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Die Offerte

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Seit Morgen um neun Uhr sitzen nun Yvonne, Daniel und Herr Lehner im kleinen Sitzungszimmer. Yvonne bewundert einmal mehr die Geduld von Daniel, denn es ist bereits Nachmittag um drei Uhr. Seit neun Uhr versucht er, Herr Lehner mit den Einzelheiten der Offerte vertraut zu machen. Doch Herr Lehner begreift die Zusammenhänge und deren Tragweite immer noch nicht. Mit Tabellen, Skizzen und kurzen Berichten präsentiert Daniel den in drei Wochen ausgearbeiteten Offertenvergleich. Doch in seiner bekannten, komplizierten Art, weicht Herr Lehner den wirklichen Problemen immer wieder aus. Dabei rechnet er mit seinem Rechner jede Zahl nach und stellt beispielsweise fest: «Das gibt aber mit Mehrwertsteuer gerechnet 5'234'432 Franken und nicht 5'240'000.»

So wird die ganze Zeit mit sinnlosen Detaildiskussionen vertan, ohne dass Daniel sein Hauptanliegen, ein komplett neues Layout für sämtliche Anlagen, vortragen kann. Sobald Daniel auf diesen Punkt zu sprechen kommt, weicht Herr Lehner aus und hat noch eine Frage zu einem bereits abgeschlossenen Thema. So kann Daniel seine Berechnungen von den entstehenden Kosten, welche durch lange Transportwege verursacht werden, nicht mit dem erforderlichen Nachdruck vortragen.

«Mit diesen Zahlen kann ich unmöglich zur Direktion gehen, die Maschine strapaziert unsere Finanzen so schon viel zu stark, da ist sicher kein Geld für ein neues Layout übrig. Ich will nicht, dass das ganze Projekt noch scheitert. Mit etwas gutem Willen werden wir schon eine Lösung finden», vertritt Herr Lehner energisch seinen Standpunkt.

«Die Kosten für ein neues Layout können wir nicht abschätzen. Vom Produktionsausfall während der Umstellphase ganz zu schweigen», damit ist das Thema neues Layout für diese Sitzung erledigt.

Um acht Uhr abends hat schliesslich auch Herr Lehner genug und meint: «So mit diesen Unterlagen kann ich die morgige Sitzung überstehen. Besten Dank Fräulein Schmid und Herr Gautschi, es freut mich, dass sie so lange ausgehalten haben, ich wünsche euch eine gute Nacht!»

Jeder räumt noch seine Unterlagen zusammen und geht damit zu seinem Schreibtisch. Mit einem Gefühl von Resignation legt Daniel seine Unterlagen in seinen Schreibtisch. Morgen früh wird er die Akte neues Layout mit einem Vertreter, «Herr Lehner vorgestellt am 14. 4. 96, als zu teuer abgelehnt», abgelegen, dann wird sie in einem Ordner verstaut. Wie so oft, konnte er sich gegen Herr Lehner nicht durchsetzen. Der versteht es meisterhaft, seine Mitarbeiter von der Geschäftsleitung fern zu halten. Eifersüchtig ist er darauf bedacht, dass in seiner Abteilung nichts geschieht, ohne dass es über seinen Schreibtisch läuft. Auf der Heimfahrt überlegt sich Daniel, ob er jemand von der Geschäftsleitung direkt informieren soll. Er verwirft den Gedanken wieder, denn ein Herr Lehner ist nicht zimperlich, schliesslich geht es um die Warnung seiner Interessen. Als Familienvater kann er sich nicht auf Spiele, alles oder nichts! einlassen, er muss die sichere Variante wählen.

Regula betritt das Restaurant Pigal und schaut sich in der Gaststube um. An einem Tisch sitzen bereits Monica und Paul. Sie setzt sich zu ihnen. Bald treffen auch Silvia und Pascal ein. Gemeinsam wollen sie einen lustigen Abend verbringen. Die Führungstruppe des Technischen Büros ist heute zu einem Nachtessen eingeladen. Nach der ersten Frustration, dass man nicht ebenfalls eingeladen wurde, hat Silvia die Idee, selber einen gemütlichen Abend zu organisieren. So kommt es, dass sich die Fünf, ganz unüblich, am Freitagabend im Pigal treffen. Nach einer ersten Runde Kaffee, kommt man überein, den weiteren Verlauf des Abends, im Dancing Scharfer Egge in Rothrist zu verbringen.

Mit Pauls Opel Ascona fährt nach Rothrist zum Scharfer Egge. Pascal sitzt hinten, zwischen Silvia und Monica und geniesst die engen Platzverhältnisse. Regula hat vorne neben Paul Platz genommen. Auch sie geniesst die Fahrt. Endlich ist sie einen kleinen Schritt weiter gekommen und sie ist entschlossen, den heutigen Abend zu nutzen, um Paul endlich besser kennen zulernen. Denn, seit Paul im Werk arbeitet, beobachtet sie ihn mit Interesse, doch Paul scheint es nicht zu bemerken, er hat mit seinem Auftrag im Lager viel zu tun und getraut sich nicht bei einem Schwatz, Zeit zu vertrödeln. Im Cafe City taucht er nie auf, obwohl er direkt darüber wohnt. Seit er dem Eishockeyclub beigetreten ist, trainiert er verbissen, denn er möchte unbedingt den Sprung in die erste Mannschaft schaffen. Sicher erlaubt ihm die finanzielle Situation auch keine grossen Sprünge. Den Opel Ascona hat er noch von seinem Vater, für seinen Studiumsabschluss, geschenkt bekommen. Seit er von zu Hause ausgezogen ist, unterstützen ihn die Eltern nicht mehr. Das ist schon alles, was Regula in den kurzen Gesprächen herausgefunden hat.

Nun sitzt sie also neben Paul. So steigen bei Regula die Erwartungen für den heutigen Abend. Sie platziert ihre Beine so, dass Paul, wenn er in den fünften Gang schaltet, ihr Knie berührt. Regula hat sich verführerisch angezogen. Sie geniesst es, dass endlich wieder kurze Röcke getragen werden dürfen, für ihre Beine ist es die einzige richtige Kleidung.

In Dancing Scharfer Egge bemühen sich die beiden Herren, dass ihre drei Damen nicht zu kurz kommen. Die Partner werden fleissig gewechselt und keiner der fünf getraut sich, einen der Partner zu bevorzugen.

Das Hauptgesprächsthema ist natürlich die grosse Bestellung, welche die andere Hälfte des TBs heute feiern darf. Nach einer halbjährigen Auswahlphase hat die Geschäftsleitung entschieden, welcher Lieferant den Auftrag erhält. Der glückliche Maschinenlieferant hat ein Teil des TBs zu einem Nachtessen eingeladen. Die hier im Scharfer Egge versammelten Mitglieder des Technischen Büros haben nicht direkt mit Dino, wie die neue Anlage nun allgemein genannt wird, zu tun, sie bekommen jedoch viel von diesem Grossprojekt mit. Nun sind also die Würfel gefallen, ob die Geschäftsleitung richtig entschieden hat, können sie mit ihrem Informationsstand nicht beurteilen. Die beiden Offerten sind sehr ähnlich und am Ende hatte der Lieferant den Zuschlag erhalten, der schon die letzte Anlage geliefert hatte. Jedem der fünf Kleinen aus dem TB ist klar, dass viel Arbeit auf sie wartet. Welche Anlage nun beschafft wird, ist nun bestimmt. Was das jedoch für das restliche Werk bedeutet, wird sich erst allmählich herausstellen. Alles muss nun auf Dino angepasst werden. Bis zum definitiven Entscheid waren auch diese Nebenprojekte blockiert.

Je länger der Abend dauert, umso grösser wird die Enttäuschung für Regula. Als Telefonistin weiss sie mehr über das Projekt Dino, als die anderen, ist aber an technischen Dingen nicht so interessiert, wie die welche im TB arbeiten. Sie bekommt als Telefonistin mehr von den Hintergründen und versteckten Intrigen mit, welche das Projekt begleiten. So vermutet sie, genau zu wissen, warum schlussendlich Dino gesiegt hat. Sie muss jedoch aufpassen, dass niemand merkt, dass sie ab und zu, bei einem Gespräch mithört, denn das könnte sie die Stelle kosten.

So kommt es, dass das Gespräch am Tisch immer mehr an ihr vorbei läuft. Auch die geheimen Pläne, wie sie Paul verführen will, werden dadurch immer schwerer realisierbar. Sie ist deshalb froh, als sie von einem elegant gekleideten Herrn vom Nebentisch zu einem Tanz auffordert. Sie ist noch mehr erfreut, als sich herausstellt, dass der Herr ein ausgezeichneter Tänzer ist und über gute Manieren verfügt.

Er heisst Roland und ist Vertreter eines Werkzeugbaus. Seine dunklen Haare sind mit einigen Silberfäden verziert. Obwohl er vom Alter her eigentlich verheiratet sein sollte, deutet nichts darauf hin. Die linke Hand ziert ein grosser Siegelring. Die ganze Erscheinung deutet darauf hin, dass es ihm finanziell sehr gut geht. Leider deutet auch sehr viel darauf hin, dass er im Umgang mit Mädchen ebenso erfolgreich ist. Höchste Vorsicht wäre also für Regula angebracht gewesen. Doch da Paul immer noch mehr an technischen Gesprächen interessiert ist, leistet auch sie ihren Beitrag, dass der nette Herr sie auch zum nächsten Tanz auffordert, sie schmiegt sich sehr eng an und reagiert auf seine Annäherungsversuche mit keinerlei Abwehrreaktion. In den Tanzpause setzt sie auch vom Tisch aus ihren verführerischen Blick ein, der seine Wirkung nicht verfehlt. So ist es kein Wunder, dass sie nur noch mit Roland tanzt und von der technisierenden Viererbande nichts mehr mitbekommt. Sie verdrängt die aufkommende Angst, denn sie spürt, dass dieser Mann für sie gefährlich werden kann. Alles deutet bei ihm auf ein schnelles Abenteuer hin und dafür ist sie sich normalerweise zu schade. Doch heute ist sie nicht mehr in der Lage das Spiel zu beenden. Gegen zwei Uhr fragt Paul, wie es mit dem nach Hause gehen sei? Regula ist einverstanden, sie will sich nur noch von Roland verabschieden.

«Geh doch jetzt noch nicht, ich bringe dich im Auto nach Hause», schlägt Roland vor und schaut sie dabei verliebt an. Ihr Herz pocht so laut, dass sie glaubt das ganze Lokal müsste es hören.

Nach Sekundenbruchteilen voller Zweifel antwortet sie: «Gut, ich bleibe noch, wenn du mir versprichst, mich schön artig nach Hause zu bringen!»

«Ich verspreche es dir, dich sicher nach Hause zu bringen», und zur Viererbande gewandt erklärt er: «Ich heisse Roland Schenk und wohne in Aarau, ich verspreche, dass ich Regula sicher nach Hause bringe, ich wünsche euch eine gute Heimfahrt!»

«Also, tschüss Regula, amüsier dich gut», verabschieden sich die Vier der Reihe nach.

«Pass gut auf dich auf!», gibt Silvia noch den Rat, dann verschwinden die Vier.

Nun setzt sich Regula zu Roland an den Tisch. Händchenhaltend und eng umschlungen, sitzen sie in ihrer Ecke. Regulas Herz pocht noch fester, denn ihre Zweifel sind noch nicht behoben.

Hat sie zu hoch gepokert? fragt sie sich. Roland hat die Situation im Griff. Geschickt stellt er Fragen über Regulas Privatleben, alles scheint ihn zu interessieren. Die einzelnen Fragen werden immer wieder unterbrochen durch lange Pausen, in denen sie stumm in der Ecke sitzen oder zusammen tanzten. In diesen ruhigen Phasen, werden Zärtlichkeiten ausgetauscht. So vergeht die Zeit im Flug. Bald hören sie die Band sagen: «So, das war's für heute Abend. Wir wünschen ihnen eine gute Heimfahrt und hoffen sie ein anderes Mal begrüssen zu dürfen!»

So kommt es, dass sie auf der Heimfahrt neben Roland, in dessen teuren Mercedes sitzt und mit klopfenden Herzen ihren Mut bewundert. Zum Ablenken erzählt sie Roland aus dem Werk. Dass heute Dino bestellt wurde und was für Auswirkungen das auf das ganze Werk haben wird. Roland hört interessiert zu, ohne dass die Konzentration aufs Fahren nachlässt. Es beruhigt sie, dass er nicht einer von den Rennfahrertypen ist, die, sobald sie ein Mädchen im Auto haben, zeigen müssen, was für schnelle Autofahrer sie sind. In Rolands Auto fühlt sie sich sicher. Als sie in die Nähe ihrer Wohnung kommen, muss sie Roland dirigieren.

«Nächst Strasse nach links! Und dann kannst du auf dem kleinen Parkplatz anhalten!»

«Wie geht es wohl jetzt weiter?», stellt sie sich die Frage, «muss ich ihm noch einen Kaffee machen, oder fährt er sofort weiter?»

Vorsichtshalber hat sie einen Parkplatz gewählt, der nicht direkt vor ihrem Haus liegt, sondern zum Nachbarhaus gehört, «so, da wären wir, hat dir die Fahrt gefallen?»

«Ja, du bist sehr anständig gefahren. Das mag ich so.» Roland hat inzwischen den Motor abgestellt, offenbar will er nicht gleich weiter fahren, stellt sie ein bisschen ängstlich fest.

«Machst du mir noch einen Kaffee? Bis Aarau ist es noch weit und ich könnte eine Stärkung gebrauchen.»

Nach kurzem Zögern meinte sie: «Komm mit, ich wohne da drüben, aber sei bitte leise, meine Mitbewohner sind sehr neugierig.»

Eng umschlungen schleichen sie sich wie Diebe in ihre Einzimmerwohnung. Während sie Kaffeewasser kocht, steht Roland hinter ihr und streichelt sie an der Schulter. Etwas später, als er merkt, dass sie die Berührung geniesst, gehen seine Hände tiefer und streicheln ihre festen Brüste. Sie weiss nun, dass sie den Zeitpunkt, das Spiel abzubrechen verpasst hat, aber was soll’s, sie ist schliesslich zweiundzwanzig und niemandem Rechenschaft schuldig. Unter Aufbietung der letzten Konzentration, gelingt es ihr, Roland den Kaffee einzugiessen. Dann lässt sie sich neben ihn aufs Bett fallen, das auch als Sofa dient und küsst ihn leidenschaftlich. Sie weiss immer noch sehr wenig über ihn. Ist er verheiratet? Hat er eine Freundin? Warum ist ein solcher Mann allein in einem Dancing? Ein letztes Mal beschliesst sie, diese Fragen für heute zu verdrängen und den restlichen Abend zu geniessen. Sie will, dass Roland auf seine Rechnung kommt, denn das hat er sich, mit seiner höflichen Art verdient.

Es dauert nicht lange, bis die beiden in ihrem Bett liegen. Es wird für beide ein schöner Abend, sie verstehen sich sehr gut und beide geniessen das Geben und Nehmen.

«Besten Dank für den schönen Abend, Regula! Ich werde mich wieder melden. Zurzeit habe ich ein paar Probleme zu lösen, so dass es einige Zeit dauern kann. Bitte, versuche nicht mich zu erreichen, das könnte mich in Schwierigkeiten bringen.»

Ein inniger Kuss beendet den Abend.

«Ich liebe dich!»

«Ich dich auch!»

Lieben, kämpfen, leiden!

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