Читать книгу Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band. - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 5

El Comisario
Viertes Capitel.
Die Einnahme von Tomaco

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Draußen in See hatte indeß die Mannschaft mit großer Spannung dem Erfolg des Parlamentairs entgegengesehen, denn dieser gab ja die Entscheidung, ob sie die vor ihnen liegende Insel ruhig besetzen oder sie erst nach einem vielleicht harten und blutigen Kampfe erobern sollten.

Und eine wunderliche Mannschaft war es in der That, welche die Decks der kleinen Fahrzeuge füllte. Besonders der Schooner, eigentlich das stärkere Schiff von den beiden, zeichnete sich darin aus, denn zusammengeleseneres Volk ließ sich kaum auf der Welt denken. Nicht ein Mann sah aus wie der andere oder hatte auch nur das geringste Seemännische in seinem Wesen. Schmutzig, abgerissen, nicht einmal in ihrer Hautfarbe gleich, die vom tiefen Schwarz des Negers bis zu der braunen Haut des Halbindianers alle verschiedenen Schattirungen zeigte, räkelten sie sich und lagen über Deck, und die drei oder vier Europäer dazwischen schienen einer ganz anderen Welt anzugehören.

Besonders der Steuermann, ein Engländer, und wie alle englischen Seeleute sauber und adrett gekleidet, sah mit unbeschreiblicher Verachtung auf den Troß hinab, als er jetzt oben auf dem Quarterdeck, sein Telescop in der Hand, die Befehle des Capitäns, eines Neu-Granadiensers, erwartete.

Aber die Schiffe wenigstens paßten zu der Mannschaft, denn wenn man ihnen von außen auch erst kürzlich einen frischen Ueberzug von Oelfarbe gegeben hatte, so konnte das doch den Augen eines Kundigen die alten Schäden nicht verbergen, die sich nicht übertünchen ließen. Selbst der Hauptmast war geflickt und die Segel schienen nur aus einzelnen Lappen zusammengesetzt zu sein – die meisten Taue bestanden aus zusammengedrehter roher Haut und aus dem Deck selber hatte Alter oder lange Benutzung schon ganze Spähne herausgefressen, daß es gar nicht mehr ordentlich gescheuert werden konnte. Ueberhaupt sah das ganze Fahrzeug genau so aus, als ob es eine einzige tüchtige See rettungslos in den Grund waschen müsse, während der untere Raum, in dem die Besatzung schlief und aß, gar keine Beschreibung zuließ.

Allerdings hatte der Steuermann versucht, in diese Wirthschaft Ordnung oder doch wenigstens Reinlichkeit zu bringen, aber vergebens. Die ganze Mannschaft trat gegen ihn auf, und da ihn der Capitän in seinen Bemühungen nicht im Geringsten unterstützte, ja seinem Cajütenjungen sogar gestattete, daß er die Cajüte in einem ähnlichen Zustande hielt, so ließ er es endlich gehen; was sollte er sich auch mit den Land-Lubbern die Schwindsucht an den Hals ärgern?

Jetzt kam das Boot zurück.

»Wie die Kerle nur rudern!« brummte er leise vor sich hin. »Ein Heidenglück, daß hier kein Mensch einen Begriff davon hat, wir müßten uns zu Tode schämen mit unserer Bande. Hol' sie der Henker!«

Und er spuckte dabei seinen Tabacksaft mit einem wahren Ingrimm in's Meer hinein.

Das Boot kam indeß näher und der Capitän – oder Almirante, wie er sich stolz nennen ließ – hatte schon ungeduldig mit seinem Fernrohre hinüber gesehen. Der Offizier, der jetzt im Boot aufgerichtet stand, schüttelte die emporgehobene Hand zum Zeichen der Verneinung, und leise vor sich hinfluchend rief der Neu-Granadienser:

»Nun, Señores, wenn Ihr es denn nicht anders haben wollt, so kann ich Euch nicht helfen! – Señor Culpepper,« wandte er sich dann an den Engländer, »geben Sie den Befehl, daß die Kanonen scharf geladen werden, wir wollen den Herren da am Ufer, sowie wir etwas näher hinan kommen können, die in Buenaventura aufgetragenen Grüße bringen.«

Señor Culpepper zerbiß eine Verwünschung zwischen den Zähnen und ging nach vorn, denn was auf einem wirklichen Kriegsschiffe nur durch den Befehl und die Pfeife des Bootsmannes beordert wird, mußte er selber überwachen, und vielleicht auch mit Hand anlegen, wenn er es gethan haben wollte.

Indem stieg eine schmächtige hagere Gestalt in einem blauen Rock mit blanken Knöpfen und straff anliegenden schwarzen Haaren, einen kleinen Panamahut auf dem Kopf, an Deck, wo ein paar Matrosen eben beschäftigt waren, das Sonnenzelt aufzuspannen. Der Neuheraufgekommene aber, wenn er auch selbst vom »Almirante« mit großer Achtung behandelt wurde, hatte kein angenehmes Aeußere. Die gelbe Hautfarbe seines Gesichts trug eine Menge bläulicher Flecke, beinahe als ob er einmal einen Schrotschuß auf den Kopf bekommen hätte, und wenn er auch nicht gerade schielte, hatte das eine Auge doch – was man im gewöhnlichen Leben so nennt – einen falschen Blick. Dabei ging der Mann immer ein wenig gebückt und sah wie lauernd und mißtrauisch um sich her.

An Bord unter den Leuten hieß er gleich vom ersten Tage an »die Ratte«, wenn er auch einen ziemlich hohen Posten zu bekleiden schien und von den Officieren gewöhnlich Señor Comisario genannt wurde – was kümmerte das die Mannschaft? – an Bord hatte er ihnen doch Nichts zu befehlen.

»Nun, wie ist es?« fragte er, sowie er das Deck betrat und den lauernden Blick umherwarf. – »Das Boot noch nicht zurück?«

»Dort kommt es eben langseit,« sagte der Seemann. »Wir müssen, wie ich merke, Gewalt brauchen.«

»Dann lassen Sie das Nest in Grund und Boden zusammen schießen, Señor Almirante!« rief der Commissair, während seine Augen ein unheimliches Feuer annahmen. »Die Canaillen haben es nicht besser verdient, und wenn wir an der Küste einmal ein solches Exempel statuiren, so erspart uns das eine Menge Mühe vielleicht für andere Plätze.«

»Wenn es nicht sein muß,« sagte der Seemann kopfschüttelnd, »so möchte ich es gerade bei Tomaco nicht gern thun. Es ist einer der betriebsamsten Orte Neu-Granadas.«

»Rebellisches Gesindel!« rief der Commissair im Eifer. »Ich kenne sie von früher her und besser als Sie glauben. Verrätherisches Pack die ganze Bande, und seien Sie versichert, daß ich jede Maßregel vertrete, die Sie gegen dies Volk in Anwendung bringen.«

Der Seemann erwiderte nichts darauf, denn der ausgesandte Parlementair stieg eben an Bord und machte seine Meldung.

»Und haben Sie erfahren, ob ein Señor José Ramos hier in Tomaco lebt?« unterbrach ihn der Commissair, ehe er seinen Bericht ganz vollendet hatte.

»Señor,« sagte dieser, »ich hatte an Land mehr zu thun, als mich nach einzelnen Persönlichkeiten zu erkundigen. Der Zeitpunkt war gerade nicht besonders passend.«

»Aber Sie haben doch wenigstens Jemanden von dort mitgebracht, der uns nähere Auskunft geben könnte!« rief der Commissair, indem er einen giftigen Blick nach dem jungen Mann schoß.

»Wir waren froh, daß wir uns selber wieder fortbrachten,« erwiderte dieser, »denn die Stimmung schien eine sehr aufgeregte zu sein. Uebrigens haben sie dort drüben im Sande Schanzen aufgeworfen und dieselben auch wahrscheinlich mit Kanonen armirt, wenn ich das von dort, wo ich mich befand, auch nicht ganz deutlich erkennen konnte.«

»Was für Kanonen werden sie hier am Lande haben!« sagte der Capitain verächtlich. – »Unsere Zwanzigpfünder sollen da schon ganz anders mit ihnen sprechen. Wie steht es mit der Fluth, Señor Culpepper?«

»Fängt eben an zu steigen, Señor,« lautete die Antwort – »vor drei Stunden dürfen wir aber nicht daran denken, die Anker zu lichten, denn wenn wir hier auf dem Sande festfahren, und sie haben wirklich so ein Ding wie ein Geschütz am Land, so können sie mit uns machen was sie wollen.«

Der Capitain erwiderte nichts, sondern ließ sein Boot bemannen und ruderte nach der Galeotte hinüber, während der Commissair, seine Nägel beißend, an Deck auf und ab ging und nur manchmal das Telescop aufnahm, um zu beobachten, was da drüben am Lande vorging.

Indessen schlenderte der Steuermann wieder über Deck, damit dort – soweit das möglich war – Alles in Ordnung gebracht würde, wenn es wirklich zu einem Kampf kommen sollte. Vorn am Gangspill lehnte ein anderer Europäer – ein junger Franzose, der den Posten eines master at arms bekleidete. Er hatte beide Arme auf das Gangspill gelehnt, stützte sein Kinn darauf und blickte in tiefem Sinnen nach dem Lande hinüber.

»Nun Bill,« sagte Mr. Culpepper zu ihm, indem er neben ihm stehen blieb und ihm auf die Schulter klopfte, »worüber denkt Ihr nach?«

»Ich, Sir?« sagte der Franzose, der ziemlich gut englisch sprach, denn er hatte lange in Canada gelebt, und schien auf der See daheim zu sein. Er war reinlich und ganz matrosenartig gekleidet, was man von der übrigen Gesellschaft nicht sagen konnte – »ich überlege mir eben, daß es eine verdammt viel bessere Beschäftigung wäre, da drüben auf dem Rücken unter einer Cocospalme zu liegen, als hier mit einer nichtswürdigen Bande von Land-Lubbern sich zu Schanden zu ärgern. Ich habe das Leben hier bis an den Hals satt.«

»Ich wohl nicht, Camerad?« lachte der Engländer mit einem leisen Fluch. – »Aber was kann's helfen? Heute bekommen wir wenigstens einmal Abwechselung in die Wirthschaft und ich kann Euch sagen, daß ich neugierig bin, wie sich unsere tapferen Neu-Granadienser im Feuer benehmen werden.«

»Im Feuer?« sagte der Franzose verächtlich. – »So lange sie nicht fortlaufen können, werden sie natürlich Stand halten. Uebrigens geb' ich Euch mein Wort, daß es hier an Bord gefährlicher ist, hinter einer von unseren alten Kanonen zu stehen, wie davor, denn ich möchte nicht dabei sein, wenn sie abgefeuert werden.«

Der Engländer lachte laut auf.

»Und habt Ihr sie nicht selber heute zu dem Zwecke geladen?«

»Bah!« sagte der Franzose. – »Die sind schon oft geladen, aber noch nie abgeschossen worden – so lange ich wenigstens an Bord bin – und so lange ich an Bord bin, werd' ich es auch zu vermeiden suchen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Wird aber diesmal nicht gehen,« schmunzelte der Engländer, »denn die Ratte scheint eine ganz besondere Wuth auf das Nest da drüben zu haben, und kann die Zeit nicht erwarten, wo der Befehl zum Feuern gegeben wird.«

»Die Ratte soll – zu Grase gehen,« brummte Bill durch die Zähne. »Ich möchte nur wissen, was der hier schon einmal ausgeheckt hat, daß er so wüthend auf den Ort ist. Habt Ihr je ein freundlicheres Plätzchen in der Welt gesehen, Mate?« fuhr er fort und deutete mit dem Arm nach der reizenden Insel hinüber. – »Kann es etwas Pittoreskeres geben, als jenen alten grauen Felsen mit den Palmen am Fuße, seiner hellgrünen Zuckerrohr-Mantille und den prachtvollen, breitblätterigen Bananen oben auf dem Gipfel? Wie friedlich könnten die Menschen hier leben – und leben auch so, wahrscheinlich – wenn wir sie mit unserer verwünschten Politik in Ruhe ließen und die »Ratte«, statt sie hier an's Land zu setzen, einfach im Canal ersäuften.«

Der Engländer lachte leise vor sich hin und ging wieder nach hinten, wo er jetzt, da die Fluth schon scharf einsetzte und der Bug vom Land abgedreht lag, einen besseren Ueberblick über die Insel hatte. Der Capitain kam ebenfalls zurück und die Mannschaft wurde zum Essen gerufen, um völlig bereit zu sein. So rückte etwa drei Uhr heran – das Wasser war bedeutend gestiegen, und da der Commissair ebenfalls unablässig drängte, um an Land zu kommen, gab der »Admiral« endlich den Befehl, die Anker wieder zu lichten und aufzusegeln.

»Fertig zum Feuern!« lautete dabei der Befehl. Es schien wirklich Ernst zu werden, und der master at arms wurde auf das Quarterdeck befohlen.

»Lassen Sie Ihre Leute bei den Kanonen stehen, Sir,« redete ihn hier der Capitain an, »und beim ersten Schuß, der vom Lande her fällt, geben Sie eine Salve – eine ganze Breitseite (es waren drei Kanonen an jeder Seite) und zielen Sie gut.«

»Sehr wohl, Señor Almirante,« sagte der Franzose, mit der Hand an der Mütze, »aber – wollen Sie mir eine Bemerkung erlauben?«

»Was ist da noch zu bemerken?« fragte der Capitain scharf.

»Weiter nichts,« bemerkte der Franzose, »als daß der Schooner das Abfeuern der Kanonen nicht aushält. Sie sind zu schwer für uns.«

»Mit dem Bedenken kommen Sie jetzt, im entscheidenden Augenblick?« fuhr der Capitain auf.

»Señor,« erwiderte der Mann ruhig, »als ich in Buenaventura der kleinen Prügelei wegen von den Behörden eingesteckt wurde und die Wahl bekam, zwei Monate in einer wahren Pesthöhle von Gefängniß zu sitzen, oder an Bord dieses Kriegsschiffes zu gehen, hatte ich mit der Armirung desselben nichts zu thun. Jetzt haben Sie mich zum Geschützmeister gemacht und es ist meine Schuldigkeit, Sie vor der Gefahr zu warnen.«

»Sie wollen mir doch nicht sagen,« rief der Admiral, »daß wir nicht wagen dürften, einen Schuß zu thun!«

»Allerdings,« erwiderte mit unzerstörbarer Ruhe der Franzose. »Ich habe den Schooner genau untersucht – die Planken und Rippen sind so morsch, daß Sie in keinem anderen Wasser damit fahren könnten, wie gerade hier – sie halten nur noch bei ruhiger Fahrt aus reiner Gefälligkeit zusammen. Ich weigere mich übrigens nicht, zu feuern. Geben Sie den Befehl, und Sie sollen sehen, daß Ihre Geschützstücke ordentlich bedient werden. – Ich kann schwimmen und wenn der alte Kasten auseinander geht und die Kanonen nicht platzen, so hoffe ich an Land zu kommen. Daß wir aber heute Abend, wenn wir nur eine einzige Breitseite abfeuern, die Wand bersten, und eine Stunde später voll Wasser laufen, darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort« – und seine Mütze lüftend drehte er sich ab und ging wieder ruhig auf seinen Posten.

Der Capitain blieb in einer höchst unbehaglichen Stimmung zurück und auch der Commissair war ein sehr bestürzter Zuhörer der Unterredung gewesen, denn er hatte bis jetzt einen ganz anderen Begriff von ihrer Marine gehabt. Sank das Schiff wirklich, so war er verloren, denn er konnte nicht schwimmen, und ob sie in einem Boot freundlich an der Küste empfangen würden, bezweifelte er sehr.

Der Engländer wurde jetzt gerufen, um seine Meinung über die Sache zu hören, aber er zuckte die Achseln. Der Franzose war, wie er bestätigte, gelernter Schiffszimmermann, und hatte ihn schon ein paar Mal auf den wahrhaft traurigen Zustand der Schiffshölzer aufmerksam gemacht. Er traute selber nicht und wenn sie seinem Rath folgen wollten, so hielten sie mit Schießen wenigstens so lange als möglich zurück. Der Schooner macht jetzt schon so viel Wasser, daß sie auf jeder Wacht eine volle Stunde pumpen müßten, und ihn dann noch nicht einmal frei bekämen. – Wenn sich durch Erschütterung des Feuerns die Hölzer noch mehr lösten, stünde er für nichts. – Uebrigens könne er auch schwimmen.

Und damit spuckte er sein Priemchen über Bord und schnitt sich ein frisches ab, während der Schooner, von der Galeotte dicht gefolgt, mit der jetzt einsetzenden Seebrise rasch seinem Ziele entgegenlief und einem Kampfe, sobald er vom Lande aus begonnen wurde, nun schon gar nicht mehr ausweichen konnte. Gegen diese Brise und die starke Strömung der einsetzenden Fluth wären die erbärmlich segelnden Fahrzeuge gar nicht im Stande gewesen, die offene See wieder zu erreichen.

Der »Almirante« befand sich in Verlegenheit, denn es kann ja nichts Fataleres für den Befehlshaber eines Kriegsschiffes geben, als zu hören, daß die Kanonen, die zu dem besonderen Zwecke an Bord geschafft wurden, um damit zu schießen, nicht abgefeuert werden dürften, wenn man nicht befürchten wolle, nicht etwa Schaden nach außen anzurichten, sondern das eigene Fahrzeug zu ruiniren. Wer weiß auch, was er gethan hätte, wenn gerade Ebbe gewesen wäre und ein günstiger Wind ihm irgend eine andere Bewegung erlaubt hätte, als die, vorwärts zu segeln. So aber befand er sich genau in der Lage eines Cavalleristen, dessen Pferd mit ihm, angesichts der feindlichen Reihen, durchgeht, und zwar gerade auf die Feinde zu. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als zu thun, als ob er das Pferd noch selber regiere und lenke, und nur aus rasender Tapferkeit zu diesem tollkühnen Angriff getrieben werde. Er war auch mit sich einig, denn wenn wir zu einem Entschluß gezwungen werden, ist es nicht schwer, ihn zu fassen.

Jetzt befand man sich der im Sande eingegrabenen Batterie gegenüber. Deutlich konnte man schon die dort am Ufer durcheinander laufenden Soldaten erkennen und der Capitän bemerkte mit seinem Glas, daß sie wirklich mit einem Gegenstande, der einer Kanone ähnlich sah, beschäftigt waren. Es dauerte auch nicht lange, so folgte ein Blitz, dann eine kleine weiße Rauchwolke und während der Schuß zu ihnen herüberdröhnte, sprangen die Leute alle nach dieser Seite des Fahrzeugs, um zu sehen, welche Richtung die Kugel nehmen würde. – Aber keine Kugel kam. Dicht am Ufer spritzte das Wasser allerdings an ein paar Stellen auf, das war aber wenigstens hundert Schritt vom Schiff selber entfernt und nicht einmal in der Richtung, sondern viel weiter nach hinten. Uebrigens erfolgte kein Befehl einer Erwiderung an Bord. Die Leute standen mit brennenden Lunden neben ihren Kanonen, aber sie schossen nicht, und mit wahrhaft majestätischer Ruhe glitten die beiden Fahrzeuge, die zu wenig Tiefgang hatten, um bei steigender Fluth ein Auflaufen zu fürchten, an den so mühsam aufgeworfenen Schanzen vorüber und gerade auf die Stadt zu, bis sie, dieser gegenüber, plötzlich auf ein gegebenes Signal die Segel lösten und die Anker niederrollen ließen. Kaum zwei Minuten später schwang ihr Bug mit der Strömung herum und beide zeigten jetzt der Stadt die drohenden Seiten, mit denen sie jeden Moment den Angriff beginnen konnten.

»Und was wollen Sie thun?« fragte der Commissair ängstlich, als der Capitän sein Boot beorderte, um selber an das Land zu fahren. »Uebereilen Sie um Gotteswillen nichts, daß Sie Ihre Schiffe nicht gefährden.«

»Haben Sie keine Angst,« sagte der Seemann mit einem verächtlichen Lächeln. – »Es wäre ja Schade um das Material. Uebrigens kenne ich meine Landsleute und hoffe das ohne Blutvergießen durchzusetzen was wir durch unsere Kanonen erreichen wollten. Dann werden Sie mir erlauben, nach Buenaventura zurückzukehren und dort diese kostbaren Fahrzeuge der Obhut Sr. Excellenz wieder zu überliefern.«

»Von Herzen gern, von Herzen gern, Almirante,« rief der Commissair rasch. »Auch hoffe ich, Ihnen dann einige wichtige Gefangene mitzugeben. Meine Kundschafter, die mir meldeten, daß Señor Ramos mit seiner Familie nach Tomaco geflüchtet sei, und jetzt hier gegen Mosquera agitire, können sich nicht geirrt haben und dann war unsere Reise nicht umsonst, denn ich gebe Ihnen mein Wort, daß dieser Ramos der gefährlichste und schlimmste Agitator in ganz Neu-Granada ist.«

»Veremos!« erwiderte der Capitän trocken und stieg in sein Boot hinab, mit dem die Leute schon seiner warteten. Er nahm nicht einmal eine weiße Fahne mit, sondern steuerte das Boot direct auf eine sich am Strand sammelnde Menschengruppe zu, weil er an der Stelle ziemlich richtig den besten Landungsplatz vermuthete. Zu gleicher Zeit sah er, wie die an den Sandschanzen aufgestellte Mannschaft im Sturmschritt mit ihren beiden kleinen Kanonen herbeieilte, um – wenn nöthig – vielleicht den Landungsplatz zu vertheidigen, denn daß sie gegen die Schiffe selber mit ihren Geschützen nichts ausrichten konnten, hatten sie wohl bei dem ersten Mal Feuern bemerkt.

Der Alkalde erwartete ihn schon, und diesmal fest entschlossen, sich durch den Postmeister nicht wieder das Wort vor dem Mund wegnehmen zu lassen. Er trat auch dem Capitain, sowie dieser an's Land sprang, entgegen und sagte, indem er ihm die Hand reichte und schüttelte:

»Buenos Dias, Señor! – Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen. Können Sie uns vielleicht Aufklärung geben, zu welchen Zweck Sie hier Ihre beiden Schiffe vor unserer Stadt geankert haben?«

Ein leises Lächeln flog über die Züge des Seemannes, als er antwortete:

»Mit weit größerem Rechte, mein verehrter Señor, könnte ich Sie fragen, weshalb Sie auf ein paar Schiffe Ihres eigenen Landes, die einen Hafen ihres eigenen Territoriums besuchen, feuern lassen. – Bitte, unterbrechen Sie mich nicht. Wäre ich Ihnen wirklich feindlich gesinnt, was hinderte mich, furchtbare Rache für die Beleidigung zu nehmen, denn Sie werden mir zugeben, daß eine einzige in diese Bambushäuser gefeuerte Kanone entsetzliche Verwirrung anrichten und viele Menschenleben gefährden würde. Um aber kein Blut treuer Unterthanen unseres theueren Vaterlandes zu vergießen, um den Bürgerkrieg nicht auf dies friedliche Eiland zu tragen, komme ich noch einmal zu Ihnen, um Sie aufzufordern, das zu thun, was Sie doch nicht mehr ändern können: Sr. Excellenz den jetzigen Präsidenten der Republik, Señor Mosquera, anzuerkennen und ihm Treue zu schwören. Ich selber komme nur als der Feind derer, die den Huldigungseid verweigern – im anderen Fall sind wir Freunde und Bundesgenossen, und ich stehe mit meiner Person dafür, daß Sie weder an Ihrer Stadt, noch irgend einem derselben angehörenden loyalen Bürger geschädigt werden sollen.«

»Aber bester Herr,« sagte der Alkalde, durch die freundliche und vernünftige Anrede schon halb gewonnen und nur noch in Verlegenheit, wie er vor den Umstehenden eine vielleicht etwas zu rasche Sinnesänderung beschönigen sollte, »wir – wir wissen hier eigentlich noch gar nichts von Sr. Excellenz, dem neuen Präsidenten. Wir sind friedliebende Menschen, die mit keinem Lande einen Krieg wollen – am allerwenigsten mit dem eigenen, aber wie – wie bekommen wir denn eine Garantie, daß nicht – ohne jedoch das Geringste gegen Ihre eigene Person andeuten zu wollen – daß nicht irgend ein Schiff bei uns anlegen könnte, welches irgend einen neuen Namen als Präsident und Regierung aufstellt und Besitz von der Insel ergreift?«

»Darüber beruhigen Sie sich,« sagte der Seemann; »ich handele nicht nach eigener Machtvollkommenheit, sondern habe einen Regierungs-Commissair an Bord, der, von Buenaventura aus mit allen nöthigen Papieren und Schriftstücken beglaubigt, das Weitere mit Ihnen auf vollkommen gesetzlichem Wege in Ordnung bringen wird. Der Herr ist Ihnen auch, soweit ich erfahren habe, nicht einmal ein Fremder, sondern war früher selber, wie er mich versicherte, ein Einwohner oder wohl gar ein Beamter dieser Insel – «

»In der That? Und sein Name?«

»Señor Fosca.«

»Fosca? Alle Teufel!« platzte der Alkalde etwas erstaunt heraus; »Señor Fosca ist Regierungs-Commissair geworden?« Aber es blieb ihm keine Zeit mehr zum Ueberlegen, denn der Postmeister kam gerade mit einem Theil seiner Leute wenigstens herbei, da ihm keineswegs alle folgten. Die Meisten, indem sie eine Beschießung der Stadt fürchteten, liefen nach ihren Häusern, um dort zu retten, was sie retten konnten. Der Alkalde war aber fest entschlossen, diesmal ohne den Postmeister zu handeln, und sagte deshalb rasch und bestimmt:

»Wenn Sie mir Ihr Wort geben, Señor, daß der Stadt kein Schaden geschehen soll, so glaube ich in Uebereinstimmung mit meinen Mitbürgern zu handeln, wenn ich Ihnen erkläre, daß wir den Präsidenten Mosquera anerkennen wollen.«

»Ja wohl! Gewiß! En verdad – con gusto!« tönte es von allen Seiten, denn das entschlossene Aufsegeln der Kriegsschiffe hatte seine Wirkung auf die Gemüther nicht verfehlt.

»Und das Versprechen gebe ich Ihnen,« sagte der Seemann, dem damit eine wahre Centnerlast von der Seele fiel, denn eine Weigerung hätte ihn in die größte Verlegenheit gebracht.

»Und wissen Sie, welche Verantwortung Sie da auf sich nehmen, Señor Alkalde?« schrie der Postmeister, der eben zur rechten Zeit erschien, um zu spät zu kommen. »Wir sind hier freie Bürger, und wenn irgend ein Präsident – «

»Fosca ist Regierungs-Commissair und an Bord,« flüsterte ihm der Alkalde zu, indem er seinen Arm faßte; »halten Sie das Maul.«

Der Postmeister sah ihn verdutzt an. Es war augenscheinlich, daß er den Sinn der Worte nicht so rasch begriff, aber der Alkalde warf ihm einen warnenden Blick zu, und sich auf dem Absatz herumdrehend nahm er den Hut ab, schwenkte ihn in der Luft und rief mit seiner weit hinaus dröhnenden Stimme:

»Compañeros el viva! Viva Sa Excellencia el praesidente Señor Mosquera! – El viva!«

»El viva! El viva!« jubelten ihm die Leute nach, die ebenfalls ihre Hüte schwenkten, und wie ein Lauffeuer pflanzte sich der Schrei durch die Stadt fort. Galt er ja doch als Friedenszeichen und war den Leuten eine Bürgschaft, daß sie von den Schrecken und Gefahren des Krieges verschont bleiben sollten. Mit der Gewißheit hätten sie irgend einen lebenden oder auch todten Menschen – wer er immer gewesen – leben lassen.

Es war in der That ein Jubel auf der Insel, als ob man diesem Augenblick schon seit Jahren mit der größten Spannung entgegengesehen hätte, und daß der Postmeister gerade, der noch vor wenigen Stunden da unten am Strande Sandschanzen aufgeworfen und selbst eine Kanone auf die nahenden Schiffe abgefeuert, in den Ruf mit einstimmte, fiel keiner Seele mehr auf.

Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

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