Читать книгу Die hauptsächlichsten Theorien der Geometrie - Gino Loria - Страница 8

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Inhaltsverzeichnis

»Alle Entwickelungsstufen der Zivilisation sind so eng miteinander verknüpft, daß man vergebens versuchen würde, irgend einen Zweig der Geschichte von einer bestimmten Epoche ab zu studieren, ohne einen Blick auf die vorhergehenden Zeiten und Ereignisse zu werfen.«[2] Wenn das im allgemeinen wahr ist, so wird es doppelt der Fall sein »bei einer Wissenschaft, die so konservativ ist, wie die Mathematik, welche das Werk der vorhergehenden Periode nicht zerstört, um an dessen Stelle neue Bauten zu errichten«.[3] Daher ist es unerläßlich, daß ich, bevor ich an das eigentliche Thema dieser Abhandlung herantrete, d. h. bevor ich über die moderne Geometrie spreche, kurz angebe, auf welche Weise die Geometrie zu dem Standpunkte gelangt ist, von welchem ab ich vorhabe, ihre Entwickelung eingehender zu verfolgen.

Den ersten Ursprung der geometrischen Untersuchungen festzustellen, ist ein fast unausführbares Unternehmen. Die täglichen Erfahrungen jedes denkenden Menschen führen auf eine so natürliche Weise zur Vorstellung der einfacheren geometrischen Formen und zur Erforschung ihrer gegenseitigen Beziehungen, daß man vergebens versuchen würde, den Namen desjenigen zu nennen, der zuerst Geometrie betrieben hat, und anzugeben, zu welcher Zeit sie entstanden ist. Daher sind die Kenntnisse, welche man über die ersten Spuren dieser Disziplin hat, sehr unbestimmt; wer sich vornimmt, sie festzustellen, den umhüllt, wenn nicht völlige Finsternis, so doch nur ein wenig Dämmerlicht, welches ihm nur gestattet, die Umrisse bedeutenderer Bruchstücke, welche sich den Unbilden der Zeit entzogen haben, zu erkennen. So kann ein solcher feststellen, daß die ältesten geometrischen Studien von den Ä g y p t e r n gemacht sind, und kann die Erzählung Herodots wiederholen, nach welcher diesem Volke ein sehr wirksamer Antrieb, sich mit Geometrie zu befassen, durch die periodischen Überschwemmungen des Nils gegeben wurde, welche, indem sie die Grenzen zwischen den kleinen Besitzungen, in die Ägypten unter seine Einwohner verteilt war, verwischten, sie nötigten, dieselben jedes Jahr wieder herzustellen.[4] Die Haltbarkeit dieser Hypothese, um die Thatsache zu erklären, daß in Ägypten die Wissenschaft, von der wir handeln, eifrig betrieben sei, wird durch die praktische Natur der Gegenstände bewiesen, welche dort eingehender behandelt wurden: specielle Konstruktionen, Messungen von Längen, Flächeninhalten, Volumen u. s. f.[5]

Indem die Kenntnisse der Ägypter nach Griechenland übergingen, erhielten sie durch T h a l e s (640-540)[6] und die Anhänger der ionischen Schule, welche er gründete, eine wissenschaftlichere Gestalt. Thales ist in der That der erste, der sich damit beschäftigt hat, die von den Ägyptern entdeckten Sätze und einige andere streng zu beweisen. Jedoch erhob sich die Geometrie unter seinen Händen noch nicht zur wahren Wissenschaft; diese Würde erlangte sie erst durch die Untersuchungen des P y t h a g o r a s (nach einigen 569-470, 580-500 nach anderen) und seiner Schüler. Unglücklicher Weise aber bestand eine der Regeln, welche die Pythagoräer strenge beobachten mußten, darin, daß sie die Lehren, welche der Meister vortrug, geheim halten mußten; daher kam es, dass der geometrische Teil derselben allen, die nicht dieser Schule angehörten, unbekannt blieb. Aber nachdem das Haupt gestorben war, da suchten seine Anhänger, als sie bei den inneren Kämpfen, welche die Republiken Grossgriechenlands zerrissen, besiegt worden waren, Zuflucht in Athen und offenbarten dort, von der Not getrieben, die Geheimnisse, welche sie bis dahin so strenge verwahrt hatten. Und der wohlthätige Einfluß einer grösseren Verbreitung dessen, was die Pythagoräer von der Mathematik wußten, ist durch die wichtigen Forschungen offenbar geworden, welche in der Folgezeit die griechischen Gelehrten in der Periode, welche zwischen Pythagoras und P l a t o (429-348) liegt, gemacht haben. Sie können in drei Kategorien geteilt werden, benannt nach den berühmten Problemen: der Dreiteilung des Winkels, der Verdoppelung des Würfels, der Quadratur des Kreises, und führten zur Vervollkommnung des mehr elementaren Teiles der ebenen Geometrie.

P l a t o verdanken wir den ersten Anstoß zum methodischen Studium der Stereometrie, und das ist nicht das Einzige, wofür der göttliche Philosoph auf den Dank der Geometer Anspruch erheben könnte; denn ihm ist auch die analytische Methode zuzuschreiben, deren Macht allen bekannt ist, und seiner Schule (Akademie) die Lehre von den Kegelschnitten und, was nicht weniger wichtig ist, die von den geometrischen Örtern.

Aus diesen gedrängten Angaben[7] wird man leicht entnehmen können, daß die Bemühungen der angeführten Geometer zu einer Fülle von Eigenschaften der Figuren und zu Methoden, sie zu erklären, geführt und die Elemente für eine methodische Behandlung der Geometrie vorbereitet hatten. Daher dauerte es nicht lange, daß vollständige Zusammenstellungen dessen, was entdeckt war, erschienen. Von vielen kennen wir nur die Existenz; nur eine einzige ist uns vollständig erhalten worden, die Elemente des E u k l i d e s, und das glänzende Licht, welches von ihnen ausgeht, führt uns zu der Vermutung, daß alle die anderen Zusammenstellungen durch die Vergleichung mit ihnen verdunkelt sind.

Mit diesem Buche, welches nach zweitausend Jahren noch als einzig angesehen wird, »von dem man für die Entwickelung der Jugend diejenigen Resultate erhoffen kann, mit Rücksicht auf die bei allen zivilisierten Nationen der Unterricht in der Geometrie eine solch bedeutende Stellung in der Erziehung der Jugend inne hat«,[8] nimmt die wahre Wissenschaft der Geometrie ihren Anfang. Es ist das granitene Piedestal, auf welchem der großartige Bau der griechischen Mathematik sich erhebt, auf dessen Gipfel sich die anderen Werke Euklids und die unsterblichen Arbeiten von A r c h i m e d e s (287-212), E r a t o s t h e n e s (276-194) und A p o l l o n i u s (ca. 200 v. Ch.) befinden.[9]

Diese berühmten Gelehrten bezeichnen den Höhepunkt der griechischen Wissenschaft; nach ihnen beginnt die Periode des Verfalles, ja sogar, trotz einiger wichtiger Untersuchungen eines H i p p a r c h (161-126) und eines P t o l o m a e u s (125 bis ungefähr 200), trotz der Arbeit eines genialen Kommentators, wie P a p p u s war (derselbe lebte gegen Ende des dritten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung), kommen wir nach und nach zu einer Periode völliger Unthätigkeit auf dem Gebiete der Geometrie.

Die Römer, die Eroberer und Gesetzgeber der Welt, scheinen jedes Untersuchungsgeistes zu entbehren, und wenn die Geometrie in der Epoche, in welcher sie herrschten, nicht ganz verfiel, so geschah das dank ihren Agrimensoren, welche jedoch bei ihren Operationen nur eine Genauigkeit zu erreichen suchten, die für die Bedürfnisse des täglichen Lebens ausreicht.[10]

Auch das Mittelalter kann keine Veranlassung geben zu einer längeren Erörterung. Die dichte Finsternis, welche in dieser Zeit die ganze Menschheit bedeckte, gestattete nicht das Auftreten eines Gelehrten, dem man irgend einen bemerkenswerten Fortschritt in der Geometrie verdankt. Man kann nur erwähnen, daß die vielfachen in dieser Zeit errichteten heiligen Bauwerke, die nach dem Ausspruche eines großen Dichters so zahlreich und kühn waren, weil sie die einzigen der menschlichen Intelligenz damals erlaubten Äußerungen darstellen, Kunde davon geben, daß derjenige Teil unserer Wissenschaft, der jedem Baumeister unentbehrlich ist, auch in dieser Zeit im allgemeinen bekannt war.

Diese für unsere Wissenschaft so traurige Zeit kann man als beendet ansehen mit Leonardo F i b o n a c c i (etwa 1180-1250); erst als von diesem ausgezeichneten Gelehrten die Algebra nach Europa übergeführt worden war, und seine hervorragenden Arbeiten ihren Einfluß ausübten, da hatte diese Periode der wissenschaftlichen Unthätigkeit ein Ende, und es beginnt eine neue Zeit, deren wir Italiener uns mit Stolz erinnern müssen, da in ihr unser Vaterland das Scepter der Mathematik inne hatte. Jedoch gravitierte diese Periode, wenn sie auch von großer Bedeutung für die analytischen Untersuchungen ist, nicht in merklicher Weise nach den geometrischen. C a r d a n o (1501-1576), S c i p i o F e r r o (?-1525), T a r t a g l i a (1500-1559), L u d o v i c o F e r r a r i (1522-1565) und andere weniger bedeutende, die dieser Periode angehören, haben den Ruhm, in unserem Lande die Entwickelung eines der wichtigeren Teile der Analysis, nämlich der Theorie der Gleichungen, bewirkt zu haben, sowie auch die Vervollkommnung einiger der schwierigsten Teile derselben gefördert zu haben, dank den öffentlichen wissenschaftlichen Herausforderungen, welche eine charakteristische Eigentümlichkeit dieser Zeit waren. Hingegen überlieferten sie die Geometrie ihren Nachkommen fast in demselben Zustande, in welchem sie dieselbe von den Griechen und den Arabern erhalten hatten.[11]

Nach dem Tode dieser tapferen Kämpen ging der Primat in der Mathematik über die Alpen und wurde von Frankreich infolge der Verdienste eines V i e t a (1540-1603) und eines F e r m a t (1590-1663) übernommen. Durch sie bereicherte sich die Geometrie mit Lösungen, die man vorher vergebens gesucht hatte. Auch wurden einige Werke des Apollonius, deren Verlust man beklagt hatte, wieder hergestellt.

Nicht viel später vermehrten P a s c a l (1623-1662) und D e s a r g u e s (1593-1662) das Erbteil der Geometrie mit originellen Gesichtspunkten, mit neuen Methoden und neuen Sätzen[12]. Aber die von ihnen ausgesprochenen Ideen blieben viele Jahre hindurch unfruchtbar, weil sie von dem analytischen Geiste, dessen überwiegender Einfluß sich schon geltend gemacht hatte, unterdrückt wurden.

Gleichwohl war im 17. Jahrhundert das Vorwiegen der Analysis noch nicht ein solches, daß es die Geometer die Probleme, deren Lösung man seit langer Zeit und so lebhaft gewünscht hatte, vergessen ließ. Zwischen den Bestrebungen dieser Zeit und den Wünschen der Gelehrten erhob sich in der Folge ein Wettkampf eigener Art, und aus dem Zusammenstoße verschiedenartiger Ansichten und Bestrebungen entsprang ein Funke, der fähig war, eine Flamme zu erregen, welche die kommenden Generationen erleuchten sollte;[13] es entstand die analytische Geometrie (1637).

Wenn man auch schon in einigen Methoden der griechischen Geometer, in einigen praktischen Regeln der Maler, der ägyptischen Astronomen und der römischen Agrimensoren Spuren von dem finden kann, was wir heute rechtwinkliges Cartesisches Koordinatensystem nennen; wenn auch schon die Araber und die italienischen Algebraiker aus der Renaissancezeit geometrische Betrachtungen auf die Lösung der Gleichungen angewandt hatten,[14] wenn auch schon V i e t a die Abscissen gebraucht hatte, um vermittelst Zahlen die Punkte einer Geraden zu bestimmen, wenn schließlich Nicolaus O r e s m e (ca. 1320-1382) und F e r m a t mehr oder weniger bewußt sich der Koordinaten bedient haben; so scheint doch ganz unbestreitbar D e s c a r t e s (1596-1650) der erste zu sein, welcher in ihrer ganzen Ausdehnung die volle Einsicht von der Möglichkeit, mit den algebraischen Rechnungszeichen die nach irgend einem Gesetze aufgebauten Formen des Raumes darzustellen, gehabt und der den ganzen Vorteil, den die Analysis und die Geometrie aus ihrer unerwarteten Vereinigung ziehen können, erkannt hat. Mit Recht wird daher Cartesius' Namen immer mit der Entdeckung der analytischen Geometrie verbunden bleiben.[15]

Die Leichtigkeit, mit welcher dieses neue Werkzeug Fragen zu lösen gestattete, welche die Alten für unangreifbar hielten, ließ die Zeitgenossen und unmittelbaren Nachfolger Descartes' die von Euklides, Archimedes und Apollonius eröffneten Wege ganz vergessen, so dass wir eine Zeitlang niemanden finden, der, um zu irgend einer wichtigen Wahrheit zu gelangen, sie eingeschlagen hätte.

Die kurz nach Descartes gleichzeitig von L e i b n i z (1646-1716) und N e w t o n (1642-1727) neu erfundenen Rechnungsarten betonten gerade diese Richtung, da sie bewirkten, daß man sich um diejenigen Probleme nicht bekümmerte, deren Lösung nicht geeignet war, die Allmacht der Methoden, welche die Welt diesen unsterblichen Geistern verdankt, hervortreten zu lassen, derartig, daß man sagen kann, daß mit Ausnahme der Philosophiae naturalis principia mathematica (1686) von N e w t o n und einiger Seiten von H u y g e n s (1629-1695),[16] von L a H i r e (1640-1718),[17] von H a l l e y (1656-1742),[18] M a c l a u r i n (1698-1746),[19] S i m p s o n (1687-1768),[20] von S t e w a r t (1717-1785)[21] keine mathematische Produktion jener Zeit dem angehört, was wir heute synthetische Geometrie zu nennen pflegen.[22]

Das hindert aber nicht, daß man diese Periode ohne Bedenken zu den erfreulichsten für die Geometrie rechnen muß. In der That ist der größere Teil der Probleme, welche von den Erfindern der Infinitesimalrechnung und ihren unmittelbaren Schülern aufgestellt oder gelöst worden, unter die wichtigsten der ganzen Geometrie zu rechnen, da sie die interessantesten und verstecktesten geometrischen und mechanischen Eigenschaften der Kurven und Oberflächen berühren. Wir sehen daher, daß nicht allein die Zahl der Kurven, welche einer näheren Betrachtung wert sind, sich ausserordentlich vermehrt,[23] sondern auch — was viel wichtiger ist —, daß die Betrachtung von Singularitäten einer Kurve und anderer neuer mit dieser verbundener Elemente eingefübrt wird, und daß infolge dessen Untersuchungsgebiete sich eröffnen, deren Existenz man vorher gar nicht geahnt hatte.

Die Leichtigkeit, welche die Cartesische Methode in der Auflösung einer so großen Anzahl von planimetrischen Aufgaben mit sich brachte, trieb natürlich die Geometer an, eine ähnliche für das Studium der Raumkurven und der Oberflächen zu schaffen. Daher entstand eine Verallgemeinerung dieser Methode, welche Descartes schon angedeutet hatte, und die S c h o o t e n (16..-1661)[24] in weiterer Ausführung veröffentlichte. Diese Andeutungen ließen bei P a r e n t (1666-1716) den Gedanken entstehen, eine Oberfläche durch eine Gleichung zwischen den drei Koordinaten eines ihrer Punkte darzustellen,[25] und bereiteten deshalb die analytische Geometrie dreier Koordinaten vor, welche im Jahre 1731 einen wesentlichen Teil der Mathematik zu bilden begann infolge einer klassischen Abhandlung von C l a i r a u t (1715-1765),[26] in welcher er im Alter von nur 16 Jahren mit einer seltenen Eleganz viele von den auf die Kurven doppelter Krümmung bezüglichen Problemen löste, welche ihre entsprechenden in der Ebene finden. Bald nach Clairaut schuf E u l e r (1707-1783) die analytische Theorie der Krümmung der Oberflächen (1760)[27] und wandte die analytische Methode an, um eine Klassifikation der Oberflächen zweiten Grades zu erhalten, gegründet auf analoge Kriterien, wie diejenigen, welche den Alten dazu gedient hatten, die Kurven zweiter Ordnung in Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln zu unterscheiden. Endlich gehört der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts das riesige Werk von M o n g e (1746-1818) an. Dieser verschaffte der analytischen Geometrie zweier Koordinaten das Aussehen, welches sie heute besitzt, indem er den methodischen Gebrauch der Gleichung einer Geraden einführte. Er stellte den wichtigen Begriff von Flächenfamilien auf und, indem er einige derselben behandelte (Regelflächen, abwickelbare, Röhrenflächen, »Surfaces moulures«), entdeckte er einen versteckten innigen Zusammenhang zwischen der Theorie der Oberflächen und der Integration der partiellen Differentialgleichungen, was Licht in diese, wie in jene Lehre brachte und den Geometern neue Gesichtspunkte enthüllte.[28]

Die geistige Bewegung, welche mit der Renaissancezeit begonnen und Italien an ihrer Spitze hatte, pflanzte sich, wie wir schon gesehen haben, zuerst unter Frankreichs Leitung fort, dann unter der von England und Deutschland. Aber gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als Euler aufgehört hatte »zu rechnen und zu leben«,[29] stellte sich Frankreich wieder an die Spitze der mathematischen Welt. Nicht allein mit C l a i r a u t, d ' A l e m b e r t (1716-1783), L a g r a n g e (1736-1813), L a p l a c e (1749-1827), L e g e n d r e (1752-1833), P o i s s o n (1781-1840) und anderen gab es den Anstoß zum Studium der reinen und angewandten Analysis, sondern es kehrten auch mit M o n g e, C a r n o t (1753-1823) und P o n c e l e t (1788-1867) die Gelehrten zum Studium der geometrischen Formen zurück, in der Weise, wie es die Alten verstanden.

Monge schuf, indem er zu einem wissenschaftlichen Ganzen die wenigen Regeln vereinigte, welche die Baumeister und Maler sich geschaffen hatten, um die Bedürfnisse der Kunst zu befriedigen, und glücklich die Lücken ausfüllte, die sich zwischen ihnen noch bemerkbar machten, einen neuen Zweig der Geometrie, die darstellende Geometrie. Mit seinem klassischen Buche, welches er dieser Disziplin widmete,[30] und noch viel mehr mit seinen unvergleichlichen Vorlesungen, die er an der polytechnischen Schule hielt, brachte er das Studium der Geometrie, welches sich auf die direkte Anschauung der Figur stützt, zu Ehren[31] und, indem er die Vorstellung der geometrischen Figuren von drei Dimensionen erleichterte, machte er jene systematische Anwendung von stereometrischen Betrachtungen auf das Studium der ebenen Figuren möglich, welche Pappus schon erkannt hatte.[32]

Der Géométrie descriptive von Monge darf man die Géométrie de position von C a r n o t[33] an die Seite stellen, weil diese, indem sie mit jener das Ziel gemeinsam hat, der Geometrie diejenige Allgemeinheit zu verschaffen, welche man ausschließlich der Analysis zugetraut hatte, nicht weniger als jene dazu beitrug, den Aufschwung der reinen Geometrie vorzubereiten, welchen man von dem Erscheinen des Traité des propriétés projectives des figures (1822)[34] datieren kann.

Um zu überzeugen, wie bemerkenswert dieses Datum sei, wird es genügen, zu erwähnen, daß gerade in dem großen Werke von P o n c e l e t die Macht der Zentralprojektion als einer Methode der Demonstration und des Prinzips der Kontinuität als eines Untersuchungsmittels zum ersten Male gezeigt ist;[35] daß das tiefere Studium der Homologie zweier ebener oder räumlicher Systeme in demselben zum Begriffe der Korrespondenz zwischen zwei Mannigfaltigkeiten zweier oder dreier Dimensionen führte; daß die Kenntnisse der Alten über die Polarität in Bezug auf einen Kegelschnitt und die von der Mongeschen Schule gewonnenen über die Polarität in Bezug auf eine Fläche zweiter Ordnung, die dort zum ersten Male sich vereinigt finden, das Gesetz der Dualität vorbereiteten, welches, von S n e l l i u s (1581-1626)[36] und V i è t e[37] in der sphärischen Geometrie erkannt, bestimmt war, in seiner ganzen Allgemeinheit vier Jahre später von G e r g o n n e (1771-1859)[38] ausgesprochen zu werden; daß sich schließlich dort jene eleganten Untersuchungen über die Vielecke, die einem Kegelschnitt ein- und einem anderen umbeschrieben sind, finden, die J a c o b i (1804-1851), R i c h e l o t (1808-1875) und anderen Gelegenheit geben sollten, davon eine der elegantesten Anwendungen der Theorie der elliptischen Funktionen zu machen, welche man kennt.[39]

Die Abhandlungen, welche P o n c e l e t der Theorie der harmonischen Mittel, der reciproken Polaren und der Transversalen widmete, sowie andere weniger bedeutende von Gelehrten, welche zur M o n g e schen Schule gehörten, führen uns zum Jahre 1837, in welchem C h a s l e s' (1796-1880) Aperçu historique sur l'origine et le développement des méthodes en géométrie[40] veröffentlicht wurde. In diesem unübertrefflichen Werke brachte der Autor, nachdem er in bewunderungswerter Form alles, was das Erbteil der reinen Geometrie in seiner Zeit bildete, zusammengestellt hatte, die Rechte zur Geltung, die sie auf die Beachtung der Gelehrten hatte und welche von den blinden Anbetern der Analysis ihr versagt worden waren, und zeigte durch wichtige und originelle Untersuchungen, mit welchem Rechte er sich zum Beschützer der Sache der Geometrie gemacht hatte.[41]

Jedoch in dem Zeitraume, welcher zwischen dem Erscheinen des Ponceletschen Werkes und desjenigen von Chasles liegt, hatte sich Deutschland aus dem Schlafe gerüttelt, in welchen die einschläfernden Arbeiten der Schule der Kombinatoriker es versetzt hatten. Dieses Wiedererwachen bedeutete einen neuen Übergang des Szepters der Mathematik von Frankreich nach Deutschland.[42] In der That sehen wir durch die Arbeiten von Gelehrten wie M ö b i u s (1790-1868),[43] S t e i n e r (1796-1863),[44] P l ü c k e r (1801-1868)[45] und v o n S t a u d t (1798-1867)[46] die analytische Geometrie sich mit Methoden bereichern, von denen wir nicht wissen, ob wir mehr ihre Eleganz oder ihre Macht bewundern sollen, so der Barycentrische Calcul und die abgekürzte Bezeichnung; wir sehen die synthetische Geometrie Hilfsmittel erwerben für das Studium, der Kurven und Oberflächen, die bis dahin für dieselbe unerreichbar waren, sowie für die Gründung einer reinen Geometrie der Lage, die ganz und gar unabhängig ist von dem Begriffe des Maßes. Dank dem von C r e l l e (1780-1855) in dieser Zeit gegründeten Journal (1826), das bald zu verdientem Rufe gelangte, vorzüglich durch die Abhandlungen A b e l s (1802-1829), J a c o b i s und S t e i n e r s verbreiteten sich die eben angeführten Resultate schnell. Und so sehen wir hinter diesen Größen eine zahlreiche und glänzende Anzahl von Schülern, welche, indem sie Ähren lasen auf den Feldern, die von ihren Meistern bebaut waren, die Fruchtbarkeit des Samens zeigten, den jene ausgestreut hatten.

Hiermit will ich den Abriß der geistigen Bewegung, welche die neuesten geometrischen Untersuchungen vorbereitet hat, geschlossen haben und ich muß mich nun im einzelnen mit denselben befassen. Um mir nun die vorgenommene Aufgabe der Darlegung derselben zu erleichtern, werde ich meine Darstellung in verschiedene Teile teilen. Zuerst will ich mich mit der Theorie der ebenen Kurven und der Oberflächen beschäftigen, dann, nach einer kurzen Abschweifung zu den Untersuchungen über die Gestalt der Kurven und Oberflächen und über die abzählende Geometrie, werde ich mich mit den Studien über die Raumkurven befassen, um davon zur Darlegung des Ursprunges und der Entwickelung der Lehre von den geometrischen Transformationen überzugehen; darauf wende ich mich zur Geometrie der Geraden, um dann mit der Nicht-euklidischen Geometrie und der Theorie der Mannigfaltigkeiten von beliebig vielen Dimensionen zu schließen.[47]

Die hauptsächlichsten Theorien der Geometrie

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