Читать книгу Ein Parcerie-Vertrag - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 3
Zweites Capitel.
Verschiedene Auskunft
ОглавлениеDie Stadt – eine kleine Residenz in Thüringen – lag ungefähr zwei Stunden Wegs von Groß-Emmen entfernt, und Behrens, mit seinen Gedanken beschäftigt, konnte sich nicht erinnern jemals so rasch hineingekommen zu sein, wie heute. Er sah sich ordentlich erstaunt um, als er sich zwischen den ersten Häusern fand, und doch erfaßte ihn auch wieder ein ganz eigenes und beklemmendes Gefühl, das etwas Fremdes und Unbehagliches für ihn hatte.
War er bis jetzt je gewohnt gewesen selbstständig zu handeln? Nicht seit der Zeit wo er seine Frau genommen, und selbst damals hatte sie eigentlich mehr bei der Sache gethan, als er selber. Außerdem war er, seit er die Schule verlassen, nur Tagelöhner bei fremden Leuten gewesen, der die Arbeit eben that, zu der er gestellt wurde, ohne die geringste Verantwortlichkeit dafür. Morgens zur bestimmten Zeit begann er damit, – Abends eben so wurde Schicht gemacht und Sonntags gefeiert, – weiter kannte er keine Abwechselung in seinem Leben. Jetzt aber trat dieses selber an ihn heran. Aus seiner gewohnten Beschäftigung herausgerissen und dadurch von dem bisherigen und regelmäßigen Einkommen abgeschnitten, sollte er auf einmal selbstständig einen Entschluß fassen, der ihn weit hinweg vom Vaterland über das große Weltmeer führte, und einer ungewissen Zukunft in die Arme warf. Allerdings erfüllten ihn dabei die größten Hoffnungen, – aber wenn es mißlang? wenn er dann mit Frau und Kindern unter fremden Leuten im Elend saß, und nicht wieder zurück konnte in die alten Verhältnisse? Wer trug nachher die Schuld an seinem Unglück und dem der Seinen? Nur er selber, und welche Vorwürfe hätte er sich nachher machen müssen.
Diese Gedanken quälten ihn unterwegs, aber sein Schritt zögerte deshalb nicht. Es war, als ob er durch eine innere, unwiderstehliche Gewalt vorwärts gedrängt würde. Wie von einem unbestimmten Etwas getrieben, wanderte er die Straße hinab, und wollte eben in den Platz einbiegen, auf welchem der Auswanderungsagent wohnte, als ihn eine Stimme von einem Wagen herab anrief, daß er stehen blieb und sich überrascht umsah.
»Hallo, Gottlieb!« rief es, »wo kommt Ihr denn heute in die Stadt? und wie gehts daheim?«
»Ei, Andres!« rief Behrens erfreut, wie er den Kutscher erkannte, der jetzt neben ihm am Wege hielt. »Das ist mir lieb, mein Junge, daß ich Dich finde. Wie gehts?«
»Oh, gut geht's; aber wo wollt Ihr hin, Behrens?«
»Nach Brasilien, Andres.«
»Nach wohin?«
»Nach Brasilien.«
»Alle Wetter,« sagte der junge Bursch erstaunt, »weiter nicht?«
»Ne, Andres; – wie wär's, wenn Du mitgingst? – Reise und Alles frei, und die Schinderei hier zu End.«
»Hm, Behrens, kommt doch einmal mit vorn auf den Bock; ich schaffe nur den Wagen nach Haus und versorge die Pferde, und habe dann weiter nichts zu thun, daß wir noch ein Wort zusammen reden können, – heute kommt Ihr doch nicht mehr hin.«
»Nein, Andres,« sagte Behrens, »und morgen wahrscheinlich auch nicht, aber ich fahr mit, denn es wär mir lieb, wenn Du mich nachher begleiten könntest.«
»Und unterwegs erzählt Ihr mir die ganze Geschichte,« sagte Andres, während Behrens zu ihm auf den Bock stieg.
So fuhren sie langsam der Wohnung des Doctor Maller, Andres' Brodherrn, zu, und der Tagelöhner theilte jetzt dem Kameraden Alles mit, was seine künftigen Pläne betraf, während dieser kein Wort dazu sagte, sondern nur manchmal mit dem Kopf nickte oder schüttelte.
Endlich langten sie bei der Wohnung des Doctors an. Behrens half die Pferde mit ausschirren und in den Stall führen, wo ihnen Andres ihr Futter gab, während der Mann ein paar Eimer Wasser holte.
Wie sie fertig waren sagte Andres, der indessen in einem fort gepfiffen hatte: »Hört einmal, Behrens, – Ihr habt den Contract bei Euch, wie?«
»Ja, Andres.«
»Schön, – mein Doctor ist zu Hause, ich habe ihn eben oben am Fenster gesehen, – der weiß Alles, ist auch schon einmal drüben in Amerika gewesen, dem wollen wir das Papier zeigen, – der kennt sich in solchen Sachen aus.«
»Ja, aber,« sagte Behrens, »was wird sich der um unser Einen kümmern; der hat mehr zu thun.«
»Laßt Ihr mich nur machen,« nickte aber Andres dem Freund zu, »wartet hier einen Augenblick, ich bin gleich wieder da,« und ohne eine weitere Einrede anzuhören, ging er quer über den Hof und in das Haus hinüber, und kam auch schon nach kaum zehn Minuten mit der Meldung zurück, Behrens solle nur hinaufgehen, der Doctor wäre oben und wolle sein Anliegen hören.
Dem Behrens schlug das Herz, aber der Doctor empfing ihn freundlich und sagte: »Nun, mein Mann, Ihr wollt nach Brasilien hinüber? Das ist ein wichtiger Schritt; habt Ihr Euch die Sache denn auch ordentlich überlegt? Jemand, der hier in Deutschland sein Brod hat, sollte nicht gerade leicht mit Frau und Kindern so ins Ungewisse hinübergehen.«
»Ja, lieber Herr,« seufzte Behrens, »mit dem Brod ist das so eine Sache, – heute haben wir welches und morgen keins, und wenn ich einmal krank würde –«
»Dann glaubt Ihr wohl, giebt Euch Jemand in Brasilien was?« unterbrach ihn der Doctor. »Aber Ihr sollt frei hinübergeschafft werden, wie ich höre? Habt Ihr das Papier bei Euch?«
»Ja, Herr Doctor, – dies hier.«
Der Doctor nahm es, las es aufmerksam durch und sagte dann: »Und das Papier wollt Ihr unterschreiben? Wißt Ihr wohl, daß Ihr danach wie verrathen und verkauft und einem ehrlichen Mann oder einem Schurken, wie's gerade trifft, auf Gnade und Ungnade übergeben seid?«
»Ja, aber, Herr Doctor,« sagte der Mann erschreckt.
»Das ist ein sogenannter Parcerie-Vertrag,« fuhr der Doctor fort, »das heißt ein Vertrag, wonach Ihr angeblich Mittheilhaber an dem Ertrag des Gewinnes seid, der durch Eure Arbeit erworben wird, und hier steht sogar, Ihr bekämt die Hälfte des Verdienstes; daß das eine Lüge ist, könnt Ihr Euch doch wohl denken.«
»Ja, aber da steht es doch schriftlich,« sagte Behrens scheu.
»Bah!« rief der Doctor, »wo arbeitet Ihr jetzt?«
»Beim Herrn Rittergutspachter Frommann.«
»Nun gut. – Denkt Euch einmal, Ihr hättet mit dem einen solchen Contract gemacht. Nun beschäftigt Euer Pachter eine Menge von Leuten, nicht wahr?«
»Ja, Herr Doctor.«
»Außerdem hat er ein großes Capital in dem Gut stecken; er hat viel Vieh, Pferde, Rinder und Schafe, und manchmal verdient er viel damit, manchmal hat er auch Unglück. Es fällt ihm ein Pferd, ein Rind, oder die Ernte geräth einmal nicht, kurz, er hat viel Risico bei der Sache, d. h. er wagt sein Vermögen daran, oder er nimmt dann auch wieder in manchem Jahre sehr viel ein, was den Schaden deckt, – nun soll er Euch für Eure Tagelöhner-Arbeit die Hälfte seines Verdienstes geben?«
»Ja, das ist aber auch wohl so nicht gemeint,« sagte Behrens.
»Gewiß nicht,« erwiderte der Doctor, »aber trotzdem steht es da, und auch nichts Anderes, nach dem man herausfinden könnte, wie diese Hälfte gemeint ist, denn von einem bestimmten Tagelohn ist keine Rede. Ihr seid also förmlich der Willkür Eures neuen Herrn überlassen, wobei Ihr Euch noch außerdem verpflichten müßt, und zwar für Euch und Eure Familie, seinen oder seines Verwalters Befehlen getreulich nachzukommen. Der schlimmste Passus ist aber noch der letzte, wo es heißt, daß Ihr während der Dauer des ganzen Contracts, also auf eine ganz unbestimmte Zeit hinaus, denn es ist gar keine Dauer festgesetzt, Eure ganze Zeit und Aufmerksamkeit dem Euch übertragenen Dienst zu widmen habt, also nicht eine Minute derselben für Euch selber arbeiten und nur das Nothwendigste verrichten könnt. Unterschreibt Ihr das Papier, so seid Ihr nichts als ein Sclave, und es kann Euch nachher Niemand mehr helfen.«
»Ja,« sagte Behrens schüchtern, »das hat unser Schulmeister auch gemeint, daß wir die Sonntage frei und einen Garten haben müssen, in dem wir uns selber Kaffee und Zucker bauen könnten.«
»Lieber Freund,« seufzte der Doctor, »Ihr schleppt eine Menge phantastischer Ideen im Kopf herum, und Euer Schulmeister scheint Euch noch darin bestärkt zu haben.«
»Aber wenn das nun in den Contract kommt.«
»Aber bester Mann, ist das ein Contract?« rief der Doctor. »Ihr seid unglückselige Menschen. Wenn Ihr nur ein beschriebenes Papier bekommt, das Ihr unterschreiben könnt, so bildet Ihr Euch nachher gewöhnlich ein, Ihr hättet einen Contract gemacht und könntet nun nicht mehr betrogen werden. In diesem Papiere, obgleich hier fälschlicher Weise steht »»während der Dauer des Contracts««, und hier oben »»der contractlich eingegangenen Verpflichtung««, ist von einem Contract weiter gar nicht die Rede, als daß jene Person, der Ihr überliefert werdet, das Geld zahlt, um Euch in die Hände zu bekommen, und dann nachher mit Euch machen kann was sie will. – Außerdem,« fuhr der Doctor fort, als Behrens betroffen schwieg, »wißt Ihr aber auch noch gar nicht einmal, wie viel die Reise für so viele Personen kosten kann, – wie viel Euch wenigstens dafür aufgeschrieben wird, und seid nicht sicher eine Schuldenlast auf den Hals zu bekommen, an der Ihr Eure besten Lebensjahre arbeiten mögt, um sie wieder abzuschütteln. Nein, Freund, – es ist mir lieb daß ich einmal einen solchen Parcerie-Vertrag in die Hände bekomme; ich habe bis jetzt viel darüber gehört und gelesen, aber noch nie einen gesehen. Jetzt begreife ich die Entrüstung die darüber herrscht, denn es ist in der That nichts, als ein Menschenhandel, und Alle, die sich damit befassen, sollten als Seelenverkäufer gebrandmarkt werden.«
»Aber der Herr, mit dem wir es zu thun bekommen, soll ein ganz braver, ehrlicher Mann sein,« sagte Behrens leise.
»Und woher wißt Ihr das, oder woher weiß der das,« rief der Doctor, »der Euch das gesagt hat? denn hier in dem Wisch steht nur, daß der Agent in Antwerpen – und Antwerpen gerade ist der verrufenste Ort für derartige Agenturen – mit irgend einem Plantagenbesitzer einen Contract über Euch abschließen soll, bei dem Ihr dann natürlich gar nicht mehr gefragt werdet.«
»Ja, aber –«
»Das kann ein ehrlicher Mann sein, ja,« fuhr der Doctor fort, »ich gebe auch zu, daß ein solcher Contract in einzelnen Fällen ehrlich gemeint sein mag: daß manchem großen Plantagenbesitzer wirklich daran liegt, gute und brauchbare Kräfte auf sein Land zu bekommen, und der sie nachher nicht allein gut behandelt, sondern ihnen auch einen entsprechenden Lohn für ihre Arbeit giebt, damit sie in einer bestimmten Zeit, und zwar in einer Zeit, die sie selber berechnen, wieder frei und unabhängig von ihm werden. Aber warum heißt es da nicht: Du bekommst so und so viel für den Tag Arbeit, und machst Dich nur verbindlich bei keinem Anderen in Dienst zu treten, bis Du das Geld, was ich für Dich ausgelegt habe, wieder abverdient hast? Aber das wollen die Herren gar nicht. Es liegt ihnen nicht allein daran Arbeiter in ihr weites Land zu bekommen, nein, sie wollen sich die Leute auch speciell sichern und an ihnen verdienen, und das eben ist nachher das Unglück für den armen Arbeiter selber, der vielleicht etwas vor sich bringen könnte, wenn ihm die Hände nicht gebunden wären. Ja, selbst den Fall genommen daß er es ehrlich meint, wer steht Euch denn dafür, daß er nicht plötzlich stirbt und sein Besitzthum an einen gewissenlosen Verwandten oder Fremden übergeht? Ihr seid dann für diesen so gut gebunden, wie für Jenen, Ihr geltet nur als Inventar, denn Ihr habt Eure Schulden noch nicht abbezahlt, und müßt aushalten bis das geschehen ist, so lange es auch dauern mag.«
»Aber Herr Doctor,« sagte Behrens, der ganz bestürzt geworden war, denn das, was ihm der Herr hier sagte, warf des Schulmeisters ganze Lobreden wieder um, und er hatte nur noch das Eine, an das er sich anklammern konnte – »mein Bruder ist ja auch die langen Jahre drüben in dem Brasilien, und dem geht's so gut dort. Er hat mir ja auch geschrieben, daß ich nur sobald als möglich zu ihm kommen soll.«
»So? –« frug der Doctor, »wo ist denn Euer Bruder?«
»In der Colonie Blumenau« sagte der Mann.
»Und dann wollt Ihr Euch nach der Provinz Minas Geraes schicken lassen, wie es hier in dem Contract steht? – und wißt dabei noch nicht einmal, in welchen Theil desselben, denn die Provinz ist riesengroß und läuft in die heißesten Districte hinauf. Das ist reiner Wahnsinn. – Aber lieber Freund – es thut mir leid – meine Zeit ist beschränkt, und ich muß jetzt einen Besuch bei einem gefährlichen Kranken machen, den ich nicht länger aufschieben kann. Ich bin auch nicht im Stande Euch einen anderen Rath zu geben als: Unterschreibt das Papier auf keinen Fall. Wollt Ihr zu Eurem Bruder nach Blumenau, so müsset Ihr nach der Insel Santa Catherina gehen, von wo sich häufig Gelegenheit findet. In der Provinz Minas Geraes seid Ihr beinah noch so weit von dort entfernt, wie hier in Deutschland, könntet wenigstens eben so leicht oder so schwer dorthin kommen, wie von hier ab auch. Dorthin wird Euch aber wohl Niemand Passage geben, und wenn Ihr denn durchaus hinübergehen wollt und denkt, daß Ihr dort Eure Umstände verbessert, so laßt Euch auch einen wirklichen Contract aufsetzen, in dem deutlich geschrieben steht, an welchen Ort und zu welchem Herrn Ihr kommen sollt – nicht auf's Gerathewohl, wie hier steht: auf eine Colonie in der Provinz Minas Geraes. Und wie viel Tagelohn Ihr für Euch und Eure Leute zu erwarten habt, bis das Vorgeschossene abverdient ist, muß ebenfalls fest und deutlich in dem Papier angegeben werden. Nachher seht Ihr ein Ende vor Euch, und könnt selber etwa berechnen, was Ihr verdient habt und wie lange Eure Dienstzeit dauert.«
»Nun, ich danke Ihnen auch schön, Herr Doctor, für Ihre Freundlichkeit,« sagte Behrens, »ich will mir gewiß merken was Sie gesagt haben, und mit dem Herrn das ausmachen.«
»Thut das,« sagte der Doctor, »aber laßt Euch auch nicht wieder breit schwatzen, – solche Contracte könnt Ihr alle Tage machen,« und damit nahm er seinen Hut und verließ das Zimmer, während Andres, der bei der ganzen Unterredung kein Wort gesprochen und nur immer, wenn der Doctor, sein Herr, etwas sagte, zustimmend mit dem Kopf genickt hatte, seinen Landsmann beim Ärmel ergriff und mit ihm langsam die Treppe hinunter und wieder auf den Hof ging.
»Siehst Du,« flüsterte er ihm dabei zu, »das ist ein Herr der Haare auf den Zähnen hat, und der verstehts. Was der sagt hat Hand und Fuß, und man kann schnurstraks darauf hingehen. Das sind faule Fische mit dem Papier; da darfst Du Dich nicht darauf einlassen.«
»Weißt Du was, Andres,« nickte da Behrens, der nachdenkend, sein Kinn mit der rechten Hand streichend, im Hof stehen geblieben war und vor sich niedergesehen hatte, »Du hast doch Alles mit angehört was der Herr Doctor gesagt, und kannst es mir bezeugen, und nun komm einmal mit zu dem Herrn der die Schrift besorgt, und dann wollen wir mit ihm sprechen, und ihm die Sache auseinandersetzen, daß es so nicht geht. Wie?«
»Meinetwegen,« sagte Andres, »ich geh' auch mit. Zwei sind immer besser als Einer, denn was der Eine nicht weiß, das fällt dem Anderen ein. Also komm, Gottlieb, dem wollen wir die Sache gleich besorgen.«
Und die beiden Freunde gingen langsam die Straße hinunter und dem Hause zu, in welchem der besagte Herr wohnte.
Da hörten sie rechts von sich in einer engen Seitengasse lautes Jubeln und Singen, und als sie erstaunt stehen blieben, um dem ungewohnten Geräusch zu horchen, sahen sie einen kleinen Trupp Menschen den engen Weg herunter kommen, die auf das Wunderlichste aufgeputzt gingen.
Es waren etwa zehn oder zwölf junge Burschen; von vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahren, Bauernsöhne wahrscheinlich ihrem ganzen Aussehen nach, die, von irgend einem Gelage kommend, mit gerötheten Gesichtern und fröhlich und keck blitzenden Augen Arm in Arm durch die Straßen wanderten. Sie trugen auch noch ihre heimischen Bauerntrachten, kurze Jacken und lederne Hosen, aber dazu aufgekrämpte Hüte mit künstlich gemachten ordinären Blumen daran, mit Glasperlen und unächtem Schmuck, und auf den Schultern einläufige Pirschbüchsen oder Doppelflinten, und Hirschfänger an den Seiten, als ob sie zu irgend einem Freicorps gehörten und augenblicklich in den Krieg ziehen wollten. Dazu sangen sie – mit oder ohne Harmonie, was kam darauf an, – ein wildes, jubelndes Lied, und neugieriges Volk hatte sich ihnen von allen Seiten angeschlossen, so daß die Menschenmenge die ganze Straße füllte.
Behrens und Andres blieben stehen um sie vorbei zu lassen, und als sie näher kamen, konnten sie auch Beide die Worte des Liedes unterscheiden, die ihnen bald keinen Zweifel mehr ließen, wen sie vor sich hätten.
»Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit von hier,
Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit.«
klang der Refrain, und bald darauf setzte wieder eine tiefe Baßstimme in Solo ein:
»Ade, ade, mein liebes Vaterland,
Ade, ade, nun lebe ewig wohl!
Was fragen wir nach Gut und Geld,
Wir wandern fröhlich in die Welt,
Brasi–lien ist unsre Seligkeit!
Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit von hier!
Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit!«
Es war ein ganz eigenes Gefühl das Behrens durchzuckte, als er die Worte hörte, die ihm wie aus der eigenen Seele heraustönten, und fast unwillkürlich rief er die ihm Nächsten an: »Heda, Kameraden, – wollt Ihr auch nach Brasilien?«
»Auch nach Brasilien? na, versteht sich,« lachte einer der jungen Burschen zurück, indem der Schwarm Halt machte. »Gehst Du auch mit, Kamerad? Das ist Recht. Halli, Hallo! Brasilien ist nicht weit von hier!«
»Na,« seufzte Behrens, »weit ist's doch wohl, aber was kann's helfen; die Reise nimmt ja auch einmal ein Ende.«
»Da hast Du Recht, alter Junge!« jubelte Einer der Burschen, »und nachher leben wir, wie der liebe Gott in Frankreich. Mit welchem Schiff gehst Du?«
»Ja, ich weiß noch nicht,« sagte Behrens, über die vertrauliche Anrede des jungen Volks weniger erstaunt, als über die bestimmte Voraussetzung seiner Reise, denn des Doctors abmahnende Worte hatten ihn doch wieder ganz schwankend gemacht.
»Und von welchem Hafen aus?«
»Doch wohl von Antwerpen, wie der Ort heißt.«
»Hurrah, ein Reisegefährte!« jubelte die Schaar. »Komm her, daß wir Eins zusammen trinken. Nun hat die elende Schinderei daheim ein Ende, und wir kommen ins Paradies.«
»Ins Paradies?« Das stimmte freilich nicht mit dem, was Behrens von dem Doctor gehört, aber er konnte auch nicht der fröhlichen Einladung folgen, denn geschenkt mochte er nichts nehmen, und Geld zum Vertrinken hatte er noch nie im Leben gehabt.
»Ich kann nicht,« sagte er deshalb freundlich, »ich muß erst noch meinen Contract in Richtigkeit bringen, daß ich mit komme; aber wohin geht Ihr?«
»In den Löwen; so komme nachher hin, daß wir den Abend beieinander sind! Hurrah, Brasilien soll leben!«
Und mit dem Halli, Hallo! des neu beginnenden Liedes setzte sich die Schaar wieder in Bewegung und marschirte die Straße hinab, dem ihrem neuen Reisegefährten bezeichneten Wirthshaus zu.
Behrens blieb mit seinem Begleiter, als ihn die Schaar verlassen hatte, noch eine ganze Weile wie betäubt auf der Straße stehen, denn wie ein Traum, wie ein Gruß aus der fernen, fabelhaften Welt, die er bis jetzt nur in seinen Träumen gesehen, kam ihm das Ganze vor. Ein Paradies! – und er selbst war im Begriff, dorthin aufzubrechen, – aber wer hatte nun Recht? Das junge, jubelnde Volk, vor dem das Leben noch offen lag und ihm nur seine bunten Bilder zeigte, oder der alte mürrische Herr, der voll Mißtrauen hinausblickte? Behrens wußte es nicht, und nur unwillkürlich legte er seine Hand wieder in Andres Arm und schritt mit ihm die Straße hinunter, dem Hause des Auswanderungsagenten zu.