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Vier Tage später.

Billy Rollins hat sich einen Tag bei Don Enrico aufgehalten und in dem Kreolen einen liebenswürdigen Gastgeber kennengelernt. Von dem Mayordomo der riesigen Besitzung hat er später etwas genauere Einzelheiten über den vermissten Ingenieur erfahren und vor allem, wohin der gesuchte Amerikaner von hier aus hingeritten ist. So wertvoll für Billy diese Fingerzeige waren: Bald stellt sich heraus, dass der gesuchte Ingenieur seinen gepinnten Weg nicht eingehalten hat. Wieder steht Billy vor einem Rätsel. Das kleine Dorf, das er nun erreichte, ist von dem Ingenieur nie betreten worden, obgleich er es vorgehabt haben sollte, hier zu rasten. Niemand kennt den amerikanischen Techniker, niemand weiß etwas von seinem Aufenthaltsort.

„Er ist in die Berge, nehme ich an!“, sagt der glatzköpfige Alcalde zu Billy. „Sonst müsste doch jemand in der Umgegend etwas von ihm gesehen haben!“

Billy nickt resigniert.

Der Alcalde dreht seine Schnurrbartspitzen zusammen und blickt Billy nachdenklich an. „Wenn Sie bis morgen warten, Señor, werden Sie mit dem Leutnant Felipe Molinero zusammentreffen. Der Leutnant ist ein erstklassiger Banditenjäger. Er hat schon die heftigsten Kämpfe mit Bandoleros ausgefochten. Die Kerle fürchten ihn wie Gift. Er wird morgen hier ankommen, und wie ich hörte, sucht auch er im Auftrag der Guardia Rural nach Ihrem Landsmann.“

Billy blickt den Bürgermeister erstaunt an. Das ist endlich einmal eine erfreuliche Nachricht. Also tun die mexikanischen Behörden doch etwas. Doch er verspricht sich nicht allzu viel davon; denn er kennt das Phlegma der Mexikaner in diesen Dingen, vor allem, da es sich bei dem Gesuchten um einen Nordamerikaner handelt, die hier ohnehin nicht sehr beliebt sind.

„Gut, ich werde auf den Leutnant warten!“, sagt Billy und beschließt, die Nacht hier zuzubringen.

Am nächsten Tage lernt Billy Rollins den draufgängerischen Leutnant Felipe Molinero kennen. Felipe, der noch vorhat, einst als General der Rurales in die Landeshauptstadt einzuziehen, macht auf Billy sofort einen guten Eindruck. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Felipe findet Gefallen an dem blonden Amerikaner.

Während der Unterhaltung erzählt Billy von Don Enrico, jenem Gutsbesitzer, der ihn so freundlich aufnahm. Doch da hebt Felipo plötzlich den Kopf. „Was sagst du, Amigo? Er war freundlich zu dir?“, fragt er erstaunt.

Billy nickt und blickt Felipo verwundert an.

Der Leutnant pfeift durch die Zähne „Da stimmt was nicht! Lieber Kollege aus Amerika, das ist ein dicker Fisch!“

Billy macht noch immer ein verständnisloses Gesicht, denn er kann sich nicht zusammenreimen, worauf Felipo hinaus will.

„Es ist so, Amigo“, erklärt nun Felipo. „Don Enrico hasst jeden Gringo, Verzeihung, wollte sagen Americano, wie die Pest! Wenn er zu dir freundlich war, so wird das einen Grund haben! Was meinst du, Billy, wenn wir ihn noch einmal gemeinsam besuchen?“

Billy Rollins überlegt. Dieser drahtige Leutnant scheint mächtig auf dem Posten zu sein. Schließlich wird er auch Land und Leute am besten kennen, besser, als es ein Ausländer jemals kann. „Wieso ist er ein Todfeind der Nordamerikaner?“, will Billy wissen.

„Ay, ich weiß nicht warum, aber er ist es, und das weiß der gesamte Bezirk! Schließlich ist er in der nationalen Partei! Seit sechs Jahren will er Gouverneur werden, aber bis heute hat er‘s nie geschafft. Die Leute mögen ihn nicht sehr und wählen die Sozialisten. Du weißt, dass die Indios arme Kerle sind und das glauben, was ihnen die Redner predigen!“

„Würdest du ihn wählen?“, fragt Billy so nebenher.

Ohne zu zögern, antwortet Felipo: „Nein! Er ist mir zu sehr auf seinen Vorteil bedacht! Und wenn ich das schon vorher weiß, wähle ich so einen nicht!“

„Wieso ist er auf seinen Vorteil bedacht?“, horcht Billy auf. Er hat einen Anhaltspunkt entdeckt und beginnt ein altbewährtes Schema anzuwenden.

Felipo zögert etwas, bevor er sagt: „Er hat sehr viel Land. Aber es ist nicht genau festzustellen, ob er es ehrlich erworben hat. Fest steht eins: Don Enrico hat irgendeine Geldquelle im Hintergrund, die ihn finanziert, ihn und seine Wahlkämpfe.“

„Wer, glaubst du, dass es ist?“, fragt Billy interessiert.

„Vielleicht mexikanische Ölmagnaten? Vielleicht auch die Gruppe der oberen Zehntausend, wer weiß, Compadre?“ Felipo zuckt resigniert die Schultern.

„Und welches Interesse könnte er haben, dass der Ingenieur verschwindet?“, überlegt Billy.

„Vielleicht war dein Landsmann etwas zu tüchtig und hat schon irgendeinen Anhaltspunkt, wo er Metalle finden kann?“

Billy schüttelt den Kopf. „Es ist anders! Nach außen täuscht der Ingenieur allen den Goldsucher vor. In Wirklichkeit soll er im Auftrag seiner Gesellschaft feststellen, wie groß die Ausbeute der staatlichen Minen in der Sierra Madre ist. Felipo, ich sage es zu dir, weil ich dir vertraue! Du kennst den Konkurrenzkampf der großen Wirtschaftsgruppen. Wir sind zu klein und schwach, um da mitzumischen. Es ist ein unerhört heißes Eisen, zumal auch hier noch der heißblütige Patriotismus deiner Landsleute dazukommt!“

„Wir suchen nach dem Ingenieur!“, sagt Felipo entschlossen. „Was er tut und zu tun hatte, ist mir völlig gleich. Mein Auftrag vom Polizeipräfekten lautet: einen amerikanischen Ingenieur suchen, der verschollen ist! Also, Amigo, was geht es mich an, was er dort tut? Es ist mir völlig egal!“

Billy sieht, dass er mit diesem jungen Offizier einen unerhörten Glückstreffer gemacht hat. Lachend schütteln sich die beiden äußerlich so verschiedenen Männer die Hand.

Felipo wendet sich um und geht mit langen Schritten aus dem Raum. Draußen ruft er nach seinen Leuten. „Heh, Männer!“, sagt er in kurzen knappen Worten zu den zwölf verwegenen Gendarmen, die ihn wie einen Helden anstarren. „Immer zwei Mann reiten zusammen und verteilen sich in sechs Ortschaften am Rand der Sierra. Ich zeige es euch auf der Karte! Ihr müsst untereinander in Verbindung bleiben! Der amerikanische Capitan und ich reiten in die Berge und werden nach dem Gringo suchen, der verschwunden ist! Ihr wisst, Männer, dass Miguel Zafiro mit seiner Bande die Berge unsicher macht! Ihr wisst auch, dass in El Oro Oberst Valldoid mit tausend Soldaten bereitsteht, um zuzuschlagen, wenn Miguel Zafiro in seine Falle läuft! Haltet mit ihm Verbindung, damit wir Hilfe haben, falls uns die Bergbanditen in die Quere kommen. Wenn sie nicht angreifen, kümmert ihr euch nicht um sie! Unser Ziel ist es, den verschwundenen Gringo wieder herbeizuschaffen!“

Die Rurales, furchtlose und harte Gendarmen, murmeln Beifall. Diese Truppe, die zu einer der besten Gendarmerieeinheiten der Welt gehört und rein militärisch aufgezogen ist, genießt in Mexiko keinen besonders guten Ruf. Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Rurales gegen Bandoleros vorgehen, hat ihnen den Hass der unteren Volksschichten eingebracht. Dennoch haben diese Männer schier Unmögliches möglich gemacht. Allein auf sich gestellt, halten mitunter zwei dieser „Kosaken Mexikos“ Landstriche unter Kontrolle, die in anderen bedeutend zivilisierteren Ländern von einem ganzen Bataillon Polizei besetzt sind. Nirgends ist die Banditenpest so mächtig wie in Mexiko, und dennoch haben die Rurales diese Landplage auf ein verhältnismäßig übersichtliches Maß herabgedrückt. Nach den Methoden darf man nicht fragen.

Diese Gedanken gehen Billy durch den Kopf, als er hinter Felipo steht und auf die verwegene Schar der Rurales blickt. Die schwarzen Anzüge, die goldverzierten Hüte mit den Nummern der Einheit und die krummen Reitersäbel geben diesen Männern schon nach außen einen furchterregenden Anblick. An den Gesichtern aber erkennt man, dass sie gnadenlos und unbarmherzig mit jedem Banditen kurzen Prozess machen, wenn sie ihn in ihre Gewalt gebracht haben. Billy weiß, dass ganze Banden vor zwei, drei Rurales die Flucht ergreifen.

Felipo zeigt seinen Leuten auf der Karte die Punkte, wo sie sich bereithalten sollen. Dann gibt er den Befehl zum Aufbruch. Wenige Augenblicke später brausen die zwölf Reiter wie die wilde Jagd aus dem Ort. Eine dichte Staubwolke senkt sich langsam auf die lehmige Straße.

„Und wir werden uns erst einmal diesem Don Enrico widmen!“, schlägt Billy vor. Felipo ist einverstanden. Etwas später reiten sie los.

Die Gefangenen von Don Enrico: Harte Western Edition

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