Читать книгу Einführung in die moderne Archivarbeit - Gertrude Cepl-Kaufmann - Страница 13
1. Vor dem Archivbesuch
Оглавление1.1 Themenstellung
Zielorientierte Ausarbeitung des Themas
Gerade Archive halten als Schatztruhe der Gesellschaft Akten, Briefe, Fotos, Zeitungsausschnitte und vieles mehr für die Erforschung der Vergangenheit bereit. Durch die Auswertung der Bestände kann es gelingen, eine andere Perspektive auf ein schon bekanntes Thema zu eröffnen oder aber gänzlich neue Erkenntnisse zu Tage zu fördern.
Vorbereitet wird der Archivbesuch durch eine zielorientierte Ausarbeitung der Themenstellung. Nach der Lektüre der vorhandenen Primär- und Sekundärliteratur ist es wichtig, sich einen guten Kenntnisstand über die methodischen Prämissen, die sich an das Thema binden, zu verschaffen. Durch eine gute Vorbereitung erspart man sich eventuell mehrere zeitintensive Archivbesuche. Letzten Endes gilt nämlich auch bei Archivalien immer der Grundsatz: „Man sieht nur das, was man weiß“, das heißt, erst durch konsequente Kontexterschließung im Vorfeld fallen wichtige Sachzusammenhänge auf, und bereits bekannte Namen und Orte können bei einer Umschrift im Archiv schneller entziffert werden.
Nach der Erarbeitung der Primär- und Sekundärliteratur empfiehlt es sich, das eigene Erkenntnisinteresse näher einzukreisen. Studierenden sei empfohlen, ihre Fragestellung in einem Gespräch mit dem Dozenten zu präzisieren. Zwar ergeben sich im Laufe der Archivarbeit immer wieder neue Ansatzpunkte, die eine Akzentverschiebung in der Fragestellung nach sich ziehen können, dennoch hilft ein selbst auferlegtes „Raster“, einen Weg durch den Beständedschungel zu finden. Sonst könnte die Materialfülle ablenkend wirken und man läuft Gefahr, das eigentliche Thema aus den Augen zu verlieren. Je genauer man sein Thema eingekreist hat, umso leichter fällt es, eine Anfrage (vgl. Kapitel II.1.3 Die schriftliche Anfrage) an ein Archiv zu stellen.
1.2 Welche Archive kommen in Frage?
Über 3.600 Archive in Deutschland
Welches Archiv ist zuständig? Diese Frage lässt sich nicht für jede Themenstellung sofort beantworten. Schließlich ist die deutsche Archivlandschaft, wie das Kapitel zur Archivgeschichte gezeigt hat, ein kompliziertes, über viele Jahrhunderte gewachsenes Gebilde mit über 3.600 staatlichen, nicht-staatlichen und privaten Archiven. Dennoch gibt es eine Recherchestrategie, an der man sich orientieren kann: Welche Behörden, Institutionen und Personen muss ich bei meinem Untersuchungsgegenstand berücksichtigen? Und in welchem Archiv oder besser gesagt in welchen Archiven können die benötigten Bestände sein?
Nachlässe, Teil- und Splitternachlässe
In der Regel ist es nicht zu erwarten, dass alle Archivalien zu einer Fragestellung in einem Archiv oder in einem Bestand versammelt sind. So können sich Nachlässe von Privatpersonen u. a. durch Aufteilung beim Erbgang an mehreren Aufbewahrungsorten befinden. Dann ist nicht mehr von einem Nachlass, sondern von Teilnachlässen die Rede. Der Nachlass von Theodor Heuss (1884 – 1963), dem Journalisten und Abgeordneten, der zwischen 1949 und 1959 Bundespräsident war, ist beispielsweise auch nicht an einem Ort versammelt. Materialien und Vorstufen zu den Autobiographien „Erinnerungen 1905 – 1933“ und „Vorspiele des Lebens“, Essays, Vorlesungen, Reden und Ansprachen sowie Briefe an Ernst Benz, Margret Boveri, Niels Diederichs, Erika Mann und Golo Mann und andere befinden sich im Deutschen Literaturarchiv, Schiller-Nationalmuseum, Marbach am Neckar. Das Bundesarchiv in Koblenz bewahrt wiederum u. a. umfangreiche Korrespondenz, Sachakten, Reden und Publikationen nahezu aus der gesamten politischen Tätigkeit auf. Weitere Materialien wie Ehrenurkunden, Grußadressen und Orden befinden sich in musealer Hand und noch weitere Teilbestände in Privatbesitz. Manchmal kommt es sogar vor, dass sich Nachlässe in kleinste Teile, die sogenannten Splitternachlässe, aufspalten. Es ist also davon auszugehen, dass mehrere Archive angeschrieben werden müssen, und man vor Ort auch quer durch die Bestände recherchieren muss. Einen ersten Anhaltspunkt bietet immer der geographische Zuständigkeitsbereich eines Archivs, also der Archivsprengel. Der Archivsprengel rekurriert dabei auf historische Territorialgrenzen oder moderne Verwaltungsbezirke. Hilfreich bei der Suche nach dem zuständigen Archiv ist auch die sogenannte Abgabepflicht. Sie besteht insbesondere bei den staatlichen Archiven, das heißt, die Behörden müssen ihre Unterlagen nach der Nutzung für die laufenden Geschäfte an das zuständige Archiv abgeben. Auch bei den kirchlichen Archiven besteht eine ähnliche, allerdings freiwillige Regelung:
Abgabepflicht an das zuständige Archiv
Landkreise haben teilweise ein Kreisarchiv; größere Kommunen verfügen im Allgemeinen über ein selbständiges Archiv, das in der Regel als Stadtarchiv geführt wird. Gegebenenfalls ist Kontakt zur Gemeindeverwaltung aufzunehmen. In Stadtarchiven befinden sich oftmals Deposita. Hierbei kann es sich um die Archive von Verbänden und Vereinen handeln, die maßgeblich zur stadtgeschichtlichen Entwicklung beigetragen haben. Außerdem nehmen Stadtarchive auch Nachlässe von herausragenden Einzelpersönlichkeiten auf. Die Übernahme von Nachlässen und Sammlungen zählt jedoch nicht zu den Pflichtaufgaben eines solchen Archivs. Daher kann man nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass z. B. der Nachlass eines Schriftstellers, der von lokaler Bedeutung war, immer im Stadtarchiv seines Heimatortes zu finden ist.
Adelsarchive
Adelsarchive, die den Benutzern zur Familien- und Herrschaftsgeschichte Auskunft geben können, befinden sich vor Ort in Privatbesitz oder als Deposita zum Beispiel in einem Staatsarchiv. Bei solchen Deposita werden die Archivalien an eine geeignete Institution zur Erschließung und Verwahrung übergeben. Das Westfälische Archivamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe bietet beispielsweise eine fachliche Unterstützung für nicht-staatliche Archive an. Hierin liegen große Vorteile für den Benutzer. Wenn sich das Adelsarchiv noch vor Ort befindet, kann der Archivar des Archivamtes den Kontakt vermitteln. Zumeist haben die Archivare bereits die Bestände grob erschlossen. Diese können dann beim Archivar bestellt werden, der die Unterlagen an Ort und Stelle „aushebt“ und zur Benutzung im Archivamt vorlegt. Sind die Materialien schon als Depositum im Archivamt, können diese ebenfalls dort eingesehen werden. Bei Deposita ist allerdings die Erlaubnis der Privatpersonen zur Benutzung einzuholen, da es sich nicht um staatliches Archivgut handelt, bei dem die üblichen Sperrfristen gelten.
Wirtschafts- und Medienarchive
In einigen Bundesländern gibt es darüber hinaus noch Wirtschafts- und Medienarchive. Häufig dienen diese Archive dazu, den laufenden Betrieb des zugehörigen Unternehmens zu unterstützen. Beispielsweise werden Schallarchive bei Rundfunkanstalten hauptsächlich von den Redakteuren und freien Mitarbeitern des Hauses genutzt, um Sendungen vorzubereiten. Anfragen von Benutzern werden daher in Wirtschafts- und Medienarchiven manchmal zeitverzögert behandelt. Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass die Bearbeitung einer Anfrage kostenpflichtig ist. Einige Wirtschafts- und Medienarchive handhaben es in ihrer Praxis so, dass sie generell wissenschaftlichen Benutzern nur Zugang zu ihren Archivalien gewähren, wenn es sich dabei mindestens um Magister- oder Doktorarbeiten handelt. Außerdem müssen Anfragen auf Einsicht in das vorhandene Archivgut zumeist von höherer Stelle im Unternehmen genehmigt werden.
Als weitere Institutionen, die eigenständige Archive bedeutenden Umfangs unterhalten, sind noch Universitäten, Stiftungen sowie große Unternehmen und Interessensverbände/Parteien zu nennen. Auch hier befinden sich relevante Materialien für die unterschiedlichsten Themenstellungen (vgl. Kapitel I.3.3 Nicht-öffentliche Archive). Beispielsweise hätte niemand vermutet, dass zahlreiche Briefe von Gerhart Hauptmann (1862 – 1946) im Archiv der Leverkusener Bayer AG aufbewahrt werden, in denen der Kontakt des Schriftstellers zu dem Industriellen Carl Duisberg dokumentiert wird. Daher sollten Sie auch diese Archive bei der Sondierung möglicher Fundstellen nicht außer Acht lassen.
Adressverzeichnisse und Beständeübersichten
Sobald sich herausgestellt hat, welche Archive für die gewählte Themenstellung in Frage kommen, sind Adressverzeichnisse und Beständeübersichten zu konsultieren. Viele Archive verfügen über Beständeübersichten, die einen Überblick über den inhaltlichen und strukturellen Aufbau des Archivs, seine Tektonik, bieten. Zur Tektonik zählen die Laufzeit (Zeitspanne der Überlieferung) sowie der Umfang des Gesamtbestandes. Aktenbestände werden in der Regel nach Regalkilometern gemessen, wobei die Grundeinheit laufende Meter (lfm) sind. Bei Nachlässen und Sammlungen wird zumeist die Anzahl der Archivkapseln oder -kartons angegeben (Kps). Unter Kapseln versteht man in der Regel säurefreie Aufbewahrungskartons.
Beständeübersichten informieren über den Erschließungszustand, z. B. ob der Bestand in einer Kartei, einer Datenbank, einem Findbuch oder vielleicht noch gar nicht erschlossen worden ist. Wenn der Bestand bislang nicht erschlossen wurde, ist davon auszugehen, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch nicht benutzbar ist, denn so lange der Archivar nicht weiß, was und wie viel sich tatsächlich im Bestand befindet, kann er das Material auch nicht zur Benutzung freigeben. Leider verstreichen aufgrund von Personalmangel manchmal mehrere Jahre, bis Registraturgut oder Nachlässe und Sammlungen kassiert und erschlossen werden. Nur in Ausnahmefällen, beispielsweise bei sehr kleinen Beständen, wird es gestattet sein, trotzdem einen Blick in den Bestand zu werfen.
Beständeübersichten sind ein zentrales Hilfsmittel für die Planung Ihres Archivbesuchs. Sie liefern erste Anhaltspunkte, ob sich ein persönlicher Besuch im Archiv lohnt und wie viel Zeit ungefähr eingeplant werden muss. Beständeübersichten sind zumeist in Buchform, beispielsweise in öffentlichen Bibliotheken oder im Buchhandel zu finden. Der Nachteil ist, dass gedruckte Beständeübersichten recht schnell veralten. Daher gilt es, jeweils den Termin der Drucklegung zu beachten. Inzwischen kann sich nämlich der Erschließungszustand eines Bestandes geändert haben, oder es sind sogar neue Bestände hinzugekommen. Wesentlich aktueller sind hingegen online verfügbare Beständeübersichten auf den Internetseiten des Archivs. Daher ist es ratsam, neben den gedruckten Adressverzeichnissen und Beständeübersichten auch Internetportale und Online-Angebote der Archive zu konsultieren.
1.3 Die schriftliche Anfrage
Sobald sich der Benutzer mit Hilfe von Nachschlagewerken und Beständeübersichten einen Überblick verschafft hat, richtet er eine schriftliche Anfrage (z. B. per E-Mail) an das Archiv bzw. die Archive. Selbst wenn zu diesem Zeitpunkt absehbar ist, dass sich ein Archivbesuch lohnt, empfiehlt sich die schriftliche Anfrage. Schließlich wird in den meisten Archiven um eine Voranmeldung gebeten. Darüber hinaus besteht auch die Gefahr, dass bei einem Telefongespräch wichtige Daten und Fakten, die der Archivar zur Vorbereitung des Archivbesuchs benötigt, nicht genannt werden.
Kontext der Anfrage
Eine schriftliche Anfrage hingegen kann in Ruhe präzise formuliert werden. Für den Archivar gibt es nämlich kein größeres Problem als Anfragen von Benutzern, die sich ganz allgemein nach „dem ganzen Nachlass eines Schriftstellers“ oder „allen Beständen im Archiv zum Dritten Reich“ erkundigen. Diese Art von Anfragen ist zu unspezifisch und die in Frage kommenden Bestände sind viel zu groß, als dass konkrete Antworten und Hinweise gegeben werden könnten. Aus diesem Grund ist es immer wichtig, möglichst genau den Kontext der Anfrage (Familienforschung, Hausarbeit, Doktorarbeit etc.) und die Themenstellung bzw. das Erkenntnisinteresse anzugeben. Dabei sind konkrete Korrespondenzpartner, Jahreszahlen und bereits bekannte Behördenvorgänge etc. zu nennen. Diese Angaben ermöglichen es dem Archivar, sich ein Bild von dem Forschungsvorhaben zu machen und einzuschätzen, ob sich ein Archivbesuch überhaupt lohnt. Ist der Umfang des Materials überschaubar, ist es manchmal – besonders bei langer Anreise – möglich, den Benutzern Kopien zu schicken.
Eine schriftliche Anfrage bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass der Archivar vor dem Besuch bereits alle Bestände in seinem Archiv ermittelt hat. Dazu ist ein Archivbesuch und eine weitere Sichtung der vor Ort vorhandenen Findmittel notwendig. Durch eine präzise schriftliche Anfrage wird der Archivar aber bei einem Besuch wertvolle Hinweise geben können, denn schließlich kennt er sich am besten mit den Beständen und der Tektonik aus. Vielleicht schlägt er auch vor, mit einem bestimmten Bestand, den er schon ermittelt hat, zu beginnen. Oft hat er diesen Bestand für einen ersten Besuch bereits aus dem Magazin geholt. Das persönliche Beratungsgespräch mit dem Archivar ist auf jeden Fall sehr nützlich. Vielleicht hat der Archivar bereits Teile des Bestandes wissenschaftlich ausgewertet oder kann Kontakte zu anderen Forschern vermitteln, die gerade an einem ähnlichen Thema arbeiten.
Checkliste
Erschließen Sie sich die Forschungslage zu Ihrem Thema, in erster Linie durch die Lektüre der Primär- und Sekundärliteratur.
Grenzen Sie Ihr Thema sinnvoll ein.
Formulieren Sie Ihr Erkenntnisinteresse schriftlich.
Notieren Sie alle Behörden, Institutionen und Personen, die Sie bei Ihrem Thema berücksichtigen müssen und ordnen Sie diese Liste nach Prioritätsstufen.
Bedenken Sie, welche Archive für was zuständig sind (Archivsprengel und Ablieferungspflichten).
Informieren Sie sich mit Hilfe von Adressbüchern und gedruckten Beständeübersichten.
Konsultieren Sie die Online-Angebote der Archive und die dort hinterlegten Beständeübersichten sowie die einschlägigen Internetportale.
Formulieren Sie eine präzise schriftliche Anfrage.