Читать книгу Grünes Licht für flotte Bienen: Kriminalroman - Der Baron 28 - Glenn Stirling - Страница 8
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Оглавление„Diese Jugend“, sagte Karel Bovenkampers resigniert, „diese Jugend ist anders, als wir früher waren. Diese Jugend taugt nichts!“
Die beiden Damen – beide um die Fünfzig – nickten pflichtschuldig. Die drei Herren, ebenfalls zwischen fünfzig und sechzig, murmelten überzeugte Zustimmung. Und Karel Bovenkampers, groß, derb und glatzköpfig, meinte wie zur Unterstreichung seiner vorherigen Worte: „Ich hätte Dina übers Knie legen und wie ein kleines Kind versohlen sollen. Einfach wegzulaufen und dann solch ein Brief!“ In seinem rotwangigen Westfriesengesicht zeigte sich Grimm und Enttäuschung. Dina war sein Liebling gewesen, sein Ein und Alles. Und nun war sie weg. Einfach so und unter Zurücklassung des Briefes, mit dem sich gerade Baron Strehlitz befasste.
Der Baron stand am Fenster, las den Brief und befand sich damit ein wenig abseits der anderen. Die Nachmittagssonne schien durch die bleigefassten Scheiben in sein tief gebräuntes Gesicht. Sein Haar glänzte seidig, und an den Schläfen wirkten die grauen Haare wie Silberfäden.
Vorgestern war Baron Strehlitz von einer Filmexpedition aus dem Bahamagebiet zurückgekommen, Filme, die er gemeinsam mit seinem alten Freund Cousteau gemacht hatte, Le Beau, Robert und James waren auch dabei gewesen. Nun war Robert schon nach Deutschland gefahren, um mit Fernsehgesellschaften über den Verkauf des Filmmaterials zu verhandeln. Große Illustrierte in Frankreich, England und Deutschland hatten sich auch angemeldet, um Ausschnitte der Filme und die Berichte von der Expedition abdrucken zu können. Im Augenblick aber war der
Baron Gast von Karel Bovenkampers, einem Manne, den er nun schon zehn Jahre lang kannte, und von dem er wusste, wie viel Gutes Karel Bovenkampers schon getan hatte. Denn die Bovenkampers besaßen nicht nur eine alte und weltbekannte Handelsfirma, sie galten nicht nur als sogenannte Kolonialimporteure, die Brüder Bovenkampers hatten darüber hinaus einen beträchtlichen Teil ihres Privatvermögens für Kinderdörfer, Hilfsaktionen bei Katastrophen und Hungersnöten geopfert. Und sie waren dieses und jenes Mal bereits Schirmherren großherziger Sammelaktionen in den Niederlanden gewesen, als man irgendwo auf dieser Welt Not lindern wollte.
Doch nun hatte es den sonst so zufriedenen und hilfsbereiten Karel Bovenkampers hart getroffen. Seine achtzehnjährige Tochter hatte geschrieben, sie sei es endgültig satt, in diesem Hause zu leben. Der Wohlstand kotze sie an, das althergebrachte Gehabe und Getue hänge ihr zum Halse heraus. Es sei eine Lüge, dass Geld nicht stinke. Hier im Haus könne man kaum noch atmen, so stänke der Reichtum der Familie zum Himmel. Und trotzdem würde sie, das einzige Kind, mit puritanischer Strenge und geradezu boshaftem Geiz finanziell kleiner als irgendein Arbeiterkind gehalten. Sie, schrieb sie zum Schluss, sei es leid. Sie werde für immer gehen. Die Welt der selbstzufriedenen, von sich so überzeugten Bovenkampers sei nicht ihre Welt. Sie sei jung, und die Jugend habe endgültig und für immer einen Strich zwischen sich und die dekadenten, verkalkten, boshaften alten Leute des Establishments gezogen. Für alle Zeiten! Das war der Brief. Und alle hier, die bei Karel Bovenkampers und seiner Frau den Fünfuhrtee einnahmen, hatten diesen Brief gelesen. Denn die wenigen Gäste des Hauses gehörten zum Freundeskreis, zu jenen intimen Bekannten, für die es den stahlharten Gürtel der Vertrauensgrenze nicht gab.
Baron Strehlitz hob den Kopf, und sofort hörte Karel Bovenkampers auf zu sprechen, sah zum Baron hin und machte ein fragendes Gesicht. „Nun, Alexander, wie denken Sie darüber?“
Der Baron lächelte. „Mein lieber Karel, ich würde das alles gar nicht so furchtbar tragisch nehmen. Sind wir wirklich immer so brave Söhne und Töchter gewesen? Oder war für uns wirklich immer und allezeit das, was unsere Eltern sagten, das reine Evangelium?“
Die beiden Damen – die kleinere mit dem Kräuselhaar war Bovenkampers Frau – zeigten wenig Verständnis. Annegret Bovenkampers meinte mit leichter Entrüstung: „Baron, Sie sollten nicht so tolerant sein, zu tolerant. Sie hat es gut gehabt bei uns. Sie hatte alles. Aber wir wollten sie nicht erziehen, wie Leute heutzutage ihre Kinder erziehen, die alles dürfen, alles bekommen, alles haben. Sie wollte ein Auto. Bei dem Verkehr in Amsterdam! Und dort geht sie nun einmal zur Schule, dort ist unsere Stadtwohnung.“
„Hatte sie einen Freund oder Freundinnen?“, erkundigte sich Alexander.
„O ja, aber was für welche!“, rief Frau Bovenkampers entsetzt. „Freunde! Dieser langhaarige Kerl, dieses Scheusal in seiner verdreckten Soldatenjacke …“
„Das ist ein Parka, Annegret“, korrigierte sie ihr Mann. Und er fuhr fort: „Alexander, sie hat recht, denn wir haben alles getan, was Eltern tun können, die das Beste für ihr Kind wollen. Sie ist undankbar.“
„Wer Dankbarkeit von seinen Kindern erwartet, hätte lieber keine Kinder haben sollen“, meinte Alexander. „Nun, ich denke, sie wird wiederkommen. Oder sie macht ihren Weg, und in ein paar Jahren besinnt sie sich. Vielleicht schon viel früher. Sie alle sollten den Fehler nicht allein bei Dina suchen.“
„Bei wem denn sonst, in aller Welt?“, rief Frau Bovenkampers empört.
Alexander von Strehlitz lächelte. „Bei sich selbst, Madame, bei sich selbst!“
Annegret Bovenkampers, aber auch die anderen vier, außer Karel Bovenkampers selbst, zeigten befremdete Gesichter. Sie standen nicht auf derselben Ansicht wie der Baron, nein, sie missbilligten diese aufs Schärfste.
Karel Bovenkampers hingegen begann nachzudenken. Vielleicht war er seit Dinas Abgang noch gar nicht dazu gekommen. Während seine Frau betont deutlich das Thema wechselte, nahm Karel seinen alten Freund am Ärmel und raunte ihm zu: „Wir gehen auf einen Augenblick in meine Bibliothek.“
Alexander nickte und folgte dem zehn Jahre älteren Manne, der immer für andere dagewesen war und nun über eine Erziehungspanne bei der eigenen Tochter stolperte.
Als sie allein in seiner streng nüchtern eingerichteten Bibliothek waren – eine Bücherei, die einer kleinen Stadt zur Ehre gereicht hätte –, sagte Bovenkampers erschüttert: „Alexander, Sie kennen Dina. Ich begreife nicht, woher sie diesen vulgären Ton nimmt. Niemals ist in diesem Hause so gesprochen worden. Und immer haben wir sie in christlicher Strenge …“
Alexander nickte. „Ja, aber sie ist jung, und sie hat Freunde, die nicht so sind wie Sie, Karel. Die nicht puritanisch denken, denen Ihre Kirche nichts bedeutet, Karel. Die sich lustig machen über Ihre Strenggläubigkeit. Und man kann es andersdenkenden jungen Menschen auch nicht einhämmern, was Respekt vor einer anderen Ansicht ist. Immerhin, ich glaube kaum, dass Sie sich sorgen müssen. Wenn aber, Karel, nur der geringste Hinweis besteht, dass man etwas für Dina tun müsste, so können Sie sich darauf verlassen, dass es getan wird. Sie haben anderen in Tausenden von Fällen geholfen. Ihnen wird ebenfalls geholfen werden. Ich werde sehen, ob ich Dina finde – oder gibt es eine Adresse?“
„Nichts. Dieser langmähnige Freund, das habe ich durch ein Detektivbüro ermitteln lassen, war schon einmal von der Amsterdamer Polizei wegen Verdachts auf Rauschgiftkonsum verhaftet gewesen. Man musste ihn aber wieder laufenlassen.“
„Sonst nichts? Seine Familie?“
„Das ist ja der Witz! Der Vater ist Offizier bei der Luftwaffe. Feines Früchtchen, was er da aufgezogen hat.“
„Hm, sind Sie da nicht etwas ungerecht, Karel?“, fragte Alexander vorwurfsvoll.
Karel Bovenkampers strich sich übers Kinn. „Ja, ja, man weiß ja nie, was die Kinder tun.“
„Vielleicht löst sich alles in Wohlgefallen auf. Ich werde Dina suchen und mit ihr reden. Wie ich sie kenne, wird sie vernünftig reagieren.“
„Wie Sie sie kennen? Dina war früher brav. Aber ein Dickkopf ist sie schon immer gewesen. Und jetzt ist sie das nur noch!“, warnte Bovenkampers. „Ich stehe vor den Trümmern meiner Erziehung.“