Читать книгу Drei Trümpfe für Old Joe: Texas Wolf Band 62 - Glenn Stirling - Страница 7
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ОглавлениеEin plötzliches Angstgefühl überfiel Reevers wie ein Lanzenstich. Er presste sich in die Polster der Kutsche zurück und schielte an der Kante des Fensters vorbei nach draußen. Da standen sie beide. Und obgleich er die ganze Zeit nichts anderes als das gefürchtet hatte, erschrak er dennoch, als wäre er unvorbereitet.
Große kräftige Burschen waren es, die Brüder von Spencer Tilgham. Johnny, der etwa Dreißigjährige, hatte auf der Ranch des alten Tilgham den Posten des Vormanns inne. Neben ihm stand, die Arme in die Hüften gestützt, der ein wenig kleinere und fünf Jahre jüngere Bruce. Sie beide schauten interessiert der näherrollenden Kutsche entgegen. Und jetzt stand sie direkt vor dem Gebäude der Pferdewechselstation, aus deren Tür der Stationer trat und dem Pfarrer zuwinkte.
Zwei junge Burschen kümmerten sich um das Gespann. Der Kutscher kletterte vom Wagen herunter, und der Stationer öffnete die Tür des Fahrgastraumes.
Zwei Frauen und drei Männer stiegen aus. Reevers blieb sitzen.
„Wollen Sie nicht aussteigen? Wir bleiben die Nach über hier!“, rief der Stationer, ein rotgesichtiger Mann mit einer dicken Knollennase und einem wuchtigen grauen Bart.
Reevers schüttelte den Kopf, dass eine Strähne seines schütteren Haares in die Stirn fiel. „Nein, nein! Ich bleibe noch etwas hier sitzen. Machen Sie die Tür zu!“
Der Stationer zuckte nur die Schultern und schlug die Tür zu.
Über Reevers‘ Schläfen rannen Schweißperlen; Schweiß der Angst. Er schielte nach draußen und hoffte, sie hätten ihn nicht gesehen, diese beiden. Aber da kamen sie näher.
Es war Johnny, der die Tür aufriss und grinsend ins Innere der Kutsche schaute. Bruce trat neben ihn, und dann sahen sie beide schweigend den etwa vierzigjährigen, korpulenten Reevers an.
„Du hast einen Fehler gemacht, Reevers“, sagte Johnny. „Du hättest so schlau sein sollen wie Pride. Pride hat begriffen, dass ein Eid immer ein Eid bleibt. Und deshalb hat er diese Lüge nicht mit einem Eid beschworen. Aber du hast es getan. Trotzdem hat dir das Gericht nicht geglaubt. Wir beide haben die ganze Verhandlung miterlebt. Es hat zwar zu Hause sehr viel Arbeit gegeben inzwischen, aber unser Vater war der Meinung, dass Spencer ein Anrecht darauf hat, dass wir uns um ihn kümmern. Und jetzt, Reevers, sind deine Schulden fällig.“
„Schulden!“, keuchte Reevers mit gepresster Stimme. „Ich habe bei euch keine Schulden!“
Johnny Tilgham zog aus seiner Brusttasche drei Scheine heraus. Er hielt sie so, dass Reevers lesen konnte, was darauf stand. „Sind das nicht deine Schuldscheine?“
„Wie kommt ihr an diese Scheine?“, rief Reevers.
„Unser Vater hat sie sich beschafft. Er hat deine Schulden bei den anderen abgelöst, und jetzt haben wir diese Scheine. Und du wirst zahlen. Es sind fast fünftausend Dollar. Und das Haus hast du verpfändet, in dem du wohnst. Das ist dieser Schein hier.“ Johnny schwenkte den dritten Zettel und fragte: „Wie willst du es denn zahlen? Ich nehme an, du hast einiges für deinen Meineid bekommen. Schlimm genug, dass sie dir jetzt auf die Sprünge geraten sind. Die vom Gericht meine ich. Ich wette mit dir, sie werden den Texas-Ranger beauftragen, sich darum zu kümmern, warum du einen Meineid geschworen hast. Du musst doch einen Haufen Geld von denjenigen bekommen haben, die wirklich hinter dem Mord stecken. Oder hast du den Sheriff etwa selber erschossen und Shepman eine Kugel in den Rücken gejagt?“
Die Furcht würgte Reevers im Halse. Er spürte, wie ihm der Schweiß an Brust und Rücken herunterlief. Dabei war ihm kalt. Er wäre am liebsten im Boden versunken, und er wünschte sich, alles dies wäre nur ein Traum. Aber weder versank er im Boden noch war es ein Traum.
Die beiden Männer, die da draußen standen, waren eine knallharte Wirklichkeit, und er musste ihnen ins Auge sehen.
Er hatte Angst, dass sie ihn schlugen, aber sie schienen nicht einmal daran zu denken. Auf die Idee, dass Tilgham im Besitz der Schuldscheine sein könnte, wäre er nie gekommen. Er hatte viel eher gedacht, sie würden über ihn herfallen.
Bruce, der Jüngere der beiden, trat einen halben Schritt vor, beugte sich in die Kutsche hinein und sagte: „Reevers, ich nehme an, du hast etwas bei dir. Du könntest schon mal eine Anzahlung machen. Das andere holen wir uns dann nächste Woche bei dir, wenn du wieder zurück in Flatstone bist. Wie ist es mit der Anzahlung, oder sollen wir sie aus dir herausprügeln?“
Mit zitternden Händen griff Reevers unter seine Jacke, holte einen Lederbeutel heraus und hielt ihn den beiden entgegen. „Das ist alles, was ich habe“, beteuerte er. „Ich gebe es euch unter Protest. Ihr habt mich dazu gezwungen.“
Keiner der beiden nahm ihm den Lederbeutel ab. Stattdessen sagte Johnny zu seinem Bruder: „Hol den Stationer! Er wird es abzählen, dieses Geld. Und um den Betrag kürzen wir seine Schuld.“
Wenig später kam Bruce mit dem Stationer zurück. Johnny nahm den Lederbeutel, gab ihn dem Stationer und sagte: „Zählen Sie bitte das Geld. Er will einen Teil seiner Schulden begleichen. Nicht wahr, Reevers, das willst du doch? Sehen Sie hier, Stationer, die Schuldscheine.“
Der Knollennasige warf einen Blick auf die Schuldscheine, dann auf den Lederbeutel, schließlich öffnete er ihn und schüttelte das Geld heraus. Es waren Clark & Gruber Dollars. Goldgeld, das auch damals schon Seltenheitswert hatte.
„Hoppla!“, rief Johnny. „Wo kommen denn die her!“
Der Stationer schluckte. „So etwas habe ich auch viele Jahre nicht mehr gesehen. Das hat ja einen weit höheren Wert, als drauf steht.“
Bruce hatte schon die Zahl der Geldstücke überschlagen und sagte: „Es sind fast vierhundert Dollar. Wenn ich davon ausgehe, dass diese Zwanzig-Dollar-Stücke auch zwanzig Dollar wert sind.“
„Sie sind gut die Hälfte mehr wert“, meinte der Stationer.
„Dann sind es sechshundert Dollar. Und sie sind wirklich echt?“, fragte Johnny.
Der Stationer nickte, nahm ein Geldstück und biss darauf. „Weiches Clark & Gruber Gold. Die sind wirklich echt. Die kann man annehmen.“
„Also, Stationer“, sagte Johnny. „Kurzen wir die Schulden auf dem einen Schuldschein um sechshundert Dollar. Damit bin ich einverstanden. Schreiben Sie es selbst hin, dass er darauf sechshundert Dollar gezahlt hat.“
Reevers saß stocksteif in der Kutsche. Der Stationer warf ihm einmal einen Blick zu und fragte: „Ist es auch Ihr Wunsch, Mister?“
Reevers zögerte erst, dann nickte er.
Der Stationer nahm einen Tintenstift, feuchtete ihn an und schrieb, was ihm aufgetragen worden war. Dann steckte Johnny den Schuldschein wieder ein, Bruce nahm den Beutel mit dem Goldgeld, und Johnny gab dem Stationer zwei Dollar.
Der Stationer bedankte sich mehrmals und folgte den beiden ins Haus.
Reevers blieb in der Kutsche sitzen. Er spürte, dass diese lähmende Furcht allmählich wich, dass er wieder gleichmäßig atmen konnte und der Druck nicht mehr auf seiner Brust lastete, den er eben noch empfunden hatte.
Er sah noch, wie eine halbe Stunde später die beiden Tilgham-Söhne die Station verließen und davonritten. Reevers übernachtete und fuhr am nächsten Morgen weiter.
Reevers wusste nicht, was ihn erwartete, und er hatte auch keinerlei Ahnungen. Er war im Gegenteil guten Mutes. Die Angst war völlig weg. Er hatte sich überlegt, dass er das Vorgehen der beiden Tilghams mit Hilfe seiner Freunde anprangern und als eine Art Raub oder Erpressung hinstellen würde. Es gab Zeugen genug. Am Ende konnte auch der Stationer nicht umhin, das zu bezeugen.
Mit diesen Gedanken saß er im Wagen, als sich die Kutsche etwa elf Meilen vor Flatstone befand. Es ging leicht bergab. Die Kutsche rumpelte im ausgefahrenen Weg talwärts.
Weiter unten führte der Weg durch Buschland. Und da sah Reevers plötzlich drei Reiter zwischen den Büschen auftauchen. Aber sie verschwanden sofort wieder.
Die Kutsche wurde langsamer. Die Bremsblöcke schlugen schärfer an die Eisenreifen an und kreischten dabei. Der Kutscher zügelte die Pferde, das Gespann wurde immer langsamer, dann kam die Kutsche zum Stehen.
Einem Impuls folgend beugte sich Reevers zum Fenster hinaus, um zu sehen, was los war. Ein dumpfes Gefühl sagte ihm, dass dieser Aufenthalt mit ihm zusammenhängen könnte. Und da sah er sie! Der eine hatte sein Pferd mitten auf dem Weg stehen. Abgeschlagene Äste von Büschen bildeten eine Barriere, und der Reiter hielt dahinter. Er hatte sein Halstuch bis dicht unter die Augen gezogen, aber Reevers meinte das Pferd zu kennen: ein langbeiniger Schecke.
„Nur einen Augenblick, dann kannst du weiter!“, rief der Reiter mit verstellter Stimme dem Kutscher zu.
In diesem Augenblick entdeckte Reevers auch die anderen. Sie waren seitlich von der Kutsche hinter einem Gestrüpp, und beide richteten sich etwas auf, beide hielten Gewehre in den Händen.
Reevers erkannte sie. Er wollte ihnen etwas zurufen, aber plötzlich begriff er, dass diese Männer nicht hier warteten, um ihn willkommen zu heißen.
Es war seine letzte Erkenntnis. Er rief noch: „Nein! Ihr könnt doch nicht …“
Zwei Schüsse peitschten auf, und das letzte Gefühl, das Reevers in seinem Leben hatte, war ein ungeheurer Schlag gegen seine Stirn.
Eine Frau, die Reevers schräg gegenüber gesessen hatte, schrie gellend auf, als Reevers zurückfiel und zwischen die Sitze zu Füssen der Passagiere stürzte.
Der Reiter vorn, der maskiert war und die Kutsche aufgehalten hatte, preschte jetzt an den Wagen, riss den Schlag auf und zerrte den reglosen Reevers heraus, tastete ihn ab und ließ ihn fallen. Zwischen den Büschen schwangen sich zwei Reiter auf die Pferde und feuerten Warnschüsse ab. Als der Maskierte davonritt, folgten sie ihm.
Der Kutscher hatte sein Gewehr angelegt und feuerte den Fliehenden nach, aber die Büsche verdeckten alle drei Flüchtenden. Niemand konnte sagen, ob der Kutscher getroffen hatte.
Als der Kutscher abstieg und den reglosen Reevers untersuchte, sagte er: „Ich glaube, der Mann ist tot. Von zwei Schüssen in den Kopf getroffen.“