Читать книгу Tod eines Ruderers - Gerhard Nattler - Страница 7
5. Kapitel
Оглавление»Frau Kötter, es gibt Neuigkeiten. Ich möchte Sie kurz unterrichten.«
»Dazu bemühen Sie sich hierher? Danke vielmals, Herr Kommissar Berendtsen. Das hätten Sie auch am Telefon erledigen können. Treten Sie ein.«
»Dieses gesuchte Boot ist im alten Flussbett der Lippe gefunden worden. Es gibt, wie Sie richtig wahrgenommen haben, Blutspuren am Boot.« Berendtsen zeigte ihr die Bilder, die er bei der Spurensicherung aufgenommen hatte. »Ihr Trainingszentrum verfügt sicherlich über einen eigenen Bootsbestand. Es ist nicht zufällig eins Ihrer Kanus?«
Sie zog ihren Mann hinzu.
»Dieser Zweier-Kajak gehört sehr wahrscheinlich zu unserer Flotte. Sie sind auch im Fachhandel zu erwerben, sogar im Internet habe ich schon Angebote gesehen, aber Freizeitpaddler kaufen nur selten solch hochwertige Boote. Ich habe aber nicht gehört, ob bei uns ein Boot fehlt.« Kötter griff entschlossen zum Mobilteil, wählte kurz und hatte den Cheftrainer am Apparat. Das Gespräch dauerte wenige Sekunden. »Wir vermissen keins, aber Hans sieht nach.«
»Hans Korte, unser Cheftrainer«, erklärte seine Frau.
»Das Bootshaus am Lippeufer gehört zu Ihrem Zentrum?«
»Ja. Es gibt auch einen öffentlichen Teil. In dem hat der RV seine Boote liegen. Er vermietet einige Liegeplätze an Privatleute, um sein Budget aufzubessern. Einen Bootshausmeister gibt es auch. Otto Schmitz. Seine Handynummer finden Sie in einem Schaukasten vor dem Eingang, in dem auch die die Hausordnung und Bekanntmachungen veröffentlich sind. Ich kenne ihn kaum. Vielleicht weiß Korte Bescheid.«
Korte hatte die Telefonnummer. Berendtsen notierte sie in einem neu angelegten Notizbuch mit der Bezeichnung »Ruderer« auf seinem Smartphone.
»Sein Name ist Otto Schmitz, sagten Sie?«
»Genau. Mit ›tz wie Tür zu‹, stellt er sich immer vor. Unser Hausmeister, der auch die Boote wartet, heißt Josef Pohl. Onkel Jupp.«
»Verwandtschaft von …?«
»Keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Die Jungs nennen ihn so.«
»Jungs? Das sind die Sportler?«
»Genau. Wir hatten zu Anfang des Unternehmens seinen Neffen bei den Senioren. Wir nennen sie so, es sind die Leute Ü30. Lange her. So ein Name hält sich. Ich glaube, er mag es, wenn man ihn so ruft.«
»Haben Ihre Mitarbeiter und Sportler jederzeit Zugriff auf die Boote?«, fragte Berendtsen nach.
»Es gibt unsererseits nur vier Schlüssel. Ich habe einen in meinem Büro. Hans hat einen und die Sekretärin. Den vierten Schlüssel hat Onkel Willi oder der Jeweilige Bootswart, wenn er verhindert ist. Er hält, wie der Name schon sagt, die Boote und unseren Teil des Hauses in Ordnung. Er liefert sie aus und lagert sie ein. Er ist nur auf Anforderung im Einsatz, es sei denn, er hat ein Boot aufzuarbeiten. Dann ist er manchmal drei Tage hintereinander dort beschäftigt. Er ist Frührentner. Er betreibt es mehr als Hobby als des Entgelts wegen. Angestellt ist er mit einem Minijob mit wenigen Stunden. Er hat einen eigenen schönen Kajak dort liegen. Ab und an schnallt er das Teil auf seinen Autoanhänger und fährt mit seiner Frau irgendwohin zum Paddeln.«
Berendtsen wählte die Nummer.
»Guten Tag, Herr Pohl. Mein Name ist Albert Berendtsen. Ich bin von der Kriminalpolizei in Recklinghausen und untersuche die Umstände eines gekenterten Ruderers. Das Boot könnte aus dem Bootshaus stammen. Waren Sie am Montagmorgen am Bootshaus? So gegen neun Uhr?«
»Nein. Ich war seit letzten Donnerstag nicht mehr dort. Wer ist denn verunglückt?«
»Den Namen des Ruderers hätten wir gerne von Ihnen erfahren. Wir haben bisher nur das Boot gefunden. Wissen Sie vielleicht von jemandem, der rudern wollte? Jemand, der gerne solo trainiert hat?«
»Welches Boot haben Sie gefunden, Herr Kommissar?«
»Herr Kötter steht neben mir. Er kennt sich besser aus.«
Berendtsen drückte auf den Lautsprecher und reichte sein Handy weiter.
»Hallo Onkel Jupp. Bei dem Boot handelt es sich um ein rot-weißes KM13, Doppel, keine Nummer.«
»In unserem Bootshaus gibt es nur nummerierte Boote. Einen Neuzugang erwarten wir ebenfalls nicht. Ruf doch beim RV an. Bei denen liegt ein solches KM-Boot, ob es ein Dreizehner ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Gehe aber davon aus. Bin fast sicher. Hast du die Nummer von Schmitz?«
»Sag sie nochmals.«
Er wusste sie auswendig und gab auch gleich die Adresse an.
Berendtsen verglich sie mit der in seinem Handy notierten.
»Schmitz, mit ›tz‹ wie ›Tür zu‹« - wiederholte er Kötters Worte. Kötter steckte ihn mit seinem Schmunzeln an. Auch dessen Rufnummer wählte er sogleich an, erreichte ihn aber nicht.
****
Auf der Fahrt zu seinem Büro versuchte er mehrmals vergeblich, Herrn Schmitz zu erreichen. Im Präsidium angekommen, schaute er kurz bei Uschi vorbei. Sie hatte die Polizeistationen in der Umgebung informiert, aber bisher keine Rückmeldung bezüglich vermisster Personen erhalten.
In seinem Büro hatte er mehr Glück. Er erwischte Herrn Schmitz auf einem Wanderparkplatz in der Hohen Mark. Er erklärte kurz den Grund seines Anrufs. Auch Schmitz wusste nichts von einem Ruderer am Montagmorgen. Er hatte am Sonntagabend um zwanzig Uhr das Bootshaus abgeschlossen und war seitdem nicht mehr dort gewesen. Das Boot kannte Schmitz, kannte den Eigentümer allerdings nur mit Vornamen. Fritz.
Berendtsen stand am Fotokopierer und versorgte sich mit neuen Vorschriften aus dem Haus des Regierungspräsidenten in Münster, die er für sein QM-Online-Handbuch einscannen wollte. Sie waren überflüssigerweise in Form eines kleinen Handbuchs an jedes Polizeipräsidium geschickt worden, so dass er es nicht einmal direkt einscannen konnte, da in seinem Büro kein Flachbettscanner zur Verfügung stand. Er musste für die Zukunft einen anschaffen. »Man hätte die Blätter gleich online stellen sollen. Es war seit Jahren sein Reden. Bis Münster sich dazu aufraffen konnte, … was soll’s? Ich werde es nicht mehr ändern können«, dachte er bei sich. Sein Handy meldete sich. Die Melodie des Aktuellen Sportstudios schallte durch den Gang, verstärkt durch die alten Fliesen, die in diesem Teil des Kommissariats noch den Bodenbelag stellten. Er schluckte schnell das Gummibärchen herunter und meldete sich.
»Berendtsen.«
»Schmitz. Guten Abend, Herr Kommissar.«
»Guten Abend Herr Schmitz. Wieder zuhause?«
»Die letzten schönen Herbsttage muss man ausnutzen, Herr Berendtsen. In den nächsten Tagen soll ein Tiefdruckgebiet unser Gebiet erreichen, hat der Wetterbericht im WDR gestern Abend verkündet.«
»Regen und Sturm. Habe ich auch gehört. Was macht die Liste? Hatten Sie Gelegenheit, sich damit zu beschäftigen?«
»Ich habe die Liste aufgerufen. Sie beinhaltet insgesamt zwanzig Boote. Das gesuchte Boot gehört einem Fritz Herder. Soweit ich mich erinnere, liegt das gesuchte Kajak auf dem Liegeplatz in der Mitte der oberen Reihe im letzten Gang. Den Liegeplan füge ich ebenfalls an. Es gibt nur das eine Boot, das infrage kommt. Ich habe es Ihnen markiert. Wenn Sie mir bitte Ihre Adresse durchgeben, maile ich Ihnen die Adressen der Besitzer.«
Während Berendtsen sich bedankte, erschien der Briefumschlag mit einem »Gong« auf der Taskleiste unten am Rand seines Bildschirms.
»Herr Schmitz, können Sie sich erinnern, wann Sie Fritz das letzte Mal gesehen haben?«
In der letzten Woche habe ich ihn mehrmals gesehen. Ich glaube, er war jeden Tag hier. Er hat wohl seine neuen Paddel ausprobiert, wie er sagte. Ich habe mich einmal kurz mit ihm unterhalten. Ich glaube am Donnerstag.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Er hat mir am Vormittag geholfen, den Müll herauszusetzen. Dabei habe ich ihn nach seinen neuen asymmetrischen Paddeln gefragt, die mir in den Tagen vorher aufgefallen waren. Sie interessierten mich. Er probierte sie aus. ›Wenn sie etwas taugen, kannst du sie gerne haben, Otto‹, hat er zu mir gesagt. Er hatte sie von einem Hersteller bekommen. Er sollte sie begutachten und eventuell eine gute Kritik schreiben.«
»Hatte er einen Schlüssel zu dem Haus?«
»Er hatte mich am Sonntag darauf angesprochen. Ich habe ihm einen überlassen, weil ich nicht jeden Morgen kommen wollte, ihm die Halle aufzuschließen. Ihm konnte ich sie anvertrauen. Er war ein ordentlicher, ehrlicher Mensch und passte immer gut auf. Wir hatten das früher schon einmal so gehandhabt. Könnte es sein, Herr Kommissar, dass Fritz von denen umgebracht worden ist, weil er eine schlechte Kritik schreiben wollte? Ich habe so etwas schon einmal im Fernsehen gesehen. Wissen Sie, Herr Kommissar, ich bin kriminalistisch sehr interessiert.«
»Schönen Dank für den Tipp, Herr Schmitz. Werde es bei meinen Untersuchungen berücksichtigen. Behalten Sie die Ansicht bitte einstweilen für sich. Unbedingt!«
»Aber Herr Kommissar! Geht selbstverständlich klar. Ich werde mich nicht in Ihre Untersuchungen einmischen. Keine Sorge.«
»Danke für die Hilfe. Wir sehen uns.«
Berendtsen legte auf, ehe Schmitz weitere Vorschläge machen konnte.
Von Herder gab es nur eine Rufnummer aus dem Festnetz. Es meldete sich der Anrufbeantworter. Er leitete die Liste auf sein Handy weiter und benachrichtigte Hallstein. Sie machten sich auf den Weg nach Lippramsdorf.
****
Die Kommissare trafen auf ein Haus, dessen Baujahr Berendtsen auf den Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts taxierte. Neben den drei Stufen zur braunen, frisch lackierten Eingangstür bestätigte ein altes blaues, leicht gewölbtes Emailleschild die Hausnummer 3a, wobei der Buchstabe nur mehr andeutungsweise zu sehen war. Sie stellten fest, dass Lippramsdorf ein kleiner Ort war mit entsprechend geringer Fläche, das Auto ordentlich zu parken. Sie hatten ein wenig zu gehen. Es erinnerte Berendtsen an seine neuen Vorsätze. Drei alte abgetretene Terrazzostufen in einem grau gestrichenen kalten Treppenhaus führten die Kommissare auf einen ersten, abwechselnd mit schwarzen und weißen Mosaiksteinchen gefliesten Absatz. Von dort wand sich eine schmale Holztreppe entlang der Wände in den dritten Stock, immer unterbrochen von geraden Stücken vor jeder Wohnungstür und versetzt auf der gegenüberliegenden Seite, wie Berendtsen mit einem Blick hinauf bis zum Dachfenster feststellen konnte. Es roch nach Farbe. Ein weißes Pappschild mit einem großen Pinsel und einigen Farbtupfern mit der Aufschrift: »Frisch gestrichen« baumelte an dem hölzernen Geländer. Berendtsen ärgerte sich, weil er trotz dieser Warnung in Gedanken kurz den Handlauf berührt hatte. Oben erwartete sie eine durchtrainierte, dunkelblonde junge Dame. Berendtsen schätzte sie auf Ende zwanzig.
»Brigitte Schwier«, stellte sie sich vor. »Stimmt die Aufschrift auf dem Hinweisschild des Malers?«, lachte sie mit Blick auf den Mann, der seine Hand begutachtete. Ihr schlanker, beinahe dünner Körper steckte in einem enganliegenden türkisfarbenen Oberteil und einer ebenso engen Stretch-Hose, deren Bund die Farbe des Oberteils wiederholte. Bauchfrei. Barfuß. Ein Frotteetuch lag über ihren Schultern und sie wischte sich letzte Schweißperlen aus dem Gesicht. Die Haare waren mit einem Gummiband zusammengehalten.
»Entschuldigen Sie, wenn wir Sie beim Training gestört haben. Wir sind von der Kriminalpolizei. Berendtsen, mein Kollege Hallstein. Wir möchten uns nach Fritz Herder erkundigen.«
»Fritz ist nicht hier. – Möchten sie sich kurz die Hände waschen?«
»Danke, aber es reicht fürs Erste«, entgegnete Berendtsen und rieb sich die Hände an einem Papiertaschentuch. Sie nahm es ihm freundlicherweise ab und entsorgte es im Mülleimer unter ihrer Spüle.
»Wann haben Sie Ihren … Lebensgefährten, nehme ich an, zuletzt gesehen?«
»Das habe ich Ihren Kollegen bereits mitgeteilt. Am letzten Montag nach dem Frühstück. Ich bin zur Arbeit gefahren und Fritz wollte zum Bootshaus an der Lippe in Hervest. Als er abends nicht nach Hause gekommen war und ich ihn über sein Handy nicht erreichen konnte, habe ich mir Sorgen gemacht. Am anderen Morgen habe ich die Polizei angerufen. Sie haben alles aufgenommen und gesagt, ich solle mich heute noch einmal melden. Das habe ich heute Mittag getan. Haben Sie Nachricht?«
»Wir suchen ihn. Wann haben Sie zum letzten Mal versucht, ihn zu erreichen?«
»Gerade eben. Nichts.« Sie hielt das Telefon noch in der Hand. »Ich habe ihm auch eine SMS geschickt. Keine Reaktion.«
»Wenn Sie uns die Handynummer ihres Freundes verraten, lassen wir ihn orten.«
Hallstein las die Nummer auf ihrem Smartphone und leitete die entsprechenden Maßnahmen ein.
»Glauben Sie, dass ihm etwas passiert ist?« Angst schien in ihr aufzusteigen. »Sagen Sie es ehrlich. Diese Ungewissheit macht mich krank.«
»Frau Schwier, wir haben keinerlei sichere Anhaltspunkte für einen Unfall ihres Freundes«, beruhigte Berendtsen. »Wir melden uns, wenn es Neues gibt.«
»Freunde und Bekannte haben Sie schon gefragt?«, fuhr Hallstein fort.
»Nichts. Ich habe all seine Kontakte abtelefoniert.«
»Auf seinem Computer sind keinerlei Hinweise zu finden?«
»Ich habe schon versucht, den Rechner zu starten. Ich hoffte, Hinweise auf dem Film zu finden, mit dem er sich so intensiv beschäftigt hat. Leider habe ich unser Passwort nicht. Er hat es mir vorgestern in mein Handy geschrieben, als er es geändert hatte, aber ich kann es nicht finden. Ich werde es suchen. Wir hatten immer ein einfaches Passwort. Jetzt hat er ein sehr langes und kompliziertes. Ich saß gerade vor den Tagesthemen und habe nur halb hingehört. Wer konnte ahnen, dass es wichtig wird? Er hatte viel Mailverkehr in den letzten Tagen. Dauernd pingte sein iPhone. Ich werde mein Handy genau durchsuchen. Ich kann auch nicht auf meine Daten zugreifen.«
»Sie sagen, er hat sich intensiv mit einem Film beschäftigt. Um welche Aufnahmen handelt es sich?«, fragte Hallstein.
»Es waren die Videos des Trainings am letzten Sonntag, also vor acht Tagen.«
»Wen hat er trainiert?«
»Er hat die Sportler während des Trainings beobachtet und kontrolliert.«
»Im Trainingszentrum von Professor Dr. Kötter?«, vermutete Hallstein.
»Genau. Er ist Doktorand bei ihm. Er hat Sport studiert mit Schwerpunkt Leistungssport. Er hatte sich beim Radsport beworben, wurde aber durch das Los den Ruderern zugeschrieben, weil es mehr Bewerber für den Radsport gab, als Plätze zur Verfügung standen. Nach kurzer Zeit hatte er daran Spaß bekommen. Einige schöne Ausflüge hatten ihn umgestimmt. Die Radfahrer wurden auf den Straßen getrimmt, die Ruderer machten Ausflüge zu den Stauseen ins Sauerland oder an die Mosel und die Ahr. So lernte er Professor Kötter kennen. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet. Deshalb hat er sich hier beworben und sich riesig gefreut, dass der Mann ihn angenommen hat.«
»Interessant …«, murmelte Berendtsen, als in seiner Tasche das Handy vibrierte und er auf das Display geschaut hatte. Es war Uschi. Schmitz hatte nach dem Telefonat dem Bootshaus noch einen Besuch abgestattet, um nach dem Boot zu sehen, wobei er ein Rennrad bemerkt hatte, von dem er wusste, dass es Fritz Herder gehört. Er hatte daraufhin das Kommissariat benachrichtigt.
»Fuhr ihr Freund mit dem Rad zum Bootshaus?«
»Er war immer nur mit dem Rad unterwegs. Wir haben nur ein Auto. Mit dem fahre ich zur Arbeit. Fritz fährt damit nur, wenn er muss. Wenn mal viel einzukaufen ist.«
»Können Sie das Rad beschreiben?«
Berendtsen hielt ihr das Handy vor, damit Uschi zuhören konnte.
»Ein ganz edles mattgraues Rennrad mit Scheibenbremsen und ganz kleinem Licht, vorne und hinten nur diese LEDs, schlanker Gelsattel. Ein gelbes Logo auf dem Rahmen mit einem roten Blitz.«
»Hast du gehört Uschi?«
»Es ist das Rad. Ich schicke es auf Ihr Handy, Chef.«
Schon meldete das Smartphone die Ankunft einer Nachricht.
»Könnte dieses Rad gemeint sein?«
»Das ist es. Ganz sicher. Er hatte diese Standardpedale montiert, die gar nicht zu dem Rad passen, aber er fuhr nicht immer mit Cleats. Wo steht es?«
»Es steht im Bootshaus. Der Hausmeister Schmitz hat es gefunden. Er war heute im Bootshaus und hat nach dem Rechten gesehen. Er hat das Rad erkannt.«
Uschi meldete sich wieder. »Sie haben schnell aufgelegt, Chef. Ich habe noch eine Nachricht für sie. Wir haben das Handy geortet. Der letzte Standort war in der Nähe der Hervester Brücke.«
»Wann?«
»Zehn Uhr und fünf Minuten am Montagmorgen. Danach ist es nicht mehr geortet worden.«
»Schicken Sie gleich morgen früh Taucher zu der Stelle. Wir müssen es finden!«
Frau Schwier hatte das Gespräch richtig interpretiert. Hallstein musste sie auffangen. Die Kommissare betteten Sie auf der Couch im Wohnzimmer und schoben ihr ein Kissen unter den Kopf. Dazu mussten sie einen Yogateppich mit den Straßenschuhen überqueren, was Hallstein einige Überwindung kostete. Er klopfte ihr auf die Wangen. Berendtsen kam mit einem feuchten Tuch aus der Küche und legte es auf ihr Gesicht. Das nützte. Sie kam zu sich.
»Was ist mit Fritz?«, brachte sie kaum heraus. »Ist ihm etwas passiert?«
»Sein Handy war zuletzt in der Nähe des Bootshauses zu orten. Am Ufer und auf der Brücke wurde es nicht gefunden. Es liegt wahrscheinlich in der Lippe. Wir schicken gleich morgen früh Taucher. Morgen im Laufe des Tages wissen wir mehr.«
»Was heißt ›im Laufe des Tages‹?«
»Bis morgen Abend haben Sie Bescheid. Die Lippe hat dort einige Strömung und so könnte das Telefon auch eine beträchtliche Strecke abgetrieben sein. Der Untergrund ist schlammig. Sie werden mit zwei Tauchern suchen.«
»Können wir jemanden benachrichtigen, der ein wenig auf Sie Acht gibt?« Hallstein war um die junge Frau besorgt.
Sie suchte ihr Telefon. Ein mobiler Festnetzanschluss stand neben dem Fernseher. Hallstein wählte für sie und übergab.
»Hallo Mama? Kannst du vorbeikommen? Ich bin zuhause. Ich glaube, es ist etwas Schreckliches passiert. Wir vermissen Fritz. Sein Handy suchen Taucher in der Lippe.« Sie schrie kurz auf. An Hallsteins Schulter gelehnt brach sie in Tränen aus.
Hallstein bemerkte, dass das Gespräch noch nicht beendet war. »Hallstein, Kriminalpolizei. Wir sind bei ihrer Tochter und geben Acht. Wie lange werden Sie brauchen bis hierher?«
Er blickte Frau Schwier an. »Ihre Mutter ist in fünf Minuten hier.«
Sie beruhigte sich langsam. Sie wünschte Tee. Hallstein gab sein Bestes. Er setzte sich neben sie und stützte sie vorsichthalber ein wenig ab. Vollständig war sie noch nicht bei der Sache. Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen.
»Schwier«, stellte sich die Dame vor, die ihre Tochter nicht verleugnen konnte. Die Gesichtszüge waren trotz des Altersunterschieds beinahe identisch. »Was ist passiert?«
»Wir haben Anhaltspunkte, dass der Lebensgefährte ihrer Tochter zu Tode gekommen ist. Wir müssen eventuell davon ausgehen, dass er beim Rudern einen Unfall hatte. Kollegen haben sein Rad am Bootshaus sichergestellt und sein Handy in der Lippe geortet. Das sind die letzten Informationen, die wir haben.«
Die Mutter tauschte mit Hallstein den Platz und nahm die Tochter in ihre Arme. Brigittes Weinen verstärkte sich erneut. Die Tränen verschmierten ihr Gesicht. Frau Schwier deutete den Männern an, dass sie jetzt mit ihrer Tochter allein sein wollte. Berendtsen besah sich ein Bild an der Wand, auf dem Fritz auf einem Baumstumpf sitzend eine Rast einlegte, in der einen Hand einen Schokoriegel, in der anderen einen Energy-Drink. Sein Fahrrad lag im Gras. Ein kurzer fragender Blick genügte. Die Mutter nickte. Er entnahm das Bild und steckte es ein. Auf leisen Sohlen verließen die beiden Kommissare das Zimmer. Hallstein bemerkte im Vorübergehen einen Fitnessraum mit Kraftturm und Stepper. Er blickte auf seine Uhr. Viertel nach sieben.
»Du meinst, Oliver, wir sollten Feierabend machen?«
»Wir haben nichts, was wir noch tun könnten. Wir müssen jetzt abwarten.«
»Ich hätte sie gerne noch nach dem Boot gefragt, aber das scheint mit im Moment eher unangebracht.«
Sie machten sich auf den Weg nach Recklinghausen zum Präsidium. Hallstein fuhr direkt nach Hause, Berendtsen schaute noch kurz bei Uschi vorbei. Die Taucher hatten ihren Einsatz zugesagt. Ab neun Uhr wollten sie vor Ort sein.
****
Berendtsen machte sich Sorgen um den Jungen. Eine kleine Hoffnung gab es noch. Er mochte es sich nicht vorstellen, dass ihm selbst ein Kollege die Nachricht vom Tod Maximilians oder Sophie überbringen würde, weil er oder sie durch einen Unfall das Leben verloren hätte. Irmgard und er würden es nicht ertragen. Hatte Fritz Herder noch Eltern? Er hatte Frau Schwier nicht danach gefragt. Wussten sie Bescheid? Wo lebten sie? Er schaltete das Autoradio aus. Er hatte im Augenblick keinen Sinn für Musik und banale Nachrichten von einem im Oktober anstehenden Konzert des WDR im Funkhaus Wallrafplatz. Er begutachtete seine Hand. Mit etwas Terpentin würde es gehen.
Irmgard stand in der Küche und hörte den Wagen in die Garage fahren. Sie sah ihm an, dass es einen Toten gegeben hatte. Sie kannte seine Mimik bis in die letzte Bartstoppel. Schon an der Art, wie er das Garagentor schloss, bemerkte sie, dass ihm etwas Unangenehmes widerfahren war. Sie nahm ihn an der Haustür in Empfang und zog ihn in ihre Arme.
»Es gibt keine guten Neuigkeiten in Sachen Ruderer, stimmt’s? Ich sehe es dir an.« Sie hakte ihn unter und führte ihn in seinen Lieblingssessel im Wohnzimmer.
»Erzähle.«
»Man hat ihn noch nicht gefunden, aber wie es aussieht …«
»Wie alt ist er geworden?«
»Sechsundzwanzig. Ich halte diese Ungewissheit nicht aus. Wenn ich wenigstens mit den Ermittlungen anfangen könnte, dann …«
Sie schwiegen. Beide dachten an ihre Kinder.
Es schellte. Die Presse.
»Hallo Albert, gibt es Neuigkeiten? Ich habe gerade gesehen, wie niedergeschlagen du deine Garage geschlossen hast. Habt ihr den Mann gefunden? Gehst du davon aus, dass er es nicht geschafft hat?«
»Guten Abend Franz. Wir haben keine neuen Erkenntnisse, aber wie die Lage sich darstellt, müssen wir von seinem Tod ausgehen. Wir wissen, dass es sein Boot ist, das gefunden wurde. Es stammt aus dem Bootshaus des RV. Dort hatte Herder sein privates Boot liegen. Er war dabei, neue asymmetrische Paddel auszuprobieren, was immer das auch für Paddel sind.«
»Ich kenne solche Paddel. Die Blätter sind asymmetrisch, aber auf beiden Seiten gleich.«
»Habe ich verstanden. Danke.«
»Kann ich davon etwas verwerten?«
»Schreib was du willst. Aber lass das Testen der Paddel weg. Ich habe es selbst nur nebenbei erfahren. Das kann kein Allgemeinwissen sein. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn die Öffentlichkeit mehr über den Fall erfährt. Die Leute halten Augen und Ohren offen, weil sich jeder als Detektiv betätigen möchte. Entschuldige, dass ich dich nicht hereinbitte, aber du weißt, wenn ich Nachrichten von einem Tötungsdelikt erfahre, gerade bei einem jungen Menschen, dann bin ich nicht für ein Bier zu haben.«
»Entschuldig die Störung, Albert. Nichts für ungut. Schlafe eine Nacht drüber. Morgen früh geht wieder die Sonne auf und die Welt dreht sich weiter. Die Menschheit kann das Unrecht nicht ausmerzen. Es fing bei Adam und Eva an, führte direkt in der nächsten Generation zum Mord von Kain an Abel und setzte sich mit dem Streit der zwölf Söhne von Jakob fort und mit dem Verkauf von Josef an die Ägypter gingen die Kriege los. Das ist nur die Geschichte der Bibel. Überall auf der Welt gibt es ähnliche Aufzeichnungen.«
»Wusste gar nicht, dass du so ein solcher Historiker bist.«
»Weißt du, Albert, als Kind habe ich diese ›Biblische Geschichte‹ eher für ein Buch der Sagen gehalten, genauso wie ich die griechischen und römischen Sagen gelesen habe.«
Berendtsens traurige Miene hellte sich auf.
»Du hast ja recht, Franz. Schönen Abend noch und gute Nacht.«
Er betrat die Küche. »Was gibt’s zum Abendessen?«
Albert ging es besser.