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GERNOT KAUFT EINEN RING
IM INTERNET

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Ich kann ja zumindest mal schauen, was da im Internet so angeboten wird‘, ging es meinem Leinenhalter durch den Kopf. Gernot hatte am folgenden Nachmittag während des Rasenschneidens einen Entschluss gefasst. Ihm war klar, dass der Gedanke, seiner Mutter einen ähnlichen Ring zu schenken wie den, der verloren gegangen war, seinen Reiz hatte. ‚Wenn der Preis stimmt, wäre das wirklich ein feines Geschenk zu ihrem Geburtstag in der kommenden Woche. Und wenn der Ring dem verloren gegangenen ähnelt, könnte er so tun, als ob das Originalschmuckstück wieder aufgefunden wäre. Eine leichte Demenz kann auch ihre Vorteile haben‘, dachte er sich. Zufrieden betrachtete er nach getaner Arbeit den kurz geschnittenen Rasen, auf dem sich deutlicher als zuvor meine tellergroßen Pinkelstellen abzeichneten. Er räumte die Gartengeräte in die Garage und ging ins Haus, um sich mit einem Kaffee und seinen Lieblingsschokoladenkeksen zu belohnen. Mit dem Kaffeebecher in der Hand setzte er sich vor den PC und tippte in die Google-Suchzeile ‚Schmuck aus zweiter Hand‘ ein. Die Übersicht zeigte Angebote von ihm namentlich bekannten ortsansässigen Juwelieren sowie von Privatpersonen auf den einschlägigen Marktplätzen wie Ebay und Co. Letztere wählte er aus und machte unter der Kategorie Diamantringe ein Häkchen. Er war erstaunt über das reichhaltige und preisgünstige Angebot. Ab zweihundertneunundzwanzig Euro ging es los. ‚Da könnte ich Jule zu ihrem Geburtstag glatt auch einen Ring schenken‘, ging es ihm durch den Kopf. Jetzt musste nur noch ein Exemplar gefunden werden, das dem von Christine möglichst ähnlich war. Nur wenige Klicks weiter hatte er gefunden, was er suchte. Ein Sofort-Kauf Angebot für einen zeitlosen Goldring mit einem Diamanten in der Fassung. Aussehen und Größe kamen dem Original in seiner Erinnerung sehr nahe. Der Preis von fünfhundertneunundneunzig Euro war tragbar, die Zusendung sogar kostenlos. Zur Sicherheit sah er sich noch andere Angebote auf anderen Plattformen an. Aber er fand nichts Besseres. Zwischenzeitlich war sein Kaffee kalt geworden. Bei seiner konzentrierten Suche hatte er ihn vergessen. Kurz entschlossen klickte er zu der ursprünglichen Ebay-Seite zurück, betätigte bei dem Angebot, welches ihm zusagte, den Button ‚In den Warenkorb‘ und zahlte fünfhundertneunundneunzig Euro per Pay Pal. Frohgemut lehnte er sich sodann in seinem Schreibtischstuhl zurück. Jetzt war er überzeugt, dass die Idee von Klaus an dem Kochabend ein guter Vorschlag war. »Mäuschen, da haben wir für die Oma ein feines Geburtstagsgeschenk gefunden«, kommentierte er seinen Fund sichtlich zufrieden. Der Ring, so stand es im Angebot des Verkäufers, müsste in vier Tagen bei ihm sein.


Schneller als erwartet sollte ich wieder mit Anna aus dem Altenheim einen Spaziergang machen dürfen. Diesmal wäre Einstein sogar mit dabei. Gernot hatte Anna nach dem erfolgreichen Internet-Schmuckeinkauf angerufen und gefragt, ob sie am Nachmittag des folgenden Tages Zeit hätte und ob sie sich zutrauen würde, nicht nur einen, sondern zwei Hunde auszuführen. »Einstein ist sogar noch besser erzogen als Chaka und sehr pflegeleicht«, fügte er vorsichtshalber hinzu. Einstein und ich waren in Hörweite des Telefons, schauten uns gegenseitig verständnislos an und überlegten, wer von uns mehr Grund hatte, beleidigt zu sein. Vorsichtshalber schüttelten wir uns beide. Diese typisch hündische Geste wird von Menschen auf der ganzen Welt fehlinterpretiert. Wenn ein Hund in unangenehmer Weise von jemandem berührt, erschreckt oder bedroht wird, oder er einen Diskurs mit einem Artgenossen hat, kann man beobachten, dass sich der Vierbeiner kräftig von Kopf bis Schwanz schüttelt. Der Hund wirft dadurch die aufgekommene Missstimmung, Verunsicherung oder Angst ab. Der Zweibeiner begrenzt diesen animalischen Trieb zumeist auf ein Kopfschütteln oder Schulterzucken. Ob Einstein eher Grund hatte, pikiert zu sein, oder ich, ist letztlich unklar. Wir schüttelten uns – wie schon gesagt – beide. Umso klarer zeigte sich einmal mehr, dass Einstein der Klügere von uns beiden war, denn er meinte mit nachsichtiger Stimme:

»Das sagt er nur aus taktischen Gründen, damit er uns beide los wird,« was auch funktionierte. Anna sah keine Probleme und willigte gerne ein.

Am nächsten Tag um die Mittagszeit standen wir zu dritt vor Annas Haustür. Einstein und ich in Erwartung eines erneuten Leckerliregens während unseres Spaziergangs und Gernot mit der Aussicht auf einen hundefreien Nachmittag, den er mit Freunden in einer Kunstausstellung in Duisburg verbringen wollte. Anna erschien nach dem Klingeln in vollem Wanderdress und roch nach Apfelsine und Tee.

»Prinzesschen und Prinz«, rief sie erfreut aus, als sie uns sah. »Da seid ihr ja. Wir machen uns einen gütlichen Nachmittag.«

»Gemütlich«, korrigierte Gernot. »Sie meinen bestimmt einen gemütlichen Nachmittag«, ergänzte er.

»Ja, natürlich einen gemütlichen Nachmittag«, wiederholte Anna verlegen und betonte mit ihrem polnischen Akzent die erste Silbe des ausgetauschten Wortes. Gernot übergab Anna die Hundeleinen, zwei Liegedecken sowie eine Korbtasche mit Quietschtieren für mich und einem zerkauten Tennisball für Einstein und verabschiedete sich. Anna steuerte diesmal nicht den naheliegenden Sportpark an, den sie mit mir bereits besucht hatte, sondern ging in das uns bestens bekannte, deutlich weiter entfernte Freizeitgebiet des Aaseeparks, der vor über hundert Jahren nach einer Idee des Allwetterzoogründers, Professor Hermann Landois, errichtet wurde.

»Bei der langen Strecke brauchen wir aber viel Proviant«, sagte ich zu Einstein und versuchte mit meinem Blick auf Annas ausgebeulte Jackentasche den Umfang der Wegzehrung abzuschätzen. Wir zogen los und die langgezogene Sentruper Höhe mit dem kombinierten Fahrrad- und Fußgängerweg schien tatsächlich kein Ende zu nehmen. Mit Herrchens Auto ging das viel schneller.

Das bevorzugte Leben eines durchschnittlichen Stadthundes besteht aus wenigen wichtigen und einer Vielzahl von angenehmen kleinen Dingen. Manchmal fällt mir die Zuordnung nicht leicht. Ein Futternapf und ein Zweibeiner, der ihn regelmäßig füllt, gehören gewiss zur ersten Kategorie. Regelmäßige Gassigänge mit Gelegenheiten, die kleinen und großen Geschäfte zu erledigen, auch. Eine kuschelige Liegedecke, die einen Regen und Sturm vergessen lässt, würde ich ungerne zu den kleinen Dingen zählen. Selbst bei den Leckerlis, die definitionsgemäß klein sind, bin ich mir über die Zuordnung nicht sicher. Vielleicht gibt es für uns Vierbeiner, die im Hier und Jetzt leben, überhaupt keine kleinen angenehmen Dinge. In dem Moment, in dem sie uns etwas bedeuten, sind sie auch groß und wichtig.

Auf dem langen Weg zum Aasee waren uns Annas Leckerlis wichtig, denen wir alles andere unterordneten. Wir gingen brav bei Fuß und zogen nicht an der Leine. Sobald der Aaseebereich aber erreicht war, wechselten die Prioritäten. Wir wollten leinenlos laufen. Anna zögerte zuerst uns abzuleinen, aber dann erinnerte sie sich an Gernots Hinweis, dass dies unproblematisch sei. Für Anna war dies mit einer gewissen risikobehafteten Spannung verbunden. Würden wir tatsächlich wieder zu ihr zurückkommen? Sie entspannte sich, als sie wahrnahm, dass wir zwischendurch immer wieder zu ihr liefen, um uns weitere Verpflegungshäppchen abzuholen. Es steigerte Annas Selbstbewusstsein, dass sie von anderen Aaseebesuchern als Herrin von zwei sportlichen ausgewachsenen Hunden angesehen wurde.

Der Rundgang war allerdings kürzer als mit den männlichen Zweibeinern, da wir ja noch einen längeren Rückweg hatten. Erst da fiel es mir auf: Anna humpelte immer stärker, je länger wir unterwegs waren. ‚Sie macht halt nicht jeden Tag einen so langen Spaziergang‘, dachte ich mir.

Wir waren kaum in Annas Wohnung angekommen, da hatte Einstein den seltsamen Glaskasten, über den wir gesprochen hatten und der mir einige Rätsel aufgegeben hatte, entdeckt. Von ihm ging unverändert ein seltsamer Geruch aus, den auch Einstein nicht kannte. Anna hängte ihre Jacke in die Garderobe, tauschte ihre graue Cargo-hose in einen Jeansrock, die Stiefeletten in halbhohe rote Pumps und holte aus dem Kühlschrank die wundervolle Köstlichkeit, die ich schon beim ersten Aufenthalt bei ihr nach dem Spaziergang als Zwischenmalzeit bekommen hatte. Ich achtete genau darauf, dass sie die Portionen für Einstein und mich gerecht aufteilte. Dann stellte sie zwei weiße Porzellanteller mit einer alten Fernsehzeitschrift als Unterlage auf den Boden. Während wir uns stärkten, sagte sie mehr zu sich selbst:

»Ach ja, meine Königin bekommt heute auch etwas.« Sie ging wieder zum Kühlschrank und entnahm aus dem Tiefkühlfach eine Tupperdose. Etwas von dem Inhalt, den wir jedoch nicht erkennen konnten, legte sie auf einen weiteren Teller ihres Kaffeeservice und stellte beides für wenige Sekunden in die Mikrowelle. Dann ging sie mit dem Teller zu dem ominösen Glaskasten, öffnete einen Teil der oberen Abdeckung und ließ den aufgetauten Gegenstand vom Teller in den Glaskasten fallen. Einstein und ich hatten beim Fressen innegehalten, was nicht gegen die herausragende Qualität der uns servierten Delikatesse, sondern für unsere Neugierde sprach. Irgendetwas musste sich in dem Glaskasten aufhalten. Wir konnten aber weiterhin nichts sehen und trotz unserer ausgezeichneten Hörorgane auch keinerlei Geräusche wahrnehmen. Aber es lag etwas Undefinierbares in der Luft. Ein schleichender Hauch von toxischem Odem erfüllte den Raum.

Mörderjagd in Mecklenbeck

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