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El Comisario
Erstes Capitel.
Tomaco

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Die Grenze zwischen den beiden Republiken Neugranada und Ecuador an der Westküste Süd-Amerikas bildet der aus den Cordilleren mit wildem Ungestüm niederstürzende Fluß Mira – und auch wirklich nichts weiter, als die Grenze, denn erst ganz nahe der See, im flachen Land, ist es möglich, ihn mit Booten zu befahren. Weiter oben hat er einen viel zu steilen Fall, und riesige Felsblöcke, die er überall aus seinem Bett und von seinen Ufern losgerissen, machen die Passage selbst für Canoes gefährlich.

Durch die Gewalt, mit welcher er aus den Bergen kommt, und bei einer außerordentlich kräftigen Strömung durchriß er aber das niedere fruchtbare Land an verschiedenen Stellen, und bildete so einige kleine Inseln, von denen Tomaco die wichtigste, und ein wirkliches Miniaturparadies ist. Ein Paradies nämlich, was Scenerie und Vegetation betrifft, denn sonst sorgen die Bewohner dieser Republiken schon dafür, daß die paradiesischen Zustände in ihrem Lande nicht zu sehr an die alte Sagenheimath unserer Vorältern erinnern.

Ein vielleicht hundert oder hundertzwanzig Fuß hoher Felsen scheint den Kern der Insel zu bilden, an dem sich die Macht des Stromes in früheren Jahrhunderten brach, so daß dieser gezwungen wurde, sich rechts und links daran hin seine Bahn, dem Meere zu, zu suchen. Aber der fruchtbarste Boden deckt das alte Gestein und, ganz unähnlich ihren Nachbarn an der Küste, die zu faul sind, einen Fruchtkern in den Boden zu stecken, haben die Leute, die sich dort auf der kleinen Insel niederließen, einen wahren Garten aus ihr geschaffen, dessen Producte jetzt Käufer an der ganzen Küste finden.

Fortwährend legen dort kleine Schooner an, die von Guajaquil besonders Waaren und leider auch Getränke bringen, und, dafür mit Cocosnüssen, Bananen, Cherimoyen, Alligatorpears (aguacarta), Ananas und andern kostbaren Früchten beladen, wieder dorthin zurückkehren, oder ihre Fracht auch an den Zwischendörfern absetzen, und dafür Gummi oder Cacao einnehmen.

Im Anfang bestand die kleine Ansiedelung, die sich auf der Insel gegründet, nur aus wenigen Personen, die sich theils mit dem sehr bedeutenden Fischfang, theils mit dem Gartenbau beschäftigten. – Nach und nach siedelten sich mehr dort an, Kaufläden entstanden und Branntweinschenken; eine Brennerei wurde sogar auf der Insel selber angelegt, um das dort gezogene Zuckerrohr gleich an Ort und Stelle zu verwerthen, und der Verkehr wuchs so bedeutend, daß es sogar der kleine englische Dampfer, der seine regelmäßigen Fahrten zwischen Panama und Guajaquil macht, für vortheilhaft fand, dort anzulegen und so eine Postverbindung zwischen Tomaco und der übrigen Welt herzustellen.

Einen Alkalde wählten sich die Leute zwar noch immer selber und aus ihrer Mitte, und sie hatten bis dahin von den gar nicht seltenen Revolutionen Neugranadas eigentlich nur dann erst Kunde bekommen, wenn die Sache vorbei und für eine oder die andere Partei entschieden war. Wie sich der Wohlstand der Insel aber mehr und mehr hob, lenkte sie auch – keinen Falls zu ihrem Vortheil – die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich, und die Wichtigkeit ihres Besitzes stellte sich mehr und mehr heraus, als auch das unmittelbar daran stoßende Ecuador Oberhoheitsrechte über Tomaco beanspruchte.

Trotzdem hatte man in der letzten Revolution, die Mosquera gegen die bestehende Regierung anzettelte, noch sehr wenig von den Lasten des Krieges gefühlt, und einzelne Familien zogen sich sogar aus dem, den ewigen Streifcorps beider Parteien preisgegebenen Bogota hierher zurück. Aber dieser Friede sollte nicht lange dauern, denn während südlich von ihnen in Ecuador der Mulattengeneral Franco die Fackel der Empörung in ein ruhiges Land schleuderte und seine Macht mit gemietheten Banden eine kurze Zeit aufrecht hielt, rüstete Mosquera im Norden ein paar kleine Schiffe aus, um auch die Küstenplätze des Reiches zu besetzen, während er mit seinen Truppen das Innere durchzog und mit wechselndem Glück bald Bogota, die Hauptstadt, einnahm, bald wieder daraus vertrieben wurde. An eine Vertheidigung derselben dachte man nie. – Welche Partei gerade die stärksten Banden hatte, rückte ein, und die andere zog indessen ab, um größere Verstärkung zu bekommen.

Ob Mosquera siegte oder besiegt wurde, unruhige und beunruhigende Gerüchte zuckten überall an der Küste auf und ab, und ließen die Eingeborenen, die nicht das geringste Interesse an dem endlichen Ausgang des Kampfes hatten, ihres Lebens sich nie freuen. Was lag ihnen daran, ob ihr Präsident Mosquera oder sonst wie hieß? Sie bekamen ihn auf Tomaco doch nie zu sehen, und selbst zu Ecuador hätten sie sich mit der größten Gleichmüthigkeit schlagen lassen, wenn sie weiter keinen Nachtheil hatten.

Aber es ist eine alte Geschichte, daß weder in Republiken noch Monarchien das eigentliche Volk selber eine Revolution macht, sondern im Gegentheil dazu überredet werden muß. Der materielle Druck einer Regierung wirkt nie so unerträglich, treibt nie so rasch zum Aeußersten, wie der geistige, den das eigentliche Volk nicht so leicht fühlt.

Auch Mosquera's Regierung würden sich die Einwohner von Tomaco mit Vergnügen unterworfen haben, so weit es nämlich die unteren Classen, die Fischer und Ackerbauer betraf, denn sollten sie sich etwa, eines Namens wegen, widersetzen und ihre Netze und Boote, ihre Anpflanzungen und Gärten preisgeben? – Aber in Tomaco befand sich ein unter der alten Regierung gewählter Alkalde, ein Postmeister, ein Steuereinnehmer – lauter Leute, die allerdings in bloßen Füßen und Kattunhemden in der Welt herumliefen, aber trotzdem eine Stellung zu verlieren hatten. Sie stützten mit ihrem Anhang das alte Regime, während die hierher geflüchteten Neu-Granadienser Alles thaten, was in ihren Kräften stand, um gegen Mosquera und die Umsturzpartei zu wirken. Es wurde ihnen das um so leichter, als Mosquera in dem Verdacht stand, eine Militärherrschaft gründen zu wollen, und das war die verhaßteste von Allen, denn die jungen Leute fürchteten, nicht mit Unrecht, ausgehoben und in das innere, ungesunde Land geschleppt zu werden.

Kurz, Mosquera schien in Tomaco, wenn man die Bevölkerung hätte wollen über ihn abstimmen lassen, wenig Aussicht auf Erfolg zu haben. Desto größer war die Beunruhigung der Leute, als der kleine Dampfer, die »Anna«, eines Tages die Kunde mit nach Tomaco brachte, daß Mosquera Buenaventura besetzt habe, und zwei »Kriegsschiffe« schon von dort ausgelaufen seien, um die südlicher liegenden Küstenstädte ebenfalls dem »neuen Präsidenten« zu unterwerfen. Sie hatten wenigstens Buenaventura schon verlassen, als die Anna dort anlief, wenn es auch noch eine Weile dauern konnte, bis sie hierherzu aufkreuzten, da ihnen Wind, wie Strömung an der Küste fortwährend entgegen waren.

Wie ein Lauffeuer zuckte diese Schreckenskunde über die Insel und die Bewohner schienen gar nicht an Widerstand zu denken, bis ein Franzose, der dort eine Art von Hôtel oder Branntweinwirthschaft mit einem Kaufladen hielt und außerdem noch herüber und hinüber speculirte, der Unschlüssigkeit ein Ende machte, und von seinem Ladentisch aus den Einwohnern auseinander setzte, daß sie sich vertheidigen und ihre Freiheit bewahren müßten.

Der Mann sprach jedenfalls als Fremder unparteiisch, denn daß er ein Dutzend alte Musketen und ordinäre, schon halb verrostete Flinten auf Lager hatte, und außerdem Pulver und Munition führte, wovon er in ruhigen Zeiten außerordentlich wenig absetzte, konnte ihn kaum dazu bewogen haben, seinen Mitbürgern einen solchen Rath zu geben. Nichtsdestoweniger versäumte er keine Zeit, um die genannten Kriegsinstrumente, so rasch es anging, wenigstens von außen, wieder etwas in Stand zu setzen und den Rost zu entfernen. Was er an sonstigen Waffen: Pistolen und Messern, besaß, wurde ebenfalls vorgesucht, um zur Schau auf seinem Ladentische auszuliegen.

Unterdessen wirkte das ausgestreute Gift. In seinem Laden sammelten sich vorzugsweise die Müßiggänger der Stadt, um bei einem Glase Aguaardiente oder süßen Liqueurs, den sie sehr gern tranken und den Monsieur Renard so schlecht als theuer führte, ihre zukünftige Haltung zu besprechen. Sie wollten sich zu einem Entschluß hinaufarbeiten, der aber – wie die Meisten recht gut wußten – im letzten und entscheidenden Augenblick doch unausführbar war.

Welchen Widerstand hätten sie einer bewaffneten Macht bieten wollen? Ein einziger Raketenschuß würde ihre ganze aus Bambus und Schilfdächern erbaute kleine Stadt in Brand gesteckt haben. Befestigungen gab es gar nicht – die Straßen lagen sämmtlich offen, feindliche Boote konnten in der Fluthzeit fast an jedem Theile der Insel landen. Dazu war die Bevölkerung fast waffenlos und, wenn sie auch Waffen gehabt hätte, ungeübt in dem Gebrauch derselben. Alle Vernunftgründe sprachen deshalb dafür, etwas, das man doch nun einmal nicht ändern konnte, ruhig über sich ergehen zu lassen, noch dazu, da es ihnen nicht einmal Nachtheil bringen konnte. – Aber der Branntwein! Sobald die Köpfe erregt waren, fingen die Leute an, welche ihre jetzige Regierung ebenfalls nur dem Namen nach kannten, patriotisch zu werden, und eines Tages, ehe es dunkel wurde, hatte Louis Renard seine sämmtlichen alten Musketen an den Mann gebracht, sogar seine eigene und letzte, ziemlich gute Doppelflinte verkauft und mit seiner Munition so weit aufgeräumt, daß ein neuer Auftrag nach Guajaquil oder Panama nöthig wurde.

Am nächsten Morgen waren die Bewohner von Tomaco auch schon mit Tagesanbruch munter, und Kundschafter erkletterten den Felsen, um von dort aus einen besseren Ueberblick über die See zu gewinnen, und etwa ansegelnde Fahrzeuge augenblicklich signalisiren zu können. Ueberhaupt befand sich die Stadt in einer ziemlichen Aufregung, da sich zu gleicher Zeit eine Art von Miliz gebildet hatte, die freilich nur in der einen Hinsicht uniform war, daß sämmtliche »Soldaten« ohne Uniform erschienen. Auch zwei kleine Kanonen wurden vorgesucht, die der Postmeister einmal von der »Anna« erstanden hatte, wo man sie gebraucht, um Signalschüsse zu geben. Natürlich fehlte es an Kugeln dazu, die sich aber durch kleine Stücke gehackten Bleies ersetzen ließen, und es sah in der That so aus, als ob die Stadt entschlossen wäre, ihre »heiligen Rechte« bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen – aber es sah auch nur so aus.

Die Leute exercirten allerdings den ganzen Vormittag und als die Seebrise mit dem nahenden Abend das Land bestrich, begannen sie noch einmal, und die Meisten hatten sich schon gemerkt, was Links und Rechts war. Als indeß der ganze Tag verlief, ohne daß sich ein feindliches Segel blicken ließ, und am nächsten und nächstfolgenden Mosquera's Flotte immer noch auf sich warten ließ, erkaltete der Eifer, und man fing an, seinen gewohnten Beschäftigungen wieder nachzugehen. Sie mußten das ja auch, wenn sie überhaupt leben wollten, denn wer denkt in diesem Klima daran, sich Vorräthe von dem anzulegen, was er gerade braucht! An der Insel lagen ein kleiner Schooner und zwei Wallfischboote, die angelaufen waren, um Früchte zu kaufen; diese mußten ihre Ladung bekommen, und die Fischer durften ebenfalls nicht länger müßig liegen, denn Alles murrte, daß kein einziger frischer Fisch im ganzen Orte zu finden war.

Man tröstete sich sogar damit, daß die ganze Flottengeschichte nicht wahr sei. Der liebe Gott wüßte, welches Märchen man den Leuten von der Anna in Buenaventura aufgebunden hatte. Mosquera dachte wahrscheinlich gar nicht daran, sie in ihrem abgelegenen Fischerdorf zu belästigen, und ihre Vorsichtsmaßregeln waren unnütz gewesen – hatten aber freilich nur jenen leichtsinnigen Menschen Schaden gethan, die sich verleiten ließen, so Hals über Kopf Schießwaffen und Munition zu kaufen. Was sollten sie jetzt mit den alten Schießeisen anfangen?

In einem neugebauten Haus, das sich durch die noch nicht wettergebräunten Tragestämme und das helle, frische Dach deutlich von den anderen unterschied, auch auffallend sauberer gehalten war und oben, statt der sonst gewöhnlich halb oder ganz fehlenden Seitenwände, neue Bambusseiten zeigte, deren regelmäßig eingeschnittene Fenster mit einer dort gebräuchlichen Art von Bambusjalousien verhangen waren, wohnte ein Señor Ramos mit seiner Familie, der vor etwa drei Monaten mit seiner Frau, einem Kinde und zwei schwarzen Dienstleuten hierher übersiedelte, gleich nach seiner Ankunft den Platz kaufte und das Haus darauf baute.

In jenen glücklichen Ländern nämlich braucht man zu einem Hausbau keine Maurer, Zimmerleute, Tischler, Dachdecker, Tüncher, Glaser, Schlosser, Tapezierer und wie die schrecklichen Menschen alle heißen, die einem Bauherrn das Leben bis in das innerste Herzblut hinein vergiften, so daß er tagtäglich das Bauen auf ewige Zeiten verschwört. Wer sich ein »Haus« bauen will, accordirt dasselbe mit einem Eingeborenen, der sich entweder von seiner eigenen Familie helfen läßt, oder ein paar Nachbarn zur Arbeit nimmt, dann werden die dazu nöthigen Stämme im Walde frisch gefällt, Einer spaltet die jungen Palmen, die zu Boden oder Wänden benutzt werden sollen, indem man sie einhackt und ausbreitet, ein Anderer holt das Schilf oder die Palmenblätter zum Dach und schnürt sie mit Bast in Büschel zusammen. Wenn einmal die Löcher gegraben sind, in welche die Pfähle zu stehen kommen, die den oberen und einzigen Stock tragen sollen, so ist auch das Haus in einer einzigen Woche fertig, und kann bezogen werden. Die Häuser stehen dort alle auf Pfählen. Es ist das viel gesünder und luftiger und auch des vielen Ungeziefers wegen nöthig, das sich unten auf dem Boden weit zahlreicher einfinden würde. Nur in den kleinen Städten haben die Kaufleute ihre Läden unten, indem sie einen Palmen- oder Bambusverschlag um die unteren Stämme machen, aber auch sie wohnen oben. Ueberhaupt würde es Niemandem einfallen, auf der feuchten Erde zu schlafen, wenn er sich nicht gerade draußen im Wald befindet, und dazu gezwungen ist.

Señor Ramos muthete das nicht einmal seinen Dienstleuten zu, sondern setzte noch ein kleines Nebenhaus für diese an, das zwar seine besondere Leiter hatte, mit dem Hauptgebäude aber im ersten Stock durch einen schmalen und schwanken Bambussteg verbunden war, der Abends durch eine vorgebundene und mit einer Matte bedeckte Gitterthür von dem nämlichen Material abgesperrt wurde.

Señor Ramos mußte – wenn die Vermuthung der Leute von Tomaco richtig war – ein sehr reicher Mann sein, denn er arbeitete nicht allein Nichts – das thaten sehr Viele in Tomaco – er verkaufte auch Nichts, und bezahlte Alles, was er brauchte – wenn das auch nicht viel war – baar und in blankem Silber. Er verließ auch sein Haus nur sehr selten, schrieb aber dort fleißig, und nur, wenn der englische Dampfer kam, fuhr er mit dem Capitän an Bord zurück, blieb dort, bis das kleine Fahrzeug wieder zu arbeiten anfing, und kehrte nachher in seinem eigenen Canoe, das sein Neger ruderte, an Land und in sein Haus zurück.

Er war, wie man recht gut wußte, ein Feind Mosquera's und ein getreuer Anhänger der Regierung von Panama, denn er hatte, als er hierher zog, kein Hehl daraus gemacht. Trotzdem kaufte er sich weder bei Señor Renard eine von dessen alten Musketen, noch exercirte er mit in der Sonne am Strand, und als ihn der Postmeister direct dazu aufforderte, sich an der Nationalvertheidigung zu betheiligen, meinte er, er könne schon exerciren, und wenn es wirklich zum Kampf käme, würde er neben dem Postmeister fechten, – eine Sache, die der Postmeister – allerdings aber nur im Stillen – für sehr unwahrscheinlich fand, denn er selber war noch gar nicht mit sich einig, ob er es soweit würde kommen lassen.

Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

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