Читать книгу Leonies geheimnisvolle Begegnung in der Vulkanhöhle - Gerhard Brenner - Страница 9
Оглавление2. Schreck auf der Party
Es war Freitag am späten Nachmittag in derselben Woche.
„Leonie, der Kaffee!“ Die Stimme von Mama Charlotte klang vorwurfsvoll. Mindestens zwei Mal hatte sie ihre Tochter bereits dazu aufgefordert, nach der zischenden und dampfenden Maschine in der Küche zu sehen.
Seufzend legte Leonie ihr Buch auf den Couchtisch. Bedächtig stand sie vom Sofa auf und dehnte und reckte sich zunächst, so, als ob sie geschlafen hätte. Dann schlurfte sie in die Küche. Dort wurde sie von der Kaffeemaschine angefaucht.
„Ruhe da!“ Leonie schaltete das Gerät aus. Die Maschine gab eine letzte Dampfschwade ab. Leonie scheuchte die Wolken weg und griff nach der Kaffeekanne. Sie beeilte sich jetzt, denn sie wollte nicht Krach mit ihrer Mutter kriegen - ausgerechnet an ihrem Geburtstag!
Mama Charlotte hatte bereits den Geburtstagstisch gedeckt. Sogar eine prächtige Torte mit einer sahnigen 15 obenauf stand bereit. Leonie stellte die Kaffeekanne auf den Untersetzer und warf einen Blick zur Uhr.
„Papa müsste doch jetzt heimkommen“, meinte sie dann.
Und wie zur Bestätigung ihrer Worte hörte man Walter Bernsteins betagten Passat Kombi in die Einfahrt tuckern. Die Autotür wurde zugeschlagen, kurz darauf stand der Vater im Raum. Geradewegs steuerte er auf Leonie zu und gratulierte wie immer mit festem Händedruck. Bussi, Bussi, dann schaute Leonie mit großen Augen auf die Aktentasche, in der sie ein Geschenk vermutete.
„Du kannst es wie immer nicht abwarten“, schmunzelte Vater, zog ein kleines, flaches Päckchen hervor und drückte es Leonie in die Hand. Mit strahlenden Augen nahm sie es in Empfang, löste vorsichtig die Klebestreifen ab, entfernte das Papier - und hielt eine CD in den Händen.
„Die neueste Scheibe von B. G. Goodie!“ Leonie freute sich riesig. Sie hatte sich die CD gewünscht, war sich aber nicht ganz sicher gewesen, ob sie sie auch bekommen würde. Sie strahlte ihren Vater an. „Klasse! – Ich möchte gleich mal einen Titel spielen!“
„Okay“, stimmte Papa Walter zu. „Ich mache mich noch kurz frisch. Es war heute sehr heiß im Amt. Was meinst du, Charlotte?“
Die Mutter trug die Kaffeekanne in die Küche zurück und meinte, sie könne inzwischen auch ein paar Takte mithören. Leonie eilte ins Wohnzimmer und legte die CD in den Player. Sie wählte die gewünschten Titel aus. Dann ließ sie sich auf das Sofa plumpsen und schloss die Augen, um ja nichts zu verpassen. Und schon ging’s los: Eine Rhythmusgitarre begann mit schönen, vollen Akkorden. Mit einem leisen Wirbel setzte das Schlagzeug ein. Die Sologitarre intonierte die Melodie. Und dann hörte man den Sänger selbst. Mit seinem wohltönenden Bass besang B. G. Goodie Gefühle von Liebe und Romantik. Oft sprach und flüsterte er nur.
Kein anderer kann das so gut wie er, fand Leonie und lauschte fasziniert. Jeden Ton, jede Silbe nahm sie bewusst in sich auf. Keine Einzelheit des Songs wollte sie verpassen. Sie war so vertieft, dass sie nicht einmal merkte, wie sich die Mutter im nahen Sessel niederließ.
Plötzlich mischte sich eine zweite Stimme zu der ersten. Sie klang ganz anders und sang nur die Silben „La – la la – la la la…“ Der Vater war wieder da und sang mit seinem Bierbrauerbass aus Leibeskräften. „Nicht übel“, meinte er. „Während der Heimfahrt habe ich das Lied schon im Radio gehört. La – la la - la la la…“
„Hey, Dad, du bist doch kein Popstar“, beschwerte sich Leonie. „B. G. Goodie würde vor Schreck aus seinen Latschen kippen!“
„Na, na, jetzt übertreib mal nicht“, meinte Mama. „Dein Vater singt doch sehr schön!“
„Danke für die Blumen, Liebste“, schmunzelte Papa Walter und küsste seine Frau auf die Nasenspitze. „Ich weiß wohl, dass ich mit dem berühmten B. G. Goodie nicht mithalten kann, sonst wäre ich doch Popstar geworden.“
Und zu Leonie gewandt fuhr er fort: „Das Lied ist schon klasse, es gefällt mir wirklich!“
Leonie freute sich über Papas Musikgeschmack und holte die Kanne aus der Küche. Die drei machten es sich bequem und sprachen Kaffee und Kuchen zu.
Später schellte die Hausglocke. „Ich geh schon“, rief Leonie und machte sich auf den Weg. Draußen stand ein Mann in grünem Anzug und ebensolcher Schildmütze, auf welcher der Schriftzug Fleurop stand. Es war der Gärtner von Steinburg – mit einem großen, bunten Blumenstrauß in der Hand.
Er strahlte übers ganze Gesicht und meinte: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Leonie! Diese Blumen schickt dir ein unbekannter Verehrer.“
„Was? Wie bitte? Wer?“ Leonie war durcheinander. Sie wusste absolut nichts von einem Verehrer. Hatte Tobias sich etwa einen Scherz erlaubt? Aber ihn würde der Gärtner doch kennen! Leonie wurde zwar ein wenig rot, aber nicht schlau aus der ganzen Sache.
Also nahm sie kurzerhand den Strauß in Empfang und näher in Augenschein. „Wie schön sie sind, wunderschön!“, murmelte sie ganz versonnen.
„Danke für das Kompliment“, schmunzelte der Gärtner und verbeugte sich galant.
„Ich habe doch nicht Sie gemeint, Herr Müller“, stammelte Leonie und wurde wirklich rot. „Ich meinte die Blumen!“
„Ah, das hätte ich mir in meinem Alter ja auch denken können.“ Der Gärtner nahm die Mütze ab, kratzte sich am Kopf und lächelte verschmitzt. „Freut mich, dass dir der Strauß gefällt!“
„Und wie er mir gefällt, und wie! - Wissen Sie wirklich nicht, wer ihn in Auftrag gegeben hat?“
„Nun, ich habe den jungen Mann zwar gesehen, aber der ist sicher nicht von hier. Mir ist nur aufgefallen, dass er den Strauß kurz mit ins Freie nahm, als er fertig gebunden war.“
Leonie bedankte sich, dann ging der Gärtner seines Wegs. Die Eltern staunten sehr, als sie den großen, bunten Strauß sahen. Rasch füllte Leonie eine passende Vase mit Wasser und steckte die Blumen hinein. Die Gäste, die sie für den Abend eingeladen hatte, würden staunen! Da war sie sich ganz sicher.
Kurz darauf kam auch Tobias nach Hause. Er hatte heute länger arbeiten müssen. Er gratulierte Leonie und merkte erst dann, dass er noch gar kein Geschenk für sie besorgt hatte. Leonie schüttelte lächelnd den Kopf. Tobias war ein Spaßvogel, aber manchmal eben auch sehr vergesslich.
Am Abend gingen die Eltern aus, um Platz für das junge Volk zu schaffen, wie Vater gemeint hatte. Leonie freute sich über die sturmfreie Bude und konnte es kaum erwarten, dass die Gäste endlich eintrafen.
Zuerst kam Sarah. Sie wurde von ihrem Bruder Martin gebracht, der aber nur kurz gratulierte und dann Tobias mit ins Kino nahm. Dann erschien Isabel aus der Nachbarschaft. Sie war schon 16 und besuchte die Realschule in Hofberg. Nicht lange danach war eine bunte Mischung aus Freunden und Klassenkameraden anwesend. Viele von ihnen waren Fans von B. G. Goodie. Deshalb lief die neue CD den ganzen Abend über.
Immer wieder wurde getanzt, es gab allerlei Alkoholfreies zu Trinken und jede Menge zu Knabbern. Die jungen Leute lachten und scherzten und feierten vergnügt. Das ging so bis gegen 23 Uhr. Die Partygäste dachten noch lange nicht ans Aufhören, als es plötzlich klingelte.
„Das sind Martin und Tobias“, vermutete Sarah und machte sich auf den Weg zur Eingangstüre, denn sie war näher dran als Leonie. Kurz darauf kam sie zurück – schreckensbleich!
„Was ist…“, fragte Leonie, da sah sie auch schon den Grund für Sarahs Verhalten: Maik Mangold, der sie seither in Ruhe gelassen hatte, schob sich in voller Länge durch die Tür – und mit ihm kamen noch zwei Kumpel, die wie er schwarz gekleidet waren und einen ebensolchen gewalttätigen Eindruck machten wie er selbst.
„Na, da freust du dich aber, Bernsteinchen“, grinste Mangold schadenfroh, „dass wir dich sogar an deinem Geburtstag beehren?“
Leonie wusste nicht, was sie sagen sollte. Das Gespräch und das Gelächter waren verstummt. Jemand stellte die Musik ab. Die Jungs und Mädels der Geburtstagsparty schauten erschrocken und verlegen drein.
„Na, jetzt verderbt mir doch nicht den Spaß“, grölte Maik und stellte die Musik wieder an. Dann drehte er die Lautstärke hoch. „Sag mal, was hast du denn da für eine Schnulze aufgelegt?“, wandte er sich wieder an Leonie. Mit hochgezogenen Augenbrauen hörte er sich ein paar Takte an. „Pfui, auch noch Goodie! Den Kinderonkel hört doch keiner mehr!“ Er drückte den Auswurfknopf am CD-Player, nahm die CD heraus und warf sie wie ein Frisbee quer durch das Wohnzimmer.
Einer seiner Kumpane steckte ihm eine CD mit Hardrockmusik zu – und schon dröhnte der hammerharte Lärm durch das Haus.
„Das ist Musik, Freunde“, lachte Mangold und nickte im Takt. Dann suchten seine Augen Sarah. Sie stand mitten im Raum und wusste nicht, was sie tun sollte. Mit ein paar Schritten hatte er sie erreicht, packte sie am Arm und zog sie mit sich auf das Sofa. Dort drückte er sie nieder und legte den Arm um ihre Schulter.
„Wehr dich nicht so, Kleine“, schrie er sie an. „Macht doch Spaß, nicht?“
Was Sarah antwortete, konnte man in dem Krach nicht verstehen. Aber man sah, wie sie sich hin und her wendete. Doch gegen die Kraft des Grobians war sie machtlos.
Leonie überlegte, ob sie auf Maik losgehen sollte. Aber da waren noch die beiden anderen, die sich in der Nähe des Sofas aufgestellt hatten und keinen aus den Augen ließen. Unter den Partygästen war niemand, der es kräftemäßig mit Mangold oder einem der anderen hätte aufnehmen können. Und um zu zweit oder zu dritt auf jeden der Eindringlinge losgehen zu können, dazu reichte ihre Anzahl nicht aus.
Isabel hatte die B. G. Goodie CD aus der Ecke geholt und machte sie mit einem Tuch sauber. Offensichtlich hatte die Scheibe nichts abgekriegt. Vorsichtig legte sie die CD auf den nächsten Sims. Dann ging sie langsam zur Tür.
„Ich hol euch ein Bier aus der Küche“, rief sie dem einen Aufpasser zu, der sie aufhalten wollte.
Ein Glück, der Schlägertyp ließ sie durch und blieb im Wohnzimmer, um mit seinem Kumpan die Partygesellschaft unter Kontrolle zu halten.
Isabel dachte nicht im Traum daran, den Kerlen Bier zu holen. Als langjährige Nachbarin kannte sie sich im Hause Bernstein bestens aus. Schnell schlüpfte sie in die Küche, schloss die Tür ab und löschte das Licht. Dann zog sie den Rollladen ein Stück hoch, öffnete das Fenster und sprang ins Freie.
Hatten die Kerle etwas bemerkt? Anscheinend nicht, denn von ihnen war nichts zu sehen und zu hören. Nur die Hardrockmusik drang bis nach draußen.
Mit ein paar Sprüngen war Isabel am elterlichen Haus und klingelte Sturm. Der Vater kam zur Türe und wunderte sich sehr, als Isabel ihm in aller Hast von den Vorkommnissen im Nachbarhaus berichtete.
„Ruf die Polizei“, rief Papa Wachter seiner Frau zu, die eben aus der Küche kam. „Ich muss sofort rüber zu Bernsteins!“ Schon verließ er in Pantoffeln das Haus.
Isabel wollte mitkommen, aber die Mutter hielt sie zurück. „Ich muss doch wissen, was da vor sich geht“, erklärte sie, „wenn ich die Polizei alarmiere!“
Kurz darauf stand Vater Wachter vor dem Nachbarhaus und klingelte. Aber anscheinend schien das niemand bei der lauten Musik zu hören. Schon überlegte er, ob er sich durchs Küchenfenster Zugang verschaffen sollte, da hielt plötzlich ein rotes Auto in der Einfahrt. Martin und Tobias stiegen aus.
„Nanu, noch netten Besuch am späten Abend?“, meinte Tobias ahnungslos.
„Leider nicht“, entgegnete Herr Wachter schnell. „Da drin sind drei Schlägertypen…“
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Tobias sprintete zur Eingangstüre und schloss auf, Martin huschte als Erster ins Haus. Auch wenn er sich hier noch nicht ausgekannt hätte, die Hardrockmusik hätte ihm den Weg gewiesen.
Dann standen die drei plötzlich im Wohnzimmer. Tobias schaltete die Musikanlage aus. Mit einem Schlag war es beklemmend still. Die Freunde sahen sich im Raum um. Sie kannten die Partygäste.
Und sie kannten Maik Mangold. Er gehörte nicht zur Gesellschaft, und die beiden finsteren Typen, die gelangweilt herumstanden, auch nicht.
„Welcher Idiot war das?“, rief Maik Mangold soeben, denn er hatte vom Eintreten der Freunde nichts mitbekommen. Immer noch den Arm um Sarah geschlungen, sah er vom Sofa hoch. Da erkannte er Martin. Sofort ließ er Sarah los und stand auf.
„So sieht man sich also wieder“, meinte Martin grimmig und ging ein paar Schritte auf ihn zu. „Ich hatte dich doch davor gewarnt, den Mädchen noch einmal lästig zu fallen, erinnerst du dich?“
Maiks Blicke rasten hin und her. Er sah seine Kumpane an und schrie: „Das ist er, den machen wir fertig!“
Die beiden wollten sich gerade auf Martin stürzen, da wurde es wieder laut im Eingangsbereich. Mama Wachter hatte ein paar Leute aus der Nachbarschaft zusammengetrommelt, die plötzlich mit entschlossenen Gesichtern im Wohnzimmer standen. Die Schläger sahen sich an und nickten sich zu.
„He, warum fangt ihr nicht an?“, schrie Maik Mangold mit überschnappender Stimme. „Haut alles kurz und klein!“
Doch die beiden schienen die Situation und ihre Lage besser einschätzen zu können als Mangold und zogen ab. Jetzt hatte Maik das Problem, dass er an Martin vorbeimusste. Aber in diesem Moment hörte man aus der Ferne das Martinshorn eines Polizeifahrzeugs. Und so kam Maik für dieses Mal ohne Ohrfeigen davon.
Als die Polizei eintraf, waren die beiden Schläger schon auf ihren Motorrädern verschwunden. Aber Maik war noch da, und so wurde die ganze Sache aktenkundig. Als dann auch noch die Eltern Bernstein dazu kamen, wurde aus Leonies unterbrochener Geburtstagsfeier ein spontanes Nachbarschaftsfest für die Anwesenden und ihre Angehörigen.
Inzwischen war es weit nach Mitternacht. Leonie stand in ihrem Zimmer am Fenster und schaute zu den Sternen hinauf. So eine Party habe ich wirklich noch nie erlebt, dachte sie. Sie ließ den Rollladen herab und schloss die Gardinen. Dann drehte sie sich um und lehnte sich an den Fenstersims. Komisch, da freue ich mich immer schon Tage und Wochen lang auf den Geburtstag, und dann ist alles so schnell vorbei!
Leonie setzte sich auf ihr Bett. Es ist doch immer wieder dasselbe, dachte sie. Da ist zuerst die Spannung, was denn der Festtag so alles mit sich bringen wird, welche Geschenke ich diesmal kriege. Dann kommt die Freude beim Auspacken - und eigentlich ist jedes Mal so ein komisches Gefühl der Leere dabei. Gerade so, als ob alle Geschenke nicht genug wären und wenigstens das eine Mal etwas ganz Besonderes dabei sein sollte. Ein außergewöhnliches Geschenk. Etwas, das niemand sonst besitzt!
Sie schaute auf den kleinen Tisch an der Wand. Dort lag nun die CD von den Eltern, die glücklicherweise nicht beschädigt worden war, eine Handtasche von der Oma aus Rosenstadt, ein Abendkleid von den Großeltern mütterlicherseits, dazu allerlei Krimskrams von den Partygästen.
Hm, und dann waren da die Blumen auf dem Nachttisch. Wer wohl hinter diesem Geheimnis steckt? dachte Leonie und nahm den Strauß näher in Augenschein. Hier und dort zupfte sie ein paar angewelkte Blätter ab und ordnete die Stiele neu an.
Nanu - schimmerte da nicht etwas Weißes durch das Grün? Was war denn das? Eine geheime Botschaft etwa? Mal sehen, dachte Leonie. Mit ihren schlanken Fingern griff sie in das Gewirr der Stängel und Blüten und zog ein Blatt Papier hervor. Es war mehrfach gefaltet. Und es enthielt eine kurze Nachricht in Druckbuchstaben:
SONNTAG NACHMITTAG - 14 UHR - AM SEE.
Leonies Gedanken jagten. Sonntagnachmittag? Das war schon in zwei Tagen! - 14 Uhr? Da wäre das Mittagessen vorbei und sie könnte unauffällig aus dem Haus kommen. – Am See? Da kam eigentlich nur einer in Frage: der Erlensee!
Rund zwei Kilometer von Steinburg entfernt erhob sich im Süden ein Berg, ein erloschener Vulkan. Dessen Westseite fiel steil ab. Dort lag der Erlensee. Er war etwa drei Kilometer lang und an manchen Stellen einen Kilometer breit. Ein Wasserzulauf war nirgends zu sehen. Wohl aber der Wasserablauf, ein schmaler Bach, der mitten durch Steinburg floss.
Wie alle Steinburger kannte Leonie den See sehr gut. Im Sommer konnte man Baden oder Boot fahren. In strengen Wintern durfte man darauf sogar Schlittschuh laufen. Der Erlensee war also gemeint, das war ihr klar!
Aber wo genau am See sollte der Treffpunkt sein? Leonie drehte den Zettel in alle Richtungen, aber eine nähere Ortsangabe war nirgends zu finden. Das müsste doch eine einsame Stelle sein, überlegte sie, und schon kam sie auf eine Idee: An der Westseite des Vulkans führte ein schmaler Pfad zwischen Berg und Erlensee hindurch. Man konnte da meist nur hintereinander gehen, so eng war das. Und dort kamen auch nur selten Leute vorbei.
Dort muss ich am Sonntag hin, dachte Leonie aufgeregt. Dann kamen ihr Bedenken. Ich weiß ja gar nicht, was da auf mich zukommt! Sie faltete den Zettel zusammen und überlegte. Wer wohl dahintersteckt? Ist es vielleicht der Neue aus der 9c, der mich in der Pause so angestarrt hat? Oder wer sonst? Leonie ging in Gedanken ihren Bekanntenkreis durch.
Plötzlich waren Schritte auf der Treppe. Ihr Bruder klopfte leise an die Tür. „Leonie, bist du noch wach?“
„Klar, komm ruhig rein!“ Im letzten Augenblick konnte sie das Papier unter dem Kopfkissen verstecken, da wurde schon die Tür geöffnet.
„Tut mir wirklich schrecklich leid, Schwesterherz“, begann Tobias, „dass ich dein Geburtstagsgeschenk vergessen habe!“ Er kam vollends herein und schloss die Tür hinter sich. Nachdenklich legte er eine Hand an den Kopf. Dann meinte er: „Ich hab's! Wir könnten am Sonntag eine Spritztour machen! Wann und wohin, bestimmst du, Leonie!“
„Sonntagnachmittag, 14 Uhr, am See“, sagte Leonie wie aus der Pistole geschossen.
„Hä? Hab ich richtig gehört? Ich biete dir eine tolle Fahrt mit meinem nagelneuen Rennwagen an – und du willst nur die zwei Kilometer bis zum See? Wie wär’s mit München, Hamburg, Berlin?“
„Berlin wäre toll“, meinte Leonie schnell. „Aber am Sonntag will ich zum Schwimmen an den See. Gilt das Angebot auch später noch?“
„Klar, du hast ja Zeit in den nächsten Ferien. Wenn du aber am Sonntag unbedingt an den See willst, fahr ich einfach mit raus. Ich war dieses Jahr noch nicht im Wasser.“
Leonie überlegte. Will ich Tobias in der Nähe haben? Warum eigentlich nicht? Bei den vielen Leuten werde ich mich schon unauffällig verdrücken können.
„Okay, ich freu mich darauf“, sagte sie dann.
„Alles klar. Gute Nacht!“ Tobias gähnte herzhaft und winkte ihr zum Abschied zu.
Als er draußen war, atmete Leonie erst einmal tief durch. Dann zog sie den Zettel wieder unter dem Kissen hervor. Das trifft sich doch gut, dachte sie und schmunzelte. Kaum möchte ich mal wieder zum Erlensee, wird mir gleich eine Fahrt dorthin angeboten. Zehn Minuten später kuschelte sie sich unter die Decke.
Wenn's doch schon Sonntag wär, dachte sie beim Einschlafen.