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Kleine Geschichte der Masturbation

»Ich glaube, dass man die sexuelle Befreiung gründlich missverstanden hat. Porno tötet den Sex.«

Henry Miller

Plötzlich war sie da, die Lust, ohne dass ich sie als solche beschreiben konnte. Als ich etwa fünf Jahre alt war, entdeckte ich dieses diffuse Kribbeln im Unterleib. Wie ein Gefühl, gekitzelt zu werden, ohne jedoch lachen zu müssen. Es kam von meiner Vulva und mir wurde relativ schnell klar, dass irgendetwas passieren musste. Dieses Gefühl »da unten« wollte ganz offensichtlich gelebt werden. Und so experimentierte ich herum. Ich weiß es noch wie heute: Zunächst probierte ich es mit einem – zugegebenermaßen sehr harten und spitzen – Gegenstand, einer Holzstricknadel. Damit drückte ich auf meinen äußeren Schamlippen (übrigens ebenfalls ein schreckliches Wort!) und meinem Kitzler herum. Natürlich ohne genau zu wissen, was ich da tue. Aber das war ja auch egal. Schließlich wollte ich dieses Kribbeln besiegen. Ohne Erfolg. Zumindest vorerst. Später ging ich dann dazu über, weichere Gegenstände zu benutzen. Und das funktionierte wesentlich besser. Mein geliebter Teddybär Daniel musste dazu herhalten. Bis heute tut mir das leid und ich hatte oft genug ein schlechtes Gewissen deswegen. Natürlich ist das absoluter Nonsens, aber vielleicht könnt ihr meine zwiegespaltenen Gefühle zu dem niedlichen Stofftier nachvollziehen. Nun gut: Ich fand heraus, dass das Kribbeln endlich aufhörte, wenn ich mich nur lang genug an ihm rieb. Um genau zu sein, war es mehr als das: Ich konnte mir durch das Reiben bereits nach kurzer Zeit ein viel tolleres Gefühl bescheren. Herrlich! Endlich hatte ich eine Methode gefunden, die mir Abhilfe schaffte. So masturbierte ich fröhlich und regelmäßig, immer wenn das Kribbeln aufkam.


Nach einiger Zeit machte ich daraus eine Art Disziplin und schaffte es dann auch, mehrmals hintereinander zu kommen. Ich freute mich an meinem eigenen Körper und wie ich ihm Lust und Befriedigung verschaffen konnte. Darüber gesprochen habe ich zu dem Zeitpunkt nicht. Im Gegenteil: Ich habe es, so gut es ging, geheim gehalten. Vor meinen Eltern, meinem Bruder und auch meinen Freundinnen. Einmal gab es eine unangenehme Situation mit einer Freundin, die partout mit Daniel spielen wollte. Doch ich konnte ihr ja wohl unmöglich meinen Rubbelteddy überlassen. Sie würde doch ganz sicher bemerken, dass Daniel irgendwie anders ist. Und so druckste ich herum und erklärte ihr, dass Daniel heute leider krank sei. Nein, so betonte ich, er müsse dort oben auf dem Kleiderschrank liegen bleiben, um wieder zu genesen. Die Scham und das Gefühl, etwas Ungezogenes zu tun, waren mir offensichtlich schon damals anerzogen. Ohne dass meine Eltern oder die Menschen meines sozialen Umfeldes dies je forcierten. Zum damaligen Zeitpunkt begriff ich das große Ganze dahinter noch nicht und war ganz einfach happy mit mir und meinem Körper, der mit all diesen feinen Sensationen aufwartete. Übrigens habe ich diese Art der reibenden Stimulation relativ lange wie geschildert vollzogen. Einzige Variation: Alternativ zu Daniel konnte ein Kissen die gleichen Dienste erfüllen.

Auf eine neue Form der Selbstbefriedigung kam ich, als ich das erste Mal einen elektrischen Massagestab kennenlernte. Diesen Wunderstab gab es in unserer Familie, um auftretende Verspannungen ganz unkompliziert wegzumassieren. Zumindest wurde er mir aufgrund dieser Funktion überreicht, als ich dann tatsächlich einmal Rückenschmerzen hatte. Ich war zu diesem Zeitpunkt etwa 13 Jahre alt und erkannte in meinem Zimmer relativ schnell seine alternativen Einsatzmöglichkeiten. Von da an hatte ich dann »leider« häufiger Verspannungen, sodass der Massagestab schnell zu einem dauerhaften Zimmergast wurde.

Später lernte ich dann durch den Kontakt mit pornografischem Material auch die, wie ich vermutete, »normale« Art der weiblichen Masturbation kennen: streichelnd oder reibend mit der Hand. Wenn man den Pornos Glauben schenkte, befriedigten sich Frauen wohl grundsätzlich nur auf diese Art oder mit einem Dildo oder Vibrator. Nie sah ich eine Frau, die sich an einem Kissen, geschweige denn einem Stofftier rieb. Im Nachhinein weiß ich, dass alles, was beim Solosex Spaß bereitet, absolut okay und normal ist. Doch zum damaligen Zeitpunkt knabberte der Gedanke, dass offenbar alle Frauen außer mir manuell oder durch Penetration zum Orgasmus kamen, an meinem Selbstbewusstsein.

Das wollte und konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. So fing ich also wieder an zu experimentieren und merkte, dass auch ich in der Lage war, durch den Einsatz meiner Hände Befriedigung zu erlangen. Mehr noch: Es machte sogar richtig Spaß und war wesentlich abwechslungsreicher als das monotone Reiben an einem Gegenstand. Auch der gleichzeitige Einsatz eines Toys brachte mehr Variation in die ansonsten stete äußere Stimulation. Wobei mir immer noch ein Rätsel war, wie Frauen einen Orgasmus durch die ausschließliche Penetration von Penis oder Toy erleben konnten.

Inzwischen hatte ich selbst Sex, der mir auch Spaß machte. Nur der erlösende Orgasmus blieb erst mal aus. Also probierte ich auch dort unermüdlich zu kommen, in sämtlichen Stellungen, Winkeln und Rhythmen. Mit meinen Soloabenteuern fuhr ich dabei wie gewohnt fort. Zum Glück, denn dadurch fand ich heraus, dass die gleichzeitige Stimulation mit der Hand beim Sex durchaus zum gewünschten Ergebnis führen kann. Hurra – und nicht nur das. Mit der Zeit, und ich gebe zu: wechselnden Sexpartnern, lernte ich schließlich auch den Orgasmus beim Sex und ohne zusätzliches Handanlegen. Alles eine Sache der Übung, wie ich heute weiß, und in Kapitel drei werde ich genauer darauf eingehen. Den so wichtigen Unterschied zwischen klitoraler und vaginaler Stimulation werde ich im Kapitel vier ausführlich beschreiben. Diese Geschichte könnte nun enden mit den Worten: »… und wenn sie nicht gestorben ist, dann masturbiert sie noch heute.«

Nun ja, nicht ganz. Zu jeder guten Geschichte gehört schließlich ein Tiefpunkt, oder wie war das? Absolut korrekt! Den gab es auch bei mir, und zwar im Jahre 2015. In diesem Jahr blickte ich zurück auf vier Jahre Sexualaufklärungsarbeit auf Youtube, eine abgeschlossene Sexualpädagogik-Ausbildung und so manche Selbstversuche. Zeitgleich wohnte ich mit meinem damaligen Freund in einer großzügigen Wohnung einer Neubausiedlung, war festangestellt und alle Zeichen deuteten auf ein gelungenes Leben. Oft hörte ich von Außenstehenden: »Mensch, Gianna, dir fehlt es ja an nichts, du hast einen großartigen Freund, eine schöne Wohnung und einen festen Job.« Alles richtig und doch fühlte es sich für mich so falsch an, denn es war einfach nicht mein Leben. Sicherlich würden so einige viel dafür tun, besagte Dinge in ihrem Leben willkommen zu heißen. Außerdem sind eine Neubauwohnung, eine Festanstellung und ein sicherheitsbewusster Freund nicht per se falsch, ganz im Gegenteil. Aber Menschen, die mich kennen, dürften wissen, dass dieser Entwurf nicht meinem Lebenskonzept entspricht. Ich liebe Freiheit, die Natur und Sinnhaftigkeit in meinem Tun und ich widersprach diesen Werten in den drei mit am wichtigsten Belangen des Menschseins: Beziehung, Job und Wohnsitz. Zu der Zeit ahnte ich davon noch nichts, nur die Auswirkungen machten sich bemerkbar. Ich grübelte stundenlang über einfachste Sachverhalte, war launisch und kontrolliert, hatte keinen richtigen Zugang zu meinem Körper unterhalb des Kinns und keine Lust auf Masturbation, geschweige denn auf Sex. Und das als Sexualpädagogin? Oh ja! Ich erinnere mich noch gut, dass ich an einem Abend meine Freundinnen fragte, ob das bei ihnen auch so sei, dass sie nichts spürten, wenn sie ihre Vulva berührten. Die erschrockenen Blicke meiner Freundinnen machten mir klar, dass bei mir irgendetwas gehörig schieflief. Ich, die eigentlich so emotionale und intuitive Person, fühlte mich wie abgeschnitten von meinen Gefühlen, meinem Bauchgefühl und meinem Unterleib. Meine Neugier und die Freude am Entdecken meines eigenen Körpers waren wie weggeblasen.

In einer wieder mal sex- und schlaflosen, weil Kopfkino-Nacht fasste ich dann den Entschluss, endlich etwas zu ändern. Am nächsten Tag meldete ich mich zu einem Tantra-Jahrestraining an. Ich versprach mir mehr Nähe zu meinem Freund, eine Wiederentdeckung meiner Gefühle und neue Erfahrungen von dem Seminar. Was ich bekam, war mehr als das. Das mag jetzt spirituell, esoterisch oder irgendwie übersinnlich klingen, aber ich fand mich dabei wieder. Nacheinander begrüßte ich wieder meine Neugier, danach mein Bauchgefühl und dann kam auch meine Lust zurück. Plötzlich erlebte ich mich als eine leidenschaftliche Frau, die nur dann zur vollen Blüte kommt, wenn sie ihre Werte leben kann. Ich musste mir also selbst erlauben, so zu leben, wie ich es möchte, und nicht so, wie ich dachte, dass es angemessen und richtig sei. Außerdem entdeckte ich ein Potenzial in mir, das ich nie für möglich gehalten hatte. Offenbar hatte ich mich lange Zeit erfolgreich kleingehalten, aus Angst, anzuecken oder negativ aufzufallen. Unweigerlich war daran auch die Auseinandersetzung mit meiner Sexualität in all ihren Facetten gekoppelt. Jetzt lernte ich meine Bedürfnisse, meine Lust und meine Fantasien aus einem ganz anderen Blickwinkel kennen. Offenbar schlummerten da noch Anteile in mir, die bislang wortwörtlich eingeschlafen waren.

In dieser intensiven Zeit lernte ich auch, meinen eigenen Körper und den von anderen Frauen mit neuen Augen zu sehen. Kein Scherz: Wir sehen tatsächlich alle unterschiedlich aus, auch untenrum. Und welch ein Wunder: Dadurch mögen wir auch verschiedene Arten der Stimulation. Im offenen Austausch mit Frauen erfuhr ich, dass die meisten von ihnen die klitorale Stimulation bevorzugten, genau wie ich. Und dass Beckenbodentraining nicht nur Inkontinenz entgegenwirken kann, sondern auch erheblichen Einfluss auf die vaginale Empfindsamkeit hat. Das alles wird noch im weiteren Verlauf dieses Buches Thema sein.

Nach einem Jahr Schleudergang war mir klar, dass mein Leben, so wie ich es bisher geführt hatte, nicht meines war. Die Konsequenzen waren daher so glasklar wie zunächst unbequem: Ich trennte mich von meinem Freund, zog aus der gemeinsamen Wohnung ins Grüne und kündigte meinen Job. Danach weinte ich erst mal, doch ich fühlte mich befreit und endlich wieder im Reinen mit mir. Ich hatte die Verantwortung für meinen Körper, meine Gefühle und Bedürfnisse zurückerlangt. Heute weiß ich, dass das für mich das wertvollste Gut auf Erden ist.

Ich spüre, dass ich in dieser Zeit gereift bin, und doch bin ich im Kern immer noch das kleine Mädchen von damals, das hüpfend und mit großen Augen die Welt entdeckt. Immer wieder lerne ich Dinge hinzu und bin verblüfft, zu welchen Körpersensationen und Meisterwerken wir Menschen in der Lage sind.

Diese Tatsache ist unfassbar großartig und Mut machend: Wir lernen ein Leben lang. Auch in der Sexualität. Es wird nie der Zeitpunkt kommen, an dem unsere Psyche oder unser Körper sagt: »So, jetzt aber mal Schluss hier, genug gelernt!«

Es erstaunt mich nach wie vor zu erleben, welches Potenzial, vor allem sexuelles Potenzial, in uns allen steckt. Oft genug wurde es schlicht und ergreifend noch nicht angezapft. Es ist eine Offenbarung zu erkennen, was wirkliche Ekstase und »Sich-fallen-Lassen« bedeuten und welche Möglichkeiten sich dadurch ergeben. Das begeistert mich immer wieder und es ist eine Freude, dies an andere Menschen weiterzugeben.

Ja, ich gebe es zu: Ich war durchaus missionarisch unterwegs und habe oft eine Wissenschaft aus mir und meiner Sexualität gemacht. Das war oft genug hinderlich bei dem doch so wichtigen »Fallenlassen« und »Kopfausschalten«. Doch ich bin dadurch stets neugierig geblieben. Wollte ich doch unbedingt verstehen, wie ich funktioniere und wozu ich in der Lage bin. Im Nachhinein kann ich das anerkennen und freue mich über meine Selbstversuche und vor allem über deren Ergebnisse. Mit meiner persönlichen Geschichte möchte ich auch euch zeigen, dass noch so viel möglich ist. Vermutlich habt auch ihr noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht und könnt dazulernen. Ihr werdet sicherlich Dinge in diesem Buch erfahren, die ihr noch nicht wusstet. Ihr werdet bestimmt auch Dinge finden, die ihr ausprobieren wollt, genauso wie ihr andere Dinge kategorisch für euch ausschließt. Das ist auch absolut in Ordnung und so gewollt. Wir sind alle unterschiedlich, zum Glück, denn sonst wäre es ganz schön langweilig.

Mit Onan fing alles an

Das Teilen der eigenen Masturbationserfahrung? Vielleicht haben manche von euch beim Lesen meiner Geschichte heiße Ohren bekommen, andere wiederum mögen ausgiebig gegähnt haben. Euch allen möchte ich eine interessante Tatsache offenbaren: Die Tradition des Masturbierens lässt sich schon in der Bibel nachlesen – im Alten Testament, der Genesis (Kapitel 38). Ich vermute ja stark, dass auch viele Menschen vorher ihrer Selbstliebe frönten. Aber hier, im allerersten Buch Mose, wird zum ersten Mal darüber berichtet oder zumindest über die Anfänge der Masturbation. Doch der Reihe nach. Davon ausgehend, dass ihr euch jetzt sicherlich nicht die Bibel schnappen werdet, erzähle ich euch nun die Geschichte Onans. Onan war der zweite Sohn von Juda. Nachdem sein älterer Bruder gestorben war, musste Onan dessen Witwe Tamar heiraten, so forderte es die jüdische Sitte. Die Schwagerehe verpflichtete Brüder, dem verstorbenen Verwandten Nachkommen zu verschaffen, wenn dieser keine eigenen Söhne hatte.1 Über Onan heißt es in der Bibel: »Da sprach Juda zu Onan: Gehe zu deines Bruders Weib und nimm sie zur Ehe, dass du deinem Bruder Samen erweckest. Aber da Onan wusste, dass der Same nicht sein Eigen sein sollte, wenn er einging zu seines Bruders Weib, ließ er’s auf die Erde fallen und verderbte es, auf dass er seinem Bruder nicht Samen gäbe. Da gefiel dem Herrn übel, was er tat, und er tötete ihn auch.«2

Übersetzt bedeutet dies, dass Onan sich dem alten Brauch nicht fügen wollte. Er wusste schließlich, dass ein potenzieller Nachkomme nicht ihm, sondern seinem verstorbenen Bruder zugesprochen würde. Um die fremdbestimmte Ehe und Familiengründung zu vermeiden, vollzog Onan einen Coitus interruptus mit »verschwendetem« Samenerguss auf die Erde. Daraufhin wurde er von seinem Vater mit dem Tode bestraft. Im Nachhinein diskutierte man unterschiedliche Gründe für die Todesstrafe. Einige religiöse Traditionen gingen davon aus, dass der Coitus interruptus von Gott nicht gewollt und deshalb bestraft wurde. Neuere Meinungen sind sich sicher: Der Grund dafür war die Verweigerung der Tradition, die dazu führte, dass die Ehefrau einer ganzen Abstammungslinie zur Last fiel. Übrigens ließ sich Tamar einige Zeit später gut verschleiert und getarnt von ihrem Schwiegervater Juda schwängern.3 Also doch ein Happy End? Fest steht, dass Onan zum Märtyrer und damit unsterblich wurde, denn sein Name ging mit den Wörtern »Onanie« und »onanieren« in die Geschichte ein. Wobei ja die Geschichte mehr einen Coitus interruptus als die Selbstbefriedigung beschrieb. Schließlich ist nicht überliefert, ob Onan währenddessen seine Hände zu Hilfe nahm, sondern lediglich, dass er zum Abschluss kam. Schade eigentlich, denn im Nachhinein wurde der mit seinem Namen verbundene Begriff meist mit Sünde und etwas Bösem in Zusammenhang gebracht. Viel schöner wäre es doch gewesen, wenn Onan als Vorreiter, ja als Revoluzzer des eigenen Willens und schließlich der Selbstbefriedigung in die Geschichte eingegangen wäre.

Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend und außerdem hat sich ja auch der Begriff der Masturbation etabliert, den wir genauer betrachten sollten. Bei diesem Ausdruck scheiden sich die Geister in zwei Lager. Relativ einig ist man sich, dass der Begriff aus dem Lateinischen kommt. Doch wie übersetzen? Die einen sind sich sicher, dass er sich aus »manu stuprare« ableitet, was so viel bedeutet wie »mit der Hand beschmutzen«4. Andere glauben, der Ausdruck kommt von »masturbari«, was sich wiederum aus den Wörtern »manibus turbari« zusammensetzt. Übersetzt bedeutet das »sich mit den Händen reizen«5. Das klingt etwas netter, doch lassen beide Übersetzungen so gar nicht darauf schließen, dass mit dem Akt Freude und Spaß verbunden ist.

Sowohl dem Masturbieren als auch dem Onanieren wohnt also eine ziemlich negative Bedeutung inne. Doch das war nicht immer so. In der Antike war die Masturbation Ausdruck eines natürlichen Verlangens.6 Es wird überliefert, dass der Philosoph Diogenes sogar in aller Öffentlichkeit masturbierte.7 Die Zeichnungen auf Vasen der damaligen Zeit erzählen ihre ganz eigene Geschichte, die darauf schließen lässt, dass Masturbation als etwas völlig Normales angesehen wurde.8 Auch prähistorische Fundstücke lassen auf das selbstverständliche Frönen der Selbstbefriedigung schließen. Seit der Steinzeit soll es schon Dildos gegeben haben,9 was meine anfangs aufgestellte These einer bereits sehr lange existierenden Solo-Sexualpraktik untermalen würde. Dildos wurden auch in der Antike in allen erdenklichen Größen unter dem Begriff »Olisboi« verwendet. Olisboi bestanden aus Ton, waren innen hohl und wurden für ihre Zwecke mit warmem Wasser gefüllt. Sie wurden zur sexuellen Erregung, aber gleichzeitig auch zur Linderung von Unterleibsbeschwerden und anderen Krankheitsbildern eingesetzt.10 So pries Hippokrates schon die Wirkung von Genitalmassagen bei Hysterie.11


KLEINER EXKURS: GESCHICHTE DES VIBRATORS 1.0

Hysterie wurde als ausschließliches Frauenleiden deklariert. Der Begriff bezeichnet im Wortstamm »vom Uterus ausgehend«, also von der Gebärmutter. Die Erkrankung sollte den Stau von Körpersäften und schließlich Verrücktwerden zur Folge haben und nur das Herbeiführen von »hysterischen Krisen« sollte Abhilfe verschaffen. Diese wurden durch Genitalmassagen mithilfe von Dildos und später auch durch die erfahrene Hand eines Arztes durchgeführt. Letzten Endes waren diese hysterischen Krisen nichts anderes als Orgasmen. Doch dieses Wissen war bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts noch nicht gegeben, schließlich glaubte man, der weibliche Höhepunkt könne nur durch die Penetration mit dem männlichen Glied erreicht werden. Jahrelang benutzte man also Dildos als Heilmittel und neben der Hysterie wurden auch andere »psychische Erkrankungen« bei Frauen behandelt. So zum Beispiel erotische Fantasien, Nymphomanie, Melancholie, Nervosität und Zustände der Verwirrung, ebenso Atemnot, Blässe und Schlaflosigkeit. All diese Krankheitsbilder wurden kurzerhand mit dem Herbeiführen von Orgasmen zu therapieren versucht.12 Mit dem heutigen Wissen kann man sich eine solche Vorgehensweise kaum mehr vorstellen. Doch die betroffenen Frauen wurden wohl bestimmt sehr gern behandelt und die Nebenwirkungen waren verschwindend gering … Doch später mehr dazu.


Kleopatra, so wird es überliefert, nutzte Dildos zum Lustgewinn. Jene Exemplare der legendären ägyptischen Königin bestanden jedoch nicht aus Ton, sondern aus feinem Marmor. Die Dame wusste ganz offensichtlich, wie frau sich Lust verschafft. So ließ sie auch Bienen in eine Papyrustüte füllen und benutzte diese surrende Tüte dann zur Stimulation ihrer Klitoris.13 Sozusagen als ersten frühzeitlichen Vibrator. Bis ins Mittelalter wurden die Olisboi wahrscheinlich mit Vergnügen benutzt. Damit war Schluss, als die Kirche davon Wind bekam. Sie verbot den Gebrauch der Dildos, denn sie dienten nicht der menschlichen Fortpflanzung und waren damit eindeutig Sünde.14 Einzige Ausnahme war weiterhin der medizinische Gebrauch.

Dann kam die Kirche

Im Grunde wurde alles im Bereich des Sexuellen, was nicht ausschließlich der Fortpflanzung diente, von der katholischen Kirche als Sünde bezeichnet. Doch auch in der reformierten Kirche galt die Selbstbefriedigung als Handlung gegen das Gewissen. Als unreife und fehlgeleitete Form der Sexualität. Die Protestanten nannten sie die »primitivste Form der sexuellen Befriedigung«15. Dem »unangemessenen« Handanlegen sollte über viele Jahrhunderte stets mit »angemessenen Strafen« begegnet werden. Ja, es folgte ein regelrechter Feldzug gegen die Masturbation. Unzählige Texte, Pamphlete und Bücher warnten vor den angeblichen Gefahren und boten ihre Methoden zur Bekämpfung an. Ein Standardwerk von Tissot aus dem Jahre 1776 trug den eindeutigen Titel »Die Onanie oder Abhandlung über die Krankheiten, die von der Selbstbefleckung herrühren«.

Im 18. und 19. Jahrhundert galt Selbstbefriedigung immer noch als krankhaft, als abscheuliche Sünde der Selbstbefleckung. Kinder und Jugendliche sollten beim Schlafen ihre Hände stets über der Bettdecke halten. Einigen wurden die Hände sogar fixiert und manche mussten eine Art Keuschheitsgürtel tragen, um ja nicht an sich herumzufummeln. Zur Rechtfertigung wurde ihnen drohend ins Gewissen geredet – vonseiten der Eltern, Mediziner, Theologen, Pädagogen und Philosophen.16

Hier nur eine kleine Auswahl der angeblichen Folgen von Selbstbefriedigung: Gehirnerweichung, Rückenverkrümmung, geistige Verblödung, Impotenz, Wahnsinn, Epilepsie, Depressionen, Gedächtnisschwund, Akne, Unfruchtbarkeit, Tuberkulose, Sehschwäche.17 Als Mittel gegen diese »Masturbationskrankheiten« empfahlen Mediziner und Theologen Früherkennung, die sich etwa an Symptomen wie blassem Teint der Haut, Teilnahmslosigkeit, Faulheit, schlechter Haltung und zitternden Händen festmachen ließ. Die dargereichten präventiven oder begleitenden Therapieformen waren ebenso mannigfaltig wie einfallsreich. Man empfahl eine angepasste, flüssigkeitsarme Ernährung, Schlafen mit einer dünnen Decke und auf einer harten Matratze, Meditation über traurige Dinge und das Waschen mit kaltem Wasser.18

Ganz offenbar wollte man den vermeintlichen »Masturbationswahn« unbedingt im Keim ersticken. Einer der bekanntesten Verfechter dieser Thesen über die Folgen und auch die Gegenmaßnahmen der Selbstbefriedigung war Dr. John Harvey Kellogg. Ja, ganz recht: Den Erfinder der Kellogg’s Cornflakes hatte ich mir auch anders vorgestellt. Ich hatte eher das Bild eines netten amerikanischen Farmers, doch weit gefehlt! Kellogg berichtete in seinem 1888 veröffentlichten Buch über diverse Folgezeichen von Masturbation bei Kindern und empfahl radikale Methoden. Unter anderem das Beschneiden der Vorhaut bei Jungen, damit die Eichel weniger reizbar ist. Bei Mädchen wiederum sollte die Klitoris durch die Behandlung mit reiner Karbolsäure weniger empfindsam gemacht werden. Auch sollten die Kinder eine spezielle Diätform einhalten, die zu einem großen Teil aus – welche Überraschung! – seinen Frühstücksflocken bestehen sollte.19


So bald wurde es nicht besser. Haltet euch fest: Eine Masturbationsalarmanlage sollte Eltern benachrichtigen, sobald ihre Kinder angeblich unzüchtig wurden. Des Nachts, wenn sich das Bett bewegte, klingelte ein Glöckchen im elterlichen Schlafzimmer. Aber nicht nur Kinder und Jugendliche hatten artig zu sein. Auch für die Erwachsenen hieß es zu dieser Zeit noch: Onanie in der Ehe ist ein Zeichen einer ernsten Störung, der man mit Eheberatung, Therapie oder unter Hypnose entgegenwirken müsse.

KLEINER EXKURS: GESCHICHTE DES VIBRATORS 2.0

Während dieses wahnsinnigen Streifzuges gegen die Masturbation konnten sich offensichtlich die Frauen glücklich schätzen, die selbst als wahnsinnig diagnostiziert wurden. Schließlich war die Diagnose auf Hysterie oder ein anderes psychisches Leiden ein hoher Garant dafür, dass die betroffene Frau eine befriedigende Therapieform bekam. Die Medizin und die Definition der weiblichen Sexualität lagen damals fest in den Händen der Männer. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Genitalmassagen der Damenwelt übernahmen zunehmend Ärzte und Psychiater.20 Für sie war es tatsächlich ein florierendes Geschäft, denn Frauen mit den bereits genannten Symptomen gab es zuhauf und sie waren treue Patientinnen. Die Behandlung konnte eben nur vorübergehend Erleichterung verschaffen und so kamen sie immer wieder.


Neben Genitalmassagen gab es auch alternative oder begleitende Therapieformen, die ebenfalls abenteuerlich waren. So empfahlen Mediziner seit dem Mittelalter vor allem Witwen und Nonnen ausgiebige Ausritte auf dem Pferd. Französische Ärzte hingegen baten ihre hysterischen Patientinnen, mit der Eisenbahn zu fahren, um die monotonen Ruckelbewegungen zu genießen.21 Hysterie avancierte zur Modediagnose und so litt im 19. Jahrhundert mehr als die Hälfte aller Frauen an der mysteriösen Krankheit.22 Neben der Schwierigkeit, die Vielzahl an Patientinnen zu versorgen, war die Behandlung zudem zeit- und energieraubend. Eine Behandlung dauerte in der Regel eine Stunde und nicht wenige Ärzte bekamen eine Sehnenscheidenentzündung oder einen Tennisarm.23 So zeugt auch der Film »In guten Händen« mit Hugh Dancy in der Rolle des Doktors von der beschriebenen Problematik. Nachdem seine Hände durch die Behandlung zahlreicher Frauen von Krämpfen geplagt waren, erfand er im Jahr 1890 den ersten elektrischen Vibrator.

Werbeanzeigen der damaligen Zeit priesen ihn als medizinische Apparatur, »Percuteur« genannt, zur Linderung von Kopf- und Nervenschmerzen. Er sollte Verspannungen lösen, der Hysterie vorbeugen und die Jugend und Schönheit der Ehefrau erhalten.24 Endlich konnten mehr Frauen in weniger Zeit pro Sitzung »percutiert« werden. Bei ausreichendem Vermögen konnten sich Patientinnen sogar selbst behandeln. Genau zur richtigen Zeit, wie sich herausstellte. Denn damals setzte auch eine zähe Liberalisierung der Selbstbefriedigung ein.


Ende des 19. Jahrhunderts brachten die Untersuchungen des Biologen Alfred Kinsey, Verfasser des Kinsey-Reportes, zum ersten Mal eine entspanntere Haltung gegenüber der Selbstbefriedigung. Auch der Psychoanalytiker Sigmund Freud befasste sich stark mit dem Thema Masturbation und revidierte seine anfänglich negative Einstellung zu dem Thema. Er bekannte: Masturbation sei absolut förderlich, um die eigene Sexualität zu entdecken, beginnend im Kleinkindalter.25 Einen Meilenstein in der Geschichte der Masturbation stellen auch die Forschungsergebnisse von Masters und Johnson dar. Indem sie Masturbation und Geschlechtsverkehr im Labor beobachteten und untersuchten, leisteten sie wahre Pionierarbeit auf dem Gebiet der sexuellen Erregung. Sehr zu meiner Freude ist im Jahre 2013 die Fernsehserie »Masters of Sex« zu ihrer Arbeit erschienen.

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Um die Geschichte des Vibrators und damit auch seiner Etablierung als Sextoy abzuschließen, sei hier die sexuelle Revolution im Zuge der 68er-Bewegung erwähnt. So lange dauerte es nämlich, bis das einst medizinische Gerät sein verstaubtes Image verlor. Zwischenzeitlich war es sogar ganz aus den Magazinen verschwunden. Wahrscheinlich eine Reaktion darauf, dass man durch Freud und Co. mehr über den weiblichen Orgasmus erfahren hatte: Der Vibrator und seine eigentliche Wirkung wurden transparenter und das vertrieb ihn zeitweise in die Schmuddelecke. Ganz ehrlich: Die Frauen wussten wahrscheinlich schon die ganze Zeit um die Freuden, die von der technischen Erfindung ausgingen. Doch verleiht es unserer Historie einen gewissen Touch der Rebellion, wenn wir uns vorstellen, dass sich all die behandelten Damen ins Fäustchen gelacht haben, nicht wahr? Auch die Erfindung des Silikons fällt ungefähr in diese Zeit und so nahm die Vielfalt an unterschiedlichen Modellen innerhalb kürzester Zeit zu. Zum Glück haben Dildo und Vibrator mittlerweile als Heilmittel ausgedient und werden nunmehr als Lustmittel geschätzt.

Zur Zeit der sexuellen Revolution schließlich gehört eine Frau, die einen großen Beitrag zur Enttabuisierung der Masturbation geleistet hat. Nina Hagen, Rockröhre und »Godmother of Punk«, hat ihrem Spitznamen im Jahre 1979 alle Ehre gemacht. Als attraktive 24-Jährige war sie in der Late-Night-Talkshow »Club 2«. Dort demonstrierte sie, voll bekleidet und gut gelaunt, ihre Vorlieben bei der Selbstbefriedigung. Damals sorgte sie für einen absoluten Medienskandal, heute wird sie dafür gefeiert. Auch ich bewundere ihren Mut und ihren missionarischen Willen, endlich aufzuklären. In der Show machte sie nämlich der Frauenwelt klar, dass wir ja darauf achten sollten, unsere Klitoris sowohl bei der Masturbation als auch beim Sex zu berühren. Gut, nicht jeder ist so aufgeklärt und freizügig und muss es auch nicht sein. Aber dass Papst Johannes Paul II. noch 1993 die weibliche Onanie als sündige Wollust und die männliche als organisch bedingtes Übel bezeichnete, könnte man ganz ohne Umschweife als hinterwäldlerisch bezeichnen.26

Und so sieht’s heute aus

Die jahrhundertelange Verteufelung der Selbstbefriedigung von Religion und Kirche hat ihre Spuren in unserer angeblich so freien Gesellschaft hinterlassen. Bis heute haben sich viele Mythen gehalten und lösen vor allem bei jungen Menschen Unsicherheiten aus. Nach wie vor sind Scham, Schuldgefühle und die Angst, etwas Verbotenes oder Gefährliches zu tun, an der Tagesordnung. Zumindest sind sich mittlerweile Urologen, Gynäkologen und Psychologen einig darüber, dass Masturbation etwas Gutes und Gesundheitsförderliches ist. In sämtlichen neuen Aufklärungsbüchern kann man nachlesen, dass Selbstbefriedigung hilft, den eigenen Körper besser kennenzulernen und zu wissen, was gefällt. Darüber hinaus werden noch viele weitere positive Aspekte beschrieben, auf die ich in Kapitel drei genauer eingehen werde. Trotz alledem scheint es so, als sei das theoretische Wissen noch nicht in der Praxis angekommen. In meinen vielen Jahren als weibliches Gesicht des Youtube-Kanals »61MinutenSex« durfte ich einiges lernen. Unter anderem, dass die Unsicherheit und das Gefühl, nicht normal zu sein, die meisten Fragen der Zuschauer motivierten. Aber auch, dass es in der Selbstbefriedigung von Frauen und Männern gravierende Unterschiede gibt.

Der feine Unterschied

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Sexualität bei Männern anerkannter ist als bei Frauen. Einer der Gründe dafür ist, dass das Geschlechtsteil von Männern einfach sichtbarer ist, weil es außen hängt. Der Penis wird von klein auf täglich beim Urinieren berührt, genauso beim Waschen. Das Anfassen des eigenen Penis wird bei kleinen Jungen in der Regel mit einem Kommentar und einer positiven Verstärkung begleitet. So entstehen bei Jungen wichtige Nervenverbindungen zu jenen Bereichen des Gehirns, die für das Wahrnehmen und Lustempfinden von großer Bedeutung sind. Dadurch lernen viele Jungen, dass ihre Sexualität und Lust etwas völlig Normales und Gutes ist.27

Die erste Erregung und die Lust am Experimentieren beginnt bei ihnen meist früher als bei Mädchen. Auch wissen Männer relativ schnell, wie sie ihr Geschlecht berühren müssen, sodass es Freude bereitet. So könnte die Masturbationsbeschreibung eines jungen Mannes aussehen: Das ist mein Penis. Der hat einen Schaft mit Vorhaut und Eichel. Wenn ich meine Hand um den Penis lege und sie in meinem Lieblingstempo auf- und abbewege, komme ich irgendwann zum Höhepunkt. Ziemlich einleuchtend!

Hinzu kommen Medien und Pornos, die ebenfalls ein Gefühl der völligen Normalität der männlichen Sexualität vermitteln. Ein Mann wird hier überwiegend von einer Frau in seinen Bedürfnissen gesehen, bedient und befriedigt. Das wird nicht hinterfragt und insofern als völlig normal akzeptiert. So kommt es, dass Männer ihre eigene Sexualität als etwas Naturgegebenes betrachten und dadurch einen offenen Umgang damit pflegen. 95 Prozent aller Männer sagen schließlich, dass sie regelmäßig masturbieren. Ob aber das sogenannte Kekswichsen wirklich so selbstverständlich praktiziert wird, wie Teenagerfilme es vermuten lassen, vermag ich nicht zu beurteilen. Fest steht, dass Männer wesentlich befreiter mit ihrem eigenen Geschlecht aufwachsen.

Anders ist das bei Frauen. Angefangen mit den 80 Prozent aller Frauen, die zumindest zugeben, regelmäßig Hand anzulegen.28 Ich hoffe ja, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Zunächst einmal sind die Geschlechtsteile einer Frau nicht so ersichtlich und liegen weniger frei. Dadurch werden sie sowohl von den Eltern als auch dem Kind selbst seltener angefasst oder einer positiven Verstärkung ausgesetzt.29 Meist werden beim Wickeln und Eincremen von kleinen Mädchen nur die äußeren Schamlippen berührt. Da die inneren Lustorgane versteckt sind, bleiben sie oft unbeachtet. Dadurch lernen Mädchen, wenn überhaupt, meist später und schwieriger, wie lustvoll das eigene Anfassen sein kann. Sie erforschen sich eher im Alleingang und erfahren kaum etwas darüber, wie sensibel ihr Geschlecht für angenehme Stimulationen sein kann. So könnte wiederum die Masturbationsbeschreibung einer jungen Frau ausfallen: Das ist meine Scheide. Die hat zwei äußere und zwei innere Flügelchen, einen kleinen Knubbel und ein Loch. Ich kann da einen Finger reinstecken, die Flügel streicheln oder den Knubbel reiben. Wenn ich das lange genug mache, dann komme ich irgendwann zum Orgasmus … So weit, so kompliziert, denn allein die Auswahl an Möglichkeiten macht deutlich, dass viele Wege nach Rom führen können.

Mädchen und Frauen haben auch leider kaum mediale oder pornografische Aufklärung, die ein realistisches Bild von erfüllter Sexualität auf beiden Seiten darstellt. Wenn sie dem gesellschaftlichen Bild Glauben schenken, dann müsste eine Frau, sobald ein Gegenstand oder Penis in sie eingeführt wird, nach kürzester Zeit zum Höhepunkt kommen. Fakt ist aber, dass nur etwa 30 Prozent der Frauen zuverlässig beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt kommen. Bleiben 70 Prozent der Frauen, also eine ganze Menge, die manchmal, selten oder nie beim Sex kommen. Lange Zeit wurde angenommen, dass mit diesen Frauen etwas nicht stimmt. Schließlich können doch Männer beim »Penis in Vagina«-Akt Orgasmen haben. Doch die Wahrheit ist: Wir alle wurden belogen! Die weibliche Sexualität ist keineswegs die Light-Version der männlichen.30

Nein, Frauen und Männer sind einfach verschieden. Mehr noch: Frauen sind auch untereinander völlig unterschiedlich. Was für die eine Frau zutrifft, muss für die andere noch lange nicht stimmen. Das gilt für die Physiologie ebenso wie für die Psychologie. Im Klartext: Wir sehen alle nicht nur einzigartig aus, wir ticken auch völlig verschieden.

Emily Nagoski beschreibt dies in ihrem Buch »Komm, wie du willst« sehr anschaulich: »Wir sind alle aus den gleichen Teilen gemacht, aber in jedem von uns sind sie auf einzigartige Weise zusammengesetzt, die sich noch dazu im Laufe unseres Lebens verändert.«31 In Kapitel vier werde ich auf diesen Umstand noch genauer eingehen.

Ein verdrehtes Ideal

Das Traurige dabei ist: In der Theorie wissen wir das alles längst schon. Nur leider scheint es in unserem Herzen, in unseren Gefühlen und unserem Tun nicht angekommen zu sein. Immer noch verurteilen wir uns und unseren Körper, weil er eben nicht so aussieht und funktioniert, wie es uns die Medien weismachen wollen. Wir vergeuden Zeit, Energie und Geld darauf, um anders zu sein – besser, perfekter, schöner, nur eben nicht wir selbst. Dann schelten und strafen wir uns mit schlechtem Gewissen und Übellaunigkeit, wenn die Rechnung nicht aufgeht. Nur um uns hoffentlich eines Tages mit der Tatsache zu konfrontieren, die im Kern wunderschön ist: Wir alle sind normal. Wir alle sind gleich. Wir alle sind unterschiedlich. Wir alle sind perfekt, genau so, wie wir sind!

Auch ich habe jahrelang geglaubt, was die Gesellschaft mir weismachen wollte, und so ist es für mich auch keine Überraschung, dass Masturbation bei Frauen immer noch ein Tabuthema ist. Dies soll keine Abhandlung nach dem Motto »Mimimi, wir Frauen sind ja so benachteiligt …« sein. Nein, vielmehr zeigt sie die Realität und macht umso mehr deutlich, dass wir mehr geniale Vorbilder à la Nina Hagen brauchen, die Tacheles reden. Frauen, die sagen, was ihnen gefällt und wie sie gern stimuliert werden. Daran mangelt es nach wie vor. Doch es gibt sie und es werden mehr! Es gibt die Frauen, die offen reden wollen und es auch schon getan haben. Mit diesem Buch hältst du schließlich einen manifestierten Beweis in den Händen.

Ein Projekt finde ich dabei ganz besonders erwähnenswert: Es ist die Website www.omgyes.com, auf der echte Frauen in Videoanleitungen ihre sexuellen Vorlieben und Masturbationstechniken erläutern und demonstrieren. Ja, richtig: Sie zeigen, wie sie sich gern selbst berühren, und kommentieren dabei jeden einzelnen Schritt. Tatsächlich passiert das Ganze auf eine so ästhetische und unaufgeregte Art und Weise, dass ich zu keinem Augenblick der Nutzung ein komisches Gefühl hatte. Zudem stützt sich die Seite auf eine 2015 durchgeführte wissenschaftliche Studie zur weiblichen Lust. Sie gibt also nur Erfahrungen und Strategien wieder, die von 1000 befragten Frauen angegeben wurden. Es stellte sich nämlich heraus, dass zwar jede Frau ihre ganz individuelle Masturbationstechnik besitzt, dass es aber Überschneidungen gibt.32

Genau das ist auch meine Beobachtung aus vielen Jahren der Praxis als Sexualpädagogin. Viele Fragen, Meinungen und Erfahrungen treten immer wieder auf. So habe ich unzählige Male die Frage beantwortet: »Kann man zu oft masturbieren?« oder auch: »Bekomme ich vom Masturbieren Pickel?« Dahinter verbirgt sich meist nur eine einzige Frage, und zwar: »Bin ich normal?« Die Antwort darauf lautet fast immer: »Ja!« Trotz alledem möchte ich an dieser Stelle ein für alle Mal mit weit verbreiteten Mythen aufräumen und die typischsten Fragen beantworten. Es geht mir darum, dass Frauen und Männer die Masturbation letztendlich als das sehen, was sie ist: das Befriedigen ihrer Lust, die so selbstverständlich wie natürlich ist. Und nicht zuletzt wunderschön!


Die sechs häufigsten Fragen und Antworten

Wie oft ist Masturbieren normal?

Letztendlich definierst du ganz allein, was für dich normal ist und sich gut anfühlt. Das kann für die eine einmal in der Woche oder im Monat sein und für die andere mehrmals am Tag, in der Woche oder im Monat. Glaubt man den Statistiken, machen es sich die meisten Frauen einmal im Monat oder seltener (wobei sich die überwiegende Zahl aller Frauen enthielt). Übrigens geben die meisten Männer an, es mehrmals in der Woche zu tun. Erst wenn du an nichts anderes mehr als an die Masturbation denken kannst und das Gefühl hast, dass sie deinen Tagesablauf bestimmt, besteht Handlungsbedarf.

Bei der Masturbation komme ich zuverlässig zum Orgasmus, nicht aber beim Sex mit meinem Partner. Was stimmt denn nicht mit mir?

Erst mal Glückwunsch! Denn es stimmt offenbar alles mit dir. Du kannst durch Selbstbefriedigung einen Höhepunkt erleben und das ist wundervoll. Bei der Penetration mit dem Penis wird ein anderer Bereich stimuliert, als das bei der Masturbation der Fall ist. Die meisten Frauen stimulieren dabei ihre Klitoris, während diese beim Sex in der Regel kaum gereizt wird. Es ist ein Irrglaube zu denken, dass etwas mir dir nicht stimmt, denn den meisten Frauen geht es wie dir. Grundsätzlich kommt es auf den Abstand zwischen Klitoris und Harnröhrenausgang an, wie zuverlässig frau beim Geschlechtsverkehr einen Orgasmus hat.33 An dem Abstand wirst du in diesem Leben nichts mehr ändern können, schon aber an der Art der Stimulation deiner Klitoris beim Sex. Wenn deine Klitoris also weiter vom Eingang entfernt liegt (und das ist völlig normal), dann braucht sie andere Formen der Aufmerksamkeit und Stimulation. Du könntest sie in Zukunft mehr mit einbeziehen, indem du Stellungen wählst, in denen auch sie berührt wird, oder während des Sex selbst Hand anlegen. (Wir werden auf all das noch ausführlich kommen.)

Sind Frauen, die keinen vaginalen Orgasmus erleben können, frigide?

»Frigide« – was für ein Wort! Meist wird es in einem negativen Zusammenhang gebraucht und dann als Beleidigung eingesetzt. Es hat zwei unterschiedliche Bedeutungen: die verminderte sexuelle Lust und das verminderte sexuelle Gefühl. Nichts dergleichen trifft aber auf die meisten Frauen zu, die mit diesem Begriff betitelt werden. Die Verbreitung des Wortes ist ein Resultat der diffusen Vorstellung von der eigenen Sexualität und dem Anspruch, den vermeintlichen gesellschaftlichen Anforderungen zu entsprechen. Frauen halten dann zum Beispiel ihren Orgasmus bei der Selbstbefriedigung für keinen »richtigen« Orgasmus. Fakt ist aber: Es gibt keine Unterscheidung von Orgasmen. Ein Orgasmus ist ein Orgasmus: das Entladen von Spannung, ganz egal wie sie ausgelöst wurde. Ob durch die Stimulation der Füße, der Brüste oder eben der Klitoris. Zu glauben, dass die Vagina ein völlig anderer Bereich ist als die Klitoris, ist falsch. In Wirklichkeit ist die Klitoris viel größer als der kleine Knubbel, den man leicht erkennt, und schmiegt sich um die Vagina herum, sodass die vermeintlich vaginale Stimulation eigentlich auch eine klitorale ist. In Kapitel vier wirst du mehr über die anatomischen Bedingungen erfahren.

Wie funktioniert Squirten?

Die weibliche Ejakulation, auch Squirting genannt, hat in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen. Das lag unter anderem daran, dass zu diesem Bereich mehr geforscht wurde, aber vor allem an der vermehrten Darstellung in Pornos. Auf einmal konnten auch Darstellerinnen, ebenso wie ihre männlichen Pendants, abspritzen. Eine Fähigkeit, die darauf zurückzuführen ist, dass Frauen über Drüsen rund um die Harnröhre herum verfügen. Bei manchen Frauen produzieren diese Drüsen viel, bei anderen wenig oder gar kein Sekret. Bei der Stimulation des sogenannten G-Punktes (werde ich später noch genauer erklären) kann es passieren, dass eine meist milchige Flüssigkeit ejakuliert wird. Meist muss der G-Punkt ausdauernd und kräftig gereizt werden, beispielsweise durch einen Penis oder Dildo, damit die Frau tatsächlich squirtet. Doch wie wir nun bereits wissen, sind Frauen verschieden. So erleben manche oft, andere selten, wieder andere nie eine derartige Ejakulation.

Ich stelle mir beim Masturbieren häufig Sex mit einem Fremden oder sogar Vergewaltigungsszenen vor. Ist das schon krankhaft?

Nein, das ist alles andere als krankhaft, sondern völlig normal. Vergewaltigungsfantasien haben tatsächlich sehr viele Frauen. Dahinter steht sehr oft das Bedürfnis danach, Kontrolle abzugeben und sich fallen zu lassen. Deine Fantasie ist dein Garten, in dem du dich austoben kannst, ohne dass dir irgendjemand dazwischenfunkt. Hier bestimmst du die Regeln und wie weit du gehen möchtest. Wenn du einen Partner hast, mit dem du offen über das Thema sprechen kannst, dann könntet ihr ja auch mal über die ein oder andere Umsetzung einer Fantasie nachdenken.

Hintergehe ich meinen Partner/meine Partnerin, wenn ich masturbiere?

Ganz im Gegenteil!, ist meine Antwort. Mit der Masturbation tust du deinem Partner sogar einen großen Gefallen. Dieser Frage liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Solosexualität etwas ist, was man macht, wenn man niemanden hat. Frauen und Männer, die diese Vorstellung hegen, haben Schuldgefühle, wenn sie masturbieren, »obwohl« sie doch einen Partner und damit regelmäßigen Sex haben.34 Das ist absoluter Quatsch! Denn die Selbstbefriedigung ist ein völlig eigenständiger Teil der Sexualität, der von immenser Bedeutung ist, wenn es darum geht, den eigenen Körper selbstbestimmt zu erforschen. Du weißt dadurch, was dir gefällt, kannst es deinem Partner mitteilen und dadurch eine rundum erfüllte Sexualität erleben. Also eine Win-win-Situation! Erinnern wir uns außerdem daran, dass erst die praktizierte Selbstliebe zu einer erfüllten Partnersexualität führen kann.

Hand drauf!

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