Читать книгу Butler Parker Paket 1 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9
Оглавление»Ihre Ausdrucksweise mißfällt mir außerordentlich«, stellte Butler Josuah Parker fest. Ein verweisender Unterton in seiner beherrschten Stimme war unverkennbar. Steif und korrekt stand er vor der Anmeldung des kleinen, schäbigen Hotels. »Ob Mr. Harrison mich zu empfangen wünscht oder nicht, möchte ich, selbstverständlich mit Ihrer freundlichen Genehmigung, selbst von ihm hören.«
Der Mann hinter der Theke stieß ein gefährliches Knurren aus. Mißtrauisch zog er die Augen bis auf einen schmalen Spalt zusammen. In seinen Kreisen redete man nicht derart höflich oder kompliziert. Er fühlte sich leicht auf den Arm genommen, was seine an sich schon schlechte Laune nicht unerheblich steigerte. Der Nachtportier war gut und gern einen Kopf größer als der Butler.
Und dazu noch viel breiter und muskulöser. Die hochgerollten Ärmel des bunt bedruckten Hawaiihemdes gaben dicke Muskelschlangen frei.
Dieser Mann war gefährlich.
Das sah und spürte Butler Parker.
Doch er dachte nicht im Traum daran, die enge und schlecht beleuchtete Halle des kleinen Hotels zu verlassen.
Abwartend sah Josuah Parker sein Gegenüber an. Der Muskelprotz überlegte noch, was er tun sollte. Und er rätselte gleichzeitig darüber nach, wer der Mann vor der Theke wohl sein könnte.
Nun, Josuah Parker paßte nicht in diese Umgebung. Hier wurde die Nachlässigkeit groß geschrieben. Josuah Parker hingegen zeigte sich korrekt gekleidet wie immer. Trotz der drückenden Schwüle an diesem späten Nachmittag war er ganz in Schwarz gekleidet. Melone und Regenschirm vervollständigten seinen Anzug.
Josuah Parker wirkte in dieser seltsamen Aufmachung wie ein Überbleibsel vergangener Zeiten. Er sah sehr harmlos aus und schien zu den Menschen zu gehören, die grundsätzlich kein Wässerchen trüben können.
Der Muskelprotz war inzwischen zu einem Resultat gekommen. Langsam umschritt er die Theke, breit grinste er den Butler an. Doch in seinen noch engen Augen glitzerte die Tücke.
»Putz’ endlich die Platte …!« redete er den Butler noch einmal an. Überraschend sanft klang die Stimme. »Harrison ist für dich nicht zu sprechen Das reicht doch, oder …?«
»Ich protestiere in aller Form«, antwortete Josuah Parker ohne ein Zittern in der baritonal gefärbten Stimme. »Ich werde mich bei der Hotelleitung beschweren müssen …!«
»Na, dann eben nicht …!«
Der Muskelprotz stieß einen erleichterten Seufzer aus. Er hatte schon befürchtet, der Besucher könnte gehen, ihn damit um seinen Spaß bringen.
Er visierte die schwarze, steife Melone auf Parkers Kopf an. Ihm schwebte vor, sie mit einem harten Fausthieb über Parkers Ohren zu treiben. Eine durchaus verständliche Regung, da die Melone sich dazu ja förmlich anbot.
Seine breiten Pranken zuckten hoch. Die Lippen verzogen sich bereits zu einem ironischen Grinsen. Bevor die Hände jedoch die Melone erreichten, reagierte der Butler.
Der mit Blei präparierte Griff des schwarzen Regenschirms bewegte sich blitzschnell nach oben und traf genau die Kinnspitze des Nachtportiers.
Die Wirkung war überraschend. Ein auskeilendes Pferd hätte nicht härter schlagen können. Der Muskelprotz ächzte, verdrehte die Augen und ließ beide Arme fallen.
Im gleichen Moment senkte sich der Universal-Regenschirm des Butlers.
Die Schirmspitze traf die Zehen des linken Fußes. Da diese Spitze ungewöhnlich scharf war, wurden die Zehen nicht gerade sanft behandelt.
Automatisch knickte der Fleischberg zusammen, riß den mißhandelten Fuß hoch. Eine reine Instinkthandlung, die er nicht kontrollierte.
Darauf schien Josuah Parker nur gewartet zu haben.
Das Genick des Mannes bot sich ihm an. Er konnte einfach nicht widerstehen. Mit einem schnellen Handkantenschlag beendete Parker die unerfreuliche Diskussion.
Krachend fiel der Muskelprotz gegen die Holztheke, rutschte langsam an ihr herunter und blieb regungslos auf dem schmutzigen Steinboden liegen.
Mit sparsamen Bewegungen stieg Josuah Parker über den Mann. Er hing den Universal-Regenschirm an den gewohnten Platz am Unterarm und schritt gemessen der Treppe zu. Daß er gerade erst einen äußerst gefährlichen und kraftstrotzenden Gegner ausgeschaltet hatte, war ihm überhaupt nicht anzusehen. Selbst sein Atem ging um keine Nuance schneller.
Im Korridor der ersten Etage bog er nach links ab. Vor dem Zimmer mit der Nummer 12 blieb er stehen, klopfte kurz und diskret an. Abwartend trat er einen Schritt zurück.
Sein Klopfen blieb ohne Antwort.
Butler Parker wartete einige Sekunden, obwohl er bereits ahnte, daß Mr. Harrison ausgeflogen war. Dann griff er in die rechte Tasche seines schwarzen kurzen Covercoats und holte einen schmalen, blitzenden Gegenstand hervor. Er führte ihn in das Schlüsselloch hinein und … sperrte die Tür auf. Das geschah mit einer Schnelligkeit und Selbstverständlichkeit, die selbst einem versierten Einbrecher atemloses Staunen abgenötigt hätte.
Parker trat ein.
Mit einem schnellen, umfassenden Blick orientierte er sich. Alles deutete darauf hin, daß Mr. Joel Harrison ausgeflogen war. Der eintürige Schrank war weit geöffnet, zwei Schubladen der Kommode hingen heraus. Im Zimmer roch es nach warmem Zigarettenrauch. Aber auch nach einem aufdringlichen, süßlichen Parfüm der billigen Kaufhaussorte. Josuah Parker ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken.
Um nur wenige Minuten war er zu spät gekommen.
Der Butler schloß die Tür, stieg nach unten in die schmale, muffige Hotelhalle.
Als er sie betrat, rappelte der Muskelprotz sich gerade hoch. Noch waren seine Augen leicht glasig. Er starrte den Butler wie eine überirdische Erscheinung an, schien krampfhaft nachzudenken, wann und unter welchen Begleitumständen er diesen ganz schwarz gekleideten Mann wohl gesehen hatte.
Er schaffte es nicht.
Parker verbeugte sich andeutungsweise, als er an dem Nachtportier vorbeischritt.
»Ich bedanke mich nachträglich für Ihre Freundlichkeit«, sagte Josuah Parker. »Für mich ist es immer wieder eine reine Freude, mit höflichen Menschen zusammenarbeiten zu können.«
Zusätzlich lüftete er seine schwarze, steife Melone.
In diesem Moment erinnerte sich der Fleischberg. Plötzlich wußte er, was passiert war.
Keuchend lehnte er sich gegen die Theke. Und starrte fassungslos dem Butler nach, der würdevoll wie ein Bischof die Halle verließ und die Straße betreten wollte.
Es kostete den Nachtportier sehr viel Anstrengung, ans Telefon zu kommen. Seine Hände zitterten noch, als er eine ganz bestimmte Nummer wählte.
»Endlich …!« seufzte er auf, als die Verbindung hergestellt war, »hier spricht Mac. Bestellt dem Boß, daß Harrison entdeckt worden ist. Ja doch, von so ’nem komischen Kerl. Wenn ich den erwische, mache ich Hackfleisch aus ihm.«
Er warf den Hörer in die Gabel und drehte sich langsam um. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als dicht vor ihm dieser ganz in schwarz gekleidete Mann stand.
Josuah Parker, der zurückgekommen war, verzog keine Miene.
»Ich stehe zu Ihrer Verfügung«, sagte er kühl »Wenn ich recht hörte, wollen Sie doch Hackfleisch aus mir machen. Übrigens eine Ausdrucksweise, die ich sehr verabscheue.«
Der Muskelprotz erstickte fast.
Er schloß für Bruchteile von Sekunden die Augen. Die Angst würgte ihn. Er hatte nicht die geringste Lust, noch einmal mit diesem unheimlichen Besucher anzubandeln.
Als er die Augen öffnete, war die schwarze Erscheinung verschwunden.
Da war der Nachtportier Mac Worland fest davon überzeugt, nur geträumt zu haben. Er brauchte aber einige doppelte Whisky, bis er wieder normal atmen konnte …!
Mike Rander, bekannter Anwalt und Strafverteidiger, bewohnte ein Penthouse in der Lincoln Park Avenue. Vom Dachgarten aus ging der Blick weit über den Michigan-See. Das Brausen des Verkehrs war hier oben in der Dachgartenwohnung des riesigen Apartment-Hauses kaum zu vernehmen. Mike Rander wohnte im Herzen der Riesenstadt Chikago und dennoch auf einer kleinen grünen Insel, die er sich auf dem Dachgarten hatte anlegen lassen. Das Penthouse glich einem kalifornischen Bungalow und bot allen Komfort. Darüber hinaus aber war es eine raffiniert gesicherte Festung, für die die Erfindungsgabe des Butlers verantwortlich zeichnete. Zu oft schon hatten rachsüchtige Gangs und Einzelverbrecher versucht, Mike Rander oder Josuah Parker zu überraschen und zu töten.
Die Gründe für solche Versuche waren mehr als zahlreich. Neben seiner Arbeit als Strafverteidiger war Mike Rander ein erstklassiger Kriminalist, der sogar von Bundesbehörden häufig um Rat angegangen wurde.
Anwalt Mike Rander konnte sich dieses Hobby durchaus leisten. Einmal, weil er finanziell ausgezeichnet abgesichert war, zum anderen, weil in seinem Anwaltsbüro erstklassige Mitarbeiter die Routinefälle erledigten.
Motor dieses Hobbys aber war der Butler Josuah Parker.
Vor Jahren hatte der knapp 38 Jahre alte Mike Rander drüben in England den Butler engagiert. Als Junggeselle brauchte Rander schließlich einen Menschen, der sich um sein leibliches Wohl kümmerte.
Nur nach langem Zögern hatte Josuah Parker zugestimmt. Als eingefleischter Engländer hielt er nicht besonders viel von Amerika. Und selbst jetzt nach Jahren war er ein eingefleischter Engländer geblieben. Und ein steifleinener, überaus korrekter Butler dazu. Daß er die Staaten inzwischen schätzte und liebte, ließ er sich grundsätzlich nicht anmerken.
Wenn Anwalt Mike Rander die Kriminalistik als Hobby betrachtete, so war sie für den Butler zu einer Leidenschaft geworden. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte er seine Anlagen, baute sie aus, brachte sie zu einer atemberaubenden Perfektion.
Butler Josuah Parker war listenreich wie ein Fuchs, kannte alle Tricks und erfand immer wieder neue dazu. Er verblüffte seine Gegner mit Banalitäten, technischen Überraschungen und immensen Kenntnissen.
Gangster, die bereits Kontakt mit ihm gehabt hatten, fürchteten ihn wie die Pest. In einschlägigen Kreisen waren seine schwarze Melone und sein Regenschirm fast zu einem Mythos geworden. Selbst Anwalt Rander wurde aus seinem Butler nie ganz klug. Angebote, in Randers Firma als Teilhaber einzutreten, lehnte der Butler stets ab. Er war und blieb der treue Butler seines Herrn, der immer dann zur Stelle war, wenn man ihn brauchte. Und Josuah Parker war immer schnell zur Stelle. Auch wenn er sich einer barocken und reichlich umständlichen Ausdrucksweise bediente, die er selbst in den vertracktesten und gefährlichsten Situationen niemals aufgab.
Mike Rander wollte sich gerade an den Arbeitstisch setzen, als das Telefon klingelte. Da dieser Anschluß nur über eine Geheimnummer zu erreichen war, mußte es Parker sein. Rander hob den Hörer aus der Gabel und meldete sich. »Sir, ich bedaure es ungemein, Sie stören zu müssen«, begann Josuah Parker. »In Erledigung Ihres Auftrags begab ich mich in das bewußte Hotel, um Mr. Harrison einen Besuch abzustatten.«
»Trafen Sie ihn an?«
»Es ist mir peinlich eingestehen zu müssen, Sir, daß ich Mr. Harrison um nur wenige Minuten verpaßte. Durch eine glückliche Fügung des Zufalls wurde ich dann allerdings Zeuge eines Gesprächs, das der Nachtportier mit einem Mann führte, den er in vulgärer Art als ›Boß‹ bezeichnete.«
»Ist ja toll, Parker …! Hinter Harrisons Verschwinden steckt also doch eine Gang, oder?«
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich Ihnen beipflichten. Ich war in der erfreulichen Lage, mir die vom Nachtportier gewählte Telefonnummer merken zu können.«
»Parker, machen Sie’s bloß nicht so spannend. Wer versteckt sich hinter dieser Telefonnummer?«
»Ich nahm mir die Freiheit, das zu ergründen, Sir. Dieser Anschluß ist identisch mit einer Großhandlung für Südfrüchte aller Art. Die betreffende Firma gehört einem gewissen Mr. Walt Hostans. Sie befindet sich im Gebiet der Industriehäfen.«
»Kennen wir diesen Hostans?« erkundigte Mike Rander sich. Auf Parkers Gedächtnis konnte er sich verlassen.
»Ich kann leider nicht dienen, Sir.«
»Von wo aus rufen Sie jetzt an?«
»Um rationell zu arbeiten, Sir, fuhr ich sofort hinaus zu den Kais. Zur Zeit befinde ich mich in einer äußerst schmutzigen, öffentlichen Telefonzelle, genau gegenüber der Firma Hostans, die rein äußerlich einen recht ansprechenden Eindruck macht, wenn ich mir diese private Anmerkung vielleicht gestatten darf.«
»Natürlich, Sie dürfen«, antwortete Rander und grinste. »Wie ich Sie kenne, wollen Sie sich die Firma mal aus der Nähe ansehen, oder?«
»Sir, ich danke Ihnen für Ihr Verständnis«, gab Parker zurück.
»Ich sollte zu Ihnen rauskommen, Parker«, schlug Rander vor.
»Oh, ich möchte Ihre Zeit auf keinen Fall unnötig in Anspruch nehmen«, wehrte Parker das Hilfsangebot seines Herrn ab. »Mir ging es einzig und allem dämm, meine weiteren Schritte mit Ihnen, Sir, gründlich abzustimmen.«
»Also gut, sehen Sie sich mal um. Wenn Sie sich per Telefon nicht innerhalb der nächsten Stunde melden, werde ich eine Hilfsexpedition ausrichten, Parker. Inzwischen will ich mal mit meinen Freunden von der Polizei reden und mich nach diesem Walt Hostans erkundigen. Könnte ja sein, daß er dort registriert ist.«
Mike Rander legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Im Grunde paßte es ihm nicht, daß Parker wieder einmal allein und auf eigene Faust handelte. Die Gefahr war schließlich zu groß. Gangster, die sich beobachtet fühlen, reagieren immer hart und schnell. Gewiß, Butler Parker war alles andere als ein Anfänger, aber auch der Geschickteste kann schließlich stolpern und Pech haben.
Mike Rander sah auf seine Armbanduhr.
Es war 19.43 Uhr.
In genau einer Stunde lief die Frist ab, die er seinem Butler gestellt hatte. Hoffentlich meldete Parker sich schon viel früher. Rander hing schließlich an Josuah Parker, der für ihn weit mehr als nur ein Butler war.
Um die Zeit wenigstens in etwa auszufüllen, rief er das Hauptquartier der Stadtpolizei von Chikago an. Er ließ sich Leutnant Current von der Zentralen Mordkommission geben.
Nach wenigen Sekunden meldete sich eine harte Stimme. Sie erwärmte sich um eine Nuance, als Mike Rander seinen Namen nannte.
»Ich wette, ich muß wieder mal Kindermädchen spielen«, sagte Current. Sein Lachen klang wie das Bellen eines heiseren Hundes. »Sitzen Sie in Schwierigkeiten, Rander? Sind Sie mal wieder über eine Leiche gestolpert? Was muß ich ausbügeln?«
»Kennen Sie einen Walt Hostans?«
»Keine Ahnung, Rander. Was soll er ausgefressen haben?«
»Noch weiß ich das nicht. Parker interessiert sich für diesen Namen.«
»Parker …?« Verblüffung herrschte auf der Gegenseite. Wenn Parkers Name erwähnt wurde, stutzte selbst der eisenharte Leutnant Current. Dann witterte auch er sofort einen Fall, der früher oder später durch die Tageszeitungen ging. »Hören Sie, Rander, was liegt da bei euch an, he? Ich habe keine Lust, wieder mal vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Diesmal nicht …!«
»Nichts ist los, Current«, antwortete Mike Rander harmlos. »Wir stolperten rein zufällig über diesen Namen. Hätte ich Sie sonst angerufen?«
»Na ja …! Ich werde im Archiv nachfragen, Rander. In spätestens zehn Minuten rufe ich wieder an.«
Der Anwalt bedankte sich und legte auf. Er war nicht besonders verwundert, als Current später anrief und ihm mitteilte, ein Walt Hostans sei der Polizei unbekannt.
Was besagte das denn schon …? Hauptsache war, Josuah Parker hatte die Spur dieses Mannes aufgenommen. Und wenn Parker sich für einen Menschen interessierte, dann bestimmt nicht ohne Grund …!
Josuah Parker verließ die Telefonzelle und überschritt die breite Fahrbahn.
Auf ihr herrschte gerade um diese Zeit ein toller Verkehr. Parker schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Steif und würdevoll wie ein nach Fröschen suchender Storch betrat er die Straße. Das Kreischen der Bremsen um ihn herum ignorierte er souverän. Er ging keinen Schritt schneller. Um ihn herum öffnete sich eine Gasse. Andeutungsweise nickend, sich damit bedankend, stelzte der Butler auf die andere Gehseite zu.
Hartgesottene Lastwagenfahrer, nervöse Menschen aus Fabriken und Büros starrten ihm nach. Auch sie glaubten eine Erscheinung aus einem vergangenen Jahrhundert vor sich zu haben. Wer trug denn schon hier in Chikago solch einen altertümlichen, schwarzen Covercoat, eine schwarze Melone und dazu noch einen altväterlich gewickelten Regenschirm? Und das bei dieser drückenden Schwüle …?
Butler Parker bog nach rechts ab, mischte sich unter die Passanten und blieb vor dem Tor zur Firma Walt Hostans stehen.
Das Pförtnerhaus war leer. Aber an der niedergelassenen Barriere stand ein untersetzter, etwa 50jähriger Mann, der eine Art Uniform trug.
Er kniff die Augen zusammen, als Parker plötzlich vor ihm stand.
»Ja …?« fragte er nur und rieb sich die Augen.
»Es ist mein dringender Wunsch, Mr. Hostans zu sprechen.«
»Wie war das …?« Der Pförtner schnappte nach Luft. »Sie wollen den Boß sprechen?«
»Man kann es auch so ausdrücken, wenngleich mir meine Version bedeutend besser gefällt.«
»Der Boß ist jetzt nicht zu sprechen.«
»Setzen Sie ihn bitte von meinem Wunsch in Kenntnis.«
Mehr sagte Parker nicht. Er sah den Pförtner ruhig an. Das reichte. Der untersetzte, massige Mann huschte wie ein flüchtendes Wiesel in das Pförtnerhäuschen und telefonierte. Nach wenigen Sekunden kam er zurück zur Barriere.
»Sie sollen raufkommen.«
Parker lüftete seine schwarze Melone und überquerte den Lagerhof, in dem einige Trucks und Thermoswagen standen. Arbeiter sah er nicht. Das vierstöckige Büro- und Lagerhaus am Ende des Grundstücks war bis auf einige Fenster unbeleuchtet.
Als Parker die Halle betrat, kam ihm ein hochgewachsener, schlanker, elegant aussehender Mann entgegen. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein, trug einen kleinen Schnurrbart und kleidete sich sehr teuer und sorgfältig.
»Wollen Sie mich sprechen?« fragte er den Butler. »Ich bin Walt Hostans.«
Seine grauen Augen ruhten prüfend auf Parker. Erstaunen ließ Hostans sich nicht anmerken.
»Mein Name ist Parker, genauer ausgedrückt, Josuah Parker, Sir. Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sie einige Minuten zu belästigen?«
Amüsiert verzogen sich die schmalen Lippen von Walt Hostans. Solch eine Anrede hatte er ganz sicher nicht erwartet.
»Natürlich, schießen Sie los …!«
»Darf ich mich erkunden, ob Ihnen ein Mr. Joel Harrison bekannt ist?«
»Joel Harrison?« fragte Hostans zurück, »wer soll das sein?«
»Dazu möchte ich mich, mit Ihrer Erlaubnis, erst später äußern«, antwortete Josuah Parker. »Erhielten Sie in der vergangenen Stunde einen Anruf, der aus dem ›Pewell-Hotel‹ kam?«
»Hören Sie mal, Mr. Parker, was sollen Ihre Fragen? Wer sind Sie eigentlich? Nein, ich meine natürlich nicht Ihren Namen. Mit welchem Recht stellen Sie mir diese Fragen?«
»Sie kennen das ›Pewell-Hotel‹ und seinen Nachtportier nicht?«
»Nein, zum Donnerwetter. Aber jetzt will ich endlich wissen …«
»Sir, ich bedanke mich für Ihre freundliche Auskunft«, unterbrach Parker ihn mit sanfter Stimme. Er verbeugte sich, zog seine Melone und schwenkte sie grüßend durch die Luft. Dann wendete er sich um und ließ Walt Hostans einfach stehen
Der Inhaber der Früchtefirma brauchte einige Sekunden, bis er sich von seiner Verblüffung erholt hatte. Dann reagierte er allerdings sehr sauer. Mit schnellen Schritten eilte er dem Butler nach, faßte ihn an der Schulter und wirbelte ihn herum. Das heißt, er wollte Josuah Parker, den er für einen alten Mann hielt, herumwirbeln.
Seine Muskeln schafften es allerdings nicht. Parker schien sich plötzlich in eine Marmorstatue verwandelt zu haben. Erst als Hostans Hand von seiner Schulter abrutschte, drehte Parker sich um.
Milde und Freundlichkeit lagen auf seinem Gesicht.
»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie etwas von mir wollen«, sagte er.
»Ich will wissen … Zum Teufel, so können Sie mir nicht kommen …! Wer sind Sie eigentlich?«
»Da Sie meinen Namen bereits kennen, ihn also nicht noch einmal hören wollen, werde ich mich näher erklären müssen, Sir.« Parker nickte zustimmend. »Ich bin Kriminalist aus Leidenschaft. Zur Zeit beschäftige ich mich mit dem Verschwinden eines Mannes, der aus unverständlichen Gründen nicht in den Schoß seiner recht angesehenen Familie zurückkehren will. Ich hoffe, Ihnen damit ausreichend gedient zu haben, Sir.«
Erneut das höfliche Lüften der schwarzen Melone. Während Hostans noch an Parkers Worten herumkaute, hatte Parker sich wieder umgedreht und schritt würdevoll wie ein Premierminister zum Tor.
Diesmal verzichtete Hostans darauf, Parker noch einmal zu folgen. Er hob aber seinen rechten Arm und winkte dem Pförtner am Tor verstohlen zu. Parker, der ihm den Rücken zuwandte, konnte das natürlich nicht sehen. Handelte der Butler nicht etwas leichtsinnig?
Der Pförtner gab durch nichts zu erkennen, daß er die Handbewegung seines Chefs gesehen hatte. Er verschwand jedoch im Torhaus und beugte sich über ein Schaltbrett mit Klingelknöpfen und Drehschaltern.
Josuah Parker hatte das Tor noch nicht ganz erreicht, als der Pförtner wieder an der Barriere erschien. Er grinste den Butler an und hinderte ihn nicht daran, das Grundstück zu verlassen …!
*
Parker wußte natürlich längst Bescheid.
Zwar besaß er keine Augen im Rücken, doch ein kleiner Handspiegel hatte ihm das Zeichen Mr. Hostans genau verraten. Er konnte sich also an fünf Fingern ausrechnen, daß er ab sofort beschattet und verfolgt werden sollte.
Als höflicher Mensch tat Josuah Parker alles, dieses Vorhaben zu erleichtern. Er schritt langsam die belebte Straße hinunter. Vom See kam ein leichter, salziger Wind auf. Er war jedoch mit Feuchtigkeit geladen und brachte kaum Erleichterung.
Ein medizinisches Wunder, daß Josuah Parker in seiner schwarzen Kleidung nicht schwitzte. Wie er das machte, war und blieb ein Geheimnis.
Vor der Auslage einer Bücherei blieb Parker stehen.
Falls nun ein Beobachter auftauchte, hatte er es mit einer gut eingespielten und straff geführten Organisation zu tun. Er war sehr gespannt, wie der Fall sich weiter entwickelte.
Und richtig, schon nach wenigen Sekunden sah er neben sich einen jüngeren Mann auftauchen, der gelassen auf seinem Chewing-gum herumkaute und nur einen abfälligen Blick auf die Bücher warf. Warum blieb dieser junge Mann am Schaufenster stehen, wenn er von der Auslage nichts hielt?
Parker schritt weiter.
Steif und aufrecht, als habe er einen Ladestock verschluckt, bog er in eine enge Seitenstraße ein, die hinunter zu den Kaianlagen führte.
Hier war es bereits recht dunkel. Die hohen Mauern der Lagerschuppen schirmten sogar den Widerschein der Leuchtreklamen ab. Parker hörte hinter sich leise, schnelle Schritte.
Versuchte sein Beobachter aufzuholen? Wollte er vielleicht sogar zum Angriff übergehen?
Jeder andere Mensch wäre stehengeblieben, hätte Verteidigungsstellung bezogen.
Aber nicht Butler Parker.
Angst war ein Fremdwort für ihn. Ohne auch nur eine Spur schneller zu gehen, hielt er auf die beiden Lokale zu, die am Ende der engen Gasse zu sehen waren.
Da passierte es …!
Er blieb sofort stehen, als ein harter Gegenstand seinen Rücken berührte.
»Mach’ bloß kein Theater …!« redete ihn eine hastige, schrille Stimme an, »los, komm mit rüber in die Toreinfahrt. Ich hab’ ’ne Kanone in der Hand, Alterchen, die geht prompt los, wenn du Ärger machst …!«
»Ich muß mir in aller Form Ihre Vertraulichkeiten verbitten«, erwiderte Parker.
Der Druck gegen seinen Rücken verstärkte sich.
Da gab Parker seinen Widerstand auf, ließ sich von dem wechselnden Druck des Revolvers in den dunklen Torweg dirigieren. Selbstverständlich dachte Parker nicht im Traum daran, schneller zu gehen. Es sah ganz so aus, als beherrsche er die Situation, nicht der junge Mann.
Sie standen kaum am Torweg, als sich ein Wagen näherte. Dieser Überfall war bis in alle Einzelheiten vorbereitet worden. Parker rührte sich nicht. Er war innerlich gespannt, wie es weitergehen würde. Sollte sein kurzes Gespräch mit Mr. Hostans bereits gewirkt haben?
Ganz wie Parker es erwartete, hielt der Wagen unmittelbar vor dem Torweg.
»Los, raus, Alter …!«
Parker schloß geblendet die Augen. Eine grelle Taschenlampe nahm ihm jede Sicht. Ihr Schein lag genau auf seinem Gesicht. Finger, die wie Stahlklammern wirkten, nahmen den Butler in Empfang. Ohne jede Rücksicht wurde Josuah Parker in den Wagen gestoßen. Routinierte Hände durchsuchten ihn nach Waffen. Und fanden nichts. Parker wunderte das überhaupt nicht. Wenn er schon eine Waffe mitnahm und sie versteckte, dann wählte er auch ein passendes und sicheres Versteck.
Der Wagen ruckte schnell an. Mit hoher Geschwindigkeit fuhr er hinunter zur angrenzenden Verbindungsstraße, bog nach rechts ab und nahm wieder Fahrt auf.
Josuah Parker saß ungerührt und steif auf dem linken Rücksitz. Er stellte keine Fragen, ignorierte die Anwesenheit seiner Entführer. Er machte allerdings auch nicht den geringsten Versuch, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden.
Nach knapp zehn Minuten schon endete die schnelle Fahrt. Der Wagen hüpfte über eine hohe Bodenschwelle, sackte tief in die Federn und blieb stehen.
»Aussteigen …!« kommandierte eine fremde, rauhe Stimme.
»Wenn Sie gestatten, werde ich mich erheben«, meinte Josuah Parker gemessen. Er stieg aus dem Wagen und sah sich verstohlen um. Noch immer – das hatte die Fahrt bewiesen –befand er sich in der Nähe der Kais. Jetzt stand er in einem von hohen Mauern umgebenen Fabrikhof.
Außer dem jungen Mann, der ihn verfolgt hatte, entdeckte Parker nun mit Sicherheit noch zwei weitere Männer, die ihm mit dem Wagen nachgefahren waren.
Irgendwie hatten sie so etwas wie Mitleid mit ihm. Sie verzichteten darauf, ihn zusammenzuschlagen oder mit roher Gewalt in den langen Steinanbau zu schleifen. Parker durfte frei gehen.
Die drei Männer führten ihn an einen Lastenaufzug. Minuten später senkte sich die Bühne nach unten in den Keller. Die Schritte hallten in den niedrigen Gewölben wider. Parkers Nase unterschied fremdartige Gerüche, die ihn an Gewürze und Obst erinnerten.
In einem fensterlosen Büroraum endete der Fußmarsch.
»Nun paß mal gut auf«, sagte der Mann mit der rauhen Stimme, ein breitschultriger Mann, der wie ein Filmgangster aussah. »Ich wette, besonders viel kannst du nicht schlucken, Alterchen. Wir wollen dir nicht den Nerv töten, wenn du schnell das Maul aufmachst und uns die Wahrheit sagst.«
»Sie wünschen, wenn ich nicht irre, einige Informationen von mir?« erkundigte sich Parker. »Ihre Erlaubnis vorausschickend, werde ich mich setzen. Ich muß gestehen, daß dieser Abend recht anstrengend für mich ist.«
»Dann also raus mit der Sprache.« Der Gangster mit dem narbigen, unangenehm bös aussehenden Gesicht, baute sich dicht vor dem Butler auf. »Wer schickt dich, hinter wem bist du her?«
»Je schneller du redest, desto weniger Schmerzen wirst du haben. Wir können nämlich ganz prächtig aufdrehen, wenn man uns mit Zicken kommen will.« Der dritte Mann hatte sich eingemischt.
Er sah recht harmlos aus, war aber sicher der gefährlichste der drei Männer.
Sein Gesicht verriet einige Intelligenz. Er spielte mit einem Stück Gummischlauch, das er aus der Innentasche seiner Jacke hervorgezogen hatte.
»Darf ich eine Frage stellen?« bat Parker ihn ansehend.
»Machen Sie schon …«
»Warum erkundigte Mr. Hostans sich nicht danach?«
»Wer …?« fragte der Gangster zurück. Er wollte harmlos tun, war jedoch ein schlechter Schauspieler. Ein kurzes, schnelles Flackern in seinen Augen verriet ihn. Vielleicht merkte er selbst, wie wenig überzeugend er war. Er brauste sofort auf, schlug den improvisierten Gummiknüppel hart und schnell durch die Luft. Es zischte unangenehm.
»Raus jetzt mit der Antwort«, meinte er dann und grinste Parker dünn an.
»Ich werde eine Erklärung abgeben«, antwortete Josuah Parker würdevoll wie ein Berufspolitiker. »Ich fragte Mr. Hostans einzig und allein nach einem gewissen Mr. Joel Harrison. Mr. Hostans gab vor, diesen Mann nicht zu kennen. Damit erlischt mein Interesse an Ihrem Arbeitgeber, meine Herren.«
»Wie war der andere Name?« fragte der Mann mit dem narbigen Gesicht. Der Name Joel Harrison schien ihn hellhörig gemacht zu haben.
»Joel Harrison«, wiederholte Parker noch einmal, »darf ich unterstellen, mein Herr, daß Sie diesen Namen kennen?«
Der Gangster mit dem sanften Gesicht und den intelligenten Augen verlor die Geduld. Oder wollte verhindern, daß Parker weiterredete. Er holte mit dem Arm aus, um Parker den Gummischlauch durchs Gesicht zu ziehen.
Nun war Butler Parker mit diesem Vorhaben nicht besonders einverstanden. Er schätzte es überhaupt nicht, geschlagen zu werden. Das widersprach seinem ganz persönlichen Ehrbegriff.
Bevor der Gummischlauch niederzischte, schwebte plötzlich der altväterlich gebundene Regenschirm in der Luft. Er traf genau das Handgelenk des Gangsters.
Der Mann stieß einen Schrei aus, ließ den Gummischlauch fallen. Verdutzt starrte er auf seine Hand, die wie leblos hinuntersank. Bevor die beiden anderen Gangster aktiv werden konnten, baute Josuah Parker seinen Vorsprung weiter aus.
Er machte das sehr geschickt. Und noch konsequenter.
Da der bewußte Regenschirm nun schon einmal in der Luft war, ließ Josuah Parker ihn weiter wandern.
Der junge Lockvogel, der Parker in den Torweg geschickt hatte, wollte noch blitzschnell ausweichen, sich abducken.
Doch der verflixte Regenschirm machte diese Bewegung mit und traf haargenau die Nase des Gangsters.
Wasser schoß ihm in die Augen.
Er brüllte zuerst, um dann in ein leicht fassungsloses Greinen überzugehen. Er hielt sich die Nase und dachte nicht im Traum daran, sich weiter mit Parker zu befassen.
Der dritte Gangster stürzte sich auf den Butler.
Und übersah dabei den Regenschirm, der sich auf dem Rückweg befand.
So konnte es geschehen, daß Parkers Universal-Kampfwaffe im Genick des narbigen Gangsters landete.
Die Wirkung war frappierend.
Auch dieser Gangster interessierte sich plötzlich für den an sich recht schmutzigen Steinboden und beeilte sich, ihn aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen. Mit anderen Worten, er legte sich neben seinen Partner, der dort bereits gewisse Studien trieb. Josuah Parker erhob sich langsam.
Mißbilligend schaute er auf die beiden Gangster am Boden, dann wanderte sein Blick hinüber zu dem jungen Mann, der mit der Untersuchung seiner mißhandelten und jetzt leicht blutenden Nase noch nicht fertig war.
»Ich bedaure diesen Zwischenfall ungemein«, sagte Parker dann mit einem verweisenden Unterton in der Stimme. »Ich möchte ausdrücklich versichern, daß ich Gewalttätigkeiten durchaus nicht schätze. Mein
Interesse gilt nach wie vor Mr. Joel Harrison, dem ich eine Botschaft zu überbringen habe. Ganz gleich, wo er sich zur Zeit auch aufhalten mag. Richten Sie das bitte allen einschlägigen Stellen aus, die dafür in Betracht kommen. Und jetzt muß ich Sie bitten, mich zu entschuldigen. Ich möchte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Ich fürchte, ich habe Sie sogar belästigt und inkommodiert.«
Er lüftete seine schwarze Melone und schritt aus dem Kellerbüro. Parker besaß Nerven wie Drahtseile. Er drehte sich überhaupt nicht um, obwohl er doch unterstellen mußte, daß die drei Gangster bewaffnet waren.
Kaum hatte er die Tür jedoch hinter sich geschlossen, da erwachten die drei Gangster zu neuem Leben.
Wie von diversen Taranteln gebissen, sprangen sie hoch, hatten plötzlich ihre Waffen in den Händen.
»Den kauf ich mir …!« hustete der Gangster mit den sanften Augen. Er hielt die Waffe in der linken Hand, da die rechte noch nicht recht mitspielen wollte.
Der pockennarbige Gangster massierte sich sein Genick und entsicherte gleichzeitig seinen Trommelrevolver.
Der junge Gangster mit der blutenden Nase war allerdings noch nicht recht in Form. Vielleicht lag es daran, daß er erst als letzter das Kellerbüro verließ.
Sie alle kannten sich in dem fast dunklen Keiler aus. Sie waren sicher, Parker noch zu erwischen. Für diesen Fall hatten sie sich etwas vorgenommen. Sehr viel sogar. Sie wollten Parker durch die Mangel drehen, wie es in ihrer Fachsprache hieß.
Was konnte der flüchtende Mann schon mit seinem komischen Regenschirm gegen drei Schußwaffen ausrichten? Er hatte keine Chance …!
Sie rannten also in den Keiler, wollten wie Sprinter losstarten, doch genau in diesem Moment explodierten die ersten Knallerbsen, die Josuah Parker vorsorglich ausgestreut hatte. Es handelte sich um eine Eigenentwicklung, die äußerst lautstark und schlecht riechend war.
Die Gangster mißverstanden diesen Krach, glaubten an Schüsse. Sie gingen sicherheitshalber in Deckung und ließen ihre Waffen sprechen.
Der Lärm im Keller wurde dadurch verstärkt. Querschläger sirrten durch die Luft, der beißende Qualm der Knallerbsen intensivierte sich.
Hustend, spuckend und fluchend mußten die drei Gangster sich schließlich zurückziehen und die Verfolgung auf geben.
Josuah Parker hatte inzwischen den Fabrikhof erreicht und stieg in den Wagen der Gangster.
Die freundliche Erlaubnis seiner Gegner vorausschickend, ließ er den Motor anspringen und fuhr los.
Nein, natürlich nicht nach Hause.
Wenn Butler Parker in Stimmung gebracht worden war, konnte er einfach kein Ende finden …!
*
Willenlos hatte Joel Harrison alles über sich ergehen lassen, die hastige Flucht aus dem Zimmer des »Pewell-Hotels«, die Fahrt im Wagen und schließlich das Hineinschaffen in dieses billige Holzhaus in der Nähe der riesigen Schlachthäuser.
Jetzt lag er auf einem einfachen Bett, nur noch ein körperliches Wrack, ausgemergelt, unrasiert und hohlwangig. Die braunen Augen glänzten fiebrig. Das verschmutzte Hemd über der behaarten Brust war weit geöffnet.
Joel Harrison, knapp fünfzig Jahre alt, mittelgroß und schlank, starrte hinauf zur Zimmerdecke. Nichts an, ihm erinnerte an den Joel Harrison, der noch vor knapp einem halben Jahr der unumschränkte Herrscher und Gebieter einer sehr reichen Familie war. Dem Alkohol restlos verfallen, gierte er nur noch nach einem Schluck Whisky, um seine elende körperliche Verfassung einigermaßen und höchstens für eine Stunde zu überspielen.
Er befand sich in einer Art Dämmerschlaf, dennoch lauschte er auf die Geräusche in diesem einfachen Haus, das am Rand einer neu erbauten Siedlung stand.
Seit dem letzten Schluck im »Pewell-Hotel« war für ihn bereits eine halbe Ewigkeit verstrichen. Nun wartete er auf die Rückkehr seines Freundes Chris Downers. Richtiger ausgedrückt, er wartete auf die Whiskyflasche, die Downers ihm holen wollte.
Harrison fühlte sich scheußlich.
Trocken war sein Mund. Die rissigen Lippen schmerzten. In seinem Schädel aber tobte die Hölle. Irrsinnige Kopfschmerzen quälten ihn. Er wußte, daß schon ein Wasserglas voll Whisky ausreichte, um diese Schmerzen verschwinden zu lassen.
Als irgendwo unten im Haus eine Tür ging, richtete er sich sofort auf. Er hielt sich den schmerzenden Kopf, schwenkte die Beine über die Bettkante und wartete. Qualvoll lange dauerte es, bis sich endlich die Tür öffnete.
Chris Downers trat ein.
Er war klein und schmal, glich gerade wegen seiner dunklen, unsteten Augen einem Wiesel. Downers trug einen dunkelgrauen, korrekten Anzug. Unter dem Arm hielt er eine Whiskyflasche.
»Mann, endlich …!« stöhnte Harrison.
Er ließ die Augen nicht von der Flasche. Er übersah das Grinsen seines Freundes, wartete, bis das Wasserglas gefüllt war. Ihm fiel auch nicht auf, daß die Flasche bereits vorher geöffnet worden war.
Mit zitternden Händen griff er nach dem Glas. Er brauchte auch beide Hände, um das Glas zum Mund führen zu können. Den scharfen, billigen Whisky trank er in sich hinein wie gewöhnliches Leitungswasser.
Er schüttelte sich wie im Fieber, als das Glas geleert war. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Zittern in seinen Händen verschwand. Seine Augen verloren jede Nervosität. Tief holte er Luft und stand auf.
»Helen wird gleich kommen«, sagte Downers.
»Sehr gut …! Ich langweile mich scheußlich, Chris. Werden wir nun endlich mal bleiben?«
»Jetzt brauchen wir nicht mehr abzuhauen. Hier findet dich kein Mensch.«
»Ich hab’s nämlich satt, immer wieder verschwinden zu müssen.«
»Wir haben alle Schnüffler abgeschüttelt«, meinte Downers. »Jetzt sind wir sicher.«
»Laß die Flasche da auf dem Nachttisch stehen«, bat Harrison mit heiserer Stimme.
»Bevor du wieder trinkst, solltest du dich etwas herrichten«, schlug Downers vor. »Helen ist zwar nicht sehr empfindlich, aber ’ne Frau sollte man trotzdem einigermaßen fit begrüßen.«
»Über solche Kleinigkeiten ist Helen längst weg«, antwortete Harrison. Er griff nach der Flasche und füllte sich noch mal das Wasserglas. Erstaunt sah er hoch, als Downers ihm die Flasche blitzschnell wegzog.
»Joel«, meinte er hastig, »du mußt dich etwas einschränken. Der Zaster wird knapp. Ich brauche mal wieder ’ne kräftige Geldspritze.«
»Schon wieder Geld?« wunderte sich Harrison, ohne sich aber zu entrüsten, »vor ein paar Tagen hab’ ich dir doch erst ’nen Scheck über 1000 Dollar gegeben.«
»Na und? Was ist das schon …! Das Leben ist teuer. Denk’ doch mal daran, was es kostet, gewisse Leutchen zu schmieren. Aber von mir aus …! Behalt’ das Geld und laß dich lieber einsperren. Ich hab’s ohnehin satt, mich herumhetzen zu lassen. Ein Fischzug nach dem anderen geht mir an der Nase vorbei. Was hätte ich inzwischen alles verdienen können …!«
»Schon gut, Chris, schon gut …!« beschwichtigte Harrison seinen Begleiter. »Ich werde dir einen neuen Scheck ausstellen. Ich fühl’ mich nur hundeelend. Ich brauche noch einen ordentlichen Schluck.«
Als er sich das Glas füllte, klingelte es an der Tür.
Harrison unterbrach die Füllung des Glases. Schnell hob er den Kopf, sah Downers an.
»Keine Sorge, das muß Helen sein«, meinte Downers, »ich geh’ mal nach unten. Warte einen Moment.«
Harrison beruhigte sich sehr schnell. Er trank das Glas in großen Schlucken leer. Downers verließ das Zimmer und ging nach unten.
Als er die Tür öffnete, schlüpfte eine Frau schnell und geschmeidig ins Haus.
Sie war mittelgroß, vollschlank und hatte blondes Haar. Sie mochte höchstens 30 Jahre alt sein, was ihre recht gute Figur anbetraf. Ihr Gesicht jedoch wirkte älter. Selbst das sorgfältige Make-up schaffte es nicht, die bereits tief eingegrabenen Fältchen zu verdecken.
Helen Napers sah trotz allem aufreizend aus. Sie besaß eine gefährliche Ausstrahlung von Sex, Verkommenheit und Berechnung. Sie trug unter dem geöffneten Sommermantel ein tief ausgeschnittenes Kleid. Ihr Parfüm roch billig.
»Alles in Ordnung?« fragte Downers sie.
»Klar, alles in bester Ordnung. Wie sieht’s denn oben aus? Was ist mit diesem Saufaus los?«
»Er läßt sich gerade vollaufen.«
»Wunderbar. Dann werde ich wenig Arbeit mit ihm haben.«
»Er ist schon in der richtigen Stimmung, Helen«, erklärte Downers und lächelte. »Ich glaube, du brauchst nicht lange um den heißen Brei herumzuschleichen. Komm’ sofort zur Sache. Für mich wird er auch ’nen Scheck ausstellen.«
»Also schön, werde ich diesem widerlichen Kerl mal wieder um den Bart gehen. Sag’, Chris, wird das lange gutgehen?«
»Wie kommst du darauf? Hast du Angst?«
»Na ja, immerhin spürten sie uns auf.«
»Aber sie erwischten uns nicht. Inzwischen bereinigt der Boß die Lage, Helen. Alle Spuren sind verwischt. Du weißt doch, wer uns an den Wagen fahren will, der ist bisher immer noch drauf gegangen.«
Helen nickte.
»Dann werde ich mal rauf zu ihm gehen, Chris«, meinte sie und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. »Hoffentlich hab’ ich es schnell hinter mir. Der Kerl ekelt mich an …!«
*
»Damit, Sir, dürfte es meiner bescheidenen Ansicht nach auf der Hand liegen, daß Mr. Walt Hostans diese drei schlechterzogenen Männer auf mich ansetzte.«
Parker hatte seinen Bericht beendet. Er stand vor Mike Randers Arbeitstisch, trug seinen dunklen kleinen Maßanzug und sah nicht danach aus, daß er erst vor wenigen Stunden drei Gangster ausgeschaltet hatte.
»Hostans ist der Polizei unbekannt«, meinte Rander und stand auf. »Das besagt natürlich nichts. Nur verdammt leichtsinnig von diesem Burschen, gleich nach Ihrem Besuch derart kompakt zu reagieren.«
»Das macht auch mich allerdings etwas stutzig«, warf Parker bescheiden ein.
»Wie reagierten die drei Kerle im Keller, als Sie den Namen Joel Harrison erwähnten?«
»Ich möchte sagen, sie wurden stutzig. Zumindest zwei der drei Gangster.«
»Es hilft alles nichts, über diesen Hostans werden wir mehr erfahren müssen«, schlug Mike Rander vor. »Wollen Sie das übernehmen, Parker?«
»Ich werde mich bemühen, zu Ihrer Zufriedenheit zu arbeiten, Sir.«
»Ich weiß, ich weiß, Parker. Leutnant Current ist natürlich mißtrauisch geworden. Zu dumm, , daß die Harrisons die Polizei aus dem Spiel halten wollen. Zusammen mit ihr ließe sich viel mehr erreichen. Ich werde noch mal mit Mrs. Harrison sprechen. Vielleicht ändert sie dann ihren Entschluß ab, Parker. Sehen Sie eine Möglichkeit, die Spur Harrisons aufnehmen zu können?«
»Ich werde mich an Mr. Hostans halten. An ihn und seine drei Leute.«
»Schön, Sie haben selbstverständlich völlige Handlungsfreiheit, Parker. Drücken Sie nur nicht zu sehr auf die Tube. Sie haben ja gesehen, daß wir es mit einer Gang zu tun haben. Mit solchen Leuten ist niemals zu spaßen.«
»Ich werde mich noch einmal an meinen Gewährsmann wenden, der mir die Adresse des ›Pewell-Hotels‹ vermittelte«, schlug Josuah Parker weiter vor.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten, Parker«, verabschiedete Rander seinen Mitarbeiter, Freund und Butler. »Ich fahre gleich raus zu den Harrisons und schlage noch mal vor, die Polizei einzuschalten.«
Es klingelte.
Parker entschuldigte sich und verließ das Arbeitszimmer. Er öffnete die Tür zum eigentlichen Dachgarten, schritt an den künstlichen Wänden aus Blattpflanzen und Blumen vorbei und erreichte die starke und solide Tür aus Stahl, die den Zugang vom Lift zum Penthouse versperrte.
Bevor er jedoch öffnete, hielt er Ausschau nach dem Besucher. Dazu benutzte er ein raffiniert eingebautes Spiegelsystem. Durch den Druck auf einen verdeckt angebrachten Knopf wurde neben der Tür ein Kästchen in der Größe einer Schallplatte frei.
Parker erkannte Leutnant Current.
Er ließ das Kontrollkästchen wieder zuspringen und sperrte die Stahltür auf.
Current nickte Parker zu. Besonders gutgelaunt schien der Polizeioffizier nicht zu sein. Sein an sich schon hartes Gesicht sah grimmig aus.
»Ihr Chef zu Hause?« fragte er Parker.
»Ich freue mich, Sie begrüßen zu können«, erwiderte der Butler. »Ich werde Sie sofort zu Mr. Rander führen.«
Er schloß die Tür zum Dachaufbau, in dem der Lift endete. Current trat unruhig von einem Bein auf das andere. Er war nervös, schon die Art, wie er die Zigarette hielt, mit ihr spielte, verriet das deutlich.
»Sagen Sie mal, Parker«, fragte er dann abrupt, »wo waren Sie in der vergangenen Nacht, he?«
»Wie darf ich Ihre Frage verstehen, Sir?« erkundigte Parker sich höflich.
»So, wie ich Sie stellte, zum Henker. Lassen Sie Ihre Mätzchen. Sie wollen nur Zeit gewinnen.«
»Sir, ich bin mir keiner Schuld bewußt«, protestierte Butler Parker. »Wenn Sie mir jetzt bitte folgen wollen …!«
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Oh, ich vergaß ihren Sinn, Sir, ich bitte, sie noch mal zu wiederholen.«
»Wo waren Sie in der vergangenen Nacht?«
»Um darüber genaue Auskunft geben zu können, müßte ich erst mal meinen Terminkalender befragen, Sir.«
»Parker«, schnaubte Current los. Er glich einem gereizten Büffel. »Parker, wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen, dann reagiere ich sauer.«
»Sir, ich würde mir niemals gestatten. Sie auf den Arm zu nehmen, wie Sie sich ausdrücken. Mein Respekt Ihnen gegenüber würde mir das grundsätzlich verbieten. Ganz zu schweigen von meinen nur bescheidenen körperlichen Kräften, die das nicht zuließen. Übrigens, ist denn etwas passiert?«
»Kommen Sie, ich erzähle gleich, was los ist, Parker. Hoffentlich ist Ihr Alibi hieb- und stichfest!«
*
»Die Schießerei in diesem Fabrikkeller deutet doch einwandfrei auf Parker hin«, erklärte Current wenige Minuten später in Mike Randers Arbeitszimmer. »Ich fand auf dem Steinboden Reste von Knallerbsen und Knallbonbons. Ihr Butler, Rander, spielt doch besonders gern mit diesen Feuerwerkskörpern, oder?«
»Die Pyrotechnik interessiert ihn tatsächlich«, meinte Rander lächelnd, »aber ich verstehe immer noch nicht …!«
Current unterbrach den Anwalt.
»Gleich wird Ihnen ein Licht aufgehen, Rander. In diesem Fabrikkeller fanden wir einen Toten. Es handelt sich um einen jungen Mann, der erschossen wurde. Gut, er ist bei uns registriert, ist mehrfach wegen kleinerer Gaunereien vorbestraft. Das ändert jedoch nichts an den Tatsachten. Hier handelt es sich um einen Mord, begreifen Sie jetzt?«
»Parker würde niemals einen Mord begehen.«
»Ob Mord oder nicht, ob Totschlag oder ob’s sich um einen Akt der Notwehr handelt, Rander, wenn Parker da unten im Keller mitmischte, hätte er mich sofort verständigen müssen!«
»Die Tatsache, daß er Sie nicht anrief, spricht doch für ihn«, erwiderte Anwalt Rander. »Wieso kommen Sie eigentlich ausgerechnet auf Parker, Leutnant?«
»Weil dieser junge Mann im Fabrikkeller ein Angestellter von Walt Hostans ist. Und nach diesem Mann erkundigten Sie sich doch bei mir, oder?«
»Jetzt geht mir ein Licht auf«, entgegnete Rander und wurde ernst, »dennoch sind Sie auf dem Holzweg, Current. Parker hat mit der ganzen Geschichte nichts zu tun. Schon gar nichts mit dem Mord.«
»Und wie sieht’s mit Ihnen aus, Rander?« Leutnant Current sah den Anwalt prüfend an. »Rander, mißverstehen Sie mich nicht. Ich schätze Sie, wir arbeiten oft zusammen. Wenn Sie da unten im Keller … Na, Sie verstehen. Mir können Sie sich doch anvertrauen. Ich weiß im voraus, daß Sie niemals unredlich handelten.«
»Fein, daß Sie mir vertrauen, Current«, antwortete Mike Rander. »Doch weder Parker noch ich haben mit dem Tod des jungen Gauners etwas zu tun.«
»Und was ist mit Walt Hostans? Ein eigenartiges Zusammentreffen, daß kurz nach Ihrem Anruf ausgerechnet ein Angestellter dieses Mannes erschossen wurde. Eigenartig, daß wir am Tatort Feuerwerkskörper fanden, nicht wahr? Sie können mich nicht leimen, Rander. Ich habe das Gefühl, daß Sie gegen mich arbeiten wollen.«
»Unsinn, Current, und das wissen Sie auch …!«
»Ich möchte Parker sprechen.« Leutnant Current wandte sich um, glaubte, daß Parker hinter ihm stand. Doch er sah sich getäuscht. Butler Parker hatte es vorgezogen, auf leisen Sohlen zu verschwinden.
»Wo steckt Ihr Butler, Rander?« brauste Current auf.
»Ich werde sofort nach ihm läuten.«
Current und Rander warteten auf Josuah Parker. Doch er war und blieb verschwunden.
Current sah verkniffen aus. Sein Verdacht gegen Mike Rander und Butler Parker verstärkte sich.
»Also gut, Current, ich werde Ihnen meine Karten auf den Tisch legen«, beruhigte Mike Runder endlich den Polizeioffizier, den er sehr schätzte. »Was ich Ihnen sage, muß vorerst unter uns bleiben. Nein, keine Sorge, Sie können das verantworten.«
»Rander, versuchen Sie mich nicht reinzulegen«, bat Current. Seine Stimme klang leise, »verdammt, ich habe keine Lust, gegen Sie und Parker dienstlich vorzugehen. Dazu kennen wir uns zu gut.«
»Sie werden mit Ihrem Diensteid nicht in Konflikt kommen, Current. Hören Sie zu:
Parker und ich suchen nach einem gewissen Joel Harrison. Es handelt sich um eine private Ermittlung. Einer meiner Klienten bat mich um diese Gefälligkeit. Joel Harrison, in zweiter Ehe verheiratet, kam im Alter von fast 50 Jahren auf die schiefe Bahn. Schon während seiner ersten Ehe trank er gern und viel. Nach der zweiten Eheschließung verschlimmerte sich das. Er soff, um es mal ganz brutal auszudrücken. Joel Harrison vernachlässigte seine Geschäfte, ließ die Zügel schleifen. Schön, wegen seines respektablen Vermögens konnte er sich das einige Zeit leisten. Ich möchte annehmen, daß Harrison zumindest eine Million schwer ist.
Als die Trinkerei unsinnige Formen annahm, ging er auf eigenen Wunsch in eine Entziehungsanstalt. Die Kur schien zu wirken, aber schon nach wenigen Wochen rutschte er wieder ab.
Er ließ sich tagelang nicht mehr zu Hause sehen, randalierte in seinem Haus und nahm undurchsichtige Geldübertragungen vor. Sein Chefbuchhalter kam dahinter. Innerhalb weniger Wochen hob er fast 180 000 Dollar ab und verweigerte jede Auskunft über den Zweck.
Es kam, wie’s kommen mußte.
Nicht nur seine zweite Frau, auch die beiden Kinder Randy und Maud erklärten sich mit der Entmündigung einverstanden. Doch Joel Harrison war gerissen. Bevor es zu einer Untersuchung über seinen Geisteszustand und zu einer Verhandlung kam, verschwand er von der Bildfläche.
Jetzt ist die Familie Harrison in begreiflicher Aufregung. Ohne Harrisons Anwesenheit kann die Entmündigung nicht durchgeführt werden. Ja, selbst die Sperrung der Konten stößt auf Schwierigkeiten. Der zuständige Richter will die einstweilige Anordnung nicht durchführen, zumal Joel Harrison von Zeit zu Zeit eine Karte oder einen Brief schreibt, sich also meldet und dabei recht vernünftig wirkt.
Die Konten schmelzen zusammen. Joel Harrison hebt lustig Geld ab. Immer ganz hübsche Beträge. Ganz zu schweigen von den 180 000 Dollar, die er abzweigte und wahrscheinlich auf ein Geheimkonto einzahlte.
Parker und ich sind nun hinter Joel Harrison her. Das ist unsere Geschichte. Es versteht sich am Rande, daß die Familie Harrison darauf bestand, die Polizei aus dem Spiel zu halten. Schon wegen der Firma. Spricht es sich erst herum, daß Joel Harrison polizeilich gesucht wird, dann kann die Firma schließen. Dann ist sie nicht mehr geschäftstüchtig.«
»Eine tolle Geschichte«, sagte Leutnant Current. Er drückte die Zigarette im Aschenteller aus, »ich nehme sie Ihnen aber ab, Rander. Ich werde Ihnen sogar diskret helfen. Vorher muß ich aber wissen, was im Keller passierte.«
»Parker war natürlich in diesem bewußten Keller. Doch er schoß nicht, Current. Durch einen diskreten Hinweis erfuhr er, wo Joel Harrison sich aufhalten sollte. Er ging der Sache nach, fand noch warme Spuren und einen Hinweis auf diesen Hostans. Um es präzise auszudrücken, Current, Hostans wurde nicht direkt belastet. Nur seine Telefonnummer wurde gewählt.«
»Ich brauche Einzelheiten. Und Parker …!«
»Parker …?« fragte Anwalt Rander und lächelte. »Der befindet sich schon wieder auf dem Kriegspfad, Current. Sie kennen ihn doch. Er ist nicht zu halten, wenn er erst einmal Blut geleckt hat …!«
*
Ein seltsam aussehendes Monstrum auf Rädern bewegte sich durch die Straßen von Chikago.
Dieser eigenartig aussehende Wagen war eine gelungene Kreuzung aus einem Londoner Taxi aus der Zeit um die Jahrhundertwende und der bereits sagenhaften Blechlizzy, die Ford auf dem ersten Fließband der Welt baute.
Alles an diesem Auto war eckig, mit Ausnahme der Räder. Hochbeinig rollte dieser fahrbare Untersatz in Richtung der Union Stock Yards, der riesigen Schlachthäuser der Stadt.
Josuah Parker, untadelig gekleidet, saß am Steuer seines Privatwagens. Er übersah die amüsierten Blicke und das Grinsen der übrigen Verkehrsteilnehmer. Schließlich wußte er nur allein, welche inneren Qualitäten sein Wagen besaß. Der Umbau und das Hochfrisieren der technischen Anlagen hatte ihn sehr viel Geld gekostet. Eigenwillig wie er nun mal war, hatte er seinerzeit Ingenieure und Techniker fast bis zur Verzweiflung gebracht und immer neue Zusatzwünsche geäußert.
Am Davis Square hielt er den Wagen an, stieg aus und schritt gemessen in eine lärmende, übelriechende Seitenstraße. Sein Ziel war eine Kellerkneipe, wo er seinen Nachrichtenlieferanten anzutreffen hoffte.
Obwohl es noch recht früh am Morgen war, herrschte bereits ein toller Betrieb in der Kneipe. Angetrunkene Männer standen vor der langen, leicht geschwungenen Bartheke. Der Steinboden war mit Zigarettenstummeln und Asche bedeckt. Drei Barkeeper hatten alle Hände voll zu tun, die Wünsche der Gäste zu erfüllen.
Als Parker die Kneipe betrat, lärmte gerade eine Musik-Box los. Sie schaffte es nur mit Mühe und Not, den allgemeinen Krach zu übertönen.
Und wurde dann erschreckend laut, denn die Besucher der Kneipe wandten sich wie auf ein geheimes Kommando hin zur Tür und musterten den Butler. Bis auf die Musik-Box erstarb jedes Geräusch. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, schritt über die restlichen Stufen und begab sich zur Theke.
Selbst die Musik-Box wurde jetzt leiser, als habe auch sie den Butler endlich gesehen und zur Kenntnis genommen.
Das allgemeine Schweigen ging ohne Übergang in ein prustendes Gelächter über.
Josuah Parker wirkte in dieser Umgebung auch wirklich zu komisch. Er forderte die lärmenden und angetrunkenen Gäste geradezu heraus, sich mit ihm zu befassen. Einige besonders clevere Männer tuschelten bereits miteinander und heckten Streiche gegen den Butler aus.
Für Parker sah es nicht besonders gut aus. Merkte er denn nicht, daß er sich als Zielscheibe förmlich anbot?
»Was soll’s denn sein?« fragte ihn einer der Barkeeper grinsend.
»Was können Sie mir empfehlen?« gab Parker höflich zurück, »ich lasse mich stets gern beraten.«
»Momentchen, ich schlage vor, Sie nehmen Spezialcocktail.«
»Ausgezeichnet«, erwiderte Parker. Er hing seinen altväterlich gebundenen Regenschirm über die Haltestange der Theke und erstieg einen freien Hocker.
Parker griff in seine innere Manteltasche und förderte ein altertümliches Zigarrenetui an den Tag. Als er es aufklappte, wurden pechschwarze Zigarren sichtbar. Eine davon nahm Parker heraus und präparierte sie umständlich.
Noch klangen die Stimmen gedämpft.
Alles wartete auf den Cocktail des Hauses. Jeder, außer Parker, wußte genau, was diesem komischen Vogel, wie Parker bereits leise genannt wurde, vorgesetzt werden sollte.
Der Barkeeper schwänzelte heran.
»Es wird Ihnen schmecken«, sagte er und versuchte, ein relativ harmloses Gesicht zu ziehen. »Am besten, Sie kippen ihn in einem Zug hinunter.«
»Gewiß, gewiß …!«
Parker legte die noch nicht angezündete Zigarre in den Aschenbecher und hob das Glas prüfend gegen das Neonlicht. Er nickte anerkennend.
»Eine recht hübsche Farbe«, kommentierte er arglos.
Um ihn herum erstarben die Stimmen. Parker wurde zum Mittelpunkt des Lokals.
Er hob das Glas, setzte es an die Lippen und kippte den Cocktail tatsächlich ruckartig hinunter.
Er verzog keine Miene.
Doch das konnte mit einer etwaigen Spätzündung Zusammenhängen. Hofften wenigstens die Barkeeper und die Gäste. Der Cocktail war nämlich nichts anderes als flüssiger Sprengstoff, den die Männer hinter der Theke in aller Eile, aber äußerst sachkundig zusammengebraut hatten.
Dieser Cocktail reichte aus, um bärenstarke Männer wie vom Blitz getroffen umfallen zu lassen. Er mußte wie ein K.-O.-Schlag wirken. Und hatte bisher immer noch so bewirkt.
Parker setzte das Glas ab, tupfte sich die Lippen mit einem Seidentuch ab.
»Na …?« fragte der Barkeeper und kniff die Augen zusammen. Er wartete darauf, daß sein ganz in Schwarz gekleideter Gast nun endlich vom Hocker kippte.
»Nicht unbedingt schlecht zu nennen«, bemerkte Parker beiläufig und nickte, »den nächsten Cocktail sollten Sie allerdings etwas besser mixen. Für meine Begriffe schmeckt er ein wenig fade.« Das schlug, wie man so sagt, dem Faß die Krone ins Gesicht.
Ein Stöhnen und Seufzen ging durch die Kellerkneipe. Wildfremde Männer sahen sich verstört und verdutzt an. Denn Josuah Parker blieb auf seinen Barhocker sitzen, zeigte nicht die geringste Wirkung.
Der Barkeeper war derart erschüttert, daß er einen riesigen Fehler beging.
Um sich zu stärken, goß er sich aus dem Shaker einen an sich recht unbedeutenden Schluck des Atomcocktails ein, kippte ihn hinunter und … sackte wie nach einem fürchterlichen Fausthieb in sich zusammen.
Josuah Parker schien ganz allein in der überfüllten Kneipe zu sein.
Er setzte die bereits präparierte Zigarre in Brand und paffte drauf los. Diese schwarz-grün schillernden Zigarren ließ er sich eigens herstellen. Er ließ Tabake dafür verwenden, die ein normaler Raucher nur als besseres Gift oder Insektenmittel bezeichnet hätte.
Die Rauchentwicklung der Zigarre war enorm.
Dichte Schwaden lösten sich von der Glut. Die Gäste in Parkers Nähe wurden unvermittelt von quälenden Hustenanfällen geschüttelt.
Parker übersah und überhörte das alles.
Zufrieden und entspannt rauchte er, wartete im übrigen auf den zweiten Cocktail nach Art des Hauses.
Die Qualmwolken der Zigarre breiteten sich aus.
Das allgemeine Tuscheln und Raunen ging in mehr oder weniger lautes Husten über.
Die ersten Gäste räumten fluchtartig die Theke.
Die beiden noch stehenden Barkeeper hielten sich die nassen Servietten vor Mund und Nase und traten eine hastige Flucht an. Fliegenschwärme an der Decke gerieten in schnelle Bewegung und versuchten zu fliehen.
Vergeblich.
Die Rauchschwaden waren schneller. Matt und kraftlos torkelten sie zu Boden.
An der Kellertreppe entstand ein Gedränge.
Flüchtende Gäste stauten sich vor dem schmalen Ausgang. Erst in diesen kritischen Momenten wurde Parker sich bewußt, was er angerichtet hatte.
Hastig löschte er die Glut der Zigarre.
Als eingeschworener Menschenfreund wollte er schließlich kein Unheil stiften.
Als er die Keilerkneipe verließ, er ließ für den Cocktail einen Silberdollar zurück, öffnete sich eine Gasse. Würdevoll, mit der Melone nach allen Seiten grüßend, ging der Butler zurück auf die Straße.
Er war sicher, seinen Informanten bald zu treffen. Sein Besuch in der Kellerkneipe verfolgte nämlich keinen anderen Zweck, als Hank Mondon aufmerksam werden zu lassen …!
Nach einer knappen Stunde war Josuah Parker zwar um einige Dollarnoten erleichtert worden, dafür wußte er aber einiges über Walt Hostans.
Während seiner Fahrt durch die Stadt sprach der Butler einen ersten Bericht auf Tonband. Solch ein Gerät hatte er sich selbstverständlich in den Wagen einbauen lassen. Das hing nicht nur mit Parkers Vorliebe für technische Spielereien zusammen. Maßgebend dafür war sein Sinn für rationelles Arbeiten. Später brauchte er seinem Herrn Mike Rander keinen mündlichen Bericht zu erstatten, sondern übergab nur das Tonband mit seinen Bemerkungen zu den jeweiligen Kriminalfällen, die er gerade bearbeitete.
Josuah Parkers Ziel war die Firma von Walt Hostans.
Die Barriere zum Innenhof und Lager war zwar geschlossen. Doch als er auf das Grundstück einkurvte, war der Pförtner derart verblüfft, daß er keine Fragen stellte, sondern hastig die sperrende Barriere hochschnellen ließ.
So konnte Josuah Parker bis dicht vor den Eingang zum Bürohaus fahren.
Durch irgendeine Alarmeinrichtung, die er noch nicht entdeckt hatte, wurde Josuah Parkers Kommen angekündigt.
Er verließ gerade das hochbeinige Monstrum von einem Wagen, als ihm zwei recht bekannte Männer entgegenkamen. Es waren der Gangster mit dem harmlosen Gesicht und den kalten Augen, sowie der junge Mann, der ihn in den Torweg gezwungen hatte.
»Wie klein ist doch die Welt«, wunderte Parker sich. »So sieht man sieh wieder, meine Herren. Ich hoffe, Sie vergeben mir nachträglich die etwas rauhe Behandlung, die ich Ihnen angedeihen lassen mußte.«
»Was wollen Sie hier?« fragte der Gangster mit dem harmlosen Gesicht. Seine rechte Hand stak in der Rocktasche. An der Ausbeulung war deutlich zu erkennen, daß der Gangster eine Waffe mit sich führte.
»Irre ich mich nicht in der Annahme, daß Sie in der vergangenen Nacht von einem dritten Mann begleitet wurden?« fragte Parker, ohne die eigentliche Frage des Gangsters zu beantworten.
»Was wollen Sie hier?« wiederholte der Mann noch mal.
»Ich möchte Ihrem Chef, Mr. Hostans, meine Aufwartung machen.«
»Der is’ für Sie nicht zu sprechen. Verschwinden Sie …!«
»Ich hoffe doch sehr, daß Sie einem alten Mann keine Schwierigkeiten bereiten wollen«, erklärte Parker und schüttelte verweisend den Kopf.
»Wenn Sie nicht sofort abhauen, können Sie was erleben, Sie verdammter Pinguin.«
Der junge Mann schaltete sich ein. Er kochte innerlich vor Wut. Wahrscheinlich dachte er an die Niederlage im Fabrikkeller. Er brannte darauf, sich dafür zu revanchieren.
»Melden Sie mich bitte Mr. Hostens«, wandte Parker sich an den älteren Gangster. »Teilen Sie ihm freundlichst mit, daß ich mit ihm über die Motoryacht ›Isabel‹ plaudern möchte. Als leidenschaftlicher Wassersportler für mich ein interessantes und unerschöpfliches Thema.«
»Raus …!« zischte der Gangster gereizt. Allein der Hinweis auf eine Motoryacht »Isabel« machte ihn nervös. Nur so war es zu verstehen, daß er eine recht ungeschickte Bewegung machte, die Josuah Parker unbedingt mißverstehen mußte.
Parker glaubte an Tätlichkeiten und wehrte sich auf seine Weise. Durch den Druck auf einen versteckt angebrachten Gummiball versprühte die Zierperle in der Krawatte eine stark riechende Flüssigkeit, die den beiden Gangstern den Atem nahm.
Während sie noch verzweifelt nach Luft schnappten und nicht im Traum daran dachten, ihre Waffen zu ziehen, schritt Parker gemessen und würdevoll an ihnen vorbei und betrat den Lift. Er schwebte bereits nach oben, als die beiden Gangster endlich wieder schalten konnten.
Josuah Parker trat ein ohne anzuklopfen.
Walt Hostans, der große, schlanke Mann mit dem Schnurrbart und den grauen Augen, preßte seine Lippen zusammen, als er Parker erkannte.
»Verzeihen und entschuldigen Sie diese ungewöhnliche Form des Eindringens«, meinte Parker höflich. »Zwei Ihrer Leute hatten es sich in den Kopf gesetzt, mich nicht zu Ihnen zu lassen.«
Hostans hatte sich zu einem matten Grinsen entschlossen. Seine linke Hand, die auf dem Schreibtisch lag, rutschte Zentimeter für Zentimeter zur Tischkante. Wollte er sie in die seitlich geöffnete Schublade fallen lassen?
»Ich hasse es, Sir, umständlich um den Kern einer Sache herumzugehen«, redete Josuah Parker inzwischen weiter, »es ist immer und stets mein Bestreben, mich konkret und präzise auszudrücken. Wie jetzt und hier, Mr. Hostans.«
»Man hört’s …«, meinte Hostans ironisch. Er hatte sich bereits sein Urteil über Parker gebildet. Er hielt diesen schwarz und altväterlich gekleideten Mann für einen geschwätzigen Trottel, den er bei der ersten Begegnung glatt überschätzt hatte. Diesmal wollte er es ihm nachdrücklich zeigen. Dieser umständliche Bursche brauchte eine derbe Lektion.
»Mehr durch Zufall als durch genaue Ermittlung geriet ich an Ihre Motoryacht ›Isabel‹, Sir«, redete Parker weiter. »Ein schönes, stolzes Boot, nicht wahr?«
Hostans Blick wurde starr.
Das Stichwort »Isabel« ging ihm sofort unter die Haut. Einfach unverständlich, wie dieser schwarze Knabe an das Boot geraten war. Hostans neigte dazu, sich schnell ein anderes, neues Urteil zu bilden.
Seine linke Hand hing an der Schreibtischkante. Er brauchte sie vorsichtig abrutschen zu lassen oder sie zu senken. Und schon lag sie dann auf dem 38er in der Lade.
»Ich ließ mir erzählen, Sir, daß Sie ein begeisterter Wassersportler sind, der selbst längere Fahrten nicht scheut.«
»Schon gut möglich«, antwortete Hostans langsam. Er war entschlossen, sein Gegenüber unmöglich zu machen. Noch wartete er damit. Hostans wollte herausbekommen, wieviel dieser ulkige Bursche an der Tür eigentlich wußte.
»Darüber hinaus lieben Sie Kanada, nicht wahr?« baute Josuah Parker die Konversation weiter aus. »Ich kann das durchaus verstehen. Auch ich liebe kanadischen Whisky.«
»Sie sind verdammt gut informiert«, entgegnete Hostans. Für ihn war jetzt alles klar. Sein Besucher wußte tatsächlich Bescheid. Damit sprach er sich selbst sein Urteil.
Hostans Hand rutschte leicht und geschmeidig von der Schreibtischkante ab.
Als er den 38er jedoch hochreißen wollte, erlebte er eine grausame Enttäuschung.
Parker war nämlich schneller.
In seiner rechten Hand lag ein solider 45er Colt, ein Exklusivmodell längst vergangener Zeiten, wie es die Siedler und Jäger im Westen des Landes vor vielen Jahren benutzten. Einige bemerkenswerte Rostflecken konnten den Gesamteindruck kaum stören.
»Ich möchte Sie doch sehr bitten, um den Tisch herumzukommen«, meinte Parker freundlich. »Im Waffenhandwerk nur wenig erfahren, lege ich keinen Wert darauf, daß Streit entsteht.«
Hostans war wütend, verlor langsam die Übersicht.
Er kam sich nicht nur ausgespielt, sondern sogar auch noch verhöhnt vor.
Jetzt erst ging ihm ein Licht auf.
Dieser Mann, der sich Josuah Parker nannte, War ein gerissener Fuchs. Sein Auftreten, die umständliche Ausdrucksweise, die scheinbare Tölpelhaftigkeit, das alles war nichts als Maske. In Wirklichkeit hatte er es mit einem ausgekochten Gegner zu tun, der kalt und berechnend sein Ziel verfolgte.
Hostans bekam zum ersten Mal so etwas wie Angst. Ahnte er, daß er an einen stärkeren Gegner geraten war? Er versuchte ruhig zu bleiben. Nur nicht alle Karten auf den Tisch legen, dachte er. Jeder Mensch ist zu kaufen. Vielleicht hat auch dieser Kerl seinen Preis, den ich nur herausfinden muß.
»Sie gefallen mir«, rang er sich wider Willen ab, »ich wette, Sie haben mir Vorschläge zu machen, oder?«
»Gewiß, Sir. Ich suche nach wie vor nach einem Mann namens Joel Harrison.«
»Sie suchen …?«
»Nach Mr. Joel Harrison. Ihre ›Isabel‹ interessiert mich nur am Rande.«
»Das ist doch ein fauler Trick, oder?«
»Sie sind der Annahme, Sir, ich sei hinter ganz anderen Dingen her?«
»Natürlich. Sie schnüffeln mir nach wegen … Also, Sie wissen schon, was ich meine.«
»Oh, ich verstehe«, meinte Parker und nickte. »Sie spielen auf Ihren illegalen Handel mit Alkoholika an, nicht wahr?«
»Davon sagte ich kein Wort.«
»Das ist auch nicht nötig, Mr. Hostans. Nach meinen Informationen importieren Sie unter Umgehung der üblichen Zollvorschriften Alkohol aus Kanada nach Chikago.«
Hostans zerbiß einen gemeinen Fluch.
Sein Gegenüber wußte also tatsächlich genau Bescheid. Und das vor den großen Abschlüssen, die er, Hostans, über die Bühne gehen lassen wollte. Sollte dieses tolle Geschäft sich nur wegen dieses undurchsichtigen Burschen zerschlagen? Hostans dachte nicht im Traum daran.
Er kam zu dem Schluß, daß sein Gegenüber so schnell wie möglich aus dem Weg geräumt werden mußte.
Ich werde ihn reinlegen, sagte sich Hostans. Zum Schein werde ich ihm meine Mithilfe anbieten. Von mir aus weiß ich sogar, wo Harrison steckt. Ich locke ihn in die Falle und schlage dann zu. Hart und gründlich, daß er mir nie wieder in die Quere kommen kann.
»Also gut, sprechen wir von Harrison«, wechselte Hostans geschmeidig das Thema, »was wollen Sie von ihm, he?«
»Ihm Grüße seiner Familie überbringen.«
»Wie war das …?«
Hostans sah Parker verblüfft an. Hatte er es mit einem harmlosen Irren oder etwa mit einem raffinierten Hund zu tun, der ihn aufs Glatteis führen wollte?
»Mr. Harrison zog es vor einigen Wochen vor, seine Familie zu verlassen. Sie sehnt sich nach ihm, möchte ihn sprechen und einige private Dinge mit ihm regeln. Hoffentlich ist diese Auskunft ausreichend genug.«
»Das ist es also …!« antwortete Hostans mechanisch. »Was haben Sie denn zu bieten, falls ich Ihnen Harrisons Adresse nenne?«
»Ich werde vergessen, wozu die ›Isabel‹ dient.«
»Nichts wissen Sie …! Nichts brauchen Sie zu vergessen. Mir kann keiner, verstehen Sie? Um mich bei der Polizei anzuschwärzen, brauchen Sie erst mal handfeste Beweise.«
»Gewiß, Sir …!«
Mehr sagte Parker nicht. Aber wie er das sagte, war hinreißend. Er schien alles zu wissen, was mit dem illegalen Schnapsgeschäft Hostans zusammenhing.
»Ich werde mir den Fall gründlich überlegen«, wich Hostans aus. Er war nun doch unsicher geworden. »Gegen Abend können Sie ja noch mal vorbeikommen. Sagen Sie, arbeiten Sie auf eigene Faust? Sind Sie Privatdetektiv?«
»Nun, ich besitze die erforderliche Lizenz, um den Beruf eines Privatdetektivs ausüben zu können, Sir. Bisher verzichtete ich jedoch darauf, mich der Lizenz zu bedienen. Ich bearbeite nur Kriminalfälle, die mich persönlich erwärmen können. Ihre beiden Leute dürften sich inzwischen meine Wagennummer aufgeschrieben haben. Es wird leicht festzustellen sein, wo ich wohne, wie meine privaten Verhältnisse liegen und geregelt sind. Richtig, da wäre noch eine Sache, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Die Mordkommission unter Leutnant Current sucht nach dem Mörder eines Mannes, der in einem Fabrikkeller erschossen wurde. Ob die beiden Überlebenden aus dem Keller auf die Dauer schweigen werden, ist eine Frage, die ich mir an Ihrer Stelle einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen würde. Sie gestatten, daß ich mich jetzt verabschiede. Es sind da noch einige Dinge, die unbedingt geregelt werden müssen.«
Parker zog seine Melone, verbeugte sich und ging zur Tür. Der angerostete Colt war inzwischen längst verschwunden. Hostans konnte sich nicht erinnern, wann und wie Parker das gemacht hatte. Bei diesem Mann ging eben alles unauffällig und viel zu schnell.
Ungehindert erreichte Josuah Parker seinen hochbeinigen Wagen. Die beiden Gangster, die er angesprüht hatte, waren verschwunden. Lauerten sie in irgendeinem Hinterhalt auf ihn?
Nichts tat sich.
Der Butler fuhr zurück auf die Straße und nahm Kurs auf den Burnham Park, in dessen unmittelbarer Nähe die riesigen Hafenanlagen der Stadt lagen. Er wußte, daß dort die »Isabel« vertäut war.
Plante der Butler wieder einmal eine Überraschung? Wie ein Slalomläufer kurvte er mit seinem hochbeinigen Wagen durch den starken Verkehr. Er fuhr sehr schnell, doch das fiel wegen seiner Geschicklichkeit kaum auf.
Ein aufmerksamer Beobachter hätte leicht feststellen können, welch ein rasantes Anzugsvermögen das Monstrum auf Rädern besaß. Von der Kurvenfestigkeit ganz zu schweigen. Ein Tourenwagen hätte sich dahinter verstecken können.
Noch brauchte Parker die Überlegenheit seines Spezialwagens nicht auszuspielen. Er wußte ohnehin, daß er schneller sein würde als gewisse Leute, die von der »Isabel« ebenfalls magnetisch angezogen wurden.
*
Gay Harrison, knapp 25 Jahre alt, schlank und von genormter Puppenschönheit, wies auf die beiden abgestempelten, entwerteten Schecks.
»Sie kamen heute von der Bank«, sagte sie zu Mike Rander. »Joel hob wieder einmal insgesamt 25 000 Dollar vom Firmenkonto ab.«
»Wo wurden die beiden Schecks eingereicht?« erkundigte Rander sich. Nach seiner Unterhaltung mit Leutnant Current war er hinaus zu den Harrisons gefahren.
Er wartete die Antwort auf seine Frage nicht ab, sondern untersuchte selbst die Schecks.
»Wieder im Stadtgebiet von Chikago«, stellte er fest. »Drüben in Lombard also.«
»So geht es doch nicht weiter«, entrüstete sieh Gay Harrison, die zweite Frau des verschwundenen Joel Harrison. »Kann man das Konto denn nicht sperren lassen?«
»Schwer zu machen, Mrs. Harrison, Ihr Mann ist nach wie vor handlungsfähig. Die bisherigen Unterschriften unter den Schecks sind vollkommen echt. Ich empfehle Ihnen noch mal, die Polizei einzuschalten. Sie findet möglicherweise einen Weg, wenigstens durch eine einstweilige richterliche Anordnung, Schecks Ihres Mannes sperren zu lassen.«
»Mit der Polizei will ich nichts zu tun haben, Mr. Rander. Sie muß aus dem Spiel bleiben.«
»Dann müssen Sie sich damit abfinden, daß weitere Schecks eintrudeln werden, Mrs. Harrison. Vergessen Sie nicht, daß Ihr Mann sich wenigstens alle zwei Tage per Telefon in der Firma meldet und so seine Existenz beweist. Ohne Polizei ist einfach nichts zu machen.«
»Joel wird uns alle ruinieren …!« sagte Mrs. Harrison aufgebracht. »Er muß doch irgendwo zu finden sein …!«
»Was haben Sie eigentlich gegen die Polizei einzuwenden?« wollte Rander wissen.
»Wir müssen jeden Skandal vermeiden. Gerade jetzt vor großen Abschlüssen mit der Stadt. Das Geschäft würde darunter leiden. Dann ist es schon besser, wir lösen die Schecks ein.«
»Schön, es ist Ihr Geld, Mrs. Harrison. Haben Sie inzwischen überlegt, mit wem Joel gern und häufig zusammen war und trank?«
»Er ließ sich nie in die Karten sehen. Joel war verschlossen. Damit will ich nicht sagen, daß wir eine schlechte Ehe führten.« Sie sprach hastig, betonte ihre letzten Worte.
»Aber mit den beiden Kindern vertrug Joel sich nicht besonders, wie?«
»Das habe ich Ihnen doch schon alles auseinandergesetzt«, war ihre nervöse Antwort. »Randy und Maud mögen mich nicht. Verständlich, ich bin nicht älter als sie. In mir sehen sie einen Eindringling. Hinzu kommt, daß Joel sie nach der Heirat knapp hielt.«
»Randy und Maud Harrison vermuten, daß Sie dahinter stecken, nicht wahr?«
»Das stimmt im gewissen Sinne auch«, räumte sie sehr offen ein. Ihr Mund wurde hart. »Sie verplemperten das Geld und warfen es zum Fenster hinaus. Ich machte Joel klar, daß es so einfach nicht geht. Man sagt mir nach, daß ich eine habgierige Frau bin. Stimmt aber nicht. Wer sollte sich um die Geschäfte kümmern, als Joel das Trinken nicht lassen konnte?«
Sie sprach schnell, hart und sachlich. Ihre Stimme stand im Gegensatz zu ihrem Aussehen. Rander wußte von der ersten Begegnung her, daß sie intelligent und gerissen war. Wahrscheinlich benutzte sie ihre puppenhafte Schönheit und das naive Aussehen dazu, um andere Leute übers Ohr zu hauen.
»Wo stecken Randy und Maud?« fragte er Gay Harrison.
»Bestimmt nicht im Geschäft«, antwortete sie ironisch.
»Mrs. Harrison«, wechselte Anwalt Rander das Thema, »was wird aus dem Geschäft, falls Ihr Mann …« Er unterbrach sich und sah sie aufmerksam an.
Sie verstand ihn sofort.
»Abgesehen vom mütterlichen Erbteil hat Joel mich als Haupterbin eingesetzt. Das ist es doch, was Sie wissen wollen, oder?«
»Richtig …!«
»Erfreulich für mich, daß Joel noch nicht tot aufgefunden wurde.«
»Das wäre tatsächlich nicht gut«, pflichtete Mike Rander ihr bei. »Wie kommen Sie mit dem Chefbuchhalter aus?«
»Mit Clark Glidden? Ausgezeichnet. Er hat sich sehr schnell auf mich eingestellt. Oh, jetzt begreife ich …! Sagt man mir etwa nach, ich hätte mit Clark ein Verhältnis?«
»Sie drücken sich sehr unverblümt aus, Mrs. Harrison.«
»Clark dürfte mein Alter haben, er sieht recht gut aus und versteht zu rechnen. Ich wette, um uns ranken sich bereits Gerüchte, wie?«
»Bisher hörte ich davon nichts.«
»Gut, daß Sie’s von mir erfahren, Mr. Rander. Ich könnte mir vorsteilen, daß Randy und Maud solche Gerüchte in die Welt setzen.«
»Mir gegenüber äußerten sie sich nicht.«
»Mir ist s egal, was über mich geredet wird. Ich heiratete Joel, obwohl er erheblich älter ist als ich. Ich liebte ihn. Bis er wieder mit seiner Trinkerei anfing. Vor der Heirat wußte ich davon nichts. Im Laufe der Zeit wurde Joel mir gleichgültig. Gebe ich ganz offen zu. Aber dennoch bin und bleibe ich seine Frau. Darum wandte ich mich an Sie, damit Sie Joel aufspüren und wieder zurückholen!«
»Früher oder später werden wir Ihren Mann finden, Mrs. Harrison. Ich zerbreche mir den Kopf darüber, bei wem er sich aufhalten mag. Gibt es da vielleicht eine Frau …?«
»Ich weiß es nicht, Mr. Rander. Ich kann nur das wiederholen, was ich schon sagte. Erst nach der Kur in der Entziehungsanstalt wurde es schlimmer mit ihm. Wissen Sie, manchmal habe ich den Eindruck, daß er erst in dieser Privatklinik richtig mit dem Trinken begann. Ich weiß, das ist unsinnig, aber man macht sich schließlieh so seine Gedanken.«
»Ich muß noch mal auf das eine Thema zurückkommen. Gibt es keine Frau, zu der er sich geflüchtet haben könnte?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Glauben Sie, Joel könnte etwas zustoßen?«
»Kene Ahnung. Ich würde sagen, solange er sich Geld verschaffen kann, wird er immer interessant sein.«
»Mit anderen Worten, ich soll darauf verzichten, die Konten sperren zu lassen?«
»Das schlage ich tatsächlich vor, Mrs. Harrison. Das ist die beste Versicherung für das Leben Ihres Mannes.«
»Gut, ich werde mir die Sache überlegen«, versprach Gay Harrison. Mike Rander verabschiedete sich von der Frau, die unter dem schönen und attraktiven Kern stahlhart war.
Als er durch die Halle des Hauses ging, kam ihm ein schlanker und großer Mann entgegen, der fast zu gut aussah. Er trug eine Kollegmappe in der Hand. Seine Bewegungen waren geschmeidig, lässig. Die scharfen Linien des gebräunten Gesichts verliehen diesem jungen Mann etwas Piratenhaftes.
»Clark Glidden?« fragte Mike Rander. Sein Instinkt sagte ihm, daß das der Chefbuchhalter der Firma Harrison sein mußte.
»Stimmt. Was kann ich für Sie tun?« fragte Glidden zurück. Seine Stimme klang fest und männlich. Seine Manieren waren untadelig und selbstsicher.
»Oh nichts …!« murmelte Mike Rander. Er nickte und ging weiter. Er kümmerte sich nicht darum, daß Clark Glidden ihm sehr nachdenklich nachsah …!
*
Josuah Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum auf dem großen Parkplatz zurück. Sein Ziel war das Hafenbecken, in dem kleine und große Motor- und Segelyachten festgemacht waren. Bei einem Hafenwärter erkundigte er sich freundlich und jovial nach dem Liegeplatz der »Isabel«.
»Oh, da haben Sie nicht weit zu gehen«, meinte der alte Mann, »biegen Sie hinter dem Lagerhaus nach rechts ab. Dann stolpern Sie über den Kahn. Ist aber kein Mensch drauf.«
»Oh, das stört mich kaum«, sagte Parker, »die ›Isabel‹ ist häufig unterwegs, wie?«
»Kann man wohl sagen, Mr. Hostans ist ein begeisterter Wassersportler.«
»Steuert er die Yacht allein?«
»Natürlich, da läßt er keinen anderen Menschen dran …!«
Parkers Schritte griffen weiter aus. Er wollte seinen Vorsprung nutzen. In erfreulich kurzer Zeit erreichte er den Liegeplatz der Motoryacht.
Sie befand sich in bester Farbe und Ordnung. Hostans schien in dieses Boot wirklich verliebt zu sein.
Josuah Parker blieb einen Moment auf dem Kai stehen, orientierte sich nach allen Seiten.
Dann stieg er über die in der Mauer eingelassene Treppe nach unten und balancierte über die Laufplanke an Deck der Yacht. Er warf einen kurzen Blick auf den offenen Ruderstand, blickte durch die Glasscheiben in das darunter liegende Steuerhaus, das allseitig geschlossen war und suchte nach dem Zugang zur Maschine.
Ein schmaler, blitzender Gegenstand in seiner Hand öffnete die Tür zum Niedergang.
Sekunden später war der Butler bereits unter Deck verschwunden. Die geräumige Kabine im Bug der Yacht wirkte unverdächtig. Alles sah tadellos aufgeräumt und sauber aus.
Ob Hostans wirklich illegalen Whisky nach Chikago einschmuggelte? Falls ja, konnte es sich doch nur um geringe Mengen handeln. Mehr war hier doch nicht unterzubringen.
Butler Parker wollte es genau wissen.
Er untersuchte den Boden der Kabine, fand aber kein Luk, das nach unten führte. Der Raum zwischen Kabinenboden und Kiel schien ungenutzt zu sein.
Er blieb stehen, überlegte scharf und fragte sich, wie er als Schnapsschmuggler handeln würde, um einen geheimen Laderaum zu verdecken.
Womit er die Lösung auch schon gefunden hatte.
Es war frappierend, wie schlüssig seine Gedanken waren.
Er beschäftigte sich mit einer der Kojen.
Nichts. Sie war unverrückbar fest eingebaut worden.
Und die andere Koje?
Nach Wegräumen der Schaumgummimatratzen fiel sein Blick auf eine Schraube, deren Schlitzkanten ziemlich zerfasert waren.
Warum wurde diese Schraube so häufig herausgedreht? Das mußte einen ganz bestimmten Grund haben.
Josuah Parker brauchte einen Schraubenzieher. In seiner Tasche fand sich natürlich prompt ein breites Universal-Taschenmesser mit dem dringend benötigten Schraubenzieher. Innerhalb weniger Minuten löste sich die Schraube. Und damit der Brettereinsatz der Koje.
Parker hob ihn heraus und … sah vor sich ein tiefes dunkles Loch, das nach unten in den Kielraum führte.
Aus einer seiner Manteltaschen zauberte er eine kleine, aber sehr lichtstarke Taschenlampe. Er leuchtete nach unten. Und nickte zufrieden, als er die aufeinandergestapelten Flaschenkartons sah.
Whisky aus Kanada. Ein Irrtum war ausgeschlossen.
Er verzichtete darauf, nach unten zu steigen. Der optische Beweis genügte ihm.
Parker wußte genug.
Schnell und geschickt brachte er die Koje wieder in Ordnung. Um sich dann dem Maschinenraum zu widmen.
Ihm lag nur daran, ein Auslaufen der »Isabel« zu verhindern. Dazu mußte er den ansehnlichen Schiffsdiesel außer Betrieb setzen. Mit kleinen Bordmitteln, wie der Seemann zu sagen pflegt.
Der Butler wußte sich wieder mal zu helfen.
Aus seinen unergründlichen Manteltaschen zauberte er eine flache Blechschachtel hervor, die er vorsichtig öffnete. Eine Art Plastikmasse, nicht größer als ein Kaugummi, klebte er auf die Einspritzpumpe. Mit schnellen Handgriffen befestigte er einen Miniaturzünder, riß ihn an.
Obwohl dieser Zünder bereits brannte, dachte Josuah Parker nicht im Traum daran, besonders schnell zu gehen. Er hatte den Niedergang gerade hinter sich gelassen, als unten im Maschinenraum ein scharfer Knall zu hören war. Nicht besonders laut, schon oben auf dem Kai war er nicht mehr zu vernehmen.
Butler Parker verzichtete darauf, noch mal nach unten zu gehen und nachzusehen. Er wußte, daß die Einspritzpumpe zerschlagen worden war. Ohne sie konnte der Diesel nicht mehr arbeiten. Die »Isabel« saß damit am Liegeplatz fest.
Parker verschloß die beiden Türen zu den Niedergängen, balancierte über die schwankende Laufplanke zur Kaitreppe und brachte sich in Deckung.
Seit dem Betreten der Motoryacht waren zehn Minuten vergangen. Seiner Schätzung nach mußten Hostans Leute jetzt erscheinen.
Falls Parker sich in seiner Kalkulation nicht getäuscht hatte. Was aber im Grunde undenkbar war.
Und wirklich, schon nach wenigen Minuten erschien ein geschlossener kleiner Lieferwagen am Kai. Hart wurde er abgebremst. Zwei bekannte Männer stiegen aus dem Wagen, liefen zur Kaitreppe. Es waren der junge Gangster und sein Partner mit dem harmlos aussehenden Gesicht.
Hostans hingegen ließ sich nicht sehen.
Parker, neben einem Kistenstapel stehend, genoß die Szene.
Die beiden Gangster liefen an Bord, verschwanden im Ruderhaus.
Dann kam der junge Bursche zurück, löste etwas umständlich die Vertäuung und rief seinem Partner etwas zu, was Parker nicht verstand.
Der mächtige Anlasser des Diesels rumorte unter Deck. Nach dem Vorglühen wollte der Gangster den Motor in Gang setzen.
Der Diesel dachte nicht daran.
Er spuckte noch nicht einmal.
Er blieb stumm wie ein Fisch.
Wieder röhrte der Anlasser.
Parker nickte zufrieden. Die kleine Sprengladung hatte also gute Arbeit getan. Er konnte gehen und sich den weiteren Ermittlungen widmen.
Als er zwischen den Lagerschuppen verschwand und den Parkplatz ansteuerte, hörte Parker hinter sich in kurzen Abständen das röhrende Schnarren des Anlassers.
Wie lange mochten die beiden Gangster brauchen, bis sie dahinterkamen, daß der Diesel nicht mehr mitmachte …?
Parkers Weg führte an einer öffentlichen Fernsprechzelle vorbei.
Nach Einwurf der notwendigen Münzen rief der Butler einen gewissen Mr. Walt Hostans an. Er hatte Glück, Hostans meldete sich.
»Hier spricht Josuah Parker«, stellte der Butler sich mit beherrschter Stimme vor, »ich komme gerade von der ›Isabel‹, Mr. Hostans. Mir scheint, daß Ihre beiden Männer den Anlasser unnötig minieren.«
»Wie …?« fragte Hostans gedehnt zurück.
»Ich fürchte, daß die ›Isabel‹ nicht auslaufen kann, Mr. Hostans«, setzte Parker seinem Gesprächspartner auseinander. »Damit dürfte es unmöglich sein, die flüssige Beiladung der Yacht auszuladen. Dort an den Kais können Sie das nicht riskieren. Ich werde mein Wissen um diesen Alkohol vergessen, sofern Sie mir sagen können, wo Mr. Harrison sich aufhält. Ein gutes Tauschgeschäft, wie mir scheint.«
»Hol’ Sie der Teufel«, brüllte Hostans, »das werden Sie noch bereuen, Parker. Ich lasse Sie hetzen, bis Sie nicht mehr japsen können. Darauf können Sie Gift nehmen.«
»Ich werde wieder anrufen, wenn Sie sich etwas beruhigt haben«, meinte Josuah Parker und legte auf.
*
»Ich freue mich ungemein, Sie im Hause Mr. Randers begrüßen zu können.«
Josuah Parker empfing am anderen Tag Leutnant Current an der Stahltür, die auf den Dachgarten führte. Current verbiß sich ein Grinsen. Parker war eben unverbesserlich. Und störrisch dazu. Wenn er nicht reden wollte, hielt er seinen Mund. Versuchte man ihn unter Druck zu setzen, reagierte er ungemein sauer.
»Vom Ausflug zurück?« fragte Current, ohne auf den vergangenen, Tag deutlicher anzuspielen.
»Ich unternahm nur einen kleinen, harmlosen Spaziergang, Sir.«
»Schon die Morgenzeitungen gelesen, Parker?«
Die beiden Männer schritten auf das Penthouse zu.
»Natürlich, Sir. Es gehört zu meinen Obliegenheiten und Pflichten, die Zeitungen zu sichten, bevor ich sie an Mr. Rander weiterreiche.«
»Irgend etwas Interessantes gefunden?« Currents Stimme klang gespielt harmlos.
»Kaum, Sir«, erwiderte Parker wortkarg.
»Sollten Sie wirklich die Meldung übersehen haben, nach der eine Motoryacht ›Isabel‹ unten im Hafen ausbrannte?«
»Nach der amtlichen Statistik von Chikago, Sir, ereignen sich alle drei Minuten …!«
»Ich weiß, ich weiß …!« unterbrach Current den Butler. »Doch gerade dieser Brand interessiert mich ganz besonders. Die Motoryacht gehörte nämlich einem Mr. Hostans.«
»Das ist allerdings erstaunlich, Sir.« Mehr hatte Parker dazu nicht zu sagen. Natürlich kannte er die Meldung. Und hatte sich darauf bereits einen Vers gemacht. Er glaubte zu wissen, warum Hostans seine Yacht hatte in Flammen aufgehen lassen. Er wollte damit jede polizeiliche Untersuchung verhindern, gleichzeitig aber auch ihn, Parker, leerlaufen lassen.
Ein sehr kostspieliges Verfahren, wie Parker meinte. Ob für Hostans das Geschäft mit Joel Harrison interessanter war? Darauf wußte der Butler sich noch keine Antwort zu geben.
Da sie inzwischen das Haus erreichten und Mike Rander dem Polizeioffizier entgegenkam, konnte Parker sich absetzen. Allerdings nur für wenige Minuten. Denn kaum saß Current, als Parker mit Getränken ins Arbeitszimmer seines Chefs kam.
Als er gehen wollte, schüttelte Current den Kopf.
»Bleiben Sie hier, Parker«, meinte er lächelnd, »ich denke, wir legen jetzt mal der Reihe nach unsere Karten auf den Tisch. Nach dem Brand auf der ›Isabel‹ muß ich wissen, was gespielt wird. Ich habe schließlich keine Lust, dienstlich gegen Sie vorgehen zu müssen, «
Parker blieb starr und steif wie ein Standbild stehen. Als er das unmerkliche Kopfnicken Mike Randers sah, war er doch ungemein erleichtert. Nun konnte er wenigstens reden. Das Kopfnicken Mike Randers war gleichbedeutend für die Freigabe einer umfassenden Aussage.
Schnell klärte sich, was im Fabrikkeller passiert war. Leutnant Current erfuhr nun aus erster Hand, wieso Josuah Parker sich derart intensiv um Walt Hostans kümmerte. Ganz am Rande nahm der Polizeioffizier zur Kenntnis, daß Hostans ein Schnapsschmuggler war.
»Das deckt sich mit unseren Ermittlungen«, rückte Current dann seinerseits mit der Sprache heraus. »Wir untersuchten das abgesoffene Wrack und fanden die zersprungenen Flaschen.«
»Konnten Sie Hostans erwischen?« warf Mike Rander ein.
»Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Nein, ich glaube nicht an eine endgültige Flucht. Er will wohl erst mal abwarten, wie der Fall sich entwickelt, Parker.« Current wandte sich dem Butler zu. »Können Sie mir ehrenwörtlich versichern, daß Sie mit dem Brand auf der Yacht nichts zu tun haben?«
»Sir, ich gebe Ihnen mein Wort.«
»Danke, das reicht mir bereits, Parker. Ihrer Meinung nach steckt also Hostans hinter Harrisons Verschwinden?«
»Sir, um der Wahrheit die Ehre zu geben, darauf möchte und kann ich mich nicht festlegen.« Josuah Parker trat näher an den Arbeitstisch des Anwalts, vor dem Leutnant Current saß. »Um noch einmal an den Nachtportier des ›Pewell-Hotels‹ zu erinnern, dieser Mann redete seinen Boß nicht direkt an, als er die Nummer der Hostans-Firma wählte. Er bat nur darum, dem Boß etwas auszurichten.«
»Demnach kämen also diese beiden Hostans-Leute auch in Frage?«
»Gewiß, Sir. Nachdem der Gangster mit dem Filmgesicht im Keller erschossen wurde, bleiben noch …!«
»Jeff Cardy und Glenn Mossels. Ja, das sind die Namen dieser beiden Gangster. Nach dem Auffinden der Leiche im Fabrikkeller vernahm ich diese beiden Burschen. Cardy ist der Mann mit dem harmlosen Gesicht, Mossels heißt der junge Mann, der nicht schnell genug hinter Gittern landen kann.«
»Sind diese beiden Männer in der Kartei vertreten?«
»Natürlich. Wie gesagt, Rander, auch ich will meine Karten auf den Tisch legen. Cardy arbeitete früher als Kraftfahrer. Auch bei Hostans ist er jetzt offiziell als Fahrer angestellt.«
»Und dieser Mossels?«
»Mossels ist gelernter Schreiner. Er saß bereits in zwei Fällen wegen Betrugs.«
»Als Schreiner dürfte es ihm leichtgefallen sein, die Yacht seines Chefs für den Transport der Alkoholika vorzubereiten«, warf Parker ein. Er dachte an den versteckt angebrachten Zugang zum eigentlichen Laderaum. »Sir, könnte ich jetzt noch erfahren, wer der Tote aus dem Keller ist?«
»Sein Name lautet Gary Lurchess. Der saß ebenfalls. Wie Mossels und Cardy. Er ist zur See gefahren. Paßt also auch in das Schmugglerbild, oder? Ins Schmugglerbild, das stimmt.« Mike Rander betonte seine Worte absichtlich.
»Ich weiß, Rander, worauf Sie hinaus wollen«, redete Current weiter, »Schmuggler geben sich nicht mit Kidnapping ab. Das meinen Sie doch, nicht wahr?«
»Eben. Ich suche nach einer logischen Verbindung zwischen Hostans und dem Verschwinden Harrisons. Wie könnten Harrison und Hostans miteinander bekannt geworden sein? Was den Schnaps angeht, dem Harrison verfallen ist, dürfte die Richtung zwar stimmen. Mehr aber auch nicht.«
»Was meinen denn Sie, Parker?« Current sah zu dem Butler hoch, der schweigend, aber sehr aufmerksam zuhörte.
»Sir, um diese Frage nur in etwa genau beantworten zu können, müßte man mehr über die betreffenden Personen wissen. Mit anderen Worten, läßt es sich vielleicht ermöglichen, daß Mr. Rander spezielle Auskünfte über die betreffenden Gangster erhalten kann?«
»Das war mal wieder kurz und knapp ausgedrückt«, frotzelte Current grinsend zurück. »Schön, läßt sich machen. Ich werde Ihnen die Berichte umgehend zuschicken, Rander. Einverstanden?«
»Natürlich, Current. Per Telefon sagte ich Ihnen ja schon, nach wem wir suchen. Halten Sie sich an unsere Abmachung und treten Sie offiziell nicht in Erscheinung.«
»Das läßt sich leicht einrichten. Aber die Banken werde ich verständigen lassen. Bisher wurden ja alle Schecks hier in Chikago zur Einlösung eingereicht.
Weitere Schecks werden mit Sicherheit folgen. Dann müssen wir sofort verständigt werden, damit wir uns an den betreffenden Kassenboten hängen können. Der wird uns dann bestimmt zu Harrison führen. Oder zu dem Mann, der ihn festhält.«
»Current, vergessen Sie nicht, es handelt sich nicht um ein echtes Kidnapping.«
»Sind Sie sicher?«
»Vollkommen sicher, Leutnant. Harrison ruft in seiner Firma an, meldet sich mit normaler Stimme, Er sorgt dafür, daß er nicht nur mit seiner Frau oder mit seinem Chefbuchhalter Glidden spricht.«
»Wie macht er das?«
»Er ruft einfach in verschiedenen Abteilungen an, meldet sich als der Chef und verlangte erst danach seine Frau oder Glidden zu sprechen. Es gibt also immer Zeugen, die ihn gehört haben.«
»Sie glauben, er würde nur mit Schnaps festgehalten?«
»So ungefähr …! Vielleicht hat er auch seine Frau satt. Sie sieht sehr gut aus, räume ich ein, aber sie ist härter als ein Mann. Selbst in ihren Träume denkt sie bestimmt nur an die Bilanz der Firma.«
»Sie kann sich geschäftlich helfen?«
»Helfen …? Ich wette, sie ist sogar dem Chefbuchhalter überlegen. Man müßte übrigens herausfinden, wie die persönlichen und privaten Beziehungen zwischen Mrs. Harrison und Glidden sind.«
»Oh, Sie glauben …?« Current hielt inne, um nach einer knappen Sekunde weiterzureden, »Sie glauben, da könnte sich etwas abspielen?«
»Durchaus drin«, gab Mike Rander zurück. »Der Chefbuchhalter sieht sehr gut aus.«
»Es wäre nicht das erste Mal, daß sich eine Frau mit einem anderen zusammentut, um ihren eigentlichen Mann verschwinden zu lassen. Jetzt brauchen Sie nur noch zu sagen, daß diese Mrs. Harrison Alleinerbin ist.«
»Stimmt fast …!«
»Wieso nur fast?« Current geriet in Eifer und beugte sich vor.
»Da existieren noch zwei erwachsene Kinder aus Harrisons erster Ehe.
Ein junger Mann namens Randy, dann eine Tochter, die Maud heißt. Sie können ihre Stiefmutter Gay nicht ausstehen.«
»Es wäre auch hier nicht das erste Mal, Sir«, mischte Parker sich da mit allem gebotenen Respekt in die Unterhaltung, »daß Geschwister sich einig darin werden, einen unerwünschten Eindringling in die Familie auszuschalten. Dazu braucht man nur diese betreffende Person zu belasten und mit irgendeinem Verbrechen in Zusammenhang zu bringen.«
»Donnerwetter …!«
Current sprang auf und sah Parker an. Ihm schien die Erleuchtung gekommen zu sein.
Auch Mike Rander war beeindruckt. Nachdenklich rieb er sich das energische Kinn.
»Zwei Möglichkeiten also«, sagte er dann. »Entweder eine Verschwörung der Geschwister gegen die Stiefmutter, um damit gleichzeitig Joel Harrison loszuwerden und an die Erbschaft zu kommen, oder aber eine private Sache zwischen Mrs. Harrison und ihrem Chefbuchhalter, um möglichst schnell an viel Geld zu kommen, bevor die Ehe auseinanderplatzt.«
»Rander …?«
Der Anwalt nahm den Kopf herum, sah den Leutnant fragend an.
»Sie haben sich auch schon knapper ausgedrückt«, sagte Current anzüglich, »ich stelle wieder mal fest, daß Parkers Anwesenheit einen schlechten Einfluß auf Ihren Stil hat, sonst könnten Sie sich niemals derart umständlich und weitschweifig ausdrücken, etwas, was ich an Ihnen überhaupt nicht kenne, obwohl ich doch schon seit einigen Jahren gut mit Ihnen befreundet bin und bisher Ihre Ausdrucksweise niemals zu bemängeln hatte, was beileibe kein Vorwurf sein soll, Rander, um von Ihnen nicht mißverstanden zu werden!«
Der Anwalt stutzte zuerst, dann breitete sich auf seinem Gesicht ein Grinsen aus.
Selbst Josuah Parker gestattete sich in Anbetracht der Situation ein angedeutetes Lächeln.
Da erst merkte Leutnant Current, daß auch er sich ungemein knapp ausgedrückt hatte.
»Parker, aus meinen Augen«, rief Current gespielt aufgebracht, »ich bin auf dem besten Weg, mich von Ihnen anstecken zu lassen, zumal alles darauf hindeutet, daß ich …!«
Er hielt inne, schlug sich erschreckt auf den Mund und verschluckte den Rest des Bandwurmsatzes. Erst ein kräftiger Schluck aus dem Glas brachte ihn einigermaßen wieder zu sich!
*
Es war dunkel geworden.
Butler Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum durch die Straßen von Chikago. Er befand sich auf dem Weg zum »Pewell-Hotel«, um dem Nachtportier einen Besuch abzustatten.
Absichtlich hatte er bisher darauf verzichtet, diesen Mann zu sprechen. Er sollte sich erst mal in Sicherheit wiegen, annehmen, seine Beteiligung an dem Komplott gegen Harrison sei unbekannt. Außer Mike Rander, Leutnant Current und ihm, Parker, wußte kein Mensch, daß der Nachtportier Mac Worland den ersten und wichtigsten Hinweis auf Hostans geliefert hatte. Ja, selbst Hostans oder einer seiner Gangster sahen da nicht klar, wieso Parker sich um sie kümmerte.
Der Butler hatte das Radio eingeschaltet. Er hörte während der Fahrt die Frequenz der Polizei ab. In schneller und unaufhörlicher Folge kamen die Kennziffern durch, wurden Streifenwagen abgerufen und kurze Hinweise für ihre Besatzungen geliefert.
Josuah Parker kannte den Code dieser Frequenz. Die einzelnen Übertragungen, Unfälle, Verbrechen und Morde besaßen je eine besondere Kennziffer. Das erleichterte den Verkehr mit den Streifen in der Stadt.
Noch war nichts Besonderes los in der Stadt. Doch das täuschte. Wie eine aufkommende, starke Brandung konnten sich die Hinweise auf Verbrechen überschlagen. Noch war die Stadt dabei, sich auf die Nacht vorzubereiten.
Josuah Parker ließ seinen Wagen knapp vor dem »Pewell-Hotel« stehen. Ohne Hast und Eile schritt er gemessen auf den Eingang zu. Für seine Umgebung schien er sich überhaupt nicht zu interessieren. In Wirklichkeit aber sondierte er die beiden Straßenseiten. Immerhin hatte er sich bei Walt Hostans und seinen beiden Mitarbeitern mehr als unbeliebt gemacht. Darüber hinaus wußten Harrisons Freunde, daß er ihnen auf der Spur war.
Die Straße vor dem kleinen schäbigen Hotel blieb ruhig. Parker ging in die Halle und blieb vor der hohen Anmeldetheke stehen. Der Nachtportier war nicht zu sehen.
Der Butler schlug mit dem Griff seines Universal-Regenschirmes auf die Tischklingel.
Nichts rührte sich hinter der nur halb geöffneten Schiebetür, durch die das Hotelbüro zu erreichen war.
Parker wartete geduldig, klingelte aber nicht mehr. Im Haus war es unheimlich still. Es war wie ausgestorben. Parkers fein ausgebildeter Instinkt witterte Gefahr. Von wo aus sie zu erwarten war, konnte er zur Zeit noch nicht feststellen.
Schließlich ging er um die hohe Theke herum und näherte sich der Schiebetür. Mit den Beleuchtungsverhältnissen in der Halle war er durchaus einverstanden. Das nur schwache Licht ließ alle Konturen verschwimmen.
Die Tür quietschte und ächzte, als Parker sie aufdrückte. Bis auf eine schwache Wandlampe war das Büro unbeleuchtet. Der Schein dieser Lampe reichte nicht aus, Einzelheiten im Zimmer zu erkennen.
Josuah Parkers Gesicht glich einer Bronzemaske.
In seinem Innern sah es allerdings anders aus. Seine Nerven meldeten höchsten Alarm. Bis etwas Schreckliches passierte, konnten nur noch Sekunden vergehen.
Der Butler suchte nach dem Lichtschalter. Bevor er jedoch Licht machen konnte, bleckten zwei Flammenzungen aus dem Zimmer auf.
Josuah Parker befand sich bereits in Deckung. Aber noch im Abducken spürte er den Luftzug der beiden Geschosse, die unmittelbar hintereinander auf ihn abgefeuert worden waren.
Glück gehabt …!
Butler Parkers vorsintflutlicher Colt aus den Tagen der Goldgräber dröhnte auf.
Ein unterdrückter Aufschrei war die Antwort darauf. Parker machte einen flüchtenden Schatten aus, hätte einen zweiten Schuß anbringen können. Doch er kannte die Wirkungsweise des 45ers.
Seine Durchschlagskraft war enorm. Der Butler verzichtete also darauf, einen weiteren Wirkungstreffer anzubringen. Er haßte das Blutvergießen und hielt Schüsse immer für ein schlechtes Argument. Irgendwo fiel eine Tür ins Schloß.
Flüchtete der heimtückische Schütze?
Butler Parker war vorsichtig.
Er schlüpfte in das Zimmer, hielt inne, lauschte.
Nein, keine Geräusche mehr.
Selbst die gewechselten Schüsse hatten das Hotel bisher nicht alarmiert.
Als Parker sich tiefer in das Zimmer hineinpirschen wollte, stolperte er über eine Gestalt, die regungslos am Boden lag. Sofort kniete der Butler nieder und untersuchte den Toten. Eine leblose Gestalt war das, schlaff und weich.
Parker wandte sich um, schaltete nun das Deckenlicht ein und blieb vor dem liegenden Mann stehen.
Er erkannte ihn auf den ersten Blick. Er war identisch mit dem Nachtportier Mac Worland. Zwei genau gezielte Messerstiche hatten seinen Lebensfaden zerschnitten.
Parker machte sich insgeheim einige Vorwürfe. Hätte er sich nicht früher um den Nachtportier kümmern müssen? War seine Taktik falsch gewesen? Leider ließ dieser Mord sich nicht mehr ungeschehen machen. Worland war tot, konnte nicht mehr sagen, mit wem er in Walt Hostans Firma geredet hatte.
Eine böse Schlappe für Parker, der sich gerade von einer Unterhaltung mit Worland sehr viel versprochen hatte.
Vorn in der Halle wurden die ersten Stimmen laut. Neugierige und aufgescheuchte Hotelbewohner versammelten sich vor der Anmeldetheke, getrauten sich aber nicht in das Hinterzimmer hinein.
Josuah Parker stieg über die Leiche und suchte nach der Stelle, von wo aus auf ihn geschossen worden war.
Ein Blutfleck auf dem dünnen, abgeschabten Teppich, einige Spritzer an der Tapete redeten eine deutliche Sprache. Der heimtückische Schütze war vom 45er getroffen worden. Es mußte sich zumindest um eine stark blutende Fleischwunde handeln.
Der Mörder Mac Worlands hatte damit seine erste Rate für den Mord am Nachtportier entrichtet. Weit konnte er unmöglich kommen.
Parker fand die Tür, durch die der Mörder sich abgesetzt hatte. Sie führte hinaus in den kleinen, engen Hof. Am Fuß der vierstufigen Treppe, nur wenige Meter von einem parkenden Buick entfernt, lag eine zweite Gestalt auf dem schmutzigen Pflaster.
Der Mörder …!
Mit aller gebotenen Vorsicht trat der Butler an die Gestalt heran, untersuchte sie.
Es handelte sich um den jungen Gangster, der Parker seinerzeit in den Torweg hineingelockt hatte. Glenn Mossels, wie er hieß, lebte noch, brauchte aber dringend einen Arzt. Er verlor sehr viel Blut. Sein Atem war bereits flach, und sein Puls ging langsam. Neben Mossels aber lag die Waffe, ein 38er Revolver, dessen Lauf noch warm war.
Mit der Fußspitze stieß Parker sie von der ausgebreiteten Hand Mossels weg.
So endete es doch immer, wenn man eine Waffe in die Hand nahm und als Außenseiter gegen das Gesetz verstieß …!
*
Joel Harrison starrte auf das aufgeschlagene Scheckheft. Er spielte mit dem Füller, den Chris Downers ihm gereicht hatte. Er brachte einfach nicht die Kraft auf, sich auf das Scheckheft und den Füller zu konzentrieren.
Sein Hirn war umnebelt, träge, wie ausgelaugt.
»Nun schreib’ doch endlich«, ermunterte Downers ihn. »Ich hab’ ’ne prächtige Flasche mitgebracht, mein Junge. Guter Stoff, wird dir sehr gut schmecken.«
Joel Harrison gab sich einen inneren Ruck, richtete sich etwas auf. Er setzte den Füller auf das Scheckheft, wollte schreiben, doch seine zitternde Hand schaffte es nicht. Sinnlos zog der Füllhalter wirre Striche und Zeichen auf das Papier.
Downers runzelte die Stirn. Er war wütend.
»Warte, ich werde dir ’nen Schluck holen«, sagte er, sich zur Ruhe zwingend. »Verschmier’ das Scheckheft nicht, mein Junge, sonst kann ich dir keinen Schnaps mehr kaufen.«
Downers stieg nach unten in das Holzhaus. In der engen, unaufgeräumten Küche saß seine Freundin Helen Napers. Die üppige Blondine beschäftigte sich gerade mit einer Flasche Whisky. Sie hatte den Verschluß geöffnet, einen improvisierten Papiertrichter in die Flaschenöffnung geschoben und schüttelte vorsichtig ein weißes Pulver in die Flüssigkeit.
»Übertreib’s nicht«, warnte Downers Helen Napers. »Harrison ist schon fast verblödet. Wenn’s so weitergeht, kann er seinen Namen nicht mehr schreiben.«
Helen Napers schloß die vergoldete Puderdose, in der sie das weiße Pulver verwahrte. Es handelte sich um Heroin, das dem Whisky für Harrison regelmäßig zugesetzt wurde, um jede Entschlußfähigkeit auszuschalten.
»Wie lange wollen wir dieses Spiel noch treiben?« fragte sie sachlich. Sie verschloß die Whiskyflasche und schüttelte sie ausgiebig. Das weiße Heroin löste sich augenblicklich auf.
»Seit wann hast du was gegen Geld einzuwenden?« erkundigte sich Downers.
»Gegen Geld habe ich nichts, nur gegen Glibben«, meinte sie.
»Hast du Angst?«
»Das auch. Vor allen Dingen geht Harrison mir auf die Nerven.«
»Schluck es irgendwie hinunter, Helen«, redete Downers seiner Freundin zu. »Noch ein paar Wochen und wir können Harrison in die Wüste schicken.«
»Und der Boß hat sein dickes Geschäft gemacht.«
»Wie meinst du das, Helen?«
»Sag’ mal, denkst du eigentlich nicht?« gab sie erregt zurück, »wir beschaffen dem Boß die Schecks, er kassiert sie ein und speist uns doch nur mit einem kleinen Taschengeld ab. Das meine ich, Chris.«
»Wir verdienen nicht schlecht.«
»Einen Dreck verdienen wir …! Wer steckt denn den Löwenanteil in die Tasche, he? Der Boß …! Wir ziehen mit Harrison durch die Gegend, wir tragen das Risiko. Aber der Boß kassiert und mästet sich an uns.«
»Ich bin mit dem zufrieden, was wir bekommen. Hat bisher immer prompt geklappt, Helen. Ist ja nicht das erste Mal, daß wir diese Masche reiten.«
»Eben, es wird Zeit, daß wir uns selbständig machen«
»Momentchen mal, soll das heißen, daß du aussteigen willst oder dem Boß an den Kragen …!«
Helen Napers ließ ihn nicht ausreden.
»Ich will mehr verdienen«, forderte sie mit kalter Stimme, »wir besorgen dem Boß die Dreckarbeit, er aber kassiert …!«
»Helen, du solltest vorsichtiger sein«, warnte Downers seine üppige blonde Freundin. »Du kennst den Boß. Der fackelt nicht lange. Wenn er erst mal merkt, daß wir Extratouren reiten wollen, geht’s uns an den Kragen.«
»Wir müssen eben schneller sein …! Die Sache mit Harrison wird für meine Begriffe viel zu lange ausgespielt. Du weißt, daß irgendein Schnüffler bereits hinter uns her ist. Möglich sogar, daß die Harrisons sich jetzt an die Polizei wenden.«
»Werden sie nicht machen, verlaß’ dich drauf.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich hab’s aus erster Hand, Helen …! Komm’, ist der Schnaps fertig? Harrison braucht seine Dosis. Erst wenn er total betrunken ist, kann er schreiben.«
Downers nahm die Flasche, zog die Tür auf.
Er prallte fast mit Joel Harrison zusammen, der schwankend vor der Tür stand.
»Seit wann bist du hier unten?« schnauzte Downers Joel Harrison an.
»Schnaps …!« brabbelte Harrison, als habe er nichts verstanden. Er streckte die Hand nach der Flasche aus. Ein blödes Grinsen überzog sein Gesicht, als er Helen Napers am Küchentisch entdeckte.
Sie zog eine Grimasse, die Ekel, aber auch gespielte Freude ausdrücken konnte.
»Geh schon nach oben«, rief sie Joel Harrison zu, »ich komm’ gleich nach, Süßer.«
Mißtrauisch musterte Downers den Angetrunkenen, der die Flasche fest an sich preßte. Sollte Joel Harrison seine Unterhaltung mit Helen Napers belauscht haben? War dem Wrack so etwas überhaupt zuzutrauen?
Er brachte Harrison nach oben ins Zimmer.
Downers ging zum Tisch, der neben dem Fenster stand. Er griff nach dem Füllhalter und sah sich nach Harrison um. Der trank bereits. Er hatte die Flasche einfach an den Mund gesetzt. Wie Wasser ließ er den präparierten Whisky in sich hineinlaufen.
»Los jetzt«, rief er Harrison zu, »ich brauche den Scheck.«
Er nahm das lange, schmale Heft hoch, stutzte und … fluchte. Jeder noch eingeheftete Scheck war restlos bekritzelt worden. Sie alle waren völlig unbrauchbar.
Downers warf das Scheckheft auf den Tisch. Dann ohrfeigte er Harrison so lange, bis er außer Atem war. Er hätte Harrison am liebsten umgebracht.
Willenlos ließ Joel Harrison alles über sich ergehen. Er grinste blöde, als Downers von ihm abließ. Als er zur Flasche greifen wollte, riß Downers sie ihm aus der Hand.
Dann verließ er das Zimmer und beeilte sich, ans Telefon zu gelangen. Er mußte den Boß unbedingt informieren und fragen, wie sie an ein neues Scheckheft kamen.
Denn ohne Scheckheft gab’s kein Geld, war. Harrison vollkommen wertlos …
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Downers daran, daß Harrison ihnen vielleicht einen Streich gespielt hatte. Aber war das diesem willenlosen Wrack überhaupt zuzutrauen …?
*
Anwalt Rander und sein Butler Josuah Parker statteten Leutnant Current einen Besuch ab. Das Büro des Leutnants im Hauptquartier der Polizei war klein und einfach eingerichtet. Alles war auf reine Zweckmäßigkeit abgestellt.
»Wir kamen gerade zufällig vorbei«, behauptete Mike Rander und blinzelte Current zu.
»Diesen Zufall kenne ich. Sie wollen wissen, was aus Glenn Mossels geworden ist, oder?«
»Das auch …!«
»Er überstand die Operation, Rander. An eine Sprecherlaubnis ist vorerst aber nicht zu denken. Mossels verlor zu viel Blut, die Operation schwächte ihn.«
»Zu dumm …!«
»Was glauben Sie, wie ich darauf warte, mit Mossels sprechen zu können. Nach der Ermordung des Nachtportiers Worland ist er der einzige Mann, der uns etwas über den Boß sagen kann.«
»Schon etwas über Hostans gehört?«
»Die Großfahndung nach ihm läuft. Bisher ohne jeden Erfolg. Aber das besagt noch nichts. Die Jungens müssen sich erst mal einspielen.«
»Eine Frage am Rande, Current, Mossels wird doch bewacht, nicht wahr?«
»Sehr scharf sogar, Rander. Mossels darf nicht von seinem Boß umgebracht werden. Wir sind sogar noch einen Schritt weiter gegangen und bauten für diesen unbekannten Chef der Gang eine Falle. Selbst im Spital nimmt alles an, Mossels liege in der zweiten Etage. In Wirklichkeit ließen wir ihn bereits in das Polizeihospital bringen. Nur einige wenige eingeweihte Pfleger wissen Bescheid. Kann sein, daß der Boß versucht, an Mossels heranzukommen. Dann wird er sein blaues Wunder erleben.«
»Sir, darf ich eine bescheidene Frage einwerfen?« erkundigte Josuah Parker sich höflich.
Current nickte. Er kniff die Augen zusammen, paßte scharf auf. Wenn Josuah Parker mit bescheidenen Fragen kam, die er dazu noch höflich stellte, dann verfolgte er stets einen ganz besonderen Zweck damit.
»Sie wollten die Güte haben, Sir, mich die genauen Unterlagen über Hostans, Cardy, Lurchess und Mossels einsehen zu lassen.«
»Was bezwecken Sie damit, Parker?«
»Nur ein allgemeines Interesse, Sir.«
»Ihnen soll einer trauen. Ich wette, Sie kochen bereits wieder Ihre eigene Suppe.«
Parker verzichtete auf eine Antwort. Er wartete, bis er den Schnellhefter in Händen hielt, der vor Current lag. Dann zog er sich in die Zimmerecke neben der Tür zurück und studierte die Unterlagen.
Current und Mike Rander schwiegen..
Sie sahen sich an, schauten hinüber zu Parker und warteten darauf, daß der Butler sich endlich äußerte.
Doch Josuah Parker dachte nicht daran, zu den Unterlagen Stellung zu nehmen. Er schloß den Schnellhefter und gab ihn an Leutnant Current zurück.
»Na …?« erkundigte sich Current.
»Was haben Sie entdeckt, Parker?« fragte Mike Rander.
»Ich bedaure, Sir. Mein Interesse konnte nicht geweckt werden.«
»Nichts …?« wunderte sich Leutnant Current. Er glaubte dem Butler kein Wort.
Josuah Parker hüllte sich in Schweigen. Er verwandelte sich wieder in eine leblose Statue. Current verzichtete darauf, weitere Fragen an Parker zu richten. Aus Erfahrung wußte er, daß es sinnlos war.
»Haben Sie wirklich nichts entdeckt?« erkundigte sich Mike Rander Minuten später, als sie Current verlassen hatten.
»Vielleicht den Hauch eines Verdachts. Sir …!«
»Und in Welcher Richtung?«
»Sir, wenn Sie gestatten, würde ich der Privatklinik, in der Mr. Harrison seine Entziehungskur absolvierte, einen kurzen Besuch abstatten.«
»Was versprechen Sie sich denn davon?«.
»Ich möchte die dortige Atmosphäre studieren, Sir.«
»Also schön, studieren Sie, Parker. Ich beschäftige mich mal ausgiebig mit Mr. Glidden. Über diesen Chefbuchhalter muß doch etwas zu erfahren sein …!«
Die Privatklinik befand sich im Westen der Stadt, in der Nähe des Oakbrook York Polo Club.
Hinter der hohen Steinmauer war nur das rote Dach des Gebäudes zu sehen. Und die vielen Baumkronen des Parks. Ein schweres Gittertor versperrte den Zutritt zur Klinik. Selbst von diesem Tor aus waren der Park und das Gebäude nicht einzusehen. Eine Art spanische Wand aus Hecken und Sträuchern nahm jede Sicht.
Josuah Parker hielt sein hochbeiniges Monstrum an, stieg aus und näherte sich der Anmeldung, die in einem kleinen Pförtnerhaus untergebracht war.
Seine schwarze Melone schwenkend, beugte er sich vor das Sprechfenster.
»Mir liegt daran, den Chefarzt zu sprechen«, sagte er zum Pförtner, einem untersetzten Mann mit groben Gesichtszügen, der eine Art Privatuniform trug.
»Den Chef wollen Sie sprechen? Sind Sie angemeldet?«
»Ich komme im Auftrag der Familie Harrison.«
Parker mußte einen Moment warten. Der Pförtner telefonierte mit der Klinik. Dann stand er auf und drückte auf einen Knopf. Surrend öffnete sich das elektrisch angetriebene Tor.
»Sie können durchfahren, aber bleiben Sie auf dem Asphaltweg.«
Parker erkletterte seinen Wagen, setzte sich ans Steuer und fuhr in den Park hinein.
Er war weiträumiger, als er von außen aussah. Und sehr gepflegt. Der sattgrüne Rasen war kurzgeschoren. Nicht ein einziges Blatt Unkraut konnte der Butler entdecken. Für einen kurzen Augenblick dachte er fast wehmütig an die englischen Rasen drüben in seiner Heimat.
Vor der Klinik hielt er an, stieg aus.
Das zweistöckige Gebäude befand sich in tadelloser Verfassung. Es gab zwei Seitentrakte, allerdings waren, sie nur einstöckig. Parker fiel auf, daß alle Fenster unvergittert waren. Viele Scheiben bestanden allerdings aus Milchglas.
An der Tür wurde er bereits von einer jungen Dame in einem weißen Kittel erwartet. Sie war groß, schlank und hatte aschblondes Haar. Kluge braune Augen in dem interessanten Gesicht sahen ihn freundlich an.
»Ich bin Margy Bessers«, stellte sie sich vor, »Doktor Givons schickt mich.«
»Ich begrüße Sie«, antwortete Parker und machte einen gekonnten Kratzfuß. Elegant schwang seine schwarze Melone durch die Luft, »ich hoffe nicht zu stören.«
»Darf ich vorausgehen …?« fragte Miss Bessers. Ohne Parkers Antwort abzuwarten, ging sie zurück ins Haus. Josuah Parker genoß das sanfte Schwingen ihrer Hüften. Weiblicher Schönheit war er nicht abhold. Er schätzte alles, was harmonisch und schön war.
»Ich komme wegen Mr. Joel Harrison«, plauderte Parker, der Margy Bessers eingeholt hatte. Innerhalb weniger Sekunden verwandelte er sich in einen harmlosen älteren Mann, der kein Wässerchen trüben kann, »wie Sie vielleicht wissen, Miss Bessers, ist Mr. Harrison nach seiner Entlassung aus der Klinik verschwunden.«
»Verschwunden …?« Sie blieb vor dem Lift stehen und sah ihn erstaunt an.
»Sagen wir besser, er lehnt es ab, zurück in den Schoß seiner Familie zu kehren.«
»Das tut mir aber leid. Mr. Harrison war ein angenehmer Patient.«
»Wahrscheinlich verfiel er wieder dem Teufel Alkohol«, salbaderte Parker geschickt weiter. »Die Entwöhnungskur scheint bei ihm nicht angeschlagen zu haben.«
»Das kann ich mir aber kaum vorstellen. Als wir ihn entließen, trank er keinen Tropfen mehr. Er haßte den Alkohol.«
»Nun ja, Haß schlägt manchmal in Liebe um. Und umgekehrt.«
Parker lächelte und betrat den Lift. »Mr. Harrison kam seinerzeit freiwillig zu Ihnen, Miss Bessers?«
»Das stimmt. Viele unserer Patienten kommen freiwillig. Sie verstehen, Doktor Givons’ Klinik ist exklusiv. Wir nehmen nicht jeden Patienten auf.«
»Ich ließ mir sagen, daß Sie fast immer voll belegt sind.«
»Das stimmt, Mister Parker. Wir machen die traurige Erfahrung, daß gerade wohlhabende Leute schnell dem Alkohol verfallen. Es muß mit ihrer inneren Langweile Zusammenhängen.«
Oben verließen sie den Lift und schritten über den Korridor. Nichts erinnerte an eine Klinik. Hier herrschte die Atmosphäre eines gepflegten Hotels. »Ich könnte mir vorstellen, daß Sie Personalschwierigkeiten haben«, fragte Parker überraschend.
»Wie kommen Sie darauf?« wunderte sich Miss Bessers.
»Spezialisten dieser Branche dürften rar sein, nicht wahr?«
»Wir können uns nicht beklagen, Mr. Parker. Doktor Givons arbeitet schon seit Jahren mit einem eingespielten Stammpersonal zusammen.«
»Das Personal wechselt also kaum?«
»Kaum …!« entgegnete Miss Bessers. Ihr Blick wurde aufmerksam.
Schnell sah sie Parker an. Paßten ihr diese Fragen nicht? Butler Parkier bemerkte dessen Blick, doch er reagierte nicht darauf. Hartnäckig fragte er weiter.
»Wurden in letzter Zeit irgendwelche Entlassungen oder Kündigungen vorgenommen?«
»Mr. Parker, ich verstehe nicht, was Sie mit diesen Fragen bezwecken«, antwortete Margy Bessers, »ich bin nicht befugt, darüber zu sprechen. Wenden Sie sich an den Chef.«
»Oh, ich fürchte, ich verstimmte Sie«, entschuldigte Parker sich freundlich, »halten Sie es einem alten Mann zugut, daß er zuviel plappert!«
»Ich bin keineswegs verstimmt«, behauptete Margy Bessers, »ich möchte dem Chef nur nicht vorgreifen.«
Parker bluffte in seiner bekannten Art. Er wußte nichts Konkretes, seine Fragen sollten nur Unsicherheit, zumindest aber Nachdenklichkeit hervorrufen. Ein Trick, der sich schon oft ausgezahlt hatte. In diesem Fall kam sogar noch eine bestimmte Gefühlsschwingung hinzu.
Seiner Schätzung nach mußte Joel Harrison in dieser Klinik doch einmal gründlich ausgepackt haben. Vielleicht kannte Doktor Givons den tieferen Grund für die Trinksucht Harrisons. Und dann war da noch etwas. Hatte Mrs. Gay Harrison nicht erklärt, gerade nach der Entlassung aus der Klinik habe ihr Mann mehr denn je getrunken. Als Mike Rander davon erzählte, hatte Parker insgeheim die Ohren weit aufgesperrt.
Nun war er gespannt, was er erfahren würde. Er rechnete mit jeder Überraschung …!
Butler Parker nahm langsam den Kopf herum.
Doktor Givons’ Augen blieben trüb. Er lächelte sogar. Mit einer schnellen Handbewegung tat er die spitzen und grellen Schreie ab, die selbst hier in seinem Arbeitszimmer zu hören waren.
»Nur keine Sorge«, meinte er dann zu Parker, »ein neuer Patient, dessen Entziehungskur beginnt. Solche Leute schreien oft.«
»Sehr unangenehm«, bemerkte Parker. Stocksteif saß er vor Doktor Givons, einem straffen Endvierziger, dessen glattes Gesicht wie ein undurchdringlicher Vorhang wirkte. Die kühlen, klugen Augen verbargen sich hinter spiegelnden Brillengläsern.
»Man gewöhnt sich daran«, stellte Doktor Givons fest. »Sie kommen also wegen Harrisons Verschwinden …! Tut mir leid, da werde ich Ihnen nicht helfen können.«
»Wie Mrs. Harrison behauptet, begann ihr Mann erst nach seiner Entlassung richtig zu trinken. Mißverstehen Sie mich nicht, Sir, das kann ein durchaus subjektiver Eindruck sein.«
»Er ist es …! Als wir Mr. Harrison entließen, war er entwöhnt. Ich selbst untersuchte ihn. Die Kur war ein voller Erfolg. Garantien, daß unsere Patienten nach der Entlassung grundsätzlich nicht mehr trinken, können war natürlich nicht übernehmen.«
»Ich möchte annehmen, Sir, daß Sie Ihr Personal für vollkommen zuverlässig halten.«
»Selbstverständlich. Ich arbeite mit den Pflegern schon seit Jahren zusammen.«
»Wer beschäftigte sich mit Mr. Harrison, falls diese Frage gestattet ist.«
»Moment mal, Mr. Parker.« Doktor Givons stand auf und schüttelte den Kopf. »So geht es ja nicht. Wollen Sie meiner Klinik was anhangen? Da werde ich nicht mitspielen. Was bezwecken Sie mit Ihren Fragen?«
»Ich würde mich sehr gern mal mit dem Pfleger unterhalten, der Mr. Harrison betreute. Da Sie Ihrem Personal voll vertrauen, zu Recht, wie ich ohne weiteres unterstellen möchte, können Sie nichts dagegen haben, daß ich diesem Mann einige Fragen stelle. Ich möchte natürlich nicht aufdringlich erscheinen, Sir.«
Doktor Givons preßte die Lippen zusammen. Platte er Parker eben noch für eine Witzblatterscheinung gehalten, änderte er jetzt schnell seine Meinung.
»Gut, ich habe nichts dagegen«, sagte er grimmig.
»Sie ahnen nicht, Sir, welchen Gefallen Sie mir erweisen.«
»Ja, schon gut«, wehrte Doktor Givons nervös ab. Er drückte eine Taste der Sprechanlage. »Steffens soll zu mir kommen. Sofort.«
»Ich weiß, daß ich Ihre kostbare Zeit unnötig in Anspruch nehme«, plauderte Parker inzwischen weiter, »keiner bedauert das mehr als ich.«
»Reden wir doch offen miteinander«, meinte Doktor Givons, »Sie glauben, daß in meiner Klinik einiges nicht stimmt.«
»Aber Sir …!« protestierte Parker, »nicht im Traum würde es mir einfallen, Sie oder Ihre Leute zu verdächtigen. Wenngleich ich einige Fälle kenne, in denen ungetreue Angestellte ihren Chef hintergingen.«
Bevor Doktor Givons antworten konnte, klopfte es an der Tür. Steffens trat ein. Er war mittelgroß, hatte einen leichten Bauchansatz und besaß ein gutmütiges, offenes Gesicht ohne jeden Arg. Seine hellblauen Augen verrieten Naivität.
»Das ist Steffens, er kümmerte sich um Harrison. Steffens, das ist Mr. Parker. Er möchte Ihnen einige Fragen stellen. Antworten Sie frei und offen.«
»Aber Sie brauchen doch nicht zu gehen, Sir«, erklärte Parker, obwohl Doktor Givons weiß Gott keine Anstalten machte, sein Arbeitszimmer zu verlassen. »Nur ein Mensch, der etwas zu verbergen hat, würde diese Unterhaltung an Ort und Stelle überwachen.«
Doktor Givons bekam einen roten Kopf. Er ärgerte sich schrecklich. Um sich vor Steffens keine Blöße zu geben, verließ er wütend sein eigenes Zimmer.
Das war für Parker das Zeichen, mit seinen Fragen zu beginnen. So ganz nebenbei vergewisserte er sich, daß die Sprechanlage abgestellt war. Was er Steffens zu sagen hatte, brauchte Doktor Givons nicht unbedingt zu hören …!
*
»Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, Mr. Rander«, sagte Gay Harrison burschikos, »ich habe Sie längst durchschaut. Sie glauben, daß ich Joel absichtlich an den Alkohol brachte, nicht wahr?«
»Sprach ich auch nur ein einziges Wort davon?«
»Aber Sie denken es …! Sie glauben, ich hätte mit meinem Chefbuchhalter Glidden ein Verhältnis. Lassen Sie uns die Dinge beim Namen nennen!«
»Also gut.«
»Sie sind auf dem Holzweg, Rander. Glidden ist ein guter Buchhalter. Er sieht gut aus, weiß ich alles, aber er interessiert mich nicht. Ich will Ihnen mit wenigen Worten sagen, was mit ihm los ist.«
»Vielleicht ist es gut, wenn wir uns offen aussprechen.« Mike Rander nickte und beschäftigte sich mit seinem Glas. Er saß in Gay Harrisons Büro. Irgendwo in einem anderen Büro arbeitete Glidden. Alle anderen Angestellten waren längst gegangen. Im Bürotrakt war es sehr still.
»Ich komme von ganz unten, Mr. Rander, verstehen Sie? Ich bin durch jeden Dreck gegangen, den es gibt. Ich arbeitete als Bardame, als Modell, als Kellnerin in einem Motel und als Geschäftsführerin einer Tankstelle. Ein Engel war ich bestimmt nicht. Ich wollte nach oben, jedes Mittel war mir recht.
Bis ich Joel kennenlernte.
Er war betrunken, als wir uns sahen. Er war restlos herunter, aber er hatte Geld. Glauben Sie mir, Rander, ich witterte meine ganz große Chance. Ich setzte alles auf diese Karte und schmiß mich an ihn ran, wie man so sagt.
Joel spielte überraschend schnei! mit. Wir heirateten bald. Vielleicht gefiel es ihm, daß ich sein Geld zwar schätzte, aber es nicht ausgeben wollte.
Er brauchte sich nicht besonders anzustrengen, meinen Geschäftssinn zu entwickeln. Ich scherte mich nicht darum, daß seine beiden Kinder aus erster Ehe mich ablehnten. Ich arbeitete mit ihm im Geschäft, begriff sehr schnell, um was es ging.
Machtlos nur war ich gegen seine Trinkerei. Die ließ er sich einfach nicht ausreden. Ihm war schlecht beizukommen. Während der ganzen Zeit war und blieb ich ihm eine gute Ehefrau. Ich denke nicht im Traum daran, das alles durch eine Liebelei aufs Spiel zu setzen. Da kann kommen, wer will. Ich halte die Stellung, wenn Sie so wollen, weil ich nicht zurück will in den Dreck. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Sehr deutlich«, murmelte Mike Rander.
»Mokieren Sie sich, Rander«, nahm sie ihren Faden wieder auf, »mich kann das nicht erschüttern. Mit Joels Verschwinden habe ich nichts zu tun. Im Gegenteil, er muß so schnell wie möglich wieder zurück ins Haus, sonst ruiniert er das ganze Geschäft. Das sind meine Sorgen.
Um noch mal auf Glidden zurückzukommen, Rander, er interessiert mich nur als Mitarbeiter und Chefbuchhalter. Wegen Glidden werde ich meine Ehe mit Joel niemals platzen lassen. Randy und Maud warten doch nur darauf, daß sie mir ein Bein stellen können. Ich weiß das sehr genau.«
Rander war beeindruckt Er glaubte Gay Harrison. Gerade wegen ihres ausgeprägten Geschäftssinns.
»Wie sieht es mit der Erbfolge nach Joels Tod aus?« fragte er unverblümt. Mit dieser attraktiven Frau, die kalt rechnete, konnte man Fraktur reden.
»Sagte ich Ihnen doch schon, ich würde die Alleinerbin sein, vom mütterlichen Erbteil der ersten Frau abgesehen. Rander, glauben Sie, Joel könnte etwas passieren?«
»Schwer zu sagen, wir wissen schließlich nicht, wer ihn unter Alkohol hält.«
»Sie suchen doch schon seit Tagen nach ihm. Da müssen Sie doch irgendeinen Hinweis bekommen haben.«
»Wissen Sie mit dem Namen Hostans etwas anzufangen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ihr Mann muß doch vor seinem Verschwinden einen besonders guten Freund gehabt haben, einen, mit dem er gern und oft trank.«
»Diese Freunde brachte er niemals ins Haus.«
»Sie glauben aber, daß er nach seiner Kur erst richtig trank?«
»Habe ich das gesagt?«
»So ungefähr.«
»Ich bleibe dabei, Rander. Nach seiner Rückkehr von Doktor Givons schüttete er den Alkohol förmlich in sich hinein. Tagelang war er betrunken, bis er dann plötzlich verschwand.«
»Hört sich so an, als hätte er das Trinken erst richtig in der Klinik gelernt.«
»Ich kann’s nicht beweisen.«
»Die Klinik hat einen guten Namen.«
»Na und …? Es gibt viele gute Namen, die nur hohler Schein sind.«
Mike Rander glaubte, vor der Tür zum Korridor ein Geräusch , zu hören.
Er handelte sofort, selbst auf die Gefahr hin, sich lächerlich zu machen.
Er drückte sich vom Boden ab, sprang aus dem Sessel und rannte zur Tür. Ruckartig riß er sie auf.
Er hatte sich nicht getäuscht.
Ein paar Schritte von der Tür entfernt stand Glidden. Er schien gerade erst gekommen zu sein.
»Was ist?« fragte er lächelnd.
»Nichts«, gab Mike Rander zurück. Er grinste zurück. Als er wieder vor Gay Harrison stand, stellte er zu seiner Verwunderung fest, daß Mrs. Harrisons Gesicht sich rot färbte. Sie war verlegen und ärgerlich zugleich.
»Was soll das Theater?« fragte sie endlich.
»Sehen Sie doch, Mrs. Harrison. Ihr Chefbuchhalter Glidden scheint von Ihnen etwas zu wollen.«
Glidden erschien in der noch geöffneten Tür.
»Brauchen Sie mich noch, Mrs. Harrison?« fragte er.
»Nein, Sie können gehen«, erwiderte sie scharf.
Glidden verbeugte sich, winkte Rander mit der Hand zu und verschwand hinter der Tür
Rander zündete sich eine Zigarette an und blieb stehen.
»Ich werde auch gehen«, sagte er, »vielen Dank, daß ich Sie sprechen konnte.«
»Ich weiß, was Sie denken«, meinte Gay Harrison. »Gliddens Dummheit oder Neugier lasten Sie mir an, stimmt es?«
»Kaum«, sagte Mike Rander nur. Dann ging er …!
Zu Hause angekommen, rief Mike Rander den Auftragsdienst an. So erfuhr er von einem dringenden Anruf Leutnant Currents, der erst vor knapp einer Viertelstunde erfolgte.
Umgehend ließ Rander sich im Hauptquartier mit dem Detektivleutnant verbinden.
Current war sofort am Apparat.
»Fein, daß Sie mich noch erreichen«, sagte Current hastig, »ich wollte gerade losfahren.«
»Was ist passiert?« fragte Anwalt Mike Rander.
»Vor knapp einer Stunde wurden zwei Schecks präsentiert und auch honoriert. Das geschah in einer Bank unten im Süden der Stadt, an einem Nachtschalter.«
»Wie hoch ist die Gesamtsumme?«
»Runde 8000 Dollar. Ganz hübsche Summe, wie?«
»Ist dieser Kassierer Ihnen durch die Lappen gegangen?«
»Der Bankbeamte wollte ihn hinhalten, aber der Überreicher der Schecks roch Lunte. Er hatte es plötzlich sehr eilig.«
»Hört sich nicht besonders gut an, Current.«
»Wir brauchen die Flinte nicht gleich ins Korn zu werfen, Rander. Der Mann der Bank merkte sich die Wagennummer. Die identifizierten wir inzwischen. Der Wagen des Schecküberreichers gehört einem gewissen Jeff Cardy. Geht Ihnen jetzt ein Licht auf?«
»Donnerwetter, das ist doch einer von Hostans Leuten, nicht wahr?«
»Stimmt genau. Diesem Cardy wollen wir jetzt mal auf die Finger klopfen.«
»Falls er noch unter der Registrieradresse zu finden ist.«
»Darauf lasse ich es ankommen. Wollen Sie mitkommen, Rander?«
»Klar, ich fahre sofort los. Wo treffen wir uns?«
»In Cicero, Rander. Hier ist die genaue Adresse: Laramie-Street, 1326. Laut Registrierkarte muß Cardy dort wohnen.«
Mike Rander ließ den Hörer in die Gabel fallen, holte seinen 38er aus der Schreibtischlade und verließ sofort wieder die Wohnung. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, an Currents Seite gegen diesen Gangster anzugehen.
Obwohl er sich sehr beeilte, traf er erst nach Leutnant Current in der Laramie-Street ein.
Auf den ersten Blick sah er, was passiert war.
Hinter Currents zivil aussehendem Wagen standen zwei Autos der Mordkommission. Das besagte eigentlich genug.
Der uniformierte Beamte neben der Haustür wollte ihn zuerst nicht hereinlassen. Als er Randers Namen hörte, gab er allerdings den Weg frei.
»Wo ist es passiert?« erkundigte sich Rander.
»Unter dem Dach, Sir«, antwortete der Beamte.
»Hat’s ’ne Schießerei gegeben?«
»Nee, der war schon weg, als Current kam, Sir.«
Der Beamte nickte nur.
»Momentchen mal, Cardy wurde ermordet?«
Im Treppenhaus roch es nach feuchter Tapete, nach Moder und nach Toilette.
Mike Rander beeilte sich, nach oben zu kommen. Vor dem letzten Treppenabsatz ging’s kaum weiter. Bildberichter und Pressereporter belagerten den Zugang zu der Mansardenwohnung, in der Jeff Cardy tot aufgefunden worden war. Nur mühsam boxte Mike Rander sich einen Weg durch die nachrichtenhungrige Meute.
Current kam ihm entgegen.
»Zu spät«, sagte er bedauernd, »als mein Assistent und ich ankamen, war er bereits tot. Erschossen …! Zwei Treffer in der Brust warfen ihn sofort um.«
»Und die 8000 Dollar dürften verschwunden sein, wie?«
»Natürlich, in Cardys Tasche fanden wir noch Silbergeld, alles andere nahm der Mörder an sich.«
»Ob Hostans das getan hat?« gab der Anwalt zu überlegen.
»Vorerst nicht zu beweisen, Rander. Im Moment ist das auch nicht so wichtig. Für mich steht es jetzt fest, daß Joel Harrison von ganz ausgekochten Gangstern festgehalten wird. Beide Schecks trugen seine Unterschrift.«
»Warum mag der Boß der Gang Cardy umgebracht haben? Ob er alle Brücken hinter sich abbrechen will?«
»Dann sehe ich schwarz für Joel Harrison. Dann wird er nicht mehr lange leben.«
»Eine Gegenfrage, Current. Muß er überhaupt noch leben?«
Current sah den Anwalt überrascht an.
»Na hören Sie mal«, sagte er dann, »vergessen Sie nicht die Schecks mit seiner Unterschrift.«
»Na und …? Die kann Harrison lange vor seiner Ermordung am laufenden Band ausgestellt haben.«
Jetzt verstand Current. Er nickte langsam.
»Für Joel Harrisons Leben gebe ich keinen Pfifferling mehr«, meinte er dann müde.
*
Noch lebte Joel Harrison.
Er hatte unerträgliche Kopfschmerzen, lag auf dem einfachen Bett und stierte zur Decke hoch.
Seit Stunden hatte er nichts mehr getrunken. Der Alkoholspiegel in seinem Blut sank zusehends. Die Nebel in seinem Gehirn lichteten sich etwas. Damit stellten sich die Schmerzen im Kopf ein, gleichzeitig aber war Harrison endlich mal in der Lage, eigene Gedanken zu fassen.
Nachträglich ärgerte er sich darüber, das Scheckheft verdorben zu haben. An Einzelheiten konnte er sich jedoch nicht erinnern. Wie es dazu gekommen war, wußte er einfach nicht
Trocken war sein Mund, rissig die Lippen.
Seine Gedanken, Wünsche und Vorstellungen kreisten um den heißersehnten Whisky, den Downers ihm mitbringen wollte. Er ließ lange auf sich warten.
Unten im Haus war das Klappen einer Tür zu hören.
Hoffnungsvoll richtete er sich auf.
Damit verstärkten sich die Schmerzen in seinem Kopf. Er hielt sich die Schläfen, ließ sich schnell wieder zurücksinken und schloß die brennenden Augen.
Nur sein Gehör funktionierte ohne Schwierigkeiten. Er wartete auf das Knarren der hölzernen Treppenstufen. Gleich mußte Chris Downers das Zimmer betreten und die Flasche Whisky auf den Nachttisch stellen.
Doch Downers erschien nicht. Im Haus wurde es wieder still. Da verlor Harrison die Geduld. Seine Gier nach Whisky war zu groß, um still auf dem Bett liegen zu bleiben.
Mühsam stand er auf. Er schwankte, als er neben dem Bett stand. Der Mann mußte sich am Bettpfosten festhalten, so schwach waren seine Beine.
Die Gier nach der Flasche trieb ihn voran.
Ich brauche nur die Treppe runterzugehen, sagte er sich, unten ist Whisky, ich weiß es ganz genau. Sie haben mich hier oben glatt vergessen, diese Schweine. Sie saufen das Zeug selbst aus und lassen mich glatt verkommen.
Ihm wurde überhaupt nicht bewußt, daß er die Tür erreichte, es schaffte, an die Treppe zu kommen. Sich am Geländer festhaltend, stieg er Stufe für Stufe mühsam nach unten.
Er glich einem alten, restlos verbrauchten Mann. Keuchend ging sein Atem. Unterwegs mußte er wiederholt stehenbleiben, wenn das Gleichgewichtsgefühl zu stark aus der Reihe tanzte.
Noch stand er auf der Treppe.
Da öffnete sich die Tür zur Küche.
Helen Napers, die üppige Blondine, trat ins Treppenhaus, sah mit einem Blick, daß Harrison das Zimmer verlassen hatte.
»Bist du wahnsinnig?« herrschte sie ihn an, »los, zurück in dein Zimmer, Joe. Willst du erwischt werden?«
»Whisky …!« murmelte Harrison bittend.
»Chris ist noch nicht zurück«, erwiderte sie scharf. »Verschwinde endlich, oder willst du zurück in die Privatklinik?«
»Da hab’ ich wenigstens regelmäßig was bekommen.« Eigensinnig blieb er stehen.
»Ich werde Chris sagen, daß du schon wieder das Zimmer verlassen hast.«
»Ich brauch ja nur ’nen winzig kleinen Schluck, Helen. Irgendwo muß doch was sein …!«
»Du gehst mir auf die Nerven …! Warte, ich hol dir ein Glas.«
Harrison war so schwach, daß er sich setzen mußte. Kurz danach kam sie mit einem gefüllten Glas zu ihm.
Ihr Benehmen ihm gegenüber hatte sich schlagartig verändert. Sie lächelte. Die scharfen Linien um ihren Mund waren verschwunden.
»Ich weiß«, sagte sie, »daß Chris dich schlecht behandelt.«
Er nickte, setzte das Glas wie ein Verdurstender an die Lippen. Es dauerte nur Sekunden, bis das Glas leer war.
»Hier, ich habe noch einen Schluck«, meinte sie. Freigiebig goß sie Harrison noch mal ein. Sie lehnte sich gegen die Wand des engen Treppenhauses und lächelte Joel Harrison an.
»Warum bleibst du eigentlich bei Chris?« fragte sie.
»Wo soll ich denn hin?« gab er zurück. Seine Zunge verlor langsam die Schwere, der Schnaps breitete sich bereits in seinem Blut aus. »Ich will nicht entmündigt werden.«
»Das schaffst du auch ohne Chris.«
»Wie denn …?« fragte er und entriß ihr das leere Glas.
»Hast du schon mal daran gedacht, Joel, daß wir beide auch allein durchkommen können?«
»Du mit mir, Helen?«
Erstaunt sah er sie an. Auf diesen Gedanken war er noch nicht gekommen.
»Warum eigentlich nicht?« bohrte sie vorsichtig weiter. »Hauptsache, wir können uns über Wasser halten.«
»Würdest du das tun?«
»Natürlich …! Merkst du denn nicht, daß Downers dich ausnimmt?«
»Ich … ich weiß nicht …!«
»Ich weiß es, das genügt. Wir beide würden uns viel besser verstehen. Wir könnten zu meiner Tante fahren. Sie wohnt irgendwo bei Flint. Da findet dich kein Mensch, dort hast du deine Ruhe, brauchst dich nicht herumstoßen zu lassen. Hauptsache, wir können es uns leisten und brauchen vor deiner Frau keinen Kniefall zu tun.«
»Ich habe Geld, viel Geld.«
»Stimmt, aber du wirst im Moment nicht an einen einzigen Cent kommen können.«
»Das Scheckbuch, ich weiß …!«
»Chris ist unterwegs, um ein neues zu holen.«
»Er wird uns doch nie Weggehen lassen, Helen.«
Nachdem Harrison seine Dosis getrunken hatte, redete er fließend. Fast zu schnell. Das Heroin im Schnaps tat seine Wirkung. Schmerzen im Schädel hatte er nicht mehr. Er fühlte sich leicht und frei wie ein Vogel in der Luft.
»Sollen wir’s riskieren?« fragte sie und lächelte aufmunternd. »Wir müssen aber erst warten, bis Chris mit dem Scheckbuch da ist.«
»Brauchen wir nicht, Helen.«
»Und das Geld?«
»Ich habe da noch ein Sonderkonto, von dem er nichts weiß. Fällt mir jetzt ein.«
»Ein Sonderkonto …«, staunte sie.
»180 000 Dollar«, sagte er stolz.
»Kannst du an das Geld?« wollte sie wissen. Ihre Augen glänzten gierig.
»Natürlich …!«
»Komm jetzt«, sagte sie und half ihm hoch, »mein Wagen steht hinter dem Haus. Wir wollen sofort losfahren.«
Schwerfällig stolperte er die restlichen Stufen hinunter, ließ sich wie ein kleines Kind durch die Küche führen. Sie drückte die Außentür auf.
Im Hof war der Wagen zu erkennen.
Hier draußen war es recht dunkel. Harrison stolperte, als er eine Stufe übersah. Helen Napers war nicht in der Lage, ihn zu halten.
Sie beugte sich über den Mann, der stöhnend auf dem harten Lehmboden lag. Sie wollte noch etwas sagen, doch in diesem Moment spürte sie einen Luftzug am Kopf, dann explodierte eine Sprengladung hinter ihren Augen. Sie sah grelle Blitze, spürte aber schon nichts mehr. Schwer fiel sie über Harrison, der überhaupt nicht begriff, daß Helen Napers erschlagen worden war …!
*
Als Mike Rander nach Hause kam, wollte Josuah Parker mit aller gebührenden Diskretion seinem Herrn beibringen, daß er eine wichtige Entdeckung gemacht habe.
Schon nach den ersten Worten winkte Rander ab.
»Ihre Nachricht kommt zu spät, Parker«, meinte er, »Cardy ist erschossen worden. Er wird uns nicht mehr helfen können.«
»Vielleicht doch, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Cardy arbeitete vor seiner Anstellung bei Hostans als Fahrer in der Privatklinik des Doktor Givons.«
»Das ist mir allerdings neu, Parker.« Mike Rander rieb sich das Kinn. Diese Nachricht überraschte ihn.
»In der Klinik, Sir, in der Mr. Harrison vom Alkohol entwöhnt wurde.«
»Haben Sie sich Doc Givons genau angesehen?«
»Ich war so frei, Sir.«
»Er und seine Sekretärin Miss Bessers sind nicht sonderlich erbaut darüber, daß ich Fragen stellte.«
»Liegt ein konkreter Verdacht gegen sie vor?«
»Nein, Sir, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Ich unterhielt mich darüber hinaus noch mit einem Mr. Steffens. Er ist Pfleger in der Klinik und betreute seinerzeit Mr. Harrison.«
»Geht dieser Mann in Ordnung?«
»Er machte einen recht guten Eindruck auf mich, Sir. Er kann sich noch genau an Cardy erinnern.«
»Warum mußte Cardy gehen?«
»Jeff Cardy wurde dabei ertappt, so drückte dieser Steffens sich aus, Sir, als er Alkoholika und Rauchwaren in die Klinik und in die Zimmer einiger Patienten schmuggelte. Daraufhin entließ ihn Doktor Givons.«
»Trafen Cardy und Harrison je zusammen?«
»Nein, Sir, Cardy wurde weit vor Mr. Harrisons Einlieferung in die Klinik entlassen.«
»Was konnten Sie denn sonst noch ausgraben, Parker? Cardy wird uns nicht mehr weiterhelfen können.«
»Weiß man, Sir, wer Cardy ermordete? Legen Sie meine Frage bitte nicht als Anmaßung oder Unbescheidenheit aus.«
»Zum Teufel, Sie wissen genau, daß ich das nicht tue, Parker. Tja, wer ist der Mörder Cardys? Das ist die Preisfrage …! Er kassierte vor seiner Ermordung noch zwei Schecks ab, die Harrison ausgestellt hatte. Cardy gehörte demnach einwandfrei zu den Gangstern, die Harrison festhalten und ausnehmen. Daran gibt’s nichts mehr zu zweifeln.«
»Als seine Mörder kämen demnach entweder Hostans oder der Boß der Gang in Betracht, Sir. Falls beide Personen nicht miteinander identisch sind.«
»Eben, soweit sind Current und ich auch schon gekommen. Hören Sie, Parker, daß Cardy mal in Givons Klinik arbeitete, ist recht aufschlußreich. Ob die Klinik nicht doch der Ausgangspunkt ist?«
»Sir, zur Zeit sehe ich keine Möglichkeit, das zu beweisen«, entgegnete Josuah Parker. Er sprach sichtlich schnell, was sonst nicht seine Art war. Wollte er etwas vertuschen? Mike Rander wurde das Gefühl nicht los, daß er dicht vor der Lösung des Falles stand, daß Parker bereits mehr wußte als er.
»Sagen Sie, Parker«, schloß Rander die Unterhaltung. »Sie verschweigen mir doch nichts, oder?«
»Sir«, kam die treuherzige Antwort Parkers, »ich weiß nicht mehr als Sie, was Sie mir bitte nicht als Unbescheidenheit auslegen sollten.«
»Was planen Sie für morgen, Parker?«
»Ich werde mir noch etwas die Beine vertreten«, meinte Parker, »falls Sie mich nicht brauchen, Sir, würde ich gern sofort gehen.«
»Wollen Sie wieder mal auf eigene Faust einen Fall lösen?«
»Ich bedanke mich für Ihre Erlaubnis und für das gezeigte Entgegenkommen«, sagte Parker, ohne Randers Frage zu beantworten. Dann verließ er auf leisen Sohlen das Arbeitszimmer und traf Vorbereitungen für seinen nächtlichen Ausflug …!
Butler Parker war bereits seit einer Stunde gegangen, als Anwalt Rander angerufen wurde.
Leutnant Current war in der Leitung. Seine Stimme klang scharf und kalt wie immer.
»Ist was passiert?« fragte Anwalt Rander und dachte im gleichen Moment voller Sorge an seinen Butler. Er wußte ja aus Erfahrung, wie riskant der Butler arbeitete.
»Keine Sorge, was mit Ihrem Parker los ist, weiß ich nicht. Dafür stöberten wir das Versteck von Harrison auf, Rander. Ja, ich hole Sie an der Wohnung ab. Nein, nein, Zeit verlieren wir nicht, denn Harrison ist längst weg. Nur eine Frauenleiche blieb zurück. Und leere Flaschen. Bis gleich …!«
Mike Rander warf sich nur einen leichten Mantel über und verließ die Wohnung. Leider hatte Current sich nicht deutlich genug ausgedrückt. Welche Frau mochte da ermordet worden sein? Unwillkürlich dachte er an Mrs. Harrison. Ob ihr etwas passiert war?
Schon nach wenigen Minuten näherte sich ein Wagen in schneller Fahrt dem Haus. Current hielt nur kurz an, noch im Ausrollen des Wagens stieg Mike Rander zu ihm und sah den Detektivleutnant fragend an.
»Wir wurden von Nachbarn alarmiert«, rückte Current sofort mit der Sprache heraus, »der Tatort liegt in der Nähe der Union Stock-Yards.«
»Wissen Sie schon, was passiert ist?«
»Nur vom Hörensagen. Das zuständige Revier leitete die Meldung an mich weiter. Ein Wagen kollidierte mit einem Torpfosten, das gab einen ziemlichen Krach. Die Polizei wurde verständigt, fuhr raus und fand auf dem Hof eine tote Frau. Als sie das Haus durchsuchten, stießen sie auf leere Whiskyflaschen und fanden in einem Dachzimmer ein Scheckheft, das von einem Kind vollgeschmiert worden zu sein schien.«
»Dieses Kind heißt Joel Harrison, wie?«
»Genau …! Gut, daß ich die zuständigen Kollegen der Reviere unter der Hand verständigte. So wußten sie wenigstens etwas mit dem Namen Harrison anzufangen.«
»Na, ich lasse mich überraschen«, meinte Rander. »Sieht so aus, als müßte Harrison noch leben.«
»Richtig, sonst hätte der Mörder der Frau ihn gleich mit umgebracht. Bleibt natürlich alles Spekulation, Rander. Was wirklich vorgefallen ist, könnte uns nur der Mörder sagen.«
Leutnant Current fuhr scharf und schnell. Da die Straßen um diese Zeit recht leer waren, konnte er auf das Tempo drücken. Immerhin brauchten sie mehr als eine halbe Stunde, bis sie das Gebiet der riesigen Schlachthöfe erreichten
Vor einem windschiefen, verlotterten Holzhaus parkten zwei Streifenwagen der Polizei, ein Krankenwagen und der Spezialwagen der zuständigen Mordkommission.
Current und Mike Rander sahen sich zuerst die ermordete Frau an. Sie war bereits vermessen, fotografiert und erkennungsdienstlich behandelt worden, wie es in der Fachsprache so kalt heißt. »Tut mir leid, mit diesem Gesicht weiß ich nichts anzufangen«, erklärte Mike Rander nach einem kurzen Blick auf die Tote. »Noch nie gesehen.«
»Mir geht’s auch so …!« stellte Leutnant Current fest. Er wandte sich an einen Detektivsergeanten. »Von mir aus könnt ihr sie wegschaffen lassen. Wo befindet sich das Scheckheft?«
Nun, es lag auf einem Tisch. Die Beamten hatten es aus dem Dachzimmer nach unten geholt.
»Tatsächlich, das ist Harrisons Unterschrift«, meinte Rander, nachdem er sich die vollgekritzelten Schecks ansah. »Entweder versuchte er sich in Unterschriften oder er war nicht ganz richtig im Kopf, als er die Vordrucke ausfüllen wollte.«
»Gehen wir nach oben, sehen Sie sich mal die vielen leeren Flaschen an«, schlug Current vor, »ein Wunder, daß Harrison noch nicht an Alkoholvergiftung gestorben ist.«
In der Dachkammer stellten Spurensicherer die Fingerabdrücke fest. Die leeren Flaschen boten sich dazu förmlich an. Mike Rander, der sich eine Zigarette angezündet hatte, blieb an der Tür stehen.
Er dachte an Joel Harrison, aber auch an Josuah Parker. Ob sein Butler bereits auf der richtigen Spur war? Ob er von diesem Holzhaus wußte, in dem Joel Harrison festgehalten worden war?
Current wurde abgerufen.
Unten im Treppenhaus unterhielt er sich mit einem Zivilbeamten, der einen Gegenstand aus seinem Taschentuch wickelte. Current starrte auf dieses Beweisstück.
Langsam drehte er sich um, rief Rander an.
»Kommen Sie runter«, bat er mit lauter Stimme. »Das hier wird Sie bestimmt interessieren.«
»Haben Sie was gefunden?«
Mike Rander stieg nach unten. Current öffnete die Hand und grinste dünn.
»Was sagen Sie dazu?« fragte er.
»Betrachten Sie sich mal den Schlüsselanhänger.«
Mike Rander legte den Kopf schief, um besser buchstabieren zu können.
»Verdammt«, erwiderte er langsam und nahm den Kopf wieder gerade. »Die Gravur auf dem Schlüsselschildchen lautet auf die Firma Harrison. Joel wird ihn verloren haben.«
»Nicht Joel … Sehen Sie genauer hin, Rander.«
Der Anwalt las noch mal, stutzte. Dann verfinsterte sich sein Gesicht.
»Mrs. Harrison«, wiederholte er die Gravur auf dem schmalen Schlüsselschildchen. »Na, jetzt möchte ich nicht in der Haut von Gay Harrison stecken!«
»Kommen Sie mit, Rander?«
»Selbstverständlich. Sie wollen Sie unter Mordverdacht verhaften, wie?«
»Zumindest habe ich ihr einige verdammt unangenehme Fragen zu stellen, Rander …!«
Chris Downers, der Mann, der Joel Harrison festgehalten und unter Alkohol gesetzt hatte, saß in einer Kneipe und prüfte die allgemeine Lage.
Noch nachträglich wurde ihm heiß unter der Jacke. Um ein Haar wäre er der Polizei genau in die Arme gelaufen, als er zurück ins Holzhaus wollte.
Inzwischen wußte er mehr.
Was sich zugetragen hatte, war bis zu den neugierigen Menschen, also auch bis zu ihm, durchgesickert. Ira Hof des Holzhauses hatte die Polizei eine weibliche Leiche gefunden.
Er hatte sie nicht sehen können, konnte sich aber vorstellen, daß Helen Napers die Tote war.
Nun grübelte er darüber nach, was wohl passiert sein mochte.
Kann sein, sagte er sich, daß Harrison durchdrehte und sie umbrachte. Aber besitzt er überhaupt noch die Energie, solch eine Tat zu begehen? Kaum möglich …!
Wenn Joel Harrison es aber nicht war, wer kommt dann als Mörder in Betracht?
Blieb nur der Boß, für den er seit langer Zeit arbeitete. Der Boß mochte sich eingeschaltet haben. Hatte er Joel Harrison gleich mitgenommen? Warum mag er das getan haben?
Chris Downers kannte den Boß.
Noch wußte er nicht genau, ob er ihn anrufen sollte. Downers war vorsichtig und gerissen. Er hatte nicht die geringste Lust, seiner Freundin Helen in den Tod zu folgen.
Nach einem weiteren Whisky kam er zu einem Entschluß.
Ich werde zum Boß hinausfahren, überlegte er, aber ich pfeife ihm was und melde mich nicht vorher telefonisch an. Überraschend tauche ich bei ihm auf und rede mal deutlich mit ihm. Wenn er mich reinlegen will, muß er verdammt schnell sein. Lind ab sofort wird er auch mehr Geld spucken müssen, sonst lege ich ihm mal gründlich die Daumenschrauben an.
Downers zahlte, verließ die Bar und setzte sich in seinen Wagen.
Vielleicht war es sein Fehler, daß er die Lage zu harmlos beurteilte und sich für zu clever hielt …!
*
Josuah Parker schritt durch die Dunkelheit.
Sein Ziel war die hohe Mauer der Privatklinik des Doktor Givons. Ihr wollte er einen überraschenden und heimlichen Besuch abstatten. Bestimmte Verdachtsmomente warteten auf die Klärung. Dieser Besuch sollte dazu dienen.
Als er die Mauer erreicht hatte, entfaltete Parker eine äußerst zielstrebige Tätigkeit.
Zuerst einmal beschäftigte er sich mit seinem Universal-Regenschirm. Er schraubte den Schirmgriff aus dem Gewinde und löste ihn vom Stock.
Heraus rollte eine dünne, aber ungemein starke Nylonschnur, die am Griff befestigt war. Mit einer geschickten Wurfbewegung schickte er diesen jetzt lockeren Griff auf die Reise. Elegant segelte er durch die Luft und legte sich als eine Art Mauerhaken über die Krone der Steinmauer.
Alles Weitere war eine reine Spielerei.
Die Nylonschnur als Kletterseil benutzend, enterte der Butler die Mauer. Es verstand sich am Rande, daß er selbst während dieser Kletterpartie nichts von seiner Steifheit und angemessenen Würde verlor. Es war überhaupt ein Wunder, wie schnell und geschickt er dennoch die Mauer erstieg. Eine Kraftanstrengung sah man dem Butler nicht an.
Dieses Spiel wiederholte sich auf der anderen Seite noch mal. Nach der Landung auf dem Rasen verstaute Parker sein Kletterseil wieder im Schirmstock, schraubte den Griff auf und lustwandelte durch den weiträumigen, stillen Park.
Erleuchtete Fenster schimmerten durch das Gesträuch. Alles hier machte einen friedlichen und unverdächtigen Eindruck. Josuah Parker schlug einen weiten Bogen. Er wollte sich die beiden Seitentrakte ansehen.
Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen.
Er hatte ein feines, scharrendes Geräusch gehört.
Ganz automatisch fiel seine Hand in eine der Innentaschen seines schwarzen Covercoats. Sekunden danach baute sich vor ihm ein dunkler Schatten auf. Gereiztes Knurren deutete an, daß es sich um eine schwere und große Dogge handelte.
Das Her nahm Maß.
Josuah Parker ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Wenn er den Kriegspfad beschritt, war er für jeden Zwischenfall gewappnet. Auch jetzt und hier.
Bevor das schwere und gereizte Tier ihn anspringen konnte, drückte der Butler auf den Knopf der mitgebrachten Sprühdose. Mit feinem Zischen trieb das Druckgas eine übelriechende Flüssigkeit aus der Düse.
Die Dogge nieste, hustete und kratzte sich mit der Pfote die Nase.
Parker versprühte eine zweite Dosis.
Die aber reichte vollkommen aus, um das Tier außer Gefecht zu setzen.
Die Dogge setzte sich, wischte sich die Augen, hustete und kratzte sich leicht verlegen. Sie vergaß zu knurren, als Parker weiterging, als habe sich nichts ereignet. Wehmütig sah die Dogge ihm nach. Anderweitig beschäftigt, vergaß sie, den Eindringling nach Art der Sippe zu behandeln.
Der Butler erreichte den rechten Seitentrakt.
Vor einer Gartentür blieb er einen Moment stehen. Erfreulicherweise war die Tür unverschlossen, er brauchte also nur einzutreten. Im letzten Moment konnte er sich an die dunkle Hauswand flüchten.
Schritte näherten sich schnell und energisch.
Rechts von ihm befand sich der hohe lange Zaun des Clubgeländes, hinter dem dichte Hecken und Büsche standen. An einem freien Platz vor dem Clubgebäude schlossen sich kleine Holzhäuser an. Hier sah alles wie eine gepflegte Parklandschaft aus.
Weiße Kittel schälten sich aus der Dunkelheit. Er hörte Stimmen, die wohl bewußt gedämpft klangen.
Parker kannte diese Stimmen.
Sie gehörten Doktor Givons und seiner Sekretärin Margy Bessers. Ein erfreulicher Zufall, daß diese beiden Personen ausgerechnet jetzt erschienen.
»Wir haben uns nichts vorzuwerfen«, sagte Doktor Givons gerade. »Was getan werden mußte, geschah.«
»Ich weiß, Paul«, erwiderte die Sekretärin. »Aber du weißt doch, wie schnell man einem Menschen einen Strick drehen kann. An deiner Stelle wäre ich vorsichtig.«
Sie verschwanden im Haus.
Josuah Parker Wartete einen Moment und schlüpfte dann auch ins Haus.
Unhörbar waren seine Schritte. Wie ein schwarzes Gespenst schwebte er durch den langen Korridor, auf dem nur zwei Notlichter brannten.
Er sah gerade noch, wie Givons und Miss Bessers ein Zimmer betraten und die Tür hinter sich verschlossen.
*
Downers erreichte den Oakbrook York Polo Club.
Hier in der Nähe wohnte der Mann, der sein Boß war, dem er jetzt allerdings die Pistole auf die Brust setzen wollte.
Bevor er losging, untersuchte er seinen 38er. Er war fest entschlossen sofort zu schießen, falls der Boß ihn überlisten wollte.
Weit hatte Downers nicht zu gehen.
Nach wenigen Minuten bog er in eine stille Seitenstraße ein. Zu beiden Seiten dieser Straße standen abgestellte und parkende Wagen. Nur wenige Fenster zeigten u diese Zeit noch Licht.
Da war auch schon das Haus.
Im Erdgeschoß brannte Licht.
Vor der Garage stand ein Buick.
Downers stieg über die niedrige Hecke, pirschte sich an das Haus heran und versuchte durch das Fenster zu sehen. Dichte Vorhänge nahmen jede Sicht.
Er klopfte vorsichtig gegen die Fensterscheibe.
Er hörte Schritte, vernahm das Knarren von Dielenbrettern. Der dichte Vorhang wurde zur Seite geschoben, Downers brachte sein Gesicht nahe an die Scheibe heran, damit der Boß ihn erkennen konnte.
Der Mann hinter der Scheibe lächelte, nickte. Dann fiel der Vorhang wieder herunter.
Jetzt bediente sich Downers eines raffinierten Tricks.
Während der Boß zur Tür ging, also auch seine Vorbereitungen treffen konnte, rannte Downers um das Haus herum und fand ein halb geöffnetes Fenster.
Das paßte ihm ausgezeichnet in den Kram.
Schnell stieg er ein.
Er befand sich bereits im Wohnraum, als der Boß von der Tür zurückkam.
»Was soll das alles?« fragte der Mann.
»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, gab Downers zurück. »Ich habe keine Lust, wie Helen zu enden.«
»Wie Helen …? Was ist mit ihr?«
»Stell’ dich doch nicht so an …! Du weißt genau, daß sie tot ist.«
»Sie ist …?«
»… von dir umgebracht worden«, sagte Downers nachdrücklich. »Mich kannst du nicht hinters Licht führen. Ich weiß auch, daß du Harrison abgeschleppt hast. Aber so lasse ich mich nicht abspeisen, mein Junge.«
»Du bist verrückt …!«
»Vielleicht, aber dabei fühle ich mich verdammt wohl. Versuche nicht, mich reinzulegen.«
»Unsinn. Du solltest mir genau erzählen, was mit Helen und Harrison los ist. Ich falle aus allen Wolken.«
Mißtrauisch sah Downers seinen Chef an, wunderte sich wieder einmal, wie harmlos und gerissen dieser Mann wirkte. Ihm traute man gewiß nichts Schlimmes zu.
»Na schön«, meinte Downers, »vielleicht weißt du wirklich von nichts. Momentchen, erst brauche ich einen Schluck.«
»Hinter dir stehen die Flaschen«, sagte der Boß.
Downers trat einen Schritt zurück. Ohne seinen Chef aus den Augen zu lassen, füllte er sich ein Glas. Den gezogenen 38er ließ er dabei nicht sinken.
Hastig nahm Downers einen Schluck. Seine anfängliche Furcht vor dem Boß legte sich.
Bis er plötzlich schwankte und ihm der Schweiß ausbrach …
Er merkte gar nicht, daß sich der 38er senkte. Schwer rutschte Downers in einen Sessel. Er keuchte, Sehstörungen stellten sich ein.
Der Boß trat vor Downers, nahm ihm die Waffe aus der Hand.
»Du Idiot …!« grinste er dann hämisch, »ich wußte, daß du früher oder später kommen würdest. Deshalb präparierte ich jede Flasche. Ich kenne doch deinen Durst. Du bist prompt auf diesen Trick hereingefallen. In ein paar Minuten lebst du nicht mehr, Downers. Damit ist der letzte Mitwisser ausgeschaltet.
Und was Harrison angeht, nun, den werde ich noch mal gründlich ausnehmen und dann ebenfalls verschwinden lassen. Dann hab ich’s geschafft und kann mich zur Ruhe setzen.«
Downers Gesichtszüge wurden schlaff. Sein Kopf fiel zurück, er sackte in sich zusammen.
Der Boß lächelte sanft und sah auf Downers hinunter. Seine Rechnung ging Stück für Stück auf …!
*
»So, gleich wissen wir mehr«, sagte Current. Mike Rander nickte. Sie stiegen aus dem Wagen, gingen durch den gepflegten Vorgarten und läuteten an der Tür.
Es dauerte einige Zeit, bis das Hausmädchen erschien.
»Wir müssen Mrs. Harrison sprechen«, sagte Current.
»Mrs. Harrison ist weggefahren«, antwortete das Mädchen, »kann ich etwas ausrichten?«
»Wissen Sie, wohin Mrs. Harrison fuhr?«
»Sie wurde von Mr. Glidden abgeholt, Sir.«
»Was ist denn los?« mischte sich eine andere Stimme in die Unterhaltung. Ein junger Schlaks von einem Mann mit arroganten Gesichtszügen erschien in der Tür. Harrison, wie er sich vorstellte. »Sie suchen meine verehrte Stiefmutter? Da haben Sie Pech. Sie ließ sich von Ihrem Chefbuchhalter abholen, verstehen Sie? Ich wette, sie machen wieder Überstunden.«
»Kommt das häufig vor?«
»He, was geht Sie das an?« fragte Randy Harrison überheblich.
»Ich bin Leutnant Current von der Zentralen Mordkommission!«
»Aha, ist meiner Stiefmutter was passiert?«
Rander zuckte es in der Hand, kurz und knapp zuzuschlagen. Der junge Mann benahm sich einfach unmöglich. Current hielt sich zurück.
»Sie wissen also nicht genau, wohin Mrs. Harrison fuhr?«
»Sehen Sie doch mal in Gliddens Wohnung nach«, kam die gemeine und anspielende Antwort.
Current und Rander ließen sich die Adresse geben. Als sie zurück zum Wagen eilten, meinte Current: »Diesem Bengel möchte ich mal die Flötentöne beibringen, Rander. Was glauben Sie, werden wir Mrs. Harrison bei Glidden finden?«
»Ich lege mich nicht fest. Meiner Schätzung nach nicht …!«
Rander behielt recht.
Sie klingelten an Gliddens Wohnung, die sich ganz in der Nähe befand. Doch Glidden war nicht zu Hause. Wohin mochte er mit seiner Chefin Mrs. Harrison gefahren sein?
*
»Die Sache kommt mir sehr unheimlich vor, Mrs. Harrison«, sagte Clark Glidden.
Er blieb in der Diele des Hauses stehen, sah sich nach allen Seiten um.
»Sind Sie sicher, Clark, daß das hier die richtige Adresse ist?« fragte Mrs. Harrison.
»Natürlich, ein Irrtum ist ausgeschlossen. Hierher sollten wir kommen und Harrison finden.«
»Ich schlage vor, wir durchsuchen mal die Zimmer«, antwortete Gay Harrison energisch.
»Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir in einer Falle sitzen.«
»Wir werden eben vorsichtig sein müssen, Clark. Kommen Sie, wir wollen es schnell hinter uns bringen.«
Sie fuhren beide herum, als hinter ihnen eine Tür ins Schloß fiel. Ein Mann stand vor ihnen. In der Hand hielt er einen schweren Revolver.
»Auch meine Meinung, wir wollen es schnell hinter uns bringen«, sagte er sanft und höflich. »Schön, daß Sie gekommen sind, Mrs. Harrison.«
»Wer sind Sie …? Was soll das? Moment mal, ich glaube, Ihr Gesicht habe ich schon mal gesehen. Sind Sie nicht …?«
»Wer ich bin, ist jetzt gleichgültig«, unterbrach der Boß der Gang sie. »Sie sitzen tatsächlich in einer Falle.«
»Ist mein Mann hier im Haus?« fragte Gay Harrison mit erstaunlich ruhiger Stimme.
»Natürlich. Und Sie, Mrs. Harrison, werden ihn umbringen! Ihr Begleiter wird Ihnen dabei helfen. Vor Gericht wird sich das später sehr nett machen. Die Firmenchefin ermordet zusammen mit ihrem Freund und Chefbuchhalter den eigentlichen Besitzer des Geschäfts. Die unlauteren Motive drängen sich förmlich auf, zumal Ihre Stiefkinder, Mrs. Harrison, doch nur darauf warten, Ihnen ein Bein zu stellen.«
»Wer hat das alles ausgeheckt? Etwa Randy Harrison?«
»Trauen Sie ihm so etwas zu?« fragte der Boß lächelnd.
»Natürlich …! Er scheint überhaupt hinter diesem Komplett gegen meinen Mann zu stecken.«
»Vielleicht stimmt’s, aber das kann Sie jetzt nicht mehr interessieren. Wir wollen es möglichst schnell hinter uns bringen, wie Sie sagten, Mrs. Harrison.«
Glidden hatte bisher nichts gesagt.
Jetzt spannte er seine Muskeln. Er dachte nicht daran, sich in diese Falle bringen zu lassen.
»Wollen Sie was?« redete der Boß ihn da an.
Augenblicklich fiel dieser so kühn aussehende Mann in sich zusammen. Er schüttelte schnell den Kopf. Er wollte etwas sagen, doch es schnürte ihm die Kehle zu. Nur ein Krächzen war zu hören.
Gay Harrison sah ihn verächtlich an.
»Gehen wir also hinauf«, sagte der Boß. »Sie werden oben auf der Galerie stehenbleiben. Keine Sorge, falls ich Sie erschießen muß, weil Sie nicht spuren, werde ich eben Mr. Harrison belasten. Für mich ist das Jacke wie Hose.«
Mrs. Harrison und Glidden gingen langsam nach oben. Der teuflische Plan des Gangsterbosses näherte sich seinem Abschluß. Gay Harrison und Glidden saßen in der Falle …!
*
Butler Parker verließ den Seitentrakt.
Er hatte nicht das gefunden, wonach er suchte. Ganz unzufrieden war er allerdings nicht. Er kannte die nächste Adresse, die er besuchen mußte.
Wie der Geist eines original-englischen Butlers marschierte er steif und gemessen durch den langen Korridor. Sein Pech, daß er beim Verlassen der Treppe von zwei Krankenpflegern entdeckt wurde, die draußen neben der Tür schnell eine Zigarette rauchten. Der Zusammenstoß mit diesen beiden Männern war hart.
Sie glaubten nämlich, einen Süchtigen vor sich zu haben.
Mit geübten Griffen wollten sie den Butler einfangen. Sie kannten Griffe, die den stärksten Mann aufs Kreuz legten.
Parker bluffte gekonnt.
Er lief nicht weg.
Ruhig blieb er stehen und lüftete seine schwarze Melone.
»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle«, sagte er höflich. Dann aber donnerte die Melone schnell auf den Kopf des Pflegers, der bereits anfangen wollte.
Da Parkers Melone mit starkem Stahlblech ausgefüttert war, war der Angreifer sofort groggy.
Er verdrehte die Augen und fiel gegen seinen Partner, der dadurch leicht aus der allgemeinen Angriffsrichtung kam. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, hatte Parker schon die bewußte Sprühdose in der Hand und ließ sie zischen.
Der Pfleger hustete und wischte sich die Augen. Er rutschte gegen die Wand und sah sehr traurig aus. Butler Parker wandte sich um und schritt ohne jede Hast zur Mauer. Erst als er sich auf der anderen Seite der Mauer herunterließ, hörte er die Stimmen der beiden Männer, die inzwischen wieder handlungsfähig wurden.
Josuah Parker brauchte nicht weit zu gehen.
Um den Weg abzukürzen, stieg er über einige niedrige Hecken, bis er ein ganz bestimmtes Haus erreichte. Prüfend legte er seine Hand auf die Motorhaube eines parkenden Wägens. Sie war noch heiß.
Da wußte Parker, daß er zumindest Mrs. Harrison gefunden hatte. Er kannte schließlich das Kennzeichen ihres Cadillac …!
*
»Bleiben Sie dort an der Wand stehen«, befahl der Gangsterboß. Er deutete auf Joel Harrison, der schnarchend auf dem Bett lag und von nichts ahnte. Gay Harrison gehorchte nur sehr widerwillig, Glidden hingegen, der Mann mit dem athletisch gebauten Körper, war schnell. Er hatte Angst.
Der Gangster zog eine zweite Waffe aus der Tasche. Es handelte sich um eine 22er Pistole. Die Sicherung klickte.
»In ein paar Minuten ist alles überstanden«, sagte er sanft, »Sie werden sich dann in einer Zelle ausruhen können.«
Er hob die Pistole.
Mrs. Harrison stöhnte auf.
Sie wollte sich auf den Gangster stürzen, doch die Glieder versagten ihr den Dienst.
Glidden schloß nur die Augen.
Der Schuß dröhnte …!
Mrs. Harrison schrie auf, Glidden sackte halb ohnmächtig an der Wand herunter.
Der Gangsterboß blieb stehen, sah verwundert auf seine Hand, die plötzlich ohne Waffe war.
Dann fuhr er blitzschnell herum, sah vor sich eine schwarz gekleidete Gestalt, die einen rauchenden altertümlichen Colt in der Hand hielt.
»Ich bedaure es ungemein, so nachdrücklich handeln zu müssen«, sagte Josuah Parker, der wieder einmal zur richtigen Zeit eingetroffen war. »Ich schlage vor, Mr. Steffens, Sie werfen die andere Waffe auch noch weg!«
»Sie verdammter Hund«, fluchte der Angesprochene. Er schien auf geben zu wollen. Doch das war nichts als ein Trick. Er warf sich plötzlich gegen Mrs. Harrison, schleuderte sie in Pachtung Parker und rannte zur Treppe.
Glidden tat nichts, um ihn aufzuhalten.
Aber Parker kam in Bewegung.
Er ging nicht besonders schnell. Ja, oben an der Treppe blieb er sogar stehen.
Als Steffens, der Pfleger aus der Klinik, über die Treppe hastete, die Diele erreichte, da hechtete Parker durch die Luft genau in das Genick des Verbrechers.
Für Sekunden sah er dabei wie eine schwarze Fledermaus aus, ein Eindruck, der sich durch den flatternden schwarzen Covercoat noch zusätzlich verstärkte.
Steffens brach zusammen.
Nach kurzer Gegenwehr steckte er auf. Gegen Josuah Parker war kein Kraut gewachsen.
Trotz der handfesten Auseinandersetzung war Parkers Krawatte noch nicht mal verrutscht.
»Ich schlage vor, Madam«, redete er Mrs. Harrison an, »daß Sie jetzt die Polizei verständigen. Mr. Glidden könnte sich derweil in den Sessel setzen und erholen.«
Parker war derart mit sich zufrieden, daß er sich eine seiner schwarzen Zigarren anzündete und glatt vergaß, wie gefährlich diese Rauchschwaden waren.
Es kam, wie es kommen mußte.
Zuerst machte Glidden schlapp.
Selbst die zähe Mrs. Gay Harrison war nicht mehr imstande, ans Telefon zu gehen. Da sah Parker sich gezwungen, den Anruf zu übernehmen.
Mit wohlgesetzten Worten informierte er die Zentrale der Polizei und bat um dringenden Besuch von Leutnant Current und Anwalt Mike Rander.
Steffens, den Gangsterboß, fesselte er nicht.
Parker begnügte sich damit, Rauchschwaden in Richtung des Gangsters zu blasen.
Dadurch hielt er Steffens in Ohnmacht. Später schaffte es erst ein Polizeiarzt, den betäubten Gangster wieder zu sich zu bringen. Parker, der auf Current und seinen Herrn wartete, stand vor dem Holzhaus und rauchte seine Zigarre. Ihm fiel tatsächlich nicht auf, daß einige schlafende Vögel in den Ästen und Zweigen jäh erwachten und Hals über Kopf flüchteten …!
*
Leutnant Current gab den Vertretern der Presse seinen Bericht. Er faßte sich kurz, da die Pressestelle der Zentralen Mordkommission noch einen zusätzlichen Artikel ausarbeitete.
Mike Rander und sein Butler Parker hielten sich im Hintergrund, wie es so ihre Art war.
Parker spielte mit einer Zigarre.
Noch hatte er sie nicht angezündet.
»Steffens, der Pfleger aus der Klinik des Doktor Givons, interessierte sich schon seit Jahren für Patienten, die süchtig waren und viel Geld hatten. Er kannte ja aus erster Hand, wie quälend solch eine Entziehungskur ist. Heimlich und gegen sehr viel Geld verschaffte er den Patienten Alkoholika oder Rauschgifte.
Mit der Zeit baute er dieses System aus. Er legte sich einige Männer zu, die diese Patienten nach der Entlassung animierten, sich von ihren Geschäften und Familien abzusetzen. Steffens kannte da ein immer wirksames Argument, das seine Leute verwendeten.
Er redete den betreffenden Opfern ein, sie sollten entmündigt werden. Sie können sich vorstellen, wie die armen Leute reagierten. Sie flüchteten sich geradezu in die Arme ihrer Henker.
Joel Harrison nun war das bisher gewinnträchtigste Opfer Hier wollte Steffens ganz groß verdienen. Er verbrannte sich die Finger daran, wie Sie alle wissen.
Zusammen mit seinem Mitarbeitern Downers, Cardy und Helen Napers schaffte er Joel Harrison in ein billiges Hotel, dessen Portier ebenfalls in seinem Dienst stand.
Als die Nachforschungen nach Harrison zu gefährlich wurden, wollte Steffens seine Gang abbauen, zumal er Verrat fürchtete. Der Nachtportier, der nur Cardy kannte, mußte sterben, um erst mal diese Spur zu verwischen.
Dann war ein kleiner Gauner namens Mossels an der Reihe, der im Aufträge Cardys den Nachtportier erstach. Mossels wurde von Mr. Parker in Notwehr angeschossen. Mossels wird uns bald sagen können, wo sich sein eigentlicher Chef, Hostans, ein Schnapsschmuggler, versteckt hält.
Sie müssen verstehen, wie raffiniert Steffens war. Er lenkte den ersten Verdacht stets über den Nachtportier auf Cardy, der ebenfalls für Hostans zusätzlich arbeitete. Nichts als Tarnung, um etwaige Ermittlungen zu erschweren.
Helen Napers, Downers Freundin, fiel dem Bandenboß zum Opfer. Steffens erschlug sie, als sie Joel Harrison wegschaffen wollte. Aus eigensüchtigen Motiven übrigens. Sie wollte Harrison allein anzapfen und ausnehmen.
Downers bekam es mit der Angst zu tun.
Er wollte einmal Steffens warnen, zum anderen sich mit Geld abfinden lassen.
Steffens baute ihm eine Falle in % Form einiger präparierter Whiskyflaschen. Den Polizeiärzten gelang es allerdings, ihn zu retten. Er wird rückhaltlos gegen Steffens aussagen, der allerdings seinerseits bereits ein Geständnis ablegte.
Mrs. Gay Harrison hat mit diesen Dingen selbstverständlich nichts zu tun. Auch ihren Chefbuchhalter Glidden trifft keine Schuld. Auch auf die Klinik des Doktor Givons fällt kein Schatten. Gegen seine ungetreuen Angestellten kann man erst dann etwas unternehmen, wenn man was weiß.
Mr. Harrisons Gesundheitszustand ist schlimm. Die Ärzte werden ihn allerdings bald heilen können. Ich weiß, meine Herren, Sie wollen wissen, wie wir dieses Verbrechen klären konnten. Mr. Josuah Parker hat einen hervorragenden Anteil daran.
Ihn machte stutzig, daß Joel Harrison gerade nach seiner Entlassung aus der Klinik besonders stark trank. Sein Verdacht fiel auf den Pfleger, dem er in einer privaten Unterhaltung allerlei entlockte. Bei einer allerdings heimlichen Untersuchung des Zimmers fand Mr. Parker in Steffens Schrank einige Giftampullen, Er suchte Steffens Privatwohnung auf und stieß auf den Gangster, der sein letztes und größtes Verbrechen plante.
Richtig, ich brachte eben den Namen von Walt Hostans ins Gespräch. Nun, dieser Schnapsschmuggler, der sich als Großhändler für Obst und Südfrüchte tarnte, läuft zwar noch frei herum, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn erwischen. Gegen ihn läuft eine Staatenfahndung. Sie wissen, was das bedeutet. Er dürfte kaum eine Chance haben.
Für Detailfragen stehe ich gern zur Verfügung. Ich werde mich bemühen …«
– ENDE –