Читать книгу Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute - Gideon Botsch - Страница 13
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ОглавлениеDie politische Rechte Als unterscheidendes Merkmal zwischen rechten und linken politischen Positionen wird die Stellung zum Prinzip der Gleichheit in den gesellschaftlichen Ordnungskonzepten betrachtet. Politische Positionen können nach Norberto Bobbio auf einer sog. Rechts-Links-Achse oder Egalitarismus-Antiegalitarismus-Achse mit den Polen Gleichheit-Ungleichheit abgebildet werden. Rechtsextreme Positionen lassen sich demnach als „Ordnungen der Ungleichheit“ (Stefan Breuer) charakterisieren, wobei mit dieser allgemeinen Bestimmung ein weites Feld an unterschiedlichen Positionen umrissen ist, das weltanschaulich, ideologisch und politisch viele Varianten aufweisen kann. Zur Verortung einer politischen Position reicht die Rechts-Links-Unterscheidung nicht aus. Ergänzend kann nach der angestrebten politischen Ordnung gefragt werden, die auf einer Libertarismus-Autoritarismus-Achse abzubilden ist. Denkbar ist ferner eine Rationalismus-Irrationalismus-Achse, mit den Polen Aufklärung-Mythos. Die extreme Rechte in Deutschland findet sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert überwiegend in jenem Sektor der politischen Landschaft, der durch Antiegalitarismus, Autoritarismus und Irrationalismus bestimmt wird.
Agitationsverbände; Alldeutsche
Als Oberbegriff für die seit 1890 neu formierte nationalistische Rechte hat sich das Wort „Radikalnationalismus“ durchgesetzt. Gemeint ist damit eine breite Strömung im deutschen Bürgertum und den Mittelschichten, die sich v.a. in Vereinen und Verbänden organisierte und versuchte, auf diesem Weg in die deutsche Politik einzugreifen. Die radikalnationalistischen Agitationsverbände gliedern sich in drei Gruppen: (a) Verbände, die der Vertretung gewerblicher oder berufsständischer Interessen dienten und dies mit einer radikalnationalistischen Agenda verbanden, wie der Bund der Landwirte oder der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband, beide 1893 gegründet; (b) Verbände, die ein bestimmtes und begrenztes politisches Ziel verfolgten, wie die Kolonialgesellschaft, gegr. 1887, der Ostmarkenverein von 1894, der Flottenverein von 1898, der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie von 1904, der Wehrverein oder der Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, die beide 1912 entstanden; (c) übergreifende Interessenverbände, unter denen v.a. der Alldeutsche Verband (ADV), gegründet 1891 als Allgemeiner Deutscher Verband und 1894 umbenannt, und der 1894 gegründete völkische Deutschbund zu nennen sind. Im Laufe des Kaiserreichs entwickelte sich der ADV zum Sprachrohr der Kräfte des radikalen Nationalismus und engagierte sich schließlich auf nahezu allen Feldern des gesellschaftlichen Lebens, der inneren und der äußeren Politik, ohne sich selbst die Form einer politischen Partei zu geben. Vielmehr versuchte er, unter den Vertretern der nicht-sozialistischen Parteien für seine Positionen zu werben, und polemisierte gleichzeitig prinzipiell gegen den Reichstag. Insofern der ADV gegründet wurde, um den „Neuen Kurs“ der Regierung Caprivi nach dem Ende der Bismarck-Ära zu bekämpfen, hatte er von vornherein einen „nationaloppositionellen“ Zug. Im weiteren Verlauf der 1890er Jahre konnten die radikalen Nationalisten indes wieder hoffen, ihre innen-, außen- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen realisieren zu können, zu denen beispielsweise auch der Erwerb überseeischer Kolonien (Imperialismus) sowie die Begründung militärischer „See“- und „Landgeltung“ (Flottenbau- und Heerespolitik) zählten. Doch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sahen sich viele Protagonisten des alldeutschen Kurses in ihren Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht. Unter dem Einfluss einer jüngeren Generation alldeutscher Funktionäre und Aktivisten entfremdeten sich der Verband und das ihn tragende politisch-soziale Milieu zunehmend von der Politik der Reichsleitung. Gleichzeitig radikalisierten sich seine Positionen, mehr und mehr wurde der ADV vom Antisemitismus, der in den ersten Jahren durchaus umstritten gewesen war, durchdrungen. Immerhin versuchten die Kräfte des radikalen Nationalismus noch nicht, die politische Ordnung umzustürzen, sondern nach wie vor auf dem Wege der Interessenpolitik den politischen Kurs zu beeinflussen. In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden sie zunehmend unruhig: Ihre weltpolitischen Ambitionen schienen durch das Einlenken der Reichsleitung in der Zweiten Marokkokrise (1911) vereitelt; innenpolitisch wurde die Sozialdemokratie angesichts ihres Durchbruchs in den Reichstagswahlen von 1912 – im radikalnationalistischen Spektrum als „Judenwahlen“ diffamiert – immer stärker als Bedrohung wahr genommen.
In dieser Zeit erzielte der radikale Nationalismus einen seiner bedeutendsten und nachhaltigsten Erfolge, als es 1913 gelang, im neuen Staatsangehörigkeitsgesetz des Reiches das auf Abstammung orientierte ius sanguinis oder „Blutsrecht“ anstelle des auf den Geburtsort abzielenden ius soli zu verankern. Unter dem Einfluss der Alldeutschen und ihrer Bündnispartner brachte die Regierung einen Gesetzesentwurf auf den Weg, der erklärtermaßen die Absicht hatte, „1. Deutschen im Ausland den Verlust der Staatsangehörigkeit zu erschweren; 2. früheren Deutschen den Wiedererwerb der Staatsangehörigkeit zu erleichtern, und eventuell 3. Ausländern die Naturalisation zu erschweren.“ Mit der Verabschiedung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 wurde die Abstammung zum leitenden Prinzip für die Gewährung oder Verweigerung der Staatsangehörigkeit. Damit orientierte sich das Deutsche Reich in dieser Frage am Konzept der Volksnation in Abgrenzung zum westlichen Modell der Staatsnation. Der radikale Nationalismus konnte damit gleich auf zwei zentralen Punkten seiner Agenda Erfolge verbuchen: Indem „die Staatsangehörigkeit in einem völkischen Sinne“ umgedeutet wurde, gelang es – wie Peter Walkenhorst festhält – erstens, sie „zu einem Instrument der sozialen Schließung gegenüber ‚volksfremden‘ Elementen umzufunktionieren“, zweitens aber auch, „ethnische“ Deutsche außerhalb der Reichsgrenzen zu Staatsbürgern zu machen – und sei es unter Inkaufnahme der ungeliebten Doppelstaatsangehörigkeiten – und somit zu bekräftigen, dass Deutschland und der Siedlungsraum des deutschen Volkes immer noch größer gedacht werden mussten, als das Territorium des Deutschen Reiches von 1871. Dieser Erfolg der radikalnationalistischen Politik war von lang anhaltender Wirkung: Die Abstammung blieb das bestimmende Prinzip des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts über die politischen Wechsel von 1918/19, 1933 und 1945/49 hinaus, das – zumindest in der Bundesrepublik – ungebrochen bis ins Jahr 2000 galt, als die Einbürgerung von Personen nicht-deutscher Herkunft erleichtert wurde, während die positive Diskriminierung von Personen deutscher Abstammung unangetastet und damit ein wesentliches Element des ius sanguinis bis heute erhalten blieb.