Читать книгу Butler Parker Paket 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 15

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Pünktlich um 23.15 Uhr legte Ben Walton, ein gutgekleideter, etwa 50jähriger Mann, den kleinen Hebel am Verstärkergerät um. Er richtete sich erwartungsvoll auf, strich sich nervös über das bereits schüttere Haar und rückte sich die goldgefaßte Brille zurecht. Sein prüfender Blick glitt über die Männer, die am langen Konferenztisch saßen und ihre mehr oder weniger ausdrucksvollen Köpfe erwartungsvoll zum Lautsprecher hoben, der über dem Verstärker angebracht war. Das nervöse Räuspern und Hüsteln erstarb, als das Freizeichen ertönte und ankündigte, daß von auswärts angerufen wurde.

Diese Konferenz hinter sorgsam zugezogenen Fenstern fand in einem Raum der »Barner-Import« statt, einer Firma im Handelszentrum von Chicago. Seit gut zehn Minuten warteten die zehn Männer auf dieses Gespräch. Versammelt hatten sie sich bereits vor einer halben Stunde. Wer eine Einladung zu solch einer Konferenz erhielt, war pünktlich und erschien auf die Minute genau.

Ben Walton zuckte bereits nach dem ersten Läuten des Telefons zusammen, griff eilfertig nach dem Hörer und meldete sich.

»Mit wem spreche ich?« erkundigte er sich mit überhöflicher Stimme.

»Hier spricht der ›Bankhalter‹, Mr. Walton«, tönte es aus dem Lautsprecher, der an den Telefonapparat angeschlossen war. »Alles versammelt?«

»Selbstverständlich, Sir, ohne Ausnahme.«

»Wie ist die Verständigung?«

»Ausgezeichnet, Sir.« Ben Walton verbeugte sich sicherheitshalber, obwohl sein Gesprächspartner es ganz sicher nicht sehen konnte.

»Dann also zur Sache«, übernahm der »Bankhalter« das Gespräch. Seine Stimme klang scharf und schneidend wie ein frisch geschliffenes Rasiermesser. »Die eingereichten Abrechnungen ergeben, daß die Außenstände zu groß geworden sind. Ich habe erhebliche Terminüberschreitungen einiger unserer Kunden festgestellt. Das darf nicht einreißen. Die Schuldner müssen pünktlich zahlen, sonst verlieren wir an Glaubwürdigkeit und werden nicht mehr ernst genommen. Alle Außenstände sind innerhalb von drei Tagen einzutreiben. Ohne Rücksicht auf Namen und Person. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.«

»Selbstverständlich, Sir.« Ben Walton bekam einen roten Kopf und strich sich erneut über das schüttere Haar.

»Ihr Haar sitzt ausgezeichnet«, spottete die messerscharfe Stimme des »Bankhalters«. »Sie brauchen sich auch nicht unentwegt zu verbeugen. Ich mache mir nichts daraus. Sorgen Sie als Sekretär unserer Vereinigung lieber dafür, daß die Statuten eingehalten werden.«

»Gewiß, Sir, ganz gewiß …!« Gegen seinen Willen verbeugte sich Ben Walton und erntete dafür ein verstecktes Grinsen seiner zehn geladenen Gäste.

»Nach dieser heiteren Einlage wieder zur Sache«, ermahnte die eiskalte und unheimliche Stimme aus dem Lautsprecher. »Mir fällt auf, daß unser Kundenkreis kaum vergrößert wird, dabei ist es doch eine Tatsache, daß gerade wir Geldverleiher eine erfreuliche Konjunktur verzeichnen können. Ich erwarte also, daß der Umsatz der einzelnen Filialen wesentlich gesteigert wird. Wie, das ist Ihre Sache.«

Ben Walton sah seine Gäste strafend an, als habe er gerade gesprochen. Doch keiner der Männer achtete auf ihn. Wie hypnotisiert starrten sie alle auf den Lautsprecher.

»Nun zu einem Übelstand, der lebensgefährlich ist.« Die Stimme des »Bankhalters« klang plötzlich leise und wirkte dadurch vielleicht noch gefährlicher als vorher. »Ich habe in Erfahrung bringen können, daß gewisse Filialleiter mit vorzeitig zurückgezahltem Geld eigene Geschäfte machen oder Abrechnungen fälschen. Das ist in jedem Falle tödlich. Nur mit einer guten Geschäftsmoral sind wir in der Lage, den Nachstellungen der Behörden zu trotzen. Rechnen Sie ab sofort mit Stichproben meiner Prüfer. Wo Mißstände festgestellt werden, ist mit strengen Bestrafungen zu rechnen. Ich danke Ihnen für Ihr pünktliches Erscheinen, Ende.«

In der Leitung knackte es, dann war das Freizeichen zu hören. Ben Walton, der Sekretär der Vereinigung, schaltete den Verstärker ab und legte den Telefonhörer auf. Etwas unsicher sah er seine Gäste an, die ihre Stühle rückten und aufstanden. Sie unterhielten sich leise und standen noch ganz unter dem Eindruck ihres Chefs, dessen Stimme bereits genügte, sie an die Kette zu legen.

Ben Walton baute den Verstärker ab und packte ihn in einen kleinen Lederkoffer. Ohne sich um die zehn Männer weiter zu kümmern, schritt er auf den Ausgang zu und verließ das Konferenzzimmer.

Mark Steffens, ein vierschrötiger Mann von etwa 40 Jahren, lockerte sich die zu eng gewordene Krawatte und zündete sich eine Zigarette an. Dankbar nahm er die flache Hüftflasche Joe Harms’ entgegen und setzte sie an seinen Mund. Er stöhnte auf, als der Whisky sich durch seine trockene Kehle hinunter in den Magen fraß.

»Laß’ mir auch ’nen Schluck«, mahnte Harms, ein schmaler, zäh aussehender Mann von 35 Jahren. »Der Chef hat ja mal wieder ganz schön auf die Tube gedrückt, wie?«

»Na, wenn schon …!« Mark Steffens grinste und tat unbeeindruckt. »Der hat gut reden, wir schuften uns ab und er steckt den Löwenanteil ein.«

»Ohne sein Geld könnten wir keinen Cent verleihen.«

»Ach, zum Teufel …!« Mark Steffens schmeckte die Zigarette plötzlich nicht mehr. »Wie’n Schuljunge kommt man sich vor. Immer diese Stimme aus dem Lautsprecher. Früher, als ich noch für die Ralker-Gang arbeitete, da wußte man wenigstens, wer der Boß ist. Aber jetzt …«

»Hauptsache, wir verdienen …!« Joe Harms dämpfte seine Stimme und sah seinen Bekannten nach, die den Saal verließen. »An deiner Stelle würde ich das Maul nicht so voll nehmen. Wer weiß, wer für den ›Bankhalter‹ spitzelt …?«

»Komm, hauen wir ab …!« Mark Steffens nahm noch einen Schluck aus der Flasche und stieß seinen Freund Harms an. Sie mußten im Korridor warten, bis der Lift wieder nach oben kam. Dann stiegen sie ein und fuhren ebenfalls hinunter in die Tiefgarage, wo ihre Wagen standen.

»Komisch, wie der Boß uns alle sieht«, meinte Harms während der Fahrt. »Hast du gesehen, wie nervös Walton wurde?«

»Na wenn schon, Fernsehkamera …!« Mark Steffens schien es genau zu wissen, so redete er wenigstens. »Mit diesen Mätzchen will der Chef uns doch nur bluffen.«

»Meinst du wirklich, der hätt’ ’ne Fernsehkamera eingebaut?«

»Ganz sicher, Joe. Ist doch heutzutage ’ne Kleinigkeit. Ich wette, der ›Bankhalter‹ hat sich in ’nem Nebenraum aufgehalten, als er mit uns sprach.«

»Aber wir treffen uns doch jedesmal in ’nem anderen Raum, in ’nem anderen Haus.«

»Hast du ’ne Ahnung, wie schnell man ein tragbares Fernsehgerät aufbauen kann. Walton könnte uns mehr darüber sagen, aber der hält ja seinen Mund.«

Sie erreichten inzwischen die Tiefgarage und stiegen aus. Joe Harms übernahm die Führung. In dem niedrigen Kellergewölbe brannten nur einige mit Drahtkörben gesicherte Notlampen. Ihre Schritte klangen hohl. Weit vorn an der Rampe, die hinaus auf die Straße führte, bewegten sich die Wagen ihrer Freunde aus den anderen Stadtbezirken.

Plötzlich blieb Joe Harms wie angewurzelt stehen. Zu beiden Seiten seines Wagens tauchten zwei Männer auf, die schwarze Gesichtsmasken tragen. Ihre Maschinenpistolen lagen im Hüftanschlag.

Mark Steffens, reaktionsschneller als sein Partner Harms, ergriff sofort die Flucht. Er duckte sich, warf sich zur Seite und lief in Deckung der abgestellten Wagen in die Dunkelheit hinein. Die beiden maskierten Männer kümmerten sich nicht weiter um Harms, sondern nahmen die Verfolgung von Mark Steffens auf.

Joe Harms fühlte die dicken Schweißtropfen auf seiner Stirn. Sekundenlang war er nicht fähig, auch nur einen einzigen Schritt zu tun. Dann aber, als seine Beklemmung sich löste, lief er schnell wie ein Wiesel auf seinen Wagen zu. Er wollte sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringen.

Kein Mensch hinderte ihn daran, zur Rampe zu fahren. Daß er beim Einbiegen einen Wagen rammte und dessen hinteren Kotflügel zerschrammte, merkte er gar nicht. Noch immer sah er die beiden maskierten Männer vor sich. Er wußte, daß sie zur internen Polizei ihrer Vereinigung gehörten. So wenigstens wurden sie immer vom »Bankhalter« genannt. Wo sie auftauchten, blieben Tote zurück.

Unwirsch stieg er in die Bremsen, als ihn hart vor der Rampe Ben Walton abwinkte.

»Was ist …?« fragte Joe Harms nervös durch die noch geöffnete Wagenscheibe.

»Joe Harms, Sie werden Mark Steffens’ Filiale bis zur Neubesetzung übernehmen«, erklärte der Sekretär der Geldverleiher.

»Ja, natürlich … Aber was ist denn mit Steffens …?«

»Sie haben nichts gesehen und werden auch nichts hören«, schärfte Ben Walton ihm ein. »Fragen unserer Freunde gehen Sie aus dem Weg, ist das klar?«

»Mark Steffens …?«

»Mark Steffens ist nicht mehr …!« bestätigte Ben Walton, dessen weitere Worte im Aufbellen einer Maschinenpistole untergingen.

Joe Harms stöhnte leise auf, kuppelte ein und gab Gas. Wie von Furien gehetzt, fegte er über die steile Rampe hinauf zur Straße und verschwand.

Ben Walton lächelte andächtig und strich sich über sein Haar. Er war sicher, daß die Vereinigung recht schnell wieder auf Vordermann gebracht wurde …!

*

»Ihr Benehmen läßt den Schluß zu, daß Sie nur wenige Stunden in Ihrer Kinderstube verweilten.« Josuah Parker sah seinen grobschlächtigen Besucher mißbilligend an und trat zur Seite.

Herm Lazer, etwas über 30 Jahre alt, ehemaliger Boxer und nun Mitglied der Vereinigung der Geldverleiher, schmetterte die Tür hinter sich zu und ließ sich in einen jener billigen Strohsessel fallen, die am Fenster standen.

»Mann, Sie haben?s nötig«, sagte er grinsend. »Wie steht’s nun mit den Flocken, he? Sie hätten schon vor einer Woche zurückzahlen müssen.«

»Ich bin zur Zeit das, was der Volksmund klamm nennt«, antwortete Butler Parker würdevoll. »Eine vorübergehende Erscheinung, die ich persönlich ungemein bedauere.«

»Sparen Sie sich Ihre Sprüche bloß auf …!« schnaufte Herm Lazer. »Sie schulden uns runde 500 Dollar. Und die sind bis Mittag hier auf dem Tisch, ist das klar?«

»Sie werden sich wegen solch einer kleinen Summe doch nicht erregen«, meinte Parker vorwurfsvoll. »Seien Sie versichert, daß ich das Geld zurückzahlen werde.«

»Eben, und zwar bis Mittag.«

»Ich fürchte, daß das nicht gehen wird, Mr. Lazer. Gewisse Beträge, mit denen ich fest rechnete, sind leider nicht hereingekommen.«

»Wie Sie das Geld herbeischaffen, ist Ihre Sache, Parker. Bis Mittag sind die Flocken hier auf dem Tisch. Und wenn das nicht klappt, sehe ich schwarz für Sie.«

»Ich möchte Sie bitten, sich etwas deutlicher auszudrücken.« Josuah Parker, korrekt gekleidet wie immer, verlieh dem schäbigen Mietraum den Glanz eines Fürstenapartments. Und dabei hauste er nur in einem billigen möblierten Raum in der Hubbard Street. Im Haus nannten sie ihn nur den »Butler« und wußten, daß Parker wegen irgendeiner dunklen Affäre seinen Dienst als hochherrschaftlicher Butler hatte aufgeben müssen.

»Schön, ich werde mich deutlich ausdrücken.« Herm Lazer massierte sich sein linkes Blumenkohlohr. »Vor vier Wochen haben Sie sich 300 Dollar geliehen, stimmt doch, oder?«

»Das entspricht genau den Tatsachen.«

»Schön, daß Sie sich wenigstens daran erinnern, Parker. Und vor genau einer Woche mußten Sie 400 Dollar zurückzahlen, stimmt doch auch, oder?«

»Allerdings, ich bin nicht in der Lage, das abzustreiten.«

»Inzwischen sind daraus 500 Dollar geworden, von wegen Zinsen und so …! Und diese Flocken will ich heute mittag sehen. Sollten Sie das Geld nicht haben, werden wir Ihnen mal Pünktlichkeit beibringen.«

»Sie wollen doch nicht etwa …?« Parker unterbrach sich und fuhr sich mit dem Zeigefinger hinter seinen schneeweißen steifen Eckkragen, als sei er ihm plötzlich viel zu eng geworden.

»Wir werden ein Exempel statuieren, Parker, jawohl, das werden wir!« Herm Lazer sprach das Fremdwort »statuieren« sehr vorsichtig aus, um nur ja keinen Fehler zu begehen. »Wir werden Sie so verprügeln, daß Sie vor Freude nach ’nem Krankenhaus brüllen. Wir wollen mal sehen, wie die anderen Schuldner hier in der Straße dann spuren werden.«

»Darf ich fragen, warum ausgerechnet ich dieses Exempel abgeben soll?« Josuah Parker sah seinen Gast verständnislos an. »Ich bin ein schwacher, alter Mann, verstehen Sie? Sie werden mich doch nicht etwa …!«

»Was wir werden, das müssen Sie uns überlassen, Parker.« Herm Lazer stand auf und grinste tückisch. »Sie haben noch drei Stunden Zeit, Alter. Dann werden Sie mir die 500 Piepen auf den Tisch des Hauses blättern.«

Herm Lazer ging zur Tür und öffnete sie. Er drehte sich noch mal zu Parker um.

»Versuchen Sie nur nicht, sich abzusetzen«, warnte er Josuah Parker. »Einer meiner Leute bewacht das Haus. In meinem Verein herrscht Ordnung, verlassen Sie sich darauf!«

»Ein alter Mann wie ich würde wohl schwerlich die Kraft aufbringen, die Flucht zu ergreifen.« Parkers Stimme klang gefaßt, aber doch auch eine Spur müde. Er glich einem Mann, der am Ende seiner Kräfte ist und das auch weiß. Herm Lazer knallte die Tür hinter sich zu und stieg die Treppe hinunter. Als er auf der Straße war, nickte er einem jungen, höchstens 20 Jahre alten Mann zu, der enge Jeans und weiße Gummischuhe trug.

Parker, der am Fenster stand und diese Szene beobachtete, wußte nun ganz genau, daß Herm Lazer nicht übertrieben hatte. Ab sofort stand er unter Bewachung …!

*

Leutnant Branch vom Morddezernat stutzte, als Anwalt Mike Rander die Tür öffnete.

»Die Welt stürzt ein«, meinte er anzüglich. »Sollte Ihr Butler etwa krank sein oder gekündigt haben?«

»Parker hat seinen Jahresurlaub genommen«, antwortete der sympathische Anwalt lächelnd. »Kam für mich auch ganz überraschend.«

»Haben Sie eine Ahnung, wo er sich herumtreibt?«

»Er schwieg sich wie immer aus, Leutnant. Übrigens möchte ich wetten, daß Sie nicht ganz zufällig hier bei mir vorbeikommen.«

»Stimmt, ich wollte nur mal sehen, was Ihr Butler so treibt.«

»Ich sagte Ihnen ja schon, er nahm seinen Jahresurlaub.«

»Sind Sie sicher, daß er die Stadt verlassen hat?«

»Bei Parker bin ich eigentlich niemals sicher, Branch. Glauben Sie, daß er was ausgefressen hat?«

»Haben Sie die Schlagzeilen der Zeitungen gelesen?« wechselte Leutnant Branch das Thema, ohne Mike Randers Frage zu beantworten.

»Sie spielen auf die ›Juicemen‹ an?«

»Richtig, ich meine die Geldverleiher.«

»Übrigens ein treffender Ausdruck, wie? Diese Gangster verleihen ›Saft‹, damit arme Teufel sich über Wasser halten können. Daß sie dafür horrende Zinsen einstreichen, wird von den Geldnehmern meist übersehen.«

»In Kreisen dieser ›Juicemen‹ scheint in letzter Zeit aber allerhand los zu sein, Leutnant.«

»Genau ausgedrückt, Rander, wurden in den vergangenen 6 Tagen vier dieser illegalen Geldverleiher ermordet. Entweder handelt es sich dabei um interne Streitigkeiten der Gangster, oder irgendein Unbekannter hat den Geldverleihern den Kampf angesagt.«

»Jetzt geht mir ein Licht auf, warum Sie meinem Butler einen Besuch abstatten wollten.« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Sie wissen doch, Branch, daß Parker nur sehr ungern schießt.«

»Ich gebe zu, daß diese Schießereien nicht nach Parker aussehen«, räumte der Leutnant ein. »Auf der anderen Seite weiß Ihr Butler zu treffen, wenn er angegriffen wird. Alle vier bisher erschossenen Geldverleiher sind ausgekochte und harte Gangster, die uns gut bekannt sind. Gegen solche Leute kommt nur ein Mann auf, der sich in dieser Branche auskennt.«

»Parker hätte sich bei mir bestimmt gemeldet«, erwiderte Anwalt Mike Rander. »Ich gebe zu, daß er gerade in den vergangenen Tagen die Zeitungen sehr intensiv studierte. Er deutete auch an, diesen Gangstern müsse das Handwerk gelegt werden.«

»Na bitte, Rander, da haben wir es doch …! Parker interessierte sich für diesen Fall. Für mich heißt das, daß er den ›Juicemen‹ den Kampf angesagt hat.«

»Ist schon drin«, lächelte Mike Rander. »Doch wie gesagt, Branch, Parker ist kein Revolverheld, der mit rauchender Pistole herumläuft. Falls er den Geldverleihern wirklich auf den Pelz gerückt ist, so hat er bisher keinen Schuß abgefeuert. In solch einem Fall hätte er sich bei mir gemeldet.«

»Sollte Parker sich melden, so schärfen Sie ihm ein, daß er keine Extratouren reiten darf. Ich würde sonst verdammt sauer reagieren. Wir vom Morddezernat sind selbst hinter den ›Juicemen‹ her. Ich möchte meine Ermittlungen nicht stören lassen.«

»Gut, in Ordnung. Sollte Parker sich noch melden, werde ich ihm alles ausrichten, Leutnant. Jetzt zufrieden?«

»Zufrieden bin ich erst, wenn diese Geldverleiher ausgespielt haben«, antwortete Leutnant Branch. »Sie sind wie eine moderne Pest. Sie sollten unsere Akten mal einsehen. Diese Gangster lassen die Banknoten großzügig flattern und verteilen sie unter das Volk. Wie gern schnappt irgendein Mensch, dem das Wasser bis zum Halse steht, nach solch einem Rettungsanker und leiht sich Geld aus. Damit sitzt er aber bereits in der Falle. Er muß nicht nur zurückzahlen, sondern auch die horrenden Zinsen tragen. Und pünktlich auf die Minute, erwarten diese ›Juicemen‹ ihr Geld zurück. Wer nicht spurt, wird zusammengeschlagen und landet im Krankenhaus. Nach solch einer Behandlung treiben die säumigen Schuldner jeden Cent zusammen, den sie erwischen können. Sie lösen ihre Haushalte oder Geschäfte auf, sie pumpen sich neues Geld und werden sogar zu verzweifelten Dieben, nur aus der Angst heraus, noch einmal ›behandelt‹ zu werden. Selbstmorde kommen unter den Schuldnern immer wieder vor. Diese Gangster sind in meinen Augen genauso gefährlich wie Rauschgifthändler, Rander …!«

»Die ›Juicemen‹ sind demnach also straff organisiert, wie?«

»Selbstverständlich, Rander. Sie brauchen vor allen Dingen einen Mann, der das auszuleihende Geld zur Verfügung stellt. Es handelt sich dabei natürlich um immense Summen, wie Sie sich vorstellen können. Wir kennen Fälle, in denen die Gangster das Leihgeld förmlich aufzwingen.«

»Wie soll ich das verstehen?« Mike Rander sah seinen Gesprächspartner interessiert an.

»Nehmen wir zum Beispiel einen Geschäftsmann, dessen Laden bestens floriert. Der Mann braucht wirklich kein Geld, weil er rund kommt. Nun taucht ein ›Juicemen‹ auf und will Geld verleihen. Der Geschäftsmann lehnt ab, weil er flüssig ist. Nach einem kurzen, informatorischen Gespräch aber läßt er sich, sagen wir, 1000 Dollar aufnötigen. Nimmt er das Geld nicht an, unterschreibt er nicht den Schuldschein, dann wird sein Geschäft plötzlich nicht mehr florieren, weil es entweder kurz und klein geschlagen wird, ausbrennt oder die Kunden angerempelt werden.«

»Ich möchte annehmen, Branch, daß Sie bereits einiges Material über diese Gangster zusammengetragen haben, wie?«

»Wir wissen von einer einzigen Organisation, die sich hier in Chicago eingenistet hat. Der Anführer dieser Bande ist leider unbekannt. Wir können noch nicht mal mit Vermutungen operieren. Selbst die kleinen Handlanger sind uns meist unbekannt. Verständlicherweise schweigen sich die Kunden aus. Sie getrauen sich einfach nicht, auch nur einen einzigen Tip zu liefern.«

»Sie besitzen doch V-Männer, die Ihnen Informationen liefern, nicht wahr?«

»Selbst diese Leute kommen nicht weiter. Die Angst vor den ›Juicemen‹ ist einfach zu groß. Sie sollten sich einmal die Leute ansehen, die von diesen Schlägern bestraft wurden. Es handelt sich durchweg um scheußliche Verletzungen. Um aber wieder auf Ihren sagenhaften Butler zurückzukommen, Rander. Falls er die ›Juicemen‹ wirklich ausheben will, so wird er sich diesmal die Zähne ausbeißen, verlassen Sie sich darauf. Parker wird seinen Meister finden. Diesen Männern ist auch er nicht gewachsen …!«

»Sollte Parker sich noch in der Stadt aufhalten, sollte er es sich in den Kopf gesetzt haben, die ›Juicemen‹ auffliegen zu lassen, Leutnant, werde ich ihn warnen, dessen versichere ich Sie!«

»Je schneller Sie ihn warnen, desto besser.«

»Dazu müßte ich erst wissen, wo er steckt, Branch.« Mike Rander lächelte, obwohl ihm plötzlich gar nicht mehr so wohl in seiner Haut war. Er fürchtete tatsächlich um seinen Butler Parker, der seit fast einer Woche verschwunden war und sich bisher noch nicht gemeldet hatte …!

Josuah Parker stand vollkommen ruhig auf, als es an der Tür klingelte. Es war Mittag, und er ahnte schon, wer ihn jetzt besuchen wollte. Ohne ein Anzeichen von Angst und Nervosität ging er zur Tür und öffnete.

Herm Lazer, der abgetakelte Boxer, drängte sich ins Zimmer. Hinter ihm tauchte der junge Mann auf, der das Haus von der Straße aus bewacht hatte. Er schloß die Tür und drehte den Schlüssel herum. Dann grinste er erwartungsvoll und blieb rechts von der Tür stehen.

Herm Lazer fühlte sich als Herr der Lage.

»Na, wie steht’s denn mit dem Zaster?« fragte er Josuah Parker.

»Zu meinem Leidwesen muß ich ungemein bedauern«, antwortete der Butler. »Es war mir leider nicht möglich, die betreffende Summe herbeizuschaffen.«

»Sie sind … verrückt …! Mann, wissen Sie denn, was das bedeutet?«

Herm Lazer starrte den Butler an. Zorn stieg in ihm hoch. Er konnte die korrekte und vielleicht auch etwas verschrobene Ausdrucksweise Parkers nicht ausstehen. In seinen Ohren hörte sie sich arrogant an. Zudem war Parker in einer Art gekleidet, die ihm auf die Nerven ging. Der Butler trug nämlich eine gestreifte schwarze Hose, schwarze Schuhe, die auf Hochglanz geputzt waren, ein schwarzes, altmodisch geschnittenes Jackett und einen schneeweißen Eckkragen. Das ausdruckslose Pokergesicht des Butlers mit den Augen, deren Farbe sich einfach nicht bestimmen ließ, verstärkte die Ansicht des Gangsters, es mit einem Menschen einer ganz anderen sozialen Schicht zu tun zu haben.

»Ich bin mir durchaus der Tatsache bewußt, daß Sie mir Ärger bereiten wollen.« Josuah Parker deutete eine Verbeugung an.

»Und ob ich Ihnen Ärger bereiten werde …! Mann, entweder sind Sie nur dämlich, oder Sie wollen mich auf den Arm nehmen.«

»Ich überlasse es Ihnen, sich den passenden Vergleich auszusuchen.«

Herm Lazer schnaubte wie ein gereizter Stier, grinste dann und holte einen einzelnen Boxhandschuh unter seiner Jacke hervor. Fast genußreich streifte er ihn sich über die rechte Hand.

»Sie sollen sich später nicht beklagen«, meinte er grinsend. »Ich werde Sie schonen, Parker. Der Handschuh wird wenigstens keine Risse hinterlassen. Aber Sie können sich auf was gefaßt machen. Sie haben ja noch nicht mal versucht, an das Geld heranzukommen. Mein Assistent hat die ganze Zeit über den Bau beobachtet.«

»Ich weiß …«

»Na schön, bringen wir’s hinter uns, Parker. Nach dieser Abreibung haben Sie noch einmal drei Tage Zeit, das Geld zu besorgen. Danach komme ich mit ’nem Rasiermesser, haben Sie mich verstanden?«

»Sie drücken sich in der Tat unmißverständlich aus.«

Herm Lazer nickte, tat so, als ließ er sich noch etwas Zeit. Doch das war nichts als eine Finte. Er wollte den Butler in Sicherheit wiegen, um ungestört zulangen zu können. Fast freute Lazer sich auf den ersten Schlag. Er wollte dieses undurchsichtige Gesicht geschwollen sehen, wollte das Stöhnen und Röcheln des arroganten Butlers hören.

Blitzschnell schoß der Boxhandschuh vor und traf Anstalten, Parkers Nase breitzuquetschen.

Der Butler schien völlig überrascht zu werden. Seine Nase bot sich dem harten Schlag willig an. Doch bevor der Handschuh sie berühren konnte, war die Nase samt dem dazugehörigen Gesicht plötzlich verschwunden.

Von der Wucht des Schlags mitgerissen, verlor Herm Lazer das Gleichgewicht und stolperte einen Schritt vor. Josuah Parker, an Roheiten stets desinteressiert, begnügte sich damit, auf die Zehen des Gangsters zu treten.

Herm Lazer quiekte wenig melodiös auf, fluchte dann gekonnt und bremste sein Stolpern ab. Überraschend schnell drehte er sich um und berannte den Butler erneut. Diesmal beteiligte Lazer auch seine linke Hand am Gefecht. Er geriet nämlich in Wut und sah bereits die ersten rosa Schleier vor seinen Augen.

Der junge Mann an der Tür beugte sich neugierig vor und ließ seinen Herrn und Meister nicht aus den Augen.

»Sie ahnen nicht, wie peinlich mir diese Art der Konversation ist«, entschuldigte sich Josuah Parker, bevor er sich abdrückte und Lazers Hieb ins Leere gehen ließ. Um den Gangster nicht zu üppig werden zu lassen, schlug Parker einen trockenen Aufwärtshaken und erwischte Lazer damit am Kinn.

Der Gangster riß seine Augen weit auf, starrte den Butler erstaunt an und torkelte dann gegen die Wand. Kraftlos fielen seine Arme am Körper herunter. Ein kaum zu hörendes Röcheln entrang sich Herm Lazers Kehle, dann schlossen sich seine Augen und er rutschte im Zeitlupentempo an der schadhaften Wand herunter.

Der junge Mann an der Tür fühlte sich genau in diesem Augenblick genötigt, etwas für seinen Chef zu tun. Er drückte sich von der Tür ab und lief mit schnellen, katzenhaft leisen Schritten auf den Butler zu. Unterwegs hatte er noch Zeit genug, ein Messer zu ziehen.

»Ihre Manieren bedürfen ebenfalls einer dringenden Überholung«, tadelte Parker den angreifenden Jüngling. »Sie ahnen ja nicht, was man mit solchen Schneidwaren nicht alles anrichten kann.«

Der dreiviertelstarke Jüngling ignorierte Parkers Hinweis. Er brannte darauf, des Butlers Gesicht zu zeichnen. Weit holte er aus, um seine Hand samt Messer dann vorzischen zu lassen. Er war vollkommen sicher, genau zu treffen.

Josuah Parker wich gegen den Tisch zurück. Der Jüngling grinste bereits triumphierend, sah sich als Sieger auf der ganzen Linie. Er warf sich nach vorn und … landete mit dem Bauch auf dem Tisch. Dort, wo Parker gerade noch stand, befand er sich nämlich nicht mehr. Wie ein Fisch auf dem Trockenen zappelte der Nachwuchsgangster mit den Beinen, rutschte auch tatsächlich von der Tischplatte herunter und kam frei. Es war allerdings sein Pech, daß der schwere Aschenbecher aus Steingut nachrutschte und genau auf seinen Hinterkopf fiel. Parker hatte dabei nur wenig nachgeholfen.

Schlagartig zappelte der jungen Mann nicht mehr. Er rollte sich auf dem harten Boden zusammen und bettete sich zur Ruhe. Sein Gesicht nahm den Ausdruck eines satten und recht friedlichen Säuglings an.

Josuah Parker hob das Dolchmesser auf, wobei er ein Taschentuch benutzte. Schon allein wegen der Fingerabdrücke, die er besonders schätzte. In der Innentasche, des jungen Mannes fand er zudem noch einen Schlagring, den Parker in den Papierkorb warf.

Anschließend war Herm Lazer an der Reihe.

Er stöhnte bereits wieder, kam also wieder zu sich. Doch er konnte es nicht verhindern, daß Parker ihm eine Pistole vom Kaliber 7.65 wegnahm, die in einem Schulterholster steckte. In der Brieftasche Herm Lazers fand Parker dann zu seiner freudigen Genugtuung ein Bündel Schuldscheine, die der Gangster an diesem Tag noch einlösen wollte.

Der Butler steckte die Scheine ein, zog sich einen schwarzen, altväterlich geschnittenen Covercoat über, setzte sich seine schwarze Melone auf, streifte sich die schwarzen Zwirnhandschuhe über und schritt gemessen zur Tür. Dort nahm er noch seinen Regenschirm aus schwarzer Seide zur Hand, legte ihn sich über den linken Unterarm und verließ die Etage. Als taktvoller Mensch wollte er seinen Gegnern ein peinliches Aufwachen ersparen …!

*

Der Steinboden vor der Biertheke war mit Zigarettenstummeln, Asche und sonstigem undefinierbarem Schmutz bedeckt. Vor der Theke lungerten Stromer und Nichtstuer herum. An den wenigen Tischen saßen beutelüsterne Dämchen, die auf spendable Gäste warteten. Es roch nach verschüttetem, schalem Bier, nach Schweiß und billigem Tabak.

Der abendliche Ansturm der Arbeiter und Angestellten aus dem nahe gelegenen Fabriken und Büros begann normalerweise erst in einer halben Stunde. Die beiden Barkeeper hinter der Theke spülten Gläser und bewachten mit scharfen Augen die Schalen mit den Salzsticks, die auf der Theke standen.

Joe Harms, der Inhaber dieser gutgehenden Kneipe, in der man sich ungestört, laut und lärmend unterhalten konnte, saß in seinem kleinen Büro rechts von der Theke. Er kaute auf einer kalten Zigarre herum und zählte Banknoten nach. Vor dem Schreibtisch saßen zwei unauffällig gekleidete Männer, die ihm dabei zusahen und lautlos mitzählten.

»Stimmt«, knautschte Joe Harms seitlich an seiner Zigarre vorbei. »Damit sind die fälligen Gelder wieder zurück, Chris. Hat’s Schwierigkeiten gegeben?«

»Keine, Joe, sie spurten und zahlten.«

»Und wie sieht’s bei dir aus, Staff?« Joe Harms wandte sich dem zweiten Mann zu.

»Auch meine Kunden zahlten sofort. Seitdem wir ein paar Schuldner verprügelten, klappt der Laden wieder.«

Joe Harms widmete sich wieder den Banknoten und zählte sie durch. Zufrieden nickend packte er sie dann zu den übrigen und sah seine beiden Verleiher erwartungsvoll an.

»Wie sieht’s mit neuen Krediten aus?« fragte er.

»Die Leutchen sind doch ziemlich zurückhaltend«, erklärte Chris Pierce und faßte nach seiner Nase, die eine Längsnarbe trug. Sein niedriger Haaransatz und die buschigen Augenbrauen verliehen ihm einen fast tierhaften Ausdruck. Die stark behaarten Handrücken verstärkten diesen Eindruck nur noch.

»Den Eindruck hab’ ich auch«, meldete sich Staff Weed zu Wort. »Die Prügeleien haben zwar auf die säumigen Zahler gewirkt, aber sie schrecken neue Kunden gleichzeitig ab. So was spricht sich ja immer schnell herum.«

Staff Weed, gut und gern 50 Jahre alt, glich einem sympathischen, glatzköpfigen Onkel, dem man Böses einfach nicht Zutrauen kann.

»Ob die Burschen wollen oder nicht, sie werden unsere Kredite nehmen müssen«, erwiderte Joe Harms. »Setzt einfach etwas Druck dahinter, Jungens. Und wo’s nicht klappt, schicken wir eben ein paar von unseren Rollkommandos hin. Ihr sollt mal sehen, wie sie euch dann das Geld aus der Hand reißen werden.«

»Wo steckt Herm Lazer eigentlich?« erkundigte sich Staff Weed.

»Keine Ahnung, er muß gleich kommen.« Joe Harms tat gleichgültig, sah aber zur Uhr hoch, die seitlich vom Fenster hing. »Er hat da noch ’ne kleine Abreibung zu verabreichen. Irgend so ein alter Bursche will nicht zahlen. Wie ich Herrn kenne, wird der sich auf was gefaßt machen können.«

»Was ist eigentlich mit Mark Steffens passiert?« Chris Pierce stellte diese Frage. »Ich las in den Zeitungen, daß er erschossen worden ist.«

»An deiner Stelle, Pierce, würde ich solche Fragen erst gar nicht stellen«, gab Joe Harms langsam zurück. »Schön, er war der Chef des Nachbarreviers. Und jetzt lebt er nicht mehr …! Deutlicher brauche ich doch wohl nicht zu werden, oder?«

»Dann stimmt’s also doch, daß der ›Bankhalter‹ ihn erschießen ließ?«

Staff Weed stellte diese Frage. Er lächelte in sich hinein, als Joe Harms, der Chef ihres Reviers, die Zigarre aus dem Mund nahm und sich den Schweiß von der Stirn wischte.

»Mark Steffens war mit dir doch ganz eng befreundet, oder?« setzte Chris Pierce nach. »Hast du ihn in der Nacht, als er erschossen wurde, noch gesehen?«

»Zum Teufel mit euren verdammten Fragen«, brauste Joe Harms auf. »Kümmert euch um das Geschäft und zerbrecht euch nicht meinen Kopf. Der ›Bankhalter‹ verlangt auf jeden Fall, daß wir stärkere Umsätze machen. Haltet euch daran, sonst kann’s passieren, daß ihr Mark Steffens bald begrüßen könnt.«

»Herm Lazer kommt«, stellte Staff Weed fest. Freundlich und bieder winkte er dem ehemaligen Boxer zu, der wie Pierce und er in diesem Revier als Geldverleiher arbeitete. Weed lächelte auch dann noch, als er sah, wie böse zugerichtet Herm Lazer war. Daß der ehemalige Boxer hinkte, war das wenigste.

»Was ist denn das?« fragte jetzt Joe Harms und runzelte die Stirn. Er drückte die Tür weiter auf, damit Herm Lazer das kleine Büro betreten konnte.

»Dieser verdammte Hund«, stöhnte Lazer und fühlte vorsichtig nach seinem Kinn. »Ich brauche eure Hilfe, Jungens. Einer, meiner säumigen Kunden spielt verrückt.«

»Er scheint dich auseinandergenommen zu haben«, spottete Chris Pierce.

»Mit ’nem faulen Trick hat er mich ’reingelegt«, log Herm Lazer. »Aber das wird er doppelt und dreifach zurückbekommen, darauf kann er Gift nehmen.«

»Wie heißt der Schuldner?« fragte Joe Harms scharf dazwischen.

»Josuah Parker«, entgegnete Herm Lazer und faßte unwillkürlich wieder nach dem schmerzenden Kinn. »Ob ihr’s glaubt oder nicht, dieser verdammte Kerl hat mir alle übrigen Schuldscheine weggenommen. Ich kann’s jetzt noch nicht verstehen.«

»Das ist doch ausgeschlossen«, entrüstete sich Joe Hanns und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Parker … Parker …! Ist das nicht dieser alte Bursche, der einfach nicht zurückzahlen will?«

»Genau der …!« stöhnte Herm Lazer.

»Wie alt ist dieser Wunderknabe denn?« fragte Chris Pierce dazwischen und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Keine Ahnung, vielleicht vierzig, sechzig oder auch nur dreißig Jahre alt. Bei diesem Kerl kennt man sich nicht aus. Ich weiß nur, daß er mich und Ronny fertiggemacht hat.«

»Kaum zu glauben«, zweifelte Staff Weed, »vielleicht warst du nicht in Form, Lazer.«

»Natürlich war ich in Form. Der Kerl hat mich reingelegt, anders kann ich mir das gar nicht vorstellen. Und die verdammten Schuldscheine sind nun auch noch futsch …!«

Seine Hände zitterten, als er sich eine Zigarette anzündete. Dieser Zwischenfall war schon keine Blamage mehr, sondern eine ausgemachte Katastrophe.

Joe Harms überlegte blitzschnell, wie er sich verhalten sollte. Daß diese Panne ausgerechnet in seinem Revier passiert war, paßte ihm gar nicht, zumal, nachdem der »Bankhalter«, der sagenhafte Chef der Organisation, ein scharfes Durchgreifen gefordert hatte. Joe Harms dachte in diesem Zusammenhang auch an seinen Kollegen Mark Steffens, der von den Bluthunden des Chefs erschossen worden war. Er hatte keine Lust, Steffens sehr bald zu folgen.

»Was machen wir jetzt?« fragte Herm Lazer und sah seinen Revierchef erwartungsvoll, zugleich aber auch ängstlich ab wartend an.

»Da hilft alles nichts, das werde ich dem ›Bankhalter‹ melden müssen«, entschied Joe Harms.

»Du lieber Himmel, warum gleich alles an die große Glocke hängen«, bremste Chris Pierce. Mit Ausdauer massierte er die Narbe auf seiner Nase. »Ich schlage vor, wir alle gehen los und kaufen uns endlich diesen Parker. Ich bin direkt scharf darauf, diesen Burschen mal zu sehen. Aber wenn er uns gesehen hat, darauf gehe ich jede Wette ein, wird er vor einem Monat nicht unter dem Sauerstoffzelt im Spital rauskommen.«

»Geben wir Lazer die Chance, bevor du mit dem ›Bankhalter‹ redest«, meinte nun auch Staff Weed.

»Also abgemacht«, entschied Joe Harms großzügig und vergaß seine Bedenken. »Geht zurück zu diesem Parker und dreht ihn durch den Fleischwolf. Von mir aus könnt ihr machen, was ihr wollt, Hauptsache, die Schuldscheine kommen zurück und diese Panne spricht sich nicht herum.«

Chris Pierce und Staff Weed sahen sich unternehmungslustig an. Herm Lazer, der ehemalige Boxer, faßte neuen Mut. Ihm kam es schon nicht mehr darauf an, nur Rache zu nehmen. In seinen Augen glitzerte Mordlust. Er war fest entschlossen, Butler Josuah Parker zu töten …!

Ronny, der Nachwuchsgangster in engen Jeans und weißen Turnschuhen, grinste.

»Der alte Knabe ist eben nach Hause gekommen«, berichtete er Herm Lazer. »Nee, der hat mich natürlich nicht gesehen. Ich wette, der hat keine Ahnung, was ihn erwartet.«

Es war bereits später Nachmittag. Seit einigen Stunden warteten Lazer, Chris Pierce und Staff Weed darauf, Josuah Parker durch den Fleischwolf drehen zu können, wie Joe Harms es ihnen anbefohlen hatte. Nun endlich war der Butler zurück in das graue Mietshaus gegangen. Es konnte also losgehen.

Das Trio stand an der Straßenecke und hatte eben erst auf Ronnys Alarm hin eine Kneipe verlassen. Sie waren zwar nicht gerade angetrunken, aber doch leicht animiert. Sie wußten genau, wie sie sich verhalten mußten. Sie hatten Parker unter sich bereits verteilt und brannten darauf, ihn in seine Einzelbestandteile zu zerlegen.

Nacheinander und sehr unauffällig pirschten sie sich an das Mietshaus heran und verschwanden im Treppenhaus. Auf Parkers Etage versammelten sie sich und schritten auf leisen Sohlen auf die bewußte Tür zu. Chris Pierce, der tierähnliche Mann mit dem niedrigen Haaransatz und den behaarten Handrücken, übernahm die Fühlung. Dann folgten Weed und Lazer. Ronny, der Nachwuchsgangster, wartete bereits mit dem Wagen auf sie.

»Er hat das Radio angestellt«, flüsterte Pierce seinem Freund Weed zu. »Vollkommen ahnungslos.«

»Aber nicht mehr lange …!« Weed, unter dem Eindruck des genossenen Alkohols, konnte sich ein glucksendes Kichern nicht versagen. Herm Lazer hingegen, der Parker ja bereits kannte, faßte sich erneut ganz unbewußt ans Kinn.

Chris Pierce drückte ganz behutsam die Klinke herunter und machte die unversperrte Tür vorsichtig auf. Durch den schmalen Türspalt sah er in das Zimmer hinein. Er nickte seinen Partnern beruhigend zu, denn er erkannte im Halbdunkel des unbeleuchteten Zimmers den Butler, der vorn am Fenster saß. Seine Umrisse waren allerdings nur recht undeutlich zu sehen.

Dann – Pierce holte tief Luft und spannte die Muskeln – drückte er die Tür ruckartig auf und … schnappte japsend nach Luft. Er stieß einige unterdrückte, schrille Schreie aus und wischte sieh das von der Decke herabschießende Wasser aus den Augen.

Der nachdrängende Staff Weed wurde von dem nachstürzenden Zinkeimer erwischt, den Parker, wohlgefüllt mit Wasser, oben an der Tür so befestigt hatte, daß er beim Auf drücken der Tür automatisch Umstürzen mußte.

Hinzu kamen einige weitere Überraschungen. Trockenerbsen auf dem Boden, von Parker ebenfalls mit Vorbedacht ausgestreut, verminderten die Standfestigkeit der Gangsterbeine. Die Schuhsohlen rutschten über die hinwegkullernden und nachgiebigen Erbsen hinweg und brachten die beiden Gangster zu Fall. Das Wasser spritzte nach allen Seiten hoch, als Pierce und Weed auf dem Boden landeten. Die Dielenbretter dröhnten und ächzten.

Herm Lazer, die Situation gründlich mißverstehend, riß seinen Ersatzrevolver aus dem Schulterholster und feuerte einige Schüsse auf Parker ab. Doch der Einschlag dieser Geschosse ließ nur ein aus Besenstielen und Handtüchern bestehendes Gestell in sich Zusammenstürzen. von Parker war weit und breit nichts zu sehen.

Naß wie Katzen, die man ins Wasser geworfen hat, rappelten Pierce und Weed sich auf, rannten zurück auf den Korridor und setzten sich ab. Heim Lazer folgte ihnen, doch er sorgte dafür, daß seine beiden mehr als ärgerlichen Partner einen gehörigen Vorsprung gewannen.

Die beiden Gangster rannten aus dem Haus, liefen auf den Wagen zu, an dessen Steuer Ronny saß. Sie mußten so schnell wie möglich verschwinden, denn Herm Lazers Schüsse hatten das ganze Haus in einen alarmähnlichen Zustand versetzt.

»Zum Henker, wo steckt denn Lazer …?« brüllte Pierce gereizt und ließ durch Schräghalten des Kopfes sein linkes Ohr leerlaufen. Er beobachtete den Eingang des Hauses, doch Lazer ließ sich nicht blicken.

»Nichts wie weg …!« kommandierte Staff Weed nervös. »In ein paar Minuten werden wir ’ne Polizeistreife auf dem Hals haben. Soll Lazer doch sehen, wo er bleibt …!«

Ronny, der Nachwuchsgangster, war mehr als froh, den Wagen in Bewegung setzen zu dürfen. Mit durchtourenden Reifen und aufheulendem Motor schoß der Buick die Straße hinunter und verschwand in einer schmalen Seitengasse.

Genau zu dieser Zeit setzte sich Herm Lazer auf dem Umweg über einen Hinterhof ab. Er hatte sich entschlossen, die Stadt möglichst schnell zu verlassen. An den Fingern einer Hand konnte er sich nämlich leicht ausrechnen, daß er nach dieser zweiten Panne auf der Liste der Bluthunde des »Bankhalters« stand. Und er hatte nun wirklich keine Lust, sich von seinen ehemaligen Freunden abschießen zu lassen, nur weil er einem verdammten, alten Kerl aufgesessen war …!

*

Verstohlen und scheu wie ein Fuchs, der hinter fetten Hühnern her ist, stahl Herm Lazer sich in seine kleine Wohnung. Er war froh, daß seine platinblonde Freundin Rosy Duffels um diese Zeit bereits in einer Music-Hall arbeitete. Er konnte also ungestört packen und verschwinden, ohne lange Fragen beantworten zu müssen.

Auf umfangreiches Gepäck verzichtete er. Er schmiß einige Wäschestücke in einen kleinen Lederkoffer, öffnete seinen kleinen Wandtresor und verstaute einige Banknotenbündel unter der Wäsche. Er verfügte immerhin über runde 4000 Dollar, die er sich trotz der platinblonden Rosy hatte sparen können. Mit diesem Geld wollte er irgendwo in den Staaten neu beginnen und seine bisherigen Kenntnisse nutzbringend anwenden. Möglichst in einer kleinen Stadt, wo ihn die Bluthunde des »Bankhalters« bestimmt nicht suchten.

Ohne eine Nachricht für Rosy zu hinterlassen, stahl er sich aus seiner Wohnung, fuhr mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage, wo Rosys Ford stand, setzte sich ans Steuer und fuhr los.

In Chicago kannte er sich erstklassig aus. Er steuerte eine der westlichen Ausfallstraßen an und atmete erst erleichtert auf, als er das breite Band der Hochstraße vor sich hatte. Hier konnte er den Ford laufen lassen. Sein Vorsprung vor den Bluthunden vergrößerte sich von Minute zu Minute. Er hatte die Absicht, die ganze Nacht durchzufahren, um möglichst viele Meilen zwischen sich und die Bluthunde zu bringen.

Lange dauerte seine Fahrt in die Nacht hinaus jedoch nicht an.

Und das hing ursächlich mit einem sehr eigenartig aussehenden Wagen zusammen, der hinter ihm auftauchte. Solch ein Vehikel hatte Herm Lazer vorher in seinem Leben noch nie gesehen. Es lief auf großen Rädern, war ungemein hochbeinig anzusehen und sehr eckig. Es gehörte eigentlich zur Kategorie der »Schnauferl«, zu jenen alten Wagen also, die man zu Recht als die Urahnen der heutigen Automobile bezeichnet.

Daher war es auch verständlich, daß Herm Lazer sich keineswegs verfolgt fühlte. Die Bluthunde des »Bankhalters« benutzten andere Wagen, das wußte er ganz genau.

Herm Lazer wurde von seinen trüben Gedanken abgelenkt. Er grinste, gab etwas mehr Gas und hoffte, das hochbeinige Monstrum hinter sich abhängen zu können.

Zu seiner Überraschung blieb das Vehikel aber dicht hinter ihm.

Lazer trat das Gaspedal langsam bis zum Bodenbrett durch und spürte, wie der Motor seine volle Leistung abgab. Der Ford streckte sich und wurde schneller. Die Nadel auf dem Meilenanzeiger kletterte nach vorn.

Na also, dachte Lazer und griente, dem Tempo ist der Schlitten eben doch nicht gewachsen. Im Rückspiegel erkannte er, daß das hochbeinige Monstrum zurückfiel und zu einem kleinen Punkt in der aufkommenden Nacht wurde.

Ohne das Gaspedal zu entlasten, zündete sich Lazer jetzt eine Zigarette an. Er genoß die schnelle Fahrt, die ihm von Minute zu Minute größere Sicherheit vor dem »Bankhalter« garantierte. Der Maschine durfte er dieses Tempo ohne weiteres Zutrauen, die war so leicht nicht sauer zu bekommen.

Als die Zigarette brannte, sah er noch einmal in den Rückspiegel. An das hochbeinige Monstrum dachte er schon nicht mehr. Der kleine Spaß war bereits vergessen.

Um ein Haar hätte er das Steuer verrissen, als er den eckigen Karren ganz groß und ganz dicht hinter sich im Spiegel ausmachte. Um einen Irrtum auszuschalten, rieb er sich schnell die Augen. Er glaubte an eine Täuschung.

Doch es war keine Täuschung …!

Das Vehikel Schien an Lazers Ford zu kleben. Der Gangster bekam einen roten Kopf und fluchte. Er konnte sich das einfach nicht erklären.

Rücksichtslos gegen sich selbst, trat er sofort auf die Bremse. Er wollte den Wagen hinter sich damit einfach auflaufen lassen.

Doch Lazer verschätzte sich im Tempo seines Fords. Der schwere Wagen geriet sofort aus dem Kurs, schlingerte und torkelte wie betrunken über die breite Straße. Lazer hatte alle Hände voll zu tun, um ihn auf der Fahrbahn zu halten. Trotz aller Geschicklichkeit rutschte ihm der Wagen schließlich in einen Straßengraben. Lazer schlug mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und verlor augenblicklich die Besinnung.

Dadurch nur kam er um den Genuß, die Bremsfähigkeit des hochbeinigen Monstrums beobachten zu können. Josuah Parker, der diesen Spezialwagen steuerte, legte seine vier Scheibenbremsen an. In unwahrscheinlich kurzer Zeit bremste er die Geschwindigkeit des ehemaligen, nach seinen Plänen umgebauten Taxis ab. Im Gegensatz zu Lazer hatte er überhaupt keine Schwierigkeiten, sein Monstrum in der Spur zu halten. Er steuerte es an das Autowrack im Straßengraben heran, stieg aus und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, zumal die ersten Flammenzungen aus dem Ford leckten. Es wurde höchste Zeit, daß er sich um den Fahrer kümmerte.

Mit einer Körperkraft, die man Parker auf keinen Fall zugetraut hätte, zog und zerrte er den bewußtlosen Gangster aus dem Wagen, legte ihm Handschellen an und untersuchte ihn flüchtig. Außer einigen Prellungen hatte der Gangster nichts abbekommen. Josuah Parker hatte keine Bedenken, den »Juicemen« im Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums zu verstauen. Solides Stahlblech, mit dem dieser Kofferraum ausgefüttert war, verwandelte diesen Behälter ganz nach Wunsch in eine rollende Zelle. Parker, der durchaus als höflicher und rücksichtsvoller Mensch anzusprechen war, schaltete vom Steuer aus eine kleine Leselampe im Kofferraum ein, um Herm Lazer später nach dem Aufwachen nicht unnötig zu erschrecken. Dann wendete er seinen Wagen und fuhr zurück nach Chicago. Da er sein Tempo jetzt nicht mehr zu drosseln brauchte, weil er sich einem normalen Wagen nicht anpassen mußte, ging der Butler ganz aus sich heraus und genoß die superschnelle Rückfahrt.

Es war schon recht beeindruckend, wie er so am Steuer saß, stocksteif und korrekt. Der altväterliche Regenschirm stak im besonders angebrachten Halter, die schwarze Melone saß untadelig auf dem Kopf. Einige verspätet heimkommende Überlandvertreter und harmlose Reisende erzählten später ihren Familien von einem Phantom, das sie auf der Ausfallstraße gesehen haben wollten. Eine motorisierte Verkehrsstreife der Polizei verließ ihre Lauerstellung und hetzte dem hochbeinigen Monstrum nach. Doch Parkers Vehikel verschwand wie eine Rakete am Horizont.

Da Josuah Parker diesen Streifenwagen sehr wohl gesehen hatte, bog er bei der nächst passenden Gelegenheit von der Ausfallstraße ab und näherte sich auf etlichen Schleichwegen der Stadt. Er hatte die Absicht, nach wie vor unauffällig zu arbeiten. Noch hielt er den Zeitpunkt nicht für gekommen, sich mit Leutnant Branch ausführlich zu unterhalten …!

*

»Ich wette, dieser Parker existiert überhaupt nicht«, regte sich Staff Weed auf und drückte ein Pflaster auf die Rißwunde seines ziemlich enthaarten Schädels. »Diese ganze Geschichte mit dem verdammten Wassereimer ist doch unwirklich, oder etwa nicht?«

»Na, so unwirklich wieder nicht«, antwortete Pierce und wrang sein Hemd aus. »Ich jedenfalls bin pitschnaß geworden. Wenn ich diesen Lazer erwische, kann er sich auf was gefaßt machen.«

»Ihr Idioten habt euch reinlegen lassen«, behauptete Joe Harms und winkte ab. »Ob dieser Parker existiert oder nicht, Lazer ist verschwunden. Und mit ihm seine Unterlagen. Der Kerl weiß eine Menge von uns. Wenn er will, kann er uns jederzeit reinlegen.«

»Wieso denn das?« fragte Weed. »Wenn er den Mund aufmacht, fliegt er doch selbst rein. Er hat genug Dreck am Stecken.«

»Ich glaube, daß er alle seine Kunden längst abkassiert hat und mit dem Geld durchgeht.« Pierce widmete sich seinem immer noch triefend nassen Kragen. »In seiner Wohnung deutet alles darauf hin. Sein Safe ist leer, und er dürfte sich auch einen Koffer gepackt haben. So sah’s da wenigstens aus.«

»Jetzt hilft alles nichts mehr, wir müssen dem ›Bankhalter‹ die Sache durchgeben.« Joe Harms verzog sein Gesicht. Der Gedanke an dieses Gespräch schuf ihm bereits Magenschmerzen. »Daß ihr euch aber von Lazer habt reinlegen lassen, also, das begreife ich einfach nicht.«

»Was wird der Boß denn wohl sagen?« wollte Pierce schon im voraus wissen.

»Wenn wir Glück haben, wird er einen Riesenkrach schlagen und uns die Prämien kürzen.« Joe Harms sprach in einem Ton, als glaube er niemals an solch eine glückliche Lösung.

»Und wenn wir kein Glück haben?« Diese Frage stellte Weed, der trotz seiner freundlichen Augen sachlich und nüchtern war.

»Dann …« Joe Harms räusperte sich und faßte sich an seinen trocknen Kragen. »Dann … könnten wir eventuell Ärger bekommen. Großen Ärger sogar, Jungens.«

»Denkst du jetzt an die Bluthunde?«

»Machen wir uns nichts vor«, beantwortete Harms die Frage des glatzköpfigen Weed. »Es kann durchaus sein, daß die sich mit uns befassen.«

»Sollen wir darauf warten?« fragte Chris Pierce nervös. »Wir alle haben doch versagt.«

»Was schlägst du denn vor?« wollte Weed wissen.

»Ich schlage gar nichts vor«, entgegnete Pierce. »Der Boß unseres Reviers ist Harms. Er muß wissen, was wir tun sollen.«

»Das weiß ich, und das werde ich sofort tun. Ich werde dem ›Bankhalter‹ diese Pleite durchgeben. Zuerst muß Herm Lazer jetzt mal geschnappt werden. Weit kann er noch nicht sein. Wie ich ihn kenne, wird er versuchen, mit seinem Mädel Kontakt aufzunehmen. Die solltet ihr mal besuchen und ihr einige Fragen stellen. Inzwischen rufe ich den Boß an.«

Pierce und Weed erhoben sich überraschend schnell. Sie erreichten gleichzeitig die Tür und behinderten sich gegenseitig.

»Noch etwas, Jungens.« Joe Harms’ Stimme stoppte sie. »Versucht nur ja nicht, auch abzuhauen! Das könnte euch schlecht bekommen. Wird schon nicht so schlimm werden …!«

Harms wartete, bis seine beiden Leute draußen in der Kneipe waren. Dann zog er das Telefon heran und wählte Ben Waltons Nummer. Der Sekretär der »Juicemen« meldete sich sofort. Er unterbrach Joe Harms mit keinem Wort, als der Gangster von der Pechserie in seinem Revier berichtete.

»Schön, ich werde das sofort an den ›Bankhalter‹ weiterleiten«, versprach er. »Vorerst wird nichts unternommen. Wir stellen fest, ob es diesen Mr. Parker überhaupt gibt. Wir werden Herm Lazer suchen und auch finden.«

»Wie wird der Boß das aufnehmen?« erkundigte sich Joe Harms vorsichtig.

»Keine Ahnung, Joe. Aber ich will dir nichts vormachen, das ist die bisher größte Panne, die uns passierte. Lazer weiß eine Menge über unsere Organisation. Er könnte uns größere Schwierigkeiten bereiten.«

»Momentchen mal, er kennt doch nur die Verhältnisse in meinem Revier, Walton.«

»Das ist allerdings ein Glück, zugegeben. Zuviel kann er also nicht verraten. Bleib am Apparat! Im Laufe des Abends werde ich dich wieder anrufen und dir sagen, was geschehen muß. Ende …!«

Nachdenklich legte Joe Harms auf.

Fast beneidete er Herm Lazer, der sich abgesetzt hatte und vielleicht auch durchkam. Er, Joe Harms, kam sich auf jeden Fall so vor, als säße er auf einem Pulverfaß und müsse die bereits brennende Lunte beobachten, ohne dagegen etwas unternehmen zu können. Minuten später gestand er sich offen ein, daß er vor Angst bereits schwitzte …!

*

Chris Pierce kam weit nach Mitternacht nach Hause. Er wohnte über einem Grünkramladen in Carroll Street und hatte sich dort zwei Räume eingerichtet. Von hier aus unternahm er seine Streifzüge, um Geld auszuleihen und noch mehr Gelder wieder einzukassieren.

Nach der Panne mit Herm Lazer fühlte Pierce sich bester Laune. Er ahnte, daß nun auch die Glanzzeiten seines Revierchefs Joe Harms vorüber waren. Der »Bankhalter« würde solch eine Panne bestimmt nicht durchgehen lassen. Pierce rechnete sich Chancen aus, Joe Harms’ Revier übertragen zu bekommen. Das bedeutete mehr Macht und auch größere Privateinnahmen!

Er sperrte die Haustür neben dem großen Schaufenster auf, stieg über die Treppe hinauf in die erste Etage und schloß seine Wohnung auf. Er gähnte und schaltete das Licht ein.

»Da sind Sie ja endlich«, begrüßte ihn eine baritonal gefärbte, ausdrucksvolle Stimme. »Ich muß gestehen, daß ich gerade fest entschlossen war, ungeduldig zu werden.«

Chris Pierce starrte seinen Besucher an. Er sah einen schwarzgekleideten Mann, dessen Alter nur sehr schwer zu bestimmen war. Der Besucher lüftete grüßend eine schwarze Melone und erhob sich.

»Wie … wie kommen Sie denn hier rein?« staunte Chris Pierce. Er rieb sich die narbige Nase und war plötzlich wieder nüchtern. Er glaubte zu wissen, wer dieser Mann war. Herm Lazer hatte den alten Mann, der ihn übers Ohr gehauen hatte, nur zu genau beschrieben. Aber war dieser Parker, wie er ja hieß, wirklich so alt?«

»Ich nahm mir die Freiheit, ohne Ihre Erlaubnis einzutreten«, antwortete Josuah Parker. »Ich habe übrigens Grüße von Ihrem Kollegen Herm Lazer auszurichten. Er fühlte sich den Umständen entsprechend wohl.«

»Was wollen Sie von mir?« Chris Pierce schätzte seinen Besucher ab und war fest entschlossen, sich nicht hereinlegen zu lassen. Er fühlte sich diesem Mann durchaus gewachsen, zumal in seinem Schulterholster eine 38er stak.

»Unterschieben Sie mir bitte keine unlauteren Absichten, wenn ich das Sündengeld, das Sie ihren Kunden abnehmen, wieder zurückhole.«

»Wie war das …?«

»Ich möchte Sie bitten, die einkassierten Gelder abzuliefern.« Parker lächelte verbindlich und wischte sich ein unsichtbares Stäubchen vom Mantelkragen herunter. »Sie dürfen versichert sein, Mr. Pierce, daß das Geld einer nutzbringenden Verwendung zugeführt wird.«

»Sie sind … verrückt …!« Pierce sprach noch, als, seine Hand blitzartig hochschoß und nach dem Revolver greifen wollte. Doch Parkers Regenschirm war wesentlich schneller. Er lag plötzlich waagerecht in der Luft. Aus dem unteren Teil des Schirms wippte ein langer Stockdegen, dessen Spitze Pierces Adamsapfel kitzelte.

»Wir wollen uns doch nicht unnötig inkommodieren«, meinte Parker sanft. »Sie müssen nämlich wissen, daß ich von Schußwaffen herzlich wenig halte.«

Pierce schwitzte vor Wut und Angst. Eben hatte er sich noch geschworen, er ließe sich von diesem seltsamen Raben nicht hereinlegen. Und nun saß er schon in der Falle. Er hätte sich am liebsten einige Ohrfeigen verpaßt.

»Ich war so frei, Ihr Versteck bereits zu leeren«, redete der Butler weiter. Es klang vollkommen überzeugend, obwohl es den Tatsachen keineswegs entsprach.

Chris Pierce ließ sich ein zweites Mal bluffen. Er nahm Parkers Worte für bare Münze und schielte unbewußt auf den Eisschrank in der kleinen Küche. Darin hatte er nämlich sein verdientes Geld versteckt. Josuah Parker wußte sofort Bescheid, wo er später suchen mußte.

Bis aufs Blut gereizt, in der Annahme, er habe sein Geld bereits verspielt, pfiff Pierce auf den Stockdegen, schlug ihn mit dem Unterarm zur Seite und sprang den Butler an. Seine rechte Faust zischte kurz und trocken vor und bohrte sich in Parkers Leber.

Das heißt, so ungefähr hatte Pierce sich das gedacht. Als er den Butler jedoch traf, da hatte er das Gefühl, gegen eine Betonmauer geschlagen zu haben. Er hörte laut und deutlich das Knacken seiner geprellten Fingerknöchel und wurde vom Schmerz förmlich in die Knie gezwungen.

Sein Pech, daß er nichts von Parkers Leichtmetallweste gewußt und gehört hatte. Der Butler zeigte, daher auch keine Schlagwirkung, sondern blieb stocksteif vor dem sich windenden Gangster stehen. Er drehte den Regenschirm herum und klopfte mit dem Griff leicht auf den Kopf des Gangsters. Der spürte daraufhin keinen Schmerz mehr, sondern verdrehte nur die Augen und rollte sich vor dem Vorhang zur Küche zusammen.

Parker stieg betont vorsichtig über den betäubten Gangster hinweg und öffnete den Kühlschrank. Im Tiefkühlfach entdeckte er eine geöffnete Konservendose, die mit Banknoten vollgestopft war. Josuah Parker zählte die Scheine durch und setzte sich für einen kurzen Moment an den aufklappbaren Frühstückstisch. Korrekt, wie er es nun einmal war, stellte er Pierce eine Quittung aus, die er dem immer noch schlafenden Gangster anschließend in die Hand drückte. Dann verließ er die Wohnung des »Juiceman«, nicht ohne vorher auch noch das Licht abzudrehen. Parker wollte dem Gangster unnötige Stromkosten ersparen.

In einer Seitenstraße stand sein hochbeiniges Monstrum. Der Butler setzte sich ans Steuer, schaltete die Scheinwerfer ein und fuhr seinem neuen Ziel entgegen. Er hatte in dieser Nacht noch sehr viel zu tun. Ihm kam es darauf an, die »Juicemen« empfindlich zu treffen und zu schädigen.

Im Grunde war der Butler an diesen kleinen Ausleihern kaum interessiert. Sie standen und fielen mit dem Boß, der das Geld zur Verfügung stellte und die Organisation leitete. Josuah Parker hatte sich auch in diesem Fall wieder ein einfaches, aber auch wirkungsvolles Verfahren ausgedacht. Er wollte die kleinen Gangster derart reizen und schädigen, daß der Chef der Gang auf ihn aufmerksam wurde und sich aus seinem Versteck hervortraute. Zu diesem Zeitpunkt wollte Parker dann nach altbewährtem Muster zuschlagen und die Gang liquidieren.

Als Chris Pierce endlich wieder zu sich kam, sich an gewisse Einzelheiten erinnerte, war der Butler längst über alle Berge. Pierce goß sich einen Schluck Whisky ein, wollte trinken und erinnerte sich genau in diesem Augenblick an sein Geld.

Er lief zum Eisschrank, riß ihn auf und fingerte nach der Konservendose. Dabei fiel sein Blick auf die Quittung, die Parker freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Fassungslos las Pierce, daß Josuah Parker das gesamte Barvermögen mitgenommen hatte.

Pierce, ein hartgesottener Gangster, schluchzte trocken auf und widmete sich anschließend seiner Flasche. Er kam zu dem Schluß, seinen Partnern und Freunden von dieser üblen Geschichte nichts zu erzählen. Damit hätte er sich ja doch nur blamiert und um seine Chancen gebracht, der Nachfolger von Joe Harms zu werden …!

Eine knappe Stunde später erwachte auch Staff Weed aus seinen Träumen.

Er fuhr sich mit der noch leicht zitternden Hand über die Glatze und versuchte, sich an gewisse Einzelheiten zu erinnern. Richtig, er war doch von diesem ganz in Schwarz gekleideten Mann außer Gefecht gesetzt worden.

Staff Weed zog sich am Türrahmen hoch und ging schwankend zur Hausbar am Fenster. Auch er brauchte einen ordentlichen Schluck, um die finsteren Erinnerungen loszuwerden.

Ihm erging es nicht anders als Pierce.

Plötzlich nämlich fiel ihm ein, daß sein unheimlicher Besucher von Geld gesprochen hatte.

Mein Gott, die Scheine …! Weed setzte das Glas ab, wischte sich frische Schweißtropfen von der Stirn und ließ sich auf die Knie fallen. Er schob den billigen Teppich zur Seite und hob vorsichtig die kleine Falltür an, die sein Geheimversteck verschloß.

Er tastete mit den Fingern in das dunkle Verlies und … schrie im gleichen Moment gellend auf. Ein scharfes Schnappen untermalte diesen Schrei. Fassungslos zog Weed seine Hand nach oben und starrte entsetzt auf die kleine Mausefalle, die zwei seiner dicken Wurstfinger gefangen hielt.

Ihm wurde fast schlecht.

Nur unter Aufbietung aller Energie löste er den Stahlbügel und begutachtete die leichten Quetschungen an seinen Fingern. Wehleidig wie die meisten Gangster, fühlte er sich fast tödlich verwundet. Später jammerte er noch einmal, als er sich die beiden Finger mühsam verband.

Erst einige doppelte Whisky brachten ihn wieder in Schwung. Parkers Besuch hatte ihn runde 3000 Dollar gekostet. Er fühlte sich ruiniert, zugleich aber auch auf den Arm genommen. Wie ein Anfänger hatte er sich von diesem komischen Vogel hereinlegen lassen!

Die Jungens dürfen kein Wort davon erfahren, schwor er sich. Wenn die rausbekommen, wie man mich geplündert hat, sind meine Aufstiegschancen im Eimer. Dann kann ich einpacken, dann wird der »Bankhalter« mich niemals zum Nachfolger dieses Joe Harms’ wählen.

Staff Weed hoffte insgeheim nur, daß auch sein Freund und Kollege Pierce von Parker heimgesucht worden war. Er konnte ja nicht wissen, daß das bereits geschehen war …!

*

Ben Walton hatte den Verstärker und Lautsprecher installiert. Er sah auf die Uhr. Noch fünf Minuten mußten sie warten, bis der »Bankhalter« sich meldete und seine neuen Direktiven durchgab.

Bis auf Herm Lazer waren alle Revierleiter der »Juicemen« vollständig versammelt. Die Konferenz der Geldverleiher fand diesmal im Atelier eines verreisten Architekten statt. Ben Waltons Aufgabe als Sekretär war es, von Fall zu Fall stetig wechselnde Konferenzräume zu beschaffen, die zu den Gangstern in keiner Beziehung standen. Tarnung wurde bei den »Juicemen« groß geschrieben.

Ben Walton fingerte nervös an der Krawatte herum. Er hatte seinen Anpfiff bereits weg und wußte, wie wütend und gereizt der »Bankhalter« war.

Chris Pierce trauerte noch immer seinem Geld nach und verfluchte den Butler.

Staff Weed, der neben ihm saß, wünschte Parker die Pest an den Hals. Seine dicken Wurstfinger schmerzten und erinnerten ihn an die Ausplünderung.

Joe Harms, der Chef des Reviers, in dem diese beiden Gangster arbeiteten, hatte die unscheinbar aussehende Aktentasche zwischen seine Beine gestellt. Sie enthielt Banknotenbündel, die er nach der Konferenz Ben Walton überreichen wollte. Die Abrechnung befand sich in seiner Brusttasche.

Ruckartig nahm er den Kopf hoch, als gerufen wurde. Der Lautsprecher regte sich. Ben Walton nahm den Hörer von der Gabel und verbeugte sich in gewohnter, devoter Weise.

»Hier spricht der ›Bankhalter‹.« Die messerscharfe Stimme füllte das Atelier. »Ich habe den Eindruck, daß Sie weich geworden sind, meine Herren. Namen will ich nicht nennen. Aber es ist doch ausgeschlossen, daß ein einzelner, alter Mann in der Lage ist, ein ganzes Revier zu verwirren. Wahrscheinlich arbeitete unser früheres Mitglied Herm Lazer mit diesem Mann zusammen. Lazer steht ab sofort auf der Liste. Wer immer ihn sieht, hat sofort zu schießen. Ab sofort wird eine Treibjagd auf den bewußten, alten Mann begonnen. Er heißt Josuah Parker und scheint früher einmal als Butler gearbeitet zu haben. Dieser Mann ist zu stellen. Ich will ihn allerdings lebend sehen. Ein Verhör wird zeigen, ob wir es mit einem verrückt gewordenen Einzelgänger zu tun haben.«

Ben Walton nickte wie ein Automat und rückte seine Brille zurecht. Der »Bankhalter« schien wieder einmal Röntgenaugen zu besitzen und alles zu sehen.

»Walton«, mahnte die messerscharfe Stimme des Bandenchefs. »Wann hören Sie endlich einmal mit diesem Katzbuckeln auf. Sorgen Sie lieber dafür, daß keine Pannen mehr passieren. Wir müssen jetzt noch härter und entschlossener Vorgehen als sonst. Falls unsere Kunden erst mal herausfinden, daß wir mit uns spielen lassen, können wir einpacken und uns neue Jobs suchen. Gibt es irgendwelche Fragen?«

Ben Walton hüstelte nur und hielt ansonsten seinen Mund.

Joe Harms atmete tief auf. Seiner Schätzung nach kam er diesmal glimpflich davon. Der »Bankhalter« hatte seinen Namen nicht genannt.

Chris Pierce preßte die Lippen zusammen und war froh, daß er von seiner Blamage nichts gesagt hatte.

Staff Weed schnaufte, dachte an sein Geld, an die Mausefalle und an Josuah Parker, der ihn hereingelegt hatte. Doch mehr tat er nicht. Er sagte kein Wort und zog unwillkürlich den Kopf ein, als Ben Walton ihn unabsichtlich ansah.

»Keine Fragen also«, entschied der »Bankhalter« nach einer kurzen Pause. »Ich wiederhole also noch mal, dieser Josuah Parker ist mit allen Mitteln zu stellen. Ich möchte mir ausbitten, daß gewisse Leute nicht noch einmal auf Wassereimer und Trockenerbsen hereinfallen … Ende …!«

Es knackte in der Leitung. Pierce und Weed bekamen bei der Erwähnung der Trockenerbsen einen tomatenroten Kopf und fingerten schleunigst nach ihren Taschentüchern. Sie waren restlos bedient und fühlten sich wie Anfänger …!

*

Leutnant Branch war sich noch nicht recht schlüssig darüber, ob er schimpfen oder lachen sollte. Als Mike Rander ihm einen Drink anbot, nickte er dankend und trank das Glas in einem Zug leer.

»Für mich besteht kein Zweifel, daß Parker in der Stadt ist und die ›Juicemen‹ bekämpft«, sagte er. »Rander, sagen Sie die Wahrheit, er hat sich bereits bei Ihnen gemeldet, oder?«

»Ich weiß von nichts, Branch.« Anwalt Mike Rander versorgte auch sich mit einem Drink und ließ sich in einen Sessel fallen. »Wieso wissen Sie so genau, daß mein Butler in der Stadt ist?«

»Heute morgen traf bei mir ein Päckchen ein«, berichtete Leutnant Branch. »Es enthielt Banknoten im Wert von fast 10 000 Dollar. Beigefügt war eine Liste von Personen, die sich bei den ›Juicemen‹ Geld ausgeliehen haben und die dazugehörigen Schuldscheine. Das alles deutet doch auf diese verbrecherischen Geldverleiher hin, oder?«

»Stimmt, aber doch nicht auf Parker.«

»Rander, Sie wissen genausogut wie ich, daß nur Parker so handelt. Er sitzt den ›Juicemen‹ bereits dicht auf den Fersen. Hinzu kommt noch eine dubiose Schießerei in einem Haus in der Hubbard Street. Schön, ich werde die Katze aus dem Sack lassen, Rander. Meine Leute stellten fest, daß in dieser kleinen Wohnung ein Mann wohnt, der Ihrem Butler verteufelt ähnlich sieht. Ich sage nur Melone, Regenschirm und schwarze Kleidung.«

»Das sieht allerdings nach Parker aus«, gab Mike Rander lächelnd zu.

»Wie war das mit der Schießerei, Branch?«

»Genaues wissen auch wir nicht. Hausbewohner riefen die Streife an. Als die Jungens die Wohnung betraten, stolperten sie über einen leeren Wassereimer, pantschten durch die riesige Wasserlache und rutschten über ausgestreuten Trockenerbsen aus. Wollen Sie behaupten, daß Parker dabei seine Hand nicht im Spiel hatte?«

»Wirklich, das könnte Parker gewesen sein.« Mike Rander grinste, erinnerte sich der Schießerei und sorgte sich nun doch um seinen Butler. »Konnten Ihre Leute Blutspuren ausmachen?«

»Nichts … Was mich stutzig macht, ist die Tatsache, daß die Experten nicht einen einzigen Fingerabdruck finden konnten. Der Bewohner dieser kleinen Wohnung muß also unentwegt Handschuhe getragen haben.«

»Stimmt, das ist Parker.« Mike Rander war sich seiner Sache nun vollkommen sicher. »Branch, er wird seine Gründe haben, unsichtbar bleiben zu wollen.«

»An Parkers Extratouren gewöhne ich mich nur sehr schwer«, beschwerte sich Leutnant Branch. »Schließlich sind wir ja dafür da, Verbrecher zu bekämpfen.«

»Parker hilft Ihnen dabei ein wenig«, schwächte Mike Rander die Worte des Leutnants ab. »Verbrecher hat er Ihnen bisher noch nicht geliefert, oder?«

»Wie ich ihn kenne, können wir sie uns bald irgendwo in der Stadt abholen. Privat gesprochen, Rander, bewundere ich diesen verflixten Parker. Doch offiziell und dienstlich gesehen, muß ich ihn bei Gelegenheit mal zusammenstauchen.«

»Es wird ihm peinlich sein.« Rander grinste.

»Sie haben seinen Wortschatz schon fast übernommen«, entrüstete sich Branch. »Eines Tages wird Parker Pech haben und irgendwelchen Gangstern ins Garn gehen. Er ist schließlich kein Übermensch.«

»Ganz sicher nicht, Branch, aber dafür gerissen und trickreich. Sie haben ja in der Vergangenheit erlebt, was man damit alles schaffen kann. Wollen Sie sich nun einschalten?«

»Natürlich, wir kennen einige Schuldner der ›Juicemen‹. Diese Leutchen werden wir jetzt diskret überwachen und auch beschützen. Die Gangster werden versuchen, auch nach dem Verlust der Schuldscheine an ihr Geld zu kommen. Das werden wir verhindern. Oder auch in Einzelfällen fördern. Nicht nur Parker ist gerissen. Auch wir von der Polizei haben da unsere bestimmten Methoden.«

»Sie wollen sich über einige Schuldner, die zum Schein zahlen, an die Gangster leise heranpirschen?«

»So ungefähr, Rander, aber hängen Sie das nicht an die große Glocke. Und noch einmal: Sollte Parker sich melden oder sogar auftauchen, muß er mich sofort anrufen.«

»Ich werde nicht vergessen, ihm das auszurichten, Branch. Und schärfen Sie Ihren Leuten ein, daß Trockenerbsen unter Umständen verflixt tückisch sein können …!«

*

Nach der unmißverständlichen Ansprache des »Bankhalters« drängten die einzelnen Revierbosse zur Kasse. Genauer gesagt, sie lieferten dem Sekretär ihrer Vereinigung die eingesammelten Gelder ab.

Ben Walton zählte, strich ein und fertigte seine Mitarbeiter ab. Er führte genau Buch über die einzelnen Beträge und versenkte die Banknotenbündel in eine große Aktentasche, die eine lange und flache Stahlkassette umschloß.

Das Abkassieren dauerte etwa zwanzig Minuten. Dann verließ der letzte der Revierbosse das Atelier und kehrte auf die Straße zurück. Ben Walton zündete sich nach dieser Leistung eine Zigarre an, schloß die Kassette sorgfältig ab und gönnte sich eine kleine Atempause.

Besonders eilig hatte er es nicht. Er wußte, daß der Inhaber des Ateliers erst in einigen Wochen aus Kalifornien zurückerwartet wurde. Walton lehnte sich im Stuhl weit zurück und sah beiläufig zum Lautsprecher hoch, der die Stimme seines Herrn lautstark und messerscharf wiedergegeben hatte.

Er dachte an den »Bankhalter« und dessen Anspielungen. Er zerbrach sich wieder einmal den Kopf darüber, woher sein Chef immer genau wußte, was er, Ben Walton, gerade tat. Dabei wußte Walton im Gegensatz zu den Revierchefs sehr genau, daß irgendeine geheime Fernsehanlage nicht angebracht war.

Walton, wenn auch äußerlich servil und überhöflich, fühlte sich dem »Bankhalter« zumindest gleichwertig. Das lag nicht allein daran, daß er der einzige Gangster war, der den Chef im. Hintergrund wirklich kannte. Nein, Walton leistete die Hauptarbeit und schuftete sich für seinen Boß ab. Der »Bankhalter« hingegen kommandierte ihn nur herum und kassierte stets den Löwenanteil ein. Eine Regelung, mit der Walton auf lange Sicht gesehen, keineswegs einverstanden war.

Eines Tages werde ich diesem Burschen den Rang ablaufen und ihn ausschalten. Das hatte er sich schon oft geschworen. Bisher fand Ben Walton nur nie eine Möglichkeit, seine Wunschträume in die Tat umzusetzen. Er suchte immer noch nach einem Mann, den er vorschicken konnte und der ihm die Kastanien aus dem Feuer holte.

Der Sekretär der »Juicemen« war alles andere als leichtsinnig. Er unterschätzte den »Bankhalter« auch nicht. Oft fragte er sich, ob sein Chef nicht längst ahnte, was in seinem Kopf vor ging. Auch im privaten Verkehr konnte der Boß seine Anspielungen nicht unterlassen. Ja, oft hatte Walton sogar den sicheren Eindruck, daß sein Boß sich über die Pläne seines Sekretärs amüsierte und ihm eine Ausführung einfach nicht zutraute.

Walton gähnte. Es wurde Zeit für ihn, das Atelier zu verlassen. Er mußte das Geld noch abliefern und anschließend Bericht erstatten. Der »Bankhalter« interessierte, sich sehr stark für diesen Josuah Parker, der einen verrückten Wirbel verursacht hatte.

Walton baute den Verstärker, den Adapter und den Lautsprecher ab. Bewaffnet mit seinen beiden kleinen Ledertaschen, verließ er das Atelier und nickte den beiden Revolverhelden zu, die draußen auf dem Flur auf ihn warteten. Sie stellten seine Leibgarde dar und hatten die Aufgabe, vor allen Dingen das Geld zu bewachen.

Ohne ein Wort zu verlieren, schlossen sie sich Walton an, folgten ihm über die Treppe nach unten auf die Straße und stiegen zu ihm in den Wagen. Walton nickte seinem Fahrer zu und schloß die Augen. Er nahm sich vor, einmal für eine Viertelstunde richtig abzuschalten und keine Probleme zu wälzen. Aufzupassen brauchte er jetzt nicht mehr. Dazu hatte er ja seine Leibwache, die darüber hinaus auch so etwas wie seine Gefangenenwächter waren. Sie ließen ihn niemals aus den Augen und erhielten ihre Befehle direkt vom »Bankhalter«.

Lange dauerte die Fahrt nicht. Schon nach knapp zehn Minuten war das Ziel erreicht. Der Wagen bog auf das Gelände einer Fabrik ein und fuhr bis hart an die Verladerampe heran. Ben Walton ergriff die Geldtasche, stieg aus und ließ seine Leibwache zurück.

Die kleine Pforte in der großen Schiebetür war nur angelehnt. Obwohl Walton schon seit Monaten hier aufkreuzte, um die Gelder abzuliefern, hatte er jedesmal ein unheimliches Gefühl in der Magengegend, wenn er das dunkle Lager betrat. Hier roch es nach Ungeziefer. Und irgendwo in der Dunkelheit dieses dreistöckigen Lagerschuppens hielt sich der »Bankhalter« auf und wartete auf sein Geld.

Der Chef der »Juicemen« war ungemein mißtrauisch. Obwohl Ben Walton ihn kannte, vermied er einen zu häufigen und zu innigen Kontakt. Ging es aber darum, das Geld abzuliefern, so traf der »Bankhalter« besondere Vorsichtsmaßnahmen, um nicht durch Verrat überrascht zu werden.

Obwohl es hinter der kleinen Pforte stockfinster war, kannte Ben Walton sich bestens aus. Er ging ein paar Schritte in den Schuppen hinein und tastete nach dem Laufband, das hier endete. Ein endloses Gummiband, von einem starken Elektromotor bewegt, beförderte normalerweise Mehlsäcke aus der Tiefe des Schuppens hinunter zur Verladerampe.

Auf Wunsch des »Bankhalter« war das Gummi-Förderband umgespannt worden. Es lief nach oben und wartete nur darauf, die Geldtasche mit sich zu nehmen. Wo der »Bankhalter« stand, um die Tasche in Empfang zu nehmen, wußte selbst Ben Walton nicht. Sein Chef wechselte den Standort von Fall zu Fall. Sollte es einmal zu einer peinlichen Überraschung kommen, konnte der »Bankhalter« sich schnell und lautlos absetzen und die Flucht ergreifen.

Walton legte den Hebel des Elektromotors herum und hörte das vertraute, bekannte Summen. Rasselnd setzte sich das endlose Förderband in Bewegung. Der Sekretär der »Juicemen« legte die Tasche auf das Gummiband und kehrte sofort zurück auf die Rampe. Was jetzt mit der Tasche geschah, interessierte ihn nicht mehr. Er gestand sich allerdings wieder einmal ein, daß der »Bankhalter« jetzt um eine beträchtliche Summe reicher geworden war.

Der Gangsterchef hielt sich in jener Nacht in der zweiten Etage des Lagerschuppens auf. Er hörte das Rasseln des Förderbands und ließ den abgedunkelten Schein einer Taschenlampe aufflammen. Damit leuchtete er das vorerst noch leere Förderband ab. Schon nach knapp dreißig Sekunden tauchte im Lichtschein die bewußte Mappe auf.

Mit einer schnellen Bewegung nahm der »Bankhalter« die Tasche vom Gummiband und stellte sie auf eine leere Kiste. Mit einem Zweitschlüssel öffnete er die Kassette und leuchtete die Banknotenbündel ab. Er verzichtete darauf, das Geld gleich an Ort und Stelle zu zählen. Bisher hatte er sich auf Ben Walton immer noch verlassen können.

Viel war von dem »Bankhalter« nicht zu erkennen. Er trug einen weiten Mantel und hatte sich den Hut tief in die Stirn gezogen. Ein hochgebundener Seidenschal verdeckte zusätzlich sein Gesicht. Weich und geschmeidig verließ der Mann mit der messerscharfen Stimme das Förderband, nachdem er es abgestellt hatte. Für Walton war es das Zeichen, abzufahren.

Der »Bankhalter«, der sich in diesem verödeten, leeren Lagerschuppen erstklassig auskannte, verschwand hinter Trennwänden und Kistenstapeln. Nur ein paar Ratten pfiffen erleichtert auf, als sie den Schuppen wieder ganz in Besitz nehmen konnten …!

*

Josuah Parker, weder leichtsinnig noch selbstmörderisch veranlagt, kehrte nicht mehr in seine kleine Wohnung in der, Hubbard Street zurück. Er konnte sich unschwer ausrechnen, daß dort nicht nur die Revolverhelden der »Juicemen«, sondern auch die Polizei auf ihn wartete.

Er blieb zwar im Revier des Gangsters Joe Harms, denn von hier aus wollte er die Geldverleiher aufrollen und ihre Organisation zerschlagen. Der Butler wurde Gast eines kleinen Hotels in der Fulton Street. Diese neue Unterkunft hatte er sich nach taktischen Gesichtspunkten ausgesucht. Für den Fall einer Belagerung standen ihm verschiedene Fluchtmöglichkeiten zur Verfügung.

Nach der ersten Kontaktaufnahme mit den Gangstern wurde die Lage nun kritisch. Parker wußte aus Erfahrung, daß die Gangster solch eine Schlappe niemals hinnehmen würden. Um ihr Gesicht zu wahren, mußten sie eine große Treibjagd auf ihn veranstalten. Parker richtete sich dementsprechend ein. Er besuchte im Laufe des Vormittags einige Spezialgeschäfte, in denen er sich mit reizvollen Überraschungen eindeckte. Er liebte es, unorthodox vorzugehen und seinen Gegner stets neue Überraschungen zu servieren.

Nachdem der Butler ein ausgesuchtes Mittagessen zu sich genommen hatte, stattete er Herm Lazer einen Besuch ab. Der grobschlächtige Boxer befand sich nämlich noch immer in seiner Obhut. Parker hatte ihn an einem sicheren Ort untergebracht.

Um nicht unnötig aufzufallen, verzichtete er darauf, sein hochbeiniges Monstrum zu benutzen. Ein Taxi brachte ihn hinaus zum Montrose Yachthafen. Weit vor dem Kai stieg Parker aus, wartete, bis das Taxi verschwunden war und schritt dann gemessen und würdevoll auf die vielen kleinen Bootshäuser zu, die um diese Jahreszeit einen recht verlassenen Eindruck machten.

Der Butler verschwand im Gewirr der Häuser und Landungsstege. Über eine steile, schlüpfrige Treppe stieg er hinunter auf einen Landesteg und betrat dann ein Hausboot, das sich sanft im Wasser wiegte.

Bevor er die Tür öffnete, prüfte er mit schnellen Augen die kaum wahrnehmbaren Sicherungen, die er angebracht hatte. Er war zufrieden. Der dünne Zwirnfaden, der sich zwischen Tür und Rahmen spannte, war noch unversehrt. Parker schloß die Tür auf und suchte seinen Gast auf, der in einem Kielraum saß und ihn giftig anstarrte.

»Ich hoffe, Sie langweilten sich nicht zu sehr«, begrüßte Parker den Gangster. Er schraubte das Licht der Petroleumlampe etwas hoher, um Herm Lazer besser sehen zu können. Der Gangster, dessen rechter Fuß an einer starken Nickelkette befestigt war, die wiederum an der Innenwand des Bootes angeschraubt war, stand vorsichtig auf. Parker sah, daß Herm Lazer mit dem Tafelmesser versucht hatte, die dicke Eisenschraube aus der Bordwand zu schneiden. Es war selbstverständlich nur bei einem unzulänglichen Versuch geblieben. Das Mahagoniholz des Bootsrumpfes hätte selbst einer mittelstarken Kreissäge standgehalten. Von der Solidität der Nickelkette ganz zu schweigen. Es zeigte sich wieder einmal, daß Parker das, was er tat, auch richtig und ganz besorgte.

»Wenn ich hier rauskomme, haben Sie ein Verfahren wegen Entführung am Hals«, tobte der ehemalige Boxer. »Wie ’nen räudigen Hund haben Sie mich angekettet.«

»An Ihrer Stelle würde ich solch einen Hund durch diesen Vergleich nicht beleidigen«, gab Parker sanft zurück. »Sie hatten doch die Möglichkeit, sich durch lautes Rufen der Öffentlichkeit mitzuteilen. Warum machten Sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch …?«

Herm Lazer schwieg. Er wollte nicht zugeben, welch eine Angst er vor seinen ehemaligen Partner hatte. Im Grunde war ihm der Aufenthalt in diesem Hausboot lieber als eine Haft im Untersuchungsgefängnis. Hier nämlich fühlte er sich fast sicher.

»Es steht Ihnen später selbstverständlich frei, Mr. Lazer, Klage gegen mich zu erheben«, redete Parker weiter. »Wie ich übrigens sehe, haben Sie den Speisen und Getränken recht gut zugesprochen.«

»Zum Teufel mit Ihnen …!«

»Womit wir durch Ihre Bemerkung wieder bei dem Chef Ihrer Organisation angelangt wären«, nahm Parker den Hinweis auf. »Wir unterhielten uns gestern in der Nacht über Ihre Beobachtungen anläßlich dieser Konferenzen, die der ›Bankhalter‹ einberuft.«

»Ich werde kein Wort mehr sagen …!«

»Ich könnte Sie natürlich zwingen, sich mir zu offenbaren«, antwortete Josuah Parker freundlich. »Von diesen Mitteln werde ich aber keinen Gebrauch machen. Ich werde Ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen, und dafür sorgen, daß Sie wieder in die Arme Ihrer Organisation zurückkehren können.«

»Was soll das heißen …?«

»Ich werde Sie losketten und zurück in Ihre Wohnung schaffen. Es hängt dann von Ihrer Geschicklichkeit ab, was Sie Ihren Freunden erklären werden.«

»Soll das’n Witz sein?«

»Es ist mein voller Ernst, Mr. Lazer.«

»Hören Sie, das können Sie doch nicht mit mir machen … Hören Sie mal … das wäre doch glatter Mord. Sie wissen doch verdammt genau, wie scharf die jetzt auf mich sind …!«

»Wenn Sie mich darum bitten sollten, hier bleiben zu dürfen, werde ich Ihrem Wunsch selbstverständlich entsprechen. Dazu gehört dann allerdings, daß Sie auf meine Gesprächsthemen auch eingehen, Mr. Lazer.«

»Also gut, Sie sind am Drücker …! Schön, stellen Sie Ihre Fragen. Aber das garantiere ich Ihnen, sollte ich wieder frei sein, dann können Sie von mir was erleben …!«

»Ich werde Sie dann ganz gewiß nicht enttäuschen«, gab Josuah Parker zurück. »Nun aber zur Sache. Ben Walton also ist der Sekretär des ›Bankhalters‹. Über diesen Mann würde ich gern mehr hören, Mr. Lazer. Seien Sie versichert, daß Sie in mir einen interessierten Zuhörer haben.«

Josuah Parker nahm auf einem Hocker Platz und ließ Herm Lazer nach Herzenslust reden. Da der Gangster seit vielen Stunden allein war, flossen seine Lippen über. Er war richtig froh, seine Stimme hören zu können.

Und Parker begrüßte es, weitere Geheiminformationen aus erster Hand zu erhalten. Lazer erwies sich in dieser Beziehung als eine wahre Fundgrube …!

*

Nach Anbruch der Dunkelheit befand Parker sich wieder in der Stadt. Seinen Berechnungen nach ließ der »Bankhalter«, dessen Spitznamen er nun schon kannte, seine alte Wohnung in der Hubbard Street überwachen. Herm Lazer hatte im Verlauf seiner weiteren Ausführungen auch von den »Bluthunden« des Chefs gesprochen. Der Butler wußte also, was ihn erwartete, falls er die Wohnung tatsächlich noch einmal betrat.

Im Schutze der Dunkelheit näherte er sich der Hubbard Street, verschwand in einem Torbogen und suchte sich in seiner altbekannten gemessenen und würdevollen Weise seinen Weg. Auf Umwegen über Hinterhöfe und schmale Gassen erreichte er den Niedergang zu einem Keller.

Da er wie immer schwarze Kleidung trug, war er kaum auszumachen. Der Butler benutzte für wenige Sekunden sein Spezialbesteck, um die Kellertür zu öffnen. Er hatte kein schlechtes Gewissen, das Haus ohne Erlaubnis zu betreten. Schließlich wollte er ja nicht stehlen, sondern nur seine Mitmenschen von der Pest einer Gang befreien.

Er befand sich in einem Bürohaus, in dem um diese Zeit nicht gearbeitet wurde. Um etwa vorhandene Nachtwächter nicht unnötig in Unruhe zu versetzen, verzichtete er auf die Benutzung des Lifts, der im Kellergeschoß endete. Nein, Parker unterzog sich der Strapaze, die im Haus für den Fall eines Brandes eingebaute Betontreppe zu benutzen. Ein heimlicher Beobachter hätte mit Sicherheit Augen und Mund aufgesperrt, so schnell und kraftvoll brachte Parker die vielen Stufen hinter sich. Sein Puls und sein Atem, gingen kaum schneller, als er das oberste Stockwerk erreicht hatte.

In einem Büro ließ Parker sich häuslich nieder, öffnete eines der drei Klappfenster und nickte zufrieden. Er sah vor sich die Fassade des Hauses, in dem er gewohnt hatte. Tief unter ihm war die Straße mit den noch geöffneten Geschäften, mit Kneipen, Bars und Würstchenständen.

Mit geschultem Blick entdeckte Parker schnell einige verdächtige Männer, die sich vor dem Haus herumtrieben und augenscheinlich auf seine Rückkehr warteten. Parkers Augen und Witterung waren derart geschärft, daß er schnell die beiden Polizeidetektive von den vier postierten Gangstern unterschied.

Parker knöpfte sich den weit fallenden schwarzen Covercoat auf, griff in eine der unergründlichen Taschen und zog eine Schleuder hervor. Es handelte sich wie in allen Fällen um eine Spezialanfertigung aus starkem Stahldraht und sehr dehnungsfähigem Gummi. Der Butler legte eine flache, runde Blechschachtel vor sich auf die Fensterbank und wählte mit Bedacht sein erstes Geschoß. Es war eine runde Bleikugel, die er in die Lederschlaufe der Schleuder legte. Ein kurzes Spannen, ein ruckartiges Loslassen und schon fegte die Bleikugel mit raketenartiger Geschwindigkeit durch die Nacht.

Davon ahnte der Gangster nichts, der sich breitbeinig und stämmig neben dem Würstchenstand aufgebaut hatte. Er hatte sich den Hut in den Nacken geschoben und fluchte gerade innerlich über seinen Job. Er langweilte sich fürchterlich und glaubte fest und sicher, daß dieser Parker niemals zurückkehren würde.

Er fluchte nicht mehr, als die Bleikugel seinen Stiernacken traf. Er kickste nur überrascht auf, spürte dann den Schmerz und wurde weich in den Knien. Er hielt sich an einem Wasserhydranten fest und rieb sich dann seinen Nacken. Verstohlen schaute er sich nach allen Seiten um. Er konnte sich einfach nicht erklären, was ihn da im Nacken getroffen hatte.

Parker ging methodisch vor.

Er gönnte seinem ersten Opfer eine kleine Verschnaufpause und visierte den zweiten Gangster an.

Dieser Mann war ebenfalls ahnungslos.

Er rauchte eine Zigarette, sah einem netten Girl nach und entschloß sich gerade, anerkennend zu pfeifen. Der Ansatz seines Pfiffs ging in einem bösen Schimpfwort unter, denn Parkers Bleikugel traf ihn genau auf der rechten Wange.

Der Gangster ging sofort in Deckung und beging den Fehler, seinen 45er zu ziehen. Verlegen steckte er ihn allerdings schnell wieder ein, denn weit und breit war kein Gegner zu sehen. Der »Bluthund« des »Bankhalters« versuchte Augenkontakt zu seinem Partner am Hydrant aufzunehmen, doch der Partner war nicht zu sehen.

Butler Parkers Schleuder war schon wieder in Tätigkeit. Diesmal traf die Bleikugel einen Gangster, der vor dem Schaufenster einer Kneipe stand. Der Mann konnte es sich einfach nicht erklären, wieso sein Hut plötzlich vom Kopf herunterfiel, obwohl doch kaum ein Windchen ging.

Parker wollte auch dem vierten Gangster einen kleinen Bleigruß servieren, doch dieser Mann verschwand gerade hinter einem Laternenmast, wo ein Zeitungsverkäufer die Abendausgaben anbot. Parker wartete, bis der Gangster sich mit einem Blatt eingedeckt hatte. Er gönnte dem Mann noch ein paar Sekunden, bis er die Zeitung ausgebreitet hatte. Da aber konnte der Butler einfach nicht widerstehen. Seine Bleikugel zerfetzte die Zeitung und ließ den Gangster erschreckt zusammenfahren. Der Mann sah sich mißtrauisch um, glaubte wohl an einen Streich eines Gassenbengels und wechselte seinen Standort.

Die beiden Polizeidetektive im Fahrerhaus eines Lieferwagens ließ Parker ungeschoren. Er wollte die Vertreter des Gesetzes nicht verwirren. Ihm lag sehr daran, daß sie möglichst lange nichts von diesem Intermezzo merkten.

Der Gangster vor der Kneipe hatte sich inzwischen wieder gefaßt. Scheinbar gelassen und ahnungslos, befand sich dieser Mann in Höchstspannung. Er wollte herausbekommen, wer ihn da so raffiniert angeschossen hatte.

Eine Bleikugel aus Parkers Schleuder veränderte schlagartig diese Situation. Die Scheibe hinter dem Gangster barst in Stücke. Klirrend rasselten die Scherben auf das Pflaster. Verschreckt und nicht begreifend, drehte der Gangster sich entsetzt um. Natürlich hatte er die Scheibe nicht zertrümmert, doch das wußte der stämmige Barkeeper nicht, der mit einem abgebrochenen Baseball-Schläger aus der Kneipe herausstürzte und ohne langes Fragen auf den verdutzten Gangster eindrosch.

Der Mann neben dem Würstchenstand sah den Beginn dieser Keilerei und fühlte sich verpflichtet, seinem Partner zu Hilfe zu eilen. Er vergaß die Belästigung aus der Luft, rannte auf die Kneipe zu und wollte dem Barkeeper in den Rücken fallen.

Doch dieser Mann stand nicht allein auf weiter Flur. Einige Stammgäste, die für später auf ein Freibier warteten und hofften, stürzten sich in den Kampf und mischten kunstfertig mit. Innerhalb weniger Minuten entstand eine solenne Prügelei, die eine weitere Schaufensterscheibe kostete.

Josuah Parker stellte seine weiteren Belästigungen für eine Weile zurück und genoß diese Auseinandersetzung, die er durch das absichtliche Zertrümmern der Kneipenscheibe verursacht hatte. In Anbetracht der Situation gestattete er sich sogar den Luxus eines leicht verschmitzten Lächelns.

Der Kampf vor der Kneipe wogte hin und her.

Die beiden anderen Gangster hatten inzwischen ebenfalls eingegriffen und schlugen wie rasend um sich. Gegen die Übermacht aus der Kneipe kamen sie allerdings nicht an. Die Aussicht auf einige Lagen Bier und Schnaps spornte die Kneipenbesucher zu wahren Höchstleistungen an. Schon nach wenigen Minuten gaben die vier Gangster auf und setzten sich ab. Sie trabten an dem Lieferwagen vorbei, in dem die beiden Polizeidetektive saßen, schlüpften in ihren Wagen und fuhren davon.

Josuah Parker, mit der Wirkung seiner Schleuder durchaus zufrieden, packte die kleine, raffinierte Waffe ein und verließ das Fenster. Nach weiteren fünf Minuten stand er auf der Straße und kümmerte sich um ein Taxi. In dieser Nacht hatte er nämlich noch sehr viel vor. Er wollte die von Herm Lazer gewonnenen Erkenntnisse möglichst umgehend und nutzbringend an wenden …!

*

Joe Harms, der zähe und drahtige Chef des Reviers, hatte seine Kneipe geschlossen. Es war weit nach Mitternacht. Die beiden Barkeeper rechneten ab, sicherten die Eingangstür und verließen die Kneipe. Harms schloß die Eisentür zum Korridorgang, legte sicherheitshalber einen Querbalken vor und stieg über die Wendeltreppe im Büro hinauf in seine kleine, aber sehr gut eingerichtete Wohnung. In dieser Nacht hatte er einfach keine Lust, noch ein paar Stunden Nachtleben mitzumachen, wie es sonst seine Gewohnheit war. Seit Parkers Wirken fühlte er sich nicht mehr sonderlich wohl in seiner Haut. Er wurde das dumpfe Gefühl nicht los, dauernd beobachtet zu werden.

Er mixte sich einen Drink, ließ sich in einen tiefen, bequemen Sessel fallen und schloß nachdenklich die Augen. Nicht nur dieser Parker stellte eine Gefahr dar, nein, auch der »Bankhalter« durfte nicht vergessen werden. Harms ahnte, daß er sich einen weiteren Fehler überhaupt nicht leisten durfte. Geschah noch eine Panne, dann wurde er mit Sicherheit genau so ausgeschaltet wie Mark Steffens.

Er zuckte zusammen, als das Telefon sich mit schrillem Läuten meldete. Er zögerte einen Moment, die Hand nach dem Hörer auszustrecken. Vorsichtig stellte er das Glas weg und hob dann entschlossen ab.

»Hier spricht Joe Harms …!«

»Und hier der ›Bankhalter‹, Harms …!«

Ein Irrtum war ausgeschlossen. Harms kannte die messerscharfe, kalte Stimme seines Chefs. Er spürte, wie seine Kehle sich zusammenzog.

»Ja …?« rang er sich ab.

»Harms, hören Sie genau zu …! Setzen Sie sich sofort in Ihren Wagen und fahren Sie zu Ben Walton. Wo er zu erreichen ist, wissen Sie ja. Meine Leute konnten diesen Josuah Parker stellen. Ich erwarte Sie in etwa zehn Minuten.«

»Ich fahre sofort los …!«

»Beeilen Sie sich!«

Wie ein Stück glühendes Eisen ließ Joe Harms den Hörer aus der Hand fallen. Gleichzeitig seufzte er aber auch erleichtert auf. Parker, der Mann also, der die ganzen Schwierigkeiten verschuldet hatte, war endlich erwischt worden. Damit war die Lage endlich wieder bereinigt. Joe Harms brauchte also nicht mehr um seinen Job und um sein Leben zu fürchten.

Schon nach wenigen Minuten saß er in seinem Wagen und fuhr los. Ben Waltons Privatwohnung lag im Loop, dem engeren Geschäftsviertel von Chicago. In weniger als zehn Minuten hatte der Gangster das Haus erreicht, stellte den Wagen am Straßenrand ab und betrat die Halle des Apartment-Hotels. Mit dem Lift fuhr er hinauf in die dritte Etage und klingelte.

Hinter der Tür war nichts zu hören. Joe Harms klingelte noch einmal und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er konnte sich nicht erklären, warum Ben Walton nicht öffnete. Er erwartete ihn doch schließlich.

Nachdem die Klingel sich heißgelaufen hatte, kam der Gangster zu dem treffenden Schluß, daß Walton entweder nicht zu Hause, oder daß ihm etwas passiert war. Er fuhr zurück in die Halle und erwischte den Hauswart, der gerade aus seiner Dienstwohnung kam.

»Ich suche Mr. Walton«, sagte Harms, sich zur Ruhe zwingend. »Haben Sie eine Ahnung, ob er zu Hause ist?«

»Er ist weggefahren, vielleicht vor zehn Minuten«, gab der Hauswart zurück. »Soll ich etwas für ihn ausrichten?«

»Nein, ich werde später noch einmal vorbeischauen«, meinte Harms, ging nachdenklich zurück zu seinem Wagen und blieb einige Minuten, lang unentschlossen am Steuer sitzen.

Er wußte nicht, was er tun sollte. Unter Umständen konnte er hier vor dem Haus Stunden warten. Vielleicht war es besser, zurück nach Hause zu fahren und das Telefon zu bewachen. Es war durchaus möglich, daß der »Bankhalter« sich wieder meldete und ihm eine neue Adresse durchgab.

Harms preschte also zurück, hastete hinauf in seine Wohnung und betrat den großen Wohnraum. Als er das Licht einschaltete, sah er auf den ersten Blick, daß der Raum durchsucht worden war.

Wütend und gereizt schmetterte er die Tür hinter sich zu und kümmerte sich zuerst einmal um seinen Safe, der sich hinter der Klimaanlage unter dem Fenster befand.

Nervös und mit leicht vibrierenden Händen löste er die Sperre, klappte das Klimagerät zur Seite und … starrte fassungslos auf die nur angelehnte Safetür, die etwas schief in den Angeln hing.

Joe Harms kniete nieder und fingerte in die beiden Fächer hinein. Nun, sie stießen ins Leere, denn die Banknotenbündel, die sich im Safe befanden, waren verschwunden.

Der Gangster konnte es einfach nicht fassen. Nur er allein wußte doch, wo der Safe sich befand. Unter Wahrung aller Vorsichtsmaßnahmen hatte er ihn vor knapp einem Jahr einbauen lassen. Es war ihm rätselhaft, wie das raffinierte. Kombinationsschloß hatte geöffnet werden können. Die Hersteller des Safes hatten ihm doch seinerzeit geschworen und versichert, ein Unberufener könne den Safe niemals öffnen.

In diesem Zusammenhang dachte Harms plötzlich auch an seinen Tresor unten im Büro. Darin lagen die Gelder, die er in den nächsten Tagen an den »Bankhalter« abliefern mußte.

Wie ein geölter Blitz fegte er durch den Raum, hastete über die Wendeltreppe nach unten und schaltete die Neonbeleuchtung ein. Zögernd näherte er sich dem mächtigen Tresor, der einen unversehrten Eindruck machte.

Gott sei Dank, murmelte der Gangster, der das komplizierte Schloß prüfte, scheint alles in Ordnung zu sein.

Doch die Unruhe in ihm war zu groß. Befand sich das Geld tatsächlich noch im Tresor? Um Gewißheit zu haben, spulten seine Hände die notwendigen Griffe und Einstellungen ab. Nach etwa dreißig Sekunden konnte er die schwere Panzertür aufziehen.

Er sah auf den ersten Blick, daß die Banknotenbündel korrekt und in richtiger Anzahl an Ort und Stelle lagen. Harms war derart beglückt, daß er sich eine Zigarette anzünden mußte. Der Verlust seiner privaten Gelder wog nicht so schwer. Hauptsache, er konnte den »Bankhalter« pünktlich beliefern.

»Darf ich Ihnen Feuer reichen?« meldete sich eine höfliche und korrekte Stimme zu Wort, als Harms nach einem Feuerzeug suchte.

Der Gangster erstarrte …!

Langsam drehte er sich um, seine Muskeln spannten sich. Im Ziehen einer Waffe war er ungemein schnell und sicher.

»Ich muß mich für meine Zudringlichkeit entschuldigen«, redete der schwarzgekleidete Mann weiter, der hinter dem Vorhang hervortrat. Er trug einen weit fallenden Covercoat, eine schwarze Melone und einen altväterlich gebundenen Regenschirm. »Den Safe bekam ich leicht auf, Mr. Harms, doch hatte ich zu wenig Zeit, auch den Tresor noch zu öffnen. Ich benötigte dazu Ihre freundliche Mithilfe …!«

»Sie sind … Parker?« Rauh und belegt klang Joe Harms’ Stimme.

»Sehr richtig, Josuah Parker ist mein Name. Ich darf unterstellen, daß Sie bereits von mir gehört haben?«

»Hören Sie, Parker, worauf wollen Sie mit Ihren Mätzchen eigentlich hinaus?« fragte Harms weiter. Für einen Moment vergaß er, die Waffe zu ziehen.

»Oh, das ist schnell erklärt«, entgegnete Parker. »Ihre Methoden, Geld auszuleihen und es wieder mit unmoralisch hohen Zinsen einzutreiben, gefällt mir nicht. Deshalb entschloß ich mich, diesem Treiben ein Ende zu setzen.«

»Haben Sie mich mit dem Anruf aus der Wohnung gelockt?«

»Ich war so frei, Mr. Harms. Ich hoffe, daß ich die Stimme des »Bankhalter« gut zu imitieren vermochte.«

»Zu gut …!«

Joe Harms riß seine Hand hoch und griff nach seiner Waffe. Bevor er sie allerdings ziehen konnte, zischte der Universal-Regenschirm des Butlers durch die Luft und traf die Schläfe des Gangsters. Joe Harms seufzte auf, verdrehte die Augen und fiel über den Schreibtisch. Eine gütige Ohnmacht hinderte ihn daran, sich noch weiter aufzuregen. Parker ging nämlich daran, nicht nur den Tresor auszuräumen, sondern auch das Büro einer gründlichen Inspektion zu unterziehen …!«

*

Doch in dieser Nacht hatte Josuah Parker einiges Pech. Er spielte zu hoch, kalkulierte den unberechenbaren Zufall nicht ein und verlor.

Er hatte die Banknotenbündel und Geschäftsunterlagen Joe Harms’ in eine Tasche gesteckt und verließ das Büro. Der Gangster kam gerade zu sich, war jedoch noch nicht in der Lage, gegen Parker etwas zu unternehmen.

Der Butler öffnete die untere Tür zum Korridorgang, schritt gemessen und ohne Hast auf den Ausgang zu und wurde nach dem Öffnen der Haustür von zwei stämmigen Männern gestoppt. Sie hielten Maschinenpistolen in ihren Händen. Parker, der an einem frühzeitigen Tod nicht interessiert war, blieb stehen und deutete eine knappe Verbeugung an.

»Endlich erwischt …!« stieß einer der Männer triumphierend hervor. »Los, zurück, rein in den Korridor!«

»Mr. Chris Pierce, wenn mich nicht alles täuscht«, antwortete Parker. »Und richtig, da ist ja auch Mr. Weed. Mein Kompliment, Sie waren schneller als ich.«

»Gleich werden wir dir zeigen, was wir sonst noch alles sind«, drohte Pierce. »Keine falsche Bewegung, Parker, sonst sind Sie erledigt.«

»Davon bin ich fest überzeugt«, gestand Josuah Parker. »Seien Sie versichert, daß ich keine weiteren Überraschungen plane.«

Ohne seine Arme hochzunehmen, ließ Parker sich in den dunklen Korridor zurückdrängen. Er hätte es unter Umständen auf eine harte Auseinandersetzung ankommen lassen, doch sein Gefühl sagte ihm, daß ihm im Moment keine Lebensgefahr drohte.

Joe Harms taumelte ihnen entgegen.

Mit einem schnellen Blick erkannte der Gangster, daß die Lage sich grundlegend verändert hatte. Noch war er nicht ganz sicher auf den Beinen.

»Darauf habe ich gewartet«, meinte er mit haßerfüllter Stimme. »Jetzt sind wir mal an der Reihe, Parker.«

»Wie schnell und sicher Sie die Lage beurteilen«, pflichtete der Butler ihm bei. »Ich nehme an, Sie sind in erster Linie an dieser Tasche interessiert, oder?«

Joe Harms riß sie ihm aus der Hand, lief in sein Büro zurück und kippte den Inhalt auf seinen Schreibtisch. Während Pierce und Weed Parker in Schach hielten, zählte der Gangster die Bündel durch. Nach wenigen Minuten richtete er sich auf. Sein Gesicht strahlte.

»Alles beisammen«, verkündete er. »Mein Privatgeld und auch das Betriebskapital …!«

Er zündete sich eine Zigarette an und ließ sich in einen Sessel fallen. Aus schmalen Augen beobachtete er Josuah Parker, der stocksteif an der Wand stand und keine Gefühlsregung zeigte.

»Und nun zu Ihnen, Parker …!« Harms drückte sich wieder hoch und trat dicht vor Parker. »Sie werden uns eine Menge erzählen müssen, Alter …! Jungens, durchsucht ihn nach Waffen. Aber seid vorsichtig, er ist gefährlicher als eine Giftschlange.«

»Ein wenig passender Vergleich, gegen den ich Protest einlegen muß«, erklärte Josuah Parker. Gehorsam ließ er sich mit dem Gesicht zur Wand stellen. Dann klopfte Pierce ihn nach Waffen ab.

»Seht euch das Ding an …!« spottete Pierce, als er den uralten Colt Parkers gefunden hatte. »Den hätte selbst Buffalo Bill nicht mehr angefaßt.«

Er war derart begeistert über seinen Fund, daß er Parker anschließend nur noch oberflächlich untersuchte. Dann durfte der Butler sich wieder umdrehen.

»Wer hat euch zu mir geschickt?« fragte Harms seine beiden Mitarbeiter.

»Ben Walton, er rief uns an, Chef. Er kam nach Hause und erfuhr, daß du ihn besuchen wolltest. Er schöpfte Verdacht und hetzte uns hierher.«

Joe Harms klemmte sich sofort ans Telefon und rief den Sekretär der »Juicemen« an. Walton war am Apparat, er schien auf diesen Anruf gewartet zu haben.

»Wir haben Parker erwischt«, meldete Harms. »Ja, richtig, diesen schwarzen Raben …! Was soll mit ihm geschehen? Wie …? Gut, werde ich sofort veranlassen. Der wird sich freuen …!«

Harms warf den Hörer in die Gabel und drehte sich zu dem Butler um, der einfach nicht aus der Ruhe zu bringen war. Harms lächelte dünn und gefährlich.

»Unser Chef erwartet uns«, meinte er. »Und auch die ›Bluthunde‹ des Chefs freuen sich schon darauf, Sie in die Mache zu nehmen, Parker.«

»Ich beuge mich der Gewalt«, gab der Butler nur zurück. Pierce und Weed drängten ihn vorsichtig in eine Ecke. Sie gaben sich keine Blöße, denn schließlich wußten sie aus Erfahrung, wie überraschend Parker zu handeln pflegte.

»Handschellen«, ordnete Harms an. »Und dann ’rüber in die Garage. Wir fahren sofort los.«

Parker mußte sich von seinem Regenschirm trennen. Weed nahm ihn an sich. Er wollte ihn als besonderes Beutestück mitnehmen. Dem Butler wurden solide Handschellen angelegt. Dann drängten ihn Pierce und Weed zurück in den Korridor. Nach einem kurzen Fußmarsch landete das Trio in einer Garage.

»Wir können sofort losfahren, Harms nimmt seinen eigenen Wagen …!« Weed setzte sich ans Steuer und bugsierte den Lincoln auf einem Umweg über einen Hinterhof auf die Straße

Parker saß auf dem Rücksitz. Neben ihm hockte Pierce, der die Maschinenpistole gegen einen 45er ausgetauscht hatte. Er preßte die Mündung gegen Parkers Hüfte, war bereit, sofort zu schießen.

Der Butler hatte Gelegenheit, den genauen Weg zum »Bankhalter« zu verfolgen. Er prägte sich die Straßennamen ein, erkannte besondere Punkte in der Stadt und fand bald heraus, daß die Fahrt zu den riesigen Hafenanlagen Chicagos ging.

Weed bremste den Lincoln im Schatten eines wolkenkratzerhohen Getreidesilos ab. Parker mußte aussteigen. Geführt von den beiden Gangstern, überschritt er Bahnanlagen, Verbindungsstraßen und Holzplanken, unter denen das Wasser schimmerte. Das vielfältige Licht der Reklamen genügte vollkommen, um selbst hier den Hafen zu erleuchten. Zielsicher strebten die beiden Gangster ihrem Ziel zu. Parker mußte über eine steile Steintreppe hinunter auf einen Laufsteg klettern, der den Pier mit einem abgetakelten und schäbigen Küstenfrachter verband. An Deck standen Schweißgeräte, Schraubstöcke, Farbeimer und Arbeitsgeräte herum. Der Küstenfrachter wurde generalüberholt.

Parkers aufmerksamen Augen entging nicht, daß die Bleche an Deck verrostet waren. Auch das Arbeitsgerät machte einen unbenutzten Eindruck. Seiner Schätzung nach waren die Überholarbeiten längst eingestellt worden. Für die Gangster aber war dieser Küstenfrachter ein wunderbares Versteck. Unter Deck konnten die Verbrecher tun und lassen, was sie wollten.

Pierce und Weed trieben den Butler auf die Brücke zu. Ein Fußtritt öffnete eine Tür, hinter der sich ein Niedergang befand. Parker ließ sich nicht lange nötigen, sondern stieg nach unten. Die beiden Gangster ließen ihn nicht aus den Augen.

»Hauen Sie sich irgendwo hin«, meinte Weed zu Parker. Sie standen jetzt im Maschinenraum. Parker sah die vier Feuerungslöcher, schritt über Eisenplatten, die unter seinen Schritten dröhnten und roch die Mischung aus Kohlenstaub, Öl, Farbe und abgestandenem Wasser. Er ließ sich auf einer Kiste nieder und gab nicht eine Spur seiner gewohnten, steifen und korrekten Haltung auf. Es gab wohl kaum etwas, was Parker erschüttern konnte. Wenigstens äußerlich ließ er sich grundsätzlich nichts anmerken.

Pierce und Weed lungerten am Niedergang herum und spielten lässig mit ihren Waffen. Sie sprangen sofort in Deckung, als Schritte zu hören waren. Doch es war nur Joe Harms, der ihnen gefolgt war.

»Sie werden gleich kommen«, sagte er zu seinen beiden Mitarbeitern. Damit meinte er wohl den »Bankhalter« und seine Leibwache. Harms rauchte nervös, schritt vor den Feuerungslöchern auf und ab und sah immer wieder zu Parker hinüber, der völlig unbeteiligt wirkte. Harms war dieses Verhalten irgendwie unheimlich. Er hätte sich in solch einer tödlichen Gefahr jedenfalls anders verhalten und vielleicht sogar verrückt gespielt.

Die Lage spitzte sich zu, als nach weiteren zehn Minuten zwei der »Bluthunde« des Bandenchefs erschienen. Sie beherrschten sofort die Szene und lösten Pierce und Weed in der Bewachung ab. Diese verschwanden aus dem Lichtkreis der sparsamen Deckenbeleuchtung und hielten sich im Hintergrund.

»Fangen wir schon an«, meinte einer der beiden »Bluthunde« zu Parker. »Wo steckt Herm Lazer, Alterchen? Ich wette, du kannst uns da ein Licht aufstecken, ja?«

Um Parker in Schwung und Stimmung zu bringen, auch animiert von der runden schwarzen Kopfbedeckung des Butlers, schlug der Gangster mit der Faust auf die Melone und wollte sie dem Butler tief in die Stirn treiben.

Der Mann führte seinen Schlag aus, doch die Melone änderte kaum ihren korrekten Sitz. Dafür stöhnte der »Bluthund« überrascht auf und rieb sich die schmerzende Hand. Er hatte nicht wissen können, daß diese Melone mit solidem Stahlblech ausgefüttert war. Parker hielt es jedoch für richtig, scheinbar ohnmächtig gegen die Wand aus Stahlblech zu fallen. Er wollte sich damit weiteren Unannehmlichkeiten entziehen.

Seine Rechnung ging auf.

Der Gangster, der sich die immer noch schmerzende Hand rieb, war dennoch mit seinem Erfolg zufrieden und ließ den Butler in Ruhe. Zudem tauchte in diesem Augenblick auch Ben Walton, der Sekretär der »Juicemen«, im Maschinenraum auf.

»Wo ist dieser Parker?« fragte er sofort. Joe Harms trat vor, nickte grüßend und führte den Sekretär an Parker heran, der neben der Kiste lag und sich nicht rührte.

»Ihr habt ihn doch hoffentlich nicht …?« Ben Walton hielt ein und sah Harms empört an.

»Nein, nein, er lebt selbstverständlich noch«, gab Harms schnell zurück. »Er ist nur ohnmächtig geworden.«

»Bringt ihn wieder zu sich!«

Harms wurde von den beiden »Bluthunden« an die Seite gedrängt. Bevor die beiden Revolvermänner aber eingreifen konnten, hielt Parker es für angebracht, diskret zu erwachen. Er wußte, mit welchen Mitteln Gangster arbeiteten, um ihre ohnmächtigen Opfer zur Besinnung zu bringen.

»Parker!« Ben Walton baute sich vor dem Butler auf. »Wir werden sofort zur Sache kommen. Sagen Sie mir, wo Sie Herm Lazer versteckt halten.«

»Herm Lazer …?« echote Parker mit schwacher, ersterbender Stimme.

»Wir wissen genau, daß er sich noch in Ihrer Gewalt befindet. Bei den Behörden ist er nicht aufgetaucht, auf der anderen Seite kennen Sie inzwischen so viele Details von unserer Verbindung, daß nur Herm Lazer Sie informiert haben kann.«

»Ich bin ein alter und schwacher Mann«, antwortete Parker. »Ich räume ein, daß Herm Lazer mein Gast war, doch er überlistete mich und konnte entkommen.«

»Mir können Sie nichts vormachen«, brauste Walton auf. »Wir kennen Mittel, um Sie zum Reden zu bringen, Parker. Entscheiden Sie sich ganz schnell.«

»Sie überfordern mich, Mr. Walton«, tönte es schwach aus Parkers Mund.

»Aha, und woher kennen Sie meinen Namen? Woher wissen Sie, daß unser Chef der ›Bankhalter‹ genannt wird? Das alles kann Ihnen nur Herm Lazer erzählt haben.«

»Ich bestreite das auch gar nicht, Mr. Walton.« Parker sah sehr blaß und erschöpft aus. »Doch Mr. Lazer konnte mir entkommen, eine Tatsache, die auch ich ungemein bedaure.«

»Na schön, Sie können sich die Sache noch ein paar Minuten überlegen.« Walton nickte gönnerhaft. »Kommen wir zu einer anderen Sache. In wessen Auftrag bereiten Sie uns diesen Ärger? Sie sind doch niemals ein Einzelgänger.«

»Genau das bin ich aber …!«

»Und weshalb bändelten Sie mit uns an?«

»Um Ihre Geschäftspraktiken einmal gründlich studieren zu können.«

»Na, Sie haben ja Nerven … Und was springt für Sie dabei heraus? Moment, Sie brauchen gar nicht zu antworten, Parker. Sie wollen sich unser sauer verdientes Geld unter den Nagel reißen. Ich gebe zu, daß Sie geschickt waren, daß Sie uns einiges Kopfzerbrechen bereiteten, aber auf die Dauer kommen Sie gegen uns doch nicht an. Wie Sie’s ja nun am eigenen Leib erleben …!«

»In der Tat, ich befinde mich, wenn der Augenschein mich nicht trügt, in einer äußerst peinlichen Situation.«

»Aus der Sie nur dann wieder herauskommen, wenn Sie Ihre Karten restlos auf den Tisch legen.«

»Gesetzt den Fall, das geschieht, was habe ich danach zu erwarten?«

»Wir werden Sie … nun ja, wir werden Sie gehenlassen.«

»Wohin, wenn ich mit allem gebotenen Respekt danach fragen darf?«

»Wohin Sie wollen, Parker. Nun aber zurück zu Lazer. Wo halten Sie ihn versteckt? Wenn Sie in drei Minuten nicht reden, dann werden meine Leute Sie rösten …!«

»Sie erschrecken mich, Mr. Walton …!«

»Sie werden uns die Wahrheit sagen … So oder so …!«.

Parker rutschte in sich zusammen. Die Drohungen des Gangstersekretärs schienen ihm nun doch den Nerv geraubt zu haben. Die Gangster verhielten sich vollkommen still, während die Frist von drei Minuten viel zu schnell verrann.

»Noch eine Minute …!« verkündete Walton. »Noch 55 Sekunden, Parker. Reden Sie, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist …!«

*

»Ich weiß. Sie sind zufällig vorbeigekommen«, spottete Anwalt Mike Rander, nachdem er Leutnant Branch die Tür geöffnet und begrüßt hatte.

»Stimmt nicht, Rander, ich komme in voller Absicht.«

»Demnach müßte mein Butler also aufgetaucht sein, oder?«

»Direkt nicht, Rander, doch mein Verdacht verstärkt sich.«

»Nehmen Sie erst mal einen Drink, bevor Sie erzählen, Branch.«

»Schön, den kann ich sogar brauchen.«

Leutnant Branch nahm in einem Sessel Platz und wartete, bis der Anwalt die Drinks gemixt hatte. Dankend nahm er das Glas entgegen und richtete sich auf.

»Zwei meiner Detektive bewachten das bewußte Haus in der Hubbard Street«, berichtete er dann. »Sie waren übrigens nicht allein, wie sie schnell herausfanden. Vor dem Haus trieben sich auch noch einige verdächtige Gestalten herum, die wahrscheinlich zu den ›Juicemen‹ gehören. Schön, Rander, alles war friedlich, bis ein Gangster nach dem anderen unverständlicherweise herumzutanzen begann.«

»Das müssen Sie mir deutlicher erklären«, bat Rander, der sich ein aufsteigendes Lachen verbiß. Er ahnte bereits, was kommen würde.

»Meine beiden Leute berichteten, daß ein Gangster nach dem anderen – es handelte sich um vier Männer – plötzlich wie unter elektrischen Schlägen zusammenzuckten. Ich betone, daß weder Schüsse noch sonstige verdächtige Geräusche zu hören waren. Bevor meine beiden Detektive der Sache auf den Grund gehen konnten, entwickelte sich vor einer Kneipe eine tolle Prügelei. Nachdem eine Schaufensterscheibe in die Brüche gegangen war, stürzte ein Barkeeper auf die Straße und drosch los. Sie wissen, Rander, wie das in solchen Fällen immer ist. Innerhalb weniger Sekunden war die Hölle los. Die vier Männer waren im allgemeinen Trubel nicht mehr zu sehen. Sie müssen sich abgesetzt haben.«

»Ich gebe zu, daß das nach Parker riecht«, gestand Mike Rander, der sein Lachen nun nicht länger unterdrücken konnte. »Wenn mich nicht alles täuscht, dürfte Parker seine Spezialschleuder benutzt haben.«

»Eine was …?«

»Er hat sich eine Schleuder gebastelt, ein ungemein starkes und treffsicheres Ding. Dieses Gerät verursacht kein Geräusch, hat aber in den meisten Fällen durchschlagenden Erfolg.«

»Sie glauben nun auch, daß Parker mitmischt?«

»Es ist sehr wahrscheinlich, Branch. Doch um Ihrer nächsten Frage vorzubeugen, er hat sich bisher bei mir nicht gemeldet. Das ist die reine Wahrheit.«

»Ich glaube Ihnen, Rander, doch verstehe ich Parker nicht. Allein wird er gegen die ›Juicemen‹ doch niemals ankommen. Das ist ausgeschlossen.«

»Tut mir leid, aber ich sehe keine Möglichkeit, Parker beizustehen.«

»Überlegen Sie doch mal genau, ob es nicht doch eine Spur gibt.«

»Damit befasse ich mich bereits seit Tagen, Branch. Parker hat alle Spuren verwischt. Mir ist auch nicht wohl unter der Haut. Bisher weihte er mich immer ein, wenn er auf den Kriegspfad ging. Warum er es diesmal nicht tat, bleibt mir ein Rätsel.«

»Wirklich …?«

»Nun ja, vielleicht gibt uns die Tatsache seines Urlaubs eine Erklärung. Er will seine freie Zeit auf seine Art nutzen. Sie kennen doch Parker …!«

»Aus diesem Mann werde ich niemals klug werden. Ich verstehe zum Beispiel nicht, wieso er bei Ihnen als Butler arbeitet, das ist doch schließlich eine untergeordnete Stellung.«

»Haben Sie eine Ahnung«, lachte Mike Rander auf. »Abgesehen davon, daß ich ihm immer wieder die Teilhaberschaft anbiete und er sie stets verweigert, ist es Parker, der hier in meinem Haus den Ton angibt. Sie wissen doch, daß er Engländer ist. Er glaubt, er müsse mir kontinentale Sitten beibringen. Da er früher nur für den, englischen Hochadel arbeitete, können Sie sich vorstellen, was er sich darunter vorstellt.«

»Nach Parker würde sich selbst FBI die Finger lecken.«

»Ob Sie’s glauben oder nicht, Branch, Parker bekam sogar schon entsprechende Anträge. Doch er bleibt bei mir. Die Gründe dafür werde ich niemals ganz durchschauen. Er scheint einen Narren an mir gefressen zu haben, wie ich an ihm …!«

»Schade, daß wir nichts für ihn tun können«, meinte Leutnant Branch.

»Wegen Parker mache ich mir keine übertriebenen Sorgen«, antwortete Mike Rander. »Wenn es sein muß, schießt er aus allen Rohren und setzt sich durch.«

Im Gegensatz zu seinem laut geäußerten Optimismus war der junge, sympathische Anwalt doch etwas gedrückt. Er trank sein Glas in einem Zug leer und stellte sich ans Fenster, von wo aus er einen wunderbaren Blick auf die Stadt hatte, die im Lichterglanz erstrahlte. Irgendwo in einem dieser Häuser befand sich Parker. Rander konnte nur hoffen, daß sein Butler vorsichtig war und den Gangstern nicht in die Falle lief …!

*

»Noch zehn Sekunden, Parker …!

Ben Walton, der Sekretär der »Juicemen«, beugte sich vor, um Parkers Gesicht besser erkennen zu können. Der Butler holte tief Luft und nickte.

»Ihren Argumenten will und kann ich mich nun nicht länger entziehen«, gestand er. »Ich möchte eine Aussage machen, Mr. Walton.«

»Ihr Glück, Parker, ich hätte meine Drohung wahrgemacht. Also, wo steckt Herm Lazer?«

»Die Adresse finden Sie in meiner Brieftasche …!«

Ben Walton war ein mißtrauischer Mann, mit vielen Wassern gewaschen und noch mehr Salben gesalbt. Er kannte so ziemlich alle Tricks, die in seiner Branche angewendet wurden.

Da Parker aber von den beiden »Bluthunden« und deren Colts bewacht wurde, hatte er keine Bedenken, sich ganz dicht vor Parker zu stellen und nach der Brieftasche zu fassen. Außer den beiden Revolvermännern waren schließlich noch Joe Harms, Pierce und Weed im Maschinenraum. Gegen solch eine Übermacht konnte auch ein Butler Parker schließlich nichts ausrichten. Es war schon so, Parker saß in einer bösen Klemme …!

»In der linken Tasche meines Rocks«, erläuterte Josuah Parker, als Ben Waltons Hand sich ausstreckte. Dabei senkte sich der Oberkörper des Gangsters. Die Brillengläser funkelten dicht vor Parkers Gesicht.

Genau in diesem Augenblick drückte der Butler mit seinem linken Oberarm gegen einen in der Achsel angebrachten kleinen Gummiball, der mit einer feinen Schlauchleitung eine Düse im linken Mantelrevers verband.

Augenblicklich versprühte diese kaum zu sehende Düse eine attraktive Ammoniakverbindung, die einen stechend scharfen, den Atem verschlagenden Geruch verursachte.

Ben Waltons Brillengläser beschlugen. Er schnappte nach Luft und fiel gegen Parker, der sich blitzschnell von der Kiste hochdrückte.

Die beiden »Bluthunde« vergaßen, sich um ihre Waffen zu kümmern. Sie glaubten, ersticken zu müssen. Hustend, keuchend und prustend wichen sie gegen die Wand zurück und konnten nichts mehr sehen. Die versprühte Flüssigkeit blendete sie.

Der Butler begnügte sich keineswegs mit diesem Teilerfolg. Seine durch Handschellen vorn verbundenen Hände schossen nach vorn und ergriffen Waltons Waffe, die in einem Schulterholster stak. Bevor Harms, Pierce oder Weed eingreifen konnten, peitschte ein Schuß auf. Daraufhin beschloß die Deckenlampe, nicht mehr länger mitzuspielen. Sie löste sich in einem Regen feiner Glassplitter auf, die zu Boden stäubten.

Im Maschinenraum war es jetzt stockfinster.

Aber nicht still, wie man sich denken kann, denn die Gangster entwickelten eine ungeheure Betriebsamkeit. Sie schrien durcheinander, schossen und achteten in ihrer Aufregung kaum darauf, daß sie auch Freunde treffen konnten.

Es dauerte gut dreißig Sekunden, bis die erste Taschenlampe aufflammte. Pierce hielt sie in der Hand. Er wollte damit den Maschinenraum ausleuchten und nach Parker suchen.

Parker, der längst seinen Standort gewechselt hatte, sah sich gezwungen, einen weiteren Schuß zu lösen Pierce brüllte auf, als sein Oberarm getroffen wurde. Die Taschenlampe landete auf dem Boden aus Eisenplatten, zerbrach jedoch nicht, sondern leuchtete weiter. Sie strahlte Ben Walton an, der seine. Brille verloren hatte und wie blind herumtappte.

Die beiden »Bluthunde« stolperten gerade über Pierce, der sich am Boden wälzte.

wo aber stak Parker …?

Hatte er wegen seiner gefesselten Hände überhaupt eine reelle Chance, seine Haut zu retten?

*

Der Butler durchschritt gerade das Schott zum vorderen Kohlebunker. Es war nicht weiter verwunderlich, daß er schon wieder im Besitz seines Regenschirms war. Er trennte sich nämlich sehr ungern von den Dingen, die ihm ans Herz gewachsen waren.

Ohne sich um das Getobe im Maschinenraum zu kümmern, suchte er sich seinen Weg. Um nicht unnötig zur Eile angetrieben zu werden, schloß er das Schott hinter sich und knipste die kleine Miniaturlampe an, die er aus einer seiner Manteltaschen hervorgeholt hatte.

Damit lösten sich schlagartig seine Schwierigkeiten. Er kam wesentlich schneller voran, erreichte den leeren Bunker und suchte nach einer passenden Eisenleiter, die nach oben an Deck führte. Die gefesselten Hände störten ihn überhaupt nicht. Schließlich war es nicht das erste Mal, daß Gangster ihn auf diese Art und Weise hatten ausschalten wollen.

Parker, der die Steigleiter gefunden hatte, blieb plötzlich stehen und rührte sich nicht.

Das Herumgetobe und die Schießerei im Maschinenraum endeten schlagartig. Die Gangster hatten sich endlich verständigt und gingen in Lauerstellung. Wahrscheinlich schwärmten sie jetzt aus und suchten nach ihm.

Unter diesen Voraussetzungen war es wohl doch zu gefährlich, über die Leiter nach oben zu klettern. Der Butler entschloß sich, die unteren Räume des Frachters zu inspizieren. Neben der Leiter befand sich nämlich ein weiteres Schott, das sich ohne Schwierigkeiten aufdrücken ließ.

Parker zog gerade den Kopf ein, wollte weitergehen, als ihn ein greller Lichtschein von oben traf. Am Aufgang der Leiter stand ein Gangster, der mit einer starken Handlampe die Leiter anstrahlte. Er sah Parker und ließ sofort eine Handgranate nach unten fallen.

Josuah Parker entwickelte in Anbetracht der Lage eine Eile, die er im Grunde äußerst haßte und warf die Tür hinter sich zu. Bruchteile von Sekunden später detonierte die Eierhandgranate. Der Luftdruck war derart stark, daß die nur in den Rahmen geworfene Tür jäh aufgedrückt wurde. Parker erhielt einen zusätzlichen Stoß und fand sich zu seinem Entsetzen auf dem Boden des engen Laufgangs wieder.

Behutsam klopfte er sich nach dem Aufstehen die Hosenbeine ab, richtete die leicht verrutschte Melone und ging etwas schneller als vorher weiter. Seinen Anzug wollte er nämlich nicht noch einmal in Gefahr bringen, er hielt auf seine Kleidung.

Hinter dem nächsten Schott befand sich der erste Laderaum, der zum Deck hin nicht abgedichtet war. Parker atmete frische Luft und sah den Widerschein der tausendfältigen Lichtreklamen, die die Stadt erleuchteten.

Leise und geschmeidig wie eine Katze tastete er sich an Arbeitsgeräten vorbei und wechselte zur anderen Schiffseite hinüber. Er rechnete mit weiteren Handgranaten, gegen die er verständlicherweise einiges hatte.

Kaum hatte er den anderen Längsgang erreicht, da fielen die nächsten Sprengkörper in den Laderaum hinunter. Die Detonationen klangen wie Kanonenschüsse, doch sie erwischten den Butler längst nicht mehr. Er befand sich bereits auf dem Weg zurück in den Kohlebunker. Er hielt es für taktisch angebracht und geschickt, den ihn verfolgenden Gangstern entgegenzugehen. So hatte er wenigstens Gehörkontrolle, wo sie sich befanden und was sie gegen ihn ausbrüteten.

Im Schiff war es nun totenstill.

Selbst die Ratten schienen den Atem anzuhalten. Nur das leicht bewegte Hafenwasser schlug gegen die Schiffswände. Parker näherte sich dem Schott zum Kohlebunker, diesmal allerdings auf der Backbordseite. Er rechnete damit, daß die Gangster dort eine Wache aufgestellt hatten. Die Hauptmacht der »Juicemen« mochte ihm wohl auf dem Weg folgen, den er eben erst hinter sich gebracht hatte.

Das Schott zum Kohlebunker war geschlossen. Eine unangenehme Überraschung für den Butler, denn das noch so vorsichtige Öffnen und Aufdrücken wäre von einem dort wartenden Posten bestimmt festgestellt worden. Der Butler besann sich auf eine kleine, niedrige Tür, an der er gerade achtlos vorbeigeschlichen war. Er drehte sich um, ließ die Taschenlampe kurz aufblitzen und fand den Türeinschnitt.

Leider ließ sich dieser kleine Einstieg nicht reibungslos öffnen. Er saß irgendwie verklemmt im Rahmen. Parker, der nicht noch mehr Zeit verlieren wollte, warf sich einfach gegen das dünne Stahlblech … und polterte zusammen mit dem Türblatt in einen dunklen Raum hinein.

Blitzschnell war er wieder auf den Beinen, brachte die verbogene Tür in den Rahmen zurück und wartete ab. Dieser Krach war bestimmt gehört worden.

Nun, der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Die irritierten Gangster im Laderaum schossen, doch Parker befand sich längst in Sicherheit. Seine Taschenlampe wies ihm wieder den Weg. Er stand in einem engen Schacht, in dem früher wohl einmal ein Lift eingebaut worden war, oder vielleicht auch nur ein Speiseaufzug. Der Butler sah nach einer Klettermöglichkeit, um zurück an Deck zu gelangen. In diesem engen Schacht kam er sich wie in einer Mausefalle vor.

Er wußte sich allerdings zu helfen. In der Art eines Kaminkletterers, wie er in den Alpen vorkommt, stemmte er sich mit den Schuhen und dem Rücken gegen die engen Wände ab und schob sich Zentimeter für Zentimeter nach oben. Daß er dabei seinen Universal-Regenschirm nicht vergaß, verstand sich am Rande.

Währenddessen streiften die Gangster durch den Frachter und suchten nach Josuah Parker. Ben Walton, von einem Streifschuß leicht angekratzt, feuerte die »Bluthunde« und seine anderen Mitarbeiter an. Der »Bankhalter« erwartete schließlich positive Nachrichten, und die hießen in diesem Falle, daß Josuah Parker zur Strecke gebracht worden sei.

So sehr die Gangster sich aber auch anstrengten, der Butler blieb verschwunden. Er befand sich nämlich längst an Deck, nachdem er den engen Aufzugschacht in der Kombüse des Frachters verlassen hatte. Ohne sich weiter um die Gangster zu kümmern, pirschte er sich vorsichtig an die Laufplanke heran, um den Frachter zu verlassen.

Hinter einem Windlüfter blieb er kurz stehen und beobachtete den Pier. In der Dunkelheit war leider nicht viel zu erkennen. Er glaubte jedoch in kurzen Abständen das Aufglühen einer Zigarette oder Zigarre feststellen zu können.

Um vom Frachter hinunterzukommen, mußte er die Laufplanke benutzen. Gut, er hätte ins Wasser springen und sich dann retten können, doch Parker dachte nicht im Traum daran, seinen Anzug zu ruinieren. Über die Laufplanke hatte er den Frachter betreten, über die Laufplanke würde er das Schiff auch wieder verlassen …!

Um möglichst wenig Aufsehen zu erregen, schritt er wie selbstverständlich auf die Planke zu und ging zur steilen Steintreppe. Vom Pier aus mußte man den Eindruck haben, daß einer der Gangster das Deck verließ.

Der Butler erreichte die Treppe, doch jetzt änderte er seine Richtung. Er blieb hart an der Kaimauer, arbeitete sich Schritt für Schritt über ein schmales Mauerband und benutzte dann eine in die Kaimauer eingelassene Steigeleiter aus Eisen, um hinauf zum Pier zu klettern.

Auf leisen Sohlen verschwand er hinter dem stämmigen Stahlblechfuß einer Krananlage und schlich dann zur eigentlichen Steintreppe zurück.

Sein Instinkt hatte ihn wieder einmal richtig geleitet.

Oberhalb der Treppe, auf dem Pier bereits, standen zwei Männer, die sich neben einem parkenden und unbeleuchteten Wagen aufgebaut hatten. Sie warteten auf Parker, um ihn dann in aller Ruhe abzuschießen.

Der Butler hätte von seinem Standort aus mit seiner Schleuder das Feuer eröffnen können. In diesem speziellen Fall aber war er für eine andere Lösung.

Er holte einige spezialangefertigte Knallerbsen aus der Rocktasche. Wurden sie hart auf den Boden geworfen, detonierten sie ungewöhnlich. laut und schufen den Eindruck, es würde aus einer Pistole geschossen.

Parker verdoppelte in Anbetracht der Situation die Normaldosis und warf sie in Richtung auf den Wagen.

Die Wirkung war frappierend …!

Die Knallerbsen verursachten einen Heidenkrach und riefen tatsächlich die Illusion hervor, es würde aus einer Maschinenpistole gefeuert.

Die beiden Gangster neben dem Wagen wurden gründlich getäuscht. Da es sich aber um harte und ausgekochte Gangster handelte, schossen sie augenblicklich zurück. Sie benutzten keine Knallerbsen, sondern tatsächlich ihre automatischen Waffen.

Auf der Pier herrschte innerhalb weniger Sekunden der Lärm einer mittleren Fronttätigkeit. Querschläger sirrten durch die Nacht, Scheiben klirrten, und die Gangster auf dem Küstenfrachter ließen sich nicht lumpen und schossen ebenfalls.

Josuah Parker genoß dieses Durcheinander nur wenige Minuten. Als er dann von weit her die Sirenen einiger Polizei-Streifenwagen hörte, hielt er es für besser, sich zu empfehlen. Wie ein Phantom verschwand er im Gewirr der Schuppen und Lagerhallen …!

*

»Ist das Parkers sagenhafter Colt oder nicht?«

Leutnant Brauch von der Mordabteilung sah Anwalt Mike Rander prüfend an. Der junge Anwalt brauchte nur einen kurzen Blick auf die Waffe zu werfen, dann wußte er bereits Bescheid.

»Dieses Ding gehört Parker, kein Zweifel.«

»Ich weiß, wonach Sie fragen wollen, Rander. Wir fanden die Waffe auf einem alten Frachter, der draußen im Hafen umgebaut wird. An Bord dieses Kahns gab es eine tolle Schießerei. Die Hafenpolizei alarmierte uns. Wir konnten einige Gangster festnehmen. Sie schweigen sich natürlich darüber aus, wie sie heißen und welcher Gang sie angehören, doch es dürften ›Juicemen‹ sein, wenn Sie mich fragen.«

»Haben Sie sich nach Parker erkundigt?« Sorge schwang in Mike Randers Stimme mit.

»Selbstverständlich fragte ich nach ihrem Butler. Keiner der Gangster will ihn kennen. Doch das wird sich nach den ersten Verhören schnell ändern. Wenn die Burschen erst einmal merken, daß sie gegen Kautionsgestellung nicht rauskommen, werden sie mitteilsamer.«

»Du lieber Himmel, hoffentlich ist Parker nichts passiert …!« Mike Rander brauchte einen Drink und versorgte sich mit einem Cognac. Leutnant Branch spülte sich ebenfalls den Mund aus.

»Wir suchten das gesamte Hafenbecken ab, ebenfalls die umliegenden Piers«, berichtete er weiter. »Parker blieb verschwunden. Sein Colt aber beweist, daß er sich in den Händen dieser Gangster befand.«

»Und was kann man jetzt tun, Branch?«

»Nichts, Rander, abwarten, nur abwarten, ob er sich noch einmal meldet.«

»Herrliche Aussichten …! Falls er zurückkommt, werde ich ihm gründlich den Marsch blasen.«

»Kein Wort werden Sie sagen, falls er lebt und hier erscheint.« Leutnant Branch lächelte. »Ich sagte ja auch kein Wort.«

»Momentchen mal, wie war das gerade? Sie sagten auch kein Wort?«

»Ja, er meldete sich per Telefon bei mir. Vor knapp einer Stunde.«

»Er lebt also …! Wie geht es ihm?«

»Darüber schwieg er sich aus, Rander. Er teilte mir nur kurz und trocken mit, daß ich draußen am Montrose Hafen einen ›Juiceman‹ namens Herm Lazer abholen könnte.«

»Mehr hat er nicht gesagt?«

»Er ließ mich dazu erst gar nicht kommen, sondern legte sofort auf. Wir fuhren also zum angegebenen Punkt und fanden tatsächlich diesen Lazer. Er befand sich an Bord eines Hausbootes und war mit einer Kette festgelegt worden. Der Mann schluchzte vor Freude, als wir ihn in Empfang nahmen.«

»Er aber redete von Parker, wie?«

»Allerdings, und zwar ausgiebig, Rander. Es steht fest, daß Ihr Butler hinter den Geldverleihern her ist. Er scheint ihnen bereits mächtig zugesetzt zu haben.«

»Ich muß es noch einmal genau hören, Leutnant, Parker rief nach der Schießerei an Bord des Frachters an?«

»Ja, und er besaß die Frechheit, mir seinen Colt anzuempfehlen. Er meinte, er könne sich so schlecht von liebgewonnenen Gegenständen trennen.«

»Dann bin ich beruhigt, Branch … Mann, Sie haben mich ganz schön auf die Folter gespannt …! Haben Sie Lazer, oder wie er heißt, bereits verhört?«

»Er befindet sich gerade im Verhörzimmer, doch er will nicht mit der Sprache herausrücken.«

»Weiß der Mann etwas von der Schießerei an Bord des Frachters?«

»Den Eindruck habe ich nicht. Der Mann ist seit fast drei Tagen unrasiert und von Parker festgehalten worden. Wenn Ihr Butler Pech hat, stellt dieser Ganove glatt Strafantrag wegen Entführung und Freiheitsberaubung.«

»Soll er, dann werde ich Parker verteidigen …!« Mike Rander lachte erleichtert auf. »Hauptsache, Parker lebt und mischt mit.«

»Demnach darf ich mit weiteren Überraschungen rechnen, wie?«

»Fest sogar, Branch, ganz fest …! Ich kenne doch Parker. Wenn er diesen Gangster freiwillig ausliefert, dürfte er sich der Lösung seines Falls bereits mächtig nähern. Er hat auf jeden Fall einen Vorsprung, den Sie und Ihre Beamten niemals aufholen können.«

*

Vor Joe Harms Kneipe trennten sie sich.

Der Sekretär der »Juicemen« fuhr weiter, Harms und Weed betraten das Haus und gingen sofort in die geschlossene Bar, durch deren Scheiben aber bereits der heraufziehende Morgen dämmerte. Sie waren beide patschnaß und schüttelten sich vor Kälte. Weed hinter der Theke mixte zwei starke Drinks, Joe Harms, der Chef dieses Gangstervereins, rauchte lustlos eine Zigarette.

Nur diese drei Gangster hatten sich vom Frachter retten können, alle anderen Mitglieder der Gang waren von der Polizei festgenommen worden. Auch Pierce, der wegen seiner Verwundung nicht mehr hatte flüchten können.

»Ich kann’s einfach nicht verstehen«, murmelte Harms. »Dabei saß Parker doch in der Falle.«

»Walton hat die ganze Sache vermasselt«, erklärte Weed und kam mit den Gläsern um die Theke herum. »Er ließ sich von diesem raffinierten Burschen reinlegen.«

»Machen wir uns nur nichts vor, uns wäre das doch auch passiert«, gestand Joe Harms ehrlich ein. »Ich wette, daß dieser Parker immer den genau richtigen Trick findet.«

»Wollen Sie aufgeben, Chef?«

»Natürlich nicht, das wäre bereits der Anfang vom Ende. Jetzt müssen wir’s durchstehen. Gut, daß er die Polizei aus dem Spiel läßt.«

»Ob er’s auch jetzt so halten wird?«

»Ganz bestimmt, Weed. Und darin liegt unsere einzige Chance.«

»Ich verstehe kein Wort. Wir wissen doch gar nicht, wo er steckt. Wie wollen wir ihn dann hochnehmen?«

»Der wird wieder auftauchen. Und dann müssen wir eben schneller sein und ihn sofort erschießen.«

»Das ist die richtige Lösung, Chef. Wir haben viel zu lange damit gewartet. Wenn ich diesen Parker sehen sollte, weiß ich, was ich zu tun habe.«

»Und ich erst«, murmelte Harms wieder. »Na, Hauptsache, Ben Walton hat die Sache vermasselt. In seiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken. Der ›Bankhalter‹ wird toben. Parker ist nicht nur entkommen, nein, auch vier von den ›Bluthunden‹ des Chefs sind von der Polizei erwischt worden, zwei im Frachter, die beiden anderen oben auf dem Pier.«

»Das kann Waltons Ende bedeuten, oder?«

»Beim ›Bankhalter‹ ist alles drin …! Bin ich froh, daß ich nicht die Verantwortung zu tragen brauche.«

Weed wollte einen weiteren Satz zur Unterhaltung beisteuern, doch in diesem Moment wurde gegen die Schaufensterscheibe gepocht. Wie stark und sicher die beiden »Juicemen« sich fühlten, zeigte sich an ihrem blitzschnellen Niederwerfen auf den Boden. Gleichzeitig zogen sie ihre Revolver.

»Sieh nach, wer da ist, Weed …!«

»Und wenn’s Parker …?«

»Nun geh’ schon endlich«, herrschte Joe Harms seinen Mitarbeiter an. »Falls er es sein sollte, werde ich dir Feuerschutz geben.«

Weed kroch zur Tür, richtete sich in Deckung der Eisenjalousie auf und spähte vorsichtig durch das Fenster. Er lachte leise auf, als er den jungen Mann mit den engen Jeans und den weißen Sportschuhen erkannte.

»Ronny Culler steht draußen«, rief Weed seinem Chef zu, der noch seitlich hinter der Theke hockte.

»Laß’ ihn rein …! Nein, durch den Seiteneingang, ich halte die Kneipe bis Mittag geschlossen.«

Joe Harms zündete sich gleich eine neue Zigarette an und ging in sein Büro. Bald darauf kam Weed Und schob den jungen Mann mit dem noch unfertigen und pickligen Gesicht in den Raum.

»Was willst du?« erkundigte sich Harms, jetzt wieder ganz Chef.

»Ich habe eine Neuigkeit, Chef …! Ich weiß, wo dieser alte Rabe wohnt.«

»Parker etwa …?« Harms kniff die Augen zusammen und beugte sich vor. »Los, rede schon …!«

»Er wohnt hier ganz in der Nähe, in der Fulton Street, in einem kleinen Apartment-Hotel.«

»Bist du ganz sicher?«

»Ein Irrtum ist ausgeschlossen, Chef, ich hab’ ihn doch schon mal gesehen, als Lazer …!«

»Schon gut, schon gut«, winkte Harms ab, der den Namen Herm Lazer nicht mehr hören konnte. »Ist Parker jetzt im Hotel?«

»Natürlich, er kam mit einem Taxi an und verschwand sofort im Haus.«

»Prächtig, mein Junge, damit verdienst du dir ein paar Scheinehen. Lauf’ zurück zum Hotel und beobachte es! Falls Parker rauskommt und abhaut, bleibst du ihm auf den Fersen. Ist das klar? Weed, du wirst mit dem Wagen folgen und dich ganz in der Nähe aufhalten. So, Und jetzt soll Parker mal sein blaues Wunder erleben. Diesmal wird er nicht mehr davonkommen …!«

Als er allein im Büro war, wählte er Ben Waltons Nummer und wartete darauf, daß der Sekretär der »Juicemen« sich meldete. Doch außer dem Freizeichen bekam Harms nichts zu hören …!

*

Genau um diese Zeit sprach Ben Walton mit dem »Bankhalter«. Er hatte ihn von einer öffentlichen Fernsprechzelle aus angerufen und teilte mit nervöser Stimme seinem Chef mit, daß die Jagd auf Josuah Parker mit einer Pleite geendet hatte.

»Wie konnte das passieren?« fragte die messerscharfe Stimme des Gangsterchefs zurück.

»Die Schuld liegt bei uns allen …! Parker verspritzte ein Gift, als er vorgab, auszupacken. Wir alle wurden überrascht und überlistet, Chef.«

»Es ist nicht zu glauben, vier meiner besten Revolverleute festgenommen, Pierce ausgefallen …! Arbeite ich denn mit Idioten zusammen? Warum muß das alles ausgerechnet in Joe Harms’ Revier passieren?«

»Vielleicht lag und liegt es an Joe Harms«, wälzte Walton sofort alle Schuld auf den Gangster.

»Wir werden uns darüber noch unterhalten, Walton. Hauptsache, daß unsere Leute in den übrigen Revieren nicht nervös werden und die Arbeit vernachlässigen.«

»Darf ich einen Vorschlag machen?« tippte Walton an.

»Selbstverständlich, Walton, was schlagen Sie also vor?«

»Parker kennt sich in Harms’ Revier aus, Chef. Er weiß also, wo er den Hebel anzusetzen hat. Sollte man das Personal in Harms’ Revier nicht austauschen? Dann ist dieser Parker doch überspielt »Er weiß nicht mehr, an wen und an was er sich noch halten soll.«

»Wie stellen Sie sich diesen Personalaustausch vor, Walton?« Die Stimme des »Bankhalter« klang ironisch. Er schien bereits im voraus zu ahnen, was sein Sekretär plante.

»Man könnte Joe Harms zum Beispiel beurlauben und in eine andere Stadt schicken.«

»Man könnte ihn aber auch …!«

»Gewiß, Chef, man könnte ihn auch … ausschalten.«

»Gut, lassen Sie sich durch den Kopf gehen, wer Harms ersetzen soll. Ich denke, die kleineren Ausleiher können wir zufrieden lassen. Sie wissen ja nicht, was gespielt wird.«

»Werden unsere festgenommenen Leute schweigen?« fragte Walton.

»Selbstverständlich, sie wissen genau, was sie zu tun haben. Da Pierce aber auch festgenommen wurde, sollten Sie den Austausch Harms’ sehr schnell in die Wege leiten, Walton. Ich lasse Ihnen freie Hand.«

»Kann ich sofort handeln?«

»Selbstverständlich, Walton. Wen wollen Sie denn dazu nehmen?«

»Ich dachte an Staff Weed, Chef. Er spekuliert auf Joe Harms’ Posten und wird sofort bereit sein, seinen Konkurrenten zu erledigen. Anschließend lasse ich dann Weed ausschalten. Damit ist Parker dann restlos ausgespielt. Er dürfte nicht wissen, was in diesem Revier gespielt wird.«

»Das ist ein guter Vorschlag, Walton, nehmen Sie das sofort in die Hand. Wir sehen uns in der kommenden Nacht, wenn Sie das Geld der nördlichen Stadtreviere zum Schuppen bringen. Dann erwarte ich, daß alles bereits erledigt ist.«

»Sie können sich wie immer auf mich verlassen, Chef.« Waltons Stimme troff vor Biederkeit und Gehorsam. Er hatte das Gefühl, bei seinem Chef wieder an Boden gewonnen zu haben. Schließlich hatte der »Bankhalter« alle seine Vorschläge akzeptiert und ihm freie Hand gelassen.

Eine knappe Stunde später – er hielt sich bereits in seiner Wohnung auf und überlegte sich Einzelheiten, wie er Joe Harms ausmanövrieren konnte – schrillte das Telefon. Joe Harms meldete sich und teilte ihm mit erregter Stimme mit, seine Leute hätten Parkers neuen Aufenthaltsort herausgefunden.

»Ich rufe in zehn Minuten wieder an«, antwortete Walton zurückhaltend und legte sofort wieder auf. Nun stand er vor einer schwierigen Entscheidung. Sollte er umdisponieren und Parker jagen lassen? Oder war es besser, erst einmal Harms und Weed von der Bildfläche verschwinden zu lassen …?

Er dachte an Parkers Geschicklichkeit, wußte, daß der Butler Harms und Weed kannte. Es lag durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß Parker wieder entwischte und unnötigen Ärger verursachte. Ob er dieses Glück noch hatte, wenn er gegen ihm völlig unbekannte Männer antreten mußte? Wahrscheinlich doch nicht …!

Walton, gerissen, spielte aber auch noch mit einem anderen Gedanken.

Sollte er nicht Parker zum Mörder der beiden Männer, Harms und Weed machen? Diese Lösung bot sich doch an. Um sie auszuführen, brauchte er nur ein Telefongespräch zum genau richtigen Zeitpunkt, zu führen …!

*

Ronny Culler hatte richtig beobachtet.

Der Butler befand sich in seinem neuen Quartier und gedachte, einige Stunden zu schlafen. Die Aufregung und Hetzjagd auf dem Küstenfrachter hatte er bereits vergessen. Er besaß die seltene Gabe, abschalten zu können.

Bevor Parker sich ins Bett legte, bürstete er seine schwarze Kleidung sorgfältig aus. Dabei leistete er sich eine seiner spezialangefertigten Zigarren, ein Kraut, das selbst hartgesottene Männer in die Flucht zu schlagen vermochte. Angetan mit einem wallenden Nachthemd, legte sich Parker schließlich ins Bett und schloß die Augen. Er wäre innerhalb weniger Minuten mit Sicherheit eingeschlafen, wenn ihn das Telefon nicht gestört hätte.

Natürlich wunderte er sich über das Läuten des Telefons. Wer wußte, daß er hier in diesem kleinen Hotel abgestiegen war? Parker langte nach dem Hörer und meldete sich.

Eine leise, gedämpfte Stimme antwortete. Parker hatte sie vorher noch nie gehört.

»Sie schweben in höchster Lebensgefahr«, flüsterte diese Stimme. »In wenigen Minuten werden zwei Mörder bei Ihnen erscheinen und schießen. Treffen Sie Ihre Vorbereitungen …!«

»Mit wem spreche ich, wenn ich fragen darf?« Parkers Stimme klang ungerührt.

»Das spielt im Moment keine Rolle, Mr. Parker. Später werde ich mich noch einmal melden.«

Es knackte in der Leitung, dann legte auch der Butler auf. Er blieb nachdenklich im Bett sitzen und sah dann auf seine Taschenuhr, die auf dem Nachttisch lag. Sie zeigte 6.10 Uhr an.

Parker nahm die Warnung nicht auf die leichte Schulter. Wer da angerufen hatte, wußte er nicht. Er fand auch keine Erklärung hierzu. Notgedrungen stieg er wieder aus dem Bett und begann sich anzukleiden. Dann warf er einen Blick auf die Straße. Vor dem Apartment-Hotel parkten genau die Wagen, die er beim Betreten des Hauses schon gesehen hatte. Die ersten Busse fuhren durch die Straße, der Verkehr belebte sich langsam.

Um nicht zu lange auf seinen Schlaf verzichten zu müssen, verließ Parker unter Wahrung aller Vorsichtsmaßnahmen sein Zimmer und suchte das Badezimmer am Ende des Flurs auf. Hier schloß er sich ein und öffnete das Fenster. Links von der Fensterbank führte eine Feuerleiter vorbei. Sie war bereits mit dem ausgestreckten Arm zu erreichen.

Seufzend stieg der Butler auf das Fensterbrett, hangelte sich zur Feuerleiter hinüber und stieg dann langsam nach unten. Es war noch zu früh, als daß er hätte auffallen können. Er erreichte einen schmalen Verbindungsgang zwischen den beiden Häusern und blieb an der Ecke stehen. Von hier aus konnte er den Eingang zum Apartment-Hotel gut überblicken.

Der Anrufer hatte wirklich nicht gelogen. Parker entdeckte einen Ford, der langsam die Straße herunterkam und dann in Höhe des Hotels auf der anderen Straßenseite parkte.

Weed und Joe Harms stiegen aus. Sie sahen sich vorsichtig nach allen Seiten, um, überquerten nacheinander die Straße und verschwanden im Eingang des Hotels. Josuah Parker wollte schon zum Ford hinübergehen, als er einen jungen Mann mit engen Jeans und weißen Turnschuhen entdeckte. Er lungerte vor einem Schnellimbiß herum, beobachtete aber auch das Hotel. Der Butler erinnerte sich, denn diesen jungen Mann kannte er. Er gehörte zu den »Juicemen« und hatte ihn schon einmal beschattet.

Der Butler schaffte es mit Leichtigkeit, sich an diesen jungen Mann heranzupirschen. Ronny Culler fiel aus allen Wolken, als Parker plötzlich neben ihm stand.

»Sie warten gewiß auf Ihre Freunde Harms und Weed«, meinte Parker. »Nein, bitte, junger Mann, zwingen Sie mich nicht durch eine unüberlegte Bewegung, aktiv zu werden. Es ist doch sehr früh, und ein alter Mann wie ich möchte sich nicht echauffieren.«

Ronny Culler schluckte nervös und getraute sich nicht, die Flucht zu ergreifen. Wie gebannt starrte er den Butler an, dessen ausdrucksloses Pokergesicht ihm Angst und Grauen einjagte.

»Richten Sie den Herren Harms und Weed aus, daß ein anonymer Telefonanruf mich warnte. Mit anderen Worten, und um mich noch deutlicher auszudrücken, ich wurde darauf hingewiesen, daß ich ermordet werden sollte.«

»Ich … ich … Das muß ein Irrtum sein …!« Ronny Culler stotterte nur herum, war nicht fähig, einen zusammenhängenden Satz von sich zu geben.

»Sie befinden sich auf einer reichlich schiefen Bahn«, ermahnte Parker den jungen Mann. »Früher oder später werden Sie vollends ausrutschen. Sie müßten doch inzwischen begriffen haben, daß die ›Juicemen‹ im Begriff sind, dieses Spiel zu verlieren. Noch können Sie aussteigen. Es wäre doch sehr schade, wenn ich eines Tages auf Sie schießen müßte, nicht wahr?«

Ohne sich weiter um Ronny Culler zu kümmern, drehte Parker sich um und schritt gemessen und würdevoll die Straße hinunter. Ronny Culler starrte ihm fassungslos nach und vermochte sich nicht vom Fleck zu rühren. So etwas war ihm noch nie passiert. Nachträglich rieselte ihm eine Gänsehaut den Rücken herunter.

Er kämpfte noch mit seiner Fassung, als Joe Harms und Staff Weed aus dem Hotel kamen. Sie liefen auf den Ford zu und schwangen sich in den Wagen. Ronny Culler stieg nach und mußte sich zur Ruhe zwingen, bevor er von seiner Begegnung mit Parker reden konnte.

»Was war das …?« staunte Harms, als Culler geendet hatte. »Du hast Parker gesprochen?«

»Ja, und er behauptet, telefonisch vorgewarnt worden zu sein. Er wußte, daß Sie und Weed kommen würden.«

»Das ist doch …!« Weed brauste auf und sah gar nicht mehr bieder und freundlich aus. »Verdammt, Harms, wer könnte uns diesen lausigen Streich gespielt haben?«

»Erst mal abhauen, dann können Wir immer noch nachdenken.«

Weed nickte und ließ den Ford anrollen. Joe Harms rauchte eine Zigarette und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Je länger er nachdachte, desto sicherer wurde er in seiner Vermutung, daß nur Ben Walton und der »Bankhalter« hinter diesem Verrat stecken konnte.

Die wollen mich loswerden, sagte er sich. Ich dürfte ausgespielt haben. Es wird höchste Zeit, daß ich mich absetze und mich in Sicherheit bringe. Erwischt Parker mich nicht, dann werden die »Bluthunde« des Chefs auf mich schießen …! Aber bevor ich Leine ziehe, werde ich mich noch revanchieren. Die sollen merken, daß sie das mit mir nicht machen können …!

*

Harms konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, daß er und sein Mitarbeiter Weed bereits beobachtet wurden. Ben Walton hatte einen Beobachter vor das Hotel geschickt, um aus erster Hand zu erfahren, was aus Parkers oder Harms’ Ermordung geworden war.

Dieser Gangster rief ihn von einer Kneipe aus an und teilte ihm mit, daß Parker wahrscheinlich nicht mehr lebte, daß aber Harms und Weed auf dem Weg nach Hause seien.

Ben Walton handelte augenblicklich.

Er alarmierte zwei weitere Revolvermänner des Chefs und schickte sie zu Harms’ Kneipe. Dort sollten sie den Chef des Reviers abholen und zu einer Spazierfahrt einladen. Mit anderen Worten, Harms und Weed standen bereits auf der Todesliste. Die Ufer des Michigan Sees boten genügend Möglichkeiten, um sich zweier Menschen zu entledigen.

Joe Harms war inzwischen in seiner Kneipe, ging sofort hoch in seine Wohnung und packte seinen Koffer. Er begnügte sich damit, Bargeld und einige Geschäftspapiere einzupacken. Er schien zu fühlen, daß ihm nur noch sehr wenig Zeit zur Verfügung stand. Seine Bewegungen waren hastig. Immer wieder schreckte er hoch, lief zum Fenster und sah auf die Straße hinunter.

Er dachte an Ronny Cullers Worte, der von Josuah Parker angesprochen worden war. Demnach war Parker also telefonisch vorgewarnt worden. Von wem, nun darüber gab es keinen Zweifel. Das konnte nur Ben Walton getan haben.

Dieser Schuft hat mich vor Parkers Kanone bringen wollen, damit ich abgeschossen würde. Harms kochte innerlich vor Wut, als er sich über die Konsequenzen restlos klar wurde. Erst schickt er mich los, damit ich Parker umlege, gleichzeitig aber warnt er das Opfer, damit es sich auch nur ja richtig wehren kann.

Harms hatte die Tasche gepackt. Er trat an die Wendeltreppe, die hinunter in sein Büro führte. Er rief nach Weed. Sein Mitarbeiter antwortete sofort und erschien unten am Fuß der Treppe.

»Ich muß mal schnell zu Walton«, entschuldigte sich Harms. »In ’ner knappen Stunde werde ich wieder zurück sein. Schmeiß’ du bis dahin den Laden!«

»Geht in Ordnung, Chef.« Weed fühlte sich geschmeichelt und kümmerte sich nicht weiter um seinen Chef. Joe Harms aber beeilte sich, zur Korridortür zu kommen. Leise schloß er sie hinter sich und lief nach unten auf die Straße. Sein Wagen stand etwa fünfzig Meter unterhalb der Kneipe. Selbst dieser kurze Weg mißfiel Harms. Er kam sich wie auf einem Tablett vor, dargereicht den »Bluthunden« seines Chefs.

Wie ein mißtrauisches Tier sah er sich nach allen Seiten um, ging schnell auf die Straße und hielt auf seinen Wagen zu. Unterwegs beobachtete er ununterbrochen die Straße. Er wollte nicht einem Feuerüberfall zum Opfer fallen. Walton traute er alles zu.

Gut, daß er noch nicht weiß, was in Parkers Wohnung passiert ist, überlegte Harms. Diesen Vorsprung muß ich ausnutzen. So dumm und ahnungslos wie seinerzeit Mark Steffens werde ich doch nicht sein …!«

Endlich erreichte er den Wagen. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Das unheimliche Gefühl in der Magengegend war immer noch da. Er ließ sich am Steuer nieder und betätigte den Anlasser. Der Motor war sofort da. Harms kuppelte den Gang ein und fuhr sehr schnell los.

Ein Blick in den Rückspiegel belehrte ihn, daß er nicht verfolgt wurde. Endlich konnte er etwas freier durchatmen, die Beklemmung in seiner Brust löste sich.

Doch als er in der nächsten Sekunde hinter sich ein leises Lachen hörte, da hätte er beinahe das Steuer verrissen.

»Nur nicht verrückt spielen«, sagte eine schleimig-weiche Stimme hinter ihm. »Fahren Sie ganz ruhig weiter, Harms.«

»Wer …!« Er hatte Mühe, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Die Straße verschwamm vor seinen Augen. Er hatte plötzlich Magenschmerzen.

»Ben Walton möchte Sie mal sprechen«, sagte der Mann auf dem Rücksitz, der sich bisher hinter der Sitzbank verborgen gehalten hatte. »Es passiert überhaupt nichts, Harms.«

»Wo kann ich Walton erreichen?« erkundigte sich Harms, sich zur Ruhe zwingend. Es ging um sein Leben. Walton wollte ihn ermorden lassen. Der Mann auf dem Rücksitz war sein Mörder.

»Fahren Sie erst mal raus zum Lincoln Park«, antwortete der »Bluthund« hinter ihm. »Und keine Mätzchen, Harms, sonst knalle ich Sie nieder.«

»Wieso sollte ich Mätzchen machen?« Fremd und heiser klang die Stimme des Gangsters.

»Keine Ahnung, das müssen Sie allein beurteilen, Harms. Halten Sie sich genau an die Geschwindigkeit. Sollte uns ein Polizist schnappen, sind Sie ebenfalls reif.«

Joe Harms überlegte verzweifelt, wie er sein Leben retten konnte. So lange er am Steuer saß, konnte er nichts tun. Mußte er aber aussteigen, würde ihn der »Bluthund« gnadenlos erschießen. Harms schwitzte Blut und Wasser, doch der rettende Einfall wollte ihm nicht kommen.

»Gehen Sie gleich auf den Lake Shore Drive«, forderte ihn sein Mörder auf. »Und immer hübsch vorsichtig, Harms, wenn Sie keinen Schuß in den Rücken riskieren wollen.«

Harms nickte nur, bog auf den breiten Highway ein, der entlang des Michigan Sees führte. Der Mann auf dem Rücksitz hatte sich eine Zigarette angezündet. Der Rauch drang nach vorn in Harms’ Nase. Wie gern hätte auch er sich mit einer Zigarette beruhigt, doch traute er sich nicht, die Packung aus der Tasche zu ziehen. Sein Mörder hätte das gründlich mißverstehen können.

Der Wagen fuhr in langsamer Fahrt über die mächtige Kreuzung des Fullerton Parkways und näherte sich der Brücke über der Einfahrt zur North Laggon. Warnzeichen machten die Fahrer darauf aufmerksam, daß an der Brücke gearbeitet wurde.

Harms maß die Straße mit seinen Blicken. Er kümmerte sich überhaupt nicht um den tollen Verkehr, der auf den sechs Fahrbahnen abgewickelt wurde. Er sah nur das Brückengeländer, das an der rechten Seite der Fahrbahn ausgebessert wurde.

Da faßte Joe Harms einen verzweifelten Plan. Ohne das Tempo zu drosseln, fuhr er hart an die Baustelle heran. Der Mann hinter ihm sagte kein Wort, schöpfte wohl auch keinen Verdacht. Als das abmontierte Brückenstück knapp vor dem Wagen lag, riß Harms das Steuer in einer wilden Bewegung herum.

Die schützenden Holzplanken knallten krachend und kreischend auseinander. Der Wagen durchbrach die Absperrung und … stürzte von der Brücke herunter. Er überschlug sich in der Luft und landete mit berstendem Krachen und Splittern auf der Wasseroberfläche. Er soff sofort wie ein Stein ab …!«

Parker sah alles deutlich vor sich.

Als der Wagen von Joe Harms durch das behelfsmäßige Geländer brach und in die Tiefe stürzte, steuerte er sein hochbeiniges Monstrum sofort an den Rand der Fahrbahn, stieg aus und lief über die Böschung hinunter zum Wasser. Unter der Brücke blieb er stehen und beobachtete die Stelle, an der der Wagen versunken war. Große Luftblasen, Öl und kleine Trümmerstücke wurden an die Oberfläche gespült.

Parker paßte sehr genau auf. Er kümmerte sich nicht um die Rufe und Schreie der Bauarbeiter oben auf der Brücke und auch nicht um das Aufheulen einer ersten Polizeisirene. Viel Hoffnung hatte er nicht, daß sich einer der beiden Insassen retten konnte.

Und doch war es so …!

Der Butler sah für Sekunden nur die Umrisse eines Körpers, der die Wasseroberfläche berührte. Der Körper sank sofort wieder, doch für den Butler war das ein Grund genug, sich in die Fluten zu stürzen.

Das heißt, er stürzte sich nicht gerade ins Wasser, sondern legte erst einmal Melone und Regenschirm ab. Dann entledigte er sich seines Mantels und der Jacke. Anschließend watete er in das Wasser und tauchte knapp vom Ufer weg.

Parker brauchte nur die dicken Luftblasen anzuschwimmen, die aus dem Wrack nach oben stiegen. Kraftvoll waren seine Schwimmstöße. Wie ein gelernter Kampfschwimmer arbeitete er sich an das im seichten Wasser liegende Auto heran. Über ihm befanden sich allerdings bereits vier Meter Wasser, die den harten Sturz vielleicht doch etwas gebremst hatten.

Parker wollte gerade nach oben schwimmen, um frische Luft in die Lungen zu saugen, als er die im Wasser schwebende Gestalt ausmachte. Er unterdrückte seinen lebhaften Wunsch nach reiner und sauerstoffhaltiger Luft, schwamm auf den Körper zu, packte ihn und mußte sich dann sehr beeilen, nach oben zu kommen.

Die neugierigen Zuschauer auf der Brücke spendeten ihm großen Beifall, als er aus dem Wasser auftauchte, den leblosen Körper packte und unter die Brücke zerrte. Er begnügte sich mit einem schnellen Blick, sah, daß er Joe Harms geborgen hatte, und watete noch einmal zurück ins Wasser.

Von seiner Verfolgung her wußte er ja, daß sich zwei Männer im Auto befunden hatten. Nach seinem knappen und kurzen Gespräch mit Ronny Culler hatte er sein hochbeiniges Monstrum aus einer in der Nähe gelegenen Tiefgarage geholt und die Kneipe des Gangsters bewacht. So war er zum Augenzeugen der seltsamen Geschehnisse geworden.

Aus der Nähe betrachtet, sah Harms’ Wagen einfach scheußlich aus. Das Dach war wie von einer riesigen Faust zusammengedrückt worden. Parker schwamm nach vorn zur zerbrochenen Windschutzscheibe und entdeckte auf dem Rücksitz den zweiten Fahrgast. Die aus den Schienen gerissene vordere Sitzbank hielt den Mann auf dem Rücksitz fest. Seine Beine waren eingeklemmt worden. Aus eigener Kraft hätte er sich niemals retten können.

Parker preßte sich durch die schmale Öffnung und faßte nach dem Beifahrer. Die seltsame Kopfhaltung des Mannes veranlaßte ihn, sich wieder nach außen zu schieben und dann zurück an Land zu schwimmen. Joe Harms’ Begleiter hatte sich das Genick gebrochen, daran war überhaupt nicht zu zweifeln.

Um Joe Harms kümmerten sich bereits zwei uniformierte Polizisten, die mit dem Gangster eine harte Zwangsatmung durchexerzierten.

»Wird er durchkommen?« erkundigte sich Parker.

»Das Sauerstoffgerät wird gleich kommen«, meinte einer der Polizisten. »Donnerwetter, Sir, Sie haben aber schnell geschaltet. Ohne Sie wäre der Mann längst ertrunken.«

»Keine Ovationen bitte«, bemerkte Parker und versorgte sich wieder mit Jacke, Mantel, Melone und Regenschirm. »Informieren Sie Leutnant Branch vom Morddezernat. Das hier ist Joe Harms, ein Gangster, der den ›Juicemen‹ angehört.«

Parker nickte den beiden erstaunten Polizisten zu und schritt gemessen davon. Er ignorierte die Rufe der beiden Männer, ging höchstens etwas schneller und stand bereits neben seinem hochbeinigen Monstrum, als einer der Beamten ihn einzuholen versuchte. Als der Mann keuchend die Straße erreichte, fuhr Parker bereits davon.

Gut eine Stunde später rief er Leutnant Branch im Stadthaus an.

Branch schnappte nach Luft, als er Parkers Stimme erkannte.

»Ich möchte auf keinen Fall lange stören«, entschuldigte sich der Butler. »Darf ich mich erkundigen, was aus Joe Harms geworden ist?«

»Er hat’s nicht überlebt, Parker …! Schwere innere Verletzungen. Ein Wunder, daß er noch zehn Minuten nach der Bergung lebte.«

»Dennoch würde ich höflich wie dringend empfehlen, eine Pressemeldung herauszugeben, in der Harms als zwar verletzt, aber doch noch lebend bezeichnet wird, Sir.«

»Was bezwecken Sie damit, Parker …? Sie sollten auf dem schnellsten Weg zu mir kommen. Ich habe Ihnen einige Fragen zu stellen.«

»Sir, in wenigen Stunden werde ich Ihnen voll und ganz zur Verfügung stehen«, versprach Josuah Parker. »Zur Zeit bin ich leider unabkömmlich. Ich beabsichtige, den ›Bankhalter‹ der ›Juicemen‹ zu stellen.«

»Zum Teufel, warum wollen Sie dieses Risiko auf sich nehmen, Parker? Allein werden Sie doch kaum etwas ausrichten. Schalten Sie uns mit ein …! Wenn ich daran denke, wie Sie mit uns umspringen, hätte ich große Lust, Sie mal einsperren zu lassen.«

»Mr. Rander ist ein ausgezeichneter Verteidiger«, gab der Butler zu überlegen. »Ich bin sicher, daß es ihm ein Vergnügen bereiten wird, mich zu vertreten.«

»Nehmen Sie doch nicht alles wörtlich.« Leutnant Branch sprach jetzt fast bittend. »Auch wir sind doch hinter den Geldverleihern her. Zusammen werden wir diesem Bandenchef eine sichere Falle stellen.«

»Ich fürchte, Sir, Sie unterschätzen die Verschlagenheit und das Mißtrauen dieses Gangsters. Allein werde ich mehr ausrichten. Damit, dessen bin ich mir natürlich voll bewußt, trage ich auch die alleinige Verantwortung für das Gelingen meines Planes.«

»Also gut, ich weiß, Sie sind ja nicht zu halten. Ich kann Ihnen, nur Hals- und Beinbruch wünschen. Soll ich Mr. Rander verständigen?«

»Das ist bereits durch mich geschehen, Sir. Mr. Rander billigt mein Tun.«

»Was bleibt ihm auch anderes übrig«, murmelte Leutnant Brauch, bevor er den Hörer auflegte …!

*

Als Ben Walton in den Zeitungen las, Joe Harms sei mit dem Leben davongekommen, war ihm klar, daß er nun in unmittelbarer Lebensgefahr schwebte.

Seine Überlegungen waren recht einfach. Joe Harms war der erste Chef eines Reviers, er kannte ihn, Ben Walton, er wußte auch, welche Rolle er spielte. Es war unter den Vormännern der Gang allgemein bekannt, daß Ben Walton den »Bankhalter« persönlich kannte. Was lag nun näher, daß Joe Harms diese Informationen früher oder später an die Polizei weitergab, damit wurde der Chef der »Juicemen« gefährdet.

Walton machte sich keine Illusionen.

Der »Bankhalter« würde versuchen, ihn umzubringen. Damit tauchte er dann wieder in die unangreifbare Anonymität zurück und sicherte sich ab. Der »Bankhalter« pfiff mit Sicherheit auf die langjährige Zusammenarbeit, wenn es um sein Leben ging.

Ich werde schneller sein müssen als er, sagte sich Ben Walton in seiner Privatwohnung. In dieser Nacht noch muß ich den Chef überlisten und ihm zuvorkommen. Wenn ich die Gelder des Nordreviers abliefere, ergibt sich für mich die beste Gelegenheit, ihm einmal nachhaltig zu zeigen und zu beweisen, wer ich wirklich bin.

Walton dachte an die Gelder, die er zu überbringen hatte. Die Abrechnung war bereits erfolgt. Doch es ging ihm nicht allein um dieses Geld. Er dachte an die horrenden Summen, die der »Bankhalter« stets einsteckte. Auch diese wollte er in seinen Besitz bringen, um sich danach abzusetzen.

Um herauszufinden, wie seine Situation bereits war, setzte er sich mit den »Bluthunden« des Gangsterchefs in Verbindung. Normalerweise wurden sie von ihm, Ben Walton, eingesetzt.

Es ging besser, als er dachte.

Er schickte sie in Joe Harms Revier und übertrug ihnen eine völlig unwichtige Aufgabe. Im Laufe des Nachmittags kontrollierte er vorsichtig, ob die Revolverhelden seinen Befehlen auch nachgekommen waren.

Er hatte nichts auszusetzen.

Sie befanden sich genau dort, wohin er sie beordert hatte. Der »Bankhalter« hatte demnach nicht anders disponiert und sich eingeschaltet. Vielleicht wollte er mit Waltons Ermordung noch warten, bis Joe Harms’ Rolle vor der Polizei geklärt war. Nun, Walton dachte nicht im Traum daran, es darauf ankommen zu lassen. Seine einzige Rettung bestand in seiner Schnelligkeit.

Ungeduldig erwartete er den Abend. Er hatte sich mit dem Chef der »Juicemen« für 22 Uhr im bewußten Lagerschuppen verabredet. Die Übergabe des Geldes sollte nach dem altgewohnten Ritus erfolgen.

Nach qualvoll langen Stunden war es endlich soweit. Ben Walton stopfte die Aktentasche mit wertlosem Zeitungspapier aus und kontrollierte noch einmal die beiden Waffen, die er mit in den Schuppen nehmen wollte. Es handelte sich um einen 38er und um einen kleinen Damenbrowning vom Kaliber 6.35. Den Browning befestigte er mit einigen Streifen Leukoplast an seinem Unterschenkel.

Absichtlich verzichtete er diesmal auf die Begleitung der »Bluthunde«. Während der Fahrt zum Lagerschuppen prüfte er ganz genau, ob er verfolgt wurde. Er wollte ganz sicher gehen, daß der »Bankhalter« ihn nicht inzwischen beschatten ließ. Denn dann hatte er noch immer eine Möglichkeit, anders zu disponieren.

Während der. Fahrt überlegte er, ob es nicht richtiger gewesen wäre, zum Chef in die Wohnung zu fahren. Nun, das wäre doch zu ungewöhnlich und vielleicht auch zu auffallend gewesen. Der »Bankhalter« hatte sich solche Besuche ein für allemal verbeten, um sein Inkognito zu wahren. Nein, es war schon besser, sich an die gewohnten Dinge zu halten. So schöpfte der Chef wenigstens keinen Verdacht.

Die zehn Minuten Umweg lohnten sich. Walton war sicher, nicht beschattet zu werden. Er änderte die Fahrtrichtung und steuerte die ehemalige Mühle an, die zum Lagerschuppen gehörte. Es war dunkel, als er dort anlangte. Er ließ den Wagen vor der Rampe stehen, entsicherte den 38er in seinem Schulterholster und zog die Tasche aus dem Wagen. Mit ruhigen Schritten, als sei alles in bester Ordnung, stieg er zur Rampe hoch und drückte die kleine Pforte in der Schiebetür auf. Sie knarrte unangenehm und schien fast so etwas wie ein Warnsignal von sich zu geben.

Aufgescheuchte Ratten pfiffen und raschelten in der Dunkelheit. Der dumpfe Geruch im Schuppen legte sich auf Waltons Lungen. Nur mit Mühe unterdrückte er ein nervöses Hüsteln.

Da war auch schon das Förderband!

Walton schaltete es ein, legte die Tasche auf das endlose Gummiband und … wartete, bis sie vielleicht einen oder zwei Meter heraufbefördert worden war. Dann schob er sich ebenfalls auf das Band und ließ sich nach oben tragen.

Die Förderanlage, sonst gewohnt, Zentnerlasten zu tragen, schleppte ihn ohne weiteres mit nach oben. Walton hatte den entsicherten 38er in der Hand und zügelte seine innere Unruhe. Er ließ sich auf ein riskantes Spiel ein.

Sein Plan war es, den »Bankhalter« in dem Moment aus der Dunkelheit zu erschießen, wenn der Chef die Taschenlampe aufblitzen ließ, um nach der Tasche zu greifen. Deshalb hatte er sie etwas vorgeschickt. Sein Plan mußte gelingen. Er war einfach und raffiniert. Walton war fast stolz darauf …!

Das Rumpeln und Scharren der Laufrollen ging ihm auf die Nerven. Er atmete tief durch, schwebte bereits dem ersten Stock entgegen. Gleich mußte der große, viereckige Einschnitt in der Betondecke kommen.

Ob der »Bankhalter« dort bereits stand, um sein Geld in Empfang zu nehmen?

Walton streckte die Hand aus, sie berührte genau in diesem Augenblick die Betondecke.

Falls der Chef nun dort wartete, mußte jetzt das Licht aufflammen. Nichts …!

Alles blieb stockfinster. Das Förderband trug ihn weiter nach oben.

In wenigen Sekunden mußte die zweite Decke kommen. Wieder streckte der Sekretär der »Juicemen« die Hand aus, um eine genaue Kontrolle zu haben. Nach qualvoll langen Sekunden schlug sein Handrücken nun auch gegen die zweite Decke.

Er spannte seine Muskeln. Ob der »Bankhalter« jetzt am Förderband stand? Sobald das Licht aufflammte, wollte er schießen. Wenn er diese Chance verspielte, gab es keine Rettung mehr. Dann wußte der Chef, daß er den Verrat geplant hatte.

Das Förderband spulte weiter ab. Öffnung auch in dieser Decke. Kein Licht, keine Spur vom »Bankhalter«.

Auf der Stirn des Gangsters bildeten sich dicke Schweißtropfen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Am liebsten hätte er laut aufgeschrien, wäre vom Band heruntergesprungen und zurück zu seinem Wagen gelaufen. Doch das war unmöglich. Er mußte seinen Plan jetzt zu Ende bringen.

Die Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten. Waltons Mundhöhle war wie ausgetrocknet. Seine Augen, die das Dunkel durchbohrten, überanstrengten sich. Er sah bereits bunte Kreise, spürte, daß ihm der Schweiß in die Innenseite seiner Brille lief und ihm die Sicht später trüben würde.

Doch es war viel zu spät, um die Gläser zu putzen. Seine Finger umspannten den Kolben des 38ers. Wenn doch die Taschenlampe endlich aufflammen wollte …!

Da, ein Lichtschein …!

Er hatte in seiner Aufregung vergessen, nach der nächsten Betondecke zu tasten. Der Widerschein ließ den viereckigen Einschnitt genau erkennen. Er sah eine Gestalt, die sich über das Förderband beugte und … es abstellte!

Daran hatte er gar nicht gedacht. Er befand sich viel tiefer, als er angenommen hatte. Entweder war er zu spät auf das Förderband geklettert, oder während der Fahrt etwas nach unten weggerutscht.

Waltons 38er spuckte Feuer. Wie erlöst eröffnete er das Feuer auf die nur schemenhaft erkennbare Gestalt über dem Einschnitt. Die Flammen des Mündungsfeuers erhellten für Sekundenbruchteile den unteren Teil der Decke.

Habe ich getroffen, fragte sich Walton, als ein Knacken in der Waffe ankündigte, daß das Magazin leer war. Er hörte über sich einen dumpfen Aufprall, deutete ihn so, daß der »Bankhalter« getroffen und niedergestürzt war.

Walton brauchte höchstens noch anderthalb Meter bis zum Deckendurchstieg zu überwinden. Er zog sich an den rauhen Kanten des endlosen Bandes hoch und schob seinen Kopf und Oberkörper durch den Einschnitt.

Volles Licht traf seine Augen, blendeten sie. Gleichzeitig peitschten zwei Schüsse auf, die voll seine Brust trafen. Walton schrie auf, begriff, daß er von seinem Chef doch noch überlistet worden war. Und bevor er bewußtlos wurde, drückte er sich von der Öffnung ab. Sein haltloser Körper rutschte unkontrolliert über das Band, kam aus der Richtung und kippte über das Band nach unten auf den Betonboden. Es war sein Glück im Unglück, daß er auf einem Sackstapel landete, der seinen Fall etwas dampfte. Doch davon merkte Ben Walton schon nichts mehr. Er war bewußtlos …!

*

Der »Bankhalter« hatte sich in einen weiten Staubmantel gehüllt und den Hut tief in die Stirn gezogen.

Nach dem Feuerüberfall, den er glücklich überstanden hatte, nach dem Abschießen seines Sekretärs, blieb er am Deckeneinschnitt stehen und lauschte in die Dunkelheit des Schuppens hinein.

In der ersten Aufwallung hatte er flüchten wollen, doch inzwischen dachte er anders darüber. Bevor er nicht genau wußte, daß Walton tot war, durfte er den Schuppen nicht verlassen. Er mußte und wollte Gewißheit haben.

Er nahm die Taschenlampe, brachte sie an die Deckenöffnung und leuchtete nach unten. Suchend glitt der Lichtkegel über den Boden, doch Walton war nicht zu entdecken. Beim Abgleiten vom Förderband war er knapp hinter einen Pfeiler gefallen. Der einstürzende Sackstapel tarnte ihn nun zusätzlich.

Der Chef der »Juicemen« kam sich vor, als stünde er auf heißen Kohlen. Wie sollte er Walton beikommen? Nur zu gern hätte er seinem Sekretär von dort oben aus noch einige Schüsse und Treffer beigebracht, doch das ging nun nicht.

Wohl oder übel mußte er also über die Betontreppe nach unten in das nächste Stockwerk steigen und nach Walton suchen.

Nachdem der Mann sich noch einmal vergewissert hatte, daß im Schuppen soweit alles in Ordnung war, lief er zur Treppe und stieg vorsichtig nach unten. Nur in ganz kurzen Abständen schaltete er die Taschenlampe ein.

Das Stockwerk war erreicht.

Der Lichtkegel der Lampe erfaßte das Förderband, glitt über den staubigen, verdreckten Boden und erfaßte den Sackstapel. Der »Bankhalter« sah sofort, daß er gerade erst eingestürzt sein mußte, denn über dem ganzen Wirrwarr tanzten im Licht der Lampe unzählige Staubkörner.

Auf Zehenspitzen näherte sich der Chef der »Juicemen« dieser Stelle. Sein Finger hatte bereits Druckpunkt an der Waffe genommen. Er entspannte sich allerdings wieder, als der Chefgangster den 38er fand, der unterhalb des Förderbands auf dem Boden lag.

Schneller schritt der »Bankhalter« voran. Er wollte diese Sache hinter sich bringen. Walton stellte jetzt ohne Waffe kaum noch eine ernsthafte Gefahr dar …!

*

Ben Walton kam ohne Übergang wieder zu sich.

Ein brennender Schmerz in seiner Brust breitete sich langsam aus, erfaßte seinen Leib und fraß sich hinauf in den Schädel. Er brauchte einige Sekunden, bis er begriff, was vorgefallen war. Er wunderte sich kaum darüber, daß er noch lebte. Er faßte hoch zur Brust. Seine Finger berührten eine klebrige Flüssigkeit.

Blut …!

Er nahm die Hand wieder herunter, staunte, daß er den Arm überhaupt noch bewegen konnte. Er erinnerte sich der Schießerei, wollte seinen 38er ziehen und schob sofort das Hosenbein hoch, als er die Waffe nicht fand.

Als hätte er sich bereits überanstrengt und seine restliche Energie verspielt, mühte er sich ab, an die 6.35er Pistole zu kommen, die er sich mit Leukoplast am Unterschenkel befestigt hatte. Er wußte, daß der »Bankhalter« sich vergewisserte, ob er auch tatsächlich getroffen hatte.

Walton befand sich in einem eigenartigen inneren Schwebezustand. Er spürte, daß das Blut aus den beiden Wunden rann, daß er immer leichter und müder wurde. Doch er bekam die Waffe in die Hand und entsicherte sie.

Dann sah er das Licht, das durch das Sackleinen drang.

Der »Bankhalter« kommt, dachte er, gleich ist es soweit, dann werde ich ihn doch noch hereinlegen.

Diesmal blieb er vollkommen ruhig. Vielleicht wußte er zu diesem Zeitpunkt bereits, daß er sterben mußte. Es bedeutete ihm eine einzige Genugtuung, daß er seinem Chef nun doch noch mitnehmen konnte. Sein ganzes Scharren und Zusammenraffen hatte sich also doch nicht gelohnt.

Der Chef rief leise seinen Namen. Natürlich antwortete Walton nicht, dafür umspielte ein dünnes Lächeln seine Lippen.

Der »Bankhalter« rief ein zweites Mal, trat mit der Schuhspitze die Säcke auseinander und leuchtete sie ab. Noch hatte er Walton nicht gefunden, der viel weiter hinten lag, als der Gangster annehmen konnte.

Walton nahm sich Zeit. Als der »Bankhalter« dann den letzten Jutesack zur Seite trat, konnte Walton sein Ziel sehen. Der Chef war so groß wie ein Schrank. Er konnte einfach nicht verfehlt werden.

Schuß auf Schuß löste sich aus Waltons Browning.

Der »Bankhalter« fluchte, sprang zur Seite und warf sich zu Boden. Er spürte den Streifschuß an der Schulter, doch das hinderte ihn nicht, das Feuer zu beantworten. Diesmal wurde der Sekretär der »Juicemen« genau getroffen. Wie unter harten Fausthieben wurde er herumgeworfen und blieb dann regungslos liegen. Der »Bankhalter« aber raffte sich auf und ergriff die Flucht …!

*

Josuah Parker hatte es sich in Ben Waltons Wohnung bequem gemacht.

Er saß in einem Sessel und wartete auf den Sekretär der »Juicemen«. Gleich nach Waltons Weggang hatte er sich in altbekannter Weise Zutritt verschafft. Eine Verfolgung des Sekretärs hielt er für nicht angebracht. Seiner Schätzung nach war damit zu rechnen, daß Walton sehr vorsichtig und mißtrauisch war.

Josuah Parker hatte bereits wertvolle Arbeit geleistet. Sie bestand darin, daß er den Safe des Sekretärs geöffnet und das vorhandene Bargeld eingesammelt hatte. Nun wollte er nur noch Walton interviewen und ihm einige Fragen hinsichtlich des »Bankhalters« stellen.

Selbstverständlich hatte der Butler sich auch schon mit diesem geheimnisvollen Verbrecher befaßt. Ein wichtiger Anhaltspunkt war ihm von Herm Lazer geliefert worden, der sich gewisser Fragen erinnerte, die Joe Harms auch nicht beantworten konnte. Sie bezogen sich auf den Chef der Gang, der es liebte, seinen Sekretär durch den Kakao zu ziehen, wenn die Vormänner zu einer Konferenz eingeladen waren.

Ein tragbares Fernsehgerät dürfte ausschalten, sagte sich der Butler darauf. Nach Lage der Dinge hält der »Bankhalter« sich während dieser Konferenzen auch nicht in einem Nebenraum auf. Von Fall zu Fall werden diese Zusammenkünfte ja in überraschend gewählten, leeren Wohnungen, Büros oder Ateliers durchgeführt.

Woher also weiß der »Bankhalter«, wie sein Sekretär auf gewisse Dinge reagiert? Er muß ihn also sehr gut kennen, und zwar aus nächster Nähe. Er muß Zeit und Gelegenheit haben, die Angewohnheiten seines Sekretärs zu studieren.

Wo aber arbeitete der Sekretär?

Parker hatte das inzwischen ausfindig gemacht. Ben Walton war der Geschäftsführer einer Nachtbar. Der Besitzer dieser Bar nannte sich Ray-Hutter und war bekannt dafür, daß er Verbindungen zur Unterwelt von Chicago unterhielt.

Konnte Ray Hutter mit dem »Bankhalter« identisch sein? Das war eine Frage, die der Butler nicht unbedingt bejahen wollte.

Es gab noch einen zweiten Anhaltspunkt.

Die Mühle samt Lagerschuppen, die Walton besuchte, um das Geld abzuliefern, war der Besitz eines alten, starrköpfigen Mannes, der nach geschäftlichem Pech seinen Betrieb stillgelegt hatte. Dieser Mann, er hieß Harry Nelson, lebte zurückgezogen im Loop und ließ sich kaum auf der Straße sehen.

Ob Harry Nelson als »Bankhalter« in Betracht kam? Auch in diesem Fall wollte der Butler keine endgültige Entscheidung treffen. Er hielt nicht viel davon, auf den bloßen Schein hin zu urteilen.

Walton wird mir weiterhelfen, sagte sich Parker. Auf eine höfliche Frage werde ich ganz sicher eine höfliche Antwort bekommen. Ich muß dem Sekretär der »Juicemen« nur klarmachen, wie sehr er sieh in unmittelbarer Gefahr befindet. Sein Chef wird ihn nach den Nachrichten über Joe Harms loswerden wollen.

Josuah Parker studierte die knappen Aufzeichnungen in seinem Notizbuch. Sie bestanden aus einer Geheimstenografie, die nur er allein zu deuten vermochte. Der Butler ging den Personenkreis durch, mit dem Ben Walton verkehrte. Diese Aufzeichnungen waren selbstverständlich nicht lückenlos, denn Parker hatte sich nur wenig freie Zeit absparen können, um auch Walton zu beobachten. Schließlich hatten ihm die Gangster hart zugesetzt und ihm kaum Zeit gelassen, richtige Detektivarbeit zu leisten. Er wußte noch nicht einmal, ob die beiden Männer Hutter und Nelson über eine messerscharfe Stimme verfügten. Auf die hatte Herm Lazer ihn besonders aufmerksam gemacht.

Es ging auf 23 Uhr zu.

Parker, der seit fast zwei Stunden wartete, verlor zwar nicht die Geduld, begann sich aber Sorgen zu machen. Ben Walton mußte seinen Berechnungen nach längst wieder zu Hause sein.

Als er draußen vor dem Haus einen bremsenden Wagen hörte, begab Parker sich gemessen ans Fenster und schaute auf die Straße hinunter. Er sah gerade noch, daß eine Männergestalt das Haus betrat.

Josuah Parker begab sich in den Waschraum und wartete ab. Wenn ihn nicht alles getäuscht hatte, kehrte Walton nun zurück in die Wohnung.

Die Wohnungstür wurde geöffnet, ein Schlüsselbund klirrte. Kurz danach flammte das Licht auf.

Durch einen schmalen Spalt beobachtete Parker das große Zimmer. Er sah einen mittelgroßen Mann, der einen weiten Mantel trug und sich den Hut tief in die Stirn gezogen hatte.

Das mußte der »Bankhalter« sein. Parker hatte keine Beweise dafür, doch sein sicherer Instinkt leitete ihn.

Der Mann, dessen Gesicht Parker noch nicht sehen konnte, fand sich in der Wohnung gut zurecht. Er trat sofort an den Safe, legte ihn durch Wegschieben eines Bildes frei und steckte einen Schlüssel in das komplizierte Schloß, das Parker nur mit einem raffinierten Nachschlüssel bezwungen hatte.

Dieser Mann fluchte mm schauerlich, als er den Safe ausgeräumt fand.

Parker konnte sich die Enttäuschung des Gangsters gut vorstellen, ließ sich aber immer noch nicht blicken. Vielleicht, so überlegte er, keimt dieser späte Gast noch Verstecke, die ich übersah. Er wird mir dann die Mühe abnehmen, danach zu suchen.

Genauso kam es auch wirklich.

Der Besucher trat vor die Eckcouch und nahm die Rückenpolster herunter. Dann kniete er nieder und verschwand mit seinem Arm in einer Höhlung. Wieder rasselte das Schlüsselbund. Als der Mann sich aufrichtete, hielt er eine flache Kassette in der Hand. Der Besucher drehte sich so um, daß Parker nun endlich auch das Gesicht erkennen konnte.

Nein, diesen Mann hatte er vorher noch nie gesehen. Es war weder Ray Hutter noch Harry Nelson. Das Gesicht dieses Mannes sah wie altes zerknittertes Pergament aus. Unter der kräftigen Nase saß ein struppiger Schnauzbart. Der Mund sah dünn und verkniffen aus, als habe der Mann es mit der Leber zu tun.

Dieser Mann nun verschwand in Waltons Schlafzimmer, ein Grund für den Butler, jetzt schnell das Badezimmer und dann auch die Wohnung des Sekretärs der, »Juicemen« zu verlassen …!

*

Der »Bankhalter« steuerte seinen Wagen in die Garage, stieg aus und schloß den baufälligen Holzschuppen von innen. Dann schlurfte er durch die Seitentür auf einen engen finsteren Hof und schloß die vergitterte Tür zu seinem Geschäft auf, das sich im Souterrain befand.

Parker wartete noch eine knappe Minute, dann drückte er die Haube des Kofferraums auf und verließ ebenfalls den Wagen des »Bankhalter«. Als sparsamer Mensch hatte er es vorgezogen, sich von dem Bandenchef gleich mitnehmen zu lassen.

Durch die Scheibe der vergitterten Tür sah er in eine Art Trödellader hinein. Der Mann mit dem Schnauzbart hatte das Licht eingeschaltet und verschwand hinter einem Vorhang.

Josuah Parker prüfte das Türschloß. Er brauchte nur die Klinke herunterzudrücken und einzutreten.

Was er auch prompt besorgte.

Würdevoll wie in jeder Situation schritt der Butler hinter die Theke, näherte sich dem Vorhang und schob ihn leicht auseinander. Der Schnauzbart hatte sich die Jacke ausgezogen und streifte sich gerade das Hemd vom Oberkörper. Parker entdeckte unter dem rechten Oberarm einen blutigroten Strich, der wohl von einem Streifschuß herrührte.

Der Schnauzbart kramte in einem Kasten, der ihm als Apotheke diente, und bereitete einen Verband vor.

»Vergessen Sie nicht, die Wunde auch sorgfältig zu desinfizieren«, warnte Parker, den Vorhang zur Seite schlagend. »Sie ahnen nicht, wie schnell es zu Infektionen kommen kann, vor allen Dingen dann, wenn die Wunde von einem Streifschuß stammt.«

Der Schnauzbart reagierte ungewöhnlich schnell. Er schien überhaupt keine Schrecksekunde zu kennen. Bevor Parker eine Abwehrbewegung machen konnte, landete der Kasten in seinem Gesicht.

Der Butler würde für Sekundenbruchteile außer Gefecht gesetzt, was ihm wirklich nur höchst selten passierte. Doch diese knappe Zeit genügte dem Schnauzbart, die Flucht zu ergreifen. Oder war es nicht sogar ein Angriff …?

Er hielt nämlich eine lange Papierschere in der Hand und drang damit auf den Butler ein. Im allerletzten Moment riß Parker seinen Universal-Regenschirm hoch und drückte auf den versteckt angebrachten Knopf.

Wie der Blitz fuhr die lange Degenklinge aus dem Schaft des Regenschirms und durchbohrte den Oberarm des Gangsters. Der Schnauzbart brüllte auf, warf sich zurück, zog seinen Revolver. Parker, der mit sparsamen Mitteln immer möglichst viel erreichen wollte, nahm seine schwarze Melone vom Kopf und wirbelte sie wie einen Diskus durch die Luft. Der harte Rand seiner Kopfbedeckung traf die Nase des Schnauzbarts, der daraufhin, noch lauter und noch wütender brüllte.

Da der Butler Lärm dieser Art nicht ausstehen konnte, drehte er den Regenschirm um und klopfte mit dem bleigefütterten Griff auf den Kopf des »Bankhalter«. Schlagartig erstarb jeder Laut. Der Gangster rutschte in sich zusammen und würde ohnmächtig. Da Parker sich kurz darauf eine seiner Giftzigarren anzündete, brauchte er dem Gangster keine Handfesseln anzulegen. Erfahrungsgemäß ging die kürze Ohnmacht des »Bankhalter« jetzt in eine Art Tiefschlaf über …!

*

»Ich wette, diesmal kommen Sie nicht ganz zufällig vorbei«, frotzelte Mike Rander. Leutnant Branch grinste und schlug auf die Zeitungen, die er bündelweise aus seinen. Rocktaschen hervorholte.

»Die ›Juicemen‹ existieren nicht mehr«, sagte Branch. »Hier sind die neuesten Nachrichten, Rander. Alle Revolverhelden, Ausleiher und Vormänner konnten schlagartig ausgehoben werden. Von diesem unheimlichen »Bankhalter« ganz zu schweigen.«

»Ich las davon, dieser Gangsterboß war ein harmlos aussehender Trödler, der hin und wieder auch einmal einige Dollar auslieh.«

»Griffith Barnum heißt der Mann«, antwortete Leutnant Branch. »Mit der Polizei hat er noch nie Scherereien gehabt. In seinem Laden fanden wir alle Unterlagen über die ›Juicemen‹, aber auch einige Bankbücher. Barnum hat sich ein Vermögen zusammengegaunert.«

»Und dürfte einige Morde auf dem Gewissen haben, wie?«

»Natürlich, am Henker dürfte er nicht vorbeikommen. Nachdem er festgenommen werden konnte, reden plötzlich auch die Leutchen, die wir bereits eingesperrt haben.«

»Gratuliere, daß Sie den ›Bankhalter‹ erwischten, Branch.«

»Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, wie?« Branch schnaubte unvermittelt los. »Ihr Butler rief mich in der vergangenen Nacht an und gab mir den Tip, den Gangsterboß abholen zu lassen. Als wir ankamen, war Parker schon längst wieder verschwunden. Nur der Duft seiner Zigarren verpestete noch den Trödelladen. Wegen Parker bin ich ja eigentlich gekommen.«

»Da haben Sie Pech, Branch.«

»Was soll das heißen?«

»Parker ist nicht da.«

»Aber Sie wissen doch, wo er steckt, oder?«

»Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe keine Ahnung, Branch. Er bat um Nachurlaub, und den habe ich ihm selbstverständlich gewährt. Er bat mich, dieses Schreiben hier Ihnen zu überreichen. Darin finden Sie, wenn ich Parker richtig verstanden habe, alle Details, die vielleicht noch geklärt werden müssen.«

Branch nahm das dicke Päckchen in Empfang.

»Er nahm also Nachurlaub, Rander?« fragte er mißtrauisch.

»Ist das nicht verständlich? Er ist ja ganz hübsch bewegt worden, oder etwa nicht?«

»Selbstverständlich gönne ich ihm ein paar freie Tage. Doch ich brauche ihn für die Berichte, die ich jetzt schreiben muß. Aber auch das schert mich kaum. Mich bewegen ganz andere Sorgen.«

»Welche Sorgen haben Sie denn, Branch?«

»Während seines regulären Urlaubs hob Parker die ›Juicemen‹ aus«, antwortete der Polizeioffizier trocken. »Womit wird er sich während seines Nachurlaubs befassen?«

»Lassen wir uns doch überraschen«, schlug Mike Rander da lächelnd vor und zwinkerte Branch zu …!

– ENDE –

Butler Parker Paket 1 – Kriminalroman

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