Читать книгу Ein Parcerie-Vertrag - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 2
Erstes Capitel.
Beim Schulmeister
ОглавлениеDraußen im Land ackerten die Knechte und waren die Tagelöhner emsig beschäftigt Kartoffeln zu legen, denn der Frühling hatte dieses Jahr lang auf sich warten lassen und eine hohe Schneedecke die Feldarbeiten bis zu einer ungewöhnlich späten Zeit hinausgeschoben. Jetzt endlich schien der kalte, strenge Nordost-Wind, der Monate lang geweht, seine Herrschaft verloren zu haben. Er sprang nach Südwesten um, warme Regen setzten ein, und wie mit einem Zauberschlag warf die Natur ihre starre Winterdecke ab, und kleidete sich in ein junges, frisches Grün.
Und wie die Lerchen jubelten, und die Bachstelzen, die bis jetzt achselzuckend an dem gefrornen Bach umhergetrippelt waren, auf einmal so geschäftig herüber und hinüber sprangen; was sich die Rothschwänzchen Alles zu erzählen hatten, und wie eilig die Staare ihre alten Bauplätze aufsuchten und herrichteten. – Aber die Menschen nicht minder, denn es galt sehr viel nachzuholen, und die Arbeit häufte sich so in der Zeit, daß Arbeitskräfte kaum genügend zu beschaffen waren.
Um so mehr mußte es auffallen, daß gerade heute Einer der fleißigsten und ordentlichsten Arbeiter, Behrens mit Namen, in seinem Sonntagsrock, den großen ausgeschnittenen Hut auf, langsam durch das Dorf ging, und gar nicht die Absicht zu haben schien, in die allgemeine Thätigkeit irgend wie mit einzugreifen.
Die Chaussee herunter, vom Feld herein, kam im Trab auf seinem alten Apfelschimmel der Rittergutspachter geritten. Er hatte draußen nach den Arbeitern gesehen, und war eben nur zurückgekommen, um noch auf dem Hofe selber einige nöthige Anordnungen zu treffen. Als er aber einen seiner Tagelöhner – oder sogenannte Häusler, weil sie kleine, dem Gut gehörige Häuser bewohnen, – in einem so ungewohnten Aufzug und müßig sah, zügelte er überrascht sein Pferd ein und rief ihn an.
»Hallo Behrens! – wo wollt Ihr denn hin? Ich glaubte, Ihr wäret krank, weil ich Euch nicht draußen bei den Knechten fand. Was soll denn das heißen? Warum seid Ihr nicht bei der Arbeit?«
»Ich werde hier wohl nicht mehr arbeiten, Herr Frommann,« sagte der Tagelöhner, indem er achtungsvoll den Hut zog und neben dem Reiter stehen blieb.
»Nicht mehr arbeiten?« rief der Pachter erstaunt. »Habt Ihr eine Erbschaft gemacht, Behrens, und seid Ihr ein reicher Mann geworden, daß Ihr ohne Arbeit leben könnt?«
»Ohne Arbeit möcht' ich gar nicht leben, Herr Frommann,« sagte der Mann freundlich, »wenn ich auch wirklich so viel Geld hätte, daß ich alle Tage Braten essen könnte, aber – da wir nicht einmal alle Tage satt Kartoffeln haben, so muß ich doch sehen wie ich das ändern kann, denn der Jammer daheim frißt mir das Herz ab.«
»Eure Frau ist noch krank?«
»Krank nicht mehr, Herr Frommann, Gott sei Dank, aber doch noch so schwach, daß sie auf Wochen, ja vielleicht auf Monate lang, nicht daran denken darf schwere Arbeit zu thun. Das Kleinste macht ihr ohnedies genug zu schaffen.«
»Und da versäumt Ihr auch noch Euren Tagelohn?«
Der Mann schwieg einen Augenblick. Er hatte augenscheinlich etwas auf den Lippen, was ihm schwer wurde auszusprechen, – endlich sagte er mit leiser Stimme: »Ich will nach Amerika, Herr Frommann.«
»Nach Amerika?« rief dieser erstaunt, »seid Ihr toll?«
»Nach Brasilien.«
»Nach Brasilien? Und mit Eurer ganzen Familie? Wo wollt Ihr das viele Geld dazu hernehmen?«
»Da haben Sie Recht, Herr Frommann,« nickte traurig der Mann, »wenn ich die Reise bezahlen müßte, käm' ich nicht einmal mit den Meinen in die nächste Seestadt, viel weniger über das weite Meer hinüber, – aber vorige Woche war ein Herr aus der Stadt hier, der uns versprochen hat daß wir frei hinübergeschafft werden sollen, und es nachher dort drüben abverdienen können. Da will ich es denn in Gottes Namen einmal versuchen – und auf der Reise erholt sich auch vielleicht meine Frau wieder, denn sie hat hier zu viel schaffen müssen und ist dadurch nur immer mehr herunter gekommen.«
Der Pachter schüttelte mit dem Kopf und während sein Pferd langsam auf der Straße hinging, schritt der Mann neben ihm her.
»Behrens, Behrens,« sagte er endlich, »ich fürchte, Ihr steht da im Begriff, einen recht raschen und unüberlegten Schritt zu thun, denn hier zu Lande hört man nicht viel Gutes über solche Verträge, und wenn Ihr da drüben zwischen die Fremden kommt, deren Sprache Ihr nicht einmal kennt, so seid Ihr so gut wie verrathen und verkauft, und müßt Alles mit Euch geschehen lassen.«
»Wir haben aber einen Contract, Herr Frommann,« sagte der Arbeiter, indem er in die Tasche griff und ein Papier herausholte, »da steht Alles darauf und ich brauche ihn nur zu unterschreiben, und dann sollen wir uns um gar nichts mehr bekümmern, sondern werden frei hinüber in das Land geschafft, wo so herrlicher Boden ist, daß die kostbarsten Früchte draußen frei im Walde wachsen. Auch haben wir dort immer Sommer und so viel Holz, daß man sich holen kann was man mag, ohne einen rothen Heller dafür zu bezahlen. Mein Bruder ist ja auch seit langer Zeit dort hinübergegangen und hat mir schon vor zwei Jahren geschrieben ich sollte nur hinüber kommen, denn es ginge ihnen sehr gut, und er wollte mich dort schon einrichten. Ja, aber du lieber Gott, von unserem Tagelohn hier hätt' ich ja im ganzen Leben nicht das Reisegeld erschwingen können.«
»Und wo ist Euer Bruder?«
»In der Colonie Blumenau.«
»Und dorthin wollt Ihr auch?«
»Ja das weiß ich noch nicht,« erwiderte der Mann, »ich denke ja, denn so weit werden die Plätze doch nicht von einander sein.«
»Zeigt einmal das Papier, Behrens,« sagte der Pachter und streckte die Hand darnach aus.
Behrens reichte ihm den »Contract« aufs Pferd hinauf und der Pachter las ihn langsam durch. Dabei schüttelte er aber den Kopf und sagte endlich: »Ja, Behrens, das ist eigentlich gar kein Contract, denn ein solcher bindet beide Theile zu verschiedenen Verpflichtungen; hier aber sehe ich nichts darin, als wozu Ihr Euch, für Euch und Eure Familie verpflichten sollt. Es steht auch weiter nichts drüber, als: Verpflichtung, und wenn Ihr es dabei mit einem ehrlichen Mann zu thun bekommt, so mag die Sache vielleicht gehen; fallt Ihr aber gewissenlosen Menschen in die Hände, dann seid Ihr auch eben in ihre Hände gegeben, und sie können mit Euch machen, was sie wollen.«
»Aber das soll ein ehrlicher Mann sein, Herr Frommann.«
»Wer hat Euch das gesagt?«
»Der Herr aus der Stadt.«
»Ein Auswanderungs-Agent wahrscheinlich,« nickte der Pachter, »der so und so viel Kopfgeld für Jeden bekommt, den er hinüber schafft. Wollt Ihr nicht erst einmal Jemanden fragen, der mit den Verhältnissen genau bekannt ist, und kein eigenes Interesse dabei hat?«
»Ich wollte eben zum Schulmeister gehen, Herr Frommann; der muß es wissen, denn er hat erst noch in voriger Woche den Kindern von Brasilien erzählt und was es für ein herrliches Land wäre.«
»Ob der Euch gerade in einer so wichtigen Sache einen Rath geben kann, Behrens, weiß ich nicht, und bezweifle es fast, denn was er darüber sagen könnte, liest er doch nur aus seinen Büchern. In der Stadt findet Ihr vielleicht Andere, die mehr Erfahrung darüber haben, – aber ich muß fort, denn sie brauchen draußen noch Saatkartoffeln. Das Auswandern kann Euch natürlich kein Mensch verbieten, wenn Ihr einmal fest dazu entschlossen seid, aber leid sollte es mir um Euch thun, Behrens, wenn Ihr in schlechte Hände kämt. Brasilien mag ein schönes Land sein, aber Ihr wißt nicht was Ihr dort findet. Bleibe im Lande und nähre Dich redlich! ist ein altes, braves Sprüchwort.«
»Ja, Herr Frommann, das ist wohl wahr,« nickte Behrens, »wir wissen nicht was wir in Brasilien finden, aber wir wissen leider was wir hier haben: Jammer und Elend und schwere Arbeit, die nicht einmal so viel abwirft, um uns bei Kräften zu erhalten.«
»Aber Euer Lohn ist erst kürzlich auf acht Groschen erhöht worden.«
»Ja,« seufzte der Mann, »und für einen ledigen Burschen mag es ausreichen, wo aber Einer für Fünf verdienen soll, denn das Hannchen kommt jetzt gar nicht von der kranken Mutter weg, was sind da acht Groschen; sie reichen nicht einmal für's liebe Brod in den Wochentagen, und am Sonntag, wo wir nichts verdienen dürfen, wollen wir doch auch leben.«
»Aber es giebt doch immer hie und da zu thun.«
»Als ich neulich am Sonntag im Wirthsfeld grub,« sagte der Mann, »hat mich der Herr Pfarrer angezeigt, und ich mußte fünf Groschen Strafe bezahlen. Wir haben dafür den ganzen Montag gehungert.«
Der Pachter seufzte, aber er erwiderte nichts darauf.
»Na, Behrens,« sagte er nach einer Weile, »thut keinen unüberlegten Schritt. – Es sollte mir leid thun, Euch hier zu verlieren, denn Ihr seid ein braver, ordentlicher Arbeiter gewesen, die ganze Zeit, ich möchte Euch aber auch nicht abrathen, wenn ich wüßte daß es zu Eurem Glück wäre, und Ihr Eure Lage dadurch wirklich verbessertet. Das Papier da sichert Euch aber gar nichts, und ehe Ihr das unterschreibt, besinnt Euch lieber noch einmal,« und seinem Pferd die Sporen gebend, trabte er rasch in den Hof hinein, um dort die für die Feldarbeiten nöthigen Anordnungen zu treffen.
Behrens aber faltete langsam das Papier zusammen, steckte es in die Tasche und schritt ruhig dem Hause des Schulmeisters zu, der heute Nachmittag, wo er keine Schule hatte, das warme Frühlingswetter ebenfalls benutzte, und in seinem, freilich sehr kleinen Gärtchen hackte und schaufelte.
Auch der Schulmeister war überrascht, den Tagelöhner Behrens in seinem »Geh zur Kirche« Rock am Werktage bei sich zu sehen, und hörte erstaunt mit arbeiten auf. Behrens ließ ihn aber nicht lange über die Absicht seines Besuchs im Zweifel, und der kleine Mann, mager, wie eigentlich nur ein Schulmeister sein kann (und mit der vollen Berechtigung dazu, denn sein Gehalt stellte ihn nicht viel über den Tagelöhner, und dabei hatte er eine Frau und sechs Kinder zu ernähren, und außerdem noch sechszig zu unterrichten) wischte sich plötzlich die Hände an den fettglänzenden, alten schwarzen Hosen ab, ehe er das ihm dargereichte Papier nahm, und sagte nun, völlig aufgelöst in Bewunderung:
»Nach Brasilien? – ja, freilich, Behrens, wenn Ihr dahin kommen könntet. – Du lieber Gott, da möchte ich gleich selber mit. Aber wie wollt Ihr das möglich machen?«
»Das steht Alles in dem Papier da, Schulmeister,« sagte der Mann, »und ich wollte Sie nur einmal bitten es durchzulesen und mir Ihre Meinung darüber zu sagen.«
»Hm,« nickte der kleine Mann, indem er einen flüchtigen Blick über das Blatt warf, »ich habe aber meine Brille drinnen. Kommt mit hinein, Behrens, meine Alte hat mich doch eben zum Kaffee gerufen, und der Rücken thut mir auch von dem vielen Schaufeln weh, – kommt nur mit hinein.«
»Ach, wenn Sie jetzt Kaffee trinken wollen,« sagte der Mann zurückhaltend, »so komme ich lieber später wieder; stören wollte ich ja nicht.«
»Ach, was,« nickte der Schulmeister, denn der Tagelöhner hatte durch das eine Wort »Brasilien« einen ganz neuen Nimbus bekommen, »Ihr trinkt eine Tasse mit, – so viel wird schon da sein, und wenn Ihr erst in Brasilien seid, schickt Ihr mir einmal gelegentlich einen Sack Kaffee herüber, – da kommt er ja her, Behrens, und dort giebts ganze Wälder von lauter Kaffeebäumen.«
»Wenn Sie's erlauben,« sagte der Mann, indem er etwas verlegen den Hut zwischen den Händen drehte, denn es war das eine Ehre, die ihm widerfuhr, und er nicht gewöhnt, von irgend einem Menschen eingeladen zu werden.
Schulmeister Peters, nachdem er sich vorher erst ein paar Mal gestreckt und gedehnt und dabei ein sehr schmerzhaftes Gesicht geschnitten, weil ihm der Rücken noch vom langen Krummstehen weh that, konnte endlich wieder aufrecht gehen, und das Papier noch immer in der Hand haltend, schritt er seinem Gast voraus in das kleine Häuschen, wo ihn seine Frau schon mit der dampfenden Kanne erwartete. Als sie freilich den Tagelöhner Behrens mit ihrem Manne eintreten sah, wollte sie die Kanne wieder zurück auf den Ofen stellen, weil sie glaubte der Arbeiter hätte etwas mit Peters zu sprechen, und der Kaffee sollte indessen nicht kalt werden.
Der Schulmeister aber, mit seinem Steckenpferd »Brasilien« im Kopf, rief ihr lachend zu: »Laß stehen, Alte, und gieb uns noch eine Tasse für Behrens her. Denk Dir einmal, der ist unterwegs nach Brasilien.«
»Nach Brasilien?« sagte die Frau, setzte die Kanne wieder auf den Tisch und schlug die Hände zusammen, »es ist doch die Möglichkeit.«
»Und nun setzt Euch, Behrens, – da drüben ist ein Stuhl, stellt Euren Hut nur dort auf die Kommode, – Alte, hast Du meine Brille nicht gesehen? Ich habe sie doch vorhin hierher gelegt, – ach, da ist sie, – setzt Euch nur, und nun wollen wir einmal sehen was hier in dem Papier steht. Das ist wohl der Überfahrts-Contract? – aber, Behrens, das wird schmähliches Geld kosten. Brasilien liegt in gerader Richtung etwa tausend deutsche Meilen von uns entfernt, und was für einen Umweg müßt Ihr da noch vorher machen. Seht einmal her, hier ist Deutschland,« sagte er, auf eine kleine, an der Wand hängende Weltkarte zeigend, »hier, wo ich den Finger halte, und da müßt Ihr nun erst nach Norden hinauf, damit Ihr an die Nordsee kommt, und dann geht's hier hinaus, in gerader Linie nach Westen, durch den britischen Canal – La Manche heißt er – hinaus in das weite Weltmeer, und dann geht's hier quer hinüber, über all die Striche weg, immer da hinunter, bis Ihr da ganz unten an Brasilien anfahrt. Da liegt's und unterwegs ist's so heiß, daß Euch die Butter vom Brod herunterschmilzt. So eine Reise kostet vieles Geld.«
»Bitte, lesen Sie nur einmal das Papier durch,« sagte Behrens, »da drin steht Alles, und dann wollte ich Sie um Ihren Rath dabei fragen, was ich thun und wie ich mich verhalten soll.«
Behrens täuschte dabei sich selber und den Schulmeister, denn im eigenen Herzen war er schon fest entschlossen den Schritt, der über sein ganzes künftiges Lebensglück entscheiden sollte, zu wagen, und eigentlich nur zum Schulmeister gekommen, um sich von diesem in dem gefaßten Plan bestärken – nicht davon abrathen zu lassen, was er übrigens auch kaum zu fürchten brauchte.
»Na,« meinte Peters, »dann wollen wir also erst einmal sehen was hier geschrieben steht. Schenk derweil ein, Alte, und trinkt nur, Behrens, genirt Euch nicht, es ist gern gegeben.«
Die Frau Schulmeisterin schenkte, noch immer den Kopf über das eben Gehörte schüttelnd, dem Tagelöhner den Kaffee, der eine frappante Farbenähnlichkeit mit schwachem Thee hatte, in eine henkellose Tasse, denn eine von ihren »guten« Tassen konnte sie doch nicht dazu von der Kommode nehmen, wo sie zur Schau ausstanden. Behrens nahm aber auch selbst das auf das Dankbarste an, – besseres Geschirr war er ja zu Hause auch nicht gewöhnt, ja nicht einmal das, denn seinen Kaffee trank er daheim aus einem kleinen Topf, und daß er etwas dünn war, merkte er ebenfalls nicht; er wußte wahrscheinlich nicht einmal, wie besserer Kaffee schmeckte.
Während er aber trank und der Schulmeister las, sah er sich ein wenig im Zimmer um, wo ihm besonders die Bücher auffielen, von denen Peters wohl zwölf bis vierzehn auf einem Regal zwischen den beiden Fenstern stehen hatte. Auch die Landkarte an der Wand imponirte ihm. Darauf konnte der Mann nur mit seinem Zeigefinger über die ganze Welt herum fahren und dabei jeden Platz und Ort mit Namen nennen, und beschreiben wie es dort aussah. Sonst freilich bot das Zimmer nicht viel Besonderes. Die Möbel bestanden aus einfachem, weißtannenem Holz und waren nicht einmal angestrichen; auf der Kommode stand noch eine kleine, blaugemalte Glasvase mit einem Büschel Schilfblüthen und Strohblumen darin, und über dem entsetzlich hart gepolsterten Sopha hing ein kleiner Spiegel, und rechts und links davon die Bilder von Peters und seiner Frau, als Braut und Bräutigam, mit einer wahren Verschwendung von bunten Farben und rothen Backen gemalt. Wo aber waren jetzt die rothen Backen hingekommen? wo der üppige Haarwuchs des kleinen Mannes und das frische, fröhliche Gesicht? – Nur die große Warze über dem linken Auge hatte er noch als einzige Ähnlichkeit behalten, sonst war Alles verschwunden und gebleicht.
Und auch die Frau Schulmeisterin.
»Lieber Gott,« seufzte Behrens in Gedanken vor sich hin, »wie sich der Mensch doch verändern kann, man sollte es nicht für möglich halten.«
»Hm, Behrens,« sagte da Peters, der das Blatt erst einmal leise für sich durchgelesen hatte, »nach dem Schreiben scheint es, als ob die ganze Überfahrt für Euch bezahlt würde und Ihr den Betrag nur einfach abzuarbeiten habt.«
»Ja wohl, Schulmeister, das sind die Bedingungen.«
»Hm – und da könntet Ihr ohne einen Pfennig Geld und ganz umsonst nach Brasilien herüberkommen?«
»Ja so umsonst doch nicht,« lächelte Behrens etwas verlegen. »Was die Herren jetzt für uns bezahlen, müssen wir später Alles wieder bei Heller und Pfennig abverdienen.«
»Na, das versteht sich von selbst,« sagte Peters, »schenken werden sie's Euch nicht. Wer schenkt einem Anderen heut zu Tage auch wohl noch was; aber Ihr seid doch einmal nachher an Ort und Stelle, und wenn Ihr Euch da nichts verdient, verdient Ihr Euch auf der ganzen Welt nichts.«
»Also meinen Sie daß Alles in Ordnung wäre,« frug Behrens, dem die Zustimmung doch fast ein wenig zu schnell kam.
»Ja, wenn Ihr gar nichts zu bezahlen braucht,« rief Peters »und frei hinübergeschafft werdet, was wollt Ihr denn noch mehr? Wenn ich nur könnte wie ich wollte, meiner Seel, ich ginge heutigen Tages mit, denn die Schinderei hier soll der Böse holen. Aber ich bin schon zu alt, – arbeiten wird mir schwer und mein Rückgrat will nicht mehr so recht mit fort.«
»Aber der Herr Pachter Frommann meinte,« fuhr Behrens fort, »es wäre eigentlich kein rechter Contract und nur so eine Art Verpflichtung für mich.«
»Hm – ja,« sagte der Schulmeister, »ein Contract ist es auch eigentlich nicht, – Alte, schenk dem Behrens noch einmal ein, – aber sonst steht nichts davon drin, daß Ihr etwas zu bezahlen hättet.«
»Nein – aber ich werde auch nicht so recht klug daraus,« fuhr Behrens fort, »wie es einmal werden soll wenn ich meine Schulden abgearbeitet habe.«
»Hm, – nein,« nickte Peters, »na, ich will Euch einmal etwas sagen. Ich werde Euch die Geschichte laut vorlesen, dann kommen wir besser dahinter.«
»Das wäre recht.«
»Also – Verpflichtung! das ist die Überschrift,« sagte Peters, und las:
»»Verpflichtung2 des Landarbeiters Carl Gottlieb Behrens aus Groß-Emmen mit Familie, nämlich:
seine Frau Sophie, 38 Jahre alt,
seine Tochter Johanna Marie, 14 Jahre alt,
sein Sohn Fürchtegott Hans, 10 Jahre alt,
seine Tochter Lisbeth Anna, 8 Jahre alt,
sein Sohn Christian Leberecht, 5 Jahre alt,
ein Säugling,
gegen Herrn Franz Berthold Hoeker in Antwerpen.
Der Endes-Unterzeichnete, der die Passage für sich und obenstehende Familienglieder nach untenstehenden Specificationen mit – Thalern vorgeschossen erhielt, verpflichtet sich nicht nur Herrn Franz Berthold Hoeker in Antwerpen Vollmacht zu ertheilen vermittelst seines Hauses in Porto Seguro, für sich und seine Familie, mit einem brasilianischen Plantagenbesitzer Contract abzuschließen, zur Verdingung seiner und seiner Familie Arbeitskräfte auf eine Colonie der Provinz Minas Geraes, sondern macht sich auch, durch Unterzeichnung dieses Contracts, für sich und seine sämmtlichen Familienglieder anheischig, durch den Theil-Ertrag ihrer Arbeit die vorgeschossene Passage und sonstige Kostenvorschüsse abzuverdienen, dergestalt, daß: da nach der Bestimmung derartiger Arbeitsverträge der Ertrag der Arbeit zwischen Arbeiter und Brodherrn getheilt wird, von der ihm als Arbeiter zufallenden Hälfte des Ertrags der Arbeit in usancemäßiger Abtragung zu ersetzen.
Indem Carl Gottlieb Behrens durch seine Namensunterschrift solidarisch mit seinen Familiengliedern zur getreuen Erfüllung der contractlich eingegangenen Verpflichtung sich verbindlich macht, verpflichtet er sich ferner für sich und seine Familienglieder, den gesetzlichen Befehlen seiner Brodherren oder deren bevollmächtigten Vertreter getreulich nachzukommen, und während der Dauer des Contractes seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit dem ihm übertragenen Dienst zu widmen.
Antwerpen, den –ten März 185–.
»Die Summe ist, wie ich sehe, noch nicht ausgefüllt.«
»Nein,« sagte Behrens, »das können sie auch noch nicht, weil sie noch nicht wissen wie viel wir auf der Reise brauchen werden. Das wird nachher gemacht.«
»Hm,« sagte der Schulmeister, »ja wohl, – da steht aber freilich nichts weiter drin, als daß Ihr das Geld, was Ihr vorgeschossen kriegt, wieder abverdienen sollt. Das ist gerade wie bei uns.«
»Ja wohl, Schulmeister, und das wäre auch ganz in der Ordnung, aber es steht gar nichts vom Tagelohn darin, und was sich ein Mann wohl in der Woche verdienen kann, damit man doch im Stande wäre sich nur ein klein wenig zu berechnen, wie lange man ungefähr für die Herren arbeiten muß.«
»Ja, das wäre freilich gut,« sagte der Schulmeister, der sich völlig außer seiner Sphäre fand, sobald sich irgend etwas auf practisches Leben erstreckte, »aber den Kaffee habt Ihr da umsonst, und der Zucker wächst ebenfalls in Brasilien; ja, in der heißen Zone kommen sogar Milch- und Butterbäume vor, und immer Sommer, – nie einen Ofen heizen und die Finger erfrieren – und Hüte könnt Ihr Euch selber aus Palmblätter flechten, und die Baumwolle wächst dort auch.«
»Ja,« sagte Behrens und sah still vor sich nieder, »das ist wohl Alles recht gut, aber ob das Land auch wohl so gesund ist, daß mir Frau und Kinder nicht krank werden. Es muß dort schmählich heiß sein.«
»Das können wir gleich sehen,« sagte Peters, stand auf und nahm eines seiner alten Bücher vom Regal herunter, »wartet einmal, Brasilien – Brake – Brandis – Brasilien, Seite 470 – da haben wir die ganze Geschichte: Dieser einzige monarchische Staat, – nein, das ist's nicht: hier kommts! »In Hinsicht der äußeren Bodenbeschaffenheit bestehen vielleicht zwei Drittheile aus Hoch- und Gebirgsland,« – seht Ihr wohl. Halt, hier steht es: »Das Clima ist der vielen Gebirge und Wälder wegen milder, als man es bei der Lage des Landes, welches mit seiner Hauptmasse zwischen dem Äquator und dem südlichen Wendekreise liegt, erwarten sollte.« Seht Ihr wohl? – »In Rio Janeiro, ungefähr unter dem Wendekreise des Steinbocks (nämlich unter 22° 56' S.Br.) wechselt die Hitze zwischen 16 und 30° Reaumur« – und so heiß wird es bei uns hier manchmal auch, denn im letzten Sommer hatten wir ein paar Mal 29° im Schatten. – »An der Küste tragen überhaupt die täglichen Seewinde viel zur Minderung der Hitze bei. Am heißesten sind die Ebenen im nördlichen Theil des Landes,« – aber dahin braucht man ja auch gar nicht zu gehen; und was bauen sie da nicht Alles, hört einmal zu, Behrens: »Fernambuk oder Brasilienholz, Campeche oder Mahagoniholz, ferner Palmen, Tulpen-Rosenholz, Kampher-, Copal- und andere Bäume, sodann Zucker, Kaffee, Baumwolle, Tabak, Indigo, Cacao, Vanille, Reis, Mais, Waizen, Gerste, Maniok, Melonen, Yams, europäische Südfrüchte, Ananas, Gewürzpfeffer,« – das Wasser läuft Einem ordentlich im Munde zusammen. Und dann hier die Beschreibung von dem Gold und den Diamanten, die dort gefunden werden. Diamanten haben sie dort, von denen ein einziger so viel werth ist, wie hier ein ganzes Königreich.«
»Also meinen Sie, ich soll hingehen, Schulmeister?«
»Ich wollte ich könnte mit,« seufzte dieser, »den Augenblick schnürte ich meinen Bündel, packte meine paar Bücher zusammen und setzte mich auf ein Schiff, aber – der Knüppel ist an den Hund gebunden.«
»Peters, Du schämst Dich doch gar nicht,« sagte seine Frau.
»Ach, Alte, so war es ja nicht gemeint,« seufzte ihr Mann, »aber mein verwünschtes Rückgrat.«
»Und daß gar nichts davon in dem Contract steht, wie es einmal werden soll, wenn ich das Geld abverdient habe,« sagte Behrens, dessen Gedanken nur allein auf diesem einen Punkt hafteten.
»Darüber macht Euch doch keine Sorge,« antwortete Peters, »schon das ist ein Beweis, daß es dort viel zu verdienen giebt, daß man Euch so viel hundert Thaler vorschießt, nur um Arbeiter hin zu bekommen. Hier könntet Ihr hundert Jahre arbeiten ehe Ihr's fertig brächtet.«
»Ja, das ist wahr,« nickte Behrens, »zu verdienen muß es da geben, und ich verstehe nur nicht was das heißen soll, – hier, da unten Schulmeister; lest doch den Satz noch einmal.«
»Den? – »»daß: da nach der Bestimmung derartiger Arbeitsverträge der Ertrag der Arbeit zwischen Arbeiter und Brodherren getheilt wird««, – nun, das ist doch deutlich genug: Ihr bekommt die Hälfte von Allem, was verdient wird.«
»Aber das ist doch gar nicht möglich.«
»Aber hier steht's ja noch einmal, gleich dahinter: von der ihm als Arbeiter zufallenden Hälfte des Ertrags der Arbeit in usancemäßiger Abtragung zu ersetzen.«
»Was ist denn das?«
»Usancemäßig? das ist, wie es dort gerade Gebrauch ist, mit der Abzahlung nämlich, denn zum Leben müßt Ihr doch auch was haben, also vielleicht die Hälfte oder das Viertheil von Eurem Verdienst. Begreift Ihr?«
»Das wär Recht,« nickte Behrens, »aber da ist noch ein fremdes Wort, was ich nicht verstehe – solidarisch –.«
»Nun, das heißt weiter nichts, als daß Ihr für Eure Frau und Kinder einsteht, damit die auch helfen die Schuld abzutragen.«
»Nun, das versteht sich ja doch von selbst,« sagte Behrens.
»Aber wißt Ihr was mir auffällt,« bemerkte der Schulmeister. »Erstlich steht hier kein Wort davon, daß Ihr die Sonntage frei bekommt, und wenn das auch bei uns Sitte ist, so weiß man doch nicht wie sie es drüben machen, und jedenfalls gehört das mit in den Contract. Dann aber ist auch noch das Wichtigste vergessen, und das könnte einen Haken haben.«
»Das Wichtigste, Schulmeister?«
»Jedenfalls eine Hauptsache, und die muß auch noch mit hinein, sonst unterschriebe ich wenigstens den Contract nicht. Ein Haus werdet Ihr natürlich kriegen, denn eine Wohnung gehört dazu, wenn man irgendwo arbeiten soll; die erhält bei uns selbst ein Schulmeister, dem sie doch alles Mögliche abzwacken, aber von einem Garten steht kein Wort darin. Das vergeßt nicht, – den macht Euch noch vorher aus, denn ein Garten ist die Hauptsache – und wenn er noch so klein wäre, wo Ihr Euch ein paar Kaffeebäume und Palmen und Zuckerrohr, und ein bischen Indigo vielleicht, pflanzen könnt. Den geben sie Euch auch. – Und dann noch eins, Behrens,« fuhr der Schulmeister fort, »schreibt mir einmal, wie es Euch geht, und was Ihr treibt, hört Ihr wohl, das müßt Ihr mir versprechen.«
»Recht gern, Schulmeister, recht von Herzen gern,« erwiderte Behrens, »wenn's auch bei mir nicht gerade vom besten mit Schreiben geht, denn Sie wissen wohl, in unserer Zeit wurde noch nicht viel darauf gehalten, so kann mein Mädel, die Johanna Marie, doch prächtig damit fertig werden, und die soll schon einen Brief schreiben.«
»Gut, Behrens, und vergeßt nur den Garten nicht; ein Stück Land müssen sie Euch geben, das Ihr selber nur für Euch bauen könnt, – wenn nicht so viel übrig ist, wäre es auch nicht der Mühe werth daß Ihr hinüber ginget.«
»Ich will's nicht vergessen, Schulmeister, und ich dank Ihnen auch vielmals für den Wink. – Ich wußte wohl, daß ich mich bei Ihnen an den rechten Mann wandte. Nichts für ungut, Frau Peters, daß ich gestört habe, – ich wollt's eigentlich nicht.«
»Recht gern geschehen, Behrens,« sagte die Frau Schulmeisterin, die ganz stolz darauf war was ihr Mann sagte. »Mein Schulmeister hilft ja recht gern, wo er irgend kann, mit Rath und That.«
»Werd's ihm nicht vergessen, – und nun leben Sie wohl; ich will jetzt gleich nach der Stadt hinein, daß ich heute Abend noch was abmachen kann, und im schlimmsten Fall bleib ich dort über Nacht bei dem Andres, dem Steffen seinem Jungen, der Kutscher ist und mir die Wohnung angegeben hat. Recht vergnügten Abend allerseits,« – und damit nahm er seinen Hut, griff seinen Stock auf und wanderte mit rüstigen Schritten, das eben Gehörte dabei wieder und wieder überlegend, die Straße hinab, die nach der Stadt zu führte. Drüben im Feld arbeiteten die Leute, um ihn her flogen und zwitscherten die Lerchen, die vaterländische Sonne schien hell und warm auf seinen Pfad, aber er sah und hörte weder Kameraden, noch Sonnenschein, noch wirbelndes Lerchengeschmetter, denn Auge und Ohr weilte bei anderen Bildern und sein Herz war in Brasilien.
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Das betreffende Document ist wörtlich – mit Ausschluß der Namen – einem derartigen Parcerie-Vertrag entnommen, und mag als Beweis dienen, wie leichtsinnig zahllose Menschen derartige Schriftstücke unterzeichnen, und sich dadurch binden, ohne eine Ahnung über deren Tragweite zu haben.