Читать книгу Butler Parker Paket 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 12

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Parker blufft die Mörder

Roman von Günter Dönges

Als Butler Parker das straff gespannte Drahtseil erkannte, war es bereits zu spät …!

Es tauchte ganz plötzlich im Scheinwerferlicht auf und blockierte die schmale, nasse Straße. Es strammte sich in Höhe der Windschutzscheibe zwischen zwei Bäumen und mußte verheerender und entsetzlicher wirken als eine Sprengladung. Josuah Parker stieg voll in die Bremsen. Er versuchte, den hinten wegrutschenden Wagen abzustoppen, wirbelte verzweifelt das Steuerrad herum und ließ sich blitzschnell vom Fahrersitz gleiten, als das Drahtseil den Wagen erfaßte und die Windschutzscheibe zerfetzte.

Die beiden Seitenholme des Wagens wurden gleichsam wegrasiert. Das Autodach verfing sich in dem zum Bersten gespannten Drahtseil, kippte nach oben und schleuderte den Cadillac hoch in die Luft.

Das häßliche Geräusch reißenden Blechs, das Splittern von Glas und der wie in Todesangst aufbrüllende Motor schufen eine Musik, die das Blut in den Adern gerinnen ließ.

Das alles dauerte nur wenige Sekunden.

Das Licht der Scheinwerfer kippte nach oben in den nachtschwarzen Regenhimmel, flackerte und erlosch. Es roch intensiv nach ausströmendem Benzin. Krachend landete der schwere, schwarze Cadillac an der Schutzplanke der Straße, durchbrach das dünne Eisenblech und polterte, sich überschlagend, den kleinen Abhang hinunter. Gleichzeitig damit zerriß das dicke Drahtseil. Ein Gewehrschuß schien aufzupeitschen, als es barst und sich dann aufrollte.

Der Benzingeruch wurde stärker, füllte die feuchte Waldluft. Das Radio des Cadillac plärrte scheppernd, hustete und spuckte, um dann endgültig zu verstummen. Eine grelle Stichflamme stieg aus den verknäulten Trümmern des Wagens. Dieses überdimensional große Blitzlicht erhellte die Unfallstelle. Aus dem Blitzlicht wurden Flammenbündel, die den Rest des Wagens einhüllten. Explosionsartig riß der gefüllte Wagentank auf. Brennendes Benzin spritzte durch die Nacht, verglühte zischend auf dem nassen Waldboden oder beteiligte sich daran, das Autowrack in eine weißglühende Hölle zu verwandeln.

Im Widerschein der Flammen waren zwei Gestalten zu erkennen, die oben an der Straße standen und hinunter in die Flammengarbe stierten. Sie rührten sich nicht, waren wie verzaubert. Gebannt beobachteten sie das Ausglühen des Wracks. Sie vergaßen darüber jede Vorsicht, mußten sie doch damit rechnen, daß andere Autofahrer diese Waldstelle passierten.

Diese beiden Männer waren fast gleich groß. Etwa 1,75 Meter mochten sie haben. Sie waren schlank, breitschultrig und trugen dünne, schwarze Nylonmäntel über ihren Anzügen.

»Der is’ hin …!« sagte Ray Forest mit heiserer Stimme, die zu seinem breitflächigen, narbigen Gesicht paßte. »Der is’ hin, sag’ ich.«

»Besser, ich seh’ mal nach.«

Norman Irving sprach langsam, fast schleppend. Er hatte das ausdruckslose Gesicht eines Pokerspielers. Seine blendend weißen Zahnreihen waren zu regelmäßig, um echt sein zu können. Er kaute an seinem Nagel des kleinen, rechten Fingers, als er langsam über die niedrige Schutzplanke stieg und über den Hang auf das brennende Wrack zuging.

Ray Forrest zuckte nur mit den Schultern. Er zündete sich eine Zigarette an, drehte sich um und kümmerte sich um die beiden Drahtseilenden. Er schaffte sie an die Straßenseiten und stieß mit dem Fuß die Glassplitter von der Fahrbahn. Besondere Mühe gab er sich nicht. Irving und er würden ja ohnehin in ein paar Minuten losfahren und diese Straße möglichst schnell verlassen.

Ray Forest war sehr zufrieden.

Der Auftrag hatte prächtig hingehauen, alles war planmäßig verlaufen. In spätestens einer Stunde konnten Irving und er die zweite Hälfte der vereinbarten Geldsumme abkassieren. Für jeden von ihnen also noch einmal 2500 Dollar. Eine Menge Geld, mit der sich schon etwas anfangen ließ. Ray Forest hatte vor, nach Los Angeles zu fahren und seine Freundin zu besuchen.

Ungeduldig wartete er auf seinen Partner Irving. Er konnte nicht verstehen, warum Norman es so genau mit dem Wrack nahm. An fünf Fingern konnte er sich schließlich abzählen, daß der Mann am Steuer des Cadillac nicht mehr lebte.

Norman Irving ahnte, daß Ray Forest ungeduldig wartete, doch das hielt ihn nicht davon ab, den Wagen genau zu prüfen. Er hatte den Job angenommen und sich für seine prompte und sichere Durchführung verbürgt. Irving war pedantisch, auf seine gute Arbeit bildete er sich sehr viel ein.

Am Nagel des kleinen Fingers knabbernd, blieb er nachdenklich stehen und beobachtete die Trümmer des Cadillac, die in einem Schmelzofen zu sein schienen. Es war schon wegen der sengenden Hitze unmöglich, näher an den Wagen heranzukommen. Irving mußte darauf verzichten, einen Blick in das glühende Wageninnere zu werfen.

Langsam wandte er sich ab und stieg hinauf zur Straße. Schön, die Leiche hatte er zwar nicht mit eigenen Augen gesehen. Doch er konnte ja wohl unterstellen, daß der Fahrer nicht nur tot war, sondern jetzt zu Asche wurde. Gewissensbisse hatte Irving nicht. So etwas kannte er nicht. Er hatte einen Auftrag ausgeführt und wollte dafür jetzt den Rest der vereinbarten Summe kassieren.

»Na, was is?« fragte Ray Forest, als er den in einer Schneise stehenden Wagen erreicht hatte.

»Hat geklappt«, antwortete Irving schleppend. »Der braucht nicht mehr eingeäschert zu werden. Los, hauen wir ab, bevor ein Streifenwagen erscheint. Die Flammen sind bestimmt bis ’runter nach Lakewood zu sehen.«

Sie stiegen schweigend in den Wagen. Ray Forest übernahm das Steuer, lenkte den Chevrolet auf die Straße und umfuhr vorsichtig die Glasscherben auf dem nassen Asphalt. Dann drehte er stärker auf und hielt auf Denver zu, wo sie seit knapp einer Woche wohnten.

»Wann verschwinden wir?« erkundigte sich Ray Forest während der Fahrt. »Länger als nötig will ich nicht in diesem Kaff bleiben.«

»Ein paar Tage sollten wir noch bleiben«, meinte Irving und lächelte dünn. Seine Zahnprothesen glänzten.

»Bist du verrückt?« Ray Forest sah seinen Partner kurz an. »Was glaubst du, wie die Bullen nach diesem Unfall wild werden …!«

»Uns wird nichts passieren, Ray. Aber bevor wir Denver verlassen, möchte ich noch anständig abstauben.«

»Na ja, die zweite Rate sollten wir ja gleich bekommen. Oder etwa nicht?«

»Von dem Zaster spreche ich nicht.«

»Von welchem denn noch, he?«

»Unser Auftraggeber wird noch mehr spucken müssen, Ray.« Irving grinste wieder dünn. »Ich glaube zu wissen, wer der Mann ist. Den nehmen wir noch aus wie ’ne fette Ente, mein Junge. Der wird uns so schnell nicht wieder los.«

Ray Forest blies die Backen auf und schnalzte. Endlich hatte er begriffen. Anerkennend fluchte, er. Er war sofort einverstanden. Gegen Geld hätte er nichts einzuwenden.

»Du bist ja vielleicht ein toller Hund«, schmeichelte er seinem Partner. »Ich hab’ ja gleich gewußt, daß Denver mir gefallen wird. Und wer soll unser Geldgeber sein?«

»Dreimal darfst du raten«, entgegnete Irving. »Mich können ’se doch nicht für dumm verkaufen. Ich weiß genau, was gespielt wird. Damit wir aber auch ganz sichergehen, werden wir uns mal diesen Mittelsmann kaufen und ihm auf den Zahn fühlen. Das wär’ doch was für dich, oder?«

»Der Kerl wird innerlich von ’ner Viertelstunde in allen Tonarten singen«, schwor Ray Forest. »Ich kenn’ da ein paar Mittelchen, die den stärksten Neger umschmeißen …!«

Josuah Parker lag reglos im Straßengraben und horchte in sich hinein. Er prüfte vorsichtig, welcher Knochen ihm nicht weh tat. Das Resultat war niederschmetternd. Alle Knochen schmerzten, jeder Muskel schien sich in glühendes Eisen verwandelt zu haben. Er wagte nicht, sich zu rühren, merkte aber, daß er noch atmete. In einer ersten, verfrühten Aufwallung wollte er sich darüber freuen, doch dann merkte er zu seinem grenzenlosen Entsetzen, daß er blind war.

Er sah nichts mehr …! Und das hing nicht mit der regennassen Dunkelheit zusammen. Er riß die Augen weit auf, spürte, daß die Lider sich öffneten, doch er konnte nichts erkennen, noch nicht einmal den vagen Umriß eines Baumes oder den von einem mißmutigen Mond nur sparsam erhellten Nachthimmel.

Unwillkürlich schluckte er, stellte bei der Gelegenheit fest, daß seine Kiefer wenigstens noch in Ordnung waren. Er zwang sich zur Ruhe. Gerade jetzt durfte keine Panik aufkommen. Parker rief sich zur Ordnung, war fest entschlossen, sein Schicksal mannhaft zu ertragen, wie es sich für einen original englischen Butler gehörte.

Es kostete ihn sehr große Überwindung, den rechten Arm anzuheben. Zögernd kroch seine Hand zum Gesicht empor. Mit den Fingern wollte er feststellen, was mit seinen Augen passiert war. Die Erinnerung hatte sich nämlich längst wieder eingestellt. Er wußte überdeutlich, daß er mit dem Cadillac gegen ein quer über die Straße gespanntes Drahtseil gefahren war.

Seine Hand zitterte nur ganz wenig, als die Fingerkuppe den Unterkiefer ertastete, dann die Nase ausmachten und schließlich mit einem entschlossenen Ruck hoch zu den Augenhöhlen zuckten. Er wollte die gnadenlose Wahrheit erfahren.

Zu seiner Überraschung wurden die Finger aber von einem harten Gegenstand gebremst. Sie kamen nicht weiter, stießen gegen ein unüberwindliches Hindernis.

Parkers Atem ging stärker. Er versuchte hinter das Rätsel zu kommen. Was mochte dieses Hindernis bedeuten? Hatte er sich etwa auch den Schädel zerschlagen? War es einfach ein Wunder, daß er überhaupt noch lebte?

Josuah Parker hätte jetzt am liebsten laut geschrien. Nur die ihm angeborene und erlernte Beherrschung verhinderte diesen Ausbruch seiner Gefühle. Selbst in dieser Situation ließ er sich nicht gehen.

Die Fingerspitzen machten sich inzwischen selbständig. Sie betasteten das Hindernis, kletterten darüber hinweg und – stießen gegen die schwungvolle Wölbung von Parkers Melone.

Parker erstarrte. Schlagartig beherrschte ihn wieder jene Kaltblütigkeit, die ihn auszeichnete. Er unterdrückte das jäh aufsteigende trockene Schluchzen der Erleichterung. Er nahm nun auch noch seine linke Hand hoch und half den Fingern der rechten Hand. Er strengte sich ungemein an, die tief in die Stirn getriebene Melone wieder hochzuschieben.

Der Sturz aus dem zersplitternden Cadillac hatte die Kopfbedeckung über Parkers Ohren und Augen getrieben. Daher die Blindheit, die Dunkelheit um ihn herum …!

Da die Melone mit Stahlblech ausgefüttert war, ließ sie sich nicht ohne weiteres lösen oder anheben. Parker schnaufte, strengte sich an, zerrte an der harten Krempe. Er vergaß darüber den Unfall und seine sagenhaft glückliche Rettung. Er wollte endlich sehen, was aus dem Cadillac geworden war. Sein Geruchssinn sagte ihm bereits genug. Ganz in der Nähe mußte der Wagen brennen. Die schmorenden Reifen verpesteten die Luft.

Endlich, mit feinem ›Plopp‹ gab die widerspenstige Melone nach und löste sich aus der Verklemmung. Augenblicklich konnte Butler Parker auch wieder sehen. Er richtete sich auf, klopfte sich den Schmutz von seinen dunklen, gestreiften Hosen und suchte erst nach seinem Regenschirm, an den er sich beim Sturz festgeklammert hatte.

Noch stand Parker reichlich unsicher auf den Beinen. Sonst hätte es nicht passieren können, daß er plötzlich ausgerechnet über den Schirm stolperte und noch einmal zu Boden schlug. Er empfand es als ausgesprochen ungerecht, daß er in einer schmutzigen, schlammigen Wasserlache landete.

Jeder andere Mensch hätte jetzt bestimmt einen mehr oder weniger treffenden Fluch ausgestoßen. Nicht aber Parker. Gelassen stand er auf, wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht und legte sich den Griff des Schirms über den linken Unterarm. Gemessen, als befinde er sich auf sicherem Parkett, schritt Parker dann über den Steilhang zum brennenden Wagen hinunter. Neben einem Busch blieb er stehen und sah sich das glühende Wrack an.

In seinem beherrschten, glatten und ausdruckslosen Gesicht regte sich auch jetzt kein Muskel. Er wußte sehr wohl, daß er eigentlich in dieser Gluthölle liegen und verschmoren müßte. Ein unbegreifliches Glück hatte ihn aber aus dem Wagen und in den schlammigen Straßengraben geschleudert.

Wie Parker innerlich erregt war, zeigte sich daran, daß er ganz automatisch nach seinem Zigarettenetui griff und sich einen dieser schwarzen Torpedos anzündete. Er brauchte jetzt eine Ablenkung, um mit den Tatsachen fertig werden zu können.

Schon nach wenigen Minuten vertrieben ihn Hitze und Gestank der schmorenden Autoreifen. Parker ging zurück zur Straße, kletterte über die weggedrückte Schutzplanke und sah auf seine Armbanduhr. Es war 22.12 Uhr. Um diese Zeit sollte er bereits in Denver sein und Miss June Jason abholen. Demnach, so rechnete er schnell aus, hatte er fast fünfzehn Minuten im Straßengraben gelegen.

Die Wirkung der schwarzen Zigarre war ungemein eindrucksvoll. Parker erholte sich nicht nur recht schnell, die Rauchschwaden verscheuchten auch einige äußerst lästige Mückenschwärme, die sich auf den Butler stürzen wollten. Nach einer weiten Orientierungskurve zogen die Tiere es vor, schleunigst tiefer in den Wald hineinzufliegen.

Josuah Parker griff in eine der vielen Taschen seines schwarzen und altväterlich aussehenden Covercoats. Prüfend hielt er die kleine, jedoch lichtstarke Taschenlampe hoch und schaltete sie ein. Sie war noch intakt.

Der Butler machte sich sofort daran, Spuren zu sichern. Die waren nämlich in jeder Menge vorhanden. Sie führten von der Schutzplanke quer über die Straße, blieben hart am Straßenrand sichtbar und bogen dann in einen kleinen Feldweg ein, der in einer Lichtung mündete.

Parker interessierte sich vor allen Dingen für die Reifenspuren im nassen Waldboden. Er fand einige halb aufgerauchte Zigaretten, die er sorgfältig einsammelte und in einen Lederbeutel steckte. Seine Augen verengten sich, als der Lichtstrahl eine leere Zigarettenschachtel erfaßte. Es handelte sich um eine flache Orienttabak-Packung, wie sie in den Staaten nicht gerade häufig anzutreffen war. Auch sie wanderte in den Lederbeutel, in dem Parker Beweisstücke aufzubewahren pflegte.

Es dauerte nicht lange, bis Parker auch das zerrissene Drahtseil entdeckte. Die beiden Gangster hatten sich nicht die Mühe gemacht, dieses wichtige Beweisstück verschwinden zu lassen. Der Butler, der in der Bearbeitung seiner Kriminalfälle stets unorthodox war, löste die eine Hälfte, wickelte sie auf und sicherte sie sich als persönliches Beweisstück. Seiner Schätzung nach hatte die Polizei mit der anderen Drahtseilhälfte mehr als genug.

Ohne auch nur den geringsten Schock zu zeigen, marschierte Parker anschließend hinunter nach Lakewood. Er wollte sich bei Miss June Jason wegen seines ungebührlichen Fernbleibens entschuldigen, zum anderen aber seinen jungen Herr, dem Strafverteidiger Mike Rander, anzeigen, wieso es zu dieser nicht eingeplanten Verspätung gekommen war.

Weit kam Parker jedoch nicht. Schon nach etwa hundert Metern hörte er das nervenzerfetzende Geräusch einer Polizeisirene. Wenig später schimmerte das rotierende Rotlicht durch die Baumstämme. Ein Streifenwagen der Polizei brauste heran.

Parker, der stets rationell dachte, warf das Stück Drahtseil tief in das Unterholz, stellte sich mitten auf der Straße auf und winkte mit seinem Regenschirm. Mit kreischenden Bremsen hielt der schwere Wagen an. Zwei uniformierte Beamte der Staatspolizei sprangen aus dem Wagen und liefen auf Parker zu.

Parker kam den Fragen der beiden Beamten zuvor. Klar und präzise schilderte er die Vorgänge und nannte anschließend seinen Namen.

»War das Ihr Wagen?« fragte der Sergeant der Streife.

»Ich bedaure, nein. Der Cadillac dort unten auf dem Steilhäng gehört Mr. Arthur Gilpan.«

»Meinen Sie den Leder-Gilpan?«

»Ich glaube, so wird er tatsächlich genannt«, räumte Parker ein.

»Wie kommen Sie denn an seinen Wagen?«

»Mr. Gilpan beauftragte mich, seine Verlobte abzuholen«, sagte Butler Parker aus. »Ich möchte betonen, daß er diesen Entschluß ganz überraschend faßte, da eine wichtige Unterredung ihn festhielt.«

»Normalerweise wäre er also gefahren?« Der Sergeant sah den Butler sehr konzentriert und aufmerksam an. Er wußte genau, was er wollte.

»In der Tat, ich kann es nicht leugnen«, erwiderte Parker. »Um Ihrer nächsten Frage zuvorzukommen, Sergeant, auch ich nehme an, daß dieser Anschlag nicht mir, sondern Mr. Gilpan galt. Mit anderen Worten: Er sollte heimtückisch ermordet werden …!«

»Völlig ausgeschlossen, daß man mir nach dem Leben trachten könnte«, behauptete Arthur Gilpan aufgebracht. Er war 48 Jahre alt, groß, schlank und ganz der Typ eines Leistungssportlers. Sein straffes, gebräuntes Gesicht verriet deutlich, daß er sich sehr oft in der freien Natur aufhielt. Er bewohnte einen feudalen Landsitz hart am Sloan-See. Schon allein die Einrichtung der vielen Räume bewies, daß Gilpan sehr reich war. Die vielen Gemälde an den Wänden allein stellten ein riesiges Vermögen dar.

»Demnach hätten Sie also keine Feinde?« erkundigte sich Leutnant Branch, ein drahtiger, energischer Mann von knapp 40 Jahren. Sein schmales Gesicht sah angespannt und übermüdet aus.

»Ein Mann in meiner Stellung hat selbstverständlich nicht nur Freunde«, antwortete Gilpan unwillig. »Selbstverständlich habe ich Konkurrenten, aber die würden doch niemals zu solchen Mitteln greifen. Ich möchte wetten, daß der Anschlag Mr. Parker galt.«

»Sie sind Gast hier im Hause?« wandte sich Leutnant Branch an Josuah Parker.

»In erster Linie bin ich Butler, Sir«, gab Parker zurück. »Ich habe die Ehre, Mr. Rander zu begleiten. Ihm galt die Einladung hierher in Mr. Gilpans Haus.«

»Das ist schnell erklärt«, schaltete sich Mike Rander ein. Der sympathische Strafverteidiger, der sich zusammen mit Parker bereits einen Namen als Kriminalist gemacht hatte, sah auf den ersten Blick aus wie ein großer, netter Junge. Das braune Haar und die sanften braunen Augen förderten diesen ersten Eindruck. In Wirklichkeit aber galt Mike Rander in Fachkreisen als äußerst scharfsinniger Strafverteidiger, der schon viele heikle Prozesse aus dem Feuer gerissen hatte. Mike Rander konnte es sich leisten, nur solche Fälle zu übernehmen, die ihn menschlich oder fachlich besonders interessierten. Auf Geld brauchte er nicht zu sehen. Er besaß ein großes Vermögen, das ihm auch gestattete, sich einen Butler zu halten.

Parker hatte er sich aus London mitgebracht. Aus dem anfänglichen Verhältnis Butler – Herr war im Laufe der Zeit eine echte Freundschaft geworden, die Mike Rander zwar offen zeigte, Josuah Parker aber tunlichst und diskret zu verschleiern versuchte. Er konnte es einfach nicht mit seiner Haltung als Butler vereinbaren, mochte Rander ihn auch noch so sehr dazu auffordern.

»Ich lud Mr. Rander ein, sich meine Bildersammlung anzusehen«, unterbrach Gilpan hastig den jungen Strafverteidiger. »Ich beabsichtige, die Sammlung in eine Schenkung umzuwandeln. Mr. Rander wird mich bei den fachlichen Gesprächen beraten.«

»Genauso ist es«, bestätigte Mike Rander die Worte seines Gastgebers. Mehr sagte er nicht. Er verhielt sich überhaupt ungewöhnlich schweigsam.

»Bleibt nur noch die Frage an Sie, Parker«, übernahm Leutnant Branch wieder die Führung. »Sind Sie seit Ihrer Ankunft hier in Denver bedroht worden?«

»Nicht daß ich wüßte, Sir«, entgegnete Parker und verbeugte sich knapp.

»Wie war das mit dem Wagen?« bohrte der Polizeioffizier weiter. »Wenn ich recht informiert wurde, wollten Sie, Mr. Gilpan, Ihre Verlobte abholen, ja?«

»Das sagte ich ja bereits!«

»Wann änderten Sie Ihren Entschluß?«

»Ist denn das so wichtig? An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern.«

»Aber ich, Sir, falls mir diese Bemerkung gestattet ist.« Parker lächelte sanft und drehte sich zu Branch um. »Mr. Gilpan bat mich etwa fünfzehn Minuten vor seiner Abfahrt, diese Fahrt zu übernehmen. Mr. Rander brachte ihn auf diesen Gedanken.«

»Stimmt, ich riet Mr. Gilpan, Parker fahren zu lassen«, mischte sich der Strafverteidiger ein. »Mr. Gilpan und ich hatten noch wichtige Dinge zu besprechen, die keinen Aufschub vertrugen.«

»Handelte es sich um die Schenkung der Bildersammlung?« Der Polizeioffizier hakte genau richtig ein. Mike Rander und Arthur Gilpan nickten zögernd.

»Wann sollte die Schenkung denn stattfinden?« erkundigte sich Leutnant Branch.

»In den nächsten Tagen, Leutnant«, gab Arthur Gilpan zurück. »Aber das dürfte mit dem Anschlag ja wohl nichts zu tun haben, oder?«

»Vielleicht doch, Sir«, korrigierte Leutnant Branch lächelnd. »Mir ist bekannt, daß Sie Familie haben.«

»Ich bin geschieden. Das dürfte ja wohl allgemein bekannt sein. Das ging schon vor zwei Jahren durch die Presse.«

»Und Ihre beiden Kinder, Sir?« Branch ließ sich durch den scharfen Ton nicht aus der Ruhe bringen.

»Benny ist 20 Jahre alt. Er lebt in Los Angeles und betätigt sich dort als Maler. Meine Tochter Carol lebt hier in der Stadt. Sie besitzt eine eigene Wohnung.«

»Und Ihre Gattin, Sir, lebt auch sie hier in der Stadt?« Parker schaltete sich überraschend ein und übersah die empörten Blicke Gilpans, der mit dieser Frage nicht einverstanden zu sein schien. Da aber auch Leutnant Branch zu dieser Frage bekräftigend nickte, mußte er wohl oder übel antworten.

»Maureen, ich meine, meine geschiedene Frau, lebt hier in Denver. Was sie treibt, weiß ich nicht. Ich möchte jedoch ausdrücklich erklären, daß sie mit dieser verdammten Geschichte unmöglich etwas zu tun haben kann. Das wäre absurd, Maureen und ich sind immer noch gute Freunde.«

»Wer wüßte davon, Mr. Gilpan, daß Sie Ihre Braut abholen wollten?« Leutnant Branch wechselte überraschend das Thema.

»Nun, mein Fahrer selbstverständlich. Er pflegt die Autos.«

»Er wurde von wem informiert, daß Mr. Parker fahren würde?«

»Ich rief ihn an …!«

»Etwa fünfzehn Minuten vor Mr. Parkers Abfahrt?«

»So ungefähr, oder nicht, Mr. Rander? Sie waren doch dabei.«

»Die Angaben entsprechen den Tatsachen«, bestätigte der junge Strafverteidiger. »Ich schlage vor, wir sehen uns mal den Fahrer etwas näher an, wie?«

Arthur Gilpan ließ sich dazu nicht besonders auffordern. Er hob den Telefonhörer aus der Gabel und wählte eine Hausnummer. Branch, Rander und Josuah Parker hörten das Freizeichen, doch der Fahrer meldete sich nicht.

»Er muß in seiner Wohnung über den Garagen sein«, erklärte Arthur Gilpan unruhig. Zögernd legte er den Hörer wieder in die Gabel.

Leutnant Branch überlegte nicht lange. Er verließ den großen Salon und ging quer durch den Garten hinüber zu den Garagen, die sich hinter einer hohen Hecke befanden. Im Dachgeschoß wohnte der Fahrer Mr. Gilpans.

Parker schloß sich dem Polizeioffizier an. Das war für ihn völlig selbstverständlich. Auch er wollte Gewißheit haben.

Weit kamen Leutnant Branch und er allerdings nicht. Knapp vor der hohen Hecke blieb Branch plötzlich stehen, beugte sich vor und arbeitete sich dann an die Hecke heran. Hier ging er in die Hocke und winkte Parker zu sich heran.

»Das ist der Fahrer …!« bestätigte Josuah Parker, nachdem er einen kurzen Blick auf die leblose Gestalt am Boden geworfen hatte. »Ein Irrtum, Sir, ist so gut wie ausgeschlossen.«

»Erdolcht worden«, meinte Branch und erhob sich wieder. »Für seine Mitarbeit dürfte der Mann zu teuer bezahlt haben.«

»Sie glauben, Sir, daß er den beiden Gangstern Nachrichten zusteckte?«

»Noch kann ich es nicht beweisen, Parker. Meiner Ansicht nach verriet er den Gangstern, daß sein Chef mit dem Cadillac losfahren würde, er verschwieg ihnen jedoch, daß Sie das Steuer übernahmen. Dafür mußte er jetzt zahlen.«

»Weshalb sollte der Fahrer verschwiegen haben, daß ich fuhr?« fragte Parker interessiert.

»Vielleicht bekam er Gewissensbisse, vielleicht kam er nicht mehr dazu, sich mit den beiden Gangstern zu verständigen.«

»Demnach wissen die beiden Mörder bereits, daß ihr eigentliches Opfer noch lebt …!«

»Allerdings, Parker.«

»Demnach befindet sich Mr. Gilpan immer noch in höchster Lebensgefahr, wenn ich nicht irre?«

»Genauso ist es, Parker. In höchster Lebensgefahr, wie Sie, zum Beispiel.«

»Sie verwirren mich, Sir.«

»Sprachen Sie eben nicht von zwei Gangstern? Demnach müssen Sie die beiden Mörder doch gesehen haben, nicht wahr?«

»In der Tat, Sir, ich konnte mir ihre Gesichter sogar sehr genau einprägen.«

»Na bitte, dann stimmt meine Ansicht. Auch Sie befinden sich in höchster Lebensgefahr, Parker. Sie allein können die Täter identifizieren.«

»Hoffentlich wissen die beiden Männer das auch«, gab Parker ruhig zurück. »Falls nicht, müßte man Ihnen vielleicht auf dem Umweg über die Presse einige Andeutungen machen.«

»Sind Sie lebensmüde, Parker?« Branch sah sein Gegenüber völlig entgeistert an.

»Mit Speck, Sir, fängt man hin und wieder Mäuse«, wandelte Parker ein altbekanntes Sprichwort ab. »Ich möchte, wenn Sie gestatten, die Rolle des Specks übernehmen und die Täter herausfordern.«

»Das ist ein Spiel mit dem Leben …! Sie wissen doch, wie entschlossen und energisch die Gangster vorgehen, Parker.«

»Über die Konsequenzen bin ich mir inzwischen vollkommen klar, Sir. Ich werde dieses Risiko bewußt eingehen.«

Josuah Parker mußte den Beginn seiner barocken Antwort jäh bremsen, als ein Gewehrschuß durch die Nacht peitschte. Ein entsetzter Schrei ertönte, Glas splitterte. Sekunden danach fiel ein zweiter Schuß, diesmal aber, das hörte Parker sehr genau, aus einem Revolver.

Ohne sich weiter um Leutnant Branch zu kümmern, verschwand der Butler wie ein Schemen in der Dunkelheit des Gartens. Der Erdboden schien ihn verschluckt zu haben. Tatsächlich aber bewegte sich der Butler mit hoher Geschwindigkeit hinüber zur Parkmauer, hinter der sich eine schmale, asphaltierte Straße befand. Er legte es darauf an, dem Gewehrschützen den Weg abzuschneiden. Dabei wäre der Butler um ein Haar in den Tod gelaufen …!

Er bog um einen Strauch herum, sah die Mauer vor sich und entdeckte im schwachen Mondlicht eine Strickleiter, die von der Mauer herunter in den Garten hing.

Er hatte sich also nicht getäuscht. Der Gewehrschütze hatte die Mauer genau an dieser Stelle überstiegen. Jeden Augenblick mußte er kommen und ihm in die Arme laufen.

Josuah Parker förderte seinen riesigen Colt ans Mondlicht, um genau bei der Tageszeit zu bleiben. Es handelte sich um ein uraltes Modell aus den Tagen der frisch-fröhlichen Goldgräberzeit in Kalifornien.

Genau in diesem Moment erspähte ihn ein zweiter Gangster, der hinter einem anderen Strauch Deckung genommen hatte. Im Gegensatz zu Josuah Parker verfügte dieser Mann über eine Maschinenpistole, die er auf den Butler richtete und dann abzog.

Josuah Parker wurde zum zweitenmal in dieser Nacht gezwungen, schleunigst zu Boden zu gehen. Die Geschosse peitschten über ihn hinweg und rauschten in die dichte Hecke.

Parker sah das Aufzüngeln des Mündungsfeuers. Langsam hob er seinen überschweren Colt. Kanonenschußartig löste sich das Geschoß aus der Waffe. Eine mittelschwere Feldhaubitze schien im Garten abgefeuert worden zu sein.

Ein unterdrücktes Stöhnen war die ganze Antwort. Parker kroch vorsichtig aus der Deckung, wollte sich an den getroffenen Schützen heranschleichen, doch unterschätzte er die Bösartigkeit seines Gegners.

Erneut ratterte die Maschinenpistole los.

Josuah Parker nahm volle Deckung. Es ergab sich ganz zufällig, daß er dabei erneut in einer schlammigen Wasserlache landete. Josuah Parker hatte Mühe und Not, die Andeutung eines Schimpfwortes zu unterdrücken.

Als er seinen Kopf endlich wieder heben konnte, entdeckte er den Schützen bereits auf der Strickleiter. Ein besseres Ziel konnte der Butler sich überhaupt nicht denken. Er brauchte den Colt nur zu heben und abzufeuern.

Als er es tat und auf den Schuß wartete, blieb alles still. Parker drückte noch einmal ab, rüttelte und schüttelte die Waffe, um den verklemmten Schuß zu lösen, doch alles blieb ruhig und still. Der Schütze verschwand bereits auf der anderen Mauerseite und zog die Strickleiter nach.

Parker, der einen tödlichen Schuß ohnehin vermieden hätte, erhob sich enttäuscht und sah sich die unzuverlässige Waffe genauer an. Ihr Versagen konnte er sich einfach nicht erklären. Als er sie jedoch sicherte und wegstecken wollte, dröhnte der Schuß endlich mit einiger Verspätung auf. Hart neben Parkers Schuh landete er im weichen Rasen.

Parker hatte daraufhin das dringende Bedürfnis, sich einen doppelten Kognak einzuverleiben. Auch er war ja schließlich nur ein Mensch …!

»Warum sagten Sie Leutnant Branch nicht die Wahrheit?« verlangte Anwalt Mike Rander zu wissen, als er endlich mit seinem Gastgeber, Arthur Gilpan, allein war. »Die Ausrede mit der Bildersammlung war schließlich eine faustdicke Lüge. Selbst Branch dürfte Lunte gerochen haben.«

»Ich weiß, ich weiß, Rander«, entschuldigte sich Gilpan mit müder Stimme. »Aber versetzen Sie sich doch mal in meine Lage …! Ich kann doch meine Familienangehörigen unmöglich belasten. Es steht ja noch nicht einmal fest, ob sie mir die drei Briefe schrieben.«

»Als Sie mich hierher nach Denver riefen, waren Sie aber anderer Meinung, Gilpan.«

»Inzwischen habe ich mein Urteil eben revidiert. In der ersten Erregung sagt man ja schließlich Dinge, die man hinterher bereut.«

»Mit anderen Worten, Sie halten Ihre Familienangehörigen für unschuldig?«

»Ich traue ihnen die drei Briefe nicht zu. Mehr will und kann ich dazu nicht sagen.«

»Sie bleiben dabei, daß die Polizei nicht informiert werden darf?«

»Ich bestehe darauf, Rander.«

»Auch nach den Vorfällen mit dem Cadillac und nach der Ermordung Ihres Fahrers Croydon?«

»Auch danach, Rander. Die Polizei darf nicht informiert werden. Die Sache mit den Briefen würde von der Presse doch nur an die große Glocke gehängt. Meine internen Familienangelegenheiten würden von den Zeitungen doch nur durch den Dreck gezogen. Rein geschäftlich gesehen, kann ich mir das nicht leisten.«

»Noch kann ich es gerade verantworten, den Mund zu halten«, entgegnete Mike Rander nachdenklich. »Hoffentlich ändert sich das nicht durch weitere Ereignisse.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sollte ein zweiter Mord passieren, werde ich mich an die Polizei wenden müssen. Darüber müssen Sie sieh klarwerden.«

»Ich glaube nicht, daß noch sehr viel mehr passieren wird, Rander.« Arthur Gilpan senkte den Kopf und spielte mit seinem Feuerzeug.

»Sind Sie Hellseher, Gilpan?«

»Ich habe mich entschlossen, die geforderte Geldsumme zu zahlen. Das ist es.«

»Sie wollen dem Erpresser 100 000 Dollar zahlen?« staunte Mike Rander. »Das kommt ziemlich überraschend für mich.«

»Ich will weiteres Unheil vermeiden. Das ist der einzige Grund, Rander. Ich kann es einfach nicht verantworten, weiterhin stur zu bleiben. Wie denken Sie darüber?«

»Jedes Ding hat zwei Seiten«, erwiderte der Strafverteidiger. »Erpressungsversuchen sollte man niemals nachgeben. Das ist meine Meinung. Solche Dinge enden nie …! Erpresser begnügen sich niemals mit einer einzigen Zahlung. Sie bekommen Appetit und werden nur noch dreister, sobald sie die Angst ihrer Opfer spüren.«

»Das ist die eine Seite«, warf Arthur Gilpan ein.

»Richtig, auf der anderen Seite kann ich Ihre Ansicht verstehen. Sie gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch außenstehende Menschen, wie zum Beispiel Ihren Fahrer. Sie wissen, daß die Verfasser der drei Briefe es nicht mit dem einen Mordanschlag bewenden lassen.«

»Also sollte ich zahlen, ja?«

»Sie sollten sich an die Polizei wenden und nicht zahlen. Das allein wäre der richtige Weg. Ich kann Sie dazu allerdings nicht zwingen, Gilpan. Sie müssen sich ganz allein entscheiden. Als Ihr Anwalt kann ich die Initiative leider nicht übernehmen.«

»Dann weiß ich, was ich tun muß, Rander. Ich werde zahlen. Und zwar umgehend.«

»Sie werden die Zeitungsanzeige also einrücken?«

»Sie muß in der Morgenausgabe erscheinen. Ich bin fest entschlossen mich den Forderungen zu beugen.«

»Damit beugen Sie sich auch allen weiteren Forderungen, Rander«, warnte Mike Gilpan noch einmal. »Ich will ganz offen mit Ihnen reden. Warum haben Sie Angst vor der Polizei? Sie haben doch etwas aus Ihrer Vergangenheit zu verbergen, oder etwa nicht?«

»Unsinn«, erklärte Rander mit belegter Stimme. Es klang nicht sehr überzeugend.

»Der oder die Erpresser sind im Besitz von irgendwelchen Dingen aus Ihrer Vergangenheit, die Sie belasten oder sogar geschäftlich ruinieren können.« Mike Rander redete ruhig und eindringlich. »Ich bin Ihr Anwalt, mir wenigstens sollten Sie sich anvertrauen.«

»Ich habe aus der Vergangenheit nichts zu befürchten, glauben Sie mir, Rander.«

»Sie fürchten also nur um Ihr Leben, das in den drei Briefen bedroht wird, falls Sie nicht zahlen?«

»Mehr ist es nicht, Rander. Es gibt keine Geheimnisse.«

»Wieso verdächtigen Sie Ihre Familienmitglieder?«

»Das ist inzwischen vorbei, nachdem ich in aller Ruhe nachdenken konnte. Für Ihre Unkosten und Auslagen werde ich selbstverständlich aufkommen. Ich denke, auch die Honorarfrage können Sie mit meinem Geschäftsführer regeln.«

»Danke, ich habe begriffen.« Mike Rander lächelte und stand auf. »Sie brauchen mich also nicht mehr. Schade, daß ich überhaupt hierher nach Denver kam.«

»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Rander. Tragen Sie das nicht meinem Bekannten nach, der Sie empfahl.«

»Schon gut, Gilpan. Es ist Ihr Recht, sich anders zu entscheiden. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Hoffentlich geht Ihre Rechnung auf.«

Mr. Arthur Gilpan war sehr zerstreut, als Mike Rander sich von seinem gewesenen Klienten verabschiedete. Der Strafverteidiger vermied es allerdings auch, Mr. Gilpan an die drei Briefe zu erinnern, die sich in seiner Tasche befanden. Ob Mike Rander sie allerdings nur als Andenken behalten wollte, stand auf einem anderen Blatt.

Als er hinauf in den ersten Stock des Hauses kam, wo seine Gastzimmer lagen, erwartete Butler Parker ihn bereits. Der Butler war damit beschäftigt, einen großen und einen kleinen Lederkoffer zu packen. Er schloß gerade die Kofferdeckel.

»Das müssen Sie gerochen haben«, meinte Rander lächelnd. »Mr. Gilpan gab uns gerade den Laufpaß.«

»Deshalb erlaube ich mir, bereits zu packen«, gab Parker zurück. »Ich erwartete diesen Ausgang des Gesprächs.«

»Gilpan will zahlen. Er möchte damit weiteres Blutvergießen vermeiden.«

»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir, so bedaure ich es ungemein, diese recht nette Stadt schon wieder verlassen zu müssen.«

»Seit wann interessieren Sie sich für amerikanische Städte, Parker?«

»Weniger für die Städte, als für gewisse Morgenausgaben der Zeitungen, Sir.«

»Wo liegt da der Haken, Parker? Was haben Sie mal wieder hinter meinem Rücken eingefädelt, he?« Rander sah seinen Butler sehr mißtrauisch an.

»Um mich präzise auszudrücken, Sir, so würde ich sehr gern noch den kommenden Polizeibericht über die Vorfälle um und in Mr. Gilpans Haus studieren.«

»Was erwarten Sie von diesem Bericht?« Randers Gesichtszüge wurden nur noch mißtrauischer.

»Leutnant Branch muß annehmen, daß ich die beiden Attentäter und potentiellen Mörder gesehen habe und auch identifizieren kann, Sir.«

»Sind Sie wahnsinnig, Parker?«

»Ich erlaubte mir, ein wenig zu schwindeln, Sir, ich bitte sehr um Verzeihung, daß ich zu solch groben Hilfsmitteln Zuflucht nehmen mußte.«

»Falls es sich wirklich um zwei Täter handelt, so werden Sie Ihre Schwindeleien für bare Münze nehmen. Was das bedeutet, brauche ich Ihnen ja wohl nicht besonders auseinanderzusetzen.«

»Auch Leutnant Branch hatte bereits ähnliche Bedenken, Sir.«

»Sie wollen sich also wieder einmal als Zielscheibe anbieten? Hoffentlich stimmen Ihre Vermutungen, daß es sich tatsächlich um zwei Täter handelt.«

»Es müssen mindestens zwei Männer gewesen sein«, behauptete Josuah Parker. »Ein Mann allein hätte das sperrige und schwere Drahtseil unmöglich an den beiden Bäumen befestigen können. Diese beiden Attentäter werden sich also angesprochen fühlen.«

»Und Jagd auf Sie machen, Parker …!«

Der Butler zuckte nur mit den Schultern und schloß die beiden Koffer. Mike Rander zündete sich eine Zigarette an, trat hinaus auf den Balkon und sah in die Nacht. Die schweren Regenwolken hatten sich inzwischen verzogen. Das Mondlicht kämpfte mit dem Schein des aufsteigenden Morgens. Auf dem See, hart am Bootssteg, lärmten Wildenten und stoben rauschend hoch. Sie mochten durch irgendein Geräusch gestört worden sein.

»Also gut, Parker«, Rander wandte sich zu seinem Butler um. »Spielen wir weiter mit, aber ganz privat. Ich muß zugeben, daß auch mich dieser Fall reizt. Warum will Gilpan unter allen Umständen die Polizei heraushalten? Was hat er zu verbergen, was muß er aus seiner Vergangenheit befürchten?«

»Wenn Sie erlauben, Sir, bemühe ich mich jetzt um ein Taxi. Ich möchte die Koffer in das Sloan-Hotel schaffen lassen. Es befindet sich ganz in der Nähe.«

»Daraus schließe ich, daß diese neue Adresse auch im Polizeibericht zu finden sein wird, nicht wahr?«

»Sie beschämen mich«, gestand der Butler, ohne allerdings auch nur eine Spur zu erröten …!

Ray Forest blieb im Wagen zurück, als sie den Schnellimbiß an der Kreuzung zwischen Colfax-Avenue und Sheridan Boulevard erreicht hatten.

»In ein paar Minuten bin ich wieder zurück«, sagte Irving zu seinem Partner. »Ich werde unserem Auftraggeber die Hölle heiß machen.«

»Mach’ nur nicht, daß er überhaupt nicht zahlt«, rief Forest besorgt zurück. Irving lachte dünn und schüttelte nur den Kopf. Er war sich seiner Sache vollkommen sicher.

Als er den Schnellimbiß betrat, blieb er ganz automatisch stehen und warf einen schnellen Blick in die Runde. Er sah nur harmlose Gäste vorn an der langen und hohen Theke, einige Soldaten in Uniform, die mit den beiden Serviermädchen flirteten und zwei uniformierte Polizisten, die gerade ihre Kaffeetassen abstellten und Sich umdrehten.

Irving zwang sich zur Ruhe. Er haßte die Polizei. Und er fürchtete sie auch. In einigen Staaten des Kontinents wurde er schon seit Jahren polizeilich gesucht. Als er sich von der Tür löste und zur Theke schritt, wirkten seine Bewegungen unnatürlich und gezwungen. Er fühlte sich beobachtet. Polizeiuniformen lösten in ihm stets einen schrillen Alarm aus.

Doch die beiden Streifenpolizisten beachteten ihn überhaupt nicht. Sie hatten ihren Kaffee bezahlt und verließen den Schnellimbiß. Irving erreichte die Theke und bestellte sich einen Kaffee. Lieber hätte er sich einen doppelten Gin bringen lassen, doch es gehörte zu seinen Prinzipien, während der ›Arbeit‹ nicht zu trinken. Er wußte aus Erfahrung, daß es niemals bei einem einzigen Drink blieb. Er neigte dazu, sich volllaufen zu lassen.

Als er bezahlte, ließ er sich gleich zwei Telefonmünzen geben. Ohne den Kaffee nur anzurühren, verließ er die Theke und betrat eine der beiden Sprechzellen an der Stirnseite des langen Raums. Die bewußte Nummer war ihm sehr geläufig. Er hatte sie sich genau eingeprägt.

»Hier spricht Irving«, meldete er sich, als auf der Gegenseite abgehoben wurde. »Ja, Irving, also, die Sache hat hingehauen. Der Fall ist überstanden. Alles bestens …!«

»Nichts ist in Ordnung«, antwortete eine Frauenstimme. Sie klang scharf, aber das mochte mit der Erregung Zusammenhängen, die diese Frau deutlich verriet.

»Was soll das heißen?« Irving straffte sich. Sein Gesicht wurde noch ausdrucksloser als gewöhnlich.

»Sie erwischten den falschen Mann, Irving. Gilpan ist vollkommen in Ordnung.«

»Ausgeschlossen, ihn hat es erwischt. Ich weiß doch, was ich gesehen habe.« Irving zwang sich mit aller Kraft zur Ruhe. Er fühlte sich aber schon jetzt übertölpelt und betrogen. Sein Auftraggeber, genauer gesagt, die Frau, die eine Verbindung zwischen ihm und dem Auftraggeber hergestellt hatte, wollte sich um die restliche Zahlung drücken.

»Meine Informationen lauten aber anders, Irving. Sie erwischten den falschen Fahrer. Oh, das hat mit der zweiten Rate natürlich nichts zu tun. Die werden Sie bekommen.«

»Wann …?« fragte Irving nur knapp zurück.

»Umgehend, so wie wir es ausgemacht haben.«

»Dann können wir also zum vereinbarten Treffpunkt kommen?«

»Natürlich, Irving, daran ändert sich nichts. Es war nicht Ihre Schuld, daß es zu dieser Panne kam.«

»Wie mich das beruhigt«, entgegnete der Gangster ironisch. »In einer halben Stunde sehen wir uns also. Noch etwas, ich hoffe, daß Sie pünktlich sein werden, sonst werde ich verdammt unangenehm.«

»Ich werde mit dem Geld pünktlich an Ort und Stelle sein«, wiederholte die Frau noch einmal, bevor sie auflegte. Irving blieb noch ein paar Sekunden in der engen, nach kaltem Zigarettengeruch riechenden Zelle, bevor er in das grelle Neonlicht über der Imbißtheke zurückkehrte.

Er konnte nicht verstehen, wieso Forest und er den falschen Mann erwischt haben sollten. Sie hatten genau den Wagen gestoppt und den Steilhang hinunterbefördert, der ihnen angegeben worden war.

»Ihr Kaffee, Sir …!« rief ihm die dralle Serviererin nach, als er zum Ausgang ging. Irving winkte ab und ging zurück zum Wagen. Forest war ausgestiegen und kam ihm neugierig entgegen.

»Was hat’s gegeben?« fragte er.

»Wir sollen angeblich den falschen Mann erwischt haben«, meinte Irving verächtlich.

»Sollen wir das Geld etwa nicht bekommen?« grollte Forest.

»Das hab’ ich in Ordnung gebracht. Das geht klar, Ray. Wir brauchen es uns nur abzuholen.«

»Und die anderen Moneten?«

»Welche anderen Moneten?«

»Die wir zusätzlich abstauben wollten. Hast du die vergessen?«

»Dabei bleibt es natürlich, ist doch selbstverständlich.«

»Was du nicht sagst …!« spottete Forest, der diesmal schneller begriff als sein Partner. Er dämpfte unwillkürlich die Stimme, als er weiterredete. »Ohne ’ne Leiche, mein Junge, können wir den Mann auch nicht unter Druck setzen, oder?«

»Die Leiche ist aber vorhanden. Nur die falsche …!«

»Na und …? Die dürfte doch wohl reichen, oder?«

»Hoffentlich, Norman, hoffentlich. Versuchen wir’s ja mal. Hast du gerade mit unserem Auftraggeber gesprochen?«

»Mit ’ner Frau, die das einfädelte.«

»Davon höre ich zum ersten Mal«, staunte Ray Forest.

»Ich hab’ bisher auch absichtlich den Mund gehalten. Jetzt kannst du das von mir aus ruhig wissen.«

»Hast du Angst gehabt, ich könnte nicht dichthalten …?«

»Quatsch, war das so wichtig? Wenn du scharf auf diese Frau bist, kannst du sie dir ja gleich ansehen. Wir treffen uns mit ihr.«

»Sie bringt also den Zaster?«

»Erraten. In einer halben Stunde haben wir Fettlebe in jeder Menge.«

Sie stiegen in den Wagen und fuhren langsam los. Irving steuerte in die Colfax-Avenue und fuhr durch bis zum Colfax Larimer Viaduct, der den Platte River überspannt. Kurz hinter der Brücke bog er nach Süden ab und parkte den Wagen in unmittelbarer Nähe eines Rangierbahnhofs an der 8. Avenue.

Im wieder aufkommenden Regen sah alles noch grauer und trostloser als sonst aus. Die Tiefstrahler über den Gleisanlagen und Werkschuppen schaukelten und pendelten im Wind, der von den Rocky Mountains fiel. Es wurde überraschend kühl.

»Woher kennst du die Frau eigentlich?« erkundigte sich Ray Forest neugierig.

»Sie ist in einem Nachtclub beschäftigt, irgendwo am River Broadway«, wich Irving aus. »Ich hab’ sie per Zufall kennengelernt. Sie ist große Klasse. Und die hat mich vor ein paar Tagen wegen des Jobs angehauen.«

»Die war also nicht scharf auf Gilpan, oder?«

»Mann, begreif doch endlich, die hat das nur vermittelt. Der Auftraggeber will natürlich nicht bekannt werden.«

»Du kennst ihn aber, oder?«

»Wenn Della ihn kennt, dürfte das ja wohl genügen, oder?«

»Della heißt sie also?«

»Stimmt, du hast verdammt genau aufgepaßt.«

Ray Forest grinste und zündete sich eine Zigarette an. Er sah vielleicht etwas beschränkt aus, hatte es aber faustdick hinter den Ohren. Im Grunde paßte es ihm nicht, daß sein Partner ihm die Einzelheiten bisher verschwiegen hatte, doch nach und nach erfuhr er ja doch alles. Ray Forest wollte von Irving nicht abhängig sein.

Auch Forest war ein gesuchter Mann, den ein wilder und launischer Wind hierher nach Denver verschlagen hatte. In dieser Stadt hatte er Irving auch kennengelernt. Zwei verwandte Seelen hatten sich gesucht und schnell gefunden.

Mit kleinen Diebereien und Gaunereien hatten sie sich bisher über Wasser gehalten. Der ersehnte Anschluß an eine bestehende Gang hier in der Stadt hatte bisher nicht hingehauen. Bis dieser Job ihnen angeboten worden war. Della …! In Gedanken wiederholte Ray Forest diesen Namen noch einmal. Diese Frau, die in einem Nachtclub am Denver Broadway arbeitete, mußte doch zu finden sein …!

»Ich glaube sie kommt.« Irving richtete sich hinter dem Steuer auf und kniff die Augen zusammen. Ray Forest folgte dem Blick. Weit hinten in der dunklen Straße leuchteten die Scheinwerfer eines schnell näher kommenden Wagens auf

»Wollen wir im Wagen bleiben?« fragte Forest.

»Warum nicht?«

»Nee, das geht gegen meine Regeln.« Forest hüstelte und klinkte die Wagentür auf. Er mußte sich mit dem Aussteigen beeilen, wenn er von den aufgedrehten Scheinwerfern nicht noch erfaßt werden wollte. Ohne auf Irving zu hören, der ihm etwas Unverständliches nachrief, warf er die Wagentür zu und verschwand in der Dunkelheit.

Zuviel hatte Forest hinter sich. Als immer wieder gehetztes und gejagtes Wild war er besonders vorsichtig. Er besaß nicht die unverfrorene Überlegenheit seines Partners.

Ray Forest duckte sich, als die Lichtfinger des ankommenden Wagens die rußige Mauer erfaßten. Er lief um den Wagen herum und blieb am Heck stehen.

Irving fühlte sich in diesem Augenblick tatsächlich überlegen. Einmal, weil er Della kannte, zum anderen, weil er eben ein Gewaltmensch war. Bisher hatte es für ihn noch nie Schwierigkeiten gegeben. Gab es mal Ärger, dann schlug er entweder zu oder argumentierte mit seiner Schußwaffe. Was hatte er von Della schon zu befürchten …?

Er klinkte die Tür an seiner Seite auf, schwenkte die Beine nach draußen und stieg aus. Der andere Wagen stoppte nur einen halben Meter von ihm entfernt und schaltete die Lichter ab.

»Della …?« rief Irving.

»Natürlich«, hörte er ihre Stimme. Sie klang jetzt dunkel, fast guttural. Sie paßte zu dieser Frau, die elektrisierend auf ihn wirkte.

Norman Irving grinste und ging auf den Wagen zu. Doch weit kam er nicht. Plötzlich riß er die Augen entsetzt auf. Er sah das bösartige Züngeln einiger bläulichen Flammen, spürte einige harte Schläge, die seinen Körper trafen und hörte schon nicht mehr das unheilvolle Bellen einer Maschinenpistole.

Für Bruchteile von Sekunden blieb der Gangster starr und aufrecht stehen. Dann rissen ihn die Einschläge zurück gegen seinen Wagen. Er rutschte an der nur lose zugedrückten Tür hinunter und blieb verkrümmt auf dem nassen Asphalt liegen.

Aus dem anderen Wagen stach der Schein einer starken Taschenlampe durch die Dunkelheit. Sie leuchtete den bereits toten Norman Irving an, irrte zurück zum Wagen und kontrollierte die Vorder- und Hinterpolster.

Der Wagen der beiden Gangster war leer …!

Da heulte der Wagen auf, der Wagen, in dem Della saß, schoß nach vorn. Die Hinterräder drehten auf dem nassen Asphalt durch. Mit der Beschleunigung einer Rakete verschwand der Mordwagen in der Dunkelheit. Sekunden nach der Tat bot die Stille wieder ein fast friedliches Bild.

Irving rührte sich nicht mehr. Mit dem Gesicht nach unten lag er in einer ständig größer werdenden Wasserlache, die sich langsam rot färbte …!

Butler Parker packte wieder einmal Koffer aus.

Nach der Übersiedlung ins Sloan-Hotel nahm er sich trotz der späten Stunde die Zeit, die beiden Hotelzimmer etwas wohnlich einzurichten. Seine Fürsorge galt vor allen Dingen Mike Rander, den er am liebsten wie einen kleinen Jungen behandelt hätte. Parker fühlte sich für das Wohlergehen seines jungen Herrn eben verantwortlich.

Ihm machte dieses Packen und wieder Auspacken nichts aus. Schließlich handelte es sich um eine liebe Gewohnheit. Er und Mike Rander waren recht häufig unterwegs. Nicht nur in den Staaten, sondern auf dem ganzen Erdball.

Die Erfolge dieser beiden äußerlich verschiedenen Amateurdetektive hatten sich eben herumgesprochen. Vor Aufträgen konnten sie sich kaum noch retten. Die Anwaltspraxis in Chikago mußte oft wochenlang ohne den Chef, Mike Rander, auskommen. Erstklassige Hilfsanwälte in Randers Büro sorgten allerdings dafür, daß alles reibungslos verlief.

»Lassen Sie mich mit diesem verdammten Filzpantoffeln in Ruhe«, wehrte sich Mike Rander gegen seinen Butler, der ihm diese Fußbekleidung um jeden Preis über die Füße streifen wollte. »Wenn ich sie brauche, kann ich sie mir auch allein anziehen.«

»Sir, ich möchte gewiß nicht aufdringlich erscheinen«, entschuldigte sich Parker, »doch Sie sollten stets daran denken, daß warme Füße erst den klaren Kopf schaffen.«

»Dann werde ich meine Anwaltskleidung in Zukunft abändern und nur noch in Filzpantoffeln vor Gericht erscheinen«, erwiderte Rander lächelnd. »Hören Sie endlich auf, Josuah.«

»Sofort, Sir, nur noch diesen Schuh!« Jetzt erst merkte Mike Rander, daß Parker ihm bereits einen Filzpantoffel übergestreift hatte. Aufseufzend streckte Rander nun auch noch den anderen Fuß vor. Wenn Josuah Parker sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gab es kein Entrinnen. Nur durch geschickte Nachgaben wurde man ihn wieder los.

Parker, war zufrieden, als Rander endlich die Filzpantoffeln trug. Er trat einen Schritt zurück und nickte zufrieden.

»Wenn Sie noch Wünsche haben, Sir? Vielleicht einen Tee gegen Husten, Schnupfen oder Heiserkeit?«

»’raus …!« brüllte Rander und warf mit einem Kissen nach seinem Butler. Parker zog sich daraufhin etwas beleidigt in sein angrenzendes Zimmer zurück und dachte darüber nach, wie wenig herrschaftlich doch diese Amerikaner waren. Ein englischer Gentleman hätte sich in solch einer Situation ganz anders verhalten.

Mike Rander sah erstaunt hoch, als das Telefon klingelte. Wer mochte da anrufen? Es konnte sich nur um ein Hotelgespräch handeln. Sonst war doch keinem Menschen hier in Denver bekannt, wo sie abgestiegen waren?

»Mr. Rander …?« fragte eine harte Stimme, als Rander sich gemeldet hatte.

»Mit wem spreche ich?«

»Das tut nichts zur Sache, ich würde Ihnen doch nur einen falschen Namen nennen. Hören Sie jetzt genau zu, Rander. Packen Sie Ihre Koffer und verschwinden Sie schleunigst aus der Stadt! Haben Sie mich verstanden?«

»Wozu sollte das gut sein?«

»Das ist gut für Ihr weiteres Leben. Geht Ihnen jetzt ein Licht auf? Ihre Anwesenheit hier in Denver ist unerwünscht.«

»Ah, ich verstehe endlich. Aber zu Ihrer Beruhigung, ich trennte mich bereits von Mr. Gilpan. Darum geht es doch wohl, ja?«

»Sie sollen trotzdem abhauen. Hoffentlich habe ich mich deutlich genug ausgedrückt.«

»Sie scheinen ein außerordentlich nervöser Mensch zu sein.«

»Stimmt, deshalb schieße ich auch so schnell. Das sollten Sie sich mal durch den Kopf gehen lassen, Rander.«

»Gut, einverstanden, das werde ich tun. Das wär’s wohl.« Mike Rander legte den Hörer auf und lächelte. Als er sich eine Zigarette anzünden wollte, erschien sein Butler in der Verbindungstür.

»Sie wurden durch einen Anruf gestört, Sir?« fragte Parker höflich.

»Ich weiß, wie empfindlich und gut Ihre Ohren sind, Parker.«

»Gehe ich nicht fehl in der Annahme, daß man Sie aufforderte, die Stadt zu verlassen?«

»Parker, Parker«, der Strafverteidiger drohte lächelnd mit dem Zeigefinger, »ich will nicht hoffen, daß Sie mich anriefen und sich einen kleinen Scherz erlaubten …!«

»Sir, das würde ich mir niemals erlauben«, gab Parker entrüstet zurück. »Aber da unsere neue Adresse hier in der Stadt nicht offiziell bekannt ist, könnten nur Individuen angerufen haben, die wir zu bekämpfen auf unser Panier geschrieben haben.«

»Wie war das gerade?« fragte Rander etwas verblüfft zurück. »Das müssen Sie noch mal wiederholen, das war direkt gekonnt.«

»Ich sprach von Gangstern, Sir, vulgär ausgedrückt.«

»Jetzt verstehe ich schon bedeutend besser. Stimmt, wir sollen abhauen, verschwinden, die Kurve kratzen, vulgär, aber verständlich ausgedrückt, Parker. Falls wir das nicht tun, will man uns einigen Ärger bereiten.«

»Ich möchte eine bestimmte Schlußfolgerung aus diesem Gespräch ziehen, Sir.«

»Ziehen Sie, Parker, aber ziehen Sie schnell …!«

»Den Gangstern ist bekannt, daß ich behauptet habe, sie erkannt zu haben.«

»Das klang auch recht erfreulich kompliziert, Parker. Aber wie kommen Sie darauf?«

»Warum erlaubt man sich sonst die Frechheit, Sie zum Verlassen der Stadt aufzufordern?«

»Na ja, das könnte stimmen«, pflichtete Rander seinem Butler bei. Er verzichtete darauf, Parker anzufrotzeln. Rander unterschätzte diesen Anruf ganz gewiß nicht. Schließlich kannte er Gespräche dieser Art. Es passierte immer wieder, daß Gangster zu solchen primitiven Mitteln griffen, um damit lästige Ermittlungen und Untersuchungen abzuwürgen. Im Falle Parker und Mike Rander bissen sie allerdings auf Granit. Rander und sein Butler ließen sich grundsätzlich nicht einschüchtern oder in Angst versetzen.

»Falls Ihre Theorie stimmt, Parker, müßte unsere letzte Unterhaltung mit Gilpan belauscht worden sein. Sie wissen, sie fand auf Gilpans Landsitz statt.«

»Mr. Gilpans Personal könnte von den Gangstern gekauft worden sein«, gab Parker zu überlegen.

»Wenn auch, doch Gilpan befand sich allein mit mir im Salon. Das Personal wurde im Anbau verhört. Da kann sich keiner ’rausgeschlichen haben.«

»Es dürfte wohl ausgeschlossen sein, Sir, daß Mr. Gilpan dieses Gespräch veranlaßte, oder?«

»Wie war das, Parker? Gilpan könnte …? Aber … aber das ist doch Wahnsinn …! Was sollte er damit bezwecken? Dann steckte er ja mit den Leuten unter einer Decke, die sein Leben bedrohen.«

»Könnte es nicht sein, Sir, daß Mr. Gilpan beabsichtigt, aus dem Leben zu scheiden?«

»Parker, Sie haben sich doch nicht überarbeitet, wie?« fragte Mike Rander besorgt, mußte aber unwillkürlich lächeln.

»Ich fühle mich ausgezeichnet, Sir«, gab Parker steif und korrekt zurück. Er hatte seinen jungen Herrn durchaus richtig verstanden. »Ich entsinne mich eines ähnlichen Falls, als ich die Ehre hatte, für den Earl of Southbis zu arbeiten. Damals, Sir, beabsichtigte ein gewisser Molderham, Baronet, ein neues Leben zu beginnen. Er streute aus, sein Leben sei bedroht, bis er eines Tages verschwand und wahrscheinlich in einem tiefen Moor ermordet wurde. Tatsächlich aber lebte jener gewisse Baronet unter anderem Namen an der Riviera und entzog sich so den Nachforschungen der Polizei, die ihn wegen Scheckfälscherei und Betrug belangen wollte.«

»Eine schaurig-schöne Geschichte, Parker. Mit anderen Worten, Mr. Gilpan könnte in finanziellen Schwierigkeiten stecken und sich mit seinen flüssig gemachten Geldresten absetzen wollen, ja?«, »Sir, mein Gefühl sagt mir zwar nicht deutlich, daß dem so ist, auf der anderen Seite dürfte ein gewisser Verdacht nicht von der Hand zu weisen sein. Möglicherweise, das gebe ich zu bedenken, Sir, möglicherweise sind Mr. Gilpans Motive auf einer anderen Ebene zu finden.«

»Es gibt auch eine viel wahrscheinlichere Möglichkeit, Parker. Meine Unterhaltung mit Mr. Gilpan kann abgehört worden sein.«

»Das ist allerdings auch denkbar, Sir. Vor allen Dingen ließe sich Ihre Theorie sofort nachprüfen.«

»Natürlich. Parker … Halt, was soll das schon wieder heißen? Jetzt begreife ich erst.«

»Sir, ich möchte Ihre Ruhe auf keinen Fall stören. Es dürfte genügen wenn ich noch einmal zu Mr. Gilpan fahre.«

»Zu Gilpan? Was wollen Sie dort um diese Zeit? Er wird Sie nicht empfangen oder ’rausschmeißen lassen.«

»Sir, es ist mein Ehrgeiz, ganz inoffiziell dort zu erscheinen, wenngleich ich mir bewußt bin, wie sehr ich damit gegen herrschende Gewohnheiten und gesellschaftliche Regeln verstoße. Doch ich tröste mich damit, daß ich mich bei passender Gelegenheit bei Mr. Gilpan entschuldigen werde. Falls es die Umstände dann noch zulassen, Sir …!«,

Bevor Mike Rander einen Einwand machen konnte, verließ sein Butler bereits das Zimmer und traf seine Vorbereitungen. Diesmal beeilte er sich sehr, um schnell sein Zimmer verlassen zu können, bevor ein Befehl von Mike Rander ihn im letzten Augenblick noch stoppen konnte …!

Ray Forest schwitzte vor Angst …!

Selbst als der Wagen, aus dem auf Irving geschossen worden war, in der Dunkelheit der nassen Straße verschwand, konnte er sich nicht dazu aufraffen, sein Versteck hinter dem Mauerpfeiler zu verlassen. Dafür seufzte er jedoch tief auf. Er wußte, daß sein Partner Irving erschossen worden war. Noch jetzt klangen ihm die Schüsse aus der Maschinenpistole in den Ohren.

Plötzlich dachte Ray Forest, der Mann mit dem breitflächigen und narbigen Gesicht, an die Polizei. Die Schüsse mußten die Polizei bereits alarmiert haben. Es wurde höchste Zeit, diese Straße zu verlassen, wenn er von der Polizei nicht erwischt werden wollte.

Der Gedanke an die Beamten trieb ihn an. Vorsichtig schob er sich aus seinem Versteck und trat zögernd an den Wagen heran. Ray Forest war ein hartgesottener Gangster, doch jetzt spürte er, wie die Angst und das Grauen in ihm hochkrochen. Er mußte sich dazu zwingen, um den Wagen herumzugehen.

Dann sah er seinen Partner Norman Irving.

Mit ausgebreiteten Armen und Beinen, wie gekreuzigt, lag er auf dem nassen Asphalt. In ihm konnte kein Leben mehr sein. Ray Forest wußte aus Erfahrung, wie erschossene Menschen aussehen.

Er richtete sich auf, fuhr sich durch das schweißnasse Gesicht. Einen Augenblick lang wußte er nicht, wie er sich jetzt verhalten sollte, Der erste Polizeiwagen konnte jeden Moment auftauchen und ihm den Weg abschneiden.

Fast so etwas wie Wut und Ärger stiegen nun in Forest auf. Irving trug ja schließlich selbst die Schuld daran, daß alles so gekommen war. Warum hatte er sich seine Auftraggeber nicht besser angesehen? Er hätte doch wissen müssen, daß sie ein doppeltes Spiel mit ihnen, treiben würden.

Irving hatte mir das angehängt, dachte er gereizt. Hätte ich doch nicht auf ihn gehört und mich ’rausgehalten …! Jetzt kann ich die Suppe auslöffeln. Ich weiß doch, wie das ist, wenn man von der Polizei gehetzt wird. Wo soll ich nun unterkriechen …?

Forest bemitleidete sich, schnaufte erregt und zündete sich eine Zigarette an. Er brauchte jetzt eine Abwechslung, um seine Nerven wieder unter Kontrolle zu bringen. Aber als er das Streichholz zu Boden warf und es in der rosig gefärbten Wasserlache verzischte, da wurde er plötzlich wieder kalt und beherrscht.

Verdammt, ich bin schon viel zu lange geblieben, trieb er sich an. Jetzt aber nichts wie weg, ab durch die Mitte. Ich muß schleunigst die Platte putzen, bevor die Bullen mich erwischen.

Er lief zurück zur Mauer, wollte sich über sie schwingen. Doch da zögerte er, lief noch einmal zu Irving zurück und beugte sich über seinen erschossenen Partner. Er dachte sich überhaupt nichts dabei, ihn zu fleddern. Mit schnellen, geübten Griffen plünderte er Irvings Brieftasche, steckte die Geldscheine weg und drückte dann noch die nur angelehnte Wagentür auf.

Habe ich irgend etwas im Wagen vergessen, was mir gefährlich werden kann, fragte er sich. Nur ganz kurz dachte er an die große Drahtschere im Kofferraum des Wagens, an die Lederhandschuhe und an die nur noch kleine Kabelrolle.

Zum Teufel damit, sollte die Polizei das alles ruhig finden …! Dann nahm sie wenigstens an, den Täter gefunden zu haben. Er hatte nun wirklich keine Zeit mehr, diese Beweisstücke verschwinden zu lassen.

Der Boden brannte ihm unter den Füßen …!

Er schluckte nervös, als vorn auf dem Güterbahnhof eine Diesellock pfiff. Gleichzeitig damit ertönte das Signal eines Streifenwagens. Wie von einer schweren Hetzpeitsche getrieben, rannte Ray Forest zurück zur Mauer, schwang sich über sie und wollte sich auf der anderen Seite herunterlassen.

Er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Zur Straße hin war die Mauer nämlich niedrig, hier auf der Seite fiel sie nach unten. Bis zum Boden, wo die Schienen im Widerschein der Tiefstrahler matt und silbern schimmerten waren es bestimmt vier Meter.

Ray Forest hatte Angst, sich von der Mauer zu lösen und nach unten zu springen. Seine Füße standen auf einem schmalen Betonrand. Das Geheul der Sirene kam schnell näher. Er mußte sich jetzt loslassen und abspringen.

Forest war im Grunde ein Feigling, der sich nur dann stark fühlte, wenn er in Begleitung war und sich mit seiner schweren Schußwaffe durchschlagen konnte.

Hier aber war mit einer Waffe nichts auszurichten. Und wenn er nicht sofort sprang, erwischte ihn die Polizei. Er wußte es, doch seine Finger krallten sich an der Mauer fest. Ganz kurz schaute er noch einmal nach unten, schloß sofort die Augen.

Ich schaff das nicht, schrie es in ihm. Wenn ich loslasse, schlage ich auf die Schienen und geh’ drauf. Ich schaff’ das nicht …! Dieser verdammte Irving! Ohne ihn wäre mir das alles niemals passiert.

Auf der Straße hinter der Mauer knirschten bereits die Bremsen. Die Polizei …! Ray Forest biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien.

Ob die von der Straße aus meine Finger sehen können? Diese Frage bohrte sich wie ein glühendes Messer in sein Hirn. Die müssen doch die Finger sehen …!

Er wollte sie vorsichtig zurückziehen, duckte sich und spürte gleichzeitig, daß seine Füße von dem schmalen Betonrand abrutschten.

Gellend schrie er auf, als er nach unten stürzte …!

Ein harter Schlag schüttelte ihn durch. Das brachte ihn zur Besinnung. Dicht neben den Schienen war er gelandet. Der wegrutschende Schotter hatte den Aufprall gemildert.

Ray Forest sprang instinktiv auf. Noch gellte ihm der eigene Schrei in den Ohren. Den mußte auch die Polizei gehört haben. Nichts wie weg, jetzt …!

Zu seiner Überraschung konnte er sich bewegen, aufstehen und gehen. Doch schon nach den ersten Schritten knickte er links ein. Sein Knie schmerzte höllisch. Er hatte es sich auf dem Schotter auf geschlagen.

»Halt, stehenbleiben …!«

Der Ruf kam oben von der Mauer her.

Ray Forest blieb stehen, blinzelte, als eine Taschenlampe auf strahlte. Er brauchte überhaupt nicht zu denken. Ganz mechanisch lag seine Schußwaffe in der Hand. In schneller Reihenfolge feuerte er drei Schüsse zur Mauer hoch, hörte einen unterdrückten Aufschrei und grinste, als die Taschenlampe erlosch.

»Denen hab’ ich’s aber gegeben«, murmelte er grinsend. Die erwischen mich niemals …!

Nun füllte ihn wieder diese selbstsichere Arroganz aus, die ihn über die Polizei lachen ließ. Was wollten denn die schon machen? Gegen ihn, Ray Forest, war so leicht kein Kraut gewachsen. Wie Irving konnte man ihn doch nicht aus dem Weg räumen …!

Ray Forest humpelte über die Schienen, verschwand und kümmerte sich nicht weiter um das Lärmen und Rufen hinter ihm. Er unterdrückte den Schmerz in seinem linken Knie, stolperte an einem langen, flachen Steinbau vorbei und blieb sichernd stehen, als er am Ende der langen Steinbaracke einen Wagen ausmachte.

Das war genau das, wonach er suchte. Ob der Schlitten bewacht ist? fragte er sich. Na ja, wenn schon, ich brauche ja nur mal mit meiner Kanone zu wedeln und schon dürfte der Fall geklärt sein. Diese fetten Kerle werde ich schon hochscheuchen …!

Ihn befiel so etwas wie eine wilde Lustigkeit. Er fühlte sich stark und unüberwindlich. Das machte allein die Schußwaffe in seiner Hand, ohne die er nichts anderes war als ein jammernder Feigling.

Glücklicherweise war der Kombiwagen leer. Ray Forest schwang sich ans Steuer und betätigte den Anlasser. Der Motor war sofort da und sprang an. Als Forest einkuppelte, stöhnte er vor Schmerz auf. Das aufgeschlagene Knie schwoll bereits derart an, daß es im schmalen Hosenbein kaum noch Platz fand. Forest ließ die Kupplung vorspringen, gab Gas und hatte seine Mühe, das Abwürgen des Motors zu vermeiden. Dazu mußte er die Kupplung noch einmal treten. Er tat es ganz unbewußt, handelte sich dafür aber erneute Schmerzen ein.

Das werde ich denen heimzahlen, schwor er sich. Ich weiß, wem ich das zu verdanken habe …! Irvings Freundin Della, die in irgendeinem Nachtclub auf dem Broadway arbeitet. Die werde ich finden, da kann sie Gift drauf nehmen. Und wenn ich sie erst mal habe, muß sie ausspucken und mir verraten, wer unser Auftraggeber ist.

Er erreichte ungehindert die Straße, steigerte die Geschwindigkeit und dachte unentwegt an diese Della. Er steuerte ganz automatisch, vermied es aber, die Kupplung noch einmal zu betätigen. Er fürchtete sich vor den Schmerzen.

Der Santa-Fé-Drive kam in Sicht. Damit vergaß er Della. Wichtiger war es jetzt, eine sichere Unterkunft zu finden. In das kleine Hotel, in dem er zusammen mit Irving gewohnt hatte, wollte er aus Gründen der Sicherheit nicht mehr zurück.

»Ich brauch’ irgend etwas Privates«, sagte er sich, irgendeine schußlige Vermieterin, die zu dumm ist, um Lunte zu riechen. Genau da brauche ich keine Polizeikontrollen zu fürchten. Geld hab’ ich. Das is’ kein Problem mehr. So ’ne Bude muß doch zu finden sein …!

Er verminderte die Geschwindigkeit seines Wagens, suchte die Fensterfronten ab und trat hart auf das Bremspedal, als er in einem Fenster ein schmales, weißes Schild ausmachte. Da wurde doch etwas vermietet …!

Er hatte richtig gesehen. Ein Zimmer suchte einen neuen Mieter. Zu erfragen am Würstchenstand gleich rechts …! Forest fuhr bis hart an den einfachen Stand heran, drehte die Scheibe herunter und fragte die hagere Frau mit der weißen Schürze nach dem Zimmer. Es klappte ohne jede Formalität. Die Frau war einverstanden, verließ den Würstchenstand und trat an den Wagen heran.

»Für wie lange?« fragte sie mit müder Stimme. Sie strich sich eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie mochte höchstens vierzig Jahre alt sein, mußte aber bereits sehr viel Kummer mitgemacht haben. Ihre Gesichtslinien redeten da eine deutliche Sprache.

»Für wenigstens einen Monat, Madam«, erwiderte Forest. »Ich bin Vertreter und ackere hier in Denver ’rum.«

»Wollen Sie sich das Zimmer ansehen?«

»Nicht nötig, ich glaube auch so, daß es in Ordnung ist.«

»Dann werde ich gleich mitgehen, Sir.«

»Auch nicht nötig, Ihre Kleine kann das machen …!« Forest wies auf das halbwüchsige Mädchen, das jetzt hinter der Theke stand und aufmerksam herübersah. Die Ähnlichkeit mit der Frau war unverkennbar.

»Glory ist … blind«, sagte die müde Frau leise. »Sie wird mich vertreten, bis ich wieder zurück bin. Wenn Sie jetzt bitte mitkommen wollen …?«

Ray Forest war einen Moment lang irritiert. Die Frau hatte eine blinde Tochter? Sah man dem Mädchen nicht an. Die Augen waren, rein äußerlich gesehen, völlig intakt … Die Vermieterin bemerkte den Blick.

»Glory wurde vor zwei Jahren von einem Auto angefahren, seitdem ist sie blind«, sagte sie leise. »Äußerlich sieht man ihr das nicht an. Es wird Sie doch nicht stören …? Ich meine, das mit meiner Tochter?«

»Zum Teufel …!« gab Forest mürrisch zurück. Am liebsten wäre er weitergefahren. Er hätte selbst nicht sagen können, warum dieses eigenartige Gefühl der Unsicherheit und Angst in ihm hochstieg. Der Schmerz im Knie hielt ihn jedoch fest. Nein, er hatte einfach keine Lust mehr, noch weiter in dieser ihm fremden Stadt herumzufahren.

Als, er der Frau folgte, sah er sich noch einmal nach Glory um. Das Mädchen stand unbeweglich neben der Theke und sah geradeaus. Und doch hatte Forest das Gefühl, daß sie ihn sehr genau beobachtete …!

Mike Rander wunderte sich wieder einmal darüber, wie schnell und geschickt sein Butler über die hohe Mauer kletterte. Dazu benutzte Josuah Parker allerdings seinen fast schon sagenhaften Universal-Regenschirm, der sich praktisch in jeder Situation verwenden ließ.

Parker hatte den Griff losgeschraubt und das daran befestigte dünne Nylonseil aus dem hohlen Schirmstock herausgezogen. Diesen improvisierten Mauerhaken warf er geschickt in die Luft und wartete, bis der Griff oben auf der Mauer einen festen Halt fand. Sekunden später kletterte Josuah Parker bereits an der Mauer hoch und verschwand auf der anderen Seite.

Strafverteidiger Mike Rander mußte außer der Mauer erst noch einige innere Hemmungen überwinden, bevor er seinem Butler folgte. Was sie hier taten, war schließlich nichts anderes als ein Einbruch. Als Anwalt wußte Mike Rander in solchen Dingen nur zu gut Bescheid.

Als er aber auch die Parkseite der Mauer erreicht hatte, legten sich seine Bedenken, zumal da sein Butler weit und breit nicht zu sehen oder zu hören war. Die Dunkelheit schien Parker aufgesogen zu haben. Mike Rander getraute sich nicht, nach seinem Butler zu rufen. Er wollte sich nicht unnötig verraten. Da die schwachen Hausumrisse aber selbst hier von der Mauer zu sehen waren, setzte er sich in Bewegung und hielt auf den Landsitz zu.

Josuah Parker war tatsächlich schon unterwegs. Er hatte zwar vorgehabt, auf seinen jungen Herrn zu warten, doch die Ereignisse zwangen ihm ein schnelles Tempo auf. In der Wohnung des ermordeten Fahrers hatte er nämlich einen schwachen Lichtschein ausgemacht. Dem wollte Parker nun auf den Grund gehen.

Mit nachtwandlerischer Sicherheit fand er seinen Weg. Er schien zwei Radargeräte statt Augen zu haben. Zudem bewegte er sich mit der Lautlosigkeit eines Indianers. Schon nach wenigen Minuten erreichte er den Garagenanbau und sah noch einmal zu den Fenstern hoch.

Jetzt war kein Licht zu sehen …!

Parker wußte, daß er sich nicht getäuscht hatte. In der Wohnung des ermordeten Fahrers hatte irgendein nächtlicher Besucher etwas unvorsichtig mit einer Taschenlampe hantiert. Ob der Besucher sich noch in der Wohnung befand?

Der Butler strich um das Garagenhaus herum, erreichte die Tür zum Aufgang und drückte vorsichtig die Klinke herunter. Nun, die Tür war verschlossen, doch das hatte nichts zu sagen. Ein vorsichtiger Einbrecher würde die Tür bestimmt hinter sich abschließen, um nicht überrascht zu werden.

Parker griff in eine seiner vielen Taschen, holte sein Spezialbesteck hervor und hypnotisierte damit das an sich einfache Türschloß. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Schloß jeden Willen aufsteckte und nachgab. Parker schlüpfte in das enge und steile Treppenhaus, stieg über die ausgewetzten und abgetretenen Holzstufen nach oben und blieb vor einer zweiten, nur angelehnten Tür stehen.

Er roch sofort frischen Zigarettenrauch. Parker zerlegte den Geruch in seine Bestandteile. Wenn ihn nicht alles täuschte, wurde dort in der Wohnung eine ägyptische Zigarette geraucht, eine Marke, die in den Staaten nicht gerade häufig vertreten war.

Parkers Ohren verwandelten sich in Richtantennen. Er unterschied nun auch leise, katzenhaft weiche Schritte, ein Räuspern und ein feines Klirren. Er bekam allerdings nicht heraus, ob der heimliche Besucher eine Frau oder ein Mann war. Er hoffte, das sehr bald nachholen zu können.

Millimeterweise schob er die Tür weiter auf. Er konnte nicht sehen und wissen, daß oben auf der Tür ein leerer Wasserkessel aus Aluminium stand, der immer mehr aus dem Gleichgewicht geriet. Der Butler befand sich damit dicht vor einer peinlichen Überraschung.

Noch wenige Zentimeter, und er konnte die kleine Diele der Fahrerwohnung endlich betreten. Parker verkürzte das Verfahren, zumal er inzwischen herausbekommen hatte, daß die Türangeln nicht quietschten.

Mit einem Ruck überwand er also die restlichen Zentimeter, damit allerdings auch den letzten Halt des Wasserkessels. Er hörte über sich ein Scheppern und Klirren, wollte sich im letzten Augenblick noch zur Seite werfen und mußte dennoch den Kessel voll nehmen.

Unglücklicherweise fiel das Gefäß so herunter, daß das Wasser frei austreten konnte. Mit anderen Worten, Parker kam in den zweifelhaften Genuß einer nicht geplanten Dusche. Er schaffte es gerade noch, ein mittelschweres Schimpfwort zu unterdrücken, als ein Wasserrinnsal hinten in seinen Kragen lief und dann nach einigen Umwegen seine schwarzen Schuhe füllte.

Irgendwo in der Wohnung fiel eine Tür laut ins Schloß, drehte sich ein Schlüssel. Parker stieß den Wasserkessel zur Seite, ließ seine kleine, aber lichtstarke Taschenlampe aufflammen und schnellte sich in die kleine Wohnung.

Vor einer verschlossenen Tür endete sein Sprint. Parker rüttelte an der Klinke, trat einen Schritt zurück, nahm einen Anlauf und … mußte sich schleunigst zu Boden werfen, als hinter der Tür zwei Schüsse aufpeitschten und gleichzeitig damit zwei Einschußlöcher im Türblatt erschienen.

Diesmal hatte Parkers Colt keine Ladehemmung. Der Butler zog ihn blitzschnell, stanzte ebenfalls zwei Löcher in das Türblatt und brauchte sich anschließend nur noch gegen die leichte, bereits aufgesprungene Tür zu werfen. Sie gab sofort nach, schwang auf und ließ Parker eintreten.

Der nächtliche Besucher hatte sich bereits empfohlen. Eines der beiden Zimmerfenster stand weit auf. Kühle Nachtluft mischte sich mit dem warmen Rauch der ägyptischen Zigarette. An der Außenwand des Garagenbaus raschelten Weinlaub und Efeu.

Mit einem Satz stand Parker am Fenster. Die Taschenlampe schaltete er wohlweislich nicht ein. Es war auch nicht nötig, denn er unterschied auch so eine dunkelgekleidete Gestalt, die gerade den zementierten Boden erreichte.

Parkers Colt schwenkte auf diese Gestalt ein, er brauchte nur noch abzudrücken und den Flüchtenden zu stoppen. Doch wieder einmal brachte er es nicht übers Herz, durch einen gezielten Schuß die Affäre blutig zu beenden. Er haßte Genußmittel dieser Art. Parker war innerlich doch recht stolz darauf, alle bisherigen Fälle durch Überlegung, List und Gerissenheit beendet zu haben. Warum sollte er jetzt eine Ausnahme machen? Nein, es störte ihn überhaupt nicht, daß der Flüchtende auf ihn geschossen hatte. Das gehörte schließlich zu seinem Berufsrisiko …!

Inzwischen war es allerdings auch zu spät, einen Schuß zu lösen. Die nur noch schemenhaft zu erkennende Gestalt verschwand im weiträumigen Park. Josuah Parker verließ das Fenster, schaltete das Licht ein und sah sich in der Fahrerwohnung näher um.

Hier war alles auf den Kopf gestellt worden! Der geheimnisvolle Besucher mußte nach bestimmten Dingen gesucht haben, doch wonach? Befand sich in dieser Wohnung irgendein Hinweis auf die Täter, die Mr. Arthur Gilpan ermorden wollten? Schließlich war der Fahrer Croydon ja von diesen Tätern ermordet worden …!

Parker hätte sich zu gern etwas näher umgesehen, doch als drüben im Landsitz Lichter aufflammten, mußte auch er aufstecken und sich absetzen. Er trat einen schnellen Rückzug an, verschwand ebenfalls im Park und strebte der Mauer zu, wo er seinen jungen Herrn vermutete.

Parker hatte in dieser Nacht noch einmal Pech. Als er nämlich an einem Busch vorbeipirschte, hörte er knapp neben sich ein feines, knirschendes Geräusch.

Der Butler drückte sich vom weichen Rasen ab, hechtete durch die Luft und … landete genau in einen harten Schlag, der von einem auskeilenden Pferd hätte herrühren können. Noch in der Schwebe verdrehte der Butler die Augen, beendete seine Luftreise und baute eine Bruchlandung. Er war zwar hart im Einstecken, doch diesen Schlag konnte er nicht sofort verdauen. Mit etwas durcheinandergeratenen Sinnen blieb er liegen und wurde sogar für wenige Sekunden ohnmächtig.

Er merkte es nicht, daß ihn der feine Lichtfinger einer Taschenlampe anleuchtete. Das Licht wurde sofort wieder ausgeschaltet. Der Täter verzichtete darauf, sich weiter mit Parker zu befassen. Genau das Gegenteil war sogar der Fall. Die Gestalt sprang über den regungslosen Butler hinweg und verschwand hinter einem anderen Busch. Dort blieb sie allerdings stehen und beobachtete den Butler, der sich jetzt wieder rührte und sogar ein feines Seufzen ausstieß.

Nun erst verließ die Gestalt die Deckung, marschierte ziemlich laut über den Rasen und den schmalen Kiesweg, um Parker genau in die Arme zu laufen.

»Parker …?« fragte die Gestalt leise. Die Stimme gehörte einem gewissen Mike Rander, der sich in der Dunkelheit an seinem Butler vergriffen hatte, es aber nicht deutlich und bekannt werden lassen wollte.

»Hier, Sir …!«

»Wo stecken Sie denn die ganze Zeit über?« flüsterte Mike Rander vorwurfsvoll. »Nichts wie weg von hier, hören Sie sich mal den Krach da drüben am Haus an …!«

»Sind Sie keinem Flüchtenden begegnet, Sir?« fragte Parker und massierte sich das Kinn.

»Ich hörte im Näherkommen ein knackendes Geräusch«, log der Anwalt. »Gesehen habe ich nichts …!«

»Ich wurde niedergeschlagen, Sir«, gestand Parker verschämt.

»Was. Sie nicht sagen …!« Mike Rander hatte Mühe, nicht herauszuplatzen.

»Dieser betreffende Mann verfügt über einen ungewöhnlichen Punch, Sir …!«

»Tatsächlich, Parker. Brauchen Sie Hilfe?«

»Ich bin schon wieder in Ordnung, Sir«, log nun auch Parker. Immerhin hatte er noch etwas weiche Knie, als sie. zur Mauer liefen. Parker redete kein Wort mehr, bis sie in Randers Leihwagen saßen. Während der Fahrt – Parker saß am Steuer – fiel ihm allerdings auf, daß sein junger Herr sich die Knöchel seiner rechten Hand betastete und massierte.

Parker schaltete blitzschnell.

»Haben Sie sich verletzt, Sir?« erkundigte er sich.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Mit Ihrer rechten Hand scheint etwas nicht zu stimmen, Sir, wenn ich in aller Bescheidenheit darauf aufmerksam machen darf …!«

»Ich … ich verrenkte sie mir beim Überklettern der Mauer«, log Mike Rander noch einmal. Da wußte Josuah Parker Bescheid, daß sein Kinn einem Irrtum zum Opfer gefallen war. Jetzt wußte er auch, wieso ihn ein einziger Schlag zu Boden gestreckt hatte. Mike Rander war nämlich ein erstklassiger und hart schlagender Boxer.

Parker verkniff sich eine Bemerkung. Sie hätte nicht zu seinem angeborenen Taktgefühl gepaßt. Er wollte Mike Rander nicht beschämen. Er kam allerdings zu dem Schluß, daß er schon wieder einmal Pech gehabt hatte. Er nahm sich vor, diese Pechsträhne schleunigst abreißen zu lassen. Um die Gangster um Arthur Gilpan zu stellen und zu überführen, brauchte er schließlich eine gehörige Portion Glück. Ganz nebenbei nahm er sich vor, seinen jungen Herrn nie wieder allein zurückzulassen. Parker legte auf weitere Bauch- und Bruchlandungen keinen gesteigerten Wert …!

Die Schlagzeilen in den Morgenausgaben der Zeitungen konnten nicht größer und sensationeller sein …!

Mike Rander studierte die Berichte und Fotos. Er ärgerte sich ganz am Rande wieder einmal darüber, daß Butler Parker alle wichtigen Stellen mit Rotstift dick unterstrichen hatte. Das war Parker einfach nicht auszutreiben. Mit sanfter Beharrlichkeit blieb er bei diesem Verfahren und verschwendete seine Rotstifte.

Parker hatte übrigens nicht übertrieben. Leutnant Branch gab in einem Interview bekannt, Mr. Josuah Parker, der Butler des Strafverteidigers Mike Rander, habe nach dem Attentat mit dem quergespannten Drahtseil die beiden Täter genau erkennen können.

»Leutnant Branch dürfte Ihren Tip nur zu gern auf gegriffen haben«, meinte Mike Rander. »Parker, ich sehe schwarz für Ihre Zukunft.«

»Ich werde ab sofort eine kugelsichere Nylonweste tragen, Sir«, gab der Butler zurück.

»Hoffentlich reicht sie, Parker.« Mike Rander wollte die Zeitung weglegen, sah jedoch erstaunt hoch, als Josuah Parker sich mahnend räusperte.

»Ist noch was?« erkundigte er sich.

»Auf der Innenseite, Sir, existiert noch ein zweiter Artikel, der sich mit einer Schießerei befaßt. Ohne Ihnen vorgreifen zu wollen, Sir, meiner bescheidenen Ansicht nach handelt es sich da um einen wichtigen Hinweis auf unseren Fall.«

Mike Rander folgte dem Rat seines Butlers, schlug die Zeitung noch einmal auf und überflog einen groß aufgemachten Artikel, der von einer Schießerei zwischen Gangstern und der Polizei berichtete.

»Norman Irving heißt also der erschossen aufgefundene Gangster«, sagte Rander nachdenklich. »Können wir mit diesem Namen etwas anfangen, Parker?«

»Im Augenblick nicht, Sir. Laut Bericht gelang es einem zweiten Gangster, die Flucht zu ergreifen. Im Kofferraum des zurückgelassenen Wagens fand die Polizei wichtige Hinweise auf ein Verbrechen.«

»Moment mal, Parker! Sie glauben, es könnte sich um die beiden Gangster handeln, die Ihnen ein Bein stellen wollten?«

»Vielleicht könnten Sie, Sir, die endgültige Gewißheit. schaffen. Ich darf vielleicht anregen, der Polizei von Denver einen Besuch abzustatten.«

»Schaden kann das natürlich nicht, Parker. Sagen Sie, wollen Sie mich los werden?«

»Sir, das würde ich mir niemals gestatten«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »So etwas steht mir nicht zu.«

»Schon gut, ich werde zur Polizei fahren. Und was wollen Sie inzwischen tun?«

»Ich müßte mich der Pflege Ihrer Kleidungsstücke widmen, Sir.«

»Falls Ihnen nichts Besseres einfällt, wie?« Mike Rander lächelte. »Parker, versprechen Sie mir, auf alle Extratouren zu verzichten. Sie wissen, wie knapp heutzutage die Butler sind.«

Josuah Parker spürte hinter der Frotzelei seines jungen Herrn durchaus die echte Sorge. Er verbeugte sich, nahm sich ernsthaft vor, ganz friedlich und zurückhaltend zu bleiben und geleitete den Anwalt zur Tür. Als er sie jedoch hinter Rander schloß, blieb er versonnen stehen und überlegte. Er kam zu dem Schluß, daß das Reinigen der Kleidungsstücke doch noch etwas warten konnte.

Die Gangster waren jetzt wichtiger.

Josuah Parker ging hinüber in sein Hotelzimmer und bereitete sich auf seinen Ausgang vor. Es dauerte lange, bis er endlich in der Hotelhalle erschien. Demnach mußte er die Vorbereitungen intensiv betrieben haben. Mit anderen Worten, die Gangster, die ihm das Lebenslicht ausblasen wollten, konnten sich auf einige Überraschungen gefaßt machen …!

Ray Forest hatte eine schlechte Nacht hinter sich.

Er lag wach in dem einfachen Bett, starrte zur Decke hoch, auf der sich bizarre Lichtkringel bildeten und dachte an seinen erschossenen Partner Irving.

Ray Forest hatte Abstand zu den Ereignissen gewonnen. Gewiß, er gab seinem früheren Partner nach wie vor die Schuld, daß alles schiefgegangen war, auf der anderen Seite überlegte er, ob sich das Risiko lohnte, nach dieser Della zu fahnden.

Immer noch saß ihm die Hetzjagd in den Knochen. Und er mußte auch an seine Vermieterin Ruth Badmon denken, bei der er nun wohnte. Die Frau scherte ihn nicht, doch ihre blinde Tochter machte ihn nervös. Es irritierte ihn, daß ihre Augen rein äußerlich vollkommen intakt waren, sie aber blind sein sollte.

Ich hätte mir ’ne andere Bleibe suchen sollen, dachte Ray Forest, dieses verdammte Gör geht mir auf die Nerven. Die scheint’s faustdick hinter den Ohren zu haben. Warum lachte sie so komisch, als im Radio die Durchsage von der Schießerei am Rangierbahnhof kam? Die kann doch unmöglich ahnen, daß ich daran beteiligt gewesen bin. Auf der anderen Seite sollen Blinde ja ’nen unheimlichen Spürsinn besitzen. Ob die auch so was wie ’nen geheimen Empfang hat …?

Um all diese Fragen kreisten Ray Forest Gedanken. Er wälzte sich im Bett herum und spielte mit der Absicht, die Stadt heimlich zu verlassen.

Dann brach die Geldgier in ihm durch.

Verdammt, ich brauche doch nur diese Della aufzuspüren, redete er sich mit Erfolg ein. Hab ich die erst mal auf dem Tablett, komm’ ich auch an den Burschen heran, für den wilden Cadillac auflaufen lassen sollten. Weiß ich den Namen, dann habe ich Fettlebe in jeder Menge. Dann wird der Betreffende Geld spucken müssen, bis er schwindsüchtig geworden ist.

Ray Forest träumte von riesigen Summen, von einem süßen Leben irgendwo in Miami und von Frauen. Dann hörte endlich dieses Kleckerleben auf, dann konnten die Scheinehen flattern.

Als der Morgen herangraute, fühlte er sich zwar wie zerschlagen, doch auch wieder entschlossen, seine Chance zu wahren. Er wartete, bis er auf dem Korridor der Wohnung das Klappern von Töpfen hörte. Dann stand Forest auf, wusch sich und strich sich über den Stoppelbart. Er brauchte einen Rasierapparat. In diesem Aufzug konnte er sich draußen in den Straßen nicht sehen lassen.

Ein feines Scharren vor der Tür machte ihn aufmerksam.

»Wer ist da?« rief er.

»Glory«, erwiderte das blinde Mädchen. »Brauchen Sie einen Rasierapparat?«

Forest unterdrückte einen Fluch. Woher wußte das halbwüchsige Mädchen von seinen Schwierigkeiten? Er lief zur Tür und riß sie auf. Fast prallte er mit Glory zusammen, die ihn dünn anlächelte, als könnte sie sein Gesicht genau erkennen.

»Ich hörte, daß Sie schon seit einer Viertelstunde auf sind«, meinte sie. »Die Mieter vor Ihnen rasierten sich immer sofort.«

»Ich hab den Rasierapparat im Gepäck«, redete Ray sich heraus. Er fand selbst, daß seine Worte nicht überzeugend klangen.

»Sie können einen von uns nehmen«, schlug Glory vor. »Irgendein Mieter ließ mal einen Apparat zurück. Warten Sie, ich werde ihn holen.«

Er sah ihr nach, als sie mit traumwandlerischer Sicherheit und völlig unverkrampft durch den kleinen Korridor ging und auf eine Tür zuhielt. Dort blieb sie stehen, drehte sich zu ihm um und lächelte wieder.

»Die Morgenzeitung ist schon da«, rief sie ihm zu. »Wollen Sie sie lesen?«

»Später vielleicht.«

»Da steht aber alles von der Schießerei am Rangierbahnhof drin. Und von einem Attentat auf einen Cadillac.«

Ray Forest fühlte, wie sein Mund schlagartig trocken wurde. Er hüstelte unterdrückt.

»Ich werd’ mir die Zeitung gleich holen«, meinte er gespielt gleichgültig. Doch er hielt sich nicht daran, folgte Glory in die einfache Küche und entdeckte die Zeitung auf dem Tisch, auf dem. auch für ihn gedeckt worden war. Er stürzte sich förmlich auf das dicke Morgenblatt, faltete es auseinander und überflog die großen Schlagzeilen. Erst jetzt fiel ihm auf, daß die Mutter des blinden Mädchens nicht in der Küche war. Er fragte Glory danach.

»Mammy ist schon unten am Stand«, erwiderte sie. »Ich löse sie in zwei Stunden ab …!«

»Kommst du denn mit dem Geld klar, wenn du verkaufst?« fragte er taktlos.

»Ich höre am Klang, um welche Geldstücke es sich handelt. Und ich fühle genau, welche Scheine mir gegeben werden. Ich sehe mit meinen Fingern, Sir!«

Rays Interesse war aber bereits erloschen. Er überlas den Artikel und kehrte mit den Augen immer wieder zu dem Absatz zurück, in dem die Adresse eines Augenzeugen genannt wurde. Dieser Augenzeuge hieß Josuah Parker und war der Butler eines Strafverteidigers Mike Rander.

Unmöglich, dieser Knilch kann mich doch niemals gesehen haben, sagte sich Forest. Das ist doch ein verdammter Bluff der Polizei, um mich verrückt zu machen. Ich weiß doch genau, daß der Fahrer des Cadillacs am Steuer verbrannte, wenn’s auch der falsche gewesen ist.

Er ließ die Zeitung sinken und sah Glory zu, die frischen Kaffee aufbrühte und Kanne und Zuckerdose auf den Tisch brachte. Ihre Handgriffe waren sicher, sie zögerte in ihren Bewegungen überhaupt nicht.

Hastig trank der Gangster den heißen Kaffee, fragte nach dem Rasierapparat und ging in den Waschraum. Während er sich rasierte, kehrten seine Gedanken zu dem Zeitungsartikel zurück. Ob es doch einen Augenzeugen gab? Sollte Irving sich draußen im Wald getäuscht haben? Falls die Meldung stimmte, dann mußte er erst einmal dafür sorgen, diesen Josuah Parker stumm zu machen. Forest dachte an seinen 45er!

Della Sheridan, eine hochbeinige, rotblonde Frau von etwa 30 Jahren, räkelte sich wohlig in dem breiten, französischen Bett und blinzelte in die einfallende Sonne.

Endlich regnete es nicht mehr. Der Tag versprach sehr schön zu werden. Della fühlte sich bester Laune. Sie wollte ganz bewußt nicht an unangenehme Dinge denken.

Das Telefon neben dem Bett plärrte.

Sie runzelte die immer noch glatte Stirn, stützte sich auf und griff nach dem Hörer.

»Della Sheridan«, meldete sie sich.

»Haben Sie die Morgenausgabe gelesen, Della?« fragte eine wohlklingende, sympathische Stimme.

»Noch nicht, ich schlafe ja noch …!«

»Sie sollten sich aber einige Artikel genau ansehen, Della. Dieser Ray Forest läuft frei herum.«

»Na und …? Das weiß ich doch.«

»Sie werden nicht mehr ruhig sein, wenn Sie erst wissen, daß der Fahrer des Cadillac Irving und Forest gesehen und genau identifiziert hat.«

»Ausgeschlossen …!«

»Es ist immerhin möglich, Della. Rechnen wir mit dem Unmöglichen. Der Zufall spielt oft die verrücktesten Streiche. Schließlich wissen wir, daß dieser Parker den Anschlag ja heil überstand. Warum soll er die beiden … Strolche nicht gesehen haben?«

»Mit anderen Worten, jetzt soll Jagd auf diesen Forest gemacht werden?« Della Sheridan war intelligent, sie verstand sehr gut.

»Wie gut wir uns doch verstehen, Della …! Genau das muß erledigt werden. Und zwar so schnell wie möglich. Aber nicht nur Forest muß dran glauben, auch dieser Josuah Parker. Wir müssen sehr vorsichtig sein.«

»Deshalb sollten wir jetzt nichts mehr unternehmen«, schlug Della schnell vor. »Die Polizei dürfte sehr aufgescheucht worden sein.«

»Wir müssen die beiden Männer erledigen«, wiederholte die Stimme noch einmal. »Erst dann können wir uns sicherfühlen, Della. Sie werden mir zustimmen, denke ich. Lassen Sie sich das mal in aller Ruhe durch den Kopf gehen.«

»Ich … ich möchte eine Pause einlegen«, erwiderte Della Sheridan energisch. Sie strich sich durch das rotblonde Haar. Sie drückte sich mit den Füßen nach oben, griff mit der freien Hand nach der Packung und zündete sich eine Zigarette an. »Forest kann uns nicht gefährlich werden. Er kennt ja die Zusammenhänge nicht. Ich weiß, daß Irving den Mund hielt.«

»Haben Sie diesen Josuah Parker vergessen, Della?«

»Wie soll er einen einzigen Mann hier in Denver finden? Das steht eins zu einer Million, oder etwa nicht?«

»Selbst diesen Zufall will ich ausschalten, Della. Das große Geschäft soll uns nicht an der Nase Vorbeigehen.«

»Und wenn dieser Parker die Stadt bereits verlassen hat?«

»Ich weiß, daß er geblieben ist. In den Morgenausgaben steht seine genaue Adresse. Ich denke, daß Sie diese … Affäre bis gegen Abend erledigt haben, Della. Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann.«

Bevor Della Sheridan antworten konnte, wurde auf der Gegenseite bereits aufgelegt. Della sprang aus dem Bett, zerdrückte die Zigarette mit einer jähen, ärgerlichen Bewegung im Aschenbecher und betrat den ans Schlafzimmer angrenzenden Salon. Sie brauchte jetzt einen starken Schluck, um präzise nachdenken zu können.

Dieser neue Auftrag paßte ihr nicht. Sie stand zu ihren Einwänden. Das Attentat auf den Cadillac, der Mord am Fahrer Mr. Gilpans und schließlich die Schießerei am Rangierbahnhof hatten bereits viel Staub aufgewirbelt. Warum sollte die Polizei noch mehr alarmiert werden …?

Gegen ihren Willen fädelte Della aber schließlich das ein, was die wohlklingende, sympathische Stimme von ihr verlangt hatte. Sie wußte nur zu gut, in welcher Abhängigkeit sie sich befand. Sie war diesem Mann restlos verfallen und mußte tun, was er von ihr verlangte.

Eine Viertelstunde nach dem Anruf beauftragte sie zwei Berufsmörder, erst einmal den Butler Josuah Parker zu ermorden. Della wußte genau, an welche Gangster sie sich zu wenden hatte. Sie waren identisch mit den beiden Männern, die nach dem Unfall des Cadillac Mr. Gilpans Grundstück betreten hatten. Es waren die Männer, die bereits Norman Irving mit einer Maschinenpistole umbrachten …

Sie verstanden also ihr Handwerk. Selbst Della, die stets sehr kühl rechnete, glaubte fest daran, daß ein gewisser Mr. Josuah Parker nur noch ein, höchstens zwei Stunden zu leben hatte!

Josuah Parker verwandte sehr viel Zeit darauf, sich einen passenden Wagen zu mieten. Um seine Ermittlungen schnell und reibungslos durchführen zu können, brauchte er einen fahrbaren Untersatz, der seinem Temperament entsprach.

In der großen Halle mit den schnurgerade aufgebauten Mietwagen interessierte er sich sehr nachdrücklich für einen superschnellen Ferrari.

»Dieser Wagen dürfte vielleicht etwas unbequem für Sie sein, Sir«, meinte der noch junge Angestellte vorsichtig. »Dieser Ford da entspricht möglicherweise mehr Ihren Absichten.«

»Ich liebe Sportwagen«, gestand Parker. »Endlich bin ich in der Lage, einen alten Jugendtraum zu verwirklichen.«

»Der. Wagen ist sehr schnell, Sir …!«

»Hoffentlich, hoffentlich, junger Mann. Ich hasse es, im Schrittempo zu fahren.«

»Die Leihgebühr ist ebenfalls sehr hoch für diesen Sportwagen.«

»Ich werde die Summe zusammenkratzen«, untertrieb Josuah Parker ohne eine Miene zu verziehen. »Falls Sie Bedenken gegen mein fahrerisches Talent anmelden, lade ich Sie zu einer kurzen Probefahrt ein.«

»Das wäre vielleicht angebracht«, seufzte der Angestellte erleichtert auf. Arglos ließ er den Butler ans Steuer, setzte sich auf den Nebensitz. Er wollte Parker genau auseinandersetzen, welche Hebel bedient werden mußten, doch der Butler hörte überhaupt nicht hin. Er ließ den Motor anspringen, kuppelte den ersten Gang ein und bugsierte den Wagen ungewöhnlich vorsichtig durch das Hallentor.

Es sah schon recht komisch aus, als Parker dann in die breite Schnellstraße einbog. Er trug selbstverständlich seine schwarze Melone. Der obligate Universalregenschirm stand zwischen ihm und dem Angestellten.

Der junge Angestellte, selbst ein recht forscher Fahrer, nickte zufrieden, als Parker Fahrt aufnahm. Das hätte er dem alten Herrn, wie er den Butler insgeheim nannte, nicht zugetraut, dieses schnelle Hineinfinden in diesen schnellen Wagen.

Er sollte sich bald wundern …!

Josuah Parker sah das breite Betonband vor sich. Der Verkehr war nun unbedeutend. Zudem gab es hier eine Fahrbahn für besonders eilige Fahrer. Die steuerte der Butler an, ließ die langsam warm werdende Maschine auf Touren kommen und gab Vollgas.

Wie eine Dreistufenrakete schoß der Ferrari vor. Der Angestellte wurde mit Macht in den Schalensitz zurückgepreßt. Er wollte noch nach seinem weichen Filzhut greifen, doch der segelte bereits durch die Luft und landete in einem Maisfeld.

Josuah Parkers Melone hingegen saß wie festgeschmiedet. Sie rührte sich nicht. Mit langausgestreckten Armen, wie ein altgedienter Rennfahrer, hantierte Parker am Steuer, freute sich sichtlich und visierte eine Abfahrt an. Es interessierte ihn zu erfahren, wie der Wagen auf einer normalen, asphaltierten Landstraße lag.

Der Beifahrer schrie entsetzt auf, als er Parkers Absicht verstand. Bevor er Luft holen konnte, riß Parker den Ferrari in die enge Kurve, legte einen gekonnten Powerslide auf den Asphalt und ließ das Wagenheck herum und in die neue Richtung rutschen. Durch leichtes Gegensteuern brachte er den schlingernden Wagen sofort wieder unter Kontrolle und gab Vollgas.

Der junge Angestellte rang nach Luft, obwohl sie in dem offenen Wagen in jeder Menge vorhanden war. Er klammerte sich am Haltegriff fest und stierte auf die nächste Kurve.

Er kannte diese Straße und ihre steilen Serpentinen. Oft genug hatte er sie gefahren und war sich dabei wie ein verhinderter Rennfahrer vorgekommen. Das hier aber überstieg alles, was er gewohnt war.

Josuah Parker entpuppte sich als erstklassiger Pilot, der auf jeder Rennbahn der Welt sehr gut abgeschnitten hätte. Er kurvte um einsame Wagen herum, ließ den Motor aufbrüllen und riß ihn in gekonnter Manier durch die Kurven.

Der junge Mann hatte es längst aufgegeben, die Straße zu beobachten. Er hatte. die Augen geschlossen, betete ihm noch einigermaßen bekannte Gebete und fühlte, daß ihm schlecht wurde. Selbst der scharfe Fahrtwind war nicht in der Lage, den immer neu auftretenden Angstschweiß auf seiner Stirn zu trocknen. Der Nachschub war einfach zu stark.

Erst als der Motor plötzlich erstarb und der Ferrari ausrollte, getraute er sich, ein Auge zu riskieren.

»Sie hielten sich recht gut, junger Mann«, lobte Parker seinen Beifahrer. »Sie haben allerdings recht, diesen Wagen werde ich nicht mieten.«

Der junge Angestellte versuchte auszusteigen. Aber erst als Parker Hilfestellung leistete, schaffte er es. Seine Beine zitterten, als er neben dem Ferrari stand. Ungläubig sah der Angestellte sich um, wagte einfach nicht zu glauben, daß sie sich schon wieder in der Mietwagenhalle befanden. Doch es war Tatsache, Parker, hatte den Wagen wieder zurückgesteuert.

»Ich … ich … also …!«

»Ich nehme an, Sie sind durchaus meiner Meinung«, pflichtete Parker dem immer noch völlig gebrochenen Mann bei, »daß dieser Wagen für mich nicht taugt, oder?«

»Mir ist … ist schlecht …!« stotterte der Beifahrer. Er riß sich zusammen, holte dann tief Luft und maß den Butler mit einem scheuen Seitenblick. »Wieso ist der Wagen …? Ich meine, Sie fuhren nicht schlecht.«

»Der Wagen hat einen großen Nachteiljunger Mann.«

»Und das wäre?« Das Geschäftsinteresse in dem Angestellten wurde jäh wach.

»Der Wagen ist mir etwas zu langsam«, sagte Parker unverfroren. »Ich fuhr seinerzeit den Jaguar des Earl of Landesby. Dieser Wagen entspricht ungefähr meiner Vorstellung von Schnelligkeit, junger Mann. Seien Sie mir also nicht böse, wenn ich doch auf den Ford zurückkomme.«

»Aber der … der ist doch viel langsamer.«

»Gewiß, junger Mann, er weckt in mir aber auch keinen besonderen Ehrgeiz, ergo brauche ich mich auch nicht zu ärgern. Sie verstehen, reine Selbstbescheidung, eine Tugend des Alters. Wenn Sie die Formalitäten jetzt bitte abwickeln wollen …!«

Josuah Parker, stets sparsam, hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Einmal hatte er etwas für seine Leidenschaft tun können, zum anderen brauchte er dafür keinen Sondercent zu zahlen. Er war ungemein zufrieden, als er später in den Ford stieg und sich auf den Weg machte, Miss June Jason zu besuchen, jene junge Dame, die er am Vortage im Auftrag Mr. Gilpans hatte abholen sollen …!

Miss June Jason bewohnte einen Bungalow am Ostende des Sloan Lake. Parker, der sich von einem Hausmädchen hatte anmelden lassen, sah ihr wohlwollend entgegen. Auch Parker schätzte die Schönheit der Natur, gleich, in welcher Form sie sich ihm anbot.

Miss Jason war durchaus als eine Naturschönheit anzusprechen. Alles an ihr mußte als äußerst gut und ausdrucksstark proportioniert bezeichnet werden. Sie trug Shorts und einen weißen Pulli. Ihr dunkles Haar fiel bis auf die schmalen, rassigen Schultern herab. Sie mochte etwa 25 Jahre als sein und bewegte sich in geschmeidiger Lässigkeit, die daran, gewöhnt ist, beobachtet zu werden.

»Mr. Parker?« fragte sie und sah auf die schmale Visitenkarte in ihrer Hand.

»Josuah Parker, ganz recht, Madam. Ich wage es, Sie zu dieser Zeit zu stören.«

»Sie ließen ausrichten, Mr. Gilpan hätte Sie geschickt?«

»In etwa, Madam. Sie wissen vielleicht von gewissen Ereignissen, die man durchaus als recht ungewöhnlich bezeichnen kann. Mr. Gilpan hat ein Interesse daran, diese Vorfälle zu klären.«

»Sie sind Privatdetektiv?« staunte Miss June Jason. Sie musterte den Butler und konnte ein leichtes, amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken.

»Kriminalistik ist mein Hobby, Miss Jason, wenn ich Sie so nennen darf.« Parker deutete einen altväterlichen Kratzfuß an und ließ sich dankbar in einen tiefen Sessel fallen, den Miss Jason ihm anbot. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich assistiere Mr. Rander, der von Mr. Gilpan zur Klärung einiger rätselhafter Vorfälle zugezogen wurde.«

»Sie meinen die Drohbriefe?« platzte Miss Jason heraus.

»Sehr richtig, Sie wissen also davon?«

»Arthur sprach davon, er nahm sie nicht besonders ernst. Aber nach den Schießereien denkt er jetzt anders darüber.«

»Durchaus verständlich. Gestern abend wollten Sie zu Mr. Gilpan?«

»Wir waren verabredet.«

»Ich sollte Sie abholen, Miss Jason. Leider wurde ich daran gehindert. Sie wissen, der Cadillac wurde überraschenderweise von einem Drahtseil gestoppt und zerschnitten.«

»Richtig, jetzt erinnere ich mich, Ihren Namen in den Zeitungen gelesen zu haben, Mr. Parker. Ein Wunder, daß Sie noch leben. Schrecklich das alles. Glauben Sie wirklich, daß Mr. Gilpan sich noch immer in Gefahr befindet?«

Parker versuchte, die Frau einzuschätzen. War sie so naiv, wie sie tat, oder spielte sie etwas vor? Er konnte nicht verstehen, wieso Arthur Gilpan diese Frau heiraten wollte. Sie paßte einfach nicht zu diesem Erfolgsmenschen.

»Mr. Gilpan schwebt in einer permanenten Gefahr, so lange, bis die Täter gefunden werden. Vielleicht können Sie helfen, dieses Verfahren abzukürzen, Miss Jason.«

»Wie denn, Mr. Parker?« Sie klapperte mit den langen, getuschten Wimpern und sah den Butler hilflos und etwas kindlich an. Plötzlich verstand Parker, warum Mr. Gilpan diese Frau heiraten wollte. Ein kurzes Klappern mit den Wimpern löste größte Hilfsbereitschaft aus. Man war versucht, diese Frau wie einen kleinen Vogel in die warme Hand zu nehmen und zu schützen. Ganz zu schweigen von anderen Vorzügen, die allein mit den Augen wahrzunehmen waren.

»Haben Sie einen bestimmten Verdacht, wer Mr. Gilpans Leben bedrohen könnte?« fragte Parker, sich zur Ordnung rufend. »Ich denke, das gebe ich offen zu, an Mr. Gilpans Familie.«

»Oh, Sie auch, Mr. Parker …?« gab sie erstaunt zurück, um sofort die Hände vor den Mund zu schlagen, als habe sie bereits zuviel gesagt. Ebenfalls sehr gekonnt, wie Parker fand.

Er nickte nur.

»Maureen, Arthurs erste Frau, kenne ich nicht«, begann June Jason, die allerdings eine Menge kannte und wußte. »Maureen wurde vor zwei Jahren von Arthur geschieden. Wegen seelischer Grausamkeit, was ich für ein Unding halte. Arthur kann seelisch niemals grausam sein. Sie meinen, ob Maureen vielleicht aus Rache hinter diesen Anschlägen stecken könnte?«

»Es wäre zumindest eine Überlegung wert, Miss Jason.«

»Nein, eigentlich traue ich ihr so etwas doch nicht zu, obgleich ihr Umgang nicht gerade gesellschaftsfähig ist.«

»Können Sie sich dazu ausführlicher äußern?«

»Maureen soll Geschäftsführerin eines Nachtclubs geworden sein. Das habe ich gerade erst vor wenigen Tagen erfahren.«

»Und wem gehört dieser Nachtclub, Miss Jason? Ich möchte unterstellen, daß Sie auch das erfuhren?«

»Der Besitzer auch dieses Nachtclubs ist ein Larry Dover. Er soll früher einmal Gangsterboß gewesen sein. Stellen Sie sich das vor, solch einen Umgang pflegt Arthurs geschiedene Frau …!«

»Schrecklich«, bestätigte Parker, ohne Überzeugung und Nachdruck. »Und was ist mit Mr. Gilpans Kindern?«

»Carol haßt mich, das steht fest. Sie warf mir doch vor, ich wäre nur hinter Arthurs Geld her …!«

»Wie ist denn Carol Gilpans Umgang?« wollte Parker erfahren.

»Carol treibt sich mit Beatniks herum, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Bohemiens, also …?«

»Schrecklich, wüste, junge Leute, die unmoralisch leben und sogar Rauschgift nehmen sollen. Arthur ist entsetzt darüber, aber was soll er machen …?«

»Sein Sohn Benny lebt als Maler in Los Angeles, ja?«

»Maler …? Daß ich nicht lache …! Ich habe einige Bilder von ihm gesehen …! Ein Verrückter könnte das angefertigt haben. Moderne Kunst soll das sein … Wissen Sie, da sind mir Farbfotos viel lieber. Da sieht man wenigstens was sie darstellen …!«

»Benny dürfte wohl über jeden Verdacht erhaben sein«, tippte Josuah Parker freundlich an.

»Benny haßt seinen Vater. Seit der Scheidung ist das Verhältnis untragbar geworden.«

»Benny haßt seinen Vater?« echote Parker erstaunt.

»Nicht nur ihn, auch mich. Wissen Sie, ich werde doch nur als Eindringling behandelt. Keiner glaubt an meine Liebe zu Arthur. Sie alle fürchten, Arthur könne Ihnen den Geldhahn zudrehen.«

»Er zahlt seiner Frau und seinen beiden Kindern Geld?«

»Jeden Monat gehen die Schecks ab! Das weiß ich ganz genau. Arthur ist sehr anständig. Für mein Gefühl läßt er sich allerdings ausnehmen, aber darüber würde ich mit ihm niemals reden. Ich will keinen Unfrieden, verstehen Sie?«

»Durchaus!« dienerte Parker freundlich. »Wer könnte nun, rein theoretisch gesehen natürlich, zum Täter an seinem Vater oder am früheren Ehemann werden?«

»Maureen, die erste Frau«, sagte June Jason ganz entschieden. »Maureen hat allen Grund, Arthur zu hassen. Sie will ihn nicht nur finanziell ruinieren, sondern sich auch für die Scheidung rächen. Dazu benutzt sie jedes Mittel … Aber reden Sie um Himmels willen nicht mit Arthur darüber …!«

»In welchem Nachtclub kann ich Maureen finden?«

Sie nannte ihm die Adresse und wurde plötzlich sehr wortkarg, als befürchte sie, sich bereits restlos verplappert zu haben. Parker bedankte sich und verließ diese Naturschönheit. Nein, sie gefiel ihm überhaupt nicht. Er wurde den Eindruck nicht los, daß sie ihm bewußt etwas vorgemacht hatte.

Was mochte sie wohl zu vertuschen und zu verbergen haben …?

Er fuhr mit dem Wagen nur bis zur nächsten Straßenecke und sorgte dafür, daß der Motor laut aufrauschte. Im Hause sollte man hören, daß er wirklich wegfuhr.

Doch an der nächsten Straßenecke stoppte er, stellte den Wagen in eine Parklücke und ging zu Fuß zurück. Die Gartentür hatte Parker nur angelehnt. Sie ließ sich sofort aufdrücken und gab den Weg zum Bungalow frei.

Diesmal verzichtete Parker darauf, sich durch das Hausmädchen ankündigen zu lassen. Entgegen seiner sonstigen Höflichkeit klingelte er auch nicht an. Parker ging um das Haus herum und benutzte dabei die unregelmäßig angelegten Steinplatten. Selbst darauf waren seine Schritte nicht zu hören. Er wollte herausbekommen, wer in dem Bungalow mexikanische Zigarillos rauchte. Seiner Ansicht nach konnten das weder Miss Jason noch das Hausmädchen tun.

Hinter dem Haus erstreckte sich eine Wiese bis zum See hinunter. Über einer niedrigen Buschreihe waren die bunt betupften Stoffe einiger Sonnenschirme zu sehen. Darauf hielt der Butler zu. Der kurz geschorene Rasen verschluckte jedes Geräusch.

»Ein unheimlicher Bursche, Steve«, sagte June Jason gerade. »Undurchsichtig und raffiniert. Ich habe mich nicht täuschen lassen. Ich weiß von Gilpan, daß er und sein Chef Rander nicht mehr für ihn arbeiten. Aber ich habe mitgespielt.«

»Schwer wird dir das nicht gerade gefallen sein, June«, lachte ein Mann auf. »Was wollte dieser komische Bursche denn? Wie sah er aus?«

»Wie ein Leichenbitter oder Totengräber … ah, mich schüttelt’s jetzt noch. Mittelgroß, undefinierbares Alter, glattes Pokergesicht, ganz in Schwarz gekleidet, so wie eine Figur aus dem vergangenen Jahrhundert.«

»Das hört sich ja nach ’nem Gruselfilm an, Kleines …!«

»Ich hab’ mich auch gegrault, Steve, wirklich …! Du hättest mal seine Augen sehen sollen. Die wechselten die Farbe, mal waren sie grau, dann wieder blau und braun …!«

»Der Mann muß auf dich einen tollen Eindruck gemacht haben!«

»Dieser Parker hat’s faustdick hinter den Ohren, wenn du mich fragst …! Steve, du solltest vorerst nicht zu mir kommen. Gilpan ist ein Trottel, der nichts merkt, aber wenn dieser Parker dich hier sieht, geht ihm ein Licht auf.«

»Nun mach’s mal halblang …!« Der Mann sprach lauter, um gleich darauf zu lachen. »Du machst dir unnötige Sorgen, June. Gilpan kommt nicht hierher, das weißt du doch genau.«

»Und wenn er mich beobachten läßt?«

»Dann bin ich dein Manager …!«

»Ich habe ein ungutes Gefühl, Steve«, warnte June Jason. »Miete dir lieber in der Stadt ein Hotelzimmer. Treffen können wir uns immer noch …! Aber nicht mehr hier.«

»Hat dieser Leichenbitter dich ausfragen wollen?« wechselte Steve das Thema. Parker genierte sich nicht, dieses Gespräch zu belauschen. Nachträglich dankte er den empfindlichen Schleimhäuten seiner Nase, die den Rauch des Zigarillos sofort erkannt und ihm gemeldet hatten.

»Er fragte nach Gilpans Familienangehörigen.«

»Wen hast du belastet?«

»Maureen natürlich …! Es stimmt ja, daß sie für einen ehemaligen Gangsterboß arbeitet.«

»Sehr schön, June, sehr schön … Das wird ihn ablenken und beschäftigen. Was macht Carol Gilpan?«

»Sie hetzt natürlich gegen mich, wie Benny …!«

»Noch ein paar Wochen, und alles ist für uns überstanden, June. So lange wirst du durchhalten.«

»Ich schon, hoffentlich auch Gilpan.«

»Wie fühlt er sich denn nach den Briefen?«

»Jetzt, nach dem Attentat und der Ermordung seines Fahrers, hat er’s mit der Angst zu tun bekommen. Er will zahlen.«

Josuah Parker spürte, daß das Gespräch eine wichtige Wende nahm. Liebend gern hätte er noch viel mehr gehört und aufgeschnappt. Er drehte seine Ohren noch besser, in die Gesprächsrichtung und rechnete mit weiteren Enthüllungen.

Das Hausmädchen machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Es entdeckte ihn von der Terrasse her und rief den Butler an. Josuah Parker ließ sich dadurch beileibe nicht aus der Ruhe bringen. Er lüftete seine schwarze Melone und grüßte freundlich zurück. Dann stampfte er um die Buschreihe herum und verbeugte sich vor June Jason, die blitzartig aus dem Liegestuhl hochsprang und Parker anstarrte.

»Was tun Sie denn hier?« schnauzte ihn ein junger, straffer Mann an, dessen Körperbau einfach vorbildlich zu nennen war. Er trug nur kurze Shorts und hatte sich einen Pullover mit den Ärmeln um den Hals gebunden.

»Ich bitte um Vergebung«, murmelte Parker, »ich vergaß, meinen Regenschirm mitzunehmen.«

»Den suchen Sie hier …? Die Stimme des jungen, sehr gut aussehenden Mannes wurde drohend. Er stand langsam auf, reckte und dehnte sich, ein gefährliches, geschmeidiges Tier, das zum Sprung ansetzte.

»Ich wollte um die Erlaubnis einholen, meinen Schirm zu bergen«, redete Parker in seiner gewohnt umständlichen Art. »Falls ich jedoch ein trautes Beisammensein gestört haben sollte, möchte ich um Vergebung bitten.«

»Dir Schnüffler werde ich es zeigen!«

Der junge Mann drückte sich federnd vom Boden ab und griff den Butler an.

»Steve, bitte, laß das sein …! rief June Jason dazwischen. Der junge Mann ließ sich aber nicht aufhalten. Er brannte darauf, Parker in seine Einzelbestandteile zu zerlegen.

Er schickte den ersten Schlag auf die Reise. Es handelte sich um einen gekonnt angesetzten Leberhaken, der trocken aus der Schulter heraus geschlagen wurde.

Josuah Parker verbeugte sich, nahm damit den Schlag seine Wirkung und … bediente sich eines ganz bestimmten Abwehrmittels, das aus nur zwei ausgestreckten Fingern bestand. June Jason konnte davon überhaupt nichts sehen. Auch Steve nicht. Der allerdings spürte den Schlag, zeigte sofort Wirkung und verdrehte die Augen. Ohne einen Laut von sich zu geben, rutschte er haltlos in sich zusammen. Er landete dekorativ auf dem gepflegten Rasen und glich einem gestürzten Mamorstandbild.

»Ein mir ungemein peinliches Versehen«, entschuldigte Parker sich bei June Jason. Er wirkte recht unglücklich und verständnislos, als könne er sich die Wirkung gar nicht erklären. »Entschuldigen Sie mich bitte, bei Ihrem Manager, wenn er in wenigen Minuten wieder zu sich kommen wird.«

»Sie haben ihn …«, keuchte June, kniete nieder und untersuchte ihren angeblichen Manager.

»Ein reiner Zufall«, entschuldigte sich Parker noch einmal. »Wer konnte denn auch ahnen, daß dieser junge, kraftstrotzende Herr derart empfindlich ist! Wenn Sie gestatten, werde ich jetzt meinen Regenschirm holen und mich entfernen. Seien Sie meines Mitgefühls versichert, Miss Jason.«

Parker schmunzelte in sich hinein. Dieser kaum bekannte Trick aus der Welt der sanften Kunst der Selbstverteidigung wirkte immer wieder und fällte sogar Bäume.

Ja, ja, die Jugend, dachte Parker, sie muß noch sehr viel lernen …! Und wenn mich nicht alles täuscht, dürfte ich mir zwei weitere Feinde verschafft haben. Wenn das so weitergeht, werde ich die Stadt auf den Fersen haben …!

Da Josuah Parker den Dingen stets auf den Grund ging, verließ er das Grundstück diesmal auf dem Umweg rechts von den beiden Garagen.

Dieser kleine Fußmarsch lohnte sich. Er fand neben dem Chevrolet mit Denver Nummer einen Porsche 1600, dessen Kennzeichen aus Reno stammte. Parker prägte sich diese Nummer ein, war sie doch der schnellste und sicherste Weg, den vollen Namen des jungen, am Boden liegenden Mannes festzustellen.

Butler Parker beeilte sich, zurück ins Hotel zu kommen, um mit seinem jungen Herrn, Mike Rander, ausgiebig zu konferieren. Er konnte nicht wissen, daß er sich beeilte, in eine geradezu tödliche Falle zu laufen …!

In der Hotelhalle des Sloan-Hotels wurde Josuah Parker von zwei Zivilisten abgefangen. Kurz vor dem Lift versperrten sie ihm den Weg und fragten nach seinem Namen. Parker nannte ihn, sah die beiden recht gut gekleideten Männer prüfend an und schluckte es ohne weiteres, daß sie sich als Kriminalbeamte ausgaben.

Parker, der sonst stets auf Form hielt, versäumte es, sich die Dienstmarken der beiden Kriminalpolizisten zeigen zu lassen. Entweder ein unverzeihlicher Leichtsinn, oder aber gerissene Taktik, die Parker vorerst nur allein überschauen konnte.

Die beiden Männer sahen allerdings nicht wie Gangster aus. Sie waren gut gekleidet und zeigten tadellose Manieren. Nur ihre unruhigen Augen und eine gewisse, innere Gespanntheit verrieten, daß sie sich auf sehr glattem Parkett bewegten.

»Was kann ich also für Sie tun?« erkundigte sich der Butler ruhig. »Ich nehme an, Leutnant Branch wünscht mich zu sprechen, ja?«

»Erraten«, antwortete der Beamte mit der Adlernase und der unnatürlich gelben Gesichtshaut. »Sie werden hoffentlich keine Schwierigkeiten machen, oder?«

»Ich bin ein loyaler Staatsbürger«, gab Parker ruhig kund und zu wissen. »Ich stehe zu ihrer Verfügung, meine Herren.«

Flankiert von den beiden Männern verließ Parker die Halle und bewegte sich auf einen Lincoln zu, der schräg vor dem Hotel wartete.

Der Begleiter der Adlernase, kräftig, untersetzt und sehr nervös in seinen Bewegungen, übernahm das Steuer. Parker und die Adlernase nahmen im Fond Platz.

Schon nach wenigen Minuten wußte Parker, was gespielt wurde. Sein erster Verdacht bestätigte sich. Die Fahrt führte nicht in die City von Denver, sondern bewegte sich in westliche Richtung. Dort konnte Leutnant Branch unmöglich auf ihn warten. Parker ließ sich aber auch jetzt nichts anmerken, ja, er unternahm nichts, um die Oberhand zu gewinnen. Er spielte wieder einmal mit seinem Leben. Er wollte nun aus erster Hand erfahren, wer hinter den beiden Gaunern stand und die Fäden in der Hand hielt.

»Wie war das eigentlich mit den beiden Gangstern, die Sie gesehen haben?« fragte Adlernase ihn. »Haben Sie den Mund nicht etwas zu voll genommen?«

»Ich muß Einspruch einlegen«, protestierte Parker. »Selbstverständlich sah ich die beiden Gangster, die das Drahtseil gespannt hatten. Ich könnte die Gesichter sofort identifizieren.«

»Dazu werden Sie bald Gelegenheit haben«, gab Adlernase lächelnd zurück. »Sie können dann verschiedene Dinge gleich nachholen …!« Mit diesen Worten riß der Gangster seinen 38er aus dem Schulterholster und preßte Parker die Mündung gegen die Hüfte.

»Ich lege Protest ein …!« beschwerte sich Parker. »Wie soll ich Ihr Verhalten deuten …?«

»Mann, du begreifst verdammt langsam …!« lachte der Fahrer höhnisch auf. »Geht dir immer noch nicht auf, was los ist?«

»Oh, ich muß annehmen, daß Sie …? Ich meine … Habe ich es etwa nicht mit Kriminalbeamten zu tun?«

»Endlich ist der Groschen gefallen!« Adlernase grinste und setzte sich bequem in der Wagenecke zurecht. »Sie wissen zuviel, Parker, Dagegen müssen wir was unternehmen.«

»Ist das eine Entführung, meine Herren?« Parkers Stimme bebte vor Empörung. Er war ein vollendeter Schauspieler.

»Das auch …!« bestätigte Adlernase. »Wir werden Sie für einige Zeit außer Gefecht setzen, Parker. Sie brauchen kaum was zu befürchten, falls Sie parieren …!«

»Wohin bringen Sie mich …?« Unruhig betrachtete Josuah Parker die bergige Gegend. »Ich muß gestehen, daß die Landschaft mir nicht sonderlich gefällt. Wem sollte ich schon gefährlich werden? Ein verbrauchter, alter Mann wie ich, ist froh, wenn er von den Unbilden dieser Welt verschont bleibt.«

Adlernase grinste. Er ließ sich täuschen. Seine Augen sagten ihm ja schließlich, daß Parker nicht übertrieb. Was wollte dieser komische Butler schon gegen zwei ausgekochte Fachleute ausrichten? Ein Ding der Unmöglichkeit, ja, schon fast eine Beleidigung, Parker als einen ernsthaften Gegner zu betrachten.

»Oben im Bergwald ist ’ne Hütte, dort können Sie sich für ’ne gewisse Zeit ausruhen«, erklärte Adlernase jovial.

»Hoffentlich schadet das rauhe Bergklima nicht meinen Bronchien«, sorgte sich Parker, um auch prompt zu hüsteln. »Darf man wissen, wer an meiner Erholung und Gesundheit derart interessiert ist?«

»Raten Sie mal …!«

»Die Herrschaften, die Mr. Gilpan ermorden wollen?«

»Klar, genauso ist es … Sobald Gilpan erledigt ist, können Sie wieder zurück nach Denver.«

»Mr. Gilpan muß demnach nicht sehr beliebt sein, wie?«

»Das kann man wohl sagen …! Irgendeiner hier in der Stadt hat ihn so lieb wie Bauchschmerzen …! Aber das wird sich schnell ändern.«

»Auch wenn Mr. Gilpan die verlangte Geldsumme zahlt?« bohrte Parker weiter.

»Keine Ahnung, mal sehen …!« Adlernase wollte noch etwas sagen, schluckte die Worte aber hinunter. Er hatte plötzlich keine Lust mehr, Parkers Fragen zu beantworten. Auch der Butler wurde wortkarg und beschränkte sich darauf, die Bergstraße zu beobachten. Lakewood lag längst hinter ihnen. Sie befanden sich bereits in den östlichen Ausläufern der Rocky Mountains, die sich dicht an Denver heranschieben.

Das Gelände war bizarr, zerklüftet und vielleicht auch etwas unheimlich. Schon hier ahnte man bereits die Wildheit dieses riesigen Felsengebirges.

Ausgedehnte Wälder säumten die ansteigende Straße. Geschotterte Wege führten von der Hauptstraße in tief eingeschnittene Seitentäler und Canyons. Sie überholten eine Bus-Kolonne, preschten an den Ausflüglern vorbei und bogen urplötzlich in ein Seitental ab.

»Bestehen Bedenken, wenn ich mir eine meiner Zigarren anzünde?« erkundigte sich Josuah Parker.

Adlernase setzte sich sofort hoch und ließ Parker nicht aus den Augen. Er hob den Lauf seines 38ers an und brachte den Stecher bis zum Druckpunkt.

»Keine falsche Bewegung«, warnte er Parker.

»Sie überschätzen mich«, gestand Parker schamhaft. »Wie gesagt, ich bin ein alter Mann …!«

Mit gemessenen Bewegungen förderte er ein Zigarrenetui ans Tageslicht und entnahm eine Zigarre. Genießerisch schnupperte er an dem schwarzen Torpedo, entzündete ihn und tat den ersten Zug.

Augenblicklich begann Adlernase zu hüsteln. Josuah Parker schien davon nichts zu merken. Er inhalierte den beißenden Qualm und nickte anerkennend mit dem Kopf. Es konnte ein reiner Zufall sein, daß er den Rauch in Richtung Adlernase blies.

Der Gangster hustete jetzt stärker. Er merkte überhaupt nicht, daß sich die Mündung seiner Waffe senkte. Der Fahrer stimmte in das Husten ein und schüttelte sich.

»Diese Zigarren bekomme ich speziell angefertigt«, verkündete Parker wohlwollend. »Beachten Sie bitte das Aroma und die unverfälschte Natur …!«

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, paffte er drauflos. Die Adlernase kämpfte mit einem Hustenkrampf. Der Fahrer hatte Ärger mit einigen dicken Tränen, die aus seinen bereits leicht gereizten Augen traten.

»Wenn Sie wünschen, lasse ich Ihnen gern eine Zigarre da«, bot Parker freundlichst an. »Der Wohlgeschmack wird Sie begeistern …!«

»Ausmachen …!« krächzte Adlernase empört. »Das ist ja schlimmer als ein Gasangriff …! Verdammt, werfen Sie die Zigarre über Bord, ich will doch nicht ersticken …!«

»Oh, das möchte ich auf jeden Fall vermeiden«, entschuldigte sich Josuah Parker. Er kurbelte das Fenster auf seiner Seite spaltenbreit auf und wollte die stinkende und qualmende Zigarre auf die Schotterstraße werfen.

Doch das gelang ihm nicht ganz. Der Fahrtwind, oder aber auch Parker, sorgte dafür, daß die Zigarre in den Wagen zurückfiel, zu Boden kollerte und dann unter dem Vordersitz des Fahrers verschwand.

»Ich bitte nachträglich um Entschuldigung«, erklärte Parker Würdevoll. Ich hoffe sehr, daß die Belästigung damit aufhört.« Listigerweise verschwieg er, wo die Zigarre gelandet war. Die Adlernase neben ihm hatte das im dichten Rauch nicht sehen können. Josuah Parker wartete geduldig und setzte seine Hoffnung auf die Zigarre, die unter dem Vordersitz weiterschwelte.

Es dauerte wirklich nicht lange, bis sie Eigenleben entwickelte. Wie aus einem verrußten Schornstein stiegen die dunklen Qualmwolken unter dem Sitz hervor. Da der Veloursbelag des Wagenbodens nun mitkokelte, mußte selbst Josuah Parker diskret husten.

Die beiden Gangster hingegen wurden von krampfähnlichen Bewegungen geschüttelt. Das war derart stark, daß der untersetzte Gangster den Lincoln anhielt und schleunigst die Wagentür öffnete.

»Wenn mich nicht alles täuscht, muß etwas Glut in den Wagen geweht sein«, analysierte der Parker den Gestank, »es empfiehlt sich, nach der Fehlerquelle zu suchen …!«

Keiner der beiden Gangster kümmerte sich um Parker, der sich selbst überlassen blieb. Der Butler stützte sich auf seinen Universal-Regenschirm auf, verfolgte die verzweifelten Rettungsarbeiten der beiden Gangster und entschloß sich nach einigen Minuten, aktiv einzuschreiten.

Mit dem bleigefütterten Griff seines Regenschirms tupfte, er auf die Hinterköpfe der beiden Gangster. Das reichte bereits. Wie von kräftigen Blitzen getroffen, sackten die beiden Gangster widerspruchslos in sich zusammen. Sie kamen nicht mehr dazu, nach ihren Waffen zu greifen oder gar ihren Mordauftrag auszuführen.

Josuah Parker rettete die Zigarre und prüfte sie. Nein, leider war sie verdorben. Wohl oder übel mußte er sie wegwerfen. Er tat es nicht gern. Er ging an seinen Spezialanfertigungen.

Die stinkende Zigarre landete im Straßengraben. Einige Grillen und Heuschrecken stoben daraufhin entsetzt auseinander. Singvögel in der Nähe erhoben sich im Alarmstart von den Zweigen. Ein Waschbär, der sich bereits für den haltenden Wagen zu interessieren begann, machte sofort kehrt und trabte unwillig in das Dickicht zurück.

Butler Parker schleifte die Gangster von der Straße und opferte eine seiner stets griffbereiten Handschellen. Um die Bewegungsfreiheit seiner Gegner entscheidend zu behindern, schloß er je ein Fußgelenk aneinander. Falls die Gangster zu Fuß zur Hauptstraße zurückkehren wollten, brauchten sie nun sehr viel Zeit, um allein ihre Schritte zu koordinieren. Parker war eben ein praktischer Mensch, der alle Effekte im voraus genau berechnete.

Bevor er sich ans Steuer des Lincoln setzte, untersuchte er die Taschen der beiden Gangster. Er fand Hinweise auf ihre Namen und Berufe.

Der Mann mit der Adlernase nannte sich, laut Fahrerlizenz Herrn Haynes, sein Partner Slim Vrain. Aus weiteren Unterlagen ging hervor, daß sie für einen Mr. Haddon arbeiteten.

Noch wußte Parker. mit diesem Namen Haddon nichts anzufangen, Er nahm sich allerdings vor, das sehr schnell abzuändern. Er barg die Waffe der beiden Gangster, stieg in den Lincoln und fuhr los. Nun aber zeigte sich, wie zartbesaitet der Butler war. Ihm fiel nämlich nach wenigen Sekunden ein, daß er die schwelende und stinkende Zigarre in der Nähe der beiden Gangster nicht ausgetreten hatte.

Er legte den Rückwärtsgang ins Getriebe und hielt neben den wieder zu sich kommenden Gangstern. Empfindsam, wie es seiner Art entsprach, löschte Josuah den schwarzen Torpedo, nickte den fluchenden Gangstern freundlichst zu und strebte der Stadt Denver entgegen.

Das eingegangene Risiko hatte sich wieder einmal gelohnt. Parker sah freie Bahn vor sich …!

*

Kurz nach Mittag war Ray Forest unterwegs …!

Er schlenderte über den breiten Broadway von Denver, klapperte ein Lokal nach dem anderen ab und erkundigte sich diskret nach einer gewissen Della. Da er den Slang der Unterwelt und der Straße beherrschte, fiel er nicht auf.

Es dauerte fast zwei Stunden, bis er endlich den ersten Hinweis erhielt. Der Barkeeper einer kleinen Eckkneipe wollte den Namen Della oft gehört haben.

»Ich glaube, die arbeitet in Haddons Bar«, sagte er. »Klar, ich weiß es jetzt ganz, genau. Was wollen ’se denn von ihr, he?«

»Sie is’ ’ne alte Freundin von mir«, log Ray Forest. »Vor ’nem Jahr is’ sie mit meiner Brieftasche abgehauen. Die will ich jetzt zurückholen.«

»Wenn du mal nur nicht ins Fettnäpfchen reinhaust …!«

»Wieso, was ist mit Della los?«

»Die hat’s doch ganz dicke mit Haddon.«

»Und wer ist Haddon?«

»Man hört, daß du fremd in Denver bist. Haddon is ’ne ganz dicke Nummer. Toller Einfluß in der Stadt.«

»Ich verstehe schon, demnach muß ich also vorsichtig sein, ja?«

»Noch vorsichtiger, mein Junge, aber ich will nichts gesagt haben.«

»Als was arbeitet Della bei ihm?«

»Sie schmeißt seinen Club, singt Lieder und fördert den Umsatz.«

Ray Forest ging an der Theke vor Anker und horchte den redseligen Barkeeper nach allen Regeln der Kunst aus. Nach einer halben Stunde wußte er gründlich Bescheid. Und wieder meldeten sich Bedenken in ihm.

Soll ich’s riskieren, mit dieser Della anzubändeln? Er stellte sich diese Frage immer wieder. Sie war also mit einem stadtbekannten Gangster befreundet. Der mußte demnach hinter Arthur Gilpan her sein.

’ne verdammt heikle Sache, sich mit einer fremden Gang einzulassen, überlegte Ray Forest. So was kann leicht ins Auge gehen. Ich muß mir den Fall mal ganz genau überlegen. Besser ist, ich rufe diese Della erst mal an und fühle ihr auf den Zahn, ’ne kleine Drohung kann eigentlich nicht schaden …!

Ray Forest, hin und her gerissen zwischen Geldgier und Angst, verließ die Eckkneipe und suchte nach einer Telefonzelle. Bei der Gelegenheit kam er prompt an der Haddon-Bar vorbei, in der Della arbeitete.

Der Nachtclub war sehr gut und attraktiv aufgemacht. Die Straßenfront war im Stil einer Blockhütte verkleidet worden. Der Club nannte sich ›Zur allerletzten Chance‹.

Forest strich an den Aushängekästen vorbei und erkannte Della sofort. Jawohl, so hatte Irving sie ihm beschrieben. Er mußte zugeben, daß sie ungewöhnlich gut aussah. Sie glich einer großen Wildkatze.

Im Telefonbuch fand er ihren Namen und die Telefonnummer. Kurz entschlossen betätigte er die Wählscheibe und rief sie an.

Sie meldete sich sofort, nannte ihren Namen. Ihre Stimme klang dunkel, etwas heiser. Sie paßte zu der Frau, die Ray Forest auf den Fotos im Aushängekasten gesehen hatte.

»Ich bin Ray Forest«, antwortete der Gangster, der plötzlich ganz ruhig und beherrscht war. »Möglich, daß Sie mit meinem Namen was anfangen können.«.

»Ray Forest …?«

»Ich war Norman Irvings Partner, Süße. Wir waren hinter Gilpan her und sollten ihn umlegen. Auf der Strecke blieb allerdings nur Irving. Hab’ ich mich klar genug ausgedrückt?«

»Gott sei Dank, daß Sie sich endlich melden …!« stieß Della Sheridan erleichtert aus. »Ich hatte keine Ahnung, wie ich Sie erreichen konnte.«

»Ach nee …!«

»Ray, ich muß Sie unbedingt sprechen …! Schon wegen Norman. Ich weiß, wer ihn ermordete.«

»Ich auch«, entgegnete Ray lakonisch und lachte spöttisch auf. »Norman wollte sich mit ’ner gewissen Della Sheridan treffen. Sie kam auch, aber sie brachte ’ne Maschinenpistole mit. Ich stand nur ein paar Meter daneben.«

»Sie werden das alles gründlich mißverstanden haben, Ray, glauben Sie mir! Ich war entsetzt, als … das passierte. Glauben Sie mir, auch ich hatte keine Ahnung …!«

»Hört sich fast überzeugend an, Miss Sheridan …!«

»Es ist die Wahrheit …! Und jetzt sind Normans Mörder auch noch hinter mir her …!«

»Na und, falls es stimmen sollte …!«

»Ich habe Angst die Wohnung zu verlassen …! Sie müssen mir helfen. Bitte …!«

»Und wie stellen Sie sich das vor?«

»Ich weiß, wer Norman und Ihnen den Auftrag gab. Allein kann ich damit aber nichts anfangen. Ich bin schließlich nur eine Frau. Wenn Sie aber mitmachen, Ray, dann müßten wir es eigentlich schaffen.«

»Was denn, zum Beispiel?«

»Euer Auftraggeber ist stinkreich, er hat aber auch erstklassige Verbindungen. Ich finde, man sollte einiges gegen ihn unternehmen. Aber wie gesagt, allein schaffe ich das niemals. Können wir uns nicht irgendwo treffen und in aller Ruhe aussprechen?«

»Ich hab’ was gegen Maschinenpistolen, Della.«

»Und ich erst.«

»Warum wenden Sie sich dann nicht an Haddon?«

»Haddon traut sich nicht. Er hat Ärger mit der Polizei und muß sich vollkommen ruhig verhalten.«

»Und Sie wissen, wer Gilpan ermorden lassen wollte?«

»Natürlich, ich vermittelte Norman ja den Job. Ich suche jetzt nach einem Partner, der mit mir zusammenarbeitet.«

»Wo können wir uns treffen?« erkundigte sich Ray und grinste unverhohlen.

»Auf keinen Fall in meiner Wohnung, Ray«, erklärte sie. »Wer weiß, wie scharf ich bereits überwacht werde. Sie dürfen sich überhaupt nicht sehen lassen.«

»Was schlagen Sie also vor, Della?«

»Können Sie mich irgendwo auf dem Broadway aufpicken? Wir müßten uns irgendwo genau verabreden und dann etwaige Verfolger abschütteln.«

Ray dachte blitzschnell nach. Dieser Vorschlag klang durchaus vernünftig. Er hatte nicht den Eindruck, daß Della Sheridan ihn überlisten wollte. Sonst hätte sie ganz sicher einen viel simpleren Vorschlag gemacht.

»Abgemacht«, meldete er sich wieder zu Wort, »in einer halben Stunde vor dem State Capitol. Ich werde mit einem Taxi kommen.«

»Werden Sie mich denn erkennen?«

»Ganz sicher, ich weiß genau, wer Sie sind und auch wie Sie aussehen, Della. Kommen Sie nur ja nicht auf den Gedanken, mich abschießen zu lassen. Für den Fall würden gewisse Papiere sprechen, die ich sicher untergebracht habe. Ich laß’ mich nicht ’reinlegen wie Norman.«

»Wenn Sie wüßten, wie wenig ich Sie ’reinlegen will«, gab sie erleichtert zurück. »Bisher bin nur immer ich hereingelegt worden. Aber das soll sich endlich ändern. Ich werde pünktlich sein und einen hellbeigen Flauschmantel tragen.«

»Hellbeiger Flauschmantel«, wiederholte Ray Forest. »Geht in Ordnung, Della. Und mich erkennen Sie an meiner Kanone, falls Sie Verrat planen. Wenn ich schieße, treffe ich auch. Mätzchen können Sie mit mir nicht machen.«

Er legte auf, verließ die Sprechzelle und überquerte die Straße. Er fühlte sich plötzlich als toller Kerl, für den es kein Hindernis gibt. Er war in der Stimmung, die ganze Welt in die Tasche zu stecken. In einer Kneipe ließ er sich einen doppelten Gin geben und feierte seinen ersten Etappensieg. Ray Forest war nämlich der Ansicht, daß er sich bereits auf der Siegerstraße befand …!

*

»Der Fahrer des Porsche 1600 heißt Steven Steiner und stammt aus Los Angeles«, berichtete Leutnant Branch. »Der junge Mann ist als Playboy bekannt. Jetzt kommt aber der Clou, Rander. Steiner ist befreundet mit einem gewissen Benny Gilpan.«

»Benny Gilpan, dem Sohn von Arthur Gilpan?«

»Genau den meine ich«, antwortete Leutnant Branch lächelnd. »Wir wissen inzwischen noch mehr. Steiner und Benny Gilpan halten sich bereits seit drei Tagen in Denver auf.«

»Darf ich höflichst fragen, Sir, ob Benny sich mit seinem Vater in Verbindung setzte?« Josuah Parker sah den Offizier der Mordabteilung interessiert an.

»Nein, das tat er nicht. Und aus einem ganz bestimmten Grund nicht.«

»Demnach darf ich wohl unterstellen, Sir, daß Miss June Jason und Benny Gilpan sich recht gut kennen, ja?«

»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, Parker. Diese drei Leutchen, Steiner, Miss Jason und Benny, kennen sich von Los Angeles her.«

»Vielleicht planen sie, gemeinsam den alten Herrn auszunehmen, wie?« warf Mike Rander ein.

»Genau das ist auch mein Verdacht«, bestätigte Mike Randers Vermutungen. »Ich lasse sie bereits diskret überwachen. Vielleicht stehen wir schon dicht vor der Aufklärung des Falls.«

»Was meinen Sie, Parker?« Mike Rander wandte sich Josuah Parker zu, der am Fenster stand und versonnen auf die Straße schaute.

»Ich erlaube mir, anderer Meinung zu sein«, gab Parker endlich zurück. »Mit Verlaub gesagt, diese drei jungen Leute würden sich dann niemals einiger äußerst handfester Gangster bedienen.«

»Parkers Hinweis klingt nicht schlecht«, räumte Mike Rander nach kurzem Nachdenken ein. »Die Gefahr einer späteren Erpressung durch die Mitwisser wäre zu groß. Gerade für meinen Täter, der hier aus Denver stammt und bekannt ist.«

»Das, Sir, erlaubte ich mir mit meinen Worten anzudeuten«, sagte Butler Parker höflich, »Wie ich mir schon erlaubte vorzuschlagen, sollte man sich um Mr. Arthur Gilpans Vorleben kümmern.«

»Das läuft bereits«, schaltete sich nun wieder Leutnant Branch ein. »Ich lasse alle Daten und Fakten Zusammentragen. Arthur Gilpan rückte übrigens schon das bewußte Inserat ein, von dem Sie, Rander sprachen. Er ist nach wie vor gewillt, die Summe zu zahlen.«

»Wir können dagegen nichts tun. Sie wissen ja, daß er uns ausbootete.«

»Auch uns gibt er keinen Hinweis«, entgegnete Leutnant Branch. »Er lehnt jede Zusammenarbeit mit der Polizei ab.«

»Seine Angst vor der Vergangenheit muß demnach sehr groß sein«, meinte Parker.

»Oder seine Angst vor einem weiteren Anschlag«, erwiderte Leutnant Branch, »aber das dürfte ja auf das gleiche hinauslaufen. Schade. Gilpan ist nicht zu helfen. Er begreift einfach nicht, daß er allein niemals durchkommen wird.«

»Das ist richtig, Sir, es geht nichts über eine echte Zusammenarbeit«, warf Josuah Parker ein. »Was ergab die Untersuchung des Mordfalls draußen am Rangierbahnhof …? Wenn mich nicht alles täuscht, besteht da wohl ein gewisser Zusammenhang mit unseren Tätern, oder sollte ich mich irren?«

Leutnant Branch wurde ein wenig rot im Gesicht und hüstelte. Ob er wollte oder nicht, er mußte nun Mike Rander und seinem Butler Rede und Antwort stehen.

»Ich hätte ohnehin davon noch erzählt«, schwindelte er. »Der Erschossene dürfte tatsächlich einer der beiden Attentäter sein. Im Kofferraum des Wagens fanden wir eine Drahtrolle. Sie allein beweist das schon.«

»Norman Irving ist also einer der Täter«, wiederholte Parker und griff nach der aufgeschlagenen Zeitung auf dem Sekretär. »Ich würde gern etwas mehr über seinen Partner hören, falls mir diese Frage erlaubt ist, Sir.«

»Sein Partner ist uns inzwischen auch bekannt. Er heißt Ray Forest. Beide Männer stammen aus Los Angeles. Sie werden in einigen Bundesstaaten wegen verschiedener Verbrechen gesucht. Hier in Denver sind sie unbekannt. Nach Lage der Dinge kamen sie erst vor knapp zwei Wochen hier an.«

»Und in welchen Kreisen verkehrten sie, Sir?«

»Das … das müßten wir erst noch …!« Leutnant Branch stotterte herum, wollte die Wahrheit offensichtlich vertuschen. Er leitete schließlich die offiziellen Untersuchungen. Er wollte sich nicht den Rahm von der Milch wegschöpfen lassen.

»Wollten wir nicht eng zusammenarbeiten?« fragte Mike Rander lächelnd dazwischen. Er hatte sehr gut hingehört und auch verstanden.

»Ich … ich werde Ihnen in einigen Tagen Bescheid sagen können«, redete Leutnant Branch sich heraus. »Es müssen erst noch einige Überprüfungen vorgenommen werden.«

»Schön, überprüfen Sie, Branch!« Mike Randers Stimme klang kalt und unpersönlich. »Rechnen Sie aber nicht mit unserer Loyalität, Branch. Ab sofort jeder für sich, wenn Sie unbedingt darauf bestehen. Wir werden ja sehen, wer weiter kommen wird. Sie oder Parker und ich.«

»Rander, Sie dürfen mich nicht mißverstehen«, entschuldigte sich Leutnant Branch. »Meine Kompetenzen habe ich ohnehin schon weit überschritten. Schließlich gehören Sie der Polizei ja nicht an. Ich muß mich an meine Vorschriften halten.«

»Es war uns ein Vergnügen«, verabschiedete Mike Rander den verdutzten Polizeioffizier. »Parker, bringen Sie Leutnant Branch an die Tür.«

Der Polizeioffizier wollte noch etwas sagen, doch Butler Parker komplimentierte ihn derart schnell zur Tür hinaus, daß Branch erst draußen auf dem Korridor merkte, daß er bereits verabschiedet worden war. Er wäre am liebsten zurückgekehrt und hätte seine Karten auf den Tisch gelegt. Doch dann dachte Branch wieder an seine große Chance, den Fall allein klären zu können. Er grinste dünn und ging zum Lift.

Mike Rander massierte sich nachdenklich das Kinn. Nachträglich bedauerte er es, sich von Leutnant Branch getrennt zu haben. Josuah Parker ahnte aber wieder einmal, wo Mike Rander der Schuh drückte.

»Sir, darf ich Sie zu Ihrer Entschlossenheit beglückwünschen?« fragte er höflich. »Durch die Trennung sind Sie endlich in der Lage, die Ermittlungen vorantreiben zu können.«

»Wie denn, Sie Optimist …!«

»Ich verschwieg Ihnen, daß ich einen interessanten Kontakt herstellen konnte, Sir.«

»Kontakt? Zu wem?«

»Zwei Männer, die ich nicht unbedingt als Mitglieder der guten Gesellschaft bezeichnen würde, luden mich zu einer kleinen Ausfahrt ein, Sir. Es ließ sich im Laufe dieser Fahrt nicht vermeiden, daß ich etwas ärgerlich werden mußte. Kurz und gut, Sir, ich lernte zwei Gangster kennen, die für einen Mister Haddon arbeiten.«

»Momentchen mal, zwei Gangster wollten Sie kidnappen?«

»Auch das, Sir, tatsächlich aber beabsichtigten sie, mich von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Die Namen dieser beiden Herren sind Herrn Haynes und Slim Vrain. Mr. Haddon, ihr Arbeitgeber, ist Besitzer eines Nachtclubs, der sich ›Zur allerletzten Chance‹ nennt. Meine diskreten Ermittlungen ergaben, daß Mr. Haddon ein stadtbekannter Gauner ist.«

»Weiter, Parker, weiter. Mich würde es nicht wundern, wenn Sie den Fall bereits gelöst hätten.«

»Jetzt, Sir, schmeicheln Sie mir aber ungemein«, gestand Parker leicht errötend. »Ich hielt es allerdings für richtig, einige Schlüsse zu ziehen. Wenn diese beiden Gangster von Mr. Haddon engagiert wurden, dann könnte es ja auch sein, daß Mr. Haddon die Herren Irving und Forest für sich arbeiten ließ. Mit anderen Worten, Mr. Haddon könnte der gesuchte Mann sein, der Mr. Arthur Gilpans Leben zerstören will, falls er nicht die gewünschte Lösegeldsumme zahlt.«

»Das liegt auf der Hand, Parker …! Das sind heiße Spuren, die wir sofort verfolgen müssen. Vielleicht wissen wir bereits mehr als Branch.«

»Ich möchte es als sicher unterstellen, Sir. Irving kann nicht mehr reden, da er nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ray Forest, sein Partner, wird der Polizei freiwillig kein Wort sagen. Zudem dürften beide Attentäter in dem Hotel, in dem sie wohnten, nicht kundgetan haben, in welchen Lokalen sie verkehrten. Somit ist der Beweis geliefert, daß wir bereits einen wichtigen Vorsprung besitzen, Sir.«

»Dann also auf zu Haddon …!« schlug Mike Rander vor.

»Und zu Larry Dover, Sir.«

Anwalt Mike Rander stutzte. Im Moment wußte er mit diesem Namennichts anzufangen.

»Mr. Larry Dover ist der Arbeitgeber der Maureen Gilpan, Sir, der ersten Frau des Mr. Arthur Gilpan.«

»Richtig, auch den haben wir ja noch auf der Liste. Auch Dover soll ja ein bekannter Gangster sein.«

»Es wird so behauptet, Sir. Wenn Sie gestatten, würde ich eine gewisse Arbeitsteilung vorschlagen.«

»Und wie stellen Sie sich die vor?«

»Sie könnten vielleicht Kontakt mit Mrs. Maureen Gilpan aufnehmen, Sir, ich hingegen würde Mr. Haddon gern einmal einen Besuch abstatten.«

»Womit Sie sich mal wieder den gefährlichsten Auftrag gesichert haben dürften, wie?« Rander lachte laut auf.

»Sie dürfen nicht übersehen, Sir, daß ich mit den beiden Herren Haynes und Vrain noch zu reden habe.«

»Hauptsache, ich weiß, wo ich Sie zu suchen habe, falls Sie sich in einer Stunde nicht melden.«

»Ich hoffe, Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten zu müssen, Sir. Es wird immer mein Bestreben sein, unauffällig und korrekt zu arbeiten.«

Josuah Parker verbeugte sich höflich und verließ das Zimmer. Er beeilte sich, den Kriegspfad beschreiten zu können. Er hatte das untrügliche Gefühl, daß eine der letzten Runden dieses Falles eingeläutet wurde …!

*

Josuah Parker war einer der ersten Gäste, die Haddons Nachtclub besuchten. Er schüttelte verneinend den Kopf, als die Blondine hinter der Garderobentheke seinen Hut, Mantel und Regenschirm einkassieren wollte. Parker schritt würdevoll wie ein Herzog in die Bar und winkte den arroganten Oberkellner zu sich heran. Diese Geste war derart gekonnt, daß der Oberkellner seine Reserve verlor und mit fliegenden Frackschößen auf Parker zueilte.

»Zu Mr. Haddon …!« sagte Parker knapp. »Beeilung, wenn ich sehr bitten darf …!«

Ein hoher Würdenträger hätte nicht überzeugender reden können. Die Frackschöße schoben sich erneut in Fahrtwind, der Oberkellner stob davon. Josuah Parker musterte gleichgültig die Einrichtung der Bar und folgte dann dem Oberkellner, der bereits hinter einer Schiebetür verschwand.

Parker betrat den langen Korridor, an dessen Ende eine Betontreppe hinauf in die erste Etage führte. Er hörte das Zuschlägen einer Tür, gedämpfte Stimmen und dann wieder Schritte. Als er die Treppe hinter sich ließ, kamen ihm zwei Männer entgegen: der Oberkellner und Herrn Haynes.

Die Adlernase mit dem wachsgelben Gesicht schaltete augenblicklich. Haynes wollte seinen Revolver ziehen und Parker außer Gefecht setzen.

Butler Parker war jedoch wieder einmal schneller. Aus der Zwinge des Universal-Regenschirms glitt blitzschnell und geräuschlos ein wippender und nadelspitzer Degen. Er blieb auf dem Adamsapfel des Gangsters liegen. Haynes rührte sich nicht. Er schielte hinunter zum Stockdegen und wagte nicht zu schlucken.

»Wir wollen diese rohen Dinge doch besser unterlassen«, sagte Parker zu Haynes. »Ich möchte Sie sehr bitten, mich nicht zu Dingen zu verleiten, die ich im Grunde meines Wesens doch sehr hasse.«

Der Oberkellner hörte fasziniert zu, bis er endlich merkte, was gespielt wurde. Da versuchte er im letzten Augenblick, seinen Begleiter aus der Patsche zu ziehen. Der befrackte Oberkellner warf sich auf den Butler, der sich nicht vom Fleck rührte und die Degenspitze vom Adamsapfel des Gegners nicht wegnahm.

»Sehen Sie sich das bitte einmal sehr genau an …!« forderte Parker den Oberkellner auf. Seine Stimme klang nachdrücklich und fordernd. Er streckte seine linke Hand vor und ballte sie zur Faust.

Der Oberkellner legte die Bremsen an und stoppte. Er schob den Kopf vor und starrte auf Parkers Faust.

»Na und …?« fragte er verdutzt.

»Das ist eine Faust«, stellte Parker fest.

»Natürlich, wollen Sie mich auf den Arm nehmen …?« Der Oberkellner wurde wütend.

»Wozu ist die Faust da?« examinierte Parker ihn weiter.

»Wozu wohl schon …? Zum Schlagen natürlich …!« Ganz gegen seinen Willen beantwortete der Oberkellner Parkers Frage.

»Eben«, gab Parker zurück und ließ seine Faust vorschnellen. Sie traf genau den Punkt des Oberkellners. Der Befrackte rollte die Augen, stieß einen dumpfen Seufzer aus und taumelte gegen die Wand. Er war hart im Nehmen, versuchte, gegen die Schwäche seiner Beine anzukommen. Aber Parker, der die Wirkung des Schlages genau berechnet hatte, kümmerte sich nicht weiter um den Oberkellner, der nun tatsächlich in den Knien einknickte und recht unsanft auf dem Boden landete.

»Gehen wir zu Mr. Haddon …!« sagte Parker zu Haynes, der nun vor Angst schwitzte, »ich möchte Sie ebenso höflich wie inständig bitten, keine sogenannten Dummheiten zu begehen. Sie würden mich sonst zwingen, Mittel zu ergreifen, die ich nicht allzu sehr schätze!«

Der Gangster glaubte, einen Verrückten vor sich zu haben. Er dachte an den nadelspitzen Stockdegen, drehte sich vorsichtig um und marschierte auf eine Tür zu, aus der er gekommen war.

»Machen Sie sich korrekt bemerkbar«, forderte Parker den Gangster auf. »Verrat bestrafe ich mit einem leichten Zustechen, prägen Sie sich das bitte ein.«

Der Gangster dachte nicht im Traum daran, Parker aus dem Zimmer herauszuhalten. Hinter der Tür befanden sich immerhin sein Partner Vrain und Haddon, der Chef.

Er pochte in einem bestimmten Rhythmus an. Parker hörte Schritte, dann das Gleiten eines gut geölten Riegels. Vrain riß die Tür auf, erkannte Parker und … wollte nun ebenfalls seine Kanone zu ziehen.

Parker verzichtete erneut darauf, seine Waffe einzusetzen. Mit der linken Hand wirbelte er seine stahlgefütterte Melone gleich einem Diskus durch die Luft. Dieser improvisierte Diskus traf haargenau die Schläfe des Gangsters. Vrain schloß sofort die Augen, fiel rücklings über die Lehne eines Sessels und landete krachend auf dem Teppich.

»Einen recht schönen, guten Tag wünsche ich«, grüßte Parker den Gangsterboß Haddon. »ich bedaure, Sie stören zu müssen, doch zwingen mich gewisse Ermittlungen, unangemeldet erscheinen zu müssen …!«

Haddon, stark und breit wie ein Stier, mit kühnem Gesicht und kalten, blauen Augen, war das, was man so treffend von den Socken nennt. Er erhob sich langsam, stierte Parker an und schluckte. Er kniff die blauen, kalten Augen zusammen und kam um seinen mächtigen Schreibtisch herum.

»Wer sind Sie …?« fragte er, um gleich darauf irritiert den Kopf zu schütteln, »ich wette, Sie sind dieser komische Parker, ja?«

»Ihre Ausdrucksweise entstammt keiner guten Kinderstube«, stellte Parker tadelnd fest. »Mr. Haddon, wenn ich nicht irre?«

»Erraten, Parker. Und was wollen Sie hier?«

»Mir schwebt vor, mit Ihnen über Mr. Arthur Gilpan zu sprechen.«

»Und Sie glauben, daß ich dazu ohne weiteres bereit bin?«

»Selbstverständlich, Mr. Haddon.«

»Mann, Sie sind vielleicht ’ne komische Nudel«, lachte Haddon auf. »Mein Kompliment, Sie haben meine Jungens ganz schön zurechtgestaucht.«

»Nur eine Generalprobe, Mr. Haddon. Ich möchte mich jetzt ungestört mit Ihnen unterhalten.«

»Das ordnen Sie so einfach an?«

»Noch handelt es sich um einen höflichen Vorschlag.«

»Sagen Sie mal, kennen Sie keine Angst? Ich könnte jetzt meine Kanone ziehen …!«

»Bitte, nach Ihnen, Mr. Haddon.«

Der Gangster verlor die Geduld. Er fühlte sich in die Enge getrieben. So hatte ihn noch nie ein Besucher behandelt. Er war entschlossen, das Verfahren abzukürzen. Diesem komischen Burschen wollte er es zeigen.

Blitzesschnell zog er seinen 38er aus dem Schulterholster. Und Haddon war schnell in der Bewegung. Das hatten in der Vergangenheit schon manche Männer spüren müssen.

Josuah Parker war ungewöhnlich leichtsinnig. Er beeilte sich überhaupt nicht, dieser schnellen Bewegung zuvorzukommen. In der rechten Hand lag der Universal-Regenschirm mit dem ausgefahrenen Stockdegen. Die linke Hand ruhte wie absichtslos vor der Brust des Butlers.

Doch so ganz absichtslos war diese Stellung der Hand nicht. Parker hatte nämlich trotz seiner kugelsicheren Nylonweste keine Lust, Haddon als Zielscheibe zu dienen.

Durch einen kaum wahrzunehmenden, leichten Druck auf einen Gummiball unter dem Mantel löste der Butler eine recht reizvolle Kettenreaktion aus.

Durch eine feine Düse zischte ein unglaublich schnell wirkendes Reizgas in Richtung Haddon. Er mußte die Masse dieser Ladung voll nehmen und schlucken. Unvermittelt hustete er, schnappte nach Luft und merkte überhaupt nicht, daß er noch einen 38er in der Hand hielt. Er krümmte sich, badete sein gebräuntes Gesicht in heißen Tränen und taumelte gegen den Schreibtisch.

Josuah Parker zog den Universal-Regenschirm zurück, ließ den Stockdegen zurückspringen und klopfte dem Gangster Vrain recht unsanft auf den Kopf. Dazu benutzte er den bleigefütterten Griff des Schirms. Das Taumeln des Gangsters geschickt ausgenützt, schob er ihn nach draußen auf den Korridor.

Jetzt endlich konnte Parker sich um den Gangsterboß Haddon kümmern, der kraftlos über der Schreibtischplatte hing und immer noch hustete.

»Dieser kleine Schockhusten wird gleich vergehen. Vielleicht versuchen Sie es mit einem Schluck frischer Luft!«

Parker öffnete eines der Fenster und sorgte dafür, daß das Reizgas sich verdünnte. Ihm selbst machte das alles nichts aus. Das hing wohl mit den Giftschwaden seiner spezialgefertigten Zigarren zusammen, die ihn im Laufe der Zeit immun gemacht hatten. Parker ließ sich in einem Sessel nieder und wartete darauf, daß sein Gastgeber wieder verhandlungsfähig wurde. Dabei beobachtete er den Gangster Vrain, der aus seiner Ohnmacht erwachte und sich an einem Sessel hochzog. Als er Parker entdeckte, schnaubte er vor Zorn.

»Hinaus …!« rief Parker ihm leise zu. Der Ton genügte. Vrain verstand die Welt nicht mehr. Er zog den Kopf ein und verschwand dann im Eiltempo hinter der Tür. Nun waren Parker und Haddon nur noch allein im Zimmer.

Haddon hatte sich etwas erholt. Die Wirkung des Reizgases hielt nicht lange an. Er rieb sich die tränenden Augen und wischte sich durch das Gesicht. Seine Beine wackelten allerdings noch immer, als er sich in einen Sessel fallen ließ.

»Kommen wir also zur Sache«, begann Parker höflich und sanft. »Warum, erpressen Sie Mr. Arthur Gilpan? Warum halten Sie es für richtig, mich von Gangstern herumstoßen zu lassen? Bedenken Sie bitte, daß Sie es mit einem alten, schwachen Mann zu tun haben.«

»Alt und schwach?« staunte Haddon laut zurück.

»Warum also all diese Ungesetzlichkeiten, Mr. Haddon? Handeln Sie in fremdem Auftrag? Falls ja, dann bitte ich um den Namen Ihres Auftrag- und Geldgebers.«

»Sind Sie verrückt, Parker …!«

»Woher kennen Sie meinen Namen?«

»Vrain und Haynes sprachen von Ihnen.«

»In welchem Zusammenhang, wenn ich fragen darf?«

»Sie haben es sich doch in den Kopf gesetzt, mich hinter Schloß und Riegel zu bringen.«

»Und warum sollte ich daran interessiert sein?«

»Weil Larry Dover Sie gekauft hat, oder etwa nicht?«

»Mr. Larry Dover und ich kennen uns nicht, Mr. Haddon. Sie dürften falsch informiert worden sein, oder aber Sie belügen mich.«

»Nun, Dover hat Sie doch engagiert!«

»Und was ist mit Arthur Gilpan?«

»Nichts, was soll mit ihm sein?«

»Sie kennen die Herren Irving und Forest nicht?«

»Unsinn, davon habe ich nur in den Zeitungen gelesen.«

»Mit anderen Worten, das Schicksal Mr. Arthur Gilpans ist Ihnen also vollkommen gleichgültig?«

»Natürlich, glauben Sie etwa, ich hätte ihn umlegen wollen? Weshalb sollte ich …? Aber warten Sie mal, Maureen, seine erste Frau, arbeitet doch für Dover. Ob das damit zusammenhängt?«

»Ich werde mir die Freiheit nehmen, diesen Dingen auf den Grund zu gehen, Mr. Haddon. Um mir aber Klarheit zu verschaffen, möchte ich mit Vrain und Haynes sprechen.«

Haddon verstand und drückte auf seinen Klingelknopf, der sich auf der Schreibtischplatte befand. Parker, der sein Gegenüber genau studierte, kam zu dem Schluß, daß Haddon tatsächlich nicht sehr genau und umfassend informiert worden war.

Haddon und Parker warteten auf die beiden Gangster, doch statt ihrer erschien der Oberkellner in der Tür. Er warf Parker einen mehr als scheuen Blick zu.

»Wo stecken Haynes und Vrain?« fragte Haddon nervös.

»Sie haben das Haus verlassen, Sir. Vor wenigen Minuten erst.«

»Ausgeschlossen, doch nicht ohne meine Erlaubnis …! Sehen Sie noch mal nach.«

»Sir, ich habe mich nicht getäuscht. Sie scheinen es sogar sehr eilig gehabt zu haben.«

»Wohin können sie sich gewandt haben?« erkundigte sich Parker in seiner vornehmen und manchmal sehr umständlichen Ausdrucksweise. »Ich möchte fast unterstellen, daß dieser schnelle Weggang einer Flucht nicht ganz unähnlich ist.«

»Die sind abgehauen, weil sie Dreck am Stecken haben«, wütete Haddon los. »Und ich reime mir schon ’ne Menge zusammen. Die haben sich hinter meinem Rücken für ’nen Job kaufen lassen.«

»Wie Irving und Forest …!« sagte Parker, sich an den Oberkellner wendend. »Kennen Sie einen Mr. Norman Irving?«

»Natürlich kenn’ ich den, Sir«, beeilte sich der Oberkellner zu sagen. »Er verkehrte unten in der Bar.«

»Mit wem unterhielt er sich besonders häufig?«

»Mit … mit …« Der Oberkellner unterbrach sich und warf seinem Boß Haddon einen hilfeflehenden Blick zu.

»Los, rücken Sie schon mit der Sprache ’raus«, knurrte Haddon.

»Mit Miss Della Sheridan, Sir …!« gestand nun der Oberkellner.

»Mit Della …? Sind Sie sicher?«

»Vollkommen sicher, Sir.«

»Schwirren Sie ab, holen Sie sie …!«

Der Oberkellner ließ erneut die Frackschöße fliegen und trabte aus dem Zimmer. Parker ertappte sich im letzten Augenblick dabei, daß er sich eine seiner gefürchteten, spezialangefertigten Zigarren anzünden wollte. Um die Gesundheit des Gangsterchefs nicht weiter zu gefährden, mußte er sich aus humanitären Gründen diesen Wunsch versagen.

»Hier geht was hinter meinem Rücken vor«, meinte Haddon nachdenklich. »Hier soll mir was in die Schuhe geschoben werden. Mit diesem Gilpan habe ich überhaupt nichts zu schaffen. An seinem Tod würde ich keinen einzigen Cent verdienen, also wäre er uninteressant für mich.«

»Miss Della ist Ihre Angestellte?«

»Sie schmeißt den Laden da unten.«

»Seit wann kennen Sie die Frau?«

»Ich gabelte sie vor ungefähr einem Jahr auf. Sie war Fotomodell und trieb sich mit einer Malerclique ’rum.«

»Mehr wissen Sie nicht von ihr?«

»Verdammt, habe ich es nötig, mich von Ihnen ausfragen zu lassen?« brüllte Haddon unbeherrscht los. Doch dann ließ er wieder den Kopf sinken und hustete sich die letzten Spuren des Reizgases aus der Lunge.

»Sie wollten meine Frage noch beantworten«, ermahnte Parker ihn sanft.

»Ich weiß nur, daß sie mal verheiratet war oder vielleicht noch ist …! Zuletzt war sie mit einem verrückten Burschen zusammen, der diese Malerclique leitete.«

»Der Name dieses Mannes interessiert mich ungemein.«

»Ich glaube, er hieß Herc Lavrone oder so. Er haust in einem Atelier in der Mulburry Street. Della wird es Ihnen ja gleich sagen können.«

»Sie wohnt jetzt hier im Hause?«

»Natürlich, was dachten denn Sie.«

»Wenn mich nicht alles täuscht, kommt sie bereits, Mr. Haddon.«

Parkers empfindliche Ohren hörten Schritte auf dem Korridor. Die Tür öffnete sich, doch nur der Oberkellner trat ein. Sein Gesicht war weiß wie frische Kreide.

»Fassen Sie sich«, meinte Parker ruhig, als der Oberkellner herumstotterte, »wenn mich nicht alles täuscht, wollen Sie vermelden, daß Miss Della Sheridan ermordet worden ist, ja?«

Der Befragte nickte nur und wischte sich dann den Angstschweiß von der Stirn. Josuah Parker hatte wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen …!

*

Josuah Parker, von Natur aus an allen Dingen immer so interessiert, wollte die Wohnung der ermordeten Della Sheridan ansehen. Er hätte Haddon noch sehr viele Fragen stellen können, doch aus Gründen der Zeitersparnis verzichtete er darauf. Der Besitzer der Allerletzten Chance‹ schloß sich seinem Fußmarsch in Dellas Wohnung an. Zögernd folgte der. Oberkellner. Nach wenigen Minuten befanden sie sich am Tatort und sahen auf Della hinunter, die in verkrampfter Haltung auf einer niedrigen, breiten Couch lag.

Della Sheridan war erschossen worden. Und zwar aus nächster Nähe. Der Einschuß in der Brust deutete darauf hin, daß ihr Mörder ganz dicht vor ihr gestanden haben mußte.

»Was machen wir jetzt?« fragte Haddon nervös. »Polizei im Haus, das hat mir gerade noch gefehlt. Sagen Sie, Parker, könnte man das hier nicht … eh … unter uns erledigen?«

»Wie stellen Sie sich das vor, Mr. Haddon?«

»Ich will offen mit Ihnen reden. Man könnte Della wegschaffen. Dafür werde ich mich natürlich erkenntlich zeigen. Mißverstehen Sie mich nicht, das soll keine Bestechung sein.«

»Sie wurde tatsächlich erst vor wenigen Minuten erschossen«, stellte Parker fest. Auf Haddons Vorschlag ging er gar nicht erst ein. Er schien überhaupt nichts gehört zu haben. »Mr. Haddon, kennen Sie irgendwelche Personen, die Miss Della Sheridan hier in ihrer Wohnung mehr oder weniger regelmäßig besuchten?«

»Ich weiß nicht recht …!« zögerte Haddon und kämpfte mit einer Zigarette, die er sich anzünden wollte. Seine Hände flatterten vor Nervosität.

»Überlegen Sie bitte ganz genau«, forderte Josuah Parker eindringlich. »Es könnte sich von mir aus auch um eine Frau handeln.«

»Wie kommen Sie denn ausgerechnet auf eine Frau? Meinen Sie, Della könnte von einer Freundin erschossen worden sein? Das kann ich mir kaum vorstellen?«

»Sehen Sie sich bitte den gefüllten Aschenbecher an.«

»Na und …?« Haddon beugte sich über den Rauchtisch. Gewiß, er entdeckte einige Zigarettenenden, die mit Lippenstift beschmiert waren.

»Es handelt sich um zwei verschiedene Marken«, redete Parker weiter. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Miss Sheridan zwei so grundverschiedene Marken rauchte.«

»Ich weiß genau, daß Della ägyptische Zigaretten rauchte.«

»Das ist in der Tat recht aufschlußreich«, bemerkte Parker, ohne sich näher dazu zu äußern. Insgeheim aber dachte er an die flache Zigarettenpackung, die er draußen nach dem Attentat auf den Cadillac gefunden hatte. Für ihn war damit ein weiterer Beweis geliefert worden, daß die beiden Gangster Della Sheridan gekannt haben mußten. Einige der Zigarettenstummel entsprachen nämlich genau der draußen gefundenen Packung.

»Diese Players dürften demnach von Miss Sheridans Besuch geraucht worden sein«, meinte Parker nur. »Leider handelte es sich um eine Allerweltsmarke.«

»Zum Henker, was interessieren mich Zigarettenmarken«, brauste Haddon auf. »Wie stehen Sie zu meinem Vorschlag, Parker? Polizei kann ich hier in meinem Haus nicht brauchen.«

»Leider kann ich Ihrem Vorschlag nicht nähertreten«, antwortete der Butler gemessen. »Ich rate Ihnen, die Polizei zu verständigen. Wenden Sie sich an Leutnant Branch von der Mordabteilung. Bei ihm dürften Sie in guten Händen sein.«

»Und Sie?«

»Ich nehme mir die Freiheit, meine Ermittlungen weiter voranzutreiben«, erklärte Josuah Parker. »Ihr freundlicher Hinweis auf Miss Sheridans Vorlieben brachte mich auf einen Gedanken, der, falls er sich als richtig erweist, die Lösung entscheidend beeinflussen wird.«

Höflich grüßend verließ Parker das Mordzimmer und ließ einen sehr verzweifelten und ratlosen Haddon zurück, der ihn am liebsten erwürgt hätte …!

*

»Zum Teufel, was machen wir jetzt?« fragte Haynes seinen Partner Vrain, Sie saßen in einem Buick und fuhren planlos durch die Straßen. »Bei Haddon können wir uns nicht mehr sehen lassen. Er weiß jetzt, daß wir mit Della hinter seinem Rücken arbeiteten.«

»Ich könnte diesen Parker umbringen«, schnaubte Vrain. »Er hat die ganze Sache platzen lassen …!«

»Gegen diesen Kerl ist kein Kraut gewachsen«, resignierte Haynes. »Wie wird Haddon jetzt reagieren? Dürfen wir uns noch bei ihm sehen lassen?«

»Lieber nicht. Du weißt ja, wie schnell er auf die Palme klettert …!«

»Ich denke, wir warten erst mal, bis er sich wieder abgeregt hat. Della wird ihm schon alles auseinandersetzen und wieder friedlich stimmen.«

»Ob wir sie mal anrufen und die Lage peilen?«

»Könnte nicht schaden«, sagte Vrain. »Aber das erledigen wir auf einem Umweg über ihren Freund. Falls Haddon bei Della ist, braucht er uns ja nicht zu hören.«

»Genau das wollte ich Vorschlägen«, erwiderte Haynes. »Der Bursche wohnt ja hier in der Nähe. Mann, mir ist schon bedeutend wohler. Hauptsache, der erste Sturm geht vorüber. Später läßt Haddon immer mit sich reden.«

Die beiden Gangster Vrain und Haynes konnten schließlich nicht wissen, daß sie auf dem besten Weg waren, in die tödliche Falle zu laufen …!

*

Ray Forest stand sich vor dem State Capitol die Beine in den Leib und wartete auf Della. Sheridan. Von Minute zu Minute sank seine Laune tief unter den Nullpunkt. Er hatte eine fürchterliche Wut im Leib und legte sich zurecht, was er Della alles sagen wollte.

Als sie sich aber auch nach einer guten halben Stunde immer noch nicht sehen ließ, riß ihm die Geduld. Er fühlte sich auf den Arm genommen.

Der Kleinen werde ich’s jetzt mal zeigen, knurrte er in sich hinein. So kann man doch mit einem Ray Forest nicht umspringen. Wenn sie nicht kommt, werde ich mal zu ihr gehen und sie in Schwung bringen.

Er zündete sich eine Zigarette an, verließ das behelfsmäßige Versteck neben der großen Taxushecke und jetzt war weit und breit kein Taxi zu sehen. Dadurch verlor er wertvolle Zeit.

Erst an der Einmündung in die Colfax Avenue erwischte er endlich einen Wagen. Er nannte Dellas Adresse. Er wollte sich bis dicht vor ihr Haus bringen lassen, ja, er beabsichtigte sogar, sie zu besuchen. Der Zorn in ihm überdeckte alle Vorsicht.

Es war ein Pech, daß. er ausgerechnet in dem Augenblick vor der Nachtbar erschien, als. die Polizei, herbeigerufen durch Haddon, bereits unterwegs zur Mordstelle war. Doch das konnte Ray Forest ja nicht wissen. Über die Polizei hatte er sich ohnehin stets amüsiert, sie nie ernst genommen.

Er stieg aus dem Wagen, bezahlte den Fahrer und schlenderte an den Aushängekasten der Bar vorbei. Vor dem Eingang zu den oberen Etagen blieb er unschlüssig und. ab wartend stehen. Eine innere Stimme. warnte ihn.

Er ließ die Zigarette zu Boden fallen, trat sie mit dem Absatz aus und suchte auf dem Klingelbrett nach Della Sheridans Namen. Bevor er alles richtig studiert hatte, hörte er knapp hinter sich auf der Fahrbahn das Quietschen von Bremsen. Er drehte sich um, erstarrte …!

Polizei …!

Ray Forest sah den verhaßten Streifenwagen mit dem rotierenden Rotlicht, sah die beiden Uniformierten, die aus dem Wagen kamen und auf die Tür zuhielten, vor der er stand.

In diesem Augenblick verlor er die Nerven. Nun, er mußte ja auch annehmen, die beiden Streifenpolizisten hätten es auf ihn abgesehen.

Automatisch griff er nach seiner Waffe, zerrte sie aus dem Schulterholster und kniete beim Lösen des ersten Schusses nieder. Einer der beiden Beamten griff sich an die Brust, schrie unterdrückt auf und fiel gegen einen Hydranten.

Der zweite Beamte hechtete zur Seite, brachte sich hinter einigen eckigen Mülltonnen in Sicherheit und … schoß zurück. Er schoß sehr gut. Schon der erste Schuß landete dicht über Ray Forests Kopf und schlug ein Stück Putz aus der Mauer.

Forest drückte sich tiefer in die Türnische, er visierte den Beamten an und wartete auf einen glücklichen Schuß. Bis er sich voller Entsetzen des ersten Polizisten erinnerte, der neben dem Hydranten lag.

Noch hatte Forest großes Glück.

Dieser Streifenpolizist hatte bereits seine schwere Dienstwaffe in der Hand, zielte schon auf Forest, doch der Gangster verstand es im letzten Augenblick, sich nach links zu werfen. Der Schuß prallte gegen die Haustür und zwitscherte als Querschläger zurück auf die Straße.

Der Verkehr wurde durch die Schießerei schlagartig lahmgelegt. Die Privatwagen fuhren hastig an den Straßenrand, die Fahrer gingen in Deckung. Fenster wurden zugeschlagen, irgendwo kreischte eine Frau in spitzen, grellen Tönen.

Forest war verwirrt. Er, der stets die Dunkelheit bevorzugte, der nur dann schoß, wenn er im Hinterhalt lag, befand sich nun wie auf einem Präsentierteller.

Unter dem nächsten Schuß zuckte er wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Er spürte sofort den Schmerz in der linken Hüfte. Er schnellte hoch, schoß wie rasend zurück und wollte hinaus auf die Straße flüchten. Ganz zufällig merkte er, daß die Tür hinter ihm aufgeschwungen war.

Ohne lange zu überlegen, stürzte sich Forest in den Hausflur, trat die Tür hinter sich zu und rannte an der Treppe vorbei. Er zerrte an der Glastür zum Hof, stöhnte erleichtert auf, als sie sofort nachgab und lief wie gehetzt in den Hinterhof. Schnell orientierte er sich. Er sah die eng zusammengeschobenen Anbauten und Häuser, hörte Stimmen und Rufe und wollte losrennen. Weit kam er jedoch nicht. Jetzt machte sich die getroffene Hüfte bemerkbar. Von Sekunde zu Sekunde steigerten sich die Schmerzen bis zur Unerträglichkeit.

Nur die Angst, doch noch gefaßt zu werden, trieb ihn weiter. Forest schleppte sich an überquellenden Müllkästen vorbei, stützte sich an schmutzigen Wänden ab und hielt es für ein Wunder, als er sich einen Torweg ausmachte, der hinaus auf eine andere Straße führte.

Mit dem Rest seiner Kraft wollte er sich an einem im Torweg haltenden Stationswagen vorbeizwängen. Dabei hörte er auf etwaige Signale der Streifenwagen. Es war ihm längst klar, daß die Schießerei einen Großalarm ausgelöst hatte.

In der Höhe des Fahrerhauses mußte er sich einen Moment lang ausruhen und nach Luft schnappen. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Ob er nicht mit dem Wagen die Flucht fortsetzen konnte …?

Forest handelte augenblicklich. Er klinkte die Tür auf, zog sich hinauf auf den Sitz und betätigte sofort den Anlasser. Der Motor war gleich da. Forest ließ den beladenen Wagen vorschnellen, schrammte an der Mauer entlang und kurvte in die Straße ein. Noch war der Weg frei. Von einem Streifenwagen konnte er nichts entdecken.

Schon nach wenigen Minuten wußte er sich in Sicherheit. Er wurde nicht verfolgt. Und wer wollte ihn schon hier am Steuer des Stationswagens als Gangster erkennen? Er grinste sogar leicht, doch dieses Grinsen sollte wohl nur die scheußlichen Schmerzen in seiner Hüfte überdecken.

Für ihn gab es nur einen Unterschlupf. Er mußte zurück zu der Frau mit dem blinden Kind. Dort vermutete ihn ganz sicher nicht die Polizei.

Jetzt ließ Forest sich Zeit. Er wollte nicht durch irgendeinen dummen Zufall auffallen und von einer Verkehrsstreife kontrolliert werden. Doch schon nach einer halben Stunde erreichte er das Haus, in dem er sich eingemietet hatte. Im Vorbeifahren sah er, daß die verhärmte Frau hinter der Theke des Würstchenstandes arbeitete. Demnach war nur die blinde Tochter im Haus. Und die konnte ja Gott sei Dank nicht erkennen, was mit ihm los war.

Es klappte alles wunderbar.

Glory Badmon öffnete ihm, erkannte seine Stimme und ließ ihn eintreten. Nun brauchte Forest sich nicht mehr zu verstellen. Er humpelte an der Vierzehnjährigen vorbei und schleppte sich in sein Zimmer. Vollkommen ausgepumpt ließ er sich in einen Sessel fallen und schloß die Augen.

Endlich in Sicherheit, ging es durch seinen Kopf. Das ist ja gerade noch einmal gutgegangen. Und die Geschichte mit der angeschossenen Hüfte wird schon klargehen. Nur nicht den Teufel an die Wand malen …!

*

Butler Parker lüftete seine schwarze Melone, sah das junge Mädchen in Jeans und einfacher Bluse freundlich an und erkundigte sich mit väterlich warmer Stimme, ob er die Ehre mit Miss Carol Gilpan habe.

»Ja, so heiße ich. Aber wer sind Sie und was wollen Sie?« Sie fragte etwas patzig zurück. Welleicht war es aber auch nur Angst, die aus ihr sprach. Parker sah da noch nicht durch.

»Mich schickt Ihre Freundin Della Sheridan«, behauptete er jovial. »Sie meint, Sie könnten mir helfen …!«

»Della hat Sie geschickt?« Sie ging Parker prompt auf den Leim und sah ihn erstaunt an.

»Sie sind gut mit ihr befreundet, nicht wahr?«

»Natürlich, aber wollen Sie mir nicht sagen, was Sie …!«

»Gemach, gemach, liebes Kind«, antwortete Parker, »übrigens meinen tief empfundenen und herzlichen Dank dafür, daß ich nähertreten darf.«

Sie hatte ihn dazu zwar nicht aufgefordert, ließ sich aber noch einmal überrumpeln und gab die Tür frei. Parker passierte den kleinen Korridor und sah sich in dem engen Atelier neugierig um.

»Sehr nett und romantisch«, stellte er fest.

»Nun sagen Sie mir endlich …!«

Parker unterbrach sie mit einer Handbewegung.

»Wann haben Sie Della Sheridan zuletzt gesehen?« wollte er wissen.

»In der vergangenen Nacht.«

»Sie war hier bei Ihnen?«

»Nein, wir trafen uns bei Bekannten.«

»Bei Mrs. Lavrone etwa?« Er lächelte verständnisinnig, »ein sehr guter und vielversprechender Maler. Bei ihm also?«

Sie nickte nur.

»Mr. Lavrone und Della sind eng miteinander befreundet?«

»Ja doch«, gab sie ungeduldig zurück.

»Ist Della etwa mit ihm verheiratet?«

»Aber nein … ihr Mann heißt … Hören Sie, was bezwecken Sie mit diesen Fragen he?«

»Gleich werde ich, wie man so treffend sagt, die Katze aus dem Sack lassen«, entschuldigte sich Parker. »Wie war denn das Verhältnis zwischen Mr. Lavrone und Della? Ich spreche vom gestrigen Treffen? Ich möchte fast annehmen, daß sie etwas gereizt war, wie?«

»Sie gingen bald weg, ich kehrte zurück in mein Atelier.«

»Um noch einmal auf Dellas Ehemann zu kommen, liebes Kind. Wie ist sein Name? Oh, es ist von allerhöchster Wichtigkeit.«

»Ich glaube, er heißt Croydon oder so …!«

»Wie bitte …?« Parker stutzte.

»Croydon, glaube ich.«

»Sie kennen Dellas Mann?«

»Nein, ich habe es mal rein zufällig erfahren.«

»Wann waren Sie zuletzt im Hause Ihres Vaters, Miss Gilpan?«

»Schon seit Monaten nicht mehr … Nun beantworte ich aber keine Frage mehr, bis ich weiß, was Sie wollen.«

»Ich gehe schon, ich gehe schon …!« murmelte Parker. Doch in der Tür drehte er sich noch einmal schnell um. »Wo erreiche ich Mr. Lavrone? Es ist sehr wichtig.«

Sie ließ sich ein drittes Mal hereinlegen und nannte ihm die Adresse. Es handelte sich um das Haus gleich in der Nebenstraße. Parker hatte also nicht weit zu gehen.

»Bei Gelegenheit schaue ich noch einmal herein«, verabschiedete er sich von Carol Gilpan. »Ach richtig, mit Ihrer Mutter haben Sie aber noch Kontakt, ja?«

Wütend nickte Carol.

»Sie kennen auch den Arbeitgeber Ihrer Mutter, Mr. Dover?«

»Ja …!« schrie sie ihn aufgebracht an.

»Sie sind oft bei Ihrer Mutter und Mr. Dover?«

»Ja …«, keuchte Carol und sah nach einem Gegenstand, um ihn Parker über den Schädel schlagen zu können. Doch plötzlich stellte der skurrile Butler keine Fragen mehr, sondern stieg die Treppe hinunter und verschwand auf der Straße. Bevor er sein neues Ziel anlief, telefonierte er mit dem Sloan-Hotel und ließ sich Mike Rander geben, der allerdings leider noch unterwegs war.

Parker legte dem Mann in der Rezeption dringend ans Herz, Mike Rander beim Eintreffen abzufangen und ihm einige Hinweise zu geben, die Parker anschließend kurz und knapp durchgab. Danach hatte der Butler keine Bedenken mehr, sich zum nächsten Besuch zu rüsten …!

*

Josuah Parker zuckte mit keiner Wimper, als er in drei Revolverläufe blickte.

»Ich bedanke mich für die freundliche Begrüßung«, spottete er und nickte einem hohlwangigen, großen Mann zu, dessen Kinn von einem modernen Existentialistenbart bedeckt wurde. Es handelte sich um Herc Lavrone, den Freund Della Sheridans.

Neben ihm hatten sich zwei gute, alte, aber nicht liebe Bekannte aufgebaut, nämlich die beiden Gangster Herrn Haynes und Slim Vrain. Diese drei Männer hielten Parker die Revolver entgegen und hießen ihn eintreten.

»Damit dürfte ich das Ziel meiner Ermittlungen endlich erreicht haben«, redete der Butler weiter. »Wenn mich nicht alles täuscht, Mr. Lavrone, so sind Sie der eigentliche Drahtzieher, der hinter dem Erpressungsversuch an Mr. Arthur Gilpan steht, nicht wahr?«

»Durchaus möglich …! Mich interessiert, wie Sie darauf kommen, Parker?«

»Kombination, mein Bester. Als ich in Erfahrung bringen konnte, daß Della Sheridan mit einem Maler verkehrt, der seinerseits wiederum die Tochter des Erpreßten kennt, da ging mir, wie man im Volksmund so treffend sagt, ein Licht auf. Da wunderte es mich schon nicht mehr, daß Della Sheridans Mann als Fahrer bei Arthur Gilpan arbeitet.«

»Haben Sie schnell ’rausgefunden.«

»Durch Ihre Schuld, Mr. Lavrone. Warum mußten Sie auch Della Sheridan ermorden?«

»Sind Sie sicher, daß ich es war?«

»Aber ja doch, sehen Sie sich mal das blutbefleckte Handgelenk an.«

Auch Lavrone ließ sich von dem Butler täuschen. Obwohl der so altväterlich aussehende Butler kein bestimmtes Handgelenk erwähnt hatte, riß Lavrone seine linke Hand hoch und kontrollierte das Handgelenk. Er schnaubte vor Wut, als er sich hintergangen und überführt fühlte.

Parker hingegen gestattete sich ein unaufdringliches Lächeln.

»Nehmen Sie das nicht besonders tragisch«, riet er seinem Gegenüber. »Vor Gericht werden Sie noch recht oft von Ihren Morden und Mordversuchen reden müssen. Es ist schon richtig, wenn Sie sich bereits jetzt daran gewöhnen.«

»Einen Dreck werde ich tun …! Sie fühlen sich verdammt sicher, Parker.«

»In der Tat, ich überlasse selten etwas dem Zufall.«

»Dann sollen Sie sich diesmal getäuscht haben …!«

»Ich warte auf Ihre Vorschläge, Mr. Lavrone. Erschießen können Sie mich hier in Ihrem Atelier allerdings nicht. Das wissen Sie genausogut wie ich. Der häßliche Lärm würde die lieben Nachbarn nur unnötig erschrecken.«

»Sie werden sich noch wundern, Parker …! Herrn, Slim, los, ’rüber mit ihm in den hinteren Raum …!«

»Einen Augenblick noch«, stoppte Parker die beiden Gangster, die nur darauf warteten, sich an ihm rächen zu können. »Ich weiß nun zwar, wer Norman Irving, Croydon und Della umbringen ließ, oder dies veranlaßte, ich weiß, wer das Attentat auf den Cadillac des Mr. Arthur Gilpan inszenierte, doch ich kenne nicht den wahren Grund, warum Sie so handeln und erpressen konnten, Mr. Lavrone.«

»Ich ließ mir sagen, daß Sie ein schlauer Bursche sind, Parker.«

»Nun ja, ich bedanke mich für dieses recht nette Kompliment«, erwiderte Parker freundlich. »Darf ich annehmen, daß Sie im Besitz von Geheimnissen sind, die aus Mr. Gilpans Vergangenheit stammen, und die jetzt für ihn äußerst unangenehm werden können?«

»Na bitte …!« spottete Lavrone.

»Ich möchte ferner unterstellen, daß Miss Carol Gilpan ganz unbewußt dieses Geheimnis lieferte, nicht wahr?«

»Sie sind tatsächlich schlau und gerissen wie ein Fuchs, Parker.«

»Oh, Sie beschämen mich, Mr. Lavrone. Noch kenne ich dieses Geheimnis ja nicht.«

»Dann will ich Ihnen mal einen Tip geben, Parker«, erklärte Lavrone gönnerhaft. »Als Gilpan noch ein kleiner Kläffer war, plünderte er seine beiden Teilhaber aus. Und der Sohn eines dieser Teilhaber bin ich. Jetzt revanchiere ich mich und staube ab. Das ist das ganze Geheimnis.«

»Die Polizei wäre früher oder später doch dahintergekommen.«

»Oder auch nicht. Denken Sie mal an Gilpans erste Frau. Die läßt sich doch schon wegen Larry Dover sehr leicht belasten. Und dann denken Sie mal an Gilpans Freundin. Die hat ihren festen Freund und dürfte an Gilpans Tod profitieren. Bis die Polizei mich ausfindig gemacht hat, sind alle Spuren längst verwischt!«

»Sehr klug und taktisch geschickt gelöst«, lobte Parker anerkennend. Er lockte Lavrone damit immer mehr aus der Reserve heraus, ohne daß der Verbrecher es merkte. »Della, Ihre Freundin, engagierte die beiden Gangster Forest und Irving, nicht wahr?«

»Das ist jetzt nicht schwer zu erraten …!«

»Aber warum ermordeten Sie Mr. Croydon, Dellas Mann? Wollten Sie neben der Gefahr eines Ausplauderns durch ihn noch einen Konkurrenten um Dellas Gunst ausstechen?«

»Sie sehen gefährlich klar, Parker.« Lavrone lächelte dünn.

»War Carol Gilpan daran beteiligt, als Croydon in Mr. Gilpans Haus eingeschmuggelt wurde?«

»Warum eigentlich …? Das ließ sich auch ohne sie schaffen. Sonst noch Fragen, Parker?«

»Warum Della sterben mußte, ist mir inzwischen auch aufgegangen«, redete Parker freundlich und milde weiter. »Sie fürchteten Verrat, als ich Della aufspürte, zumal weil Haddon keine Ahnung hat, was sich hinter seinem Rücken abspielte, nicht wahr?«

»Wir müßten Ihren Mund schon längst gestopft haben, Parker«, entgegnete Lavrone, doch er nickte bestätigend. Dann zwinkerte er seinen beiden Mitarbeitern zu. Sie verstanden sofort und handelten. Parkers

Arme wurden von Vrain auf den Rücken gezerrt. Haynes baute sich vor dem schutzlosen Parker auf, nahm Maß und holte zu einem fürchterlichen Tiefschlag aus.

Parker sollte von den Beinen und weggeschleppt werden. Der Tod wartete auf ihn. Hatte er sich diesmal in seinem Zeitplan verrechnet? Von Mike Randers Seite aus tat sich nämlich noch immer nichts.

Und nur der junge Anwalt wußte doch, wo sein Butler sich aufhielt.

Lavrone kicherte amüsiert, als Haynes zuschlug und seinen gemeinen Tiefschlag landete …!

*

Der Zustand Ray Forest verschlimmerte sich rapide.

Er hetzte Glory, die blinde Vierzehnjährige, herum und ließ sich Watte, Pflaster und eine desinfizierende Salbe bringen. Er verarztete sich so gut es eben ging, spürte aber bald, daß er sich unbedingt niederlegen mußte. Da sein Durst schon recht groß war, rief er Glory zu sich. Er drückte ihr eine Banknote in die Hand und schickte sie los, eine Flasche Whisky zu holen. Er fluchte, als sie beim Weggehen über den Stuhl stolperte, auf dem seine Sachen und Kleider lagen. Es kümmerte ihn überhaupt nicht, daß sie nicht sehen konnte.

Als er allein war, zündete er sich eine Zigarette an, stützte sich ein Kissen unter und wartete auf Glory. Seine Gedanken schlugen Purzelbaum. Er dachte an die Polizei, an Della Sheridan, die er unbedingt noch anrufen mußte, er dachte an diesen Josuah Parker, der ihn schließlich neben dem zerschellten und brennenden Cadillac gesehen haben wollte.

Fluchend wartete er auf das blinde Mädchen, daß sich sehr viel Zeit ließ. Doch dann hörte er das Öffnen der Tür und die leichten Schritte des Mädchens. Sein Mund war bereits trocken und er spielte mit dem Gedanken, aufzustehen und sich in der Küche Wasser, zu holen.

»Na endlich …!« rief er ihr knurrig entgegen. »Hast du den Whisky erst noch destillieren müssen …!«

»Nein, sie mußte uns erst informieren …!« antwortete eine dunkle, harte Männerstimme.

Forest riß den Kopf herum, wollte aufspringen, fand aber nicht die Kraft dazu. Entsetzt starrte er auf den uniformierten Streifenbeamten, der in der Tür stand und ihn anlächelte.

»Glory hat gleich am Schritt gehört, daß Sie verwundet sind«, erklärte der Polizeibeamte. »Sic roch das Blut und reimte sich zusammen, daß Sie der gesuchte Gangster sind. Die Nachricht geht nämlich ununterbrochen über die Ortssender.«

»Dieses kleine Biest …!« fluchte Forest. »Ich hab’ doch gleich geahnt, daß ich der nicht trauen darf …! Aber noch ist nicht alles verloren, mein Junge …!«

Mit den letzten Worten warf Forest sich unter Mißachtung seiner Schmerzen auf den neben dem Bett stehenden Stuhl und riß seinen Revolver aus dem Holster. Das heißt, er wollte das tun, doch das Futteral war leer.

Der Polizeibeamte lachte leise auf.

»Strengen Sie sich nur nicht unnötig an«, mahnte er Forest. »Glory war so nett, die Waffe aus dem Holster zu ziehen.«

»Aber – aber sie hat das Ding doch gar nicht gesehen …!« Forest war entgeistert.

»Sie hat’s aber gefühlt, als sie über den Stuhl stolperte«, setzte der Polizist ihm auseinander. »Forest, stecken Sie auf. Sie haben keine Chance mehr …!«

Da verlor der Gangster die Nerven. Der Schmerz übermannte ihn. Er schluchzte trocken auf und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Er wußte, daß zumindest einige Jahre Zuchthaus auf ihn warteten. Er war gescheitert an einem blinden Kind, das er niederträchtig behandelt und verachtet hatte.

Willenlos ließ er sich die Handschellen anlegen …!

*

Das triumphierende und widerliche Lachen Lavrones hing noch in der Luft, als der Gangster Haynes entsetzt aufbrüllte. Dieses Brüllen hing durchaus mit seinem gelandeten Tief schlag zusammen. Er brüllte jedoch nicht aus Begeisterung, sondern aus Schmerz. Er starrte auf seine restlos verstauchten Fingerknöchel und ließ die Tränen des Schmerzes aus den Augen tropfen.

»Ich hätte Sie warnen sollen«, meinte Parker bedauernd, »ich pflege stets ein handliches Stahlkorsett zu tragen, wenn ich mich mit Gangstern befasse.«

»Ach nee …«

Gangster Slim Vrain fühlte sich unnötigerweise veranlaßt, seinerseits in Aktion zu treten und die Schmach seines Partners zu rächen. Er sah den Hals des Butlers vor sich, holte mit der Handkante aus und schlug gekonnt zu.

Parker mußte das geahnt haben. Im letzten Augenblick nämlich zog er den Hals wie ein Periskop ein. Er verschwand hinter dem frisch gestärkten, weißen Eckkragen.

Nun brüllte auch Gangster Vrain. Das heißt, er brüllte eigentlich nicht, sondern wimmerte nur wie ein hungriger Säugling. Auch er starrte auf seine völlig demolierte Hand, die vorerst nicht mehr zu verwenden war.

»Richtig, ich trage ja auch in gewissen Fällen Kragen mit Chromstahleinlagen«, entschuldigte der Butler sich noch einmal. »Sie ahnen nicht, meine Herren, wie wenig ich das bedaure …!«

Lavrone faßte sich. Er hielt ja noch den schußbereiten Revolver in der Hand. Ohne seine beiden Helfershelfer fühlte er sich einsam und verlassen. Und da Parker den Universal-Regenschirm hob, kam er sich angegriffen vor.

Herc Lavrone feuerte …!

Hell peitschte der Schuß auf. Parker taumelte, schwankte und fiel gegen die Wand. Er rutschte zu Boden und blieb unbeweglich liegen.

Lavrone lachte leise.

»Na also«, sagte er zu seinen beiden wimmernden Partnern. »Unverwundbar ist der gerade nicht …! Ihr laßt euch eben nur ins Bockshorn jagen, ihr Flaschen …!«

»Und jetzt?« stöhnte Vrain.

»Jetzt mach’ ich reinen Tisch«, antwortete Lavrone. »Ich breche alle Brücken ab.«

»Was soll das heißen?« rief Haynes mißtrauisch. »Lavrone, nimm die Kanone ’runter! Nein … nein … das darfst du doch nicht …! Ahhh …!«

Lavrone schoß noch einmal.

Haynes riß die Augen erstaunt auf, stöhnte dumpf und fiel dann wie ein gefällter Baum zu Boden.

Slim Vrain ahnte, daß er jetzt an der Reihe war. Blitzschnell warf er sich zur Seite, verschwand hinter einem Wandschirm und flüchtete ins Nebenzimmer.

Lavrone fluchte. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Doch er faßte sich wieder sehr schnell. Sollte Vrain doch zum Teufel gehen. Hauptsache, er konnte sich noch rechtzeitig absetzen.

Dazu fehlte ihm allerdings der Inhalt eines kleinen Wandschranks. Hastig öffnete er ihn, schaufelte Banknoten in seine Taschen und fuhr wie der Blitz herum, als ihm ein Finger auf die Schulter tippte.

»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie flüchten wollen«, sagte Parker vorwurfsvoll. »Wollen Sie Ihren Henker enttäuschen, Lavrone? Er wartet schon auf Sie …!«

»Sie … Sie sind doch tot …!« ächzte der Verbrecher.

»Aber nein, welche Übertreibung«, gab Parker zurück. »Ich will zugeben, daß selbst das Panzerhemd aus Chromnickelstahl und die schußsichere Nylonweste nicht vollkommen ausreichten, den Aufprall des Geschosses derart zu dämpfen, daß ich stehenbleiben konnte. Doch nach einer kurzfristigen Atempause bin ich nun wieder durchaus in der Lage, für Ihre Verhaftung zu sorgen. Da Ihr Geständnis bereits vorliegt, dürfte es keine Komplikationen geben.«

In diesem Augenblick rissen Lavrones Nerven. Er konnte einfach nicht mehr. Er schnappte nach Luft wie ein Weihnachtskarpfen, der aus dem Wasser genommen wurde. Er bekam so etwas wie einen mittelschweren Herzklaps und ratschte haltlos in sich zusammen. Parker, höflich wie immer, trat zur Seite, um diesen Fäll nicht ohne Erlaubnis zu stören. Der Boden dröhnte, als der Verbrecher aufschlug.

»Die Jugend von heute hat eben keine Nerven mehr«, bemerkte Parker mißbilligend. »Ich bin doch sehr gespannt, wie Mr. Vrain reagieren wird.«

Parker holte seinen vorsintflutlichen Colt aus dem Mantel und zertrümmerte mit seinem Mörser das Türschloß. Er rechnete damit, Vrain könnte zurückschießen, sich mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Doch das Zimmer war leer. Vrain hatte sich durch eines der beiden Fenster abgesetzt.

»Peinlich, sehr peinlich«, murmelte Parker, »das ist ein Schönheitsfehler, den ich nicht besonders schätze …!«

Er ging zurück in das Hauptatelier, sah plötzlich, daß die Tür geöffnet wurde und entdeckte Mike Rander, der reichlich erschöpft auf der Bildfläche erschien.

»Alles in Ordnung?« rief Rander seinem Butler zu. »Ich konnte jetzt erst kommen.«

»Alles in Ordnung, Sir, bis auf einen Gangster namens Vrain, der mir leider durch einen unglücklichen Zufall entwischen konnte.«

»Wenn es nur das ist …!« Rander grinste spitzbübisch. »Den können Sie unten vor einem Streifenwagen besichtigen, Parker. Er läßt sich gerade seine zertrümmerte. Hand, verbinden. Ich wette, er hat nicht mit einer Ihrer Stahleinlagen gerechnet, wie?«

»In der Tat, Sir …! Ich kam einfach nicht mehr dazu, den Herrn zu warnen.«

»Wenn Sie jetzt noch sagen, daß Ihnen das ungemein peinlich ist, bin ich bedient.« Rander lachte lauter.

»Gewiß, Sir, Sie wissen, wie sehr ich Auseinandersetzungen dieser Art hasse.«

»Und was ist bei allem herausgekommen?«

»Mr. Lavrone legte mir gegenüber ein Geständnis ab, Sir. Wenn ich damit dienen darf …?« Parker griff in eine seiner unergründlichen Manteltaschen und förderte ein Minifon, ein superkleines Tonbandgerät, zutage, auf dem er seine Unterhaltung mit dem Verbrecher wortgetreu festgehalten hatte.

»Also wieder einmal Maßarbeit, Parker«, entgegnete Mike Rander und sah erstaunt hoch, als Parker sich verbeugte. »Was ist? Wollen Sie gehen?«

»Sir, wenn Sie gestatten, möchte ich eine meiner Zigarren rauchen. Drüben im Nebenzimmer; denn ich unterstelle, daß die Polizei gleich hier oben ein treffen wird.«

»Stimmt, und sie besitzt keine Gasmaske … Gehen Sie, Parker, erholen und entspannen Sie sich. Denken Sie daran, daß sich nur wenige Meilen von hier ein Erholungspark befindet. Blasen Sie den Zigarrenrauch am besten steil gegen den Himmel.«

Josuah Parker verbarg seine innere Entrüstung, verbeugte sich noch einmal und überließ sich seinen Neigungen. Er hörte bald darauf Stimmen im Nebenzimmer und konnte nicht verhindern, daß gewisse Rauchteile durch die Türritzen krochen und das Nebenzimmer erreichten.

Erst als dort ein gewaltiges Hüsteln und Husten anhob, kam Parker zu dem Schluß, das könne wohl mit seiner Zigarre Zusammenhängen. Parker löschte sie, steckte den Rest zurück in das Etui und ging ins Nebenzimmer.

Erstaunt blieb er stehen. Er sah gerade noch den Rücken eines fliehenden Polizeibeamten. Auf dem Tisch lag ein Zettel. Parker erkannte die Schrift. Sie stammte von Mike Rander.

»Lüften Sie die Räume, bevor Sie gehen«, stand dort, »die Beamten der Ermittlung möchten heute noch mit der Arbeit beginnen. Erwarte Sie im Hotel, glaube, daß neuer Auftrag auf uns wartet.«

Parkers Gemessenheit verwandelte sich augenblicklich in einen wilden Spurt. Ein neuer Fall, das war Musik in seinen Ohren …

– ENDE –

Butler Parker Paket 1 – Kriminalroman

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