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Ghita Benaguid
Das Vorlesen und Erzählen von Bilderbüchern, Geschichten und Märchen ist eine alte Tradition, die in heutiger Zeit oft Kindern und ihren Eltern vorbehalten ist. »Wann hat Ihnen das letzte Mal jemand etwas vorgelesen?«, ist eine Frage, die ich in meinen Therapien oft zur Einleitung eines Wechsels des Gesprächssettings hin zu einer formaleren Tranceinduktion stelle. Viele Patientinnen sind gerührt: »Das ist lange her! Ich lese meinen Kindern vor. Für mich tut das selten jemand. Es ist so schön, wenn jemand für mich liest.« Ich antworte: »Mir kommt da gerade eine Geschichte in den Sinn, ich weiß noch nicht genau, ob und wie diese für Sie passend ist … Möchten Sie sie hören?« Wenn eine Zustimmung erfolgt, erwähne ich, dass es viele unterschiedliche Haltungen gibt und dass »Sie selbst, während Sie der Geschichte lauschen, am besten wissen, welche die für Sie in diesem Moment passendste ist«. Ich erwähne, dass mein Therapiesessel variabel verstellbar ist und dass es Wahlmöglichkeiten gibt zwischen eher aufrecht sitzender oder entspannt zurückgelehnter Sitzhaltung und dass die Haltung äußerlich wie innerlich jederzeit veränderbar ist. Auch Kissen und Decken stehen zur Verfügung, um es sich wirklich auf die ganz eigene Art bequem zu machen. Wichtig ist zudem der Hinweis, dass man natürlich jederzeit die Aufmerksamkeit wieder nach außen lenken und die Trance/Entspannung beenden kann.
Das Vorlesen von Geschichten vermittelt Zuwendung und Geborgenheit, es erinnert oft an Vorleserituale der Kindheit, beruhigt und regt die Fantasie an. Es löst vor allem auch unwillkürliche Suchprozesse auf unbewusster Ebene aus.
Milton Erickson ist insbesondere für seine indirekten hypnotischen Techniken bekannt geworden. Gerade im fortgeschrittenen Alter lag sein Focus mehr auf Konversationstrancen, als auf der Induktion formaler Trancen. Hypnotherapie nach Erickson entfaltet ihre Wirkung vor allem auf der Bilder- und Metaphernebene. Die speziellen hypnotischen Sprachmuster werden im sogenannten Milton-Modell beschrieben. Vertiefende Hinweise hierzu und zur Konstruktion von therapeutisch wirksamen Metaphern finden Sie in Benaguid und Schramm (2016).
Einige Besonderheiten der vorliegenden Texte möchte ich hervorheben:
Je nach Kontext kann bei Tranceinduktionen die Anredeform Sie oder Du gewählt werden. Die vorliegenden Texte handhaben das unterschiedlich, einige wählen für die Induktion und Exduktion das formalere Sie und wechseln während der Trance zum persönlicheren Du, um einen stärkeren Bezug zum Unbewussten oder zu jüngeren Ich-Anteilen zu ermöglichen. Natürlich können Sie alle Texte auch in die von Ihnen gewünschte Anredeform umformulieren.
Eine sprachliche Besonderheit der typischen Hypnosesprache sind die Einstreuungen. Darunter verstehen wir direkte Suggestionen, die in einen Trägertext verpackt werden: »Wie von selbst hebt und weitet sich der Körper beim Einatmen, um zu integrieren, was in Fluss ist, … wie Wellenbewegungen … genau … mir Zeit nehmen für mich selber, genau, jetzt!«
Auch die Stellvertretertechnik ist ein Spezialfall der Einstreuungen.
Es werden stellvertretend für die Klientin Metaphern oder Bilder genutzt, die ihre Wünsche und Werte symbolisieren, ohne diese explizit zu benennen. Eine Besonderheit im Deutschen, die in diesen Trancen genutzt wird, möchte ich hervorheben: Das Personalpronomen „sie“ ist beim Hören nicht vom Anredepronomen in der Höflichkeitsform „Sie“ zu unterscheiden. Man kann also sprachlich indirekt arbeiten: »Die Felsen, sie (Sie) stehen fest in der Brandung …«
Damit kann bei sensiblen Themen das Erzeugen von Widerstand verhindert werden. Die Klientin hat die Wahl, ob sie diese Textpassage auf sich bezieht oder nicht. Im Text sind die betreffenden Stellen mit beiden Schreibweisen versehen.
Das Vorlesen von Texten erlaubt auch der noch nicht so geübten Hypnoseanwenderin, sich zuerst einmal auf andere Aspekte der Tranceinduktion als die eigene Wortwahl zu konzentrieren. Auch erfahrene Hypnoseanwenderinnen können sich natürlich von den Ideen der Autorinnen inspirieren lassen. Denn in die vorliegenden Texte können passende Klientinnenmetaphern oder einzelne auf die Klientin abgestimmte Sätze leicht eingebaut werden.
Im Laufe der Zeit wird es durch das Vorlesen immer leichter fallen, sich diese besonderen hypnotherapeutischen Sprachmuster zu eigen zu machen und den eigenen therapeutischen Stil weiterzuentwickeln.
In den Texten werden Pausen so dargestellt:
•drei Punkte für kurze Pausen
•Absätze für längere Pausen
•Absatz plus Leerzeile für lange Pausen und/oder Themenwechsel
Besonders zu betonende Textstellen wurden im Text kursiv gesetzt.
Die durchschnittliche Sprechdauer aller Trancen beträgt 20–30 Minuten.
Die Texte können natürlich bezüglich Induktion und Exduktion den äußeren Rahmenbedingungen der Therapiesituation angepasst, Elemente ausgelassen oder wiederholt werden, Klientinnenmetaphern und speziell auf die Klientin ausgerichtete Schlagworte eingestreut werden.
Insofern kann die Dauer dieser Tranceinduktionen beträchtlich variieren.
Wichtig: Lesen oder hören Sie diese Texte niemals während einer Autofahrt oder während des Führens von Maschinen, um die für diese Tätigkeiten notwendige Aufmerksamkeit konzentriert aufrechtzuerhalten!
Milton Erickson war, nicht zuletzt aufgrund seiner Biografie und seiner vielfältigen körperlichen Beeinträchtigungen, ein Meister der Mehrebenenkommunikation. Er hatte eine hohe Fähigkeit entwickelt, verbale, non- und paraverbale Kommunikationsaspekte zugleich wahrnehmen zu können. Für die Entwicklung dieser Fähigkeit ist es hilfreich, sich im Sinne der Mehrebenenkommunikation nicht nur der verbalen, sondern auch der non- und paraverbalen Aspekte der Rapportgestaltung (vgl. ausführlich Benaguid u. Schramm 2016) bewusst zu werden, um diese mit Leichtigkeit einfließen zu lassen und neben den gelesenen Worten auch durch ein Pacing und Leading der Körpersprache zu fördern und aufrechtzuerhalten.
Das setzt eine genaue Beobachtung und Wahrnehmung auch kleinster, unwillkürlich entstehender Hinweisreize, der sogenannten Minimal Cues, auf allen Wahrnehmungsebenen voraus. Diese Antworten des unwillkürlichen Systems gilt es zu utilisieren, um sie dann verbal oder nonverbal zu pacen.
Zu den Minimal Cues zählen: Veränderung der Körperhaltung, Atembewegungen oder sich hörbar veränderndes Ein- oder Ausatmen, Augenbewegungen, Schluckreflexe, Speichelfluss und Tränenfluss.
Die Technik des defokussierten Sehens ermöglicht es der Therapeutin, das Blickfeld zu erweitern und den peripheren Gesichtssinn zu schärfen. Statt wie gewohnt das Gesicht des Gegenübers zu fokussieren, stellt die Beobachterin den Blick weit und blickt sozusagen durch das Gegenüber hindurch und kann so die unwillkürlichen Körpersignale leichter wahrnehmen.
Diese Fähigkeit, Informationen auf den unterschiedlichen Kommunikationsebenen parallel wahrnehmen zu können, ist eine Grundvoraussetzung für die Mehrebenenkommunikation und damit auch für die Aufrechterhaltung eines »Dialoges« während formaler Tranceinduktionen, seien sie vorgelesen oder im Therapiekontext frei entwickelt.
Üblicherweise schließen die meisten Menschen, während sie einer Tranceinduktion lauschen, die Augen. Damit entfällt das Sehen als einer der Hauptsinneskanäle. Die Aufmerksamkeit liegt dann vor allem auf dem auditiven Kanal. Über unseren Stimmklang vermitteln wir mehr als nur Worte.
Atempacing
Ein defokussierter Blick erleichtert das Beobachten der Atembewegungen und des Atemrhythmus der Klientin. Atempacing bedeutet, die Atemräume und den Atemrhythmus der Klientin visuell, vielleicht auch akustisch durch die Atemgeräusche wahrzunehmen und den eigenen Atemrhythmus vorübergehend anzugleichen. Oft passiert das ganz von selbst. Man beobachtet die Atembewegungen, wartet die Einatemphase ab, um dann die zu betonenden verbalen Suggestionen vorwiegend in die Ausatemphase der Klientin zu sprechen. Atempacing kann auch auf dem akustischen Kanal über die hörbare Atmung erfolgen. So kann die Therapeutin ein hörbares tiefes Einatmen der Klientin erst einmal in der eigenen Einatmung pacen, um dann ein hörbares Ausatmen im Sinne eines Leadings anzubieten.
Leadingangebote, die dazu einladen, das Tempo zu reduzieren, wieder mehr Atemraum zuzulassen und den Atem zu vertiefen, schaffen Freiraum für neue Entwicklungsprozesse.
Durch die phasenweise Übernahme des Atemrhythmus und die dadurch entstehende Verlangsamung des eigenen Sprechtempos macht man der Klientin ein nonverbales Angebot, das Gleiche zu tun, um innezuhalten und auf innere Prozesse zu fokussieren.
Wenn eine Atembeklemmung für die Klientin fühlbar oder auch für die Therapeutin hör- und/oder sichtbar ist, kann im Sinne des Pacings zunächst der Atemrhythmus übernommen werden, um dann durch eigene Atemveränderungen neue Leadingangebote zu machen.
Die Atempausen können zusätzlich im Text notiert sein. Wenn es inhaltlich um Ruhe, Innehalten, Lösen, Pausen geht, so folgen 3 bis 4 Atemzüge auf beiden Seiten, in denen tatsächliche Ruhe herrscht.
An dieser Stelle verweise ich auf ein Interview mit meiner Kollegin Ronja Ernsting, die als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin auch in hypnosystemischer Kommunikation ausgebildet ist.1 Dort erläutern wir Fragen zum leichteren Sprechen und Lesen von Trancen, wie z. B.:
•Gibt es eine besondere Trancestimme oder eine Stimme in der Entspannung?
•Wie funktionieren Sprechen, Stimme und Atmung?
•Was macht die Stimme zum »individuellen Fingerabdruck« eines jeden Menschen?
•Wie gestaltet sich ein gesunder Umgang mit dem Sprech- und Stimmorgan?
•Wie bleibt man stimmlich gesund, trotz vieler sprecherischer Belastung?
•Welche Maßnahmen gibt es zur Stimmhygiene?
•Inwiefern unterstützt die Körperhaltung das Gesagte?
•Was sollte man beim Sprechen von Trancen beachten?
1 https://www.carl-auer.de/programm/artikel/titel/tranceperlen