Читать книгу Arnold Reisberg. Jüdischer Revolutionär aus dem Königreich Galizien - Gerhard Oberkofler - Страница 11
III Vortragender, Agitator und Organisator in verhängnisvollen Jahren
Оглавление„Ein Geistesarbeiter, der drüben marschiert,
der ist in Wirklichkeit deklassiert,
nutzt euer Wissen und eure Kraft
im Dienst der kämpfenden Arbeiterschaft!
Erst in der neuen Welt, nicht in der alten,
kann des Geistes Arbeit sich voll entfalten!“
Erich Weinert (1890–1953)79
Die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft von A. R. lebt davon, dass er den Marxismus-Leninismus nicht angelernt, sondern mit ihm gehandelt hat. Er war Revolutionär, was bedeutet, dass er ausgesetzt und engagiert war, dass er richtend und gerichtet war. Seinem großartigen Werk über Lenin hat A. R. eine seine Bescheidenheit kennzeichnende Rückerinnerung vorangestellt: „Doch sei mir gestattet, hier einen bescheidenen Dank an den Menschen abzustatten, dessen Ideen mein ganz bewusstes Leben bestimmt haben, seit ich als siebzehnjähriger Gymnasiast – mehr zufällig im Protokoll des Gründungskongresses der Kommunistischen Internationale zum ersten Mal kennengelernt habe. 1923 Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes Österreichs, 1924 Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs geworden, habe ich seither kein höheres Ziel gekannt, als Lenins Gedanken, den Marxismus-Leninismus, zu propagieren, unter den Arbeitern und der studierenden Jugend zu verbreiten. Ich war immer stolz darauf, ein treues Mitglied der Kommunistischen Partei, der kommunistischen Weltbewegung zu sein, und will auch mit diesem Buche einen Beitrag zur Verbreitung ihrer Ideen leisten“.80 Mit Lenin denkt A. R. die russische Revolution als großen geschichtlichen Bezugspunkt mit. Der einige Jahre weltweit gehuldigte Kultintellektuelle Karl Popper resümiert sein intellektuelles Erweckungserlebnis: „Mit siebzehn Jahren war ich Anti-Marxist“.81 Immerhin, Popper empfand Lenins Buch über den Empiriokritizismus als „ganz ausgezeichnet“.82 Popper richtete sein persönliches Leben in der „Zivilisation des Reichtums“ komfortabel und parasitär ein, ganz anders als jenes parallele Leben von A. R., für den die Begegnung mit dem Marxismus-Leninismus nicht zu einem intellektuellen Bildungserlebnis hinabsank, sondern dessen Erkenntnisse ihm Motivation gaben, seinem Leben den Sinn des Kampfes für die Befreiung der Arbeiterklasse und mit ihr der Armen von Unterdrückung, Sklaverei und Krieg zu geben. Für sein militantes Engagement nahm er aus seinem politischen Kampf herrührende Konflikte an und erbrachte viele, den historischen Zeitumständen geschuldete und nur mit seiner Überzeugung durchhaltbare persönliche Opfer.
Zu dem am 2. März 1919 in Moskau beginnenden Kongress hatte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Russlands konspirativ Vertreter revolutionärer Parteien zur Beratung über die Frage der Gründung der Kommunistischen Internationale (III. Internationale) eingeladen. Etwa 50 Delegierte aus 30 Ländern Europas, Asiens und Amerikas kamen auf gefahrvollen Wegen durch die Fronten des Bürgerkrieges und der Interventen nach Moskau.83 Das Protokoll des I. Kongresses der Kommunistischen Internationale (Moskau, 2. – 19. März 1919) war noch druckfrisch, als es A. R. zufällig in die Hände bekam.84 Die am 3. November 1918 gegründete kommunistische Partei von Deutsch-Österreich war mit den Parteien von Russland, Deutschland, Ungarn, der Balkanföderation, der Schweiz und Skandinavien im ersten Exekutivkomitee vertreten. Von Anfang an war die Komintern bemüht, Funktionäre aus allen Ländern heranzuziehen. A. R. war es wichtig, das festzustellen, weil es ihm ein Beleg dafür ist, dass die Sowjetische Partei trotz der moralischen Autorität aufgrund ihrer siegreichen sozialistischen Revolution die Internationalität hochhielt. Das Schlusswort von Lenin auf diesem I. Kongress war voll Hoffnung: „Mag die Bourgeoisie der ganzen Welt noch so wüten, mag sie die Spartakusleute und Bolschewiki ausweisen, einkerkern, ja ermorden, dies alles hilft ihr nichts mehr. Dadurch werden die Massen nur aufgeklärt, von ihren alten bürgerlich-demokratischen Vorurteilen befreit und zum Kampf gestählt. Der Sieg der proletarischen Revolution in der ganzen Welt ist sicher. Die Gründung der Internationalen Räterepublik wird kommen“.85 A. R. war intellektuell offen und brachte das ihm zufällig in die Hände gefallene Protokoll der Gründung der III. Internationale mit den ihn umgebenden Bedingungen in einen Zusammenhang. Es beschäftigte ihn immer wieder, 40 Jahre später sollte A. R. in der Berliner Zeitung Neues Deutschland einen Leitartikel Zum 45. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Internationale. Ein Werk im Geiste W. I. Lenins schreiben und darlegen, dass mit der III. Internationale der Grundstein für die Wiederherstellung der jahrelang vom revisionistischen Einfluss zersetzten und 1914 auseinander gebrochenen Internationalen Arbeiterbewegung geschaffen worden war.86 Die KI wurde im Kriegsjahr 1943 aufgelöst. Der Entscheidung lag die Realität zugrunde, dass seit der Gründung der KI die kommunistischen Parteien in asiatischen und lateinamerikanischen Ländern, in China ohnehin auf sich selbst gestellt inzwischen zu wichtigen nationalen Faktoren geworden waren. Und in den europäischen Ländern waren während des Weltkrieges die kommunistischen Parteien zu kraftvollen nationalen Faktoren des Widerstandes geworden. In seiner Studie über Die Hilfe der Kommunistischen Internationale bei der ideologischen Festigung der kommunistischen Parteien in der Zeit der revolutionären Nachkriegskrise 1919–1923 beschreibt A. R. die Umstände, weshalb es in den kapitalistischen Ländern noch nicht gelungen war, eine entscheidende Veränderung der Kräfteverhältnisse zugunsten der revolutionären Arbeiter durchzusetzen: „Die Fehler der Kommunistischen Internationale waren Irrtümer von Menschen, begangen im Feuer des Klassenkampfes, begangen im erbittertsten, aufopferungsvollen Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse vom Joch des Imperialismus. Sie waren Fehler im Rahmen einer richtigen revolutionären Politik. Die ‚Fehler‘ der rechten Sozialdemokratie dagegen waren das Ergebnis ihrer falschen, arbeiterfeindlichen, auf die Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie zur Erhaltung des kapitalistischen Systems gerichteten und daher notwendigerweise antikommunistischen Gesamtpolitik“.87 A. R. war offen und frei im Denken, er hatte Phantasie.88 Gute Bücher können einen schon in Gang gekommenen Prozess strukturieren, wenn sie einen solchen nicht überhaupt auslösen. Davon schreibt der Widerstandskämpfer und Jurist der Arbeiterklasse Eduard Rabofsky (1911–1994)89, dem als Autoschlosser das 1927 im Wiener Verlag der Jugendinternationale erschienene Buch Das politische Grundwissen des jungen Kommunisten von linken Intellektuellen gegeben wurde, welches für ihn Anstoß war, Kommunist zu werden.90 Das Buch ist sehr bemüht, Wesentliches lesbar darzustellen, und erklärt erläuterungsbedürftige Worte, wobei manche dieser Erklärungen hinter marxistisches Wissen zurückfallen, zum Beispiel wenn zum Wort „Nation“ die Erklärung gegeben wird: „= die Gesamtheit derjenigen Menschen, die die Sprache gemeinsam haben; Volk“. Die Diskussion, ob und in wieweit die Österreicher zur deutschen Nation gehören, war noch weit weg, obschon gerade in Wien Josef Stalin (1878–1953) seine Studien über Marxismus und Nationale Frage geschrieben und argumentiert hatte, dass die Sprache einzeln genommen zur Begriffsbestimmung der Nation nicht ausreicht.91 Stalin hatte seinen Text in klarer Sprache und verständlich geschrieben, was stets ein Grundzug von ihm war. Der Einleitung zum Grundwissen ist als Motto vorangestellt die treffende Aussage von Josef Dietzgen (1828–1888): „Das erste Erfordernis eines Arbeiters, der mitarbeiten will an der Selbsterlösung seiner Klasse, besteht darin, sich nichts wissen machen zu lassen, sondern selbst zu wissen … Die Kenntnis des Kapitals unseres gemeinsamen Gegners im sozialen Kampf ist ein allgemeines Klasseninteresse, dessen sich jeder anzunehmen hat“. Rabofsky wird, wie er dem Autor zu bestimmten Anlässen wie 1989/90 gesagt hat, daraus mitgenommen haben, dass ein Revolutionär alles vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus zu beurteilen hat und Kommunist nur werden und bleiben kann, wenn er sich möglichst viele Erkenntnisse aneignet, auf denen der wissenschaftliche Kommunismus aufbaut. Die begründete Meinung, man könne sich mit Lesen vergiften, hielt Eduard Rabofsky zeitlebens an, seine Literatur sorgsam auszuwählen und kritisch einzuschätzen. Das kommt gut in einer Buchwidmung an Walter Hollitscher zum Ausdruck: „Man schlage ihnen ihre Fressen mit schweren Eisenhämmern ein … François Villon [(1431–1463)], Bert Brecht [(1898–1956)] und auch anderen“.92 Der junge Lenin las in seiner zehn Monate dauernden Verbannung in Kokuschkino viele Bücher leidenschaftlich. Der großrussische Demokrat Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski (1828–1889), der fast die Hälfte seines Lebens in Verbannung und im Kerker verbrachte und alles der revolutionär demokratischen Idee unterordnete, wurde in diesen Monaten der „liebste Autor“ von Lenin93 und übte auf seine weitere Entwicklung „eine entscheidende Wirkung“ aus.94 Mit seinem dialektischen Denken hat Tschenyschewski Einsichten über die Widerspiegelung objektiver Sachverhalte in wissenschaftlichen Theorien eröffnet, die für die Wissenschaftsentwicklung prinzipiell sind.95 So wies Lenin mit Tschernyschewski in seiner 1908 abgeschlossenen Arbeit über Materialismus und Empiriokritizismus96 den idealistischen Reduktionismus zurück und ging davon aus, dass alle Erscheinungen der Welt wechselseitig miteinander zusammenhängen. Jede Wechselwirkung ist in diesem Sinne Widerspiegelung einer Erscheinung durch andere Erscheinungen. Natürlich hatten schon Marx und Engels Tschernyschewski, der ein Vorläufer von ihnen gewesen war, als einen „großen russischen Gelehrten und Kritiker“ sehr geachtet, er hätte die bürgerliche Ökonomie nach John Stuart Mill (1896–1873) „meisterhaft beleuchtet“.97 Der Verlag der Sowjetischen Militärverwaltung in Berlin gab 1947 eine von Nikolai Beltschikow (1890–1979) eingeleitete deutsche Übersetzung des Buches Was tun? von Tschernyschewski in der illusionären Hoffnung auf einen neuen deutschen Menschen heraus.98 Georg Lukács (1885–1971) analysierte das Wesen der schöpferischen Persönlichkeit von Tschernyschewski.99 Lenins Leben mit Büchern war A. R. „die personifizierte Verbindung der russischen mit der gesamten europäischen Kultur“.100
Gemeinsam mit A. R. waren Alfred Klahr (1904–1944) und Arnold Deutsch (1904–1942) der KPÖ beigetreten. Haben sie sich vor der Synagoge darüber unterhalten? Es war für diese drei Studenten keine intellektualistische Eskapade, sondern ihre Lebensentscheidung, für erneuernde und befreiende Kräfte gemeinsam tätig zu werden. Sie sahen Unterdrückung, hatten Mitgefühl und wollten ihr etwas entgegensetzen. Lenin hatte in seiner Würdigung von August Bebel (1840–1913) allerdings auf den langwierigen Prozess der Herausbildung erfahrener und einflussreicher Parteiführer hingewiesen: „Die Bebel fallen nicht vom Himmel, wie Minerva dem Haupte Jupiter entsprang, sondern sie werden von der Partei und der Arbeiterklasse hervorgebracht“.101 Klahr, dessen Vater seine Familie mit vier Töchtern und einem Sohn als Hausierer und ritueller Fleischbankaufseher der Israelitischen Kultusgemeinde irgendwie durchbringen musste, wohnte im II. Bezirk in der Novaragasse 17–19 und war seit 1924/25 an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät Student des erst in der Republik eingerichteten Studienganges Staatswissenschaften.102 In seinem zweiten Studienjahr konnte er die bürgerliche Polemik des Rechtsphilosophen Alexander Hold-Ferneck (1875–1955) und die damit einhergehenden Proteste der deutschvölkischen Studentenschaft gegen den aus dem Prager Judentum stammenden brillanten Rechtstheoretiker Hans Kelsen (1881–1973) wahrnehmen. Als Dekan für das Studienjahr 1926/27 kam Kelsen, der in der bürgerlichen Professorenwelt gut zurechtkam und Hold nichts schuldig blieb, nicht mehr in Frage. „Wir Deutsche“, so argumentiert Kelsen 1926, sind der Auffassung, dass es „ein sittlich unerträglicher Zustand“ sei, zu einem Gemeinwesen zusammengezwungen zu werden, „das jedes inneren Sinnes, jeder politischen Idee entbehrt“. Das heutige Österreich sei „nichts anderes als ein willkürlicher Fetzen Landes“.103 Seine Doktorarbeit über „Das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in parlamentarischen Republiken“ reichte Klahr bei Adolf Merkl (1890–1970) am 21. April 1928 ein. Der heute allseits als „Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung“ applaudierte Kelsen vertrat in diesen Jahren zu Österreich noch die Meinung: „Weder historische noch nationale, noch religiöse, noch kulturelle Gründe sind es, die das heutige Österreich rechtfertigen können, das nichts als ein willkürlicher Fetzen Landes ist…“. Merkl beschied Klahr in seinem Gutachten (10. Mai 1928) einen „ungewöhnlich guten juristischen und politischen Blick“, womit Kelsen einverstanden war (11. Mai 1928).104
Die Eltern von Arnold Deutsch waren nach Wien übersiedelte orthodoxe Juden, weshalb seine Hinwendung zum Kommunismus mit vielen innerfamiliären Konflikten verknüpft war. Während seines Chemiestudiums arbeitete er mit dem 1926 an der Technischen Universität wegen seiner jüdischen Herkunft als Habilitationswerber abgelehnten, seit 1920 international bekannt gewordenen Pionier der qualitativen Analyse von Tüpfelreaktionen Fritz Feigl (1891–1971) zusammen und veröffentlichte einen Artikel.105 Seine Dissertation „Über Silber und Quecksilbersalze des Amidobenzothiazols sowie über eine neue Methode der Quantitativen Silberbestimmung“ verfasste er, wie in seinem am 2. Mai 1928 eingereichten Curriculum ausdrücklich festgestellt wird, „bei Herrn Priv. Doz. Dr. ing. Fritz Feigl, II. chem. Institut“. Sie wurde am 18. Mai 1928 von Ernst Späth (1886–1946) und Rudolf Wegscheider (1859–1935) als „immerhin genügend“ approbiert. Beim zweistündigen Rigorosum (18. Juni 1928) gaben ihm beide Chemiker ein „Genügend“, der Physiker Felix Ehrenhaft (1879–1952) war ungehalten und gab dem Prüfling ein Nichtgenügend. Dekan Othenio Abel (1875–1946), ein Paläobiologe, entschied „per majora approbirt“. Dekan Abel war von Deutsch beeindruckt, er entschied auch beim einstündigen Philosophicum von Deutsch, das von Schlick, der dem Kandidaten ein „Ausgezeichnet“ gab, und von Robert Reininger, der ihn mit „Genügend“ beurteilte, schon am 13. Juli 1928 abgenommen wurde, dass Deutsch „per vota maiora mit Auszeichnung“ als Zeugnis erhalte.106 Arnold Deutsch, der in seinem Lebenslauf für die Einreichung der Doktorarbeit noch erklärte, mosaischer Konfession zu sein, und mit 1929 Josefine („Fini“) Rubel ehelichte, wurde mit seiner Riesenbegabung von den Sowjets für die kommunistische Weltbewegung rekrutiert, der Nachwelt ist er als sowjetischer Agent um Harold Adrian Russel ‚Kim‘ Philby (1912–1988) bekannt. Peter Stephan Jungk (*1952), Sohn des humanistisch gesinnten und antiimperialistischen Zukunftsforscher Robert Jungk (1913–1994) weiß recht gut und detailliert, oft mit Schlüssellochblick, von familiären Geschichten zu erzählen.107
Irgendeine staatliche Anstellung als promovierter Historiker war für A. R. nirgends in Aussicht, er konnte eine solche auch gar nicht haben, aber nicht nur weil er Jude und noch dazu Kommunist war. Er hatte weder den für eine Anstellung an einem Archiv notwendigen Kurs des Instituts für österreichische Geschichtsforschung absolviert noch hatte er die für eine Anstellung an einer Höheren Schule notwendige Lehramtsprüfung mit zwei Fächern abgelegt. Es ergab sich, dass A. R. in der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei Fuß fassen und für sie eine Abendschule organisieren konnte. Er lernte in der Partei die Genossin Eleonore Reiter (*Wien, 3. Oktober 1908) kennen, beide heirateten und die junge Frau verdiente als Näherin Zubrot zum Überleben. Die Kommunistische Partei war zur Zeit des Eintritts von A. R. keine geschlossene Kampfgemeinschaft, es gab Flügelkämpfe. Leopold Hornik (1900–1976), der aus dem rumänischen Dej stammte und in Wien maturiert hatte, mit Leo Rothziegel (1892–1919) und Egon Erwin Kisch (1885–1948) Mitbegründer der Roten Garde in Wien, wollte 1927 von Wien aus die Einberufung einer Konferenz der Kommunistischen Parteien der Balkanländer zur Ausarbeitung gemeinsamer Zielsetzungen vorantreiben.108 Das wurde von dem einflussreichen Friedl (Siegfried) Fürnberg (1902–1978) als Illusion abgetan. Die Meinung von Wilhelm Siegmund (Willi) Schlamm (1904–1978), der wie A. R. aus dem galizischen Judentum (Premyšl) nach Wien gekommen war und dessen „Karriere“ eine diesem völlig konträre war, hielt eine Verbindung der österreichischen Partei mit Deutschland „viel selbstverständlicher“.109 Schon früh widersprach Friedl Fürnberg dem Opportunismus von Schlamm, als dieser die These vom „Ohnmachtsgefühl der österreichischen Arbeiterklasse“ aufstellte.110 Schlamm verfasste mit viel Pathos den Februartext „So helft ihnen doch!“.111
1922 (5. November bis 5. Dezember 1922) nahm Fürnberg als Delegierter der Kommunistischen Jugend Österreichs am IV. Kongress der KI teil.112 Lenin war schon krank, leitete aber die Grundsatzentschließungen des sich ihm begeistert zuwendenden Kongresses an. Sich den Massen zuzuwenden und konkrete Wege zu finden, um diese in den kapitalistischen Ländern wie in den kolonial unterdrückten Ländern zur sozialistischen Revolution zu führen, stellte sich die KI als zentrale politische Aufgabe. Sie konnte sich auf die internationale Disziplin der kommunistischen Parteien verlassen. Die sozialdemokratischen Parteien der II. Internationale stellten sich gegen jede Kooperation. In Wien wollte Josef Frey (1889–1957), aus einer gut betuchten deutschsprachigen jüdischen Familie im tschechischen Strakonitz (Strakonice) stammend und promovierter Jurist der deutschen Prager Universität, um 1927 eine Spaltung der jungen KPÖ durchsetzen. Über solche Differenzen hinaus leuchtete das Potential der Partei immer wieder auf und zu diesem Potential gehörte A. R. Am 23. Jänner 1927 nahmen 800 Personen in der Wiener Volkshalle an der Lenin-Feier teil. Diese von Johann Koplenig (1891–1968) eröffnete Veranstaltung war gleichzeitig der von Delegierten des Jung-Spartakusbundes besuchte I. Reichskongress der Roten Jungpioniere und wurde von der Roten Fahne als mächtige Kundgebung für die Einheit der Partei gewertet.113 Die kommunistische Frauentagsversammlung am 6. März 1927 im X. Wiener Bezirk wurde von 200 Personen besucht. Der IX. Parteitag der KPÖ im II. Wiener Bezirk brachte eine Klärung der Differenzen und, wie A. R. in seinen Archivexzerpten zur Geschichte der Partei resümierte, „ein bisher selten erreichtes Maß an innerer Geschlossenheit“. Frey war mit Unterstützung von Hornik ausgeschlossen worden. Der Parteitag beauftragte das Zentralkomitee, eine breite innerparteiliche Kampagne für den Austritt aus den Religionsgemeinschaften einzuleiten.
Seit seinem Parteibeitritt erlebte A. R. selbst, wie die bürgerliche Klassenjustiz in der Wirklichkeit funktionierte. Er konnte die ärmlichen Lebensbedingungen des Wiener Proletariats sehen und zog den Schluss, dass die Sozialdemokratie gegen die Armut zu wenig tat. Die im Mai 1933 als Kommunistin verhaftete Edith Suschitzky (verh. Tudor-Hart, 1908–1973) von der Buchhandlung Suschitzky dokumentierte die Schattenseiten des roten Wiens in ihren Fotografien.114 Am 1. März 1926 begann in Wien der Schwurgerichtsprozess gegen Johann Koplenig als verantwortlichen Redakteur des „Roten Soldaten“ wegen einer Reihe 1924 und 1925 darin erschienener Artikel. Nach einer groß angelegten Verteidigungsrede, in der Koplenig prinzipiell jedes Sektierertum ablehnte und für die Herstellung einer breiten Einheitsfront eintrat, verneinten die Geschworenen zwei Hauptfragen und sprachen ihn nur wegen des Aufrufs zum 1. Mai 1925 schuldig. In diesem Aufruf waren die Soldaten aufgefordert worden, den Arbeitern und Arbeitslosen die Versicherung zu geben, sie hätten nichts von ihnen zu befürchten. Koplenig wurde zu drei Monaten Arrest mit dreijähriger Bewährungsfrist bedingt verurteilt.115 Der Freispruch der Mörder von Schattendorf (30. Jänner 1927) durch ein Geschworenengericht (14. Juli 1927) und das von Polizeipräsident Johann Schober (1874–1932) und Bundeskanzler Ignaz Seipel (1876–1932) zu verantwortende Blutbad vor dem Justizpalast, der, fälschlich, als Sitz der Klassenjustiz in Wien vermutet wurde, mit 84 toten und hunderten verletzten Arbeitern am 15. Juli 1927 waren der Start für die offene faschistische Offensive in Österreich. Die Mehrheit des am Nachmittag des 15. Juli 1927 tagenden sozialdemokratischen Parteivorstandes hatte den Vorschlag des Arztes Dr. Wilhelm Ellenbogen (1863–1951) und des Gewerkschaftssekretärs Johann Schorsch (1874–1952), die Demonstration der auch in den Außenbezirken kampfbereiten Arbeiter in den bewaffneten Aufstand überzuleiten, abgelehnt. Johann Koplenig verbreitete im Auftrag des ZK der Kommunistischen Partei noch am Abend des 15. Juli ein Flugblatt mit dem Aufruf, dass die Führung der Bewegung in den Händen der Arbeiter sein muss. Die Ausrufung eines eintägigen Generalstreiks in ganz Österreich und eines unbegrenzten Verkehrsstreiks durch den sozialdemokratischen Parteivorstand war eher eine Ablenkung von den revolutionären Möglichkeiten. Der Verkehrsstreik wurde am 18. Juli von der SP-Führung bedingungslos abgebrochen. Johann Koplenig, der sich aus den internen Zwistigkeiten der Wiener Kommunisten ziemlich heraushielt, hatte für das Sekretariat der KPÖ am 15. und 16. Juli 1927 Telegramme an die Provinzorganisationen abgesetzt: „wiener arbeiterschaft durch schuld sp-führer niedergeschlagen. Zentrale auffordert sofortige herstellung verbindung. organisiert massenkundgebungen. vorbereitet abwehr faschistischer provinzvorstösse“. Wilhelm Pieck (1876–1960) war in der Nacht zum 17. Juli nach Wien gekommen, um sich beim Zentralkomitee der KPÖ über die Ereignisse zu erkundigten. Er wird verhaftet und am 26. Juli „abreisend gemacht“. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale schätzte die Juliereignisse als einen „spontanen Aufstand“ und als „ein Ereignis von größter Bedeutung in der Geschichte des Klassenkampfes der österreichischen Arbeiter und aller internationalen proletarischen Revolutionen“ ein. Das Exekutivkomitee verlangte: „Heraus mit der Bewaffnung des Proletariats! Heraus mit der Bildung von Arbeiterräten! Nieder mit der Seipel-Regierung! Es lebe der Sieg des roten Wiens und der Sieg der österreichischen Arbeiterklasse!“. Am 16. Juli 1927 verteilte die KPÖ in zehntausenden Exemplaren ihr nicht gezeichnetes Flugblatt mit dem Aufruf „Arbeiter und Arbeiterinnen! Die Regierung mordet weiter! ... Wehrt euch, Generalstreik bis zur Vernichtung des Faschismus! Bewaffnung!“. Die Staatsanwaltschaft ließ den Aufruf wegen Hochverrats beschlagnahmen. Am 20. Juli 1927 fand am Zentralfriedhof der Stadt Wien die Trauerfeier für die Juli-Opfer statt. Für den erkrankten sozialdemokratischen Bürgermeister Karl Seitz (1869–1950) hielten der sozialdemokratische Stadtrat Paul Speiser (1877–1947), Wilhelm Ellenbogen (1863–1951), Johann Koplenig (1891–1968) und Friedrich Adler (1879–1960) Grabreden. „Wir Kommunisten“, so Koplenig, „bekennen uns ohne Vorbehalt zum 15. und 16. Juli. Wir erklären uns solidarisch mit den auf der Straße gegen die mordende Staatsgewalt kämpfenden Arbeitern. … In diesem Kampf gibt es für die Arbeiter nur einen Weg, den Weg der russischen Revolution. Die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes, die Vorbereitung der proletarischen Revolution. … Wir geloben, den Massenmord zu sühnen, durch die Vorbereitung der Revolution, zur Errichtung der proletarischen Herrschaft in Österreich“. Koplenig wurde am Tag danach verhaftet, dem Landesgericht eingeliefert und des Hochverrats angeklagt. Mit ihm wurden die am 15. Juli in Wien anwesenden Mitglieder des Zentralkomitees der KPÖ, Jakob Riehs (*1882), Alois Ketzlik (1886–1938), Genia Lande(-Quittner) (1906–1989), Siegmund Schlamm, Ludwig Schmidt (1913–1943), Gustav Schönfelder, Karl Graf und Alois Seveček angeklagt. Diesen schlossen sich den am 15. und 16. Juli 1927 nicht in Wien anwesenden Mitgliedern des Zentralkomitees an, und zwar Alfred Ziegler, Otto Benedikt (1897–1975), Anna Strömer-Hornik, Gottlieb Fiala (1891–1970) und Karl Tomann (1884–1950), und ersuchten um Erweiterung des Verfahrens auch auf sie.116 Der Name von Karl Tomann weist auf viele Probleme der KPÖ hin. Vor dem Weltkrieg Gewerkschaftssekretär spielte er nach Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft eine bedeutende, aber, wie A. R., der die Fraktionskämpfe erlebte, feststellt, „nicht glückliche Rolle in der KPÖ“. Tomann war einer der Führer im Fraktionskampf, wurde ausgeschlossen, schloss sich den Nazis an und wurde nach der Befreiung von der Roten Armee verhaftet.117 Fiala, der 1915 in russische Kriegsgefangenschaft gekommen war und 1917 an der Seite der Bolschewiki gegen die Weißgardisten gekämpft hatte, war von 1924 bis 1927 Vertreter der KPÖ beim Exekutivkomitee der Komintern (EKKI) und legte im September 1929 alle Parteifunktionen zurück.118 Am 16. November 1927 fand der erste Schwurgerichtsprozess im Landesgericht Wien I. gegen Julidemonstranten wegen „Verbrechen des Aufstandes“ statt, alle Angeklagten wurden freigesprochen. Am 9. Jänner 1928 wurde gegen Koplenig verhandelt, er wurde von den Geschworenen wegen des Flugblattes der KPÖ vom 15. Juli und seiner Rede vom 20. Juli 1927 freigesprochen, auch die am 10. Jänner vor dem Schwurgericht stehenden elf Julidemonstranten wurden freigesprochen. Vor Gericht sagte Koplenig: „Die Geschichte kennt verschiedene Fälle, wo Arbeiter im Kampf Niederlagen erlitten und kurze Zeit später Kämpfe mit Erfolg beendeten. Im Juli 1917 haben die russischen Arbeiter ebenfalls erfolglos gekämpft, und im Oktober 1917 waren sie wieder auf die Straße gegangen und haben gesiegt! Bei uns wird diese Periode eine längere sein. Aber auch dem blutigen Freitag in Österreich wird ein Roter Oktober folgen“.119
Die Diskussionen innerhalb der KPÖ mit ihren Fraktionsbildungen, die Juli-Ereignisse und der Beginn der, wie das Zentralkomitee der KPÖ am 16. September 1927 formulierte, „Bourgeoisie-Offensive“ standen am Beginn des Weges von A. R. als Parteikommunist. Die Sowjetunion war präsent. Von der Roten Hilfe wurden im September 1927 Transporte für die während der Juli-Ereignisse verwundeten Arbeiter zur medizinischen Versorgung in Kurorten in der Nähe von Leningrad organisiert. A. R. war dabei, als die Wiener Parteiarbeiterkonferenz am 21. und 28. November 1927 mit 400 gegen acht Stimmen und zwei Stimmenthaltungen eine Resolution gegen die in der Sowjetunion ausgeschlossenen Leo Trotzki (eigentl. Bronstein) (1879–1940) und Grigori Jesejewitsch Sinowjew (eigentl. Radomilsky) (1883–1936) annahm. Koplenig leitete die jungen Genossen an, alles aus der Sicht der nationalen und internationalen Arbeiterklasse zu beurteilten. Das war für A. R. ein gutes Vorbild, dem er begann nachzueifern. „Ich diene der Arbeiterklasse“ – diese Lebensmaxime von Koplenig hat A. R. seiner biografischen Skizze über Koplenig vorangestellt.
In der Republik Österreich breiteten sich nach den Juliereignissen die den herrschenden ökonomischen Kräften entsprechenden faschistischen Kräfte begleitet vom „Rechtsstaat“ aus. Die Weltwirtschaftskrise erfasste Österreich mit voller Wucht. Vertiefende theoretische Studien über die Entwicklung des Kapitalismus und Sozialismus nach dem ersten Weltkrieg in Manuskripten vorzubereiten, wie das Otto Bauer (1881–1938) für die von der Sozialdemokratie angesprochenen politischen Kräfte tun wollte, half in dieser Periode des zugespitzten Klassenkampfs nicht weiter. Mit Otto Bauer drohte die sozialdemokratische Führung immer damit, einen Putsch gegen die bürgerliche Demokratie mit der Diktatur des Proletariats zu beantworten. A. R. legte immer Wert darauf, dass der Staat der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion zum Staat des gesamten Volkes geworden war. Friedrich Engels wies auf zwei Punkte besonders hin, wenn er sagte, dass „die ökonomischen Bedingungen als das in letzter Instanz die geschichtliche Entwicklung Bedingende“ sind: „Die politische, rechtliche, philosophische, religiöse, literarische, künstlerische etc. Entwicklung beruht auf der ökonomischen. Aber sie alle reagieren auch aufeinander und auf die ökonomische Basis. […] Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber bis jetzt nicht mit Gesamtwillen nach einem Gesamtplan, selbst nicht in einer bestimmten abgegrenzten gegebenen Gesellschaft.“120 Der im Auftrag der USA ermordete Befreiungstheologe Ignacio Ellacuría stimmte dem zu.121 Die Sowjetunion mit Stalin machte mit ihren Fünfjahresplänen und den kulturellen Fackeln, die sie entzünden konnte, einen guten Eindruck. Dass in diesem Riesenland die Debatten mit der innerparteilichen Opposition gegen die Praxis der Sowjetmacht nicht endlos weitergeführt werden konnten, musste angesichts der Interventionsbereitschaft der ökonomisch und militärisch starken imperialistischen Länder nachvollziehbar sein. Die österreichische Sozialdemokratie teilte kleinkarierte Fußtritte gegen die KPÖ aus. Am 25. April 1930 wurde der Eisenbahner Rudolf Mautner (1892–1943), der als verantwortlicher Redakteur der Roten Fahne zeichnete, zu vier Wochen Arrest verurteilt, dazu noch eine zusätzliche Woche wegen Ehrenbeleidigung sozialdemokratischer Führer. Rudolf Mautner wurde im Wiener Landesgericht am 23. September 1943 hingerichtet, weil er das Begräbnis seines Sohnes zu einer kommunistischen Verabschiedung gestaltet hatte.
Am 21. Februar 1932 begann in Wien die unter Leitung von A. R. von der KPÖ eingerichtete „Marxistische Arbeiterschule“ (MASch) ihre Tätigkeit mit Vorträgen. Schulungslokal war am Fleischmarkt 18, Stiege 1/17 (Wien I. Bezirk). Offiziell war diese Arbeiterschule von A. R. als Verein angemeldet und von der Behörde am 11. November 1932 als Arbeiterbildungsverein „Marxistische Arbeiterschule“ nicht untersagt worden. Vorstandsmitglieder waren Persönlichkeiten, die von jungen Menschen wegen ihrer in der Praxis erprobten Haltung hochgeachtet wurden, wenn sie denn in deren Umfeld kamen. Der in Auschwitz ermordete Wiener Rechtsanwalt Dr. Egon Schönhof (1880–1942) hatte in Russland als gefangener k. u. k. Soldat die Revolution erlebt, war als Kommunist nach Österreich zurückgekommen und hatte eine angesehene Rechtsanwaltskanzlei geführt. Die Nazis verhafteten ihn 1938 und ermordeten ihn in Auschwitz 1942. Engelbert Broda (1910–1983), der 1928 in Wien mit dem Chemiestudium begonnen hatte, sagte einmal, dass er durch den Kontakt mit solchen Männern wie Schönhof zum Kommunisten geworden sei.122 Aus dem ungarischen Judentum kommend und 1938 über Prag nach Argentinien geflüchtet war der Architekturprofessor Karl Járay (1878–1947) ein linksstehender Freund von Karl Kraus, der für ihn die Feier zum 60. Geburtstag im Wiener Schwedenkino arrangierte.123 Georg Knepler (1906–2003), der Karl Kraus am Klavier begleitet hatte, meinte, „das große Experiment der Zusammenarbeit zwischen unabhängigem Intellektuellen und Arbeiterbewegung“ sei nicht an Kraus gescheitert.124 Kraus hatte die deutschen Faschisten von Anfang an abgelehnt. Von den österreichischen Sozialdemokraten, die er bis etwa 1928 trotz aller Vorbehalte unterstützt hatte, war er sehr enttäuscht und näherte sich der Roten Hilfe und anderen kommunistischen Organisationen an. Wer Kraus nahestand und ihm nahebleiben wollte, folgte in der Regel seiner Linie. Nach der Machtergreifung von Adolf Hitler in Deutschland glaubte er, dass der Dollfußfaschismus am besten in der Lage wäre, Widerstand zu leisten, und ergriff für diesen Partei. Da machten aber viele Krausianer nicht mehr mit. Járay aber vermied einen Bruch mit Kraus. Im Vorstand der MASch waren weiter der 1934 nach Palästina und 1938 in die USA emigrierte linke Sozialdemokrat und praktizierende Arzt Sigismund Peller (1890–1985), der kommunistische Betriebsratsobmann einer Wiener Schuhfabrikund in Atzgersdorf wohnhafte Wilhelm Kment (*1898), der nach den Februarkämpfen in Wöllersdorf inhaftierte Kommunist, Interbrigadist und nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion 1945 im Burgenland tätige Ferdinand Panzenböck (1904–1995) und der Arzt Dr. Alfred Fischer (1894–1964), dem 1938 die Flucht nach England glückte und der nach 1945 im Gesundheitsamt Wien tätig war. Zu den Vortragenden gehörte der Literat Otto Heller (1897–1945).
Im Herbst 1932 erweiterte die MASCH ihre Tätigkeit mit Kursen, wozu Lehrmaterialien von der deutschen Schwesterpartei zur Verfügung gestellt wurden. Es waren Monate, in denen die reaktionärsten bürgerlichen Kräfte mit österreichischem Zuschnitt nach dem Vorbild der deutschen Faschisten sich auf die offene Machtübernahme vorbereiteten. Am 4. März 1933 verließen die Abgeordneten zum Nationalrat wegen eines Geschäftsordnungsdilemmas verwirrt das Parlament. Wiederholt wurde die Rote Fahne beschlagnahmt, Zellenversammlungen der Kommunisten in Wien oder ein geschlossener Aufmarsch zur kommunistischen Frauenversammlung am 8. März 1933 in Wien XII. wurden verboten. Am 14. März 1933 versuchte die KPÖ, die SPÖ von einer Einheitsfront zu überzeugen.
Ein paar Polizeibeamte genügten, um am 15. März 1933 die ins Parlament spazierenden sozialdemokratischen Abgeordneten von dort hinaus zu werfen. Der von der SPÖ angedachte Generalstreik der Arbeiterschaft kam nicht zustande. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (1892–1934) löste das Parlament auf und setzte auf Grundlage des von der Führung der Sozialdemokratischen Partei noch aus Anlass der Verfassungsänderung 1929 akzeptierten „Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes“ (1917) auf Notverordnungen. Der „Republikanische Schutzbund“ wurde verboten und das Streikrecht eingeschränkt. Die geplanten Feiern zum 1. Mai 1933 wurden verboten, allein Die Rote Fahne rief auf Unser ist der 1. Mai. Die österreichische Rote Hilfe hatte noch Lichtbildvorträge zum blutigen 1. Mai 1929 in Berlin gehalten. Dort waren auf Befehl des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel (1878–1961) die friedlichen Maidemonstranten von der Polizei überfallen worden, wobei es 33 Tote und hunderte Verletzte gegeben hatte. Am 26. Mai 1933 wurde von der Bundesregierung auf Antrag des als Vizekanzler amtierenden Heimwehrführers und k. u. k. Majors a. d. Emil Fey (1886–1938) die KPÖ verboten. Das liest sich in der Protokollsprache des unter Vorsitz von Dollfuß tagenden Ministerrates so: „… in den letzten Wochen habe gegen die Kommunistische Partei wiederholt wegen illegaler und staatsfeindlicher Handlungen eingeschritten werden müssen; insbesondere sei die „Rote Fahne“, das Organ der Kommunistischen Partei, trotz Stellung unter Vorzensur, fast täglich konfisziert worden. Redner [d. i. Fey] stelle daher den Antrag, der Ministerrat wolle beschließen, die im Entwurf (Beilage N) vorliegende Verordnung, womit der Kommunistischen Partei jede Betätigung in Österreich verboten wird, auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes zu erlassen. Der Ministerrat erteilt dem Antrag die Zustimmung“. Am selben Tag war in Deutschland von den Nazis das Reichsgesetz zur Beschlagnahme des gesamten kommunistischen Vermögens verabschiedet worden, nachdem einige Wochen zuvor die kommunistischen Abgeordneten schon in „Schutzhaft“ genommen worden waren. Der deutsche Faschismus hatte für den österreichischen Vorbildcharakter. Am 30. Mai 1933 wurde die „Vaterländische Front“ als Sammelbecken des von Dollfuß repräsentierten Faschismus mit klerikalem Anstrich gegründet. Am 10. November 1933 wurde durch die Regierung Dollfuß das Standrecht in Österreich und mit ihm die Todesstrafe wieder eingeführt. Es galt, den „revolutionären Schutt“ der Nachkriegszeit wegzuräumen, wie es der aggressive antikommunistische Prälat Seipel formulierte. Damit waren die den Industriellen und den Finanziers zuwiderlaufenden sozialpolitischen Errungenschaften wie das Betriebsrätewesen oder das Streikrecht gemeint. Indessen predigte die sozialdemokratische Parteiführung der Arbeiterklasse immer noch Disziplin und Unterordnung.
Kommunistische Funktionäre wie A. R. blieben unermüdlich tätig. Im Frühjahr und Sommer 1933 wurde die Tätigkeit der MASCH nach dem Verbot der KPÖ „unter Aufsicht und Kontrolle der Polizeibehörden“ bis zu den Sommerferien fortgesetzt. Angemeldet waren die Themen: „Die Staatslehre des Marxismus“, „Die Grundlehren des Leninismus“, „Ökonomische Grundfragen des Marxismus“, „Reformistische oder revolutionäre Gewerkschaftspolitik“. Nach einem durch die Neusammlung der illegal gewordenen KPÖ notwendig gewordenen Unterbruch beabsichtigte die MASCH im Oktober 1933, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen. Aber am 18. Oktober 1933 untersagte die Bundespolizeidirektion die Fortführung der MASCH, schloss das Schullokal und beantragte ihre Auflösung. Am 4. November 1933 erfolgte die Weisung des Bundeskanzleramtes an den Magistrat von Wien, den Verein „Marxistische Arbeiterschule“ aufzulösen, was am 9. November 1933 geschah. A. R. galt jetzt als einer der Spitzenintellektuellen in der Partei. Am 8. August 1933 hatte eran der Wiener Parteiarbeiterkonferenz zur Einleitung der Antifaschistischen Aktion teilgenommen. Die KPÖ wollte sich in den nächsten Monaten ihrer Arbeit auf die Organisierung der Antifaschistischen Aktion gegen den neuen Sanierungsraub des Kapitals, gegen den Faschismus und seine Wegbereiter konzentrieren. Johann Koplenig führte aus: „Der entscheidende Hebel, das Kettenglied zur Entfaltung des proletarischen Massenkampfes gegen die Hungeroffensive der Bourgeoisie und den Faschismus ist die Entfesselung des Kampfes gegen den Lohnraub, gegen die Entlassung und gegen die verschiedenartigen Vorstöße der Unternehmer in den Betrieben. Ohne Kurs auf die Arbeitermassen gibt es keinen erfolgreichen antifaschistischen Kampf. Das muss der entscheidende Gedanke auch bei der Durchführung der antifaschistischen Aktion, bei allen Maßnahmen dazu sein, die wir treffen.“ Der Kampf gegen den Faschismus sei das Wichtigste und die Kommunisten stellten für die Einheitsfront keine Bedingungen außer der einen, dass gekämpft wird. Die organisatorische Grundlage der Antifa-Aktion waren die Antifaschistischen Komitees. Ihre Herstellung sei nur möglich durch die Gewinnung der sozialdemokratischen Arbeiter für den gemeinsamen Kampf.
Der Einsatz von A. R. für die KPÖ war vielfältig. Zum 1. Mai 1933 war A. R. für das Zentralkomitee im oberösterreichischen Altheim, wo die beim Kriegerdenkmal zusammengekommenen Kommunisten von Nazis provoziert wurden. Die etwa dreißig Kommunisten, zum Großteil Frauen, zogen sich vor der Übermacht der Nazis in ein als Parteiheim dienendes Wohnhaus im kleinen, Altheim benachbarten Örtchen Danglfing zurück. Dort wehrten sie einen Ansturm der von auswärts zusammengetrommelten Nazis mit Schüssen aus dem Fenster mit einem dort aufbewahrten alten Militärgewehr ab, ein 23-jähriger Nazi wurde getötet, andere verletzt. Schließlich ergaben sich die Kommunisten der das Haus umzingelnden, von den Altheimer Gendarmen aus Braunau herbeigerufenen und mit zwei Maschinengewehren ausgerüsteten Militärassistenz. Zuvor hatten sie aber ihren aus Wien angereisten Instrukteur A. R. in Sicherheit gebracht.
Noch im Dezember 1933 setzte sich A. R. mit Árpád Haász (1896–1967) zusammen, um im Auftrag der illegalen KPÖ für 1934 die Monatsschrift „Zeitschau“ zu konzipieren. Redakteure waren A. R. und Árpád Haász sowie der nach der Machtübernahme der Nazis von Berlin nach Wien zurückgekehrte Géza Reitmann (Kunert) (1901–1977). Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Árpád Haász war in späteren Jahren mit Jürgen Kuczynski (1904–1997) befreundet.125 A. R. war während seiner Wiener Tätigkeit immer in Rücksprache mit der Basis der Partei und vor allem mit Johann Koplenig.