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Friederike Amort Burlis letzte Ehre

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Der Tag war gekommen, als mein Vater in den Morgenstunden seine Augen für immer schloss. Obwohl wir längst innerlich darauf vorbereitet waren, war die Stunde des Abschieds unvermittelt und unerbittlich mit aller Konsequenz in den Raum eingezogen.

Eine Viertelstunde bevor die Pflegehelferin kam, um ihre tägliche Arbeit zu verrichten, saß ich noch diese geringe Zeitlang bei Vaters Krankenbett an seiner Seite, seine gelähmte Hand in meinen Händen, und hielt Zwiesprache mit ihm. Sein Körper war geschwächt und mager, und er atmete bereits sehr schwer. Stationen des Lebens liefen mir ruckartig in Bildern wie ein geistiger Film vor den Augen herunter. Erfreuliche, heitere, traurige und schwierige Augenblicke eines familiären Zusammenlebens wechselten miteinander ab.

Die Pflegerin kam; nun galt es, ihr wie tagtäglich zur Hand zu gehen. Die Stimmung war sehr bedrückend. Vaters Zustand hatte sich in den letzten Tagen merklich verändert. Keiner sprach mehr viel, nur mehr das Notwendigste; man erlebte hautnah mit, wie ein Leben langsam, aber unaufhaltsam verlöschte. Dann war es so weit …

Später kam noch die Krankenschwester Brunhilde vom Hilfswerk, die pietätvoll die Aufgabe des Anziehens übernahm. Geschockt und automatisch wie Roboter halfen wir mit, Vater die letzte Kleidung anzulegen.

Ab diesem Zeitpunkt hatten wir einen stummen und starren Zuschauer, der regungslos wie eine Statue unter der offenen Türe saß und hypnoseartig jede Handbewegung der Schwester verfolgte. Selbst ihr wurde es allmählich unheimlich, ja, sie fühlte sich etwas unbehaglich, da er sie nicht aus den Augen ließ, Burli, unser rotweißer Kater. Sonst war er der Scheueste unserer drei Katzen. Er suchte immer das Weite, wenn jemand das Haus betrat, der nicht zur Familie gehörte. Fremde Schritte kannte er sofort, was ihn stets zur Flucht veranlasste. Nun beäugte er uns wie eine wachende Sphinx …

Einige Stunden zum persönlichen Abschiednehmen waren uns noch gegönnt. Der Nachbar kam, betete mit uns und besprengte Vater mit Weihwasser, und wir selbst versuchten, soweit es uns neben dem Erledigen von Formalitäten möglich war, nur still zu sein, dazusitzen und in uns zu gehen. Während dieser Stunden lag Burli auf einer Decke zu Vaters Füßen, so wie er es oft getan hatte, als er ihm während des Krankseins Gesellschaft geleistet und bei ihm geschlafen hatte. Vater mochte das gerne; wahrscheinlich hatte er das Gefühl, dass er nicht alleine war. Nun hielt Burli noch einmal Wache.

Er erhob sich etwas widerwillig von seinem Platz erst dann, als er gewahr wurde, dass ein fremdes Auto in den Hof einfuhr, und er zwei Männerstimmen hörte. Aber er flüchtete nicht so hektisch, wie man es von ihm gewohnt war, sondern entfernte sich sehr bedächtig.

Als der Moment gekommen war, in dem Vater sein Haus für immer verlassen musste, wurde er von zwei Männern hinausgetragen. Bei dieser Handlung saß der Kater auf den ersten Stufen der Stiege und beobachtete genau, was geschah, bis die Männer mit Vaters Hülle aus seinem Blickfeld entschwunden waren … Burli hatte seinem Herrn die letzte Ehre erwiesen, als hätte er gewusst, dass Vater ihn einst beim Bauern ausgesucht hatte und er ihm so sein Leben verdankte …

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