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Aldous Huxley: Ein Vordenker des Umdenkens

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Im populären Verständnis gilt Aldous Huxley heute in erster Linie als Romanschriftsteller. Doch von den fünfzig Büchern, die er veröffentlichte, sind nur elf oder zwölf Romane im engeren Sinne. Nur in den Spannungsfeldern zwischen Kunst und Wissenschaft, Literatur und Philosophie, Lebenslust und Lebenskritik lässt sich Huxleys Weg wirklich nachvollziehen. Als junger Mann begann er mit der künstlerisch anspruchsvollsten literarischen Form, der Dichtung, was nicht verwundert: Die Sensibilität des Kindes und Jugendlichen fand zunächst Ausdruck in Malerei und Musik. Das Ästhetische und die besondere Rolle des künstlerischen Umgangs mit der Welt sollten für Huxley immer zentral bleiben. Aus dem Dichter entwickelte sich Anfang der Zwanzigerjahre schnell der Romancier, aus dem Kunstkritiker einer der stilvollsten Essayisten der Geschichte des Genres und aus dem Essayisten schließlich eine sehr moderne Form des Sozialphilosophen: der philosophische Schriftsteller, in dem sich Historiker, Romancier, Dichter, Denker und Essayist zu einem eigentümlichen, faszinierenden Amalgam mischen.

Doch wenn man Huxley mit den herausragenden Literaten und Intellektuellen seiner Zeit vergleicht, scheint er heute fast vollständig von der Bildfläche verschwunden zu sein. Bekannt ist er vor allem noch für seinen Roman Schöne Neue Welt. Die herausragende Position dieser negativen Utopie von 1932 als moderner Klassiker, der weltweit weiterhin regelmäßig auf den Schulcurricula steht, überschattet die vielfältigen anderen Talente dieses englischen Schriftstellers, der darüberhinaus einer der außergewöhnlichsten Denker der Geschichte war.

Die Sicht auf ihn hat sich über die letzten hundert Jahre mehrfach verändert. Der junge Huxley galt seinen Zeitgenossen und der jüngeren Generation in den 1920er-Jahren als Bilderstürmer, sexueller Emanzipator und Befreier vom viktorianischen Muff, ähnlich wie der Rock’n’Roll, die sogenannten Achtundsechziger, die Beatles oder Frank Zappa für ihre Generationen. In den Sechzigerjahren lieferte Huxley den Blumenkindern und Psychedelikern noch einmal utopischen Zündstoff, doch bereits in den Siebzigern, in denen die meisten Studien zu seinem Werk entstanden, überwogen die Abwertung sowie ein zum großen Teil läppischer und rufschädigender Umgang mit seiner Biografie und seinem Werk.

Während seine Existenz in den Feuilletons sich in der neueren Zeit im großen Ganzen auf das Schlagwort von der »schönen neuen Welt« und Bezüge auf den gleichnamigen Roman beschränkt, führt Huxley im Internet ein ganz eigenes Leben. Sucht man seinen Namen, gibt es ähnlich viele Treffer wie bei Thomas Mann, Franz Kafka oder anderen. Im Internet gibt es offensichtlich eine (nicht organisierte) Huxley community, die zum Großteil von dem Huxley fasziniert ist, der in den Zwanzigerjahren als provokativer Vordenker seiner Generation bejubelt wurde und in den Sechzigerjahren Wegbereiter für die Hippiekultur und Ökologiebewegung war.

Die jüngere Generation entdeckt wieder das humanistisch-utopische und kritische Potenzial von Huxleys Denken und Werk, das weit über utilitaristisches pädagogisches Reformdenken, alltagspolitische Kapitalismuskritik und religiös-therapeutische Schnellschüsse hinausgeht. Als einer der intellektuellen Begründer des ökologischen Denkens propagierte Aldous Huxley einen umfassenden, systemischen und ganzheitlichen Umgang mit der Realität. Auf Grundlage einer humanistisch geprägten spirituellen Diszipliniertheit plädierte er für ein vernetztes Denken, das sich der Multidimensionalität aller wesentlichen Probleme bewusst ist.

Keines unserer drängenden ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen oder ethischen Probleme ist in Isolation zu lösen: weder Migranten- und Flüchtlingsströme, Bankenkrisen oder Ressourcenknappheit und Engpässe in der Energieversorgung noch der Klimawandel mit seinen Folgen oder totalitäre Regimes, zunehmende politische Radikalisierung und Korruption. Hundert Jahre nach der Gründung der Weimarer Republik und der Geburtsstunde moderner Demokratien haben die liberalen Gesellschaften weder die demokratieschädigende Eigengesetzlichkeit der sogenannten freien Marktwirtschaft unter Kontrolle bekommen oder der großflächigen Umweltzerstörung Einhalt gebieten noch die Demokratie selbst überlebensfähig machen können. Huxley hat vor diesen Tendenzen, die sich nach seinem Tod ungezügelt weiterentwickelt haben, gewarnt, er hat sie dokumentiert, analysiert und Rezepte zu ihrer Bekämpfung entwickelt.

In intellektueller oder philosophischer Hinsicht ist Huxleys Kost für die Gegenwart so ungewohnt wie für seine Zeit. Neben englisch-amerikanischem Pragmatismus verbinden sich darin unter anderem Ideen alternativer Pädagogik und Psychologie mit fernöstlichen Lehren und christlichem Mystizismus. Als Querdenker zwischen »Skepsis und Ekstase« (Richard Reschika, Philosophische Abenteurer, Stuttgart 2001) hat Huxley eine ganz eigene Schneise insbesondere durch die westlichen Denktraditionen geschlagen, die gerade in Deutschland weitgehend in einem steifen Kantianismus und Hegelianismus mit ein wenig verschlepptem Marxismus verharren. Interessanterweise kommen gerade die einflussreichsten westlichen Denker der Neuzeit bei Huxley nicht vor bzw. bestehen den Nützlichkeitstest nicht: Kant, Hegel, Freud und Marx.

Abgesehen davon, dass seine Überlegungen wie ein frischer Wind durch die Gegenwart blasen würden, gibt es reichlich weitere gute Gründe, sich ausführlich mit Huxleys Denken, seiner Literatur, seinen Essays und Vorträgen zu beschäftigen. Zunächst einmal ist die Lektüre seines Werks, egal ob Roman, Erzählung oder Essay, immer vergnüglich und anregend. Huxley gilt zu Recht als herausragender Stilist, der mit Wissen und Beobachtungsgabe besticht. Dazu ist sein Werk eine Fundgrube an treffenden Sentenzen und Aphorismen, zeitlos glücklichen Formulierungen sowie originellen Gedanken und Beobachtungen. Abgesehen davon, dass der umfassend gebildete Huxley über einen herausragenden Intellekt, Witz und Klugheit verfügte, war er auch Kritiker mit einer außergewöhnlichen Sensibilität für klassische Musik, Malerei, Dichtung und andere Künste. Aufgrund seines enzyklopädischen Wissens, seines stets wachen Verstandes und seines leichten Stils, mit dem er elegant Belehrung und Unterhaltung zu verbinden verstand, gilt er bis heute als einer der herausragenden Vertreter des englischsprachigen Essays.

Im Großteil seiner Schriften und Vorträge, die grundsätzlich gesellschaftskritisch und anthropologisch ausgerichtet sind, ist er Sozialphilosoph und Ethiker. Mit Sartre und Camus teilte er die Auffassung, dass der Roman sich besonders gut für philosophische Experimente eigne. Darum war ihm auch daran gelegen, seine Überlegungen zu einer gelingenden Gesellschaft in seinem letzten Werk Eiland in Romanform zu verpacken.

Darüber hinaus verkehrte Huxley in einigen der wichtigsten Kreise und Bewegungen seiner Zeit – von der Bloomsbury Group bis zum Hollywood-Jet-Set, von der psychologischen Avantgarde bis zur Speerspitze von Zen-und-Yoga im Westen. Sein beweglicher Intellekt und sein nie ermüdendes Interesse machten ihn zum anregenden und fruchtbaren Gesprächspartner nicht nur für einige der herausragenden Schriftsteller seiner Zeit, sondern auch für Musiker, Hollywoodstars, Philosophen, Naturforscher, Mediziner und Soziologen. Viele dieser verschiedenen Spezialisten wurden sehr gute Freunde wie etwa der Schriftsteller D. H. Lawrence, der Musiker Igor Strawinsky oder der Astronom Edwin Hubble.

Aldous Huxley war fest verwurzelt in der bürgerlichen, humanistischen Tradition des 19. Jahrhunderts mit ihrem aufklärerischen, liberalen Wertekanon. Zugleich war er ein Kind der frühen Moderne mit ihrem Aufklärungsskeptizismus und ihrer naturwissenschaftlichen Begeisterung. Er hat die beiden Weltkriege miterlebt und die Frühzeit des Kalten Krieges sowie die brutaler werdenden imperialistischen Kämpfe um Ressourcen und Vormachtstellungen in den 1950er-Jahren genau beobachtet. Wie sein jüngster Biograf, der politische Philosoph Kieron O’Hara, konstatiert, wäre es schwierig, ein tiefes kulturhistorisches Verständnis des 20. Jahrhunderts für sich in Anspruch zu nehmen, ohne Huxley gelesen zu haben. Diese Feststellung betrifft auch dessen gesellschaftskritische, satirische Romane wie insbesondere Kontrapunkt des Lebens.

Jenseits des Lesegenusses und der historischen Bildung gibt es wenigstens noch drei weitere gute Gründe, aus denen es lohnenswert ist, Huxley zu lesen. Der erste, so O’Hara, liegt in der bislang unerreichten Beschreibung des Geflechts von Kapitalismus, Demokratie, Konsumismus und Technologie. Dem wäre hinzuzufügen, dass es kaum einen besseren Lehrer für das Denken in Zusammenhängen gibt als Huxley. Der zweite Grund liegt in dem soliden historischen Wissen, auf dem alle neuen radikalen Ideen des Bilderstürmers Huxley fußen. Er näherte sich den Problemen der Gegenwart im Rückgriff auf die gesammelte Weisheit der ihm vertrauten künstlerischen und wissenschaftlichen Traditionen, immer bereit, von den großen Denkern und Künstlern der Vergangenheit zu lernen. Als Drittes schließlich hat Huxley immer wieder die unbequeme Frage nach individueller Verantwortung in einer massenorientierten globalisierten Welt gestellt.

Aus diesen Gründen hat Huxley auch heute wieder das Potenzial des Emanzipierers. Es gibt nach wie vor viel von ihm zu lernen. Huxley bleibt ein Zeitgenosse – mit Internet, sozialen Netzwerken und der gesamten digitalen Welt würde er nicht fremdeln. Im Gegenteil, er war ein vorausschauender Kritiker der Probleme der Technologisierung, der Virtualisierung und der Dauerablenkung. Was er bereits in den Zwanzigerjahren über die good timers, die Vergnügungssüchtigen seiner Zeit, schrieb, wird heutigen Lesern der Fun- und Partygesellschaft einige Aha-Erlebnisse verschaffen.

Huxley ist eine seltsame Hybriderscheinung, zugleich in Hochkultur und Popkultur beheimatet. Kaum jemand hat die Position des Intellektuellen und die Bedeutung von Bildung, Wissen und der Fähigkeit zu komplexem, nuanciertem Denken überzeugender verkörpert und eingefordert als er. Viele seiner Romane und Essays sind deshalb anspruchsvoll, zugleich aber immer unterhaltsam und zugänglich. Auch hatte der fordernde Intellektuelle, der für alles und jeden einfühlsames Interesse bekundete, keine Berührungsängste mit Theater, Radio und Filmindustrie. Der Roman Schöne neue Welt und seine Drogenexperimente haben ihm einen sicheren Platz als Pop-Ikone verschafft.

Nicht nur als Schriftsteller, Intellektueller und Denker scheint Huxley ein außergewöhnlicher Mensch gewesen zu sein. Die meisten, die ihn persönlich kannten, waren nicht nur von seinem enzyklopädischen Wissen und seiner spitzbübischen Freude an Groteskem und Absurdem beeindruckt, sondern insbesondere auch von seiner Sanftmut und Güte. Sein guter Freund Strawinsky, der in Europa aus den Medien von Huxleys Tod erfuhr, stand noch Wochen später unter Schock: »Ich habe Aldous sehr geliebt«, schrieb er an den Bruder Julian Huxley,

»und sein Tod war ein schrecklicher Schlag und Verlust für mich. Ich bin noch immer nicht imstande, darüber nachzudenken, und ich kann nicht über ihn schreiben. […] Seit ich vor einem Vierteljahrhundert nach Kalifornien kam, war mir Aldous ein geistiger Führer. Und ich fühle mich verloren ohne ihn, diesen liebsten Freund.« (Gedächtnis, S. 28)

Im Vorwort zu seiner Sammlung von Huxleys Briefen korrigiert auch Grover Smith das Bild des gefühllosen Intellektuellen, das vor allem durch Huxleys bissige Satire und sein häufig kühles Sezieren der Figuren in seinen Romanen (sich selbst eingeschlossen) entstanden war:

»Er war zu liebevoll, um kaltschnäuzig intellektuell zu sein, und zu freimütig für intellektuelle Arroganz. Man kann nicht umhin, in ihm einen der menschlichsten Menschen und Briefschreiber zu sehen – und das genau deshalb, weil in ihm das Gefühl so hochentwickelt war wie der Intellekt. In Huxley fochten Mitgefühl und Verachtung, Abscheu und Zärtlichkeit immer gleichzeitig um die Oberhand und brachten, gleichsam durch eine Dialektik der Emotionen, die durch den Verstand reguliert wurde, seine facettenreiche Haltung zur Welt hervor. Man kann seine Dichtung nicht lesen, ohne dem wissenschaftlichen Philosophen zu begegnen, seine Essays nicht, ohne auf den Künstler zu stoßen. Er hat sich mehr für das Leben als für die Kunst interessiert und für die Kunst nur als Funktion des Lebens. Sein Zugang zu Vedanta war zum Großteil der des Psychologen. Man darf nicht vergessen, dass Huxley grundsätzlich ein Skeptiker war.« (Letters, S. 1f.)

Als Strawinsky den Briefband gelesen hatte, fand er, dass dieser den Mann, den er gekannt hatte, nur zum Teil zeige. Huxleys Sinn für Humor fehle, und seine akademische Seite werde zu stark akzentuiert. Die puritanische Seite, welche die Briefe betonten, würden das verzerrte Bild weiter verzerren, denn in der Realität habe Huxley dazu geneigt, alle moralischen Kategorien auf »intelligentes« oder »unintelligentes« Verhalten zu reduzieren.

Ein anderer Freund, der Schriftsteller Christopher Isherwood, betonte:

»Furchtlose Neugier war eine von Aldous’ vornehmsten Eigenschaften […]. Kleinbürger haben so viel Angst davor, was die Nachbarn wohl denken, wenn man dem Leben unkonventionelle Fragen stellt. Aldous fragte unablässig, und ihm kam nie der Gedanke, sich um die Nachbarn zu scheren.« (Memorial Volume, S. 157)

Dafür, dass Aldous Huxley heute weniger bekannt ist als andere Autoren seiner Zeit, gibt es zahlreiche Gründe, die einer Verquickung von unglücklichen Umständen geschuldet sind. Eigentlich sollte man meinen, sein Werk müsse heute aktueller sein als in den 1960er- und 1970er-Jahren, gerade weil er der erste ökologische Denker war, weil er schon in den 1920ern und erst recht in den 1950ern auf radikal anderen Erziehungsmethoden, auf ganzheitlicher Bildung und ganzheitlichem Denken beharrte. Tatsächlich sind sein Denken und seine Weltsicht aber heute unbequemer als damals.

Platz für Huxleys Denken gibt es indes auch heute, denn es herrscht ein gewisser laissez faire-Pluralismus. Was sich allerdings vordergründig durchgesetzt hat, ist eine behäbig konservative, selbstgefällige, streitscheue politische und gesellschaftliche Trägheit, in der es generell vorgezogen wird zu beschwichtigen, Kritik zu belächeln oder zu verleumden und bestenfalls an Symptomen zu doktern, anstatt Probleme nachhaltig an den Wurzeln zu behandeln. Die Streitkultur der 1970er Jahre ist im Zuge der Political Correctness gerade in Europa immer mehr aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die beinahe chinesisch anmutende kulturpolitisch gepflegte Harmoniesucht führt neben Trägheit zu steigender Unruhe, Nervosität und Unfähigkeit, den Sorgen und Nöten eine intelligente Stimme zu verleihen. Einerseits sind die Fronten schärfer geworden, andererseits ist die Sensibilität gewachsen. Ein explosives Gemisch.

Huxleys Einstellungen zu Sexualität, Familie, Erziehung oder Religion scheinen in der breiten Öffentlichkeit keine Resonanzräume mehr zu finden, obwohl es lokale Experimente in alternativer Pädagogik gibt, die Funktionalität der traditionellen Familie immer mehr zerfällt und aufgeklärte Praktiken wie Polyamorie im Schatten des Pluralismus Fuß fassen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Huxley selbst begann, seinem Nachruhm ein Grab zu schaufeln. Bereits früh sprach er in seiner typischen selbstkritischen Offenheit davon, dass er eigentlich kein »geborener« Romanschriftsteller sei, sondern diese Haltung nur gekonnt imitiere. Diese Aussagen haben, besonders in seiner letzten Lebensphase, einige weniger aufmerksame Kritiker zu wörtlich genommen; dazu wurde »kein geborener« offenbar mit »kein richtiger« übersetzt und die Legende vom literarisch schwachen Huxley war in die Welt gesetzt. Dieses Gerücht wurde durch eine weitere, parallel entstandene Legende unterfüttert, die besagte, dass der ältere Huxley sich vom beißenden, zynischen Intellektuellen zum weltfremden Heiligen gewandelt habe.

Es ist richtig: Nach 1936 schrieb er weniger Romane und beschäftigte sich verstärkt mit Forschung sowie anthropologischen, ethischen und sozialpolitischen Fragen, was seiner zugewiesenen Rolle als Romanschriftsteller ebenfalls geschadet hat. Offenbar ist es schwierig bis unmöglich, in der öffentlichen Wahrnehmung in mehr als einer Rolle zu überleben.

Dass Huxley im öffentlichen Bewusstsein praktisch nur noch durch die Allgegenwart von Schöne Neue Welt vorhanden ist, hängt darüber hinaus grundsätzlich mit seiner kompromisslosen Experimentierfreude und seiner Abneigung gegen verhärtete Glaubenssysteme und Lehren aller Art zusammen – seien es Kirchen oder Ideologien jedweder Couleur und Ausprägung; eine Abneigung, die er mit seinem guten Freund Krishnamurti teilte. Alles, für das ein Glaube Voraussetzung ist, war ihm zutiefst suspekt. Er interessierte sich vor allem für Trainingsprogramme und Methoden, die helfen, ein intelligenterer, liebevollerer und aufmerksamerer Mensch zu werden. Diese geistige Beweglichkeit und Offenheit hat es schon seinen Zeitgenossen schwierig gemacht, ihn einzuordnen und bequem zu kategorisieren. Wie seine Freundin und Biografin Sybille Bedford feststellte: »Aldous’ eigene Philosophie war dynamisch; […] er stand niemals still« (Bedford II, S. 343). Huxley hat sich nicht verändert: er hat sich weiterbewegt.

Seine oft pionierhafte Experimentierfreude hat dazu geführt, dass er nach Schöne Neue Welt am bekanntesten ist als Prophet oder Guru der psychedelischen Drogenbewegung, besonders durch seinen Meskalin-Erfahrungsbericht Die Pforten der Wahrnehmung. Bereits mit seinem Einsatz für die Pazifismusbewegung im England der 1930er-Jahre und der unmittelbar folgenden Emigration in die USA war sein Ruf als angesehener Intellektueller zunehmend durch Häme und Spott angegriffen worden. Die Karikatur von David Low in Nash’s Pall Mall Magazine von September 1936, die Huxley zeigt, wie er und der Gründer der Peace Pledge Union Hitler und Mussolini zu Tränen und Einsicht rühren, stellte erst den Beginn dar. Die Presse nicht allein in Großbritannien, wo man zunächst ein Hühnchen mit ihm als Deserteur von der Heimatfront ins kalifornischen Exil zu rupfen hatte, sah Huxleys intellektuelle Glaubwürdigkeit durch seine Beschäftigung mit anscheinend Abwegigem, Kuriosem und Nebensächlichkeiten zunehmend erodiert. Auf den unzeitigen Pazifismus in den Zeiten des wachsenden Faschismus folgten über die Jahre die Annahme von unorthodoxen Theorien und Therapien wie der psychosomatischen Typologie von Sheldon, der Sehtherapie von Bates, Hypnose und schließlich das Experimentieren mit psychedelischen Drogen. In die psychoaktiven Substanzen setzte Huxley die Hoffnung, dass ihr kontrollierter Einsatz zu einem spirituellen Verständnis der Wirklichkeit verhelfen könne, was zum Teil pauschal als unausgegorener Westentaschenmystizismus eines zunehmend versponnenen Intellektuellen wahrgenommen wurde. So konstatierte der US-amerikanische Chemiker und Pharmakologe Alexander Shulgin 1977 in seinem Vorwort zur englischen Ausgabe des psychedelischen Sammelbandes Moksha (S. xix): »In seinem letzten Jahrzehnt war Huxley absichtlich kontrovers«.

Diese Biografie soll in erster Linie den allgemein interessierten Lesern einen Überblick über die Hintergründe und das Denken dieses bedeutsamen und weiterhin aktuellen Schriftstellers bieten und Anreiz geben, sich ausführlicher mit Aldous Huxleys Werk auseinanderzusetzen. Sie will aber auch seinen Autor wieder ins Licht rücken, der in den letzten Jahrzehnten als Literat und Denker in die zweite Reihe gerückt ist, nachdem er fünf Jahrzehnte lang ein literarischer und intellektueller Star war.

Eine Schwierigkeit, vor welcher der Biograf dabei steht, ist es, das folgenreiche Desaster von 1961 auszugleichen. In diesem Jahr brannte das Haus von Laura und Aldous Huxley in den Hollywood Hills ab; das Feuer verschlang fast die gesamte Korrespondenz von Aldous Huxley, insbesondere seine Briefe an seine erste Frau Maria. Es zerstörte Manuskripte und seine persönliche Bibliothek von einigen tausend Bänden mit seinen Anmerkungen. So bleibt die Schwierigkeit, dass von Huxley außer seinem Werk kaum persönliche Zeugnisse überlebt haben und es fast nur Berichte von außen gibt.

Eine weitere außergewöhnliche Tatsache, die dem Biografen Schwierigkeiten bereitet, ist es, dass Huxley mit so vielen bedeutenden Menschen Kontakt hatte, dass sie nicht alle sinnvoll in einer Biografie unterzubringen sind. Für einen Künstler und Intellektuellen ist es nicht ungewöhnlich, im Zentrum eines Netzwerks zu stehen, besonders wenn man so kommunikativ und an Austausch interessiert ist wie es Huxleys reger, nie stillstehender Geist war. Aber sein »Adressbuch« sprengt sehr schnell die Grenzen des Recherchierbaren. Man wundert sich eher, mit wem er keinen Kontakt hatte.

Huxleys vielfältige Kontakte mit Menschen, Kulturen und Sprachen (er sprach fließend Französisch und Italienisch) waren Ausdruck seines umfassenden Weltbürgertums. Er war beinahe überall mit einer gewissen Leichtigkeit schnell zu Hause – ob in Oxford, London, Italien, Frankreich, New York oder Los Angeles. Er war ein Emigrant unter Emigranten (seine erste Frau war Belgierin, seine zweite Italienerin). Herkunft, Tradition und Kultur hatten bestenfalls persönliche, biografische, aber niemals universelle Bedeutung.

Es gibt also einen anregenden Denker, Lehrer, äußerst unterhaltsamen Autor und Ausnahmemenschen wiederzuentdecken, der immerhin mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, sieben Mal zwischen 1938 und 1963. Huxley selbst hätte darauf so viel Wert gelegt wie Woody Allen auf einen Oscar, aber vielleicht hätte es seinem Nachruhm ein wenig gut getan.

Besonders die jungen Generationen, die in den 1980er- oder 1990er-Jahren (also 100 Jahre nach Huxley) Geborenen, die sich zunehmenden Umweltkatastrophen stellen müssen und vor den wirtschaftlichen, sozialen, geografischen sowie politischen Herausforderungen des Klimawandels stehen, können einen überraschenden Zeitgenossen entdecken. Noch mehr gilt das für die Generation von Schülern, die in der jüngsten Vergangenheit für ökologische Verantwortung und gegen die korrupten Strukturen des Kapitalismus auf die Straßen gehen, also gegen das, was Aldous Huxley einmal »die Feinde der Freiheit« genannt und aus seiner Zeit heraus bereits scharfsinnig analysiert hat: die großunternehmerische Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche, die Zunahme populistischer, antidemokratischer, gewaltbereiter und totalitärer politischer Bewegungen zusammen mit wachsender digitaler Kontrolle, Überwachung und Steuerung. All diese Tendenzen haben zur Folge, dass demokratische Strukturen und damit die individuelle Freiheit untergraben werden.

Wie kaum ein anderer hat Huxley den notwendigen Zusammenhang zwischen Freiheit, Intelligenz und Frieden herausgearbeitet. Und wie kein anderer hat er für Toleranz und Geduld plädiert und versucht, als Brückenbauer zwischen scheinbar unvereinbaren Welten zu vermitteln, zwischen Wissenschaft und Literatur, zwischen Leben und Kunst, zwischen den Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Zusammenlebens und den Bedürfnissen des Einzelnen und zwischen den tierischen, psychologischen und geistigen Bedürfnissen des Menschen.

Aldous Huxley

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