Читать книгу Drei Trümpfe für Old Joe: Texas Wolf Band 62 - Glenn Stirling - Страница 6
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ОглавлениеOld Joe blinzelte gegen die blendende Abendsonne, als er die raschen Schritte hörte. Da erkannte er den Jungen. Der rothaarige Billy Nash lief, vom Telegraphenbüro kommend, schräg über die Straße auf den Saloon zu. Old Joe sah den Jungen verwundert an. Billy rannte an Old Joe vorbei, und der Alte fragte: „Was ist los, Billy?“
Ohne im Laufen innezuhalten, rief Billy mit überschnappender Stimme: „Spencer Tilgham ist frei! Sie haben Tilgham freigelassen!“
Schon war er weiter, stürzte in den Saloon hinein, und die Schwingtüren pendelten wild hin und her.
„Spencer Tilgham ist frei! Sie haben Tilgham freigelassen!“, schrie Billy wieder.
Ein erstaunter Ausruf aus einem Dutzend Männerkehlen, dann hörte Old Joe jemand fragen: „Woher weißt du es?“
„Ein Telegramm ist gekommen“, berichtete Billy. „Ein Telegramm aus San Antonio.“
Old Joe ging jetzt ebenfalls in den Saloon. An den Schwingtüren blieb er stehen und blickte darüber hinweg in den Raum. Sie hatten noch keine Lampen angezündet; es war hell genug. Die Abendsonne fiel durch die Scheiben. Links am Tresen stand Jillford, der Keeper. Er stemmte seine muskulösen Arme auf die Nickelplatte und starrte ebenso auf den rotschopfigen Billy wie die anderen zehn oder zwölf Männer im Saloon.
Die meisten standen vor dem Tresen. Hinten am Kartentisch saßen vier zu einem Spiel beisammen, aber im Augenblick hatten sie die Karten beiseite gelegt und sich Billy zugewandt wie alle anderen.
In diesem Augenblick rief ein großer schwarzhaariger Mann: „Wieso können sie ihn freilassen? Er ist ein Mörder!“
Billy schüttelte wild den Kopf. „Ich habe es selbst gelesen, was der Telegraphist auf geschrieben hat. Mit meinen Augen habe ich es gelesen. Sie haben ihn freigelassen, weil sie keinen Beweis haben.“
Entrüstet rief ein grauhaariger Alter: „Keinen Beweis? Zwei Zeugen, die bereit sind zu schwören! Und ein Texas-Ranger hat ihn festgenommen!“
Jetzt blickten sie alle auf Old Joe. „He, da ist ja Old Joe!“, meinte ein glatzköpfiger Dicker. „Hast du gehört, sie haben Tilgham freigelassen. Dein Freund, der Texas-Ranger, hat ihn festgenommen, und sie lassen ihn frei.“
„Tom Cadburn hat ihn festgenommen, weil zwei Männer aus dieser Stadt eine eidesstattliche Erklärung abgegeben haben.“
„Na und?“, rief der Dicke. „Das sind doch Beweise, oder etwa nicht?“
Old Joe zuckte die Schultern. „Ich bin nicht der Richter. Der Richter entscheidet. Nicht Tom Cadburn, und ich schon gar nicht. Wenn sie ihn ordnungsgemäß freigelassen haben, können wir nichts dagegen tun.“
„Nichts gegen einen Mörder tun?“, rief der Dicke aufgebracht. „Was meint ihr dazu?“ Er blickte beifallheischend in die Runde.
Einer der Spieler in der Ecke, ein hagerer blonder Mann mit tiefliegenden Augen, sagte trocken: „Wenn man einen Vater hat wie Tilgham, der so reich ist, kann man eine Menge tun. Geld öffnet auch Gefängnistore.“
„Du glaubst doch nicht im Ernst“, rief ihm Old Joe zu, „dass die Richter in San Antonio bestechlich sind. Wenn sie ihn freigelassen haben, muss es einen Grund geben.“
„Natürlich gibt es einen Grund“, rief der Blonde aus der Ecke. „Mit viel Geld kann man Zeugen bestechen oder aber neue Zeugen besorgen, die einen Eid leisten. Vielleicht sind es vier, die bereit sind, für Spencer Tilgham zu schwören. Und da lassen sie ihn frei.“
„Das ist der größte Unsinn, den ich gehört habe, Charly Cleems“, rief der Alte zurück. „Wer weiß denn, ob die beiden, die bereit waren zu schwören, auch wirklich geschworen haben? Hier in der Stadt brauchten sie nur eine Erklärung abzugeben. Ein Texas-Ranger kann ihnen keinen Eid abnehmen, aber vor dem Richter müssen sie die Hand heben. Wer weiß, ob sie dazu bereit gewesen sind. Und ohne Schwur kein Beweis.“
„Du glaubst also“, meinte Charly Cleems, der Blonde, „dass die beiden Zeugen umgefallen sind? Das passt genau zu meiner Theorie.“
Einige der Männer wandten sich Cleems entrüstet zu. Der dicke Glatzkopf sagte: „Du willst doch nicht im Ernst behaupten, dass Pride und Reevers sich kaufen lassen, und schon gar nicht von Tilghams Vater.“
„Er ist sehr reich“, meinte Cleems. „Und wer soviel Geld hat, kann damit eine Menge anfangen. Pride und Reevers sind arme Schweine. Wenn denen einer tausend Dollar vor die Nase legt, dann ist das so viel Geld, dass sie eine Menge dafür zu tun bereit wären.“
Das massige Gesicht des Dicken lief krebsrot an. „Es sind anständige Burschen. Die würden das nie tun, und wenn sie tausendmal arm sind. Es ist eine Gemeinheit von dir, Cleems, so etwas zu sagen.“
„Hör doch auf, Brooker! Du tust, als wären wir alle Heilige. Überlege doch einmal! Die Frau von Pride ist krank, und Reevers hat Schulden bis über die Ohren.“ Charly Cleems lachte abfällig. „Und da soll einer hart bleiben? Da würdest du genauso umfallen, Brooker. Du und alle anderen hier.“
Ein paar Sekunden lang war es ganz still im Saloon. Da sagte der Keeper Jillford in diese Stille hinein: „Hört einmal, Jungs, seid ihr euch darüber klar, was sein wird, wenn Tilgham nach Hause kommt? Ich erinnere euch nur an das, was er schrie, als der Texas-Ranger ihn weggeschafft hat.“
Sie alle hatten es gehört, auch Old Joe erinnerte sich recht gut an diese Verwünschung, die Spencer Tilgham allen zugeschrien hatte, als er von Tom Cadburn verhaftet worden war.
„Wann, glaubt ihr denn“, meinte Cleems, „könnte er hier sein?“
„Sie haben telegraphiert, dass er mit der Postkutsche kommt“, rief Billy eifrig. „Ich habe alles mitgelesen, als es Whiteman für den Ranger aufgeschrieben hat.“
„Hört doch mal, Jungs“, meinte Cleems. „Wenn er sich gestern in eine Kutsche gesetzt hat und in San Antonio losgefahren ist, braucht er bis morgen, bis er hier ankommt. Wir haben also noch eine Menge Zeit.“
„Was soll das heißen?“, rief Old Joe dem blonden Cleems zu.
Cleems lächelte hart. „Das bedeutet, dass wir einen Sheriffmörder nicht frei herumlaufen lassen. Nicht in dieser Gegend, Old Joe!“
„Ein Gericht hat ihn freigelassen, dann können ihn andere nicht festnehmen. Mit welcher Begründung denn?“
„Weil er ein Mörder ist. Ganz gleich, womit man ihn freigekauft haben könnte!“, rief Cleems.
Der glatzköpfige Brooker nickte eifrig. „Da hast du aber verdammt recht, Cleems. Ich bin auch der Meinung, dass ein Mörder nicht frei herumlaufen sollte. Der alte Sheriff ist tot, sein Deputy Shepman liegt noch immer im Bett, und wir können ihn nicht einmal zum neuen Sheriff wählen, weil er das Bett hüten muss. In den Rücken geschossen! Er hat diesen Lumpenhund noch nicht einmal sehen können. Sonst brauchten wir nur ihn als Zeugen. Und jetzt haben wir einen Texas-Ranger als Ersatzsheriff. Verdammt noch mal! Er sollte Tilgham sofort festnehmen.“
„Aber das kann er doch nicht“, widersprach Old Joe. „Wenn ein Gericht Tilgham freilasst, hat niemand eine Handhabe, diesen Mann erneut festzunehmen.“
„Vielleicht liefert er uns selbst eine Handhabe dazu“, meinte Jillford, der Keeper.
Old Joe hörte den merkwürdigen Unterton aus Jillfords Stimme heraus. Er sah den bulligen, schwarzhaarigen und bärtigen Mann nachdenklich an, und Jillford erwiderte diesen Blick freimütig. Aber es war in seinen Augen nicht abzulesen, was er dachte. Es könnte harmlos gemeint sein, und dennoch hatte Old Joe eine Ahnung. Die ganze Sache gefiel ihm nicht.
Warum, zum Teufel, dachte er, haben sie Tilgham nur freigelassen? Und dieser verdammte Telegraphist! Er schreibt alles so auf, dass ein vorwitziger Junge es mitlesen kann. Jetzt weiß die ganze Stadt Bescheid. Das Telegramm war doch nur für Tom bestimmt und nicht für die anderen hier.
Ich muss sofort mit Tom reden, dachte er weiter, wandte sich um und verließ den Saloon.
Das Sheriff-Office befand sich direkt neben der Bank von Flatstone. Als Old Joe schräg über die Straße ging, stand die Sonne direkt über dem Horizont. Der Himmel, war purpurrot, und die Schatten hatten schon jenen bläulich-schwarzen Schimmer der bald einbrechenden Nacht.
Der rote Feuerball der sinkenden Sonne stand zwischen den Zacken der Apache Mountains, die den westlichen Horizont begrenzten. Bis dahin erstreckte sich die hügelige Savanne zwischen Pecos und dem Gebirge.
Old Joe hatte das im tiefen Schatten liegende Office erreicht, trat ein und sah seinen langjährigen Freund Tom Cadburn am Tisch sitzen und sein Gewehr reinigen. Neben dem blonden, dunkel gekleideten Texas-Ranger lag sein schwarzer Halbwolf Sam schläfrig auf dem festgestampften Boden des Office.
Tom Cadburn schaute nur auf, und Sam riskierte gar nur ein Auge für den eintretenden Alten, dann schloss er es wieder und schien erneut zu schlafen.
Old Joe lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und sagte: „Das Telegramm kennt die ganze Stadt. Dieser vorwitzige Billy Nash hat es mitgelesen und eben im Saloon verkündet.“
Über das kantige Gesicht huschte ein Lächeln. „Hast du in dieser Stadt etwas anderes erwartet?“
„Ich finde es dennoch allerhand. Jetzt debattieren sie schon darüber, was sie tun können, um diesen angeblichen Mörder zu fassen.“
Tom Cadburn wurde ernst und nickte. „Damit müssen wir rechnen. Es ist ein Unglück, dass sie es telegraphiert haben. Ich vermute, die beiden Zeugen haben sich entweder widersprochen oder ihre Aussage nicht unter Eid wiederholt. Etwas anderes kann ich mir fast nicht vorstellen.“
„Die Leute hier kennen aber eine ganze Menge mehr Gründe als du, wieso er frei ist. Sie nehmen an, die Zeugen sind bestochen worden. Der alte Tilgham ist reich. Du weißt, dass sie ihm alle sein Geld, seinen Erfolg, seine Tüchtigkeit neiden. Er war immer fleißiger als sie, und er hat immer mehr verdient. Und nun endlich bietet sein Sohn die Möglichkeit, den Alten zu fassen. Sie hatten ja schon so lange darauf gewartet.“
„Du hast völlig recht“, erklärte Tom Cadburn. „Wie du siehst, reinige ich mein Gewehr, in fünf Minuten bin ich damit fertig, und dann werde ich Thunder satteln und losreiten.“
„Wie denn, du allein?“
„Nicht ich allein“, erwiderte Tom Cadburn lachend. „Sam wird mich begleiten.“
„Jetzt wird der Hund in der Pfanne verrückt! Sam wird dich begleiten. Und ich?“
„Du bleibst hier.“
Der Alte richtete sich zu voller Größe auf, äffte Tom Cadburn nach, als er sagte: „Du bleibst hier – wie wunderbar du das sagen kannst. Bin ich vielleicht dein abgerichtetes kleines Hündchen? Aber nicht einmal Sam lässt so mit sich umspringen. Was soll ich hier?“
„Ich werde dich zum Deputy ernennen.“
„Wie reizend! Was glaubst du denn, wie scharf ich auf dieses verdammte Abzeichen bin, he?“
„Du wirst es ein paar Tage lang tragen. Und wenn ich wieder da bin, ist alles erledigt.“
„Es sieht mir aber verdammt noch mal nicht danach aus“, widersprach der Alte. „Glaubst du denn, du kannst sie davor zurückhalten, auf diesen Jungen loszugehen?“
„Ich hoffe, dass ich den Jungen davor zurückhalten kann, sich in der Stadt zu zeigen. Es gibt tausend Möglichkeiten, wo er sein könnte, bis über die Geschichte Gras gewachsen ist und wir den wirklichen Mörder haben. Du weißt, Old Joe, ich habe von Anfang an daran gezweifelt, dass er für diesen Mord in Frage kommt.“
„Hör einmal, Tom“, meinte Old Joe nachdenklich. „Ich bin heute Mittag bei Shepman gewesen. Es geht ihm nicht besonders gut. Der Doktor macht sich Sorgen. Er meint, das Herz von Shepman taugt nicht viel. Der Kreislauf ist schlecht. Wenn Shepman draufgeht, waren es zwei Tote.“
„Trotzdem habe ich meine Zweifel, ob Tilgham das getan hat.“
„Aber wer sonst hat einen Grund? Er ist ein wilder Junge. Alle wissen das. Und du weißt, dass ihn der Sheriff gewarnt hatte.“
„So hat man es uns erzählt. Das ist richtig. Vergiss nicht, Old Joe: Wir haben diese Geschichte auch erst kennengelernt, als der Sheriff schon tot war und Shepman schwer verletzt im Bett lag. Was wir wissen, stammt aus den Mündern anderer Leute. Tilgham selbst gibt nur zu, dass er Indianer-Blackfeather geärgert hat und deshalb vom Sheriff verwarnt wurde.“
Zornig sagte Old Joe: „Ich möchte nur wissen, warum sie es hier großartig angekündigt haben, dass er frei ist. Sie mussten sich doch denken können, wie viel böses Blut es macht.“
„Vielleicht wollten sie, dass der wirkliche Mörder jetzt einen Fehler begeht.“
„Deine Phantasie möchte ich haben“, knurrte der Alte. „Inzwischen bricht hier ein heller Krieg aus. Weißt du was, wenn du mich schon hier lässt, dann sollte Sam auch hier bleiben. Ich habe kein besonders ruhiges Gefühl. Reite du ihm entgegen! Vielleicht bist du schneller als sie alle. Du solltest aber nicht mehr allzu lange warten.“
„In einer Viertelstunde bin ich unterwegs“, erwiderte Tom. „Also gut, behalte Sam hier. Du kannst gleich das Office übernehmen. Drüben im Schrank liegt die Bibel, hol sie heraus. Ich will dich vereidigen.“