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Kapitel 2

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Die Zahnbürste im Bad, seine Zahnbürste, seine Kosmetik – ihre Erinnerung: Oft haben sie sich geneckt, wer zuerst ins Bad kann. Anschließend war da immer der frisch-herbe Duft des Rasierwassers – sein Duft. Mülleimer auf, alles rein, Mülleimer zu. Bloß nicht sentimental werden, ermahnte Inga sich.

„Mutti, warum schmeißt Du das weg?“, Katja stand plötzlich neben ihr. Inga überlegte blitzschnell: „Papa hat sich was Besseres gekauft und ist verreist. Wenn er wieder kommt, ist das hier zu alt“, jetzt hatte Inga doch gelogen, obwohl sie sich in der Nacht vorgenommen hatte, gleich die Wahrheit zu sagen, auch der Kleinen. Katja fragte weiter, aber Inga lenkte sie ab und erzählte vom neuen Kindergarten. Da wollte Katja sofort losgehen und hatte noch nicht einmal Lust auf Frühstück.

Tommy musste geweckt werden. Das tat Inga immer leid, denn morgens schlief er besonders fest und gestern war es spät geworden. Zwischendurch dachte Inga ans Büro. Keinen einzigen Schnitzer durfte sie sich leisten. Jetzt die Arbeit verlieren bedeutete, alles zu verlieren. Im Vorbeigehen schaute sie in den Spiegel. Schrecklich sah sie aus, übermüdet. Niemand durfte merken, was für Sorgen sie hatte. Was sollte sie anziehen? Am besten den neuen Dreiteiler. Darin fühlte sie sich selbstbewusst. Nach Feierabend könnte sie zum Frisör gehen. Sie schaltete das Radio ein, merkte plötzlich, dass sie laut pfiff.

„Mutti, wann holst Du mich ab?“ Katja quengelte. „Gleich nach der Arbeit“, antwortete Inga und dachte, doch nichts mit Frisör. „Im Kindergarten wird es Dir bestimmt gefallen“, Katja trödelte beim Anziehen. „Komm, bei der Hose helfe ich Dir. Tommy ist schon fertig.“

„Tschüss, Joschi ist da!“ Tommy knallte die Tür.

„Du sollst doch was essen!“ Aber er hörte es nicht mehr. Katja schien vor Aufregung auch keinen Appetit zu haben und schob ihren Toast lustlos von einer Hand in die andere. Inga nahm ihn ihr ab, sie befürchtete, dass Katjas Sachen schmutzig werden, dann müsste sie nochmal umgezogen werden und so viel Zeit war nicht mehr. „Beiß ab!“ Aber Katja presste den Mund zusammen. Da steckte Inga sich das Brot selbst in den Mund und bereute es aber gleich wieder. Am liebsten würde sie es ausspucken, es schmeckte wie Sand. Ob ihr das mit Klaus doch auf den Magen geschlagen war? Tapfer schluckte Inga Katjas Frühstückstoast runter. Das Kind durfte nichts merken.

Endlich verließen sie das Haus. Inga atmete tief durch. Die Luft war lau. Alle hofften auf einen besseren Sommer. Von der Theodor-Storm-Straße aus in die Lindenallee mussten sie durch die halbe Stadt. Aber in Heiligenstadt konnte man alle Ziele in zwanzig Minuten zu Fuß erreichen. Heiligenstadt lag im Eichsfeld in Nordthüringen in einem Tal umgeben von Wäldern, davon schwärmten schon Heinrich Heine und Theodor Storm. Das Einzige was fehlte, war ein See, dann wäre alles komplett. Inga liebte ihre kleine Stadt. Aber heute Morgen hatte Inga für das Vogelzwitschern kein Ohr. Sie zwitscherten ganz laut, als wollten sie sagen „Wir sind wieder da, hier bestimmen wir!“. Jetzt erst bemerkte Inga, dass Katja die ganze Zeit plapperte.

„Was hast Du eben gesagt?“, fragte sie.

„Wann kommt Papa wieder?“, wollte Katja wissen.

„Weiß ich nicht, es dauert länger. Er will uns anrufen.“, sagte Inga.

„Bringt er auch was Schönes mit?“

„Jaaah“, antwortete Inga mechanisch in Gedanken versunken. Allein, allein, allein, allein, jeder Schritt schien das zu sagen. Heute sage ich noch keinem etwas, ging es ihr durch den Kopf. „Er ist bei seiner neuen Freundin.“ Wie sich das anhörte, als wenn ich der alte Dreck wäre. Ihr Stolz verbot ihr, mit anderen darüber zu reden.

In ihrem Kopf fuhren die Gedanken Karussell. Bin ich eine Versagerin? Steht das Wort überhaupt im Duden oder gibt es nur Versager? Eine Ehe, wie die meiner Eltern, habe ich nun nicht führen können. Wenn die das erfahren… dieses Theater halte ich nicht aus: „Denkt an die Kinder, die brauchen einen Vater!“

Eine Autohupe riss sie aus den Gedanken. Inga drehte sich verdutzt um, ein gutaussehender Mann guckte aus dem Auto:

„Bin ich hier richtig in der Lindenallee?“

„Nein“, Inga überlegte kurz „immer geradeaus bis zur großen Kreuzung an der Honsel-Tankstelle, dann rechts die Straße runter, an der Fußgängerzone vorbei bis rechts die Lindenallee kommt.“ Der Mann mit den markanten Gesichtszügen bedankte sich und fuhr weiter. Früher hätte sie ihn bestimmt angehimmelt.

Am Kindergarten angekommen brachte sie Katja schnell rein. Damit es keine Tränen gab, versprach sie abends etwas Schönes mitzubringen. Gerade wollte sie gehen, da hielt sie die Kindergärtnerin auf. „Hallo, Frau Mertens! Entschuldigen Sie, ich weiß, Sie haben nicht viel Zeit, aber nächste Woche wollen wir ein Sommerfest im Kindergarten machen, würden Sie bitte einen Kuchen oder Salat mitbringen?“

„Ja, wann nächste Woche?“

„Am Freitag.“

„Geht klar, ich werde einen schönen bunten Nudelsalat mitbringen.“ Inga drehte sich um und ging raus. Hoffentlich war ich nicht zu unhöflich, dachte sie und ist schon wieder auf dem Weg. Noch einige Meter lief sie vom Kindergarten über die Wilhelmstraße durch eine schmale Gasse, dann hatte sie das Büro- und Ärztehaus in der Lindenallee erreicht. In der oberen Etage lebte und arbeitete Rechtsanwalt Dr. Zinn. Den hatte sie noch nie zu sehen bekommen. Diese obere Etage mit Dachterrasse war für Inga in der Tat so etwas wie ein Symbol für das „Ganz-Oben-Angekommen-Sein“, für das für sie Unerreichbare. An ihrer Tür, in der ersten Etage, stand „ALOE-Versicherung, Sachbearbeiterin Inga Mertens“. Sie hörte Stimmen. Wieso war der Chef schon da? Sie wollte noch mal die Akte „Konrad“ durchgehen, bevor er kam. Er hatte Besuch, schon so früh am Morgen. Zwei Herren unterhielten sich mit ihrem Chef. Als sie öffnete, trat plötzlich betretendes Schweigen ein. Hier stimmt was nicht, da bin ich gemeint, dachte Inga.

„Frau Inga Mertens?“, fragte der Größere von beiden.

„Ja.“

„Kriminalpolizei“, stellte er sich vor. „Wir müssen Sie leider bitten, mit aufs Präsidium zu kommen. Wir haben ein paar Fragen an Sie.“

Verwirrt dachte Inga, was wollen die von mir, die sollen mich in Ruhe lassen! Als wenn ich nicht schon genug Probleme hätte!

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