Читать книгу Tranceperlen - Ghita Benaguid - Страница 12
Nachtrag
ОглавлениеMein Sohn behauptet, noch nie in einer hypnotischen Trance gewesen zu sein, obwohl er von der bereits verstorbenen Zahnärztin Kay Thompson, einer von Ericksons frühesten und talentiertesten Studentinnen, Schmerztherapie erlernt hat. Kay verbrachte mit ihm einige Stunden bei uns zu Hause und sollte mittels einer beiläufig induzierten Trance sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes für immer verändern. Der damals fünf Jahre alte David war auf seinen ersten Zahnarztbesuch gut vorbereitet worden und wollte dem Zahnarzt stolz seine guten, gesunden Zähne zeigen. Der Zahnarzt wies ihn an, sich auf den Stuhl zu setzen, fixierte seine Arme und Beine und befahl ihm, kein Wort mehr zu sagen. Mein Sohn war sehr verängstigt und rief nach mir. Ich ging zu ihm, befreite ihn und rief dann meinen Vater an, erzählte ihm, was passiert war und fragte, was wir tun sollten. Er sagte: »Ruf Kay Thompson an!« Das tat ich. Erfreulicherweise war sie gerade auf dem Weg in die Stadt, in der wir lebten, um auf einer Konferenz zu referieren. Sie sagte, sie wolle sich darum kümmern. Sie bat mich, sie und einige andere zum Abendessen einzuladen. Ich sollte nichts sagen, und ich tat genau, was sie sagte.
Kay kam, begrüßte die anderen Gäste, und setzte sich dann mit David auf den Fußboden. Sie bauten etwas aus seinen Bauklötzen und bewunderten gegenseitig ihre Bauwerke. Kay saß auch beim Abendessen neben David und sprach die meiste Zeit mit ihm. Ein sehr merkwürdiges Abendessen – der »Ehrengast« ignorierte alle außer meinem fünfjährigen Sohn.
Bevor sie sich verabschiedete, nahm sie David auf ihren Schoß. Sie sah ihm in die Augen und sagte in diesem ganz speziellen, nachdrücklichen Ton: »David, weißt du, was ich bin?« Wieder einmal war die Wortwahl ausgesprochen bedeutsam. »Was« klingt seltsam – er weiß, wer: Mamas Freundin; aber »was«? David starrte sie an – offen und bereit für weitere Informationen. Kay fuhr fort: »Ich bin Zahnärztin.« David war verblüfft! Kay sprach weiter mit ihrer eigentlichen Botschaft: »Es gibt männliche und weibliche Zahnärzte. Es gibt gute und schlechte Zahnärzte!« Dann küsste sie ihn auf die Wange, nahm ihn vom Schoß und ging. Ich war genauso verblüfft und sagte kein Wort. Es wurde nie wieder darüber gesprochen.
Fünf Jahre später hatte David heftige Zahnschmerzen und es musste zahnärztlich einiges unternommen werden. Er wollte nie eine Betäubung, er wollte eigentlich immer nur seine Comics lesen. Und das tat er auch. Die Zahnärzte waren sehr zufrieden – ein pflegeleichter Patient, wenn man so will. Einmal sagte ich ihm, dass ich ihn sehr mutig fände, und ich bewunderte ihn dafür, dass er so viele zahnärztliche Eingriffe aushalten konnte, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. Er schaute mich bloß an und sagte: »Ich habe Glück gehabt, Mama. Ich hatte immer nur gute Zahnärzte.«
Zwanzig Jahre später, nach Kays Tod, schrieb ich diese kleine Geschichte für ein Buch auf, das ihr zu Ehren herausgegeben wurde. Ich beschloss, sie David zu zeigen, er war zu der Zeit um die dreißig Jahre alt. Er las die Geschichte. Dann setzte er sich und las sie noch einmal. Ich beobachtete, wie seine Augen jedes einzelne Wort erfassten. Dann drehte er das Blatt um und legte es auf den Tisch. Er sagte: »Mutter, das ist niemals so passiert.« Er stand auf und verließ den Raum. Ich habe es ihm gegenüber nie wieder angesprochen. Es gibt, wenn man mich fragt, keinen Zweifel an der Wirkung einer Trance, die von einem Meister (bzw. einer Meisterin) auf beiläufige Weise induziert wurde!