sehr kurz.

„Es sind doch nur zehn Kilometer“, sagte ich mir auf dem Weg zur Bushaltestelle immer wieder, um standhaft zu bleiben. Zu meiner Überraschung waren in dem Heim auch viele jugendliche Patienten, mit denen ich mich auf Anhieb besonders gut verstand. Es machte mir viel Spaß, die alten Damen und Herren zu pflegen und zu betreuen. Für jeden hatte ich ein freundliches Wort oder ein Lächeln. Ich blühte förmlich auf. Vom ersten Tag an machte es mir nichts aus, wundgelegene Stellen zu versorgen, volle Windeln zu wechseln oder verwirrten Patienten ernsthaft zuzuhören, ohne zu lachen. Alle meine Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Die Zeit verging wie im Fluge. Im fünften Praktikumsmonat ließ mich der Heimleiter in sein Büro rufen. Hatte ich etwas falsch gemacht? War ich in irgendeiner Weise frech zu einem Patienten oder Mitarbeiter gewesen? Ich wusste, dass ich ein loses Mundwerk hatte, immer das sagte, was ich dachte. Jeder wusste gleich, woran er mit mir war. Dabei versuchte ich stets meine Kommentare so zu geben, dass niemand beleidigt sein konnte. Solche Gedanken gingen mir auf dem Weg zur Verwaltung durch den Kopf. Doch was da auf mich zukam, hatte ich nicht im Entferntesten geahnt. Zunächst bat mich der „Hausvater“, wie der Chef von allen genannt wurde, Platz zu nehmen und ihm zu erzählen, wie es mir so ginge, und ob ich Spaß an der Arbeit mit den alten Leuten hätte. Der Hausvater war ein freundlicher, älterer Herr, in dessen Mundwinkel immer ein Lächeln hing. Nie hatte ich ihn verärgert oder böse gesehen. Nur wenn es um das Wohl der alten Leute ging, konnte er einen Mitarbeiter auch mal kräftig „zur Mina“ machen. Seine nächste Frage allerdings ließ in mir die Vorstellung entstehen, dass er wohl etwas verrückt sei. Wollte er mein ganzes Zukunftskonzept über den Haufen werfen? Er bot mir allen Ernstes eine Ausbildungsstelle zum Altenpfleger an! Das gefiel mir nun ganz und gar nicht, hegte ich doch immer noch die große Hoffnung, meinen Vater von der Notwendigkeit eines Studiums überzeugen zu können. Dem Heimleiter erklärte ich kurzerhand, dass ich diesen Vorschlag erst überschlafen müsse. Die Idee fand er auch noch gut! Etwas in mir sträubte sich gegen eine direkte Absage. In der folgenden Nacht schlief ich wenig. In meinem Kopf ging alles drunter und drüber. Was erwartete ich von meinem Beruf? Doch vor allem Umgang mit Menschen. Denen helfen, die sich wirklich nicht mehr selber helfen können. Die Ausbildungszeit sollte nicht zu lang sein. Das alles bot mir die Altenpflege! Und damit war meine Verwirrung perfekt! Da ich am nächsten Tag frei hatte, fuhr ich nach Hause und führte mit meiner Mutter ein intensives, langes Gespräch. Am Ende war für mich, ohne von ihr gedrängt worden zu sein klar, dass ich die Ausbildung machen würde. Drei Punkte gaben den Ausschlag: Meine Berufserwartungen deckten sich völlig mit dem Betätigungsfeld, das der Beruf mir bot; ich war vorerst in der Nähe meiner Eltern und bekam während der Ausbildung, zusätzlich zu freiem Wohnen und Essen, ein Taschengeld von monatlich 150,00 DM, was für mich eine Menge Geld bedeutete. Bis heute habe ich meine Wahl nicht bereut.

Der Fisch in der Heizung

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