Читать книгу Diebsgrund - Gitte Loew - Страница 7

6. Kapitel

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Inzwischen ärgerte sich Karoline, dass sie Margarete zum Sommerfest eingeladen hatte. Dieser Besuch würde ihre tägliche Routine durcheinanderbringen, und außerdem störte sie Margaretes Neugierde. Sie war wie ein junger Hund, der überall die Nase hineinsteckte. Aber Margarete drängte schon lange auf einen Besuch und ließ sich nicht abwehren. Das Fest bot eine gute Gelegenheit, ihren Wunsch ohne größere Umstände zu erfüllen. Widerstrebend griff sie zum Telefonhörer und wählte die Nummer.

„Hallo, Margarete. Wie geht’s? Ich wollte dir nur den Termin fürs Sommerfest mitteilen. Es ist der erste Juni. Hast du Zeit?“

„Aber natürlich, Karoline, das habe ich doch zugesagt. Schön, dass du an mich gedacht hast. Soll ich etwas mitbringen? Oder kann ich dir die Tage vorher im Garten helfen?“

„Nein, nein. Wir sind doch nur zu zweit, und ich mach keine großen Umstände.“

„Wie du willst, falls du es dir anders überlegst, ruf mich einfach an.“

„Ja, ist schon in Ordnung, Margarete, mach’s gut, bis dann.“ Nachdem Karoline den Hörer aufgelegt hatte, musste sie sich erst einmal hinsetzen. Auch das noch! Vorher zu Besuch kommen, das hätte gerade noch gefehlt. Das Treffen zum Sommerfest war gerade genug. Karoline schüttelte den Kopf und seufzte.

Die nächsten Tage schleppte sie Getränke, Plastikteller und Becher in den Garten. Danach musste die Hütte aufgeräumt und von Staub befreit werden. Unglaublich, was sich in den vergangenen Jahren alles angesammelt hatte. Das Wichtigste war ihr aber, dass der Garten gut aussah. Sie hackte, rupfte Unkraut und schnitt die Rosen. Völlig geschafft fiel sie nach getaner Arbeit in einen Liegestuhl. Sie gestand sich ein, dass es ihr nicht nur an Geld, sondern mittlerweile auch an körperlicher Kraft fehlte. Sicher würde das ihre letzte Einladung zum Gartenfest sein. Wer alt ist, kann keinen Besuch empfangen. Früher hatten ihr die Vorbereitungen für Einladungen nichts ausgemacht, aber das war lange her.

Am Morgen des ersten Junis schien die Sonne, und die Wettervorhersage prophezeite einen schönen Tag. Es hätte nicht besser sein können. Margarete erschien überpünktlich in der Gartenanlage und war schon von weitem zu hören. Sie redete mit jedermann, der ihr über den Weg lief. Es klang, als gehörte sie schon seit ewigen Zeiten zum Verein.

Auf was hatte sie sich da eingelassen? Karoline schüttelte den Kopf. Sie holte tief Luft und ging mit gemischten Gefühlen ihrer Bekannten entgegen.

„Hallo, hier bin ich“, rief sie.

Margarete kam mit Taschen in beiden Händen auf sie zugelaufen.

„Ach, da bist du ja“, schnaufte sie atemlos.

„Dort, wo es am schönsten ist“, Karoline reichte ihr die Hand. „Soll ich dir etwas abnehmen?“

Margarete hob abwehrend den Arm: „Ach was, das bisschen schaffe ich noch!“

„Gut, dann gehe ich mal voran.“

Nach einem kleinen Spaziergang durch die Anlage blieb Karoline an ihrem Rosenbogen stehen und öffnete die Tür. Margarete hielt inne und bewunderte die Blütenpracht:

„Einmalig, der Rosenstrauch ist wohl schon sehr alt?“

„Ja, es ist eine englische Rose, die gibt es nicht so oft. Mir ist es gelungen, die Pflanze gut durch die Jahre zu bringen“, sie lächelte stolz.

Margarete hörte allerdings schon nicht mehr zu, sondern sah sich interessiert um, während sie zur Veranda lief. Dort ließ sie sich erhitzt und mit gerötetem Gesicht auf einen Stuhl fallen.

„Jemine, was ist es heiß heute, aber ich habe etwas zur Erfrischung mitgebracht. Schau mal hier!“

Sie nahm eine Packung Eis aus der Tasche, und Karoline konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Typisch Margarete!

„Vielen Dank, dann hol ich schnell die Teller, damit das Eis nicht zerläuft.“

Sie verschwand in der Hütte und kam nach kurzer Zeit mit Tellern zurück. Sie hatte nur Plastikgeschirr und stellte die Teller etwas verlegen auf den Tisch.

„Seit Friedrich tot ist, habe ich im Garten alles vereinfacht.“

„Das ist doch in Ordnung“, beruhigte Margarete sie.

Karoline versuchte die Situation zu erklären.

„Ich kann nichts mehr aufheben. Nachdem der Kühlschrank seinen Geist aufgegeben hat, habe ich auf einen neuen verzichtet. Es hätte sich für mich allein nicht gelohnt“, murmelte sie vor sich hin.

Margarete leckte Eis von ihrem Finger und winkte nur ab. Sie kramte Eierlikör und Plastikbecher aus ihrer Tasche und stellte beides auf den Tisch:

„Ist alles nicht nötig, wie du siehst, ich bin bestens gerüstet“, sie strahlte gut gelaunt.

Karoline lächelte erleichtert, zerschnitt den Eisblock und verteilte Stückchen auf jeden Teller. Die Frauen löffelten genüsslich das Eis. Margarete schenkte Eierlikör in die mitgebrachten Becher und meinte zufrieden:

„Fürst Pückler schmeckt doch am besten“, und ließ gedankenverloren den Likör übers Eis laufen. Karoline hob ihren Becher und nickte zustimmend. Obwohl es Spätnachmittag war, spürte man noch immer die Hitze des Sommertages. Vereinzelt leuchteten schon Lampions und von irgendwoher erklang Schlagermusik.

„Warum bist du hier so am Ende des Geländes? Bekommst überhaupt nicht mit, was um dich herum passiert?“

Karoline wehrte mit der Hand den Einwand der Freundin ab.

„Aus diesem Grund haben wir den Platz ausgesucht. Friedrich und ich waren keine großen Vereinsmeier. Wir wollten für uns sein. Jetzt kann ich das nicht mehr ändern. Ich bin zu alt, um einem neuen Garten anzulegen.“

An so etwas hatte Margarete überhaupt nicht gedacht. Sie betrachtete die Freundin nachdenklich. Nach einer kleinen Schweigepause begann Karoline wieder zu reden:

„Das ist dreißig Jahre her. Seit dieser Zeit hat sich viel verändert. Niemand konnte voraussehen, was kommen würde. Früher verbrachten die Gartenbesitzer ihre Freizeit hier. Bauten Obst und Gemüse an, um Geld zu sparen. Der Wohlstand hat alles verändert. Die Alten sterben weg, und die Jungen sind anders. Ich kenne viele neue Mitglieder überhaupt nicht.“

Margarete beugte sich über den Tisch und flüsterte:

„Du musst auf die Neuen zugehen. Versuchen, Kontakte zu knüpfen.“

Karoline verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Du hast gut reden. Über Tage ist doch kaum noch jemand hier. Viele Gärtner kommen nur noch am Wochenende. Und was sollen junge Leute schon mit einer alten Frau reden?“

Sie blickte traurig auf die schönen Rosen. Margarete vermied es, die Freundin anzusehen, und starrte ratlos in die grüne Idylle. Das Gespräch geriet ins Stocken.

„Die Welt hat sich verändert. Selbst alte Gartengeräte verschwinden“, stellte Karoline resigniert fest.

„Na ja, so etwas ist heutzutage nichts Besonderes. Du musst halt alles einschließen“, beschwichtigte die Freundin.

„Aber das tu ich doch. Die Hacke war alt. Trotzdem wollte sie einer haben. Klauen ist billiger als kaufen.“

„Grübele nicht so viel, lass uns lieber anstoßen.“

Margarete füllte die Becher zum zweiten Mal und prostete der Freundin gutgelaunt zu. Karoline mochte nichts Süßes mehr trinken. Sie ließ den Eierlikör stehen. Stattdessen stand sie auf und räumte Gegenstände geschäftig hin und her. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen oder tun sollte. Es war so ungewohnt, dass jemand sie besuchte. Dann fiel ihr aber etwas ein:

„Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang?“

„Natürlich, da lern ich die Gärten und ihre Besitzer kennen!“

Margarete erhob sich und ging voran. Sie war an allem und jedem interessiert. Vor besonders schönen Gärten verweilten die beiden ein bisschen länger, und der eine oder andere Gärtner hob den Kopf. Ein alter Mann kam auf sie zugelaufen als sie einen Baum betrachteten.

„Das ist eine seltene Apfelsorte, ein Berlepsch, erklärte er freundlich. „Den hab ich in Geisenheim gekauft. Wissen Sie, dort wo man auch die guten Weinstöcke bekommt.“

Er schmunzelte und blieb erwartungsvoll am Zaun stehen.

„Ich pflanze keinen Apfelbaum mehr“, winkte Margarete lachend ab. „Die paar Äpfel, die ich esse, kaufe ich im Laden.“

„Och, die schmecken doch nach nichts. Sie müssen mal im Herbst zum Probieren kommen“, lud er sie freundlich ein und beugte sich über den Zaun.

„Auf Wiedersehen, Walter“, rief Karoline, griff nach Margaretes Rock und zog sie sanft weiter. Dabei flüsterte sie:

„Komm, der Walter ist Witwer. Wenn wir nicht gehen, werden wir den nicht mehr los.“

„Sei doch nicht so, der ist doch ganz nett.“

„Ja, ja, aber er findet kein Ende und steht ewig herum und schwätzt von seinen Äpfeln.“

„Na ja, dir kann es auch niemand Recht machen“, erwiderte Margarete lachend.

„Doch, doch“, flüsterte Karoline kaum hörbar.

Im Anschluss an die kleine Besichtigungsrunde kehrten die beiden Frauen in den Garten zurück und setzten sich auf die schattige Veranda. Es war für die Jahreszeit viel zu heiß, fast wie im Hochsommer. Kein Lüftchen bewegte sich, nur das Summen der Fliegen war zu hören. Nach einer kleinen Erholungspause stand Karoline auf und holte die Tomaten, ein Messer und das Schneidbrett aus dem Holzhaus. Sie legte beides auf den Tisch.

„Während du den Salat richtest, gehe ich zum Grill und besorge die Würste.“

Margarete nickte zustimmend, tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und begann, das Gemüse zu schneiden. Karoline machte sich auf den Weg zum Grillstand und blickte erstaunt auf die zahlreichen Besucher. Viele unbekannte Gesichter waren darunter, die sie hier noch nie gesehen hatte. Sie steuerte zielsicher auf den Bratwurststand zu und verschwand nach ihrem Einkauf genauso schnell, wie sie gekommen war. In der Zwischenzeit hatte Margarete den Salat gerichtet. Die beiden Frauen nahmen am Tisch Platz, und Karoline schenkte Bier ein. Die Freundin erhob ihr Glas.

„Prost, Karoline. Ich wünsche dir noch viele schöne Stunden in deinem Garten-Paradies!“

Es war angenehm, im Freien zu sitzen und zu Abend zu essen. Karoline freute sich jetzt doch, dass sie das Fest in Gesellschaft verbringen konnte. Margarete war meist zum Scherzen aufgelegt und verbreitete gute Laune, das musste man ihr neidlos zugestehen. Sie waren gerade dabei, das Geschirr wegzuräumen, als plötzlich Walter an der Gartentür stand. In der Hand hielt er eine Flasche Wein. Karoline scherzte:

„Du hast einen neuen Verehrer.“

Doch Margarete hörte nicht zu, sondern war schon aufgesprungen und ging Walter lächelnd entgegen.

„Das ist aber nett, dass Sie uns besuchen“, rief sie einladend und öffnete die Tür.

„Ich hab einen wunderbaren Tropfen, den möchte ich nicht allein trinken“, meinte er vielversprechend und kam mit Flasche und Gläsern den Weg entlanggelaufen. Karoline beobachtete die beiden amüsiert.

Walter trat zum Tisch, entkorkte die Flasche und schenkte reihum den Wein in die mitgebrachten Römerpokale. Dann erhob er sein Glas.

„Auf den Sommer, das Leben und die netten Nachbarinnen, prost meine Damen!“

Unter viel Gelächter und Scherzen tranken sie den guten Tropfen. Karoline fühlte sich auf einmal leichter als sonst und lachte unbekümmert. Das war seit langer Zeit mal wieder ein Abend in netter Runde. Am Ende war sie froh, Margarete eingeladen zu haben. Sie summte vergnügt zur Musik, die von irgendwoher herüberklang, und fühlte sich ausgesprochen wohl. Gegen zehn Uhr verabschiedete sich Walter mit den Worten:

„Das müssen wir unbedingt wiederholen“, und winkte lange zum Abschied.

Nachdem die Gartentür ins Schloss gefallen war, trat Margarete der Freundin entgegen und hielt sie am Arm fest.

„Der Walter ist ein netter Mann. Warum bist du so abweisend zu ihm?“

Karoline seufzte: „Aber Marga, wir sind doch alt.“

Margarete schüttelte ungläubig den Kopf und meinte:

„Das ist doch Unsinn, du musst dir Gesellschaft suchen, ansonsten wirst du alt.“

Karoline warf der Freundin einen abweisenden Blick zu.

„Mir fehlt die Kraft für neue Freundschaften. Männer wollen umsorgt werden, das kann ich nicht mehr.“

„Vielleicht würde Walter dir helfen, und es wäre leichter für euch beide.“

„Ach, Margarete, er schafft es noch nicht einmal, seinen eigenen Garten in Schuss zu halten. Im Herbst will seine Äpfel niemand haben. Die Leute wollen Obst ohne Würmer, das perfekt aussieht.“

„Du bist ein Pessimist, Karoline.“

„Nein, ich bin ein Realist und kenne das Gartenleben besser als du“, stellte sie resigniert fest.

Die Frauen packten schweigend ihre Sachen zusammen und traten dann den Nachhauseweg an. Zum Abschied drückte Margarete der Freundin die Hand.

„Überleg dir das mit Walter. Es ist klüger, in netter Gesellschaft zu sitzen, als allein auf gepflegter Wiese zu verrotten.“

„Ja, ja, Margarete, ich denke darüber nach“, wehrte Karoline sichtlich müde ab. Dann meinte sie: „Komm gut nach Hause.“

Diebsgrund

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