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Birgid Krause Urlaubsfahrt nach Bayern
ОглавлениеAnfang der achtziger Jahre war es wieder einmal so weit. Mein Mann und ich planten einen Urlaub in Bayern, um meine Verwandten und unsere Freunde zu besuchen. Seit ich nach Berlin geheiratet hatte, musste so eine Fahrt mindestens einmal jährlich stattfinden. Die Sehnsucht nach den zurückgelassenen Menschen, die alle einen Platz in meinem Herzen hatten, wurde so stark, dass ich sie nicht mehr bei Seite schieben konnte. Ich musste ihr nachgeben. Glücklicherweise gab es keine Schwierigkeiten, mich mit meinem Partner auf das Urlaubsziel zu einigen. Denn er als gebürtiger Berliner liebte die bayerische Landschaft, die würzige Luft und den Menschenschlag sehr.
Wir stellten uns also darauf ein, mindestens acht Stunden unterwegs zu sein. Von Haustür zu Haustür ergab die Strecke ungefähr sechshundert Kilometer. Berlin war damals noch eine geteilte Stadt, der westliche Anteil, der zur BRD gehörte, von einer unüberwindbaren Mauer umgeben. Durch die DDR (Deutsche Demokratische Republik) durfte man auf Autobahnen niemals schneller als 100 Kilometer pro Stunde fahren. Diese Geschwindigkeit musste peinlich genau eingehalten werden, denn sonst lief man Gefahr, eine empfindliche Strafe aufgebrummt zu bekommen. Auch wenn man links und rechts der Straße keine Menschenseele sah, so konnte man sich einer Überwachung doch sicher sein.
Ziemlich früh am Morgen eines Herbsttages begannen wir unsere Reise in meine Heimatstadt. Allerdings kamen wir zunächst nicht sehr weit, denn an der Berliner Stadtgrenze, dem „Kontrollpunkt Dreilinden“, gab es den ersten großen Stau. Wer per Bus, Motorrad oder Pkw die Stadt verlassen wollte, musste an einem Kontrollhäuschen seine Reisedokumente vorzeigen und abgeben (Personalausweis oder Reisepass plus Erlaubnisschein für den Transit durch die DDR). Die Dokumente wurden akribisch geprüft, dann durch eine lange Röhre geschickt, an deren Ende ein zweites Kontrollhäuschen stand; dort erhielt man einen Tagesstempel; vorausgesetzt, die Papiere waren in Ordnung. Demzufolge war man im Vorfeld gezwungen, die Dauer der Reise genau festzulegen. Wir kamen nur ganz langsam vorwärts. Zwei, drei Autos wurden abgefertigt und genauestens überprüft. Danach trat wieder eine längere Pause ein. Nichts geschah. Man konnte nur geduldig sein und warten. Und die Zeit verging … Die erste Stunde der geplanten Reisezeit neigte sich bereits ihrem Ende zu.
„Hoffentlich hat diese Warterei auch irgendwo einen tieferen Sinn”, sagte ich zu meinem Mann und war überzeugt davon, dass es tatsächlich so wäre. Er lächelte nur und vertiefte sich weiterhin in die Betrachtung der zahlreichen Fahrzeuge und Insassen, die um uns herum ebenfalls warten mussten.
Endlich kam Bewegung in die Autoschlange. Ein Vopo (Volkspolizist) aus dem Kontrollhäuschen winkte uns zu sich heran. Er hatte unsere Ausweise parat und fixierte uns durch das offen stehende Wagenfenster auf der Fahrerseite. Wir bemühten uns nach Kräften, ihn freundlich anzublicken. Als er sich sicher war, dass wir diejenigen waren, welche auf den Fotos der Reisedokumente zu sehen waren, gab er sie uns zurück, wünschte uns eine gute Fahrt und stellte die Ampel auf grün. Jetzt konnte es also weitergehen.
Relativ entspannt lehnten wir uns in den Sitzen zurück und legten nun das vorgeschriebene Tempo vor – nicht schneller als 100 Kilometer pro Stunde! Mein Mann saß am Steuer und versuchte, bei der stets eintönigen Geschwindigkeit nicht schläfrig zu werden. So war es an mir, ihn ein wenig aufzumuntern. Ich erzählte ihm allerlei aus meiner Kindheit und Jugend oder aus meinem Berufsleben. Er hörte aufmerksam zu, stellte auch ein paar Fragen, die ich ihm bereitwillig beantwortete.
Plötzlich überkam mich eine innere Unruhe. Mein Redefluss versiegte, ich rutschte auf meinem Sitz hin und her und fühlte mich ziemlich unwohl. Heiner nahm das wahr, sah mich von der Seite an und fragte mich: „Was ist denn los? Wieso wetzt du so herum?”
Ich konnte nichts sagen, starrte nur geradeaus durch die Windschutzscheibe. Meine Hände hatte ich krampfhaft unter die Schenkel geklemmt. Ich hörte in mich hinein, weil ich glaubte, innerlich etwas zu spüren. Mein Mann hatte zwischenzeitlich einen Parkplatz angefahren und ermunterte mich, kurz auszusteigen und mich zu entspannen. Ich saß aber noch immer wie erstarrt auf dem Beifahrersitz und konnte nicht sprechen. Alle Muskeln waren total angespannt. Das Aussteigen war mir nicht möglich. Heiner redete erneut auf mich ein. Irgendwie nahm ich ihn nur von sehr weit entfernt wahr. Als er mich an der Schulter berührte, löste sich endlich die Verspannung; ich war wieder in der Lage zu sprechen. „Kann ich bitte etwas zu trinken haben?”
Mein Mann gab mir Mineralwasser aus unserer Kühltasche. Nach einem kräftigen Schluck des erfrischenden Getränks ging es mir wieder besser und ich nahm wieder meinen Normalzustand ein.
„Was war denn das eben? Ich habe mir richtig Sorgen um dich gemacht, denn du warst plötzlich käseweiß!”
„Ich hatte eine Vision“, sagte ich. „Von einem Moment auf den anderen befand ich mich einige Kilometer entfernt Richtung Bayern auf dieser Autobahn. Plötzlich erblickte ich eine Reihe umstürzender Bäume und mehrere Autos, die nicht mehr stoppen konnten und ineinander fuhren. Und ich sah, als würde ich über der ganzen Szene schweben, unseren Wagen auf die Unfallstelle zukommen. Ein schreckliches Chaos tat sich vor meinen Augen auf und ich hörte eine Stimme, die mir gebot, ein langsameres Tempo vorzulegen. Sie war so eindringlich, dass sie mich direkt in Panikstimmung versetzte. Wahrscheinlich konnte ich mich deshalb nicht mehr bewegen, vielleicht solltest du auch diesen meinen Zustand mitbekommen und dich veranlasst fühlen, einen Parkplatz anzufahren …?”
Mein Mann war ziemlich bewegt und brauchte nun selber einen Schluck Wasser. Nach einer Weile bat ich ihn: „Bitte, lass uns nun ganz vorsichtig weiterfahren. Nicht weit von hier muss das passiert sein, was ich dir eben erzählte.”
Wir setzten unsere Reise fort. Nach ca. zehnminütiger Fahrt kamen wir tatsächlich an diese Unfallstelle. Es zeigte sich genau die Situation, die ich innerlich erlebt hatte. Polizei und Krankenwagen waren bereits vor Ort, regelten den Verkehr und kümmerten sich um die Verletzten. Dankbar, dass wir beide da nicht hineingeraten waren, schickte ich ein Gebet zum Himmel.
Nun war ich fest davon überzeugt, dass die lange Wartezeit an der Berliner Stadtgrenze ihren Sinn hatte und dass uns durch meine Vision nichts geschehen war.
Gottvertrauen ist
wie ein Luftkissen für die
Wirren des Lebens
Birgid Krause