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Kapitel 4
ОглавлениеInga stand vor dem Spiegel. Ihr verweintes Gesicht schmeichelte ihr nicht gerade. Sie beschloss: Jetzt denke ich an mich und gehe zum Frisör. Bei ihrem Frisör in der Wilhelmstraße, der Hauptgeschäftsstraße in Heiligenstadt. Dort war es voll und sie musste warten. Zum Glück bekam sie einen Fensterplatz. Verträumt schaute sie auf die Straße. Der „Untere Wilhelm“ wurde als Fußgängerzone mit vielen Geschäften ausgebaut und der „Obere Wilhelm“ ist eine befahrbare Straße ebenfalls mit vielen Geschäften geblieben. Allerdings war am „Oberen Wilhelm“ immer mehr los, weil die Meisten ihre Wege mit Auto erledigten.
Da stand der Wagen von heute Morgen. Inga kniff die Augen zusammen. Am Lenkrad, verborgen hinter der Zeitung, saß ein Mann. Das könnte derselbe Mann von heute Morgen sein. Aha, mein persönlicher Spitzel – von wegen „Lindenallee“. Inga beschloss mit ihm zu reden und in einfach nach Klaus zu fragen. Aber erstmal überließ sie der Frisörin den Schnitt und ist sehr zufrieden damit. Draußen ging sie demonstrativ am immer noch parkenden Auto vorbei. Keine Reaktion. Weil sie nicht wusste, was sie nun machen sollte, ging sie erstmal zur Drogerie auf der anderen Straßenseite. Vor der Drogerie drehte sich Inga noch einmal um und merkte, wie unruhig er wurde. Er starrte ständig zum Frisörsalon, machte ja richtig einen langen Hals. Also raus und wieder an ihm vorbei. Es hat geklappt, er hat sie erkannt und zündete das Auto. Mit einem Ruck drehte sie sich um, ging auf den Pkw zu und gab ihm ein Zeichen, das Fenster zu öffnen. „Ja, bitte?“, seine Reaktion schien etwas unsicher. Inga grinste jetzt nahezu aufreizend: „Wo geht es bitte zur Lindenallee?“
„Darf ich Sie hinbringen? Es ist etwas schwierig, den Weg dorthin zu erklären.“
„Zu schwierig für Sie.“ Inga wurde immer entschlossener.
„Ja, für mich.“
Er öffnete, sie stieg ein. Erst als sie im Auto saß, kam die Angst: Was tue ich hier? Das bin doch nicht ich! Zu spät, er war schon gestartet und fuhr aus der Parklücke.
„Die neue Frisur steht Ihnen gut. Auch der Glanz in Ihrem Haar.“
Aha, ganz Kavalier, dachte Inga, um sogleich verblüfft zu fragen:
„Das ist Ihnen aufgefallen?“
Er brummte etwas vor sich hin, das so ähnlich klang wie: „Wenn nicht mir, wem denn sonst?“
„Ach ja.“ Stell Dich nicht so dämlich an, sagte Inga im Stillen zu sich selbst, um noch in Gedanken hinzuzufügen: Doofe Unterhaltung, mir sollte was Besseres einfallen. Wie schaffte sie es, dass er erzählte, was er wusste? Auf keinen Fall durfte sie sich zu plump anstellen. Ich müsste jetzt so sein wie die Peggy aus meiner Lieblingsserie im Fernsehen, wünschte sie sich. Die war immer so unbeschwert, humorvoll und sexy. Die würde bestimmt jetzt schon alles wissen, was sie wissen wollte. Aber nein, ich hocke hier so verklemmt, wie ein Mensch nur sein kann – Sch…!
Vorsichtig beobachtete Inga jetzt ihren Fahrer, merkte, dass er sehr ernst war. Hat er nicht eben etwas gesagt? Zu ihr oder zu sich selbst?
„Sie haben mich durchschaut; schlecht für mich als Privatdetektiv.“
„Seit wann müssen Sie mich beobachten – oder observieren heißt das ja wohl bei Ihnen?“, platzte sie heraus.
„Eigentlich nicht Sie, Ihren Mann, aber… Wir sind da, Lindenallee.“
„Und jetzt sollen Sie ihn immer noch überwachen, obwohl oder vielmehr weil er verschwunden ist? Ist er denn wirklich spurlos weg?“, Inga verlor nun fast die Beherrschung.
„Ja.“
Das ist alles. Wahrhaftig keine erschöpfende Antwort, keine Erklärung. Inga ließ nicht locker, merkte wie ihre Stimme zitterte bei der Frage: „Keine andere Frau?“
„Nein. Sie haben Ihren Mann sehr gern?“
Inga lief rot an. Durchschaut! Heute am Morgen wollte sie stark sein, vorhin wollte sie einen anderen Mann anmachen, jetzt versagte ihr fast die Stimme. Wie hieß er eigentlich, zu dem sie freiwillig ins Auto gestiegen war?
„Friedmann, Jens. Entschuldigen Sie, ich habe mich noch nicht vorgestellt.“
Als wenn er Gedanken lesen könnte, dachte Inga und merkte erst jetzt, dass das Auto auf einem Parkplatz unweit ihrer Arbeitsstelle stand.
„Möchten Sie noch mal ins Büro?“ fragte er.
„Nein, danke!“
„Darf ich Sie in ein Café einladen? Ich kenne ein schönes, nicht weit von hier.“
„Ja, ist okay.“
Inga fehlte die Ruhe. Nachdem die Kellnerin den Kaffee gebracht hatte, hatte sie sich wieder etwas gefangen.
„Wo war er, wenn er nicht bei mir zu Hause war? Manchmal sogar gleich mehrere Nächte hintereinander!“ bohrte sie nun hartnäckig.
„Ihr Mann hat häufig bis in die Nacht gearbeitet und ist dann gleich in der Firma geblieben. Für solche Fälle ist alles da, fast wie im Hotel. Aber immer öfter verschwand er, ohne unser Wissen. Wir sind ja zu seinem Schutz da.“
Jens Friedmann zuckte mit den Schultern.
Schöner Schutz, dachte Inga, wenn ein Mensch plötzlich verschwinden kann, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen.
„Warum wird er beschattet?“
„Es ist besser, wenn Sie das nicht wissen.“
Inga merkte, wie Wut in ihr hochstieg. Warum dachte eigentlich jeder, sie sei dumm? Längst ahnte sie, dass es mit seiner Arbeit zu tun hatte. Sie beschloss, alles auf eine Karte zu setzen.
„Es geht um Forschungsergebnisse, oder?“
„Ja, eine chemische Verbindung, die sehr wertvoll für die Medizin sein könnte. Man kann damit die Zellteilung von Krebszellen stoppen, ohne dass gesunde Zellen angegriffen werden.“
„Hm“. Das war zunächst alles, was Inga antworten konnte, während sie sich nachdenklich fragte, warum Klaus nie mit ihr darüber gesprochen hatte.
Friedmann – oh verflixt, konnte der denn wirklich Gedanken lesen? – hatte die Antwort für sie: „Er durfte mit keinem Außenstehenden darüber reden, es ist zu gefährlich. Eine andere Firma hat einen Wink bekommen; keiner weiß, von wem. Seitdem wollen sie ihm die Formel abjagen – noch bevor sie zugelassen wird.“
Plötzlich begann Friedmann zu schwärmen: „Wir kommen damit auf dem Weltmarkt ganz groß raus. Es bringt dem Staat und der Forschung viel Geld und ihrem Mann selbstverständlich auch.“
Mit großen Augen schaute Inga ihn fragend an: „Und, jetzt ist er in Gefahr?“
„Ich hoffe nicht. Vielleicht hat er sich auch nur rechtzeitig abgesetzt.“
„Was heißt ’rechtzeitig abgesetzt’?“ Aufgeregt suchte Inga nach Worten und flüsterte dann:
„Sagen Sie mir die Wahrheit! Ich will jetzt die Wahrheit wissen!“
„Es gibt weiter keine Wahrheit.“, antwortete ihr Friedmann.
Inga schreckte auf: „Ich muss die Kinder holen.“ Ihren Wunsch sprach sie nicht aus, der blieb verborgen: Vielleicht ist er zu Hause, wartet auf mich und die Kinder…
„Natürlich“, sagte Friedmann und zahlte.
Inga versuchte es erneut: „Keine andere Frau, bei der sich mein Mann versteckt?“
„Nein, kein Hinweis. Schließlich habe ich ihn beobachtet, wenn er für sich eingekauft hat, wie ein Single, ganz typisch: ein paar Büchsen Bier, Pizza, Brötchen, etwas Wurst, eine Zeitung. So kauft nur einer, der alleine lebt. Ich weiß das.“
Aber warum dann diese Vorwürfe gegen sie? Inga konnte keinen klaren Gedanken fassen.