Читать книгу Vorsicht! Mann in Wechseljahren - Gisela Sachs - Страница 8

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3. Kapitel

Rückblick

Es war am Rosenmontag, ich hatte Nachtdienst und war hundemüde. Eigentlich wollte ich nur noch eines in mein Bett. Das penetrante Klingeln des Telefons erschrickt mich, ich lasse den Kaffeelöffel aus meiner Hand fallen, bücke mich danach und schlage mir den Kopf an der offen stehenden Schranktür an.

»Scheiße!«

Ich gebe der Tür einen Fußtritt. Wenn ich übermüdet und hungrig bin, bin ich äußerst schreckhaft und gereizt. Das war schon in meiner Kindheit so. Ich reibe mit den Fingerspitzen meiner rechten Hand über die schmerzende Stelle an meinem Kopf, trinke einen Schluck des noch zu heißen Kaffees.

»Auuu. Heute geht wirklich alles schief.«

Ich knalle die Tasse auf den Spültisch und lasse mich seufzend auf den Küchenstuhl gleiten, lege die Hände gekreuzt auf den Holztisch, meinen Kopf darauf und ergehe mich in Selbstmitleid. Das Telefon läutet immer noch. Genervt stehe ich auf und sehe auf dem Display die Nummer meiner Freundin Barbara. Was will die schon wieder? Die weiß doch, dass ich Nachtdienst hatte.

Ich greife nach dem Hörer. »Ja?«

»Ich bin’s, Margit. Die Barbara.«

»Ich weiß.«

»Ich habe Fasnachtsküchle gebacken, Margit. Lass mal einen Kaffee durch, ich bin in zehn Minuten bei dir!«

»Ich hatte Nachtschicht, Barbara.«

»Ich weiß.«

»Ich will in mein Bett, Barbara!«

»Heute ist Rosenmontag, Margit. Und da gibt es wie jedes Jahr Fettgebackenes. Das magst du doch so gerne.«

»Ja schon, Barbara. Aber nicht zum Frühstück. Und nicht nach der Nachtschicht.«

»Also dann in zehn Minuten, Margit.«

»Ich habe keine Lust auf Fasnachtsküchle, Barbara.«

»Dann komme ich mit einer Brötchentüte bei dir vorbei.«

»Ich bin müde, Barbara!«

»Sie sind in Schmalz ausgebacken, Margit.«

»Was?«

»Die Fasnachtsküchle.«

»Ich gehe jetzt ins Bett, Barbara!«

»Ich dachte, wir frühstücken zusammen, machen danach einen Schneespaziergang. Ich habe dir ja so viel zu erzählen, Margit. Ich habe da einen Mann kennengelernt …«

»Schon wieder?«

»Wir könnten uns aber auch beim Chinesen treffen und ich erzähle dir dann beim Mittagessen von meinem Fisch im Netz, einem ganz dicken Brocken, Margit, höchstwahrscheinlich ein Beamter, vielleicht sogar ein Beamter auf Lebenszeit. Der Horst hat so gepflegte Hände, Margit.«

»Aha.«

»Am Nachmittag habe ich einen Friseurtermin, dann kannst du dich ausruhen und für den Rosenmontagsball aufhübschen, Margit.«

»Ich bin müde, Barbara!«

»Karin, Jutta und Anna gehen auch mit.«

»Aha?«

»Ich habe den Mädels fest zugesagt für heute Abend. Auch für das Hering-Essen am Aschermittwoch. Für uns beide, Margit.«

»Aha?«

»Du hast doch jetzt ein paar Tage frei und …«

»Meine Güte, Barbara, ich will in mein Bett. Lass mir doch einfach meine Ruhe!«

»Oh, du bist wieder einmal überarbeitet, Margit. Dann sehen wir uns aber morgen Abend beim Faschingsdienstagsball in der Stadthalle.«

»Mir ist nicht danach Fasching zu feiern, Barbara.«

»Ich bin dieses Jahr als laszive Nonne unterwegs.«

Barbara lacht wie ein Grünspecht. »Du ziehst wahrscheinlich wieder dein braves Corsagen-Tanz-Kostüm an, habe ich recht, Margit?«

»Ich hole dich sicherheitshalber von zu Hause ab, Margit, damit da mal nichts schief geht. So gegen 19.00 Uhr. Gute Nacht. Bis Morgen dann, Margit.«

Sie räuspert sich. »Und schlaf dir gute Laune an, Liebes.«

»Gute Nacht ist gut, Barbara.«

Ich stöhne. »Du weißt ja, wie hellhörig dieses Haus tagsüber ist.«

»Da musst du durch. Bis dann, Margit.«

Ich lege den Hörer auf die Gabel und schalte das Telefon auf stumm. Faschingsball. Ich habe wirklich keine Lust auf Narreteien. Schlaflos wälze ich mich im Bett hin und her, bin aufgedreht wie immer, wenn ich Nachtdienst hatte. Zuviel spukt in meinem Kopf herum. Was wird aus der jungen Frau Müller werden? Die arme Frau hat ‚Feuer im Dickdarm’, sich bei Schichtwechsel immer noch gekrümmt vor Leibschmerzen. Was wird aus ihrem Sohn, während ihrer Therapien? Sie ist alleinerziehende Mutter, der Bub erst 10 Jahre alt. Ein nettes Kerlchen mit blauen Augen und schwarzbraunen Wuschellocken. Frau Müller hat ein erhöhtes Darmkrebsrisiko.

Christoph, der junge Mann mit dem Hörsturz aus Zimmer 213 wäre in einer psychosomatischen Klinik besser aufgehoben als bei uns mit nur Infusionstherapie.

Frau Schrezenmeier wird morgen ins Pflegeheim verlegt und ich hatte keine Zeit mich von ihr zu verabschieden, es herrscht Ausnahmesituation in der Klinik. Wegen Umbauarbeiten wurden vorübergehend zwei Stationen geschlossen und die Patienten auf die Innere verlegt. Ich bin die ganze Nacht gerannt, gerannt, gerannt, habe zwischendurch immer wieder Kaffee getrunken und Schokolade in mich reingestopft.

Früher habe ich Partys gefeiert und problemlos noch die Nachtschicht angehängt. Das ist heute nicht mehr drin bei mir. Der aufgezwungene Fremdrhythmus der Wechselschichten fordert seinen Tribut. Nachtschicht von 20.30 bis 6.30 Uhr. Tagesschicht von 12.30 bis 21.00 Uhr. Frühschicht von 5.30 bis 14.00 Uhr. Sieben Nächte musste ich am Stück arbeiten, jetzt folgt ein mehrtägiger Freizeitblock, ich muss aber in Rufbereitschaft bleiben.

Ich schäle mich aus dem Bett, bewege mich schlaftrunken Richtung Küche und schalte die Kaffeemaschine ein. Mein Magen knurrt wie bei einem hungrigen Wolf. Ich öffne den Kühlschrank, gähnende Leere blickt mir entgegen, ich hatte wieder einmal keine Zeit, um einkaufen zu gehen, esse wieder Schokolade. Lustlos hole ich den Karton mit den Faschingsutensilien aus dem Dielenschrank und krame nach dem königsblauen CorsagenTanz-Kostüm. Ich werde es aufbügeln müssen, es ist total zerknittert. Auch das noch! Ich werfe das Kleid in den Karton zurück, nehme zwei Schlaftabletten aus der Packung, spüle sie mit Wasser hinunter und begebe mich wieder Richtung Bett. Ich will schlafen! Nur noch schlafen!

Wie in Watte gepackt höre ich eine Melodie. Meine Haustürklingel? Mein Blick streift den Wecker auf meinem Nachttisch, ich schaue irritiert auf das Zifferblatt. 19.00 Uhr. Es ist meine Haustürklingel! Mit einem Satz springe ich aus dem Bett und betätige den Türöffner im Flur. Es dauert keine zwei Minuten, dann steht meine Freundin schon vor mir.

»Du bist ja noch nicht einmal angezogen, Margit«, meckert Barbara, drückt sich an mir vorbei und stellt zwei prall gefüllte Plastiktüten auf den Küchentisch.

»Dein Kühlschrank ist doch bestimmt wieder lotterleer«, stichelt sie und reißt die Kühlschranktür auf. »Von was lebst du eigentlich, Margit?«

Sie räumt Eier, Butter, Wurst, Käse, Joghurt in Augenhöhe ein, verstaut Karotten, Sellerie, Salat im Gemüsefach. Prüfend sieht sie sich in meiner Küche um.

»Bei dir sieht es aus wie in der Spendenkammer vom Roten Kreuz, Margit.«

Ihr Blick bleibt an dem Karton mit den Faschingsutensilien hängen. »Dein Kostüm muss aufgebügelt werden, Margit!«

»Ich weiß, Barbara.«

Barbara schubst mich ins Bad. »Duschen, Haare waschen, schminken! Ich bügle in der Zwischenzeit dein Kleid auf, Margit.« Ich halte mein Gesicht über das Waschbecken, lasse eiskaltes Wasser in meine Hände laufen, bespritze mein Gesicht und meinen Hals. Ich höre, wie Barbara das Bügelbrett hinter dem Dielenschrank hervornestelt, höre, wie sie mit dem Pizzalieferservice telefoniert. Ich bin gerade mit dem Schminken fertig, da ertönt auch schon die Haustürglocke.

»Ich komme runter«, brüllt meine Freundin in die Sprechanlage und verschwindet im Treppenhaus. Meine Füße hinterlassen Spuren auf dem Laminatboden.

»Trockne dich ordentlich ab, setz dich an den Tisch und iss erst mal was, bevor du dich anziehst und dein Kleid verkleckerst«, befiehlt meine Freundin Minuten später. Sie stellt die Pizza samt Kartonage vor mir auf den Tisch, drückt mir Messer und Gabel in die Hand und wünscht mir einen guten Appetit. Den habe ich, ich schlinge die Pizza hinunter wie ein Raubtier seine Beute.

Mein Korsagen-Kostüm hängt frisch gebügelt am Griff des Einbauschrankes. Hoffentlich passt es mir noch, denke ich, ich habe einige Kilos zugenommen, seit ich es das letzte Mal anhatte. Barbara sieht provokant auf ihre Armbanduhr.

»Die Mädels warten, Margit.«

Ich wische mit dem Handrücken über meinen Mund, wische die Hand an meinem Bademantel ab, rote Streifen zieren das weiße Frottee.

»Altes Ferkel«, schimpft Barbara. »Wasch deine Hände und dann rein mit dir in das Kleid!

Sie nimmt das Kostüm vom Bügel und hält es mir zum Reinschlüpfen hin. Ich steige mit dem rechten Fuß zuerst in mein Traumkleid, dann mit dem linken, Barbara zieht es hoch bis zum Po, dann bleibe ich hoffnungslos darin stecken. Ich kneife die Pobacken zusammen, ziehe den Bauch ein und halte die Luft an. Barbara zerrt und zerrt, bis die Seide ratscht. Meine Busenfreundin schlägt entsetzt ihre Hände vor den Mund, dann zieht sie den zarten Stoff wieder nach unten.

»Mach schon, Margit, nichts wie raus aus dem Kleid, wir probieren es von oben.«

Sie nimmt das zarte Gebilde vom Boden und streift es über meinen Kopf. Meine Haare laden sich in Sekundenschnelle elektrisch auf. Barbara schlägt sich auf die Schenkel und lacht schallend.

»Du siehst aus wie ein Hamster unter Stromschlag, Margit.«

Sie fummelt an dem Reißverschluss. »Bauch einziehen und Luft anhalten, Margit!«

Ich ziehe meinen Bauchnabel Richtung Wirbelsäule, so wie es mich der Fitnesstrainer im Volkshochschulkurs gelehrt hatte, halte den Atem an, bis mir schlecht wird. Der Reißverschluss schafft es bis kurz vor den Halswirbel, dann hält Barbara den Reißverschlussschieber in der Hand.

»Sind nur ein paar Pfündchen, die zuviel sind Margit«, tröstet sie mich. Sie holt kurzerhand meinen Schal von dem Garderobenhaken, drapiert ihn so geschickt um meine Schultern, so dass auch der Riss im Stoff verdeckt ist. Sie befestigt ihre Kunst mit Sicherheitsnadeln und nickt zufrieden mit dem Kopf. »Du siehst aus wie ein Burgfräulein, Margit.«

»Ich fühle mich eher wie eine abgepackte Leberwurst«, piepse ich weinerlich. »Ich habe wirklich nicht die geringste Lust auf Fasching feiern, Barbara!«

»Bis du Musik hörst und dein Tanzbein schwingen kannst, Margit.«

Barbara grinst. »Du könntest dir deine Tanzsportmedaillen um den Hals hängen, Liebes.«

Wir haben das Glück, den letzten freien Parkplatz zu ergattern. Es schneit in Riesenflocken und Barbara sprintet der Festhalle zu.

»Meine Brille«, stöhnt sie, bleibt an der obersten Treppenstufe stehen und kramt in ihrer Handtasche nach dem Brillenputztuch. Ich bleibe fasziniert unter der Laterne stehen, bewundere die Schönheit der sechseckigen Kristallgitter und ziehe genießerisch die Luft durch meine Nase. Jede einzelne der Riesenschneeflocken ist ein Unikat, stelle ich fest. Raucher gesellen sich zu Barbara. Ich halte mir provokant die Nase zu und haste an ihnen vorbei.

»Immer noch besser als Krankenhausluft«, lästert Barbara, drückt ihre Zigarette aus, schnappt nach meiner Hand und zieht mich neben sich her. Die Stimme der Provinzbandsängerin dröhnt durch den übervollen Saal. »Gell du hosch mich gelle gern …«

»Hier bekommen wir doch nie einen Sitzplatz«, meckere ich, als Barbara mich durch die endlosen Stuhlreihen zieht.

»Du bist immer so entsetzlich pessimistisch, Margit.«

Meine Freundin findet tatsächlich zwei leere Stühle, ziemlich weit vorne sogar, man kann die Band gut sehen.

»Hier, Margit«, triumphiert sie, setzt sich und fängt augenblicklich einen Flirt mit ihrem Stuhlnachbarn an. Ich sehe mich in der Halle um. »Gell du läschd mich net im Stich«, hallt die Piepsmausstimme der Sängerin an mein Ohr.

»Wie passend der Text doch ist«, lästert Barbara und wendet sich wieder ihrem Gesprächspartner zu.

»Wollen wir tanzen?«

Ich fühle mich einsam und verlassen, schaue desinteressiert dem bunten Treiben zu. Ein Schneespaziergang in der verzuckerten Landschaft wäre mir viel lieber gewesen. Barbara tanzt und flirtet auf Teufel komm raus. Es dauert Ewigkeiten, bis sie sich wieder zu mir an den Tisch gesellt. Ihre Haare sind zerzaust, ihr Gesicht hochrot. »Der Typ ist genau meine Kragenweite«, raunt sie in mein Ohr.

»Und was ist mit dem Anderen?«

»Welcher Andere, Margit?«

»Na der Vielleicht-Beamte auf Lebenszeit.«

Barbara macht eine abfällige Handbewegung. »Der ist doch längst schon Schnee von gestern, Margit.«

Sie fährt wie von einer Tarantel gestochen hoch, als ein Vampir den Nebentisch ansteuert.

»Mein Gott, ist das ein Mann, Margit!«

Der Pirat an ihrer Seite zupft am Nonnenkostümärmel, hält das Sektglas in die Höhe. »Lass uns anstoßen, Babsi!«

Barbara beachtet ihn nicht. Die Kapelle spielt einen Tusch. Damenwahl. Die Halle gleicht in Sekundenschnelle einem Bienenschwarm. ‚Lei-Lei-Lei-Lei-Lei-Lei. Es ist Faschingszeit. LeiLei-Lei-Lei-Lei-Lei. Es ist wieder so weit.’

»Den forderst du jetzt zum Tanz auf, Margit!«

»Nein.«

»Es ist Damenwahl, Margit.«

»Ich fordere keine Männer zum Tanzen auf, Barbara, das weißt du ganz genau.«

»Es ist Fasching, Margit.«

»Auch nicht im Fasching, Barbara!«

»Schau doch einmal wie der sich bewegt, Margit. Wie er sein Glas hält.«

Sie schmachtet. »Hast du seine Augen gesehen, Margit? Die leuchten wie Feuerglut! Die vollen Lippen? Und schau dir diese Figur an! So richtig erotisierend.«

Barbara leckt genüsslich ihre Lippen. »Das ist ein Baron-Vampir, Margit! Ich tippe mal darauf, er ist Beamter. Ein Beamter auf Lebenszeit vielleicht. Wenn du dir den angelst, hast du ausgesorgt, Margit.«

»Psssst, nicht so laut Barbara«, mahne ich. Barbara lacht, greift nach dem Arm ihres Stuhlnachbarn und schleppt ihn laut singend wieder zurück auf die Tanzfläche. »Es dreht sich alles um den Mann, den bösen Herzensdieb.«

Der Baron-Vampir nimmt am Nebentisch Platz, nippt immer wieder an seinem Getränk und lässt mich nicht aus den Augen. Mein Herz schlägt im Dreivierteltakt. Er sieht mir so lange in die Augen, bis ich den Blick senke, erhebt sich vom Stuhl, steuert direkt auf mich zu und fragt mit samtweicher Stimme: »Darf ich zum Tanz bitten, verehrtes Burgfräulein?«

Ich habe einen Kloß im Hals, stehe wortlos auf und stolpere hinter ihm her bis zur Tanzfläche. Der Frontsänger brüllt heiser in sein Mikrofon. »Heute haun wir auf die Pauke.« Hoffentlich lösen sich die Sicherheitsnadeln während des Tanzens nicht, bange ich.

Staffagen abgenutzter Gesichter drehen sich im Kreis, ich finde keine Gemeinsamkeit mit meinem schweigsamen Tänzer. Er tapst herum wie ein ungelenker Bär, tritt immer wieder auf meine Füße. »Sie können nicht tanzen, Burgfräulein«, stellt er nach ein paar Minuten fest. Ich verschweige meine Tanzmedaillen, löse mich von den Händen auf meinem Rücken und steuere durch die Wogen tanzender Masken meinen Sitzplatz an. »Ich gehe«, sage ich zu meiner Freundin. Barbara und der Pirat legen gerade eine Tanzpause ein.

»Schnaps, das war sein letztes Wort«, grölt dieser begeistert den Klassiker von Willi Millowitsch mit. Der Frontmann der Kapelle ist ein Freund von ihm. Sie strecken sich ihre gehobenen Daumen entgegen. »Dann trugen ihn die Englein fort …«

»Du musst auf’s Klo, Margit?« Barbara springt von ihrem Stuhl auf. »Ich gehe mit.«

Sie grinst. »Rein prophylaktisch, Margit.«

»Ich muss nicht auf die Toilette, Barbara. Ich gehe nach Hause.«

»Nach Hauuuse?«

Barbara sieht mich an, als hätte ich chinesisch mit ihr gesprochen. Sie zieht ihre Augenbrauen nach oben.

»Aber wir haben doch Jutta, Karin und Anna noch gar nicht begrüßt. Die Mädels warten doch auf uns, Margit.«

»Du hast getanzt, statt sie zu begrüßen, Barbara, mich alleine am Tisch sitzen lassen.«

Ich stehe auf, trinke das Glas mit Wasser leer und greife nach dem Riemen meiner Handtasche, die ich vorsichtshalber an der Stuhllehne angebunden habe.

»Also ich geh dann mal.«

»Aber Jutta, Karin und Anna …«

»Ruf sie auf ihren Handys an, Barbara, ihr werdet euch schon finden.«

Barbara hackt auf ihrem Handy herum. »Sie sind da«, jubelt sie.

»Dann bist du ja in bester Gesellschaft«, sage ich, verabschiede mich höflich von dem wankenden Piraten und kämpfe mich durch die schunkelnde Nichtgesichtermasse Richtung Ausgang.

»Heile, heile Gänsle, es ist bald wieder gut. Es Kätzle hot ä Schwänzle, es ist bald wieder gut …«

Ich atme erleichtert auf, als mir die feuchte Frostluft entgegenschlägt. Endlich bin ich allein.

Es schneit wie verrückt, ich sehe kaum etwas, als ich nach meinem Auto suche. Der Neuschnee knistert unter meinen Schuhen, hinterlässt tierähnliche Spuren. Ich schaue zum Himmel hoch.

»Hallo Mama, hallo Papa.«

Ich bleibe unter einer der schmiedeeisernen Straßenlaternen stehen und bewundere die Schneesternchen im Spiel des Lichts.

Ich versuche sie zu fangen, zu raten, welche als Erste auf meiner Hand schmelzen wird.

»Warum sind Schneeflocken eigentlich weiblich?«, frage ich mich und lache dann belustigt auf. Der Schneeflocke hört sich ja wirklich blöd an. Ich widerstehe der Versuchung mich rücklings in den Schnee zu legen und mit ausgestreckten Armen und Beinen zu rudern, so wie ich es als Kind gemacht hatte.

Ich erschrecke, als der Baron-Vampir plötzlich neben mir steht, habe ihn gar nicht kommen hören. Schweigend läuft er neben mir her. Mir ist mulmig. Mein Herz bebt.

»Es gibt keine Zufälle«, bemerkt der Blutsauger, als wir vor unseren Autos stehen. Er nimmt seine langen Eckzähne aus dem Mund, verstaut sie in seiner Hosentasche und hält wie hergezaubert ein Fläschchen mit Schloss-Enteiser in seiner Krallenhand. Er sprüht sein Autoschloss ein, wartet ein paar Minuten, steht da und sieht dem Schneeflockenbrillantfeuerwerk zu. Sein Blick ist weich und seine Stimme warm, als er mir in die Augen sieht und »wie schön«, flüstert. Ich fühle meinen Puls bis zur Halsschlagader.

Er öffnet seine Autotür und greift zielsicher nach dem Handbesen auf dem Beifahrersitz. Kommentarlos wischt er damit den Schnee von meinen Autoscheiben und dem Nummernschild.

»Kommen Sie gut nach Hause, Burgfräulein«, sagt er und hält mir die Autotür auf. Im Rückspiegel sehe ich, wie er sein Auto vom Schnee befreit, bemerke später, dass er ein Stück weit hinter mir herfährt, dann nach rechts abbiegt. Er hat weder nach meinem Namen oder mich sonst irgendetwas gefragt, wundere ich mich.

Im Treppenhaus brennt Licht, Frau Schulze vom ersten Stock huscht wortlos mit ihrem Hund an mir vorbei. Jugendliche gehen ein und aus. Sie tragen Stachelarmbänder, sind bleich geschminkt und sehen böse aus. Aus dem dritten Stock dröhnt für mich undefinierbare Musik. Jan Kralitschka feiert seinen 18. Geburtstag.

Ich keuche verängstigt die letzten sechs Stufen zum vierten Stock hoch und wünsche mir wie immer eine Neubauwohnung im Erdgeschoss. Ich stecke den Schlüssel in das Schloss der zerkratzten Holztür, höre im Geiste die Stimme meiner Busenfreundin Barbara.

»Wenn du erst mal einen Beamten auf Lebenszeit gefunden hast, Margit …«

Ich stelle meine Handtasche auf der Kommode im Flur ab, hänge den Mantel an den Garderobehaken. Danach peile ich schnurgerade mein Schlafzimmer an, lege wegen meiner Rufbereitschaft das Handy auf dem Nachttisch ab, schleudere die unbequemen High Heels von meinen geschwollenen Füßen und befreie mich aus den Fängen meines Kostüms. Ich streife die halterlosen Nylonstrümpfe ab, entledige mich des Bügel-BHs das Mord-Instrument hat dicke rote Streifen auf meiner Haut hinterlassen und lasse mich mit einem tiefen Seufzer in mein Bett fallen. Ich ziehe die Bettdecke bis zu den Ohren hoch und drücke mein Trösterchen-Kissen ganz fest an mich. Nie wieder lasse ich mich von meiner Freundin zu etwas überreden, nehme ich mir vor.

Mein Handy auf dem Nachttisch lacht. Barbara hat mir unlängst das Babylachen auf mein Handy geladen. Ungefragt!

»Ja, ich bin gut nach Hause gekommen und nein, er hat mich nicht geküsst, Barbara«, nuschele ich verschlafen in den Hörer.

»Guten Morgen. Mein Name ist Winfried Schneider.« Die Stimme kommt mir bekannt vor.

»Sie erinnern sich an mich?«

»Hm.«

»Winterwunderland«, sagt die samtweiche Stimme.

»Sie können nicht tanzen, mein Fräulein«, sage ich. Winfried Schneider lacht.

»Genau, der.«

»Woher haben Sie meine Handynummer, Herr Schneider? Von meiner Freundin? Na, der werde ich aber etwas erzählen …«

»Sind Sie morgens immer so kratzbürstig, Fräulein Vogt?«

»Was wollen Sie von mir, Herr Schneider?«

»Ich würde mich gerne mit Ihnen treffen, Fräulein Margit. Auf einen Kaffee vielleicht? Im Bistro um die Ecke? In einer halben Stunde, vielleicht?«

Mein Herz schlägt wie hundert Schamanen-Trommeln und ein heiseres »Ja« verlässt meinen Mund.

Er steht auf, als er mich zur Tür hereinkommen sieht, hilft mir aus dem Mantel, hängt ihn auf einen der Garderobenbügel und begleitet mich zum Tisch. Er rückt mir den Stuhl zurecht und strahlt mich an. »Schön, dass Sie gekommen sind, Fräulein Margit.«

Er legt mir die Frühstückskarte vor, empfiehlt tête-à-tête für 2 Personen und zum zweiten Mal an diesem Morgen verlässt ein heiseres »Ja« meinen Mund. Ich versuche aufrecht und entspannt dazusitzen, ruhig in den Bauchraum zu atmen, meinen Atemrhythmus wahrzunehmen. Er bestellt mit einem Lächeln das Tête-à-tête, hält mir den Brötchenkorb hin. »Sie sind noch warm«, freut er sich. »Möchten Sie auch ein Schokoladencroissant, Fräulein Margit?«

»Ja, bitte.«

Er greift nach der Gebäckzange und legt ein Schokocroissant auf meinen Teller, rückt die Platte mit dem geräucherten Lachs so zurecht, dass ich mühelos danach greifen kann.

»Ein Ei, Fräulein Margit?«

»Nein danke.«

Ich esse kein Ei, habe Angst, dass meine Zähne danach vom Dotter gelb sind. Er langt kräftig zu, verspeist vier Brötchen mit rohem und gekochten Schinken, Käse, Konfitüre und Honig. Mein Hals ist wie zugeschnürt. Ich bekomme kaum einen Bissen herunter. Ich spüre mein Herz flimmern. Und mein Gehirn will mir keine passenden Antworten für seine Fragen in den Mund legen.

»Sie essen ja wie ein Vogelkind, Fräulein Margit«, stellt mein Traummann fest, drückt mir ein Glas Prosecco in die Hand und prostet mir zu. Er sieht mir in die Augen.

»Auf uns, Fräulein Margit.«

Ich nippe an dem prickelnden Getränk, verschlucke mich, er klopft mir behutsam auf den Rücken.

»Sie trinken nicht oft Alkohol, Fräulein Margit«, stellt er fest.

»Nein.«

Er schmachtet mich an. »Das spricht für Sie, Fräulein Margit.« Mein Handy lacht.

»Ich muss los«, erkläre ich.

Er nickt verständnisvoll. »Die Rufbereitschaft, Fräulein Margit. Ich weiß.«

Er steht auf, begleicht an der Theke diskret die Rechnung, begleitet mich zur Garderobe, hilft mir in den Mantel und bringt mich zu meinem Auto.

»Dankeschön für den schönen Vormittag, Fräulein Margit.«

»Herr Schneider ist ein Gentleman von der Sohle bis zum Scheitel«, schwärme ich meiner Freundin Barbara am Telefon vor.

»Herr Schneider? Ihr seid per Sie, Margit?«

»Aber selbstverständlich, jede volljährige Person hat das Recht, mit Sie angesprochen zu werden, wir sind in Deutschland, nicht in den Niederlanden. Und ich bin nicht von der schnellen Truppe, Barbara.«

Ich höre Barbara auflachen, höre den Klang von Löffel an Tasse. Barbara trinkt den lieben langen Tag Cappuccino.

»Manchmal bist du wirklich ganz schön vorgestrig, Margit.«

»Alles zu seiner Zeit, Barbara.«

»Aber du wirst doch hoffentlich wissen, wie er mit Vornamen heißt, Margit? Wo er wohnt? Wo er arbeitet?«

»Mit Vornamen heißt er Winfried. Wo er wohnt und als was er arbeitet? Tja, danach habe ich nicht gefragt, Barbara. Das spielt auch gar keine Rolle für mich.«

»Ich glaub’s nicht, Margit. Über was habt ihr denn dann geredet beim Frühstücken.«

»Über Theaterstücke, Filme, Bücher, Blumen, Kochund Backrezepte…«

»Aha, Herr Schneider ist ein Frauenversteher.«

»Du sagst es. Winfried Schneider ist ein Frauenversteher!«

Ich höre das Öffnen einer Metalldose. Ein vertrautes Geräusch. Barbara isst immer Cantuccini zu ihrem Cappuccino. Und aller Wahrscheinlichkeit nach zerbröckelt sie das Mandelgebäck in mundgerechte Stücke und schiebt sie auf dem Teller hin und her, bevor sie die Quadrate in ihrem Mund verschwinden lässt. Das macht meine Freundin immer so.

»Werdet ihr euch wieder treffen, Liebes?«

»Frag ihn selbst, Barbara. Du hast ihm meine Handynummer gegeben.«

»Wie bist du denn wieder drauf, Margit?«

»Sprich nicht mit vollem Mund und hör endlich mit der Kaffeetassenklopferei auf, das macht einen ja ganz meschugge, Barbara!«

»Ich glaube, wir sollten unser Gespräch für heute beenden, Margit.«

Barbara legt auf. Ich verschränke meinen Kopf in meinen Armen und döse vor mich hin.

Lautes Hüsteln beendet meine Tagträume. Ich hebe den Kopf von meinen gekreuzten Händen und blinzele in weißes Neonröhrenlicht. Braune Brühe schwappt über die Tageszeitung. Winfried steht wie ein drohendes Unheil vor mir. Er zieht die Augenbrauen nach oben und verdreht seine Augen. Ich sehe nur noch weiß, keine Pupillen mehr. Mein Magen stülpt sich von innen nach außen, als ich seine krächzende Stimme vernehme.

»Du meine Güte, Frau, wie bist du doch wieder ungeschickt heute!«

Vorsicht! Mann in Wechseljahren

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