Читать книгу Inselwelt. Erster Band. Indische Skizzen - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 7

I.
In der Südsee
Die Bootsmannschaft
1

Оглавление

Nur einen Theil der Mannschaft ließ das wackere Schiff zurück, denn wie vorher erwähnt, schlug auf der Flucht eines der Wallfischboote um, und die Indianer nahmen die Meisten der Schwimmenden in das für sie zurückgelassene Canoe.

Den Morgen trotzend, blieb das schlanke Fahrzeug an der Stelle halten, wo es die ersten Opfer des Wracks getroffen, und der phosphorisirende Schaum der züngelnden Wellen half ihnen getreulich die dunklen, in Wasser schwimmenden Gestalten zu erkennen, so daß sechs Verunglückte nach und nach ihrem nassen Grab entrissen wurden.

Wohl kreuzten sie noch eine Weile dort auf und ab, zu sehen, ob noch ein Anderer ihre Hülfe in Anspruch nehmen würde. – Aber Alles blieb stumm und still auf der kochenden Fluth. Der schrille Ruf einer aufgescheuchten Möwe tönte hier und da durch die Dunkelheit, oder der Schaum zischte in dem schweren Niederschlagen eines sich überstürzenden Wogenkammes – sonst war Alles ruhig wie das Grab.

Da dröhnte der Signalschuß des fremden Schiffes durch die Nacht, dem der höhnende Jubelruf der Tonga-Insulaner antwortete, und dorthin schwang im Nu der Bug des flüchtigen Canoes, die Freunde einzuholen und sich ihnen wieder anzuschließen.

Den Gefangenen befahl indeß ein federgeschmückter dunkler Krieger, sich mitten in das Boot zu legen, und wenn sie seine Worte auch nicht verstanden, ließ ihnen doch die drohende Geberde und gehobene Waffe keinen Zweifel über seine Absicht. An Widerstand war überhaupt nicht zu denken, und so gehorchten sie denn schweigend dem Befehl.

Das Fahrzeug war allerdings eines jener geräumigen, außerordentlich langen und trefflich gebauten Kriegscanoes; glücklicher Weise aber nicht für den Krieg, sondern nur für die Brautfahrt, mit vielleicht halber Mannschaft besetzt, so daß sie ohne Gefahr für sich selber die Schiffbrüchigen – und jetzt Gefangenen – aufnehmen konnten. Nichts desto weniger mußten sich diese vollkommen ruhig verhalten und lagen, auf dem Boden des Canoes lang ausgestreckt, eng und gedrückt genug, immer Zwei neben einander.

Der Wind heulte mit erneuter Wuth über die aufgeregte See; die Blitze zuckten, und der Donner prasselte in wilden jähen Schlägen schallend drein, während das schlanke Fahrzeug mit vollgeblähtem Segel mit den Wogen bäumte und sank, und gar nicht selten züngelnde Spritzwellen über Bord nahm.

Jonas, der eine der Geretteten, fühlte dabei wohl, daß er eng genug zusammen gepreßt einen seiner Kameraden neben sich hatte, war aber noch nicht im Stande gewesen, heraus zu bekommen, wer das sei, und auch bis zu diesem Augenblicke viel zu sehr mit sich selber beschäftigt gewesen, besondere Nachforschung zu halten. Jetzt aber verrieth ihm ein außergewöhnlich greller und langanhaltender Blitz das Gesicht seines Nebenmannes, und er erkannte den kleinen Legs.

Legs lag, seine kurzen, etwas gebogenen Beine fest angezogen, auf dem Rücken, schloß die Augen und schien mit auf der Brust gefalteten Händen vollständig sich in sein Schicksal zu ergeben.

„Legs,“ flüsterte da Jonas, der neben ihm auf dem Bauch lag, und sich nur mit einiger Schwierigkeit nach ihm herumdrehen konnte, „Legs bist du das?“

„Ich wollte, ich wär's nicht,“ stöhnte der arme Teufel, ohne jedoch die Augen dabei zu öffnen – „das ist eine schöne Lage hier für einen ordentlichen Christen, wo einem das verdammte Seewasser am Nacken hinein und am ganzen Rücken hinunter läuft – das halbe Boot muß voll sein.“

„Das sei Gott geklagt,“ stöhnte Jonas, „ich kann den Mund schon kaum über Wasser halten, und habe mir den Hals beinah abgedreht. Wenn ich nur wenigstens auch auf den Rücken läge, wie du – so wie ich mich aber rühre, hauen mir vielleicht die verwünschten braunen Bestien Eins über. Prächtige Gelegenheit für einen Menschen hier, als Ballast für die wilden Hallunken im Boot zu liegen!“

„Jedenfalls wollen sie uns erst einweichen,“ stöhnte Legs in wahrhaft stoischem Gleichmuth, „um uns nachher eher gar zu bekommen.“

„Die Teufel wären's im Stande, uns auch noch zu braten,“ seufzte Jonas, „und wenn ich das gewiß wüßte, hätt' ich große Lust, das ganze Ding hier umzuwerfen und uns alle mit einander auszuschütten. Eben so gern oder noch lieber von einem verdammten Haifisch auf einmal verschluckt, wie von solch einer nichtswürdigen Rothhaut stückweis geröstet zu werden.“

„Und daran ist nur der vermaledeite Capitain schuld,“ brummte Legs, „der das Mädchen – Heiland was für ein Donner! – der das Mädchen hätte da lassen sollen, wo sie der liebe Gott hingesetzt. Jetzt haben wir die Geschichte – den Teufel zu zahlen und kein Pech heiß, und Legs wird wieder, wie gewöhnlich, die Suppe ausessen müssen, die Andere für ihn eingebrockt.“

„Na,“ brummte Jonas, „du sitzest dieses Mal nicht allein an der Schüssel, und wenn“ – der Satz wurde auf gewaltsame Weise unterbrochen, denn das Boot stieg in dem Augenblicke mit dem Bug auf die Spitze einer Woge, und das zurückschießende, darin befindliche Seewasser füllte den geöffneten Mund des armen Teufels dermaßen, daß er durch Sprudeln und Spucken kaum wieder Luft und Athem bekommen konnte.

Seine Lage wurde jetzt auch so unerträglich, ja, gefährlich, da das Canoe reichlich Wasser eingenommen hatte, daß er sich gewaltsam begann umzudrehen und Legs dadurch erbarmungslos gegen die Seitenwand drückte. Legs übrigens, keineswegs in der Stimmung, sich das Mindeste gefallen zu lassen, fluchte laut und wurde nur zum Schweigen gebracht, als er die drohend über sich gebeugte Gestalt eines der Wilden erblickte. Beim Leuchten eines Blitzes erkannte er aber den dunkeln Feind, wie den, mit der Waffe oder einem Ruder gehobenen Arm, und kniff mit einem kurzen Stoßseufzer beide Augen fest zusammen.

Die Gefangenen konnten jetzt hören, daß sich ihr Fahrzeug wieder der kleinen Canoeflotte angeschlossen hatte, und dadurch gewannen sie wenigstens einen Vortheil. Die Indianer nämlich wandten nun ihre Aufmerksamkeit wieder dem eigenen Boote zu und begannen das übergeschlagene Wasser auszuschöpfen – nicht etwa aus Mitleid für die am Boden liegenden Weißen, sondern nur um ihr Canoe zu erleichtern und in dem Wettlauf, der Insel zu, nicht zurückzubleiben.

Die Lage der auf dem Boden des Canoes ausgestreckten Gefangenen war dadurch um ein Wesentliches verbessert, und wenn die zürnenden Elemente ihre Herzen auch noch mit banger Furcht erfüllten, schienen sie doch wenigstens für den Augenblick der Gefahr enthoben zu sein, selbst in dem Boote zu ertrinken. Das war aber auch für jetzt der ganze Vortheil, den sie davon hatten, denn mitten im Sturme und Ungewitter schossen die Boote dahin, und Jonas, der einmal den Kopf hob, zu sehen, wo sie eigentlich wären, begriff gar nicht, wie ihre Sieger in der stockfinstern Nacht nur überhaupt einen Cours halten konnten. – Verfehlten sie aber das Land – ein Fleckchen Erde von wenigen Quadrat-Meilen in dem weiten Ocean – und hielten sie jetzt hinaus in die offene See, was sollte dann zuletzt aus ihnen werden?

So schäumten sie in toller Flucht durch die aufgerüttelten Wogen. Der Sturm hatte schon ausgetobt, und nur noch mattleuchtende Blitze am nordwestlichen Himmel verriethen, welche Bahn er genommen; die See ging aber nichts desto weniger noch hohl, und es erforderte die ganze Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit der Insulaner, ihre Fahrzeuge flott und unbeschädigt zu halten.

Die englischen Matrosen hatten dabei keine Ahnung, in welcher Richtung das Land lag, welche Richtung sie selber steuerten. Das vordere Canoe schien jedoch dieselbe anzugeben, und ein in kurzen Zwischenräumen dort ausgestoßener und langgezogener Schrei – der wie ein Weheruf über die Fluth schallte – hielt die verschiedenen Canoes zusammen. So viel entging ihnen aber nicht, daß der Wind ihnen nur wenig günstig sei, denn das Mattensegel war scharf angebraßt und die zu windwärts überschlagenden Wellen verriethen ebenfalls, daß sie so dicht wie möglich am Winde lägen, gegen die hohe See also schwerlich raschen Fortgang machen würden.

Stunde nach Stunde verging auch, und noch war ihnen keine Nacht im Leben so lang vorgekommen wie diese, die gar kein Ende nehmen wollte. Da plötzlich hallte ein wilder, jubelnder Ton über das Wasser, und als Jonas erstaunt den Kopf hob und danach aushorchte, herrschte in dem Augenblicke Todtenstille rings umher. Ihm selber aber war es, als ob er in der Ferne und zwar gerade voraus die Brandung hören könne, wie sie sich tosend über den Riffen dieser Inseln bricht; und als ob auch die Indianer diesem willkommenen Laute – dem Zeichen des nahen Landes – gelauscht, so brach jetzt donnernd ihr Jubelruf durch die Nacht.

Doch nicht allein der Brandung jauchzten sie entgegen, noch ein anderes, willkommneres Zeichen hatten sie erblickt, und zwar einen rothen Feuerschein, der mit seinem flackernden Licht zu ihnen herüber glühte. Das war das Zeichen des befreundeten Stammes auf Monui, der das Feuer auf einer der vorragendsten Bergkuppen entzündet und unterhalten hatte, den kühnen Schiffern als Leitstern zu dienen.

Auf dem vorderen Boot hatten sie es zuerst entdeckt, und in froher Lust stimmten die Häuptlinge, die sich im ersten Boot mit ihrem jungen Führer Tai manavachi befanden, den Siegesgesang ihrer Heimat an.

Kaum aber trug die Brise die geliebte Weise zu den anderen Canoes hinüber, als diese jauchzend einfielen und der donnernde Chor das rauschende Brechen der Wogen selber übertäubte.

Im Osten dämmerte dabei der Tag – immer breiter, immer lichter wurde der Streifen, und nur kurze Zeit noch verfloß, bis sie die düstern Umrisse des nicht mehr so fernen Landes deutlich vor ihrem Bug erkennen konnten.

Legs, so theilnahmlos er sich bis jetzt gegen alles gezeigt, was ihn umgab, hatte doch nicht umhin gekonnt, mit dem dämmernden Tag einen Ausguck zu halten. Kaum drehte er aber den Kopf herum, als er auch schon die zackigen Umrisse der nicht mehr fernen Küste am Horizont erkannte, und wieder in seine alte Lage zurückfallend, brummte er halb laut vor sich hin:

„Na ja – da sind wir wieder. Die rothen Canaillen müssen Nasen wie die Spürhunde haben, daß sie in der Nacht ihren Cours halten konnten – und jetzt freue dich, Benjamin, und steh bei den Fallen, denn ich will ein Landlubber sein, wenn ich nicht schon das Feuer rieche, an dem wir geschmort werden sollen. – Jonas! – he, Jonas! – schläfst du!“

„Schlafen?“ knurrte der Angeredete, „da soll einer auch schlafen, wenn diese rothen Heiden einen Spektakel machen, daß die Fische auf dem Grunde auseinander fahren. Mir ist überhaupt nichts weniger als schläfrig zu Muthe. Hörst du die Brandung?“

„Bah, schon seit einer halben Stunde,“ sagte Legs. „Wir werden gleich Anker werfen. Schildkröten und Seeschlangen, wie sich die guten Leute auf Monui freuen werden, uns wieder zu sehen.“

„Ja, kann ich mir etwa denken,“ brummte Jonas, „und so eine dürre Spiere, wie du bist, kann lachen! Die hat verdammt wenig dabei zu befürchten; aber wenn ich meine Rippen und Arme und Beine anfühle, ist mir's schon immer, als ob ich ausgenommen und mit heißen Steinen gefüllt und sauber in Bananenblätter eingepackt in einem von ihren verwünschten Backöfen schwitzte. Meine einzige Hoffnung ist nur jetzt noch die, daß ich vor lauter Gift und Galle ganz bitter schmecken und vollständig ungenießbar sein werde.“

„Na, ihr habt euch ja alle so schrecklich danach gesehnt, an Bord bleiben zu können,“ meinte Legs, „jetzt könnt ihr das Vergnügen genießen.“

„Und du wohl nicht?“ sagte Jonas, den Kopf rasch nach ihm hinumdrehend, – „aber meinetwegen,“ setzte er, wieder in seine alte Lage zurücksinkend, hinzu – „mir ist's recht, und, wenn sie uns nicht geradezu todtschlagen und auffressen, befinden wir uns dann am Ende noch immer besser hier, als auf dem blutigen Blubberkocher der Lucy Walker, die jetzt wenigstens ihre Thranfässer sicher auf Meeresgrund gelöscht hat.“

Erschreckt schaute er in die Höhe, denn wie er gerade aufsah, hing anscheinend dicht über ihnen eine mächtige Woge mit silberblitzendem Kamm, die im nächsten Augenblick über ihnen zusammenbrechen und ihr schwankes Fahrzeug rettungslos begraben mußte. – Aber die Woge blieb stehen, und der Jubel der Eingeborenen sagte ihm bald, daß es die Brandung gewesen sei, die über den Riffen ihre ewigen Sturzwellen thürmt – daß sie die Einfahrt in das glatte Binnenwasser glücklich erreicht, und nur noch kaum eine englische Meile von dem gestern Abends mit so ganz anderen Erwartungen verlassenen Lande entfernt seien.

Vom Ufer aus begrüßte sie auch schon das Jubelgeschrei der Wilden, die alle mit einander am Strande versammelt schienen, die glücklich und siegreich Heimgekehrten zu begrüßen.

Die gefangenen Matrosen hoben wohl die Köpfe und blickten dort hinüber, aber der Jubel galt ihnen nicht, das wußten sie recht gut, und mißmuthig, und Manche wohl mit ängstlich pochendem Herzen sanken sie in ihre früheren Stellungen zurück, die Landung und damit den Befehl zum Aufstehen zu erwarten.

Die Indianer, in deren Gewalt sie sich befanden, hatten sich übrigens die ganze Zeit entsetzlich wenig um sie gekümmert, und nur nicht gelitten, daß sie sich bewegten. Außerdem hatten die Gefangenen aber auch keine Ahnung, was aus ihrem Capitain und der übrigen Mannschaft geworden sein konnte. Ob die Wilden ihre Kameraden gefangen oder sämmtlich erschlagen und nur sie vielleicht für ein ganz besonderes Festmahl aufgespart hatten, oder ob sie von dem Schiff, dessen Schüsse sie gehört, gerettet worden – sie wußten's nicht und – kümmerten sich auch in der That nicht viel darum. In diesem Augenblicke hatte Jeder zu viel mit sich selber und seiner eigenen Haut zu thun, um besonders viel auf den Nachbar zu denken.

Von der frischen Brise getrieben, schossen die wackeren Canoes indeß dem Landungsplatze entgegen, und der Federschmuck, mit dem die hochgeschwungenen Buge geziert waren, flatterte lustig im frischen Winde. Jetzt formten sie sich in langer Reihe, das Boot ihres jungen Häuptlings mit Hua in seinen Armen voran, die anderen ihm folgend in wildem Jubel und mit Siegesliedern, und als die scharfgebauten Schnäbel den Corallensand berührten, da stießen die am Ufer versammelten Insulaner ein solches tolles entsetzliches Geschrei aus, daß die Luft ordentlich erbebte und die Gefangenen in banger Ahnung zusammenschauderten.

Inselwelt. Erster Band. Indische Skizzen

Подняться наверх