Читать книгу Engadiner Abgründe - Gian Maria Calonder - Страница 3
II
Оглавление»Du hättest mich sehen sollen«, erzählte Rainer Pinggera seinem Neffen, während sie ihn zu Rudis Auto führten. Es stand nicht auf dem Besucherparkplatz, sondern im Personalbereich gleich beim Eingang. »Ich mit dem Gartenschlauch wie damals der Jenatsch. Ich sage dir, so leicht erledigen sie mich nicht.«
»Welcher Jenatsch? Der Schuhmacher von Ftan?«
»Nein, der Kämpfer natürlich, der Jenatsch eben.«
»Der Jürg? Den haben sie aber sehr wohl erledigt. Erst hat ihn einer, als Bär verkleidet, über den Haufen geschossen, die anderen sind danach mit Axt und Knüppeln über ihn her. Ich muss es wissen, Onkelchen, ich war im Schultheater der Bär.«
»Dann eben nicht wie der Jenatsch. Du hättest mich trotzdem sehen sollen.«
Rudi steuerte einen silbernen Mercedes C-Klasse an.
»Sind Sie der neue Polizist?«, fragte er.
»Ab Montag«, sagte Capaul.
»Ab Montag, und schon eingespannt?« Rudi lachte. »Lassen Sie mich raten, Sie sind Anfänger.«
»Ich arbeite gern«, sagte Capaul nur. »Ich habe bloß noch keinen Ausweis.«
Der Alte beschwerte sich: »Was flirtet ihr zwei Turteltäubchen da die ganze Zeit? Schließ auf. Oder besser, bring mich zurück, ich muss aufs WC. Die haben mich saufen lassen, dass es mir zu den Ohren rauskommt.«
Also gingen sie zurück, Rudi wusste, wo die Toiletten waren. Capaul wollte die Gelegenheit nutzen, um endlich zu trinken, doch Rudi hielt ihn zurück. »Ich glaube, das schafft er allein«, sagte er lächelnd, und ehe Capaul sich erklären konnte, fragte er: »Was ist eigentlich Ihre Lieblingsdisziplin?«
»Lieblingsdisziplin? Ich verstehe nicht.«
»Sport, ich rede natürlich von Sport.«
»Ach so.«
»Polizisten sind Sportskanonen. Also was? Skifahren? Tennis? Oder sind Sie etwa Leichtathlet?«
»Ich wandere gern«, sagte Capaul aufs Geratewohl.
Rudi lachte. »Kommt man heutzutage mit Wandern durch den Eignungstest?«
»Nein, da habe ich mich durchgebissen«, sagte er offen, doch Rudi redete schon weiter.
»Meine ist das Skifahren. Und inzwischen Tennis. Natürlich golfe ich auch, die wichtigen Deals werden fast immer auf dem Golfplatz abgeschlossen. Wissen Sie was? Ich nehme Sie mit.«
»Ich habe keine Ahnung von Golf. Ich weiß nicht …«
»Nein, auf dem Golfplatz hat einer wie Sie auch nichts verloren. Ich rede vom Skifahren.« Er öffnete die Toilettentür und rief: »Onkelchen, lebst du noch?«
Man hörte ein Stöhnen, dann krächzte der Alte: »Ja, ja, es dauert halt. In meinem Alter macht man kein Wettbrunzen mehr.«
»Dann lass dir Zeit.« Rudi schloss die Tür und sah Capaul mit stahlblauen Augen an. »Und? Kommen Sie mit?«
»Das hat ja noch Zeit. Erst muss es schneien.«
»Diese Flachländer, von Tuten und Blasen keine Ahnung!«, rief Rudi und verdrehte clownesk die Augen. »Was glauben Sie, wo ich gerade herkomme? Zermatt, Klein Matterhorn, herrliche Pisten. Zu der Zeit, als ich noch Rennen gewonnen habe, konnte man auch hier im Engadin im Sommer Ski fahren, St. Moritz, Pontresina, oder in Laax … Inzwischen muss man reisen, aber wozu gibt es Hubschrauber? Und den Flugplatz haben wir ja vor der Nase. Ich gehe aus dem Haus, eine Stunde später stehe ich auf dem Gletscher.«
»Was haben Sie damals gewonnen?«, wollte Capaul wissen.
Rudi stöhnte und raufte übertrieben das silbergraue, volle Haar – er schien ein Scherzbold zu sein. »Jetzt fühle ich mich richtig alt. Es gab Jahre, da konnte ich nicht auf die Straße, ohne um ein Autogramm angebettelt zu werden. Nein, ernsthaft, der Höhepunkt meiner Karriere war Olympia-Silber. Deshalb wollte ich jetzt die Spiele auch unbedingt zu uns holen. Wie die Abstimmung ausging, wissen Sie ja wohl. Passé, ich nehme es sportlich.«
Er gab Capaul seine Visitenkarte, im selben Moment kam sein Onkel vom Pissoir. »Gelöscht«, sagte er.
Rudi hakte sich bei ihm unter. »Dann schaffen wir es diesmal bis heim, Onkelchen? Was ist, Capaul, helfen Sie zwei Greisen noch mal zu ihrem Auto? Danach packe ich’s allein.«
Nachdem sie fort waren, wollte Capaul in seinen Chrysler steigen, doch sein Kopfweh war inzwischen so stark, dass er es sich anders überlegte und zum zweiten Mal ins Spital zurückging.
»Ich bin wohl die Höhe nicht gewohnt«, erklärte er der Pförtnerin und bat um eine Dafalgan-Tablette.
»Womöglich ist es auch der Wetterwechsel, am Wochenende soll es schneien«, sagte sie lächelnd.
Das schien ihm doch sehr unwahrscheinlich, viel zu lieblich leuchteten die goldenen Lärchen an den Hängen, er hatte Bienen summen hören, und im Park vor dem Spital tanzten Schmetterlinge.
»Ich gebe Ihnen eine Brausetablette, die wirkt schneller«, sagte sie noch.
Er bat: »Geben Sie mir zwei.«
Das tat sie. »Hier ist auch ein Pappbecher. Wasser finden Sie dort drüben.«
Sie zeigte zu den Toiletten, die kannte er ja inzwischen. Im Pissoir war der Fußboden überschwemmt, offenbar hatte der Alte wirklich nochmals gelöscht.
Capaul sagte einer Putzfrau Bescheid, dann setzte er sich ins Auto und fuhr zum Revier. Der Weg war gut beschildert, nur waren alle Parkplätze belegt. Dazu kam, dass unmittelbar hinter dem Polizeiposten die Straße in einem Durchfahrtsverbot endete, die einzige Abzweigung auch. Capaul wollte wenden, das wiederum verhinderte ein Kastenwagen der Polizei. Schließlich manövrierte ihn ein hilfsbereiter Passant rückwärts zwischen Steinpoldern und geparkten Autos hindurch. Er parkte auf dem Gebührenparkplatz unten beim Bahnhof und ging zurück ins Städtchen. Immerhin ließen dabei die Schmerzen nach.
Der Posten war in einem blassen Bürohaus im Dorfkern untergebracht, das Schmuckste daran waren ein überdimensioniertes Leuchtschild mit der Aufschrift POLIZIA CHANTUNELA GRISCHUN und ein leuchtend gelber Postkasten, der die Hälfte des Eingangs versperrte.
Capaul klingelte und musste eine Weile warten, ehe drinnen der Summer gedrückt wurde.
Der Schalterraum war möbliert wie wohl alle Bündner Polizeistationen, auch der Spannteppich war vermutlich der gleiche. Ein Polizist saß einsam hinter dem Computer, auf dem Namensschild stand L. Meier. Linard grinste, als er ihn sah.
»Capaul, Capaul! Und wo hast du jetzt geparkt?«
Capaul suchte das Glück in der Flucht nach vorn. »Euer Kastenwagen steht im Weg«, beschwerte er sich. »Da ist auch das Fahrverbot, man kann nicht wenden, und rückwärts kommt man nur mit gütiger Hilfe der Passanten.«
Linard feixte. »Das war Jon Lucas Einfall. Fahren die Leute durchs Verbot, schnappt er sie. Natürlich nur Touristen, sonst gäbe es schnell böses Blut. So kassieren wir innerhalb von zwei, drei Tagen unser Monatssoll an Bußgeld.«
Capaul konnte nicht erkennen, ob er sich einen Spaß erlaubte, und beschloss, das Thema zu wechseln. »Ihr wart vom Malojapass schnell wieder zurück.«
»Nur ich, um die Meldung aufzugeben. Die anderen sammeln noch Leichenteile ein. Keine Ahnung, ob die Motorräder stärker werden oder nur die Fahrer schlechter, jedenfalls gibt es jedes Jahr mehr Tote.«
»Woher willst du das wissen? Du bist doch erst ein Jahr im Dienst.«
»Weil ich lese, hier, Statistik.« Linard zeigte auf den Bildschirm. »Jetzt mache ich Platz, damit du den Rapport schreiben kannst.«
»Ich bin noch nicht so weit.«
»Was fehlt denn?«
»Die Aussage des Opfers.«
»Opfer«, wiederholte Linard. »Der Mann hat seine eigene Scheune angezündet. Hier, das sind Opfer.« Er tippte auf der Tastatur, drehte den Bildschirm und zeigte Capaul ein Foto des Motorradunfalls. Matsch in Ledercombi, hätte ihr Dozent in Forensik dazu gesagt. »Dein Klient dagegen«, sagte Linard, »ist doch schlicht senil.«
»Was weißt du davon?« Linard gefiel ihm nicht.
»Ich weiß noch viel mehr. Dass der Löschmannschaft deine traurigen Augen gefallen, zum Beispiel. Auch ich habe Kontakt zur Feuerwehr.« All das sagte er im selben süffisanten Tonfall. Dann fasste er in die Brusttasche, zückte seinen Ausweis und gab ihn Capaul. »Pinggera hat grauen Star im fortgeschrittenen Stadium und eine beidseitige Makula-Degeneration. Er wird nicht sehen können, wessen Ausweis du ihm unter die Nase hältst. Geh und schließ den Fall ab, sonst muss ich morgen der Sache nachrennen, und dazu habe ich nicht die geringste Lust. Wir sind für morgen mit den Münstertaler Kollegen zur Verkehrskontrolle auf dem Ofenpass verabredetet. Das heißt Sonne tanken. Man gönnt sich ja sonst nichts.«
»Das Wetter soll kippen, habe ich gehört.«
»Erst in der Nacht auf Sonntag. Laut Flugplatzwetterdienst. Wir handeln mit Fakten, Capaul, nicht mit ›soll‹ und ›habe ich gehört‹. Apropos, deine Handynummer. Ich kann dich nicht jedes Mal ausrufen lassen.«
»Ich habe kein Handy.«
Linard war einen Augenblick sprachlos. »Wie, ›kein Handy‹? In welchem Jahrhundert lebst du?«
Das wäre der Moment gewesen, sich abzuwenden und zu gehen. Er verpasste ihn. »Ich gehe gleich«, versprach er. »Aber habt ihr nicht auch eine Bescheinigung, die ich ins Auto legen kann, damit ich nicht ewig einem Parkplatz nachrenne? Auf den Gebührenparkplätzen zahlt man sich ja dumm und dämlich.«
»Du meinst so was wie das ›Arzt im Dienst‹-Schild?«
»Ja.«
»Du verkennst die Situation, du bist nicht im Dienst.«
»Was dann?«
»Du tust mir einen Gefallen, das ist alles.«
Also parkte er auch jetzt, zurück in Zuoz, wieder am Bahnhof und stieg ein gepflastertes Weglein ins Dorf empor. Als er Rainer Pinggeras Haus erreichte, war die Sonne hinter den Dächern verschwunden, und gleich wurde es empfindlich kalt. Mehrmals betätigte er die alte Zugglocke. Da er nichts hörte, nahm er an, dass sie nicht funktionierte, und drückte die Klinke. Die Tür war verriegelt. Er sagte sich, dass die Mieter eine eigene Klingel haben müssten, womöglich gab es einen zweiten Eingang. Er ging ums Haus, doch er fand nichts. Nachdem er abermals geklingelt und versucht hatte, die Tür zu öffnen, sah er hinter den Gardinen eines kleinen Erkers, der spitz wie eine Nase aus der Hausfassade in die Gasse hinausragte, den Alten hocken. Er starrte auf ihn herab, so schien es zumindest.
Capaul rief: »Ich hätte noch ein paar Fragen. Sehen Sie, ich habe jetzt auch einen Ausweis.« Aber Pinggera rührte sich nicht.
Währenddessen war Rudis Mercedes die Gasse hinabgerollt, so geräuschlos, dass Capaul ihn erst bemerkte, als die Hitze aus der Kühlerhaube an sein Bein drang. Sobald Rudi ausstieg, öffnete auch der Alte das Fenster und rief: »Gut, dass du kommst, der stellt mir wieder nach.«
Rudi nahm Capaul kurz den Ausweis aus der Hand und betrachtete ihn lächelnd, dann rief er hoch: »Er ist wirklich Polizist. Und wenn der Staat dich würde töten wollen, Onkelchen, könnte er es viel leichter haben.«
»Wie denn?«, fragte Capaul verwundert.
»Ach, Alte seines Schlags muss man nur in ein Heim stecken, und dafür findet sich immer ein Vorwand. Sie sind wie Füchse, eher beißen sie sich die Pfote ab, wenn sie in die Falle tappen, als dass sie sich einsperren lassen.«
Capaul sagte darauf nur: »Ihr Auto ist vorschriftswidrig geparkt.« Es stand mitten in der Gasse.
Rudi winkte ab. »Das ist kein Problem, hier kennen mich alle. Wenn einer durchwill, meldet er sich. Jetzt kommen Sie, Sie sehen ganz durchgefroren aus.« Er schloss die Tür auf und führte ihn ins Haus. »Ich bringe den Polizisten«, rief er. »Er will dir helfen, damit die Versicherung den Schaden zahlt.« Dann fragte er Capaul: »Das stimmt doch, oder?«
Capaul zögerte. »Das ist einer der Zwecke des Rapports.«
Sie zogen die Schuhe aus und betraten eine enge Stube. Es sah aus, als hätte seit dem Krieg die Zeit stillgestanden: geklöppelte Deckchen auf den Armlehnen der Sessel, die Deckenlampe noch mit Kerze, das Linoleum mit Messingleisten und zahllosen Schräubchen verlegt. Gleichzeitig war alles penibel sauber gehalten, es roch nach Schmierseife und Javelwasser.
»Putzen Sie noch selbst?«, fragte er den Alten, während er niederkniete, um das modernste Objekt im Raum zu betrachten, einen Röhrenfernseher von Blaupunkt, wohl eines der ersten Farbmodelle.
»Natürlich, wer sonst?«
»Das stimmt nicht ganz, Onkelchen. Lina hilft dir.«
»Schweig du still, Lina geht die Polizei nichts an.«
Capaul notierte Schwarzarbeit?, doch nur um der Ordnung willen. »Wer räumt denn auf?«
»Ich«, versicherte der Alte. »Die Augen wollen nicht mehr, ohne Ordnung wäre ich am Arsch.«
Rudi lachte. »Du warst schon immer ein Pedant.«
»Ja, ja, ja.« Der Alte winkte missmutig ab. »Was muss ich denn jetzt erzählen?«
»Wie es war«, bat Capaul.
»Wobei du nicht sagen solltest, dass du vergessen hast, das Öfelchen auszuschalten, Onkel, sondern dass du die Stecker verwechselt hast.«
»Welche Stecker?«
»Du wolltest Licht machen, deiner Augen wegen, stattdessen hast du das Öfelchen eingesteckt, und dummerweise war es noch an.«
»Aber ich habe keine solche Lampe im Stall. Keine, die ich einstecken könnte.«
»Dann hast du dich eben geirrt, das kommt vor. Du hast dir kurz eingebildet, du seist im Schlafzimmer. Es geht nur darum, dass diese Öfelchen inzwischen verboten sind. Die Versicherung zahlt nichts, wenn du das Öfelchen mit Absicht verwendet hast.«
»Habe ich auch nicht. Aber ich verstehe dich nicht. Das Einzige, was kaputtgegangen ist, ist dieses Öfelchen. Was soll die Versicherung dann überhaupt bezahlen, wenn nicht das Öfelchen? Und wozu bitte habe ich Licht gebraucht?«
»Du wolltest doch die Klobrille reparieren«, erinnerte ihn Rudi. Zu Capaul sagte er: »Er hat noch ein Plumpsklo, die Brille ist aus Holz, und als er auf sie gestiegen ist … Wieso eigentlich?«
»Was ›wieso‹?«
»Wieso bist du auf die Brille gestiegen? Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn du ins Klo gefallen wärst.«
»Die Glühbirne ist kaputt. Dort habe ich nämlich wirklich eine Lampe, nur ist dauernd die Birne kaputt.«
»Ich wechsle sie dir nachher. Nächstes Mal steigst du nicht mehr hoch, lass einfach die Tür auf, dann scheint die Straßenlampe herein.«
Rudi ging hinaus, um sich die Sache anzusehen. Rainer Pinggera rief ihm nach: »Ich habe eine Taschenlampe. Aber kannst du beim Licht einer Taschenlampe sehen, ob dein Hintern sauber ist? Ich nicht.«
Capaul ging Rudi hinterher. Das Klo lag am Ende eines schmalen Balkons, eine leere Glühbirnenfassung hing direkt über der Schüssel.
»Wunderbar«, sagte Capaul gerührt. »Überhaupt ein wunderbares Haus.«
Rudi hatte nicht die Lampe untersucht, sondern am Brett gerüttelt, auf dem die Brille gelegen haben musste. »Das ist wohl Geschmackssache«, sagte er und richtete sich auf. »Eine richtige Toilette sollte er sich schon gönnen. Was heißt gönnen, ich würde sie ihm ja bezahlen. Aber der sture Bock nimmt nichts an. Wissen Sie, was er für die obere Wohnung an Miete verlangt? Dreihundertfünfzig Franken. Schön, sie hat keine Zentralheizung, und zum Bad muss man durchs Treppenhaus. Aber dreihundertfünfzig Franken in Zuoz, wo die popeligste Eigentumswohnung eine Million kostet.«
Rainer Pinggera rief von drinnen: »Rudi, bring mal meine Brille.«
»Deine Brille? Seit wann benutzt du denn die?«
»Die Klobrille natürlich, wovon reden wir die ganze Zeit?«
Capaul schlug vor: »Wenn Sie mir eine Glühbirne geben, schraube ich sie inzwischen ein.«
»Steigen Sie da bloß nicht hoch, das Brett ist nämlich lose«, sagte Rudi und ließ ihn stehen. Während er im Stall die Brille holte, sah Capaul sich all das Schnitzwerk im Treppenhaus an, eine Uhr, einen Schrank, zwei Truhen. Den Schrank öffnete er einen Spalt weit, in ihm stapelten sich, aufs Akkurateste gefaltet, Putz-, Geschirr- und Leintücher.
Dann kam Rudi wieder, sie gingen zurück in die Stube, und der Alte fragte: »Rudi, sieh nach, ob er etwas eingesteckt hat. Ich habe gehört, wie er herumgeschnüffelt hat.«
»Erklär mir lieber, wie du das hier flicken wolltest, Onkel.« Er drückte ihm mehrere Holzteile in die Hand.
»Ui, ui, ui«, sagte der Alte und breitete sie auf dem Tisch aus, um sie genauer zu betrachten. »Als ich sie in den Stall genommen habe, hatte sie nur einen Riss. Ich habe sie wohl fallen lassen.«
»Ja, so sah es aus, die Teile lagen auf dem Boden verstreut.«
Der Alte seufzte, dann sah er sich nach Capaul um.
»Glauben Sie, die Versicherung könnte mir eine neue Brille bezahlen? Wobei ich gar nicht wüsste, wo man so was noch bekommt. Das ist beste Handarbeit. Rudi, die hat dein Großvater geschnitzt.«
Rudi zwinkerte Capaul zu. »Bestimmt bezahlt die Versicherung das. Und ich kenne im Münstertal einen guten Antikschreiner. Aber dann musst du Herrn Capaul auch endlich erzählen, was passiert ist. Oder was passiert sein könnte. Also, du wolltest die Brille leimen und bist dafür in den Stall gegangen …«
»Leimen? Du hast keine Ahnung! Damit das hält, muss man so was schrauben oder zapfen, und danach muss man lackieren, schleifen, wieder lackieren. Sonst bleibt womöglich ein Spalt, in dem man sich was einklemmt. Hast du dich mal am Reißverschluss eingeklemmt? Dann weißt du, wovon ich rede.«
»Onkelchen, ich habe noch anderes zu tun. Sagen wir, du wolltest sie flicken, dazu hast du Licht gebraucht. Du wolltest die Lampe einstecken, obwohl du dort keine hast, ich weiß, aber du hast eben gedacht, du hättest eine, und stattdessen hast du das Öfelchen eingesteckt. Könnte es so gewesen sein?«
»Nein, wie soll das gehen?«, rief der Alte. »Ich stecke das Öfelchen ein, und der Stall steht in Flammen? So ein Öfelchen ist doch kein Bunsenbrenner. Du bist ein miserabler Lügner.«
»Wie war es denn wirklich, Herr Pinggera?«, fragte Capaul, während er eine Kuckucksuhr an der Wand betrachtete.
»Wie es war? Es hat gebrannt, als ich kam. Das Öfelchen hat ganz normal geblasen, und davor hat es gebrannt.«
»Die Zeitungen und der Farbverdünner?«
»Wieso?«
»Da gibt es kein Wieso«, schaltete sich Rudi ungeduldig ein. »Du hattest dort nun mal Zeitungen und offenbar Verdünner liegen, die Polizei erfindet so was nicht.«
»Nein, ich habe dort keine Zeitungen. Die Zeitungen sind im Schuppen, nicht im Stall, das weißt du doch, du trägst sie mir immer raus.«
»Da waren Zeitungen, Verdünner oder Pinselreiniger und Skiwachs«, versicherte Capaul. »Brandverursacher war das Skiwachs.«
Der Alte wurde still.
»Was ist, Onkelchen?«
»Nichts. Ich glaube, ich kann auch ohne das Öfelchen.«
»Sie wollen den Schaden gar nicht melden?«
»Nein.«
»Keinen Rapport?«
»Ich sage doch: Nein.«
»Onkelchen, natürlich braucht es einen Rapport. Was, wenn das Feuer noch irgendwo glimmt? Oder wenn du einen gesundheitlichen Schaden davonträgst?«
»Mir geht es gut«, versicherte Rainer Pinggera eigenartig bedrückt und stemmte sich hoch. »Ich muss jetzt nur zu Bett.«
»Meinetwegen, vergiss nur nicht zu trinken«, sagte Rudi und ging zu den Schuhen. »Morgen früh kommt übrigens die Spitex. Danach, dachte ich, machen wir ein Fährtchen hoch zur Padellahütte. Dort ist Kehrausparty, sie machen winterdicht. So was gefällt dir doch.«
»Du und ich allein? Bring Annamaria mit.«
»Wie du willst. Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
»Doch, doch. Hast du die Glühbirne gewechselt?«
»Ich muss erst eine besorgen, ich komme nachher noch mal her.«
»Lass, das hat Zeit bis morgen. Ohne Brille kann ich sowieso nicht. Ich gehe hoch.«
Rudi wandte sich zu Capaul: »Das Bad, das zur Wohnung gehört, ist nicht gerade modern, aber es hat immerhin eine Toilette mit Spülung. Und die Mieter sind verreist.«
»Woher weißt du das schon wieder?«, fragte der Alte.
»Von dir, du Giftzwerg. Ach, Onkelchen, das heute war wohl alles etwas viel für dich. Schlaf dich aus, morgen sieht die Welt ganz anders aus.«
Er wollte ihn umarmen, aber der Alte ging schon zur Tür und hielt sie auf. »Vergiss nicht, diesen Polizisten mitzunehmen«, sagte er zum Abschied.