Читать книгу Vorsicht! Mann in Wechseljahren - Gisela Sachs - Страница 7
Оглавление2. Kapitel
In der Therapiegruppe sind vorwiegend Männer zwischen 50 und 60 Jahren. Alle paar Minuten steht einer auf, um pinkeln zu gehen. Und immer dauert es Ewigkeiten, bis sie wieder in den Raum zurückkommen. Alle vermeiden jeglichen Blickkontakt mit mir, setzen sich verschämt auf ihren Stuhl und starren auf den Fußboden. Phänomenal!
Nach dem Mittagessen sitzen täglich jeweils vier der Herren dicht nebeneinander auf zwei Bänken und beobachten die Enten auf dem Chiemsee. Mit dem Glockenschlag um drei Uhr erheben sich täglich acht Hinterteile synchron von der Holzbank, streichen sich acht Männer synchron mit der rechten Hand über ihren Rücken und watscheln schwerfällig Richtung Klinik. Da gibt es mittags ab drei Uhr Kaffee.
Es ist wohl ein Wink des Schicksals, dass ich mit Männern in der Andropause zusammen sein muss, denke ich. Und um den Schicksalswink anzunehmen, verbringe ich viel Zeit mit den Herren. Wir kochen gemeinsam in der Stationsküche, gehen ins Kino und machen Ausflüge mit dem Boot. Acht Herren rudern fast täglich parallel in zwei Booten synchron zur Fraueninsel rüber. Ich verkneife mir das Lachen, weiß ich doch von zuhause, dass Männer in den Wechseljahren selten einen Spaß verstehen.
Mein Mann besucht mich jedes Wochenende und erteilt den Männern meiner Gruppe regelmäßig Ratschläge über den konsequenten Umgang mit mir, nimmt ihnen jedes Wochenende von Neuem die Ehrenworte ab, unter der Woche gut auf mich aufzupassen. Er würde sich erkenntlich zeigen, meint er. Die Wochenenden sind sehr anstrengend für mich und der mich behandelnde Psychologe hält es für sinnvoll, dass ich meinen Aufenthalt in der Klinik verlängere.
Ich nehme seinen Vorschlag begeistert an, mache meinem Mann klar, dass die wöchentlichen Benzinkosten für die Besuche große Löcher in unsere Haushaltskasse reißen und dass er an den Wochenenden einfach einmal seine Seele baumeln lassen, Musik hören, ein gutes Buch lesen und sich vor allem nicht dem Stress des Wochenendverkehrs aussetzen soll. Die Kostengründe überzeugen ihn letztendlich.
»Danke«, sagt mein Mann zu den Männern, als er mich nach acht Wochen von der Kurklinik abholt.
»Wir bleiben in Verbindung«, sagen acht Männer, als ich zum Abschied in die vertrauten Gesichter blicke.
»Ich werde euch vermissen«, murmele ich mit einem letzten Blick auf den Chiemsee.
»Wir sollten einkaufen gehen«, sagt mein Mann, kaum dass wir um die Ecke gebogen sind. Die Farben seines LieblingsSupermarktes leuchten schon von weitem. Gelb! Rot! Blau! Mir schwant Böses. Mein Mann ist begeistert.
»Egal wo du bist, Frau, du brauchst nur ins passende Regal zu greifen und hast dein Gewohntes, ohne lange herumsuchen zu müssen. Ist das nicht fabelhaft, Frau?«
»Ich heiße Margit!«
Er klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn, streift sich mit gespreizten Fingern durch die Haare, kneift seine Augen zu Schlitzen und stöhnt. »Du bist ja immer noch zickig, Frau!«
Er brüllt schon an der Eingangstüre. »Eier, Zucker, Mehl, brauchst du das, Frau?«
Vor uns, ein junges Paar, das sich suchend umschaut. Sie sind sich unschlüssig, ob sie die Eier von glücklichen Hühnern oder die von den weniger glücklichen, aber zum halben Preis nehmen sollen. Die junge Frau hat eine grün gestreifte Tragetasche um ihre Hüfte gebunden, statt Baby lugt aber ein Dackelkopf heraus. Der Dackel zuckt zusammen, als mein Mann »Kartoffeln, Karotten, Salat, brauchst du das, Frau?«, durch den Verkaufsraum brüllt.
Wir treffen uns an der Tiefkühltruhe wieder. Der Hund kuschelt sich eng an sein Frauchen, als er die Stimme meines Mannes vernimmt.
»Milch, Butter, Wurst, brauchst du da was, Frau?«
Die junge Frau streichelt beruhigend über den Kopf des Tierbabys. »Ist nur ein alter Mann, Hundie.«
Er begibt sich bedächtig Richtung Kasse, wartet, bis die Menschenschlange lang, aber nicht allzu lang ist, vergewissert sich, dass er genügend Zuschauer hat, packt die Lebensmittel auf das Band, verweigert meine Mithilfe und sieht sich beifallheischend um. Alle sollen sehen, wie gut ich es mit ihm getroffen habe. Jetzt kommt mein Einsatz, bietet sich mir endlich die Gelegenheit, meine gewünschten Lebensmittel zu holen, und ich sprinte nach hinten, hole mir alles wieder, was mein Mann aus dem Wagen und in die Regale zurückgelegt hat, hechte nach vorne ans Kassenband, ignoriere die erbosten Blicke der jungen Frau mit dem Dackel und lege meine Sachen neben den Einkauf meines Mannes.
»Gehören Sie zusammen?«, fragt die Kassiererin.
»Bis jetzt noch«, antworte ich mit einem kurzen Seitenblick auf meinen Mann.
»Das fängt ja gut an, noch nicht einmal zu Hause angekommen, fängst du auch schon wieder an zu rebellieren, Margitchen. Die Frauen heutzutage …«
»Das Telefon läutet«, sagt er, als ich die Haustür aufschließe. Ich nehme den Hörer ab und erkenne sofort die rauchige Stimme meines Kur-Kumpels Herbert.
»Ich habe Probleme mit meiner Frau, Margitchen«, klagt er.
»Massive Probleme, Margitchen. Ich muss dringend mit dir darüber reden.«
»Hm.«
»Wir haben uns doch in der Kur so gut verstanden, Margitchen, und …«
»Herbert, ich komme gerade zur Haustür herein, bin noch nicht einmal ausgezogen, muss meinen Einkauf verstauen und …«
»Du hast keine Zeit für mich, Margitchen?«
»Im Moment nicht, Herbert.«
»Ach? Ich rufe dich in 10 Minuten noch einmal an, Margitchen!«
»Ich bin voll beschäftigt, Herbert, muss meine Schmutzwäsche versorgen, die Einkäufe verstauen, Essen zubereiten, meine Kinder kommen in einer knappen Stunde und …«
Herbert hüstelt, ist beleidigt und legt auf.
Der nächste Anrufer ist Martin. Ich hatte an unserem Kennenlern-Tag schon bemerkt, dass er der Gruppe etwas verheimlichen will. Einmal in der Woche, meist montags, kam er mit einer Apothekertüte in den Speisesaal, verstaute diese umständlich unter dem Tisch, legte sorgfältig seine Serviette darüber und suchte unmittelbar nach dem Essen die nächste Toilette auf.
»Du, Margit, wir haben uns doch in der Klinik so gut verstanden«, beginnt er das Gespräch. »Jetzt ist es Fakt, ich lasse mich scheiden, Margit. Meine Frau und ich passen einfach nicht zusammen. Wir haben uns in verschiedene Richtungen entwickelt, das habe ich jetzt ganz klar erkannt. Dr. Maier hatte recht. Mir geht es scheiße, Margitchen. Das Haus wird drauf gehen und Else wird den Hund bekommen. Ohne meinen Fips ist mein Leben aber nichts mehr wert, ich liebe meinen Hund mehr als alles Andere auf dieser Welt. Schade, dass meine erste Frau so früh verschieden ist.«
Er schnäuzt sich. »Meine erste Frau war so eine gute Frau, Margitchen, nicht so eine Schindmähre wie meine Jetzige …«
»So schlimm kann es doch gar nicht sein, Martin. Du bist doch eben erst zu Hause angekommen.«
»Du willst nicht mit mir reden, Margitchen?«
»Nicht jetzt, Martin. Ich habe Hunger, muss meine Einkäufe auspacken, Wäsche waschen und …«
Martin legt auf. Drei Minuten später ruft Siggi an.
»Es tut so gut deine Stimme zu hören, Margitchen«, flötet er in den Hörer. Er versucht seine Stimme sexy klingen zu lassen. Das hat er in der Klinik schon erfolgreich bei den Putzperlen ausprobiert. Siggi ist ein solariumgebräunter, schmuckbehangener Draufgänger.
Er fährt ein Mercedes Cabrio, trägt am linken Ohr einen goldenen Brilli, wechselt seine Hemden stündlich, lässt die obersten drei Kragenknöpfe offen, krempelt die Ärmel bis zum Ellbogen hoch und trägt vorzugsweise hautenge Designerjeans. Er erzählt mir minutenlang das Dilemma seiner psychosozialen Belastungen.
»Ich bin gerade heimgekommen, Siggi, habe Hunger, muss Wäsche waschen und …«
»Du willst nicht mit mir reden, Margit?«
Siggis Stimme klingt erstaunt. »Wo wir uns doch in der Kur so großartig verstanden haben, Margitchen.«
»Jetzt nicht, Siggi, ich habe zu tun!«
Siggi legt auf, ohne sich von mir verabschiedet zu haben. Ich bin nicht sonderlich erstaunt, als eine Stunde später mein KurKumpel Jürgen anruft. Er wohnt in der gleichen Stadt und will mit mir Kaffee trinken gehen, macht er kund. Ins Insel-Hotel.
»Ich lade dich ein«, sagt er großzügig.
»Jürgen, ich muss meine Wäsche in Ordnung bringen, die Einkäufe verstauen. Meine Kinder kommen nachher vorbei und …«
»Du hast keine Zeit für mich, Margitchen?«
Ich höre, wie er die Luft durch seine Nase zieht.
»Wo wir uns doch in der Kur so blendend verstanden haben, Margitchen.«
»Heute leider nicht. Mach’s gut, Jürgen. Bis demnächst einmal.«
»Bis demnächst einmal? Was soll denn das heißen, Margitchen?« Ich lege den Hörer auf die Gabel, bevor es Jürgen tut.
»Meine Frau ist unberechenbar und launisch«, meint Harald mit dem Eincreme-Tick. »Die versteht mich nicht.«
In der Leitung rauscht und knistert es.
»Ich kann dich nicht verstehen, Harald«, sage ich.
»Du auch nicht, Margit? Wo wir uns in der Klinik doch so gut verstanden haben? Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht, Margit.«
»Harald«, sage ich, rufe doch den Herbert, den Martin, den Siggi oder einen von den anderen Männern an. Ihr seid in etwa gleichem Alter und …«
»Du willst mir nicht helfen, Margit? Eigentlich hätte ich mir das gleich denken können. Ihr Frauen seid doch wirklich …«
Ich lege den Hörer auf die Gabel, fange an, die Einkäufe zu verstauen, putze den Salat und stelle das Wasser für die Nudeln auf die Herdplatte. Ich atme tief durch, als das Telefon von neuem läutet.
Ulli ist erstaunt, als er erfährt, dass Herbert, Martin, Siggi, Harald und Jürgen auch schon bei mir angerufen haben. Sein Redefluss ist nicht zu stoppen. »Ich muss etwas mit dir besprechen, Margitchen«, meint er. »Wir müssen uns unbedingt sehen. Heute noch, Margitchen. Das muss richtig ausdiskutiert werden. Wie ist dein Befinden gerade, Margitchen? Also ich bin gerade bei Skala 10. Weißt du …«
»Stopp, Ulli. Wir sind nicht mehr in der Gruppentherapie«, wehre ich mich.
»Aber Margit, wir haben uns doch in der Gruppe so gut verstanden. Und wo ich doch in solchen Schwierigkeiten stecke.«
»Lieber Ulli, deine Probleme fallen nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Dazu habe ich weder Lust noch Zeit. Jetzt ist wieder normales Leben für mich angesagt!«
»Aber Margit …?«
Ich schalte das Telefon auf stumm und hole die Bratpfanne aus dem Küchenschrank.
»Helmut und Klaus-Otto haben nicht angerufen«, stellt mein Mann fest, während ich das Öl in die Pfanne träufele.
»Mir geht es so gut wie noch nie in meinem Leben, Margitchen«, säuselt Helmut Tage später in die Muschel. »Ich habe meine große Liebe gefunden, Margitchen. Meine ganz große Liebe. Endlich!«
Er säuselt. »Wir gleiten auf der gleichen Wellenlinie, Margitchen.«
»Aha?«
»Wir haben die gleichen Hobbys, mögen die gleiche Musik, dasselbe Essen, lieben die gleichen Farben, haben den gleichen Humor und … Ich werde Manfred zu Herberts 60. Geburtstag mitbringen. Er ist ja so ein feiner Kerl. Du wirst ihn mögen, Margit!« Ich wundere mich über diese Neuigkeit nicht all zu sehr, habe
Helmuts Neigung zu Männern schon längst erkannt.
»Das wird eine Gaudi, Margitchen«, sagt er begeistert. »Dann sind wir endlich wieder vereint.«
Er lacht laut über seinen Witz. Ich halte den Hörer weit weg von meinem Ohr.
»Du hast doch auch eine Einladung bekommen, Margitchen?«
Helmut wartet keine Antwort ab. »Bringst du deinen Winfried mit? Bleibt ihr über Nacht? Wir könnten am Morgen danach zusammen wandern gehen. Mein Manfred wandert doch so gerne, Margit. Wir bleiben für drei Tage. Manny hat sich extra Wanderschuhe gekauft. Braunorangenfarbene. Mit rutschfester Gummisohle und Shockabsorber. Du weißt doch, was ein Shockabsorber ist, Margit? Meine Ex trug ja so was als BH.«
Helmut wiehert wie ein Pferd. »Immer wenn sie mit dem Hund Gassi ging. Du weißt doch, dass wir früher einen Hund hatten, Margit. Einen Dackel. Ich habe dir Bilder von unserem Waldi gezeigt …«
Ich versuche Helmuts Redefluss zu stoppen. »Was ist denn aus deiner Frau geworden, Helmut?«, frage ich nach. »Ihr geht’s doch gut?«
»Mach dir da mal keine Sorgen, Margit. Die Gabi macht es sich mit ihrem Mädel in einem Wellness-Hotel in Schwäbisch Hall gemütlich.«
»Aha?«
»Du weißt doch, dass wir eine Paartherapie gemacht haben, Margit. Das habe ich dir doch erzählt. Und da hat es sich herausgestellt, dass wir lieber mit dem eigenen Geschlecht zusammen sind.«
»Aha!«
»Was heißt denn hier aha, Margit?«
»Nun ja, die Regel ist das ja wohl eher nicht, Helmut.«
»Du bist in manchen Dingen so richtig vorgestrig, Margit. Man(n) muss auch anderweitige Erfahrungen sammeln, kann nicht immer den gleichen Trott leben. Mein Gott, Margit. Mit 60 fängt das Leben doch erst richtig an!«