Читать книгу Butler Parker Staffel 11 – Kriminalroman - Günter Dönges - Страница 9
Оглавление»Sie sind ein Flegel!« stellte Lady Agatha Simpson grollend fest und langte gleichzeitig sehr herzhaft mit ihrem Pompadour zu.
Der kräftige, breitschultrige Mann, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, hatte sie eben gnadenlos zur Seite ge-drängt und ihr dabei ein kleines Paket aus der Hand geschlagen.
Dafür hatte Mylady sich revanchiert.
Der »Glücksbringer« im perlenbestickten Handbeutel enthielt ein leicht überschweres Hufeisen, das mal für ein stämmiges Brauereipferd gedacht war. Entsprechend war die Wirkung.
Der breitschultrige Mann war bereits in die Knie gegangen und hielt sich mit letzter Kraft an der Stange jenes Baldachins fest, der den Weg vom Hoteleingang bis zum Straßenrand überspannte. Seine Augen waren verglast. Er stierte auf die kriegerische ältere Dame, die ihn bereits vergessen zu haben schien. Sie nickte ih-rer Begleiterin zu, die sich um das zu Boden gefallene Paket kümmerte, es aufhob und der passionierten De-tektivin reichte. »Natürlich in Scherben, wie?« fragte Agatha Simpson verärgert.
»Ich fürchte, ja, Mylady«, erwiderte die attraktive junge Dame, die nur wenig über zwanzig sein mochte.
»Lümmel!« Lady Agatha Simpson marschierte auf äußerst stämmigen Beinen auf den jungen Mann zu, der schutzsuchend seinen linken Unterarm vors Gesicht hob. Er zog sich jetzt hoch, baute sich auf und schüt-telte benommen den Kopf. Dazu massierte er mechanisch seine linke Kinnlade, die von Myladys Glücks-bringer voll getroffen worden war.
»Sie werden mir Ersatz leisten«, stellte Agatha Simpson fest, worauf der kräftige junge Mann mit dem etwas dümmlichen Gesicht sich hilfesuchend nach dem Rolls-Royce umsah, der am Straßenrand parkte. Er wußte offensichtlich nicht, wie er sich verhalten sollte.
Vor dem Rolls-Royce stand ein zweiter Mann, fast eine Zwillingsausgabe des ersten. Das Gesicht dieses Mannes wirkte höchstens noch dümmlicher. Seine rechte Hand war unter dem linken Revers des Jacketts verschwunden und beulte den Stoff aus. Liebhaber von Kriminalfilmen hätten sofort gewußt, daß diese Fin-ger den Griff einer Schußwaffe umspannte.
Ein dritter Mann stand hinter dem Rolls-Royce und beobachtete die gegenüberliegende Straßenseite. Sei-ne rechte Hand war erstaunlicherweise ebenfalls unter dem linken Revers seines Jacketts verschwunden.
»Äußern Sie sich!« herrschte Agatha Simpson den jungen Mann an, den sie Lümmel und Flegel genannt hatte. Sie hielt ihm das Paket so abrupt, unter die Nase, daß der Mann zusammenzuckte. Er befürchtete of-fensichtlich, die kriegerische Dame würde ihm das kleine Paket auf die Nasenspitze setzen.
»Wieviel hat das Gerümpel denn gekostet?« schnarrte in diesem Moment eine herrische Stimme aus dem Rolls-Royce. Dieses unangenehme Organ gehörte einem untersetzten, kompakten Mann von etwa fünfzig Jahren. Er saß im Fond des Wagens und trug eine Sonnenbrille, die er abnahm. Der Mann hatte ein grobes Gesicht und kalte stechende Augen.
Agatha Simpson trat an das geöffnete Fenster des hochherrschaftlichen Fahrzeugs.
»Das Gerümpel hat rund fünfzig Pfund gekostet«, sagte sie mit ihrer baritonal gefärbten, weittragenden Stimme.
Der Mann im Rolls-Royce lächelte dünn und abfällig.
Er mußte Lady Agatha einfach falsch verstehen.
Sie trug eines ihrer üblichen, sehr weit geschnittenen und faltenreichen Kostüme. Ihre Füße steckten in ausgetreten wirkenden, einfachen Schuhen. Agatha Simpson, immens vermögend, erinnerte tatsächlich ein wenig an eine einfache Frau aus dem Volk, die so spricht, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.
»Fünfzig Pfund!« Der Mann im Rolls-Royce zückte bereits die Brieftasche und entnahm ihr eine Bankno-te, die er an den Jungen weiterreichte, der sich noch immer die Kinnlade massierte.
»Schicken Sie sie weg, Artie! Ich will nicht länger belästigt werden …«
Der Mann, der Artie hieß, beeilte sich, Mylady die Banknote in die Hand zu drücken. Dabei schielte er aber sicherheitshalber nach dem Pompadour an ihrem Handgelenk. »Hauen Sie ab, Mädchen«, sagte er und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. »Kaufen Sie sich etwas Hübsches!«
Lady Agatha Simpson erstarrte.
Es war geradezu empörend, wie Sie sie behandelte. Ein wenig verdutzt sah sie auf die Banknote. Es han-delte sich um eine Fünfpfundnote.
Der junge Mann bestieg bereits hastig den Wagen und nahm neben dem Fahrer Platz. Die beiden anderen Männer verdrückten sich nach hinten zu dem Mann, der die Sonnenbrille wieder aufgesetzt hatte. Der Rolls-Royce fuhr an.
»Das ist doch eine ausgemachte Frechheit!« Lady Agathas Stimme grollte.
»Ich habe mir das Kennzeichen des Wagens eingeprägt«, sagte die junge attraktive Begleiterin. Sie hieß Kathy Porter, war Myladys Gesellschafterin und erinnerte ein wenig an ein scheues, empfindsames Reh. »Worum ich auch gebeten haben möchte«, antwortete Lady Agatha. »Wo steckt denn Mister Parker? Immer, wenn man ihn mal wirklich braucht, ist er nicht zur Stelle …«
*
Nachdem Mike Rander, der junge, erfolgreiche Anwalt, sich notgedrungen in seine Londoner Anwalts-kanzlei zurückgezogen hatte, um der vielen Fälle einfach Herr zu werden, war Josuah Parker in die Dienste von Lady Agatha Simpson getreten.
Widerwillig, wie korrekterweise gesagt werden muß.
Jahrelang war Parker zusammen mit seinem jungen Herrn durch die Welt gezogen und hatte teilweise haarsträubende Kriminalabenteuer erlebt. Dies alles war aber nichts gegen die Zwischenfälle, die Lady Aga-tha förmlich provozierte.
Die streitbare Dame, so um die sechzig Jahre alt, stand mit beiden Beinen im Leben. Nach dem Tod ihres Mannes, des Lord John Simpson, war sie die Alleinerbin eines riesigen Vermögens geworden. Sie besaß hochkarätige Anteile an Brauereien, Fabriken, Werften und Reedereien. Lady Agatha war mit dem Hoch- und Geldadel Englands eng verschwistert und verschwägert. Man schätzte und fürchtete sie gleichzeitig. Als Detektivin war sie geradezu berüchtigt, was ihr ungeniertes Benehmen anbetraf. Sie konnte fluchen wie ein Fuhrknecht, ordinär sein wie die Wirtin einer Kaschemme oder eine unnahbare herzogliche Würde verbrei-ten, die lähmend wirkte.
Lady Agatha hatte ihre Vermögensanteile in eine Stiftung umgewandelt, aus deren Erlös begabte junge Menschen kostenlos studieren konnten. Als Realistin hatte sie selbstverständlich ihre persönlichen Belange nicht vergessen. Sie verfügte über das Geld, um das zu tun, was sie zu tun wünschte.
Parker stand also seit einiger Zeit in ihren Diensten und hatte seitdem Hochbetrieb, um Mylady vor Scha-den zu bewahren. Sie ging keinem Ärger aus dem Weg und hatte die seltsame Gabe, immer wieder auf inte-ressante Kriminalfälle zu stoßen. Sie war Amateurdetektivin aus Leidenschaft, die einfach nicht zu bremsen war.
Als Lady Agatha zurück ins Hotel kam, sah der Butler sofort, daß sich wieder mal ein peinlicher Zwi-schenfall ereignet hatte.
»Sie sehen mich empört«, stellte Lady Simpson fest und nahm ihren unmöglichen Kapotthut ab.
»Mylady werden dafür Gründe haben«, gab der Butler vorsichtig und abwartend zurück.
»Ich bestehe darauf, daß Sie diese Flegel zur Ordnung rufen«, grollte sie.
»Wie Mylady befehlen.« Parker blieb reserviert.
»Es geht mir nicht um das Geld«, erklärte Lady Agatha. »Es sind die schlechten Manieren, die mich är-gern.«
»Könnten Mylady vielleicht mit Einzelheiten dienen?« erkundigte sich Parker gemessen.
»Zuerst brauche ich eine Erfrischung«, verlangte Agatha Simpson und ließ sich in einem Sessel nieder.
»Ich werde sofort Tee kommen lassen«, versprach der Butler.
»Tee! Ich brauche eine Erfrischung …«
Josuah Parker hatte verstanden.
Würdevoll und gemessen begab er sich hinüber zu dem Wandtisch, wo Flaschen und Gläser standen. Er füllte ein Glas mit Whisky und servierte es auf einem Silbertablett.
»Das ist es, Mister Parker!« Sie nickte beifällig und nahm einen mehr als herzhaften Schluck. Dann strahlte sie ihren Butler aus funkelnden, unternehmungslustigen Augen an. »Ein zumindest eigenartiges Individuum, das mir da begegnet ist … Was sagen Sie dazu, Kindchen?«
Lady Agatha drehte sich zu Kathy Porter um, die das kleine Paket auspackte.
»Ich glaube, Mylady, daß die drei jungen Männer Schußwaffen trugen«, erklärte Kathy Porter. »Sie schienen eine Art Leibwache zu sein.«
»Das finde ich auch!« Agatha Simpson nickte bestätigend und erfreut.
»Vielleicht haben Mylady sich nur getäuscht.«
»Kathy und ich haben doch Augen im Kopf«, grollte die Detektivin. »Sie wollen diese Geschichte doch nur wieder herunterspielen, Mister Parker. Ich kenne Ihre Methode.«
»Die Vase ist zerbrochen«, meldete Kathy Porter, die das kleine Paket geöffnet hatte. Sie hielt einige Scherben hoch, die zu einer Jugendstilvase gehörten.
»Dieser Flegel behandelte mich wie eine Bettlerin«, ärgerte sich Lady Agatha. »Ich glaube, ich werde Sie zu diesem Individuum begleiten. Sie könnten sonst vielleicht etwas zu höflich sein.«
»Mylady bestehen darauf?« Parkers Gesicht blieb maskenhaft unbeweglich.
Innerlich gestattete er sich jedoch ein leichtes Beben. Er wußte schon jetzt ganz genau, was auf ihn zukam. Mylady konnte ausgesprochen aggressiv werden, wenn man ihr zu nahe trat. Und dies war hier schließlich der Fall gewesen.
»Ich weiß, daß Ihnen mein Vorschlag nicht gefällt, Mister Parker«, stellte Agatha Simpson wegwerfend fest, »aber das stört mich überhaupt nicht. Ich werde mitkommen! Mit Höflichkeit allein erreicht man bei diesen Flegeln selten etwas …«
*
Josuah Parker stoppte sein hochbeiniges Monstrum und stieg aus dem Wagen. Er öffnete die hintere Tür und lüftete respektvoll seine schwarze Melone.
Das Fahrtziel war erreicht.
Leider war es eine Kleinigkeit gewesen, den Besitzer des Rolls-Royce ausfindig zu machen. Er hieß Ste-phan Waters und wohnte ganz eindeutig in dem turm- und zinnenbewehrten Castle, das über eine Hängebrü-cke zu erreichen war.
Das Castle aus alter Zeit befand sich in tadellosem Zustand. Die Renovierung mußte ein kleines Vermögen gekostet haben. Die Trossen der Zugbrücke waren schneeweiß gestrichen. Diese Farbe harmonierte sehr gut mit dem ehrwürdigen Gemäuer, das auf der abgeflachten Kuppe einer Art Felsnadel stand. Nur diese Hän-gebrücke allein gab den Zugang zum Castle frei. Die Flanken der Felsnadel waren steil und nur von Hochal-pinisten mit entsprechender Ausrüstung zu besteigen.
Hinter dem Schloß, das mehr einer alten Festung glich, war die breite, bayartige Mündung des Fal zu se-hen, eines an sich kleinen Flusses, der sich dann bei Falmouth in den Atlantik ergoß. Man befand sich, um die Beschreibung abzurunden, im Süden Cornwalls in England, einem Landstrich, der fast mittelmeerähnli-chen Charakter aufwies.
»Ein beneidenswert schönes Castle«, sagte Agatha Simpson, »ich möchte nur wissen, wie dieser Lümmel an dieses Schloß gekommen ist. Nun, ich werde ihn danach fragen, Mister Parker. Fahren wir weiter.«
Butler Parker sah keine Möglichkeit, Myladys Wunsch zu torpedieren. Nachdem Agatha Simpson zurück in den Fond des hochbeinigen Wagens gestiegen war, setzte sich Parker an das Steuer des ehemaligen Lon-doner Taxis, das nach seinen speziellen Wünschen gründlich umgebaut worden war. Dieser Wagen war eine technische Überraschung auf Rädern und zeichnete sich vor allen Dingen durch einen sehr leistungsstarken Motor aus.
Josuah Parker wußte mehr als Lady Simpson. Er besaß bereits einige Informationen über diesen Stephan Waters und hütete sich bisher, ihr davon Mitteilung zu machen. Der Besitzer des Castle war eine sehr dubio-se Gestalt, die vor Jahren in der Unterwelt von London eine gewichtige Rolle gespielt hatte. Wie gesagt, davon hatte Parker seiner energischen Herrin nichts gesagt und hoffte inständig, daß sie ahnungslos blieb.
Der Weg von der sanften Bergkuppe hinunter zur Hängebrücke war schmal, aber gut gepflegt. Vor der Hängebrücke gab es eine Art Vorburg, deren Fallgitter hochgezogen war. Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum durch den Torbogen und mußte dann anhalten. Ein starkes Gitter versperrte die Fahrt über die Hängebrücke hinüber zum eigentlichen Schloß.
Bevor Josuah Parker sich nach einem geeigneten Meldemittel umsehen konnte, erschien ein junger Mann mit dümmlichem Gesicht. Es war der Zwilling jenes Mannes, der Myladys »Glücksbringer« ausgiebig gekos-tet hatte.
»Lady Simpson wünscht Mr. Stephan Waters zu sprechen«, sagte Parker, der ausgestiegen war. Mit einem einzigen prüfenden Blick hatte der Butler den Mann abtaxiert. Er sah sofort, daß er es mit einem Profi aus der Unterwelt zu tun hatte. Die Dümmlichkeit war nichts als Tarnung. Hinter dem schafsmäßigen Aussehen verbargen sich Härte und Brutalität.
»Lady Simpson?« Der junge Mann trat an den Wagen und sah sich Parkers Herrin sehr ungeniert an. Er grinste, als er Kathy Porter entdeckte.
Agatha Simpson blickte durch den jungen Mann hindurch. Er existierte für sie überhaupt nicht.
»Und warum will sie ihn sprechen?« erkundigte sich der junge Mann, der zu Parker zurückgekommen war.
»Rufen Sie Mr. Waters an«, erwiderte Parker. »Melden Sie Lady Simpson!«
Parker deutete auf die geöffnete Tür in einem Wachtturm. Das Telefon an der Wand war deutlich zu se-hen. Er sprach in einem Ton, daß der junge Mann darauf verzichtete, weitere Fragen zu stellen, in den Rund-turm ging und telefonierte.
Nach knapp einer Minute kam er zurück und grinste unverhohlen.
»Ihre Lady soll sich zum Teufel scheren«, sagte er, »genau das soll ich bestellen. Mr. Waters empfängt keinen Besuch!«
»Ich fürchte, Mylady wird diese Auskunft nicht günstig aufnehmen«, prophezeite der Butler. Er kannte doch seine Herrin. Widerstand reizte sie nur, um besonders aktiv zu werden.
»Danke, Sie brauchen mir nichts zu sagen«, meinte Lady Agatha, als er an den hinteren Wagenschlag trat. »Ich habe alles gehört, Mister Parker.«
»Ich möchte betonen, Mylady, daß ich bestürzt bin«, erklärte der Butler gemessen.
»Im Grunde war von diesem ausgedienten Gangster nicht mehr zu erwarten.«
»Mylady wissen?« Parker war überrascht. Er wußte zwar nicht, woher sie ihr Wissen hatte, aber darauf kam es auch gar nicht an. Er sah das angeregte Funkeln in ihren dunklen Augen und spürte, daß gewisse Dinge wieder mal ihren Lauf nahmen.
*
Sie waren nach Falmouth zurückgekehrt und befanden sich wieder im Hotel.
Während der Rückfahrt verharrte Agatha Simpson in Schweigen. Parker fürchtete, seine Herrin könnte über gewisse Vergeltungsmaßnahmen brüten. Eine Lady Agatha Simpson war nicht die Frau, die eine Belei-digung ohne weiteres einsteckte. Sie pflegte sich stets nachdrücklich zu revanchieren.
»Darf ich mir erlauben, daran zu erinnern, daß Mylady morgen in London erwartet wird?« sagte Parker.
»Wir bleiben!«
»Haben Mylady besondere Pläne?«
»Dumme Frage, Mister Parker! Das wissen Sie doch längst! Wir werden es diesem Subjekt zeigen.«
»Mylady sollten daran denken, daß man es mit einem Gangster zu tun hat.«
»Einem ausgedienten, Mister Parker. Auch ich habe so meine Informanten in London. Nicht nur Sie!«
»Mylady mögen meine Diskretion verzeihen«, entschuldigte sich der Butler würdevoll.
»Reden wir davon, wie wir es diesem Lümmel zeigen könnten, Mister Parker. Das ist unser Thema! Was wissen Sie über diesen Waters?«
»Stephan Waters, vierundfünfzig Jahre alt, geboren in Liverpool, zuerst Gelegenheitsarbeiter, dann Zuhäl-ter, erste Kontakte mit den Gerichten, einige unerhebliche Geldstrafen wegen Körperverletzung, dann über-gewechselt nach London und hier im Rauschgiftgeschäft tätig gewesen. Die Behörden sahen sich außerstan-de, Stephan Waters je etwas nachzuweisen. In eingeweihten Kreisen war seine Brutalität sprichwörtlich. Er soll einige Konkurrenten mittels Mord aus dem Weg geräumt haben. Nachzuweisen war ihm nichts. Er blieb unbehelligt. Stephan Waters hat sich vor etwa drei Jahren aus seinen Geschäften zurückgezogen und privati-siert, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Warum ist dieses Subjekt ausgestiegen, wie Sie sich ausdrückten?«
»Mister Waters geriet in Streit mit amerikanischen Syndikats Vertretern, die ihre Rauschgiftgeschäfte auch auf England ausdehnen wollten. Er soll, das sage ich mit allem Vorbehalt, einen dieser Männer erschossen haben.«
»Er hat es also mit der Angst zu tun bekommen, das ist doch die Wahrheit, oder?«
»So könnte man es natürlich auch ausdrücken.«
»Verschaffen wir diesem Strolch doch etwas Angst, Mister Parker.«
»Mylady wollen sich mit solch einem üblen Gangster anlegen?« Parkers Gesicht drückte Widerwillen aus.
»Ich will ihm aufspielen«, präzisierte Lady Agatha unternehmungslustig. »Ein wahrer Zufall, daß er mei-nen Weg kreuzte. Und sein Pech, daß seine Subjekte mir die Vase zerschmetterten.«
»Mister Waters wird sich kaum etwas bieten lassen, Mylady. Ich möchte entschieden warnen.«
»Lady Simpson läßt sich ebenfalls nichts bieten«, kommentierte die streitbare Dame. »Und wer warnt Wa-ters?«
Bevor Josuah Parker darauf antworten konnte, griff die Detektivin bereits nach dem Telefonhörer und ver-langte von der Hotel Vermittlung eine Verbindung mit Stephan Waters. Während sie auf diese Verbindung wartete, sah sie Parker und ihre Gesellschafterin kriegerisch an. Sie zupfte ihr undamenhaft solides Taschen-tuch aus dem Pompadour und legte es über die Sprechmuschel. Agatha Simpson hatte zu viele Kriminalfilme gesehen, um nicht zu wissen, wie man seine Stimme am Telefon verzerrt.
»Sie haben drei Tage, Waters«, sagte sie dann gedehnt, als sich die Gegenseite meldete, »drei Tage … Ich würde sie nutzen!«
Sie legte auf, stopfte das Taschentuch zurück in den Pompadour und sah sehr zufrieden aus.
»Waters könnte herausfinden, von wo aus angerufen wurde«, warnte Josuah Parker.
»Na, hoffentlich.« Lady Agatha ließ sich nicht beeindrucken.
»Er könnte seine Leibwächter aktivieren, Mylady.«
»Seit wann haben Sie Angst, Mister Parker?« wunderte sich die streitbare Dame. »Lassen Sie sich gefäl-ligst etwas einfallen, wie wir dieses Subjekt auf Trab bringen.«
»Ich werde mich bemühen, Mylady.«
»Ich erwarte zündende Ideen, Mister Parker.«
»Deuten die drei Leibwächter nicht darauf hin, daß er Angst hat?« ließ Kathy Porter sich vernehmen. Sie errötete sanft und wirkte leicht verlegen.
»Natürlich, Kindchen.« Agatha Simpson freute sich, daß sie verstanden wurde. »Daher ja auch mein An-ruf. Dieser Strolch wird noch auf Knien heranrutschen und darum bitten, daß er mir den Schaden ersetzen darf. Für mich ist das eine Frage des Prinzips!«
Lady Agatha Simpson reckte sich hoch auf und glich in diesem Moment einer Bühnenheroine aus längst vergangenen Zeiten. Mit einem gewaltigen Speer in der Hand hätte sie aber auch durchaus mit einer Walküre konkurrieren können.
*
Stephan Waters war gereizt.
Er selbst hatte den Anruf angenommen, der einer unverhüllten Drohung glich. Er dachte nicht einen Mo-ment lang daran, diese Lady Simpson zu verdächtigen. Er hatte sie eigentlich schon wieder vergessen. Was hatte er schließlich mit einer alten Frau zu tun, die nun Lady sein mochte oder nicht.
Nein, Waters dachte selbstverständlich sofort an London. Genauer gesagt, er dachte an seine jüngste Ver-gangenheit. Seine früheren Konkurrenten fühlten sich jetzt wohl stark genug, ihm ihre Rechnung zu präsen-tieren. Es ging da um einen Ritchie Romney, den er aus dem Weg geräumt hatte.
Artie, sein erster Leibwächter kam zurück.
»Festgestellt?« fragte Waters. »Von woher kam das Gespräch?«
»Aus Falmouth.«
»Falmouth …?«
»Hotel Atlantik. Mehr war im Moment nicht rauszubekommen.«
»Dann nichts wie rüber nach Falmouth!« Stephan Waters fühlte wieder das Prickeln im Blut wie in frühe-ren Zeiten. »Spürt den Anrufer auf!«
»Sollen wir ihn …?« Artie hielt es nicht für nötig, seinen Satz zu beenden. Er konnte davon ausgehen, daß Waters ihn gut verstand.
»Nein.« Waters schüttelte den Kopf. »Nur kein Aufsehen hier in der Gegend. Erst mal feststellen, wer an-gerufen hat. Und dann ab mit ihm nach London oder Plymouth. Hier in der Gegend sollen keine Leichen rumliegen. Alles klar?«
Artie nickte und ging.
Stephan Waters baute sich vor dem dreigeteilten, säulenverzierten Fenster auf und sah auf den Far-Fjord hinunter. Er fragte sich, wie er sich weiter verhalten sollte. Er saß hier an der äußersten Südspitze Englands in einer erstklassig ausgebauten Festung und hatte sich bisher sicher gefühlt. Doch dieser Anruf machte ihn bereits nervös. Waters kannte schließlich die Gegenseite.
Hatte es einen Sinn, England schleunigst den Rücken zu kehren? Geld hatte er genug, um sich irgendwo in der Welt zu verkriechen. Vielleicht gab es Landstriche und Festungen, die noch sicherer waren als dieses Castle hier.
Doch Waters verwarf diesen Gedanken.
Flucht war sinnlos. Das Syndikat würde sich kaum abschütteln lassen. Nein, jetzt und hier mußte die Sa-che durchgestanden werden. Und vielleicht konnte er versuchen, sich mit der aufgebrachten Konkurrenz zu arrangieren. Man mußte es auf einen Versuch ankommen lassen. Waters war nur irritiert, was den Telefonan-ruf betraf.
Warnungen dieser Art paßten nicht zum Syndikat. Die Vollstrecker von Unterweltsurteilen pflegten un-auffällig und überraschend zu arbeiten. Vorwarnungen hatte es bisher noch nie gegeben.
Stephan Waters verließ sein Zimmer und wanderte durch das Castle. Es war ein langer Weg, bis er alle Räume kontrolliert hatte. Er prüfte die Sicherheitsvorkehrungen, die er hatte einbauen lassen. Als er wieder in seinem großen Arbeitszimmer war, hatte er zum ersten Mal in seinem Hiersein das Gefühl, ein Gefangener zu sein in einem luxuriösen, goldenen Käfig.
*
Josuah Parker hielt sich in der Halle des »Atlantik« auf und beobachtete über den Rand der Zeitung hin-weg die ein- und ausgehenden Hotelgäste. Er hatte sich von seiner Herrin beurlauben lassen. Er ging von der Vermutung aus, daß früher oder später hier im Hotel ein junger Mann erschien, der sich durch ein leicht dümmliches Gesicht auszeichnete. Nach dem Anruf im Schloß hatte Waters gewiß feststellen lassen, von wo aus angerufen worden war.
Parkers Zeitplan war fast perfekt.
Mit einer Verspätung von sechs Minuten erschien der bewußte junge Mann.
Man hatte also herausgefunden, daß im »Atlantik« der geheimnisvolle Anrufer wohnte. Nun ging es da-rum, wer es war. Waters reagierte schnell. Der Anruf schien ihm nicht sonderlich behagt zu haben.
Der junge Mann wies sich an der Rezeption aus. Wahrscheinlich arbeitete er mit einem gefälschtem Aus-weis. Der Chefportier ließ sich prompt düpieren und kam sogar aus seiner Empfangsloge hervor. Er führte den jungen Mann in einen schmalen Korridor und geleitete ihn zur Telefonvermittlung.
Josuah Parker erhob sich aus dem Sessel und schritt gemessen zum Hoteleingang. Von hier aus beobachte-te! er den unscheinbar aussehenden Minicooper, der rechts auf einem Parkplatz stand. Ein zweiter junger Mann mit ebenfalls dümmlichem Gesicht saß am Steuer und rauchte.
Josuah Parker ahnte, was kommen würde. Daher ging er zurück in die Hotelhalle und begab sich in eine der drei Telefonzellen. Er wählte die mittlere und schaute durch den Glaseinsatz der Tür hinüber zur Rezep-tion.
Der junge Mann erschien schon wieder auf der Bildfläche. Sein dümmliches Gesicht zeigte einen zusätzli-chen, verwirrten Ausdruck. Der Mann hatte wohl gerade erfahren, daß eine gewisse Lady Agatha Simpson seinen Herrn und Meister angerufen hatte.
Der Profi trabte auf die Telefonzellen zu, genau wie Parker es erwartet hatte. Er wollte jetzt wohl Waters informieren und sich neue Instruktionen holen.
Parker hatte vorgesorgt.
Nachdem der junge Mann rechts von ihm in der Zelle verschwunden war, schaltete der Butler den kleinen Verstärker ein. Er preßte die Membrane eines Stethoskops gegen die Trennwand und den Ohrclip in seinen Gehörgang. Mit einem kleinen Knopf regulierte er die Lautstärke des Geräts, das eine klare und unverzerrte Übertragung lieferte.
Der junge Mann wählte eine Telefonnummer und bekam seine Verbindung.
»Artie hier«, meldete er sich, »ich hab’ ’ne tolle Überraschung für Sie. Wissen Sie, wer angerufen hat? Diese Lady Simpson. Ja, ganz klarer Fall. Bestimmt, sie ist es gewesen. Irrtum ausgeschlossen. Was sollen wir jetzt machen?«
Der junge Mann legte eine Pause ein und ließ sich instruieren.
»In Ordnung«, sagte er, als er wieder an der Reihe war. »Wir stauchen sie also leicht zusammen. Nein, nein, wir passen schon auf. Nur ’n kleiner Schock für das alte Mädchen, damit sie schleunigst abrauscht. Na-türlich, Chef! Doch, sie ist wirklich ’ne Lady. Der Chefportier kennt sie. Irrtum ausgeschlossen.«
Nun war Waters wieder an der Reihe.
»Ich ruf in zehn Minuten zurück«, schloß dann der junge Mann, »die Sache ist so gut wie erledigt. Ende!«
Artie verließ die Telefonzelle und sah sich einem Butler gegenüber, den er völlig übersah. Der junge Profi kam überhaupt nicht auf den Gedanken, dieser Butler könnte jener Mann sein, der diese ältere Lady zum Castle begleitet hatte.
Als ihm das sprichwörtliche Licht aufging, war es allerdings schon zu spät für ihn.
*
Vorerst blieb der junge Profi ahnungslos.
Er hatte es ja schließlich mit einer Frau zu tun, wie er eben erst in der Telefonzentrale erfahren hatte. Sein Trick, sich als Kriminalbeamter auszugeben, hatte vollen Erfolg gehabt. Man hatte ihm bereitwillig Auskunft erteilt.
Leichtsinnigerweise verzichtete er darauf, seinen Partner aus dem Minicooper mitzunehmen. Den Schock, den er Agatha Simpson zugedacht hatte, konnte er ihr auch allein verpassen. So wenigstens dachte er opti-mistisch.
Fast wohlgestimmt stieg er in den Lift und trat höflich zur Seite, als der Butler ihm folgte. Belustigt nahm er diesen schwarzgekleideten Mann zur Kenntnis. Das Alter des Butlers war nur schwer zu schätzen. Er konnte Ende Vierzig, aber auch sehr gut bereits weit in den Fünfzigern sein. Der junge Profi hatte es mit einem Gesicht zu tun, das nahezu unbeweglich war. Die Augen waren grau und verrieten wache Intelligenz.
Der Butler trug einen schwarzen Zweireiher, darunter eine Weste, gestreifte Beinkleider und schwarze, derbe Schuhe. Er hatte eine schwarze Melone auf dem Kopf und einen altväterlich gebundenen Regen-schirm, der über seinem linken Unterarm hing. Der Mann war die Korrektheit in Person.
»Welche Etage darf ich für den Herrn drücken?« erkundigte sich der Butler, seine schwarze Melone lüf-tend.
»Dritter Stock«, erwiderte der junge Mann, der in den vierten wollte, um ungestört zu bleiben, da er an Zuhörern oder Zuschauern nicht interessiert war.
Josuah Parker drückte den gewünschten Etagenknopf und wendete dem jungen Profi halb den Rücken zu. Dabei passierte dem Butler ein Mißgeschick. Mit dem rechten, eisenbeschlagenen Absatz seines linken Schuhs trat er dem Mann sehr nachdrücklich auf die Zehen.
»Oh, das ist mir aber äußerst peinlich«, entschuldigte sich der Butler, während der Profi weiß im Gesicht wurde. »Sollte ich Sie möglicherweise inkommodiert haben?«
Der Profi wußte nicht, was der Butler meinte, denn er hatte mit seinen mißhandelten Zehen zu tun. Er hob den Fuß und sog dabei pfeifend und scharf die Luft ein. Er hatte das deutliche Gefühl, daß seine Zehen total zerquetscht waren.
»Sie – Idiot!« keuchte der junge Profi.
»Sie sehen mich erschüttert«, behauptete Parker und schaltete sich ungefragt als Nothelfer ein. Er griff nach dem linken Unterarm des Mannes, um wenigstens dessen Gleichgewicht zu gewährleisten.
Parker schien dabei etwas zu hart zugegriffen zu haben. Der junge Profi zuckte nämlich zusammen. Er hat-te das Gefühl, von einer Nadel gestochen worden zu sein.
Was übrigens genau den Tatsachen entsprach, denn der Butler hatte seine perlenverzierte Krawattennadel als Kampfmittel eingesetzt. Da die Spitze dieser Nadel präpariert war, fühlte Artie sich plötzlich besonders schlecht. Ein Betäubungsgift – an sich harmlos – begann im Blut zu kreisen und rief bei ihm Halluzinationen hervor. Artie verdrehte die Augen, schielte ein wenig planlos durch den Lift und lehnte sich dann schwer gegen den Butler.
Parker änderte die Fahrtrichtung des Lifts und fuhr mit seinem sehr müde werdenden Begleiter wieder nach unten zur Hotelhalle. Als sie dort ankamen, war Artie bereits in sich zusammengerutscht und geistig weggetreten.
»Schnell, einen Arzt«, rief Parker einem Pagen zu. »Den Herrn scheint eine Kreislaufschwäche erfaßt zu haben.«
Der Chefportier und sein Helfer eilten herbei. Sie nahmen Artie zwischen sich und schleiften ihn umge-hend und schnell in den kleinen Korridor neben der Portierloge. Nur kein Aufsehen, das war ihre Parole.
Artie wurde im Umkleideraum für die Portiers abgelegt, dann alarmierte man einen Arzt.
»Noch so jung und schon so labil«, stellte Parker gemessen fest. »Nun, die Kunst der Ärzte wird den Be-dauernswerten schon wiederherstellen. Falls ich nicht gebraucht werde, meine Herren, möchte ich mich jetzt entfernen.«
Die beiden Portiers hatten nichts dagegen.
Josuah Parker ging zurück in die Hotelhalle und sah vom Eingang aus hinunter auf den Minicooper. Der zweite Jungprofi war inzwischen ausgestiegen und lehnte sich gegen den Wagen. Er sah an der Fensterfront des Hotels hoch und rauchte eine Zigarette. Es war jener junge Mann, der die Telefonwache vor der Hänge-brücke des Castle gehalten hatte.
Parker winkte einen Pagen zu sich heran und deutete auf den zweiten Jungprofi am Minicooper.
»Richten Sie dort dem Herrn im Namen eines gewissen Artie aus, er möge umgehend hinunter zum Fi-schereihafen fahren, Kai Nr. 9.«
»Ihr Name, Sir?«
»Artie!«
»Artie, Sir?« Der Page sah den Butler ein wenig irritiert an.
»Artie«, bestätigte der Butler und drückte dem Pagen eine Banknote in die Hand. »Zu Ihrer Erklärung: Es handelt sich um eine Wette.«
Der Page hatte sich die Zahl auf der, Banknote angesehen und hielt es für richtig, keine weiteren Fragen zu stellen. Er grinste und beeilte sich, seinen Auftrag auszuführen.
Vom Eingang aus, hinter einer Topfpalme verborgen, beobachtete der Butler das Ergebnis seines kleinen Bluffs. Der Page hatte den zweiten Jungprofi inzwischen erreicht und richtete seinen Auftrag aus.
Parkers Rechnung ging auf.
Der zweite Profi hörte den Namen Artie, der für ihn eine Art Codewort darstellte. Er nickte und warf sich förmlich in seinen Minicooper. Die Reifen quietschten, als er lospreschte.
Als er die Straßenausfahrt des Parkplatzes erreicht hatte, begegnete ihm ein Notarztwagen. Doch darauf achtete er verständlicherweise nicht. Der Minicooper fädelte sich in den Verkehr ein und entschwand Par-kers Augen.
Der Butler war mit sich wieder mal zufrieden. Nun hatte er Zeit, Mylady zu gewissen Zugeständnissen zu überreden.
*
Stephan Waters brauchte nur eine Sekunde, um die Spitze der sprichwörtlichen Palme zu erreichen.
»Das darf doch nicht wahr sein«, brüllte er aufgebracht seine beiden Profis an, die wie begossene Pudel vor ihm standen. »Zwei ausgebuffte Männer lassen sich von einem alten Knilch auf die Bretter legen. So was gibt’s doch nicht!«
Artie und Ray sahen betreten zu Boden.
»Der eine wird mit ’nem Kreislaufkollaps ins Hospital geschafft, der andere kurvt unten im Fischereihafen herum.« Waters marschierte vor seinen beiden Leibwächtern auf und ab. »Nun sagt wenigstens etwas! Ver-teidigt euch!«
»Der Butler hat’s faustdick hinter den Ohren«, meldete Artie sich zu Wort. »Er muß mir ’ne Spritze in den Unterarm gerammt haben. Ich hab’ den Stich gemerkt, aber da war’s auch schon zu spät. Ich bin erst wieder im Hospital zu mir gekommen.«
»Und ich bin auf den Namen Artie reingefallen«, entschuldigte sich Ray, der zweite Jungprofi. »Woher er den Namen weiß, kann ich mir nicht erklären.«
»Wenn einer Profi ist, dann ist das dieser Butler«, stellte Waters wütend fest. »Ihr fahrt zurück in die Stadt und brecht dem Kerl ein paar Knochen.«
»Das geht nicht, Chef«, sagte Artie.
»Der Butler ist mitsamt der Lady und der Gesellschafterin abgehauen«, fügte Ray hinzu.
»Abgehauen? Wohin?«
»Nach Edinburgh, Pendington-Manor. Ich hab’ mir im Hotel die Postnachsendeadresse geben lassen.«
»Nach Schottland?« Waters zwang sich zur Ruhe. Konnte er es sich leisten, den Butler zu verfolgen? Die Entfernung nach Edinburgh war schließlich kein Pappenstiel.
»Ist das mit Schottland sicher?« vergewisserte Waters sich.
»Ich hab’ den Hotelpagen bestochen«, antwortete Ray, »der Junge wußte das aus erster Hand. Die Nach-sendeadresse sollte eigentlich geheimgehalten werden.«
Ray ahnte nicht, daß Josuah Parker all dies nur inszeniert hatte.
»Also schön, vergessen wir den Butler und diese komische Lady«, entschied Waters mürrisch. »Wäre ja sinnlos, sie bis nach Schottland zu verfolgen. Irgendwann werde ich diesen Typen aber meine Rechnung unter die Nase halten.«
Während er noch redete, war das scharfe Schlagen von Helikopter-Rotoren zu hören.
Das Geräusch des Hubschraubers kam schnell und aufdringlich näher. Dann schien die Maschine über dem Castle stehen zu bleiben.
Waters öffnete die Tür zu einem Balkon und trat hinaus ins Freie. Er blieb so lange ahnungslos, bis ihm die ersten Geschosse um die Ohren pfiffen.
Die Schüsse selbst waren nicht zu hören. Der Lärm, der Rotoren verschluckte die Detonationen. Waters war aber Fachmann genug, um die Aufschläge auf dem harten Stein des Castle identifizieren zu können.
Er betätigte sich umgehend als Freizeitsportler und ging in die Kniebeuge.
Dann warf er sich auf den Boden und robbte umgemein schnell zurück in den schützenden Raum, wäh-rend Glassplitter der berstenden Fenster ihn umschwirrten.
Waters war kreidebleich, als er sich endlich erhob.
»Artie – Ray!« Seine Stimme überschlug sich. Panik nistete in ihr.
Die beiden Jungprofis erschienen hinter dem schweren Sofa, wo sie volle Deckung genommen hatten.
»Holt das Schwein runter!« kreischte Waters und deutete nach draußen.
Artie und Ray schienen von diesem Auftrag nicht besonders begeistert zu sein. Sie sahen sich etwas zö-gernd an und gingen dann ohne jede Eile zur Balkontür.
Ihre Vorsicht zahlte sich aus.
Als sie endlich auf dem Balkon waren, hatte, der Helikopter bereits abgedreht und schwebte zur Bay hin-unter, unerreichbar für Schüsse.
*
»Mylady mögen verzeihen, aber eine bessere Unterkunft war in Anbetracht der Kürze der Zeit nicht zu finden«, erklärte der Butler würdevoll und öffnete die hintere Wagentür. Er deutete auf das malerische zweistöckige Fachwerkhaus, das drei Spitzgiebel aufwies. Dieses Haus lag an einer steil ansteigenden, schmalen Straße und gehörte zu den Kapitänshäusern, wie sie genannt wurden. Es handelte sich um die Häuser ehemaliger Segelschiffskapitäne, die jetzt für zahlungskräftige Touristen vermietet wurden.
»Sie haben diesmal genau meinen Geschmack getroffen«, antwortete Lady Simpson und nickte beifällig.
»Mylady machen mich relativ glücklich«, gab Parker zurückhaltend zur Kenntnis.
»Ich weiß, Ihnen paßt mein Entschluß nicht, oder?«
»Ich würde mir niemals erlauben, Mylady zu widersprechen«, lautete Parkers Antwort. »Ich möchte aller-dings erneut darauf hinweisen, daß Mylady sich in große Gefahr begeben.«
»Ich werd’s schon überleben.« Agatha Simpson marschierte auf ihren stämmigen Beinen hinüber zum Haus.
Parker, der ihr gefolgt war, schloß die Haustür auf. Er hatte sich den Schlüssel vom Verwalter der Kapi-tänshäuser mitgeben lassen. Er hatte auch die geschäftlichen Verhandlungen erledigt. Um solche Kleinigkei-ten kümmerte sich die Detektivin nie.
Lady Agatha war entzückt, wie sie mehrfach behauptete. Das Fachwerkhaus war voll eingerichtet, alles al-te Mahagoni-Möbel mit Messingbeschlägen. Man fühlte sich behaglich wie in der Kajüte eines Hochseekapi-täns.
Die Verteilung der wenigen Räume war schnell geregelt. Parker bezog ein kleines Kabinett im Erdgeschoß gleich neben der Küche. Die beiden Damen komplimentierte er hinauf ins Obergeschoß. Er hielt sie dort für sicherer.
Als Parker zurück zum Wagen ging, hörte er über der Bay das Geräusch! eines Hubschraubers, der tief über das Wasser flog. Die Maschine kam direkt aus der Richtung des Schlosses, in dem Stephan Waters wohnte. Parker! achtete nur kurz auf den Helikopter und widmete sich dann dem wenigen Gepäck, das er ins Haus trug. Anschließend ließ er seinen hochbeinigen Wagen seitlich neben dem Haus in einer Fach-werkremise verschwinden.
Parker war, wie er bereits deutlich zu erkennen gegeben hatte, mit dem! Entschluß Myladys nicht einver-standen. Er hätte Agatha Simpson und Kathy Porter in wenigen Stunden zurück nach Torquay bringen kön-nen, wo sich Lady Simpsons Sommerwohnsitz befand. Dort hätte er, was die Sicherheit anbetraf, gewisse Garantien geben können.
Die Detektivin hatte auf diese Rückfahrt verzichtet. Sie wollte ganz in der Nähe dieses Flegels bleiben, um ihre Forderungen an Waters einzutreiben. Agatha Simpson galt nicht umsonst als eine sehr skurrile Dame, die jeder Norm widersprach.
Nun befand man sich also südlich von Falmouth in einer sich genau westlich erstreckenden Seitenbucht der Bay und konnte von hier aus das Castle auf der Felsnadel genau beobachten. Parker stellte mit einiger Befriedigung fest, daß die Wasserfläche zwischen dem Kapitänshaus und dem Castle erfreulich groß war. Lady Simpson konnte als nicht unmittelbar tätig werden.
Die Hänge dieser Bucht zeigten eine subtropische Vegetation. Der Golfstrom war die ununterbrochen tä-tige, riesige Zentralheizung, die die Südwestspitze von Cornwall mit Wärme versorgte. Zitronen- und Apfel-sinenbäume waren hier eine Selbstverständlichkeit. Selbst Bananenstauden waren reichlich vorhanden.
Der dicht bestandende Garten, der das Haus umgab, stand in voller Blüte und wirkte in seiner Üppigkeit wie ein kleiner Dschungel. Parker gab sich diesem Bild des Friedens für einen Moment voll hin. Er sah hin-unter auf die Bay und beobachtete einen Fischkutter, der seewärts tuckerte. Dann aber schaute er unwillkür-lich hinüber auf das Castle und besann sich auf die harte Gegenwart.
Er hatte Mylady gegenüber nicht übertrieben. Agatha Simpson wollte sich wegen einer Bagatelle mit ei-nem Gangster anlegen, der noch vor wenigen Jahren gefürchtet war. Ahnte sie überhaupt, auf was sie sich da einließ? Hatte sie jeden Sinn für Gefahr verloren?
»Besorgen Sie ein gutes Fernrohr«, ließ die Detektivin sich in diesem Augenblick vernehmen. »Ich möchte dieses Subjekt immer vor Augen haben.«
»Wie Mylady wünschen.« Parker seufzte innerlich auf.
»Und lassen Sie sich einfallen, wie wir diesen Lümmel gründlich nervös machen können!« Sie deutete zum Castle hinüber.
»Ich werde mich bemühen, Mylady«, entgegnete der Butler, »aber wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, so sollte man vielleicht noch eine gütliche Einigung in Betracht ziehen.«
»Und wie stellen Sie sich die vor?«
Agatha Simpson schien mit diesem Vorschlag nicht sehr einig zu gehen.
»Wenn Sie erlauben, werde ich mich mit Mister Waters noch mal in Verbindung setzen.«
»Gut, machen wir einen allerletzten Versuch«, räumte Lady Simpson ein. »Aber wenn ich erneut beleidigt werde, sind wir an der Reihe.«
Parker atmete innerlich auf.
*
Stephan Waters stand auf dem Balkon. Während er in kurzen Abständen immer wieder hinunter zur Bay und hinauf zum Himmel sah, um das Herankommen eines Hubschraubers früh genug zu beobachten, sah er sich die Einschläge im Gemäuer an.
Die Geschosse hatten den mächtigen Quadern natürlich kaum geschadet, doch sie hatten immerhin Schrammen ins Mauerwerk gerissen. Daß man ihn hatte ermorden wollen, stand für Stephan Waters hun-dertprozentig fest.
Der untersetzte, kompakte Mann hatte sich inzwischen wieder gefangen. Er fragte sich, in wessen Auftrag aus dem Hubschrauber geschossen worden war. Ging das US-Syndikat jetzt zur Sache über? Oder gab es noch andere Gruppen aus der Londoner Unterwelt, die sich an ihm rächen wollten?
Eine erste grobe Auswahl zu treffen, war für Waters sehr schwer. Er hatte einfach zu viele Gegner in Lon-don zurückgelassen. Jahrelang hatte er in der Stadt mit brutaler Faust regiert. Und immer wieder gelang es ihm, nach außen hin die weiße Weste zu wahren. Die Polizei konnte ihm nie etwas nachweisen.
Waters spürte, daß die Idylle beendet war. Er hatte sich eingeredet, einen Schlußstrich unter die Unter-weltsjahre ziehen zu können. Die Vergangenheit hatte ihn aber schon wieder eingeholt. Jetzt ging es wahr-scheinlich auf Leben und Tod. Er mußte sich seiner Haut wehren. Wer immer ihm ans Fell wollte, würde schnell merken, daß Stephan Waters noch den alten, scharfen Biß besaß.
Sein erster Entschluß, auf keinen Fall die Flucht zu ergreifen, war endgültig. Flucht war sinnlos. Hier vom Schloß aus konnte er nicht nur alle weiteren Angriffe abwehren, sondern auch zum Gegenangriff übergehen. Mit Geld ließ sich viel erreichen. Und Geld besaß er tatsächlich in mehr als ausreichender Menge. Die Jahre als Gangsterboß in London hatte er genutzt.
Er hörte das Läuten des Telefons in seinem großen Wohnraum, verließ den Balkon und ging an den Appa-rat. Er meldete sich und hörte auf der Gegenseite nur ein deutliches Atmen.
»Wer ist da?« fragte Waters scharf.
»Wirklich keine Ahnung?« Undeutlich und verzerrt klang die Stimme, die er erst vor wenigen Stunden gehört haben mußte.
Wenigstens kam ihm das so vor.
»Lady Simpson?« fragte er spontan.
Auf der Gegenseite war ein ersticktes Kichern zu hören.
»Sie sind ein Witzbold, Waters«, reagierte die Stimme.
»Wer spricht denn da?« Waters wurde wütend.
»Denken Sie darüber mal nach«, schloß die Stimme am anderen Leitungsende. »Ich bin’s gewöhnt, meine Rechnung zu präsentieren.«
Waters starrte auf den Hörer, nachdem die Verbindung getrennt worden war. Dann knallte er den Hörer in die Gabel und massierte sich nachdenklich seinen Nasenrücken.
Wie war das gewesen? Rechnung präsentieren!? Sollte diese Lady erneut angerufen haben? Waters war verunsichert. Ob diese komische Lady mit ihrem Butler und der Gesellschafterin vielleicht zum Syndikat gehörte?
*
Parker betrat nach etwa anderthalb Stunden wieder das Ferienhaus und machte einen recht zufriedenen Eindruck.
»Schon zurück?« erkundigte sich Agatha Simpson, die sich unten im Wohnraum befand.
»Die Verhandlung mit Mister Waters gestaltete sich erfreulich kurz«, schwindelte Parker. »Er konnte sich meinen Argumenten nicht länger verschließen, Mylady.«
»Und?!« Die streitbare Dame sah ihren Butler wachsam an.
»Mister Waters bittet um Entschuldigung für sein unmögliches Betragen und erstattet Ihnen hiermit die restlichen, geforderten 45 Pfund.«
Parker war hochherrschaftlicher Butler genug, um die Pfundnoten zuerst auf ein Silbertablett zu legen, be-vor er sie Mylady reichte.
»Pfui, Parker.«
»Mylady!« Parker hatte eine dumpfe Ahnung, daß seine Herrin den Schwindel bereits durchschaut hatte.
»Mylady sind meiner bescheidenen Wenigkeit gram?« erkundigte sich Parker.
»Sie wollen mich beschwindeln«, gab die Detektivin zurück. »Dieses Geld stammt niemals von diesem Flegel Waters. Stimmt es?«
»Mylady sehen mich zerknirscht.« Parker senkte den Kopf, um damit seine Betroffenheit anzudeuten.
»Es geht mir schon gar nicht mehr um das Geld«, stellte Agatha Simpson fest. »Es geht um das Prinzip der Höflichkeit. Dieser Lümmel hat sich zu entschuldigen. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Ich wollte Mylady sehr viel Ärger ersparen.«
»Haben Sie solch eine Angst vor diesem Subkekt?« Ihre Augen funkelten kriegerisch.
»Mylady kennen Stephan Waters nicht.«
»So ähnlich drückten Sie sich schon mal aus, Parker. Ob es gefährlich ist oder nicht, interessiert mich nicht. Er hat sich an die Regeln der Höflichkeit zu halten, vor allen Dingen einer Dame gegenüber. Haben Sie das Fernrohr mitgebracht?«
»Sicherheitshalber, Mylady.«
»Sie rechneten also damit, daß ich Sie durchschauen würde?« Lady Agatha lächelte triumphierend.
»Ich fürchtete es, Mylady.«
»Bauen Sie das Fernrohr auf, daß ich das Castle beobachten kann. Und dann erwarte ich Ihre Vorschläge, Mister Parker.«
»Können Mylady mir noch mal verzeihen?«
»Was bleibt mir anderes übrig? Ich brauche Ihre Tricks. Und das wissen Sie sehr genau.« Sie entließ Josu-ah Parker mit einer Handbewegung und widmete sich wieder dem kleinen Erfrischungstrunk, den Kathy Porter ihr besorgt hatte. Sie genoß den alten Whisky und sah die junge, attraktive Frau dann augenzwin-kernd an.
»Wer hat nun recht gehabt?« fragte sie. »Ich wußte gleich, daß er mich anschwindeln würde. Ja, Mister Parker muß noch viel lernen. Mister Rander scheint es ihm in all den Jahren etwas zu einfach gemacht zu haben.«
»Seine Warnungen klingen aber sehr ernst, Mylady.«
»Ich werde diesen Lümmel von einem Gangsterboß schon nicht unterschätzen, Kindchen.« Agatha Simp-son trank das Glas leer und stiefelte dann über die etwas steile Holztreppe hinauf ins Obergeschoß. In einer kleinen Giebelkammer hatte Parker inzwischen die private Beobachtungsstation eingerichtet.
Auf ein schweres Holzstativ war ein Teleskop montiert, das über eine Brennweite von rund 900 mm ver-fügte. Dieses Gerät sah schon recht professionell aus.
Agatha Simpson nickte zufrieden.
»Der Verkäufer garantiert eine fast 450fache Vergrößerung«, erläuterte Parker. »An sich ist dieses Tele-skop für die Beobachtung der Gestirne gedacht und für Amateuerastronomen entwickelt worden.«
»Ich will diesen Lümmel beobachten«, stellte die Detektivin fest.
»Mylady werden mit der Normalbeobachtung ungemein zufrieden sein«, verhieß Josuah Parker und jus-tierte das Teleskop. »Die Wasserfront des Castle weist im Objektiv erstaunliche Details auf.«
Lady Simpson sah durch das Okular und war angenehm überrascht. Die Vergrößerung wär wirklich be-achtlich. Sie suchte die Wasserseite des Castle ab und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit dann schließlich auf einen Balkon, dessen Tür zum Wohnraum weit geöffnet war.
»Was ist denn das?« fragte sie sich halblaut und bediente die Feineinstellung. »Sehen Sie doch mal, Mister Parker! Wenn das keine Schußspuren sind, will ich Mrs. Smith heißen.«
»Wenn Mylady erlauben.« Parker baute sich vor dem Teleskop auf und sah sich die Stelle an, die Agatha Simpson eingerichtet hatte.
»Mylady brauchen Ihren Namen nicht zu wechseln«, sagte er nach einigen Sekunden trocken. »Es sind Schußspuren! Und dazu noch recht frische.«
Als er sich aufrichtete, dachte Parker sofort an den Hubschrauber. Er fragte sich, ob da vielleicht ein Zu-sammenhang bestand.
*
Der Verkäufer, der Josuah Parker in Falmouth bedient hatte, war an diesem Tag besonders erfolgreich ge-wesen. Er hatte nämlich ein zweites Teleskop verkauft, und zwar an einen sehr trocken aussehenden Mann mit einer etwas altertümlich wirkenden Brille. Dieser Mann hatte den Verkäufer an einen stillen Privatgelehr-ten erinnert, der so etwas wie ein Wissenschaftler war.
Er besaß einen britischen Paß auf den Namen Ellis Kildare, war etwa fünfundvierzig Jahre alt und nannte sich Fachschriftsteller. Seine bisherigen Arbeiten waren in einem kleinen amerikanischen Verlag erschienen, wie sich beweisen ließ.
Das wirkliche Fachgebiet dieses Wissenschaftlers war Mord!
Ellis Kildare war der Henker des Syndikats und zuständig für den europäischen Bereich. Kildare, ein durch und durch humorloser Mensch, betrieb seine Arbeit wie eine Wissenschaft. Bevor er sich seinen Op-fern näherte, pflegte er deren Gewohnheiten sehr gründlich zu studieren. Wenn er dann zuschlug, war der Mord perfekt und kaum beweisbar. Ellis Kildare war auf dem Gebiet der tragischen Alltagsunfälle eine Ka-pazität. Waters heißt das Opfer, auf das Kildare angesetzt worden war. Der Henker des Syndikats war vor einigen Tagen hier im südlichen Cornwall eingetroffen und hatte sich in der Kapitänssiedlung ein kleines Fachwerk-Ferienhaus gemietet. Es war der Laune des Zufalls zuzuschreiben, daß er ganz in der Nähe von Agatha Simpson wohnte.
Kildare hatte ebenfalls sein Teleskop aufgebaut und beobachtete das Castle. Er nahm sich viel Zeit, um diesen mächtigen Steinbau zu studieren. Er suchte nach einer Möglichkeit für einen tragischen Unglücksfall. Dazu mußte er wissen, welche Personen sich außer Waters noch im Schloß aufhielten. Die Angaben, die die Leitung des Syndikats ihm hatte machen können, waren ihm etwas zu pauschal. Er wollte es genau wissen.
Als Kildare das Teleskop zur Landseite hinüberschwenkte, entdeckte er einen schwarzen, hochbeinigen und eckigen Wagen, der ihn sofort an ein Londoner Taxi erinnerte.
Dieses Fahrzeug stand oberhalb des Castle auf der Zufahrtstraße, die hinunter zur Kabelbrücke führte. Wer sich in diesem Wagen befand, ließ sich leider nicht feststellen. Die Fenster waren von innen mit kleinen Vorhängen geschlossen worden.
Ellis Kildare fragte sich einigermaßen verwundert, warum der Wagen dort stand und nicht weiterfuhr. Was hatte das zu bedeuten?
*
Parker wußte natürlich genau, daß sein hochbeiniger Wagen beobachtet wurde, hatte allerdings keine Ah-nung, von wem zusätzlich. Die Existenz des Fachwissenschaftlers war ihm unbekannt. Er rechnete nur mit der Aufmerksamkeit des Lümmels, wie Mylady Stephan Waters beharrlich bezeichnete.
Im Fond des Wagens saßen Agatha Simpson und ihre Gesellschaften Kathy Porter.
Mylady hatte auf diesem Ausflug bestanden. Sie wollte Waters ein wenig nervös machen, wie sie sagte. Das Erscheinen des Wagens auf der Zufahrtsstraße gehörte zu ihrem Programm der psychologischen Krieg-führung.
»Können Sie schon etwas erkennen?« fragte sie ungeduldig und gespannt zugleich. Der Wagen stand sei etwa zehn Minuten auf der Straße und mußte vom Castle aus wahrgenommen werden.
»Die Fenster bleiben beharrlich geschlossen«, meldete der Butler vom Steuer her. Er hatte einen besseren Blick auf das Schloß als Lady Simpson und Kathy Porter. »Aber jetzt! Ein kleiner Austin-Lieferwagen er-scheint hinter der Kabelbrücke.«
»Na also!« Myladys Stimme klang sehr zufrieden. »Ich wußte doch, daß man nervös werden würde.« Sie zog die Falten des Scheibenvorhangs etwas zur Seite und sah nun auch den Austin, der in langsamer Fahrt über die Kabelbrücke rollte. Der Wagen mußt auf der Brücke einen Moment warten, bis das Fallgatter hoch-gezogen wurde.
Parker hatte sich mit Lady Simpson vorher genau verständigt.
Er schaltete die Zündung ein, wendete seinen hochbeinigen Wagen und fuhr in schneller Fahrt davon. Als sie sich in einer langgezogenen Senke befanden, nutzte er die Kraft des eingebauten Spezialmotors gründlich aus. Der hochbeinige Wagen jagte über die Straße und näherte sich einem Gehölz.
Parker ging es darum, den Wagen von der Straße verschwinden zu lassen. Der Fahrer des Austin sollte den Eindruck gewinnen, daß er es nur mit einer Erscheinung seiner Phantasie zu tun gehabt hatte. Er sollte sich darüber wundern, daß der Wagen, den er eben noch gesehen hatte, plötzlich verschwunden war. Die Strecke bis zum Gehölz hätte ein normaler Wagen innerhalb dieser wenigen Sekunden nie geschafft.
*
»Und ich sag’ noch mal, Chef, der Schlitten war nicht mehr da«, berichtete Artie, der den Austin gesteu-ert hatte, »wie in Luft aufgelöst.«
»Das gibt’s doch überhaupt nicht!« Stephan Waters ärgerte sich wieder mal.
»Und doch ist das ’ne Tatsache, Chef«, schaltete sich Ray ein. »Wir haben die ganze Straße bis rüber nach Falmouth abgeklappert. Weit und breit kein Wagen.«
»Der Schlitten von dieser komischen Lady«, bestätigte Ray, der es genau wissen mußte.
»Da ist irgendein raffinierter Trick im Spiel«, stellte Waters überraschend klarsichtig fest.
»So’n Trick gibt’s doch überhaupt nicht«, behauptete Artie, »oder der Schlitten muß ’ne Rakete unterm Hintern gehabt haben.«
Waters kam nicht mehr dazu, weitere Vermutungen zu äußern oder sich mit möglichen Tricks zu beschäf-tigen. Sein dritter Jungprofi erschien ziemlich aufgeregt auf der Bildfläche. Es handelte sich um Cary, der nicht wesentlich intelligenter aussah als die beiden anderen Gorillas. Seine Augen paßten allerdings nicht zu seinem dümmlichen Gesicht. Sie waren in ununterbrochener Bewegung und wirkten leicht irre. Cary schien die Ansätze zu einem Psychopathen zu haben.
»Draußen steht wieder der schwarze Schlitten«, sagte er hastig, wobei sich in seinen Mundwinkeln sofort kleine Speichelbläschen bildeten.
Stephan Waters lief hastig durch den großen Wohnraum hinüber in einen zweiten, saalartigen Raum, dann durch einen Korridor und erreichte eine steinerne Wendeltreppe, die hinauf zur Plattform eines Türmchens führte.
Cary hatte richtig gesehen.
Dort, wo er noch vor etwa einer halben Stunde gestanden hatte, war erneut der schwarze hochbeinige Wagen zu sehen. Er stand auf der Kuppe des sanften Hügels wie eine blechgewordene Drohung. Die schwarze Farbe des Lacks unterstrich diesen Eindruck noch.
Stephan Waters hörte neben sich seine drei Profis kommen und unterdrückte einen wütenden Fluch. Artie, Ray und Cary brauchten nicht zu wissen, wie sehr ihn dieser Wagen beeindruckte und nervös machte.
Cary reichte seinem Chef ein Fernglas.
Waters setzte es sofort an die Augen und versuchte zu erkennen, wie der Fahrer aussah.
Zu seiner Überraschung war nichts zu unterscheiden. Die Optik des Fernglases zeigte ihm nur einen eigen-artigen ovalen Kopf, der von einer riesigen Brille fast verdeckt wurde. Unter einer flachen Nase war ein di-cker Majorsschnurrbart zu sehen. Es handelte sich um ein unmögliches Gesicht, das irreal wirkte.
»Sieh’ dir das mal an«, sagte Waters und reichte Cary das Glas zurück. Der nervöse Jungprofi beobachtete nun seinerseits und nagte dabei beharrlich an der Unterlippe.
»Sieht aus wie’n Luftballon«, sagte er schließlich und reichte das Glas an Artie weiter.
»Unsinn! Niemals ein Luftballon«, behauptete Artie nach kurzer Beobachtung. »Der Fahrer ist tatsächlich so dick. Was sagst du?«
Jetzt war Ray an der Reihe. Er brauchte nur wenige Sekunden.
»Wo ist da ein Luftballon oder ein richtiges Gesicht?« fragte er irritiert. »Ich kann überhaupt nichts se-hen.«
»Gib schon her!« Waters riß ihm das Glas aus der Hand und frequentierte erneut die Optik. Er fuhr rich-tiggehend zusammen, als er das bekannte Ziel erneut aufgenommen hatte.
»Das ist ’n Frosch!« stellte er fest, verblüfft, ungläubig und zweifelnd.
»Ein Frosch!« Artie genierte sich nicht, seinem Chef das Glas aus der Hand zu reißen.
»Das darf doch nicht wahr sein«, murmelte er kurz danach, »das ist Präsident Nixon!«
»Nixon?« Ray grinste abfällig. Er hatte ja schon immer geahnt, daß Artie nicht alles Geschirr in seinem persönlichen Schrank beisammen hatte. »Das ist … Nein, so was … Das ist Churchill!«
Cary brauchte das Glas gar nicht zu verlangen, denn Ray reichte es ihm freiwillig. Er schaute kurz durch die Optik und rieb sich dann verzweifelt die Augen.
»Mao Tse-tung«, behauptete Cary und kicherte ein wenig schrill und irr.
»Was ist denn mit euch los?« regte sich Waters jetzt verständlicherweise auf, denn das Angebot war ihm zu reichhaltig. »Wollt ihr mich etwa auf den Arm nehmen?«
Er besaß inzwischen wieder das Fernglas und informierte sich.
»Nein!« stöhnte er nun leise auf. »Ich glaub’s einfach nicht.«
»Was sehen Sie denn, Chef?« erkundigte sich Artie mißtrauisch.
»Marty Feldman«, gab Waters zurück, »und er schielt unwahrscheinlich. Ganz unwahrscheinlich!«
*
»Was tut sich, Mister Parker?« wollte Lady Simpson wissen.
»Die vier Herren räumen in erstaunlicher Schnelligkeit die Plattform des Turms«, meldete Parker vom Steuer her. Er legte die verschiedenen Juxmasken zur Seite, die er sich in einem Scherzartikelgeschäft be-sorgt hatte.
»Glauben Sie, daß es geklappt hat?« fragte Mylady heiter weiter.
»Mit letzter Sicherheit, Mylady. Die vier Herren dürften gründlich verunsichert worden sein.«
Parker hatte selbstverständlich mitbekommen, daß die vier Männer seinen Wagen beobachteten. Da er damit! gerechnet hatte, war es zu dem Kauf! der gummiartigen Jokemasken gekommen. Mylady bestand darauf, daß der Altgangster Waters verunsichert! wurde. Also hatte der Butler sich wieder mal etwas einfal-len lassen.
Der Austin erschien übrigens wieder auf der Kabelbrücke.
Parker drehte den Wagen und fuhr prompt los. Diesmal hinterließ er allerdings ein paar kleine Andenken. Dazu bediente er einen der vielen Hebel, die auf dem zusätzlichen Armaturenbrett seitlich neben seinem Fah-rersitz angebracht waren.
Nachdem dieser Hebel betätigt worden war, öffnete sich unter dem Kofferraum seines hochbeinigen Wa-gens die Klappe eines rechteckigen Blechkästchens, worauf einige zusammengeschweißte Stahlstifte auf die Zufahrtstraße fielen.
Diese Stahlstifte freuten sich ungemein auf die Reifen des Austin, der in wilder Fahrt durch das Vorwerk raste und dann die Zufahrtstraße erreichte. Diesmal wollte man wohl den hochbeinigen Wagen des Butler stellen.
*
Ellis Kildare, der Henker und Spezialist des Syndikats, staunte nicht schlecht, als er den schwarzen Wagen herankommen sah. Sein Inneres schaltete sofort auf Höchstalarm um. Was hatte das zu bedeuten? Was such-te der Wagen hier? Eben hatte er noch drüben, jenseits der Bucht, vor dem Castle gestanden. Und jetzt, nach einer halben Stunde, erschien er ausgerechnet zwischen den kleinen Kapitänshäusern.
Kildare setzte seine etwas angejahrt wirkende Brille auf und verwandelte sich in den etwas zerstreut wir-kenden Fachschriftsteller. Er dachte nicht im Traum daran, etwa eine Schußwaffe zu bemühen.
Vom Wohnzimmer seines Fachwerkhäuschens aus beobachtete er den Wagen, der ihn so ungemein an ein Londoner Taxi erinnerte. Der Wagen rollte an seinem Haus vorbei und bog wenig später in die Auffahrt zu einem benachbarten Grundstück ein.
Kildare wechselte das Fenster und versuchte ins Grundstück einzusehen, doch die Vegetation war zu üp-pig, sie raubte ihm jede Sicht. Kildare nahm sich vor, nach Anbruch der Dunkelheit ein wenig draußen in der warmen Luft zu pilgern. Bei der Gelegenheit wollte er sich die Bewohner des Fachwerkhauses diskret aus der Nähe ansehen.
Ellis Kildare brauchte nicht zu befürchten, daß seine wirkliche Identität erkannt worden war. So etwas gab es einfach nicht, dazu war seine Tarnung zu perfekt. Er fragte sich allerdings, wer die Insassen des Wa-gens wohl waren. Verfolgten auch sie Waters? Aus einem Grund vielleicht, den er noch nicht kannte? War es tatsächlich so, konnte er sich für seine Pläne nichts Besseres vorstellen. Dann konnte er diese Leute für seine Zwecke benutzen.
Kildare brauchte nur noch eine halbe Stunde zu warten, bis er seinen Spaziergang antreten konnte. Die Sonne stand bereits sehr tief und schickte sich an, hinter dem hügeligen Gelände zu verschwinden. Kildare schlang sich einen Schal um den Hals und verließ das Haus. Langsam und scheinbar versonnen näherte er sich dem Grundstück und dem Fachwerkhaus.
Vor dem Haus erschien gerade ein original hochherrschaftlicher Butler, der ein paar Blumen schnitt. Er sah den Spaziergänger und nickte steif und grüßend herüber.
Kildare dankte knapp und schritt weiter.
Er war Menschenkenner. Daß dieser Butler durch und durch echt war, konnte nicht bezweifelt werden. Was also mochten das für Leute sein, die sich einen Butler hielten? Ausgeschlossen, daß sie sich mit Stephan Waters anlegen wollten. Kildare kam zu dem Schluß, daß sein Mißtrauen unbegründet sei.
*
Parker servierte ein leichtes Abendessen, das er in der Küche des Hauses zubereitet hatte. Er war ein erst-klassiger Koch, der es überhaupt nicht gern sah, wenn Kathy Porther ihm in der Küche helfen wollte. Parker reichte zu kleinen, leicht in Butter angebratenen Kartoffeln, gebratene Scholle, eine kleine Fleischpastete und abschließend den berühmten dreifarbigen englischen Cheshire-Käse. Ein leichter Rheinwein rundete das Ganze ab.
Selbstverständlich hatte Parker es wieder mal abgelehnt, sich zu Lady Simpson an den Tisch zu setzen, die stets zusammen mit ihrer Gesellschafterin Kathy speiste. Parker fühlte sich in seiner Stellung als Butler kei-neswegs abgewertet oder als Lakai. Genau das Gegenteil war der Fall. Er hielt sich einer besonderen Klasse zugehörig, die für freiwilliges Dienen das Kennzeichen war.
Agatha Simpson hatte es sich längst abgewöhnt, Parker umzustimmen. Sie respektierte seine Haltung, die von Außenstehenden vielleicht als arrogant bezeichnet wurde.
»Haben Mylady noch Wünsche?« erkundigte sich Parker, als er den Kaffee servierte.
»Einen Schluck Whisky, Mister Parker«, bat die Detektivin, »und für morgen einen Hubschrauber.«
»Sehr wohl, Mylady«, lautete Parkers unerschütterliche Antwort. Der Wunsch nach einem Hubschrauber brachte ihn selbstverständlich nicht aus der Fassung. Lady Simpson nannte ihren Butler übrigens hartnäckig bei dessen Namen. Sie verzichtete darauf, ihn wie üblich mit dem Vornamen anzureden. Sie wollte damit ausdrücken, wie sehr sie Parker schätzte und achtete.
»Wollen Sie denn gar nicht wissen, wozu ich den Hubschrauber brauche?« Sie sah ihn ein wenig ärgerlich an.
»Mylady werden es mir wahrscheinlich jetzt mitteilen.«
»Wie werden Waters weiter nervös machen und über seinem Schloß kreisen, bis ihm die Trommelfelle platzen.«
»Eine Maßnahme, die Mister Waters nicht sonderlich schätzen wird.«
»Und was sagen Sie dazu?« Sie funkelte ihren Butler streitlustig an und wartete auf eine Widerrede. Ka-thy Porter schmunzelte in sich hinein.
»Wenn Mylady erlauben, werde ich mich um einen zweistrahligen Helikopter bemühen«, erwiderte Parker würdevoll. »Man sollte den Aspekt der Sicherheit nicht übersehen.«
»Sie sind also nicht einverstanden, wie?« Lady Simpsons Streitlust steigerte sich.
»Ich würde mir nie erlauben, an Myladys Wünschen Kritik zu üben«, gab Parker zurück. »Darf ich noch ein wenig nachschenken?«
»Ich werde allein fliegen«, sagte Agatha Simpson dann nachdrücklich. »Ihnen scheint die Sache keinen Spaß zu machen. Oder sollten Sie etwa Angst haben, Mister Parker?«
»Gewisse Sorgen möchte ich nicht verhehlen«, erwiderte Parker gemessen, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Man weiß nicht, wie Mister Waters reagieren wird. Vielleicht ist er gegen Fluggeräusche der ge-planten Art allergisch.«
»Hoffentlich!« Lady Simpson nickte hoffnungsvoll und ahnte nicht, was auf sie wartete.
*
Parker war zu Bett gegangen und ließ die Ereignisse des Tages Revue passieren.
Mylady hatte sich mit einem Gangster eingelassen, mit dem auf keinen Fall zu spaßen war. Agatha Simp-son schien das aber noch nicht eingesehen zu haben. Parker nahm sich vor, auf seine Herrin besonders gut aufzupassen. Er mochte die alte, streitlustige Dame, die sich so ungewöhnlich benahm. Im Grund sorgte jetzt sie für die Abenteuer, für die früher mal sein junger Herr Mike Rander zuständig gewesen war. Wenn er es recht betrachtete, so war die Arbeit für Lady Simpson noch wesentlich aufregender als zu Mike Randers Zeiten.
Parker, der schon eine Weile das Licht auf dem Nachttisch gelöscht hatte, nahm plötzlich unangenehm be-rührt die Augenbrauen hoch. Er hatte deutlich gehört, daß das Haus ungebetenen Besuch erhielt. Über die Eigengeräusche des alten Fachwerkhauses hinaus war da gerade ein Knarren gewesen, das auf die Belastung einer bisher entspannten Fußbodendiele deutete.
Parker dachte natürlich sofort an Waters und die Jungprofis. War es dem Altgangster gelungen, den neuen Aufenthaltsort von Mylady ausfindig zu machen? Wollte Waters sich für die beiden Besuche am späten Nachmittag revanchieren?
Josuah Parker war ein Meister im Verlassen von Betten. Er schaffte das, ohne Bettfedern aufwimmern zu lassen. Obwohl er ein altväterliches Nachthemd trug, sah er beeindruckend aus, würdevoll und respektgebie-tend. Parker schlüpfte in seine Hausschuhe und dann in seinen schwarzen Hausmantel. Er ergriff den Uni-versal-Regenschirm und machte sich daran, nach dem Urheber der Geräusche zu fahnden.
Parker betrat den schmalen Korridor, der an der Küche vorbei hinüber in den großen Wohnraum führte. Er bewegte sich mit der geschmeidigen Geräuschlosigkeit eines Indianers, der sich auf dem Kriegspfad befin-det.
Im großen Wohnraum herrschte nicht absolute Dunkelheit. Mondlicht sickerte durch die bunten Glas-scheiben der beiden Erkerfenster. In diesem diffusen Licht war eine Gestalt zu erkennen, die gerade hinter einer Standuhr verschwand. Der nächtliche Besucher wollte sicher abwarten, ob das Knarren der Diele be-merkt worden war.
Parker faßte sich ebenfalls in Geduld.
Er blieb knapp neben der Korridormündung stehen und wartete darauf, daß der Besucher wieder aktiv wurde.
Was erstaunlich lange dauerte.
Parker wußte längst, daß er es mit einem erfahrenen Mann zu tun hatte, mit einem Profi, der sich ebenfalls Zeit ließ. Dieser Besucher überstürzte nichts.
Nach fast drei Minuten erschien der Eindringling endlich wieder im Blickfeld des Butlers.
Parker erkannte eine schlanke, große Gestalt, die um den Kamin herumkam und zum Wandsekretär steuer-te. Parker entschied sich für seine Gabelschleuder, die er vorsichtig aus der Seitentasche seines Hausmantels zog. Er legte eine Tonmurmel in die Lederschlaufe der Zwille und schickte dieses an sich harmlose Geschoß auf die Reise.
Der Erfolg war frappierend.
Die hartgebrannte Tonmurmel verformte sich auf dem Hinterkopf des Mannes und bröselte unter der Wucht des Aufschlags auseinander. Der nächtliche Besucher blieb für Bruchteile von Sekunden starr und steif stehen. Es war deutlich zu erkennen, daß er sich noch umwenden wollte, doch er schaffte es nicht mehr. Sehr stilvoll ging der Besucher dann zu Boden. Er war so rücksichtsvoll, dabei kaum unnötigen Lärm zu ma-chen. Josuah Parker war sich seiner Sache sicher.
Er verließ seinen Platz und kümmerte sich um den Getroffenen. Er kniete nieder, sah sich dessen Gesicht an, entdeckte eine unmodische Brille, ein schmales Gesicht und neben der geöffneten Hand des Mannes eine schallgedämpfte Schußwaffe.
Parker wußte, daß er dieses Gesicht schon mal gesehen hatte, doch er wußte nicht mehr genau, wo das gewesen war. Parker richtete sich auf und ging zurück zum Korridor, um dort Licht zu machen.
Er hatte seine Hand bereits nach dem Schalter ausgestreckt, als er einen Schlag erhielt, der ihn an den kräf-tigen Huftritt eines auskeilenden Pferdes erinnerte.
*
Als Parker wieder erwachte, dröhnte sein Schädel wie eine Kesselpauke, die von Trommelschlegeln bear-beitet wird. Er faßte automatisch nach seinem Hinterkopf und schnappte nach Luft.
»Geht es wieder?« hörte er eine vertraute, resolute Stimme.
»Ich denke schon, Mylady«, erwiderte Parker mit leicht belegter Stimme. Er richtete sich vorsichtig auf.
»Warum rennen Sie auch in meinen Pompadour?« beschwerte sich Agatha Simpson grimmig-besorgt. »Konnten Sie sich nicht bemerkbar machen?«
»Ich werde in Zukunft verstärkt daran denken, Mylady.«
»Ich hielt Sie für einen Einbrecher.«
»Hoffentlich, Mylady«, antwortete Parker und erhob sich vorsichtig. »Haben Mylady sich inzwischen um den nächtlichen Besucher gekümmert?«
»Der … der ist mir leider entwischt«, gestand die Detektivin. »Ich wußte doch überhaupt nicht, daß Sie dieses Subjekt überrascht hatten. Es huschte plötzlich hoch und rannte zur Tür.«
Parker setzte sich auf einen Hocker in Kaminnähe und holte den schallgedämpften Revolver aus der Ta-sche seines Hausmantels. Er war froh, daß er die Waffe an sich genommen hatte, sonst hätte der nächtliche Besucher womöglich auf Lady Simpson geschossen.
»Darf ich mich nach Miß Porter erkundigen, Mylady?« Er wehrte ein wenig verlegen ab, als Agatha Simp-son ihm einen Whisky kredenzte, nahm den Drink dennoch dankbar an und stärkte sich. Der »Glücksbrin-ger« in Myladys Pompadour hatte ihn doch sehr beeindruckt.
»Kathy ist hinter diesem Flegel her, der hier eingebrochen hat«, erklärte Agatha Simpson. »Möchten Sie noch einen Drink, Mister Parker?«
»Danke, Mylady.« Parker schüttelte den Kopf. »Ich möchte gestehen, daß ich mir wegen Miß Porter eini-ge Sorgen mache. Der Besucher war ein Fachmann seiner Branche.«
»Auf Kathy kann man sich verlassen«, beruhigte die Sechzigjährige ihren Butler. »Sie hat nur einen etwas zu tiefen Schlaf. Ich merkte längst vor ihr, daß unten im Haus ein Einbrecher war.«
»Mylady reagierten nachdrücklich.« Parker rieb sich noch mal die schmerzende Stelle am Hinterkopf. »Wenn ich mir erlauben darf, möchte ich Mylady meine Bewunderung aussprechen.«
»Nicht wahr? Sie haben nicht gehört, wie ich die Treppe herunterkam?« Lady Simpson sah den Butler stolz an.
»In der Tat, Mylady.«
»Und wissen Sie auch, wie ich das geschafft habe?«
»Mylady werden meine Wenigkeit überraschen.«
»Ich bin auf dem Geländer heruntergerutscht«, erklärte die streitbare Dame, »ein Trick aus meiner Jugend-zeit. Mögen hölzerne Treppen noch so ausgetrocknet sein, die Geländer sind es nie.«
»Wenn Mylady erlauben, werde ich diesen Trick adaptieren«, antwortete der Butler würdevoll. »Darf ich Myladys Hausmantel besorgen?«
Agatha Simpson sah in ihrem weit wallenden Nachthemd nicht weniger beeindruckend aus als ihr Butler. Auf einer Bühne hätten sie in diesem Aufzug die Hauptrolle einer griechischen Tragödie spielen können.
»Zum Teufel mit Ihrer Prüderie«, meinte Agatha Simpson. »Haben Sie etwa Angst, ich könnte Sie verfüh-ren?«
Bevor Parker auf dieses delikate Thema näher eingehen konnte, erschien Kathy Porter, nachdem sie vorher sicherheitshalber deutlich angeklopft hatte.
»Nun, Kindchen?« Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin erwartungsvoll an. Kathy Porter, normaler-weise an ein scheues Reh erinnernd, wirkte sehr aktiv und selbstsicher. Und sehr attraktiv. Sie trug ein kurzes Nachthemd, dessen Saum knapp bis zu den Oberschenkeln reichte.
Dieses Shorty war an verschiedenen Stellen eingerissen. Das kurze Nachthemd bestand eigentlich nur noch aus Fetzen, die von schmalen Stoffstreifen mühsam zusammengehalten wurden. Kathy Porter mußte einen heftigen Kampf hinter sich haben.
»Er muß gemerkt haben, daß ich ihn verfolgte«, berichtete Kathy Porter, »er sprang mich plötzlich an und wollte mich erwürgen.«
»Hoffentlich haben Sie’s ihm gezeigt, Kindchen?« Lady Simpson leckte sich erwartungsvoll die Lippen.
»Leider nicht, Mylady«, gestand Kathy Porter etwas verschämt. »Der Mann verschwand in einem Garten, nachdem ich ihn in ein Gebüsch geworfen hatte.«
Man sah es Kathy Porter nicht an, aber sie war eine vorzügliche Judo- und Karatekämpferin mit sehr viel Erfahrung.
»Was sagen Sie, Mister Parker?« Lady Simpson drehte sich zu Parker um.
»Sehr hübsch«, kommentierte Parker, der Kathy betrachtete.
»Mäßigen Sie Ihre Gelüste, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson streng. »Kommen Sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Und Sie, Kindchen, sollten sich schleunigst etwas überziehen, sonst verliert Mister Parker seine restliche Konzentration!«
*
Ellis Kildare ärgerte sich maßlos.
Er war in dem Haus völlig überrascht worden. Noch jetzt fühlte er die immer weiter anschwellenden Beule auf dem Hinterkopf. Was ihn dort getroffen hatte, wußte er nicht zu sagen, doch es hatte vollkommen aus-gereicht, ihn für die Zeit auf die Dielenbretter zu schicken.
Kildare konnte sich diese Niederlage kaum verzeihen. Auch nicht die Pleite während der Verfolgung durch die rothaarige junge Frau, die ihn mit einem Judotrick in ein recht stacheliges Gebüsch befördert hatte. Die Kratzer von Domen und kleinen spitzen Ästen waren in seinem Gesicht deutlich zu sehen.
Erst auf Umwegen war Kildare zurück in sein Ferienhaus geschlichen. Er trank ein Glas Milch und fragte sich, wer diese Bewohner des von ihm besuchten Haus wohl in Wirklichkeit waren. Daß er es mit cleveren Fachleuten zu tun gehabt hatte, war ihm klar. Schon allein die geduldige Art, wie man ihn im Wohnraum belauert haben mußte, deutete auf Profis hin. Ganz zu schweigen von der jungen Frau im Shorty, die er ge-würgt hatte. Wie sie sich von ihm befreit hatte, war schon Klasse gewesen. Er massierte sich vorsichtig den Unterbauch, wo ihn der Ellbogen der jungen Frau voll erwischt hatte.
Doch wer sie auch sein mochte, auf Waters’ Seite standen sie sicher nicht. Handelte es sich hier um ein privates Unternehmen gegen den früheren Gangsterboß Waters? Gerade das hatte er durch seinen nächtli-chen Besuch feststellen wollen. Nun saß wahrscheinlich er in einer gewissen Klemme. Alles hing davon ab, ob man ihn wiedererkannte.
Ellis Kildare, der schlaue Fuchs und Henker des Syndikats, fühlte sich gar nicht mehr wohl in seiner Haut. Er fürchtete um seine Tarnung, seine bisher immer noch beste Waffe.
*
Mylady war in Hochstimmung.
Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin auf dem Rücksitz des Hubschraubers und genoß den Flug. Parker hatte den Helikopter bei einer privaten Gesellschaft besorgt, die normalerweise den Ausflugsverkehr zu den Scilly-Inseln unterhielt.
Parker befand sich selbstverständlich ebenfalls an Bord des Hubschraubers und genoß den Flug. Es war für ihn unvorstellbar, Mylady allein fliegen zu lassen. Er saß neben dem Piloten, einem schnauzbärtigen Mann von etwa 40 Jahren, der einen sehr sicheren Eindruck machte und den Flugapparat beherrschte.
Parker war nicht ohne Grund dabei.
Er kannte schließlich Lady Simpsons Sinn für Überrschungen. Außer jeder Kontrolle war sie glatt fähig, Waters mit gewissen Boshaftigkeiten zu beglücken, und zwar hier aus dem Hubschrauber heraus.
Der Helikopter bewegte sich mit knatternden Rotoren über die Bucht und hielt direkt auf das Schloß zu.
»Sie kennen den Besitzer?« erkundigte sich der Pilot über die Bordsprechanlage bei Parker.
»Kaum.« Parker schüttelte den Kopf. »Mylady interessiert sich für den Baustil.«
»Aha!« Der Pilot schien über diese Auskunft erfreut zu sein. Er taute ein wenig auf.
»Das Castle ist leider nicht zu besichtigen«, sagte Parker. »Der jetzige Besitzer scheint sehr zurückgezogen zu leben.«
»Der läßt keinen rein.« Der Pilot nickte bestätigend, »der wohnt wie in einer Festung. Traut sich kaum raus nach Falmouth. Der Mann hat wohl Angst, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.«
»Ein Prominenter, der Publicity scheut?« tippte Parker an.
»So kann man’s auch ausdrücken.« Der Pilot lächelte geringschätzig.
»Er soll aus London stammen«, meinte Parker weiter.
Der Pilot mußte auf eine Antwort verzichten.
Er hatte inzwischen das Castle erreicht und zog den Hubschrauber hoch. Er wollte an der Rückfront des Schlosses steigen und dann über dem Castle stehenbleiben. Genau das hatte Lady Simpson vor dem Flug mit ihm vereinbart.
Die Detektivin beugte sich etwas vor, um die Wasserfront des Schlosses genauer zu beobachten. Parker hatte seine Kleinbildkamera bemüht und schoß eine Aufnahme nach der anderen. Das unbestechliche Auge dieses Apparates sah bestimmt mehr als er. Eine Auswertung der Bilder konnte später immer noch erfolgen.
Plötzlich züngelten kleine Flammenzungen von einem der Erker empor. Harte Schläge schüttelten den Hubschrauber durch. In die Plexiglashaube der Maschine wurden geschoßgroße Löcher gestanzt.
Plötzlich stöhnte der Pilot auf und sackte in seinem Sitz zusammen.
*
»Getroffen!« stellte Waters fest.
Er stand hinter der Zinne eines Türmchens und beobachtete durch ein starkes Fernglas die Einschläge.
Er und seine drei Jungprofis hatten das Näherkommen des Hubschraubers bemerkt und ihre Vorbereitun-gen getroffen. Natürlich dachte Stephan Waters an eine Wiederholung des ersten Überfalls aus der Luft.
Artie und Cary hatten sich mit je einer Maschinenpistole ausgerüstet und Aufstellung in einem Erker be-zogen. Als der Hubschrauber nun an ihnen vorbeischwebte, schossen sie aus allen Rohren.
Und trafen!
»Getroffen!« jubelte Waters erneut auf. Er sah deutlich im Glas, daß der Pilot ausgeschaltet war. Er nahm das Glas von den Augen und verfolgte den Hubschrauber, der wie ein trunkener Schmetterling taumelte und sich gefährlich auf die Seite legte. Bis zum endgültigen Absturz konnte es nur noch wenige Sekunden dau-ern.
Waters kümmerte sich nicht darum, was er den Behörden später sagen sollte. Irgendeine Ausrede würde ihm schon einfallen. Hauptsache, er wurde nicht mehr aus einem Hubschrauber heraus angegriffen.
Die Maschine sackte seitlich weg und kam aus der Reichweite der beiden Maschinenpistolen, die aber schon nicht mehr schossen. Mit zwei kurzen Feuerstößen hatten die Jungprofis es geschafft, die Angreifer zu überraschen. Mit Gegenwehr hatten die Insassen bestimmt nicht gerechnet.
Im Grund brauchte Waters keine Entdeckung zu befürchten. Auch seine Mitarbeiter hatten mit erstklassi-gen Schalldämpfern gearbeitet. Die Feuerstöße waren in der Bucht mit Sicherheit nicht gehört worden. Wenn der Hubschrauber jetzt abkippte, dann hatte eben ein technisches Versagen Vorgelegen.
Und er kippte ab. Es war nur noch eine Frage von wenigen Sekunden, bis er wie ein schwerer Stein hinun-ter ins Wasser klatschte.
*
Nach der ersten Schrecksekunde reagierte der Butler überlegen und beherzt.
Er klinkte die Sitzgurte des Piloten auf und drehte sich dann zu Lady Simpson und Kathy Porter um.
»Würden Sie den Herrn freundlicherweise nach hinten ziehen?« bat er gemessen wie immer. »Ich möchte gern seine Stelle übernehmen.«
Lady Simpson und Kathy Porter brachte die kühle Stimme des Butlers wieder zur Besinnung.
Sie waren ein wenig außer Kontrolle geraten, denn sie glaubten fest, daß der jähe Absturz unvermeidlich sei. Kathy Porter langte sofort herzhaft zu, unterstützt von Agatha Simpson, die begriffen hatte was auf den Spiel stand.
Sie zogen und zerrten den besinnungslosen Piloten nach hinten, was wegen der Enge in der Kabine nicht gerade einfach war. Während sie alle Hände voll zu tun hatten, drückte der Butler sich auf den Sitz des Pilo-ten. Daß dabei seine schwarze, korrekt sitzende Melone ein wenig aus dem Sitz kam, störte ihn in diesem Moment nicht. Dieser kleine Schönheitsfehler ließ sich später immer noch ausbügeln.
Der Butler übernahm den Steuerknüppel, halb hockend, halb sitzend. Er schaffte es, den Hubschrauber abzufangen. Gewiß, der Flugapparat torkelte noch wie ein Blatt im Wind und schaukelte, ließ sich aber lang-sam wieder stabilisieren. Parker hatte seit langer Zeit nicht mehr einen Helikopter durch die Lüfte bewegt und war sich darüber klar, daß seine Flugbewegungen nicht gerade elegant aussahen. Doch darauf kam es nicht an.
Dicht über der Wasseroberfläche hatte er den Hubschrauber dann endlich fest im Griff, zumal er sich nun setzen konnte. Der immer noch ohnmächtige Pilot lag auf den Knien der beiden Frauen, die sich erstaunlich ruhig verhielten.
Parker wischte sich diskret die leichten Schweißperlen von der Stirn und korrigierte nun auch den Sitz sei-ner schwarzen Melone. Selbst in Momenten größter Gefahr hielt er auf Würde. Er konnte einfach nicht aus seiner Haut heraus.
»Darf ich mich nach dem Befinden des Piloten erkundigen?« fragte Parker über das Bordsprechnetz. Sei-ne Stimme klang würdevoll wie stets.
»Keine Blutspuren«, meldete Lady Simpson nach vorn.
»Der Pilotenhelm ist seitlich über der Schläfe eingebeult«, sagte Kathy Porter. »Das Geschoß scheint ab-geprallt zu sein.«
»Eine erfreuliche Mitteilung«, kommentierte der Butler.
»Hören Sie, Mister Parker«, Lady Simpsons Stimme zitterte nun nachträglich doch etwas. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie haben uns das Leben gerettet.«
»Ich tat nur meine Pflicht, Mylady.«
»Worum ich auch gebeten haben möchte«, erwiderte Agatha Simpson mit grollender Stimme, in die sich Rührung mischte. »Verdammt, das ist ja gerade noch mal gutgegangen!«
»In der Tat, Mylady!«
»Waters ist weder ein Flegel noch ein Lümmel«, regte sich Mylady auf. Bei ihr zeigte sich die Reaktion auf den tödlichen Schrecken, den sie gerade durchlebt hatte. »Dieser Waters ist ja ein Stinktier.«
»Eine treffliche Feststellung, Mylady.«
»Diesen Mordversuch lasse ich mir! nicht gefallen«, regte Lady Simpson sich weiter auf.
»Das war zu befürchten, Mylady.«
»Ich bestehe darauf, daß wir es diesem Waters heimzahlen.«
»Wie Mylady befehlen.«
»Auge um Auge, Zahn um Zahn«, zitierte die Sechzigjährige erregt.
»Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, versprach Parker.
»Jetzt geht es nicht mehr um die restlichen fünfundvierzig Pfund, Mister Parker.«
»Natürlich nicht, Mylady«, Parker! blieb völlig gelassen. Er wußte, daß Agatha Simpson sich abreagieren mußte.
»Ich wußte ja gar nicht, daß Sie einen Hubschrauber fliegen können«, wunderte sich die alte Dame.
»Mylady schmeicheln einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann«, sagte Parker. »Von fliegen kann aber keine Rede sein. Es ist mir gelungen, den Helikopter in der Luft zu halten.«
Parker untertrieb wieder mal.
Er steuerte den Hubschrauber über das letzte Stück der Bai und visierte bereits die Strandpartie an, von wo aus sie gestartet waren. Hier stand auch der hochbeinige Wagen des Butlers, der sie von der Kapitäns-siedlung hinunter zum Strand gebracht hatte.
Der Pilot brauchte eine Minute, bis er sich wieder richtig erinnern konnte. Erfreulicherweise bestätigte sich Kathy Porters Beobachtung. Der Mann hatte riesiges Glück gehabt. Das Geschoß hatte tatsächlich nur seinen Jet-Helm angebeult. Durch die Erschütterung des Aufschlages war der Pilot dann ohnmächtig geworden.
»Sie haben den Hubschrauber gesteuert?« fragte er dann respektvoll den Butler.
»Ich war in der erfreulichen Lage, verschüttete Kenntnisse aktivieren zu können«, wich Parker aus, der nie gern über seine allumfassenden Kenntnisse sprach.
»So was hätt’ ich Ihnen nie zugetraut!« Der Pilot schüttelte vorsichtig und immer noch fast ungläubig den Kopf.
»Was gedenken Sie zu tun?« wollte Parker wissen und deutete ablenkend auf die Einschüsse in der Plexi-glaskanzel.
»Das ist ein Fall für die Polizei«, sagte der Pilot grimmig. »Dafür lasse ich die Gangster ins Gefängnis ge-hen. Gemeinheit, einfach auf harmlose Leute zu schießen …«
»Im Prinzip erlaube ich mir Ihnen beizupflichten«, sagte Parker, während Mylady sich nur mühsam zu-rückhielt, »aber ich fürchte, Sir, Sie werden dann kaum den Schadensersatz erhalten, der Ihnen zusteht.«
»Das wollen wir doch mal sehen.«
»Der Weg eines Zivilprozesses ist lang und beschwerlich«, redete der Butler ruhig und überzeugend wei-ter. »Darf ich Ihnen einen gangbaren Vorschlag machen?«
»Ich begreif nicht, worauf Sie hinauswollen.«
Lady Simpson wird Ihnen den entstandenen Sachschaden vorfinanzieren«, erläuterte der Butler seinen Vorschlag. »Mylady wiederum wird sich dann wegen der Erstattung der Kosten an den Besitzer des Castle halten.«
»Klingt verdammt gut.« Der Pilot hatte schnell nachgedacht. Dann drehte er sich zu Agatha Simpson um. »Stimmt das? Übernehmen Sie die Reparaturkosten?«
»Mister Parker hat Handlungsvollmacht. Er wird Ihnen den erforderlichen Scheck ausstellen.«
»Respekt, Respekt!« Der Pilot freundete sich mit Parkers Vorschlag intensiv an. »Und was ist mit der Po-lizei?«
»Sie wird rechtzeitig informiert werden«, schaltete Parker sich wieder ein, »sobald Lady Simpson sich mit dem Besitzer des Castle auseinandergesetzt haben wird.«
»Ich soll also vorerst den Mund halten, wie?«
»So kann man es auch ausdrücken«, bestätigte der Butler.
»Ich werde diesem Schloßbesitzer nämlich noch ein Schmerzensgeld abverlangen«, schaltete Lady Simp-son sich ein, »und das werden dann Sie erhalten.«
»Wann fliegen wir wieder rüber zum Schloß?« fragte der Pilot und lächelte unternehmungslustig. »Ich glaube, auch so kann man zu Geld kommen.«
*
Ellis Kildare hatte sämtliche Einzelheiten durch sein Teleskop beobachtet.
Er hatte registriert, daß von den Erkern aus auf den Hubschrauber geschossen worden war. Und er hatte fest damit gerechnet, daß der Helikopter abstürzte.
In der leistungsstarken Optik hatte er dann überrascht festgestellt, daß der Butler das Steuer für den Rückflug übernahm.
Was ihn nicht nur staunen ließ, sondern noch zusätzlich beunruhigte.
Wo gab es das schließlich schon, daß ein Butler plötzlich einen Hubschrauber flog? Dieser Mann schien es faustdick hinter den Ohren zu haben. Er war ja schon mehr als nur ein Profi.
Vorspringende Uferpartien und üppiger Pflanzenwuchs hatten dann die weitere Beobachtung unmöglich gemacht. Doch dann stieg der Hubschrauber wieder hinter den Klippen empor, schraubte sich hoch und nahm westlichen Kurs in Richtung Penzance.
Die Optik sagte ihm, daß jetzt nur noch der Pilot im Hubschrauber saß.
Ellis Kildare verließ seinen Beobachtungsposten und begab sich hinunter in den Wohnraum des Ferien-häuschens. Er versorgte sich mit einem Glas Milch und zerbrach sich den Kopf darüber, mit wem er es wohl zu tun hatte. Er beschloß, sich beim Syndikat zu erkundigen. Traute man ihm nicht mehr? Hatte man eine zweite Vollstreckergruppe auf Waters angesetzt?
Kildare fragte sich, ob er in der Vergangenheit irgendwelche Fehler gemacht hatte. War man mit seiner Arbeit nicht mehr zufrieden? Er konnte sich beim besten Willen nicht an irgendwelche Pannen erinnern. Bis-her hatte doch immer alles reibungslos geklappt.
Vom Wohnzimmerfenster aus wartete er auf die Rückkehr des seltsamen Trios. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis der hochbeinige Wagen in die schmale Zufahrtstraße einbog und dann in der Einfahrt zu dem spitzgiebeligen Fachwerkhaus verschwand.
Kildare hatte sich erneut über das wirklich harmlose Aussehen dieser drei Insassen des Wagens gewun-dert. Sollten das wirklich Mitglieder seiner speziellen Branche sein? Dann war die Tarnung mehr als perfekt, dann war ihre Mimikry noch besser als die, die er sich zugelegt hatte.
Der Henker des Syndikats war inzwischen zu einem folgeschweren Entschluß gekommen. Er dachte nicht mehr daran, beim Syndikat nachzufragen und sich nach dem Trio zu erkundigen. Gespielte Ahnungslosigkeit war jetzt das Gebot der Stunden und die einzig richtige Taktik. Wenn diese drei Leute aus dem Fachwerk-haus auf der Strecke blieben, dann sprach das gegen ihr Können und für seine, Ellis Kildares, Spitzenklasse. Falls das Trio also für das Syndikat arbeitete, würde man dort sehr bald erfahren, daß ein Kildare keine noch so diskrete Unterstützung brauchte …
*
Nicht nur der Henker des Syndikats hatte den Zwischenfall am Castle mitbekommen.
Ein junger Mann mit dem Gesicht eines Wolfes und ein wesentlich älterer, kleiner Mann hatten kein Detail übersehen. Sie hatten sich ganz in der Nähe des Schlosses zwischen den zerklüfteten Steilhängen der Bucht aufgehalten. Ihr Interesse hatte zwar zuerst nur dem Schloß, dann aber dem Hubschrauber gegolten.
Sie saßen jetzt in einem bereits etwas angejahrten VW und fuhren zurück nach Falmouth. Der junge Mann mit dem Wolfsgesicht steuerte den Wagen.
»Verdammt, verdammt! Ich hab’s in, der Nase gehabt«, sagte der junge Mann plötzlich und schlug mit der Faust auf das Steuerrad. »Mit dem Hubschrauber hätten wir’s nicht noch mal versuchen dürfen.«
»Wir sollten überhaupt die Finger von der Geschichte lassen«, warf der ältere Mann ein, der das Gesicht einer stets verängstigten Spitzmaus hatte. »Gegen Waters kommen wir nicht an, Cliff. Laß uns zurück nach London fahren!«
»Ausgeschlossen, Paul.« Cliff Caven schüttelte energisch den Kopf. »Erst muß ich es Waters heimgezahlt haben. Er wird dafür zahlen, daß er meinen Bruder umgebracht hat.«
»Das liegt doch jetzt schon Jahre zurück, Cliff.«
»Wenn schon. Vorher hatte ich ja schließlich keine Möglichkeit, mich mit Waters zu beschäftigen.«
»Das stimmt durchaus.«
Cliff Caven war erst vor wenigen Wochen aus einem Gefängnis in Neuseeland entlassen worden und hatte nach seiner Rückkehr nach London von Paul Ratfield die näheren Einzelheiten über den Tod seines Bruders erfahren.
Danach hatte Waters Cliffs Bruder erschießen lassen, als dieser sich geweigert hatte, an Waters Schutz-gelder zu zahlen. Cliffs Bruder war mal der Besitzer und Inhaber einer Bar in Soho und hatte es riskiert, Wa-ters die Zähne zu zeigen. Was ihm überhaupt nicht bekam.
Cliff Caven, ein etwas übler Abenteurer und Mann, der es mit Gesetzen nicht ernst nahm, war kein Gangs-ter im normaler Sinn. In Neuseeland hatte man ihn als Alkoholschmuggler erwischt und festgesetzt. Cliff Caven wußte gut mit Waffen umzugehen und hatte keine Bedenken, diesen Rachefeldzug gegen Waters zu führen, und war mit allen Mitteln.
Noch hatte er sich Waters gegenüber nicht zu erkennen gegeben. Die Schüsse, die er aus dem Hubschrau-ber heraus auf Waters abgefeuert hatte, waren nur als erste Warnung gedacht gewesen. Jetzt sollte Waters aber ins Bild gesetzt werden. Er sollte erfahren, wer sich ihm auf die Fersen gesetzt hatte. Wahrscheinlich hatte Waters den Namen Caven längst vergessen. Cliffs Bruder war nur eines von vielen Opfern gewesen, die Waters’ Weg gesäumt hatten.
»Was mögen das für Leute im Hubschrauber gewesen sein?« fragte Paul Ratfield. Er war seinerzeit das treu ergebene Faktotum von Cliffs Bruder gewesen.
»Das werden wir schnell rausbekommen«, erwiderte Cliff Caven, »der Hubschrauber muß von Penzance gekommen sein. Da haben ja auch wir den Hubschrauber gemietet.«
»Ob die die Polizei alarmieren werden?«
»Wahrscheinlich, aber Waters wird sich bestimmt wieder herausreden. Das schafft er ja mit der linken Hand.«
»Na, also!« Paul Ratfield, der Mann, der wie eine Spitzmaus aussah, nickte erleichtert. »Hauptsache, die Polizei schaltet sich erst mal ein.«
»Wenn du Angst hast, Paul, kannst du sofort zurück nach London fahren«, gab Cliff Caven zurück. »Ich zwing’ dich nicht, Waters die Zähne zu zeigen.«
»Ich bleib’ hier«, erwiderte Paul, die Spitzmaus, entschieden. »Ohne mich machst du doch nur Dummhei-ten!«
»In Ordnung, Daddy«, erwiderte Cliff Caven ironisch. »Paß ein bißchen auf mich auf! Ich hatte mir schon immer mal ’n Kindermädchen gewünscht.«
Cliff Caven, der junge Mann mit dem Wolfsgesicht, ahnte nicht, wie sehr er sich eines Tages noch nach Paul sehnen würde …
*
»Bist du sicher, daß der Butler in dem Hubschrauber war?« fragte Waters erneut seinen Leibwächter Ar-tie.
»Vollkommen sicher, Chef«, erwiderte Artie, »ich hab’ ihn genau erkannt.«
»Der Mann war der Butler«, bestätigte Cary, »und weiter hinten in dem Hubschrauber waren auch noch zwei Frauen.«
»Okay, ihr könnt gehen.« Waters drehte sich um und mischte sich einen Drink an seiner Hausbar.
»Sollen wir uns nicht um den Hubschrauber kümmern?« fragte Artie.
»Bereitet lieber alles für den Besuch der Polizei vor«, gab Waters zurück. »Die wird nämlich bald hier er-scheinen und ein paar unangenehme Fragen stellen. Laßt alle Waffen verschwinden! Und ihr wißt natürlich von nichts, ist das klar?«
Als Waters allein war, trank er das Glas in einem Zug leer. Jetzt, nachdem der Zwischenfall vorüber war, wurde er wieder kühl und beherrscht. Wenn der Butler im Hubschrauber gewesen war, dann konnte auch diese skurrile Lady mit ihrer Gesellschafterin nicht weit sein. Sie waren also doch nicht nach Schottland ge-fahren, sondern trieben sich nach wie vor ganz in der Nähe des Schlosses herum! Und sie hatten ganz sicher den Auftrag, ihn zu erledigen. Das Syndikat war zum Angriff übergegangen. Zuerst die Schüsse aus dem Hubschrauber, die ihn beinahe erwischt hätten. Und jetzt dieser wohl zweite Versuch, den er gerade noch hatte abwehren können.
Angriff war seiner Meinung nach auch eine Art der Verteidigung. Doch Waters wußte inzwischen, daß er dünne Nerven besaß. Daß sie derart empfindlich waren, hätte er vor ein paar Tagen noch nicht geglaubt. Er traute sich einfach nicht, das Castle zu verlassen. Er wollte lieber auf eine Konterchance warten, wie sie ihm vor einer knappen halben Stunde gerade gelungen wäre …
Wenn das Syndikat an ihn heran wollte, müßten die Henker hierher ins Schloß. Und das hatte er schließ-lich in eine Art Festung umbauen lassen. Wer ihn in diesen alten Gemäuern stellen wollte, der hatte mit eini-gen raffinierten und vielleicht auch tödlichen Fallen zu rechnen. Wer es schaffte, ins Schloß zu gelangen, der riskierte, daß er auf Nimmerwiedersehen verschwand. Das Castle hatte seine Geheimnisse, auf die er per Zufall gestoßen war.
Waters zuckte zusammen, als das Telefon läutete.
Fast zögernd ging er zum Apparat und atmete tief durch, bevor er den Hörer abnahm.
»Waters«, meldete er sich und bemühte sich um einen aufgekratzten Ton.
»Butler Parker«, lautete die gemessene und würdevolle Antwort. »Ich habe die Ehre, im Auftrag von Lady Simpson anzurufen.«
»Was will die alte Schreckschraube von mir?« antwortete Waters wütend.
»Ich darf Ihnen versichern, daß Sie sich recht bald eines anderen Tons befleißigen werden«, sagte Parker, »aber nun zu meinem eigentlichen Auftrag, Mister Waters. Lady Simpson ist äußerst ungehalten über die Belästigungen in Form einiger Salven aus diversen Maschinenpistolen.«
»Schade, daß ihr nicht abgekratzt seid!« Aus Waters sprach jetzt wieder der alte Gangsterchef, der keine Manieren kannte.
»Lady Simpson ist geradezu erzürnt«, steigerte Parker, »und Lady Simpson behält sich alle weiteren Schritte vor. Sie werden ab sofort mit Unannehmlichkeiten rechnen müssen.«
»Laß doch endlich die Katze aus dem Sack«, schimpfte Waters. »Daß euch das Syndikat geschickt hat, ist mir klar. Aber das macht mir nichts aus. Hier in meinem Schloß werdet ihr mich nie erwischen.«
»Sie sollten sich keiner Täuschung hingeben«, redete Parker höflich und kühl weiter. »Lady Simpson ist der Ansicht, daß Sie schon in kurzer Zeit sich freiwillig unter den Schutz der Polizei stellen werden.«
»Ihr wollt mir die Polizei auf den Hals hetzen?« Waters produzierte eine Lache, die er für einigermaßen ironisch hielt.
»Sie haben meine Wenigkeit offensichtlich mißverstanden«, korrigierte Josuah Parker in seinem unnach-ahmlichen Tonfall. »Lady Simpson ist der Ansicht, daß Sie noch freiwillig nach der zuständigen Behörde rufen werden.«
»Selbst mit Bomben werdet ihr mich nicht ausräuchern«, sagte Waters, der es wirklich genau wußte, denn er kannte schließlich die tiefen Kellergewölbe des Castle.
»Sie machen sich unnötige Hoffnungen«, stellte Parker daraufhin richtig. »Ich darf Ihnen warnend mittei-len, daß Lady Simpsons Methoden wesentlich subtiler sein werden. Abschließend möchte ich Ihnen sagen, daß Sie sich doch ein wenig überraschen lassen sollten.«
Bevor Waters darauf antworten konnte, war das bekannte Knacken in der Leitung zu hören. Butler Parker hatte aufgelegt. Waters knallte daraufhin wütend den Hörer auf die Gabel und schrie ein wenig überlaut nach seinen drei Profis.
»Alles genau nachprüfen«, ordnete er an, nachdem sie auf der Bildfläche erschienen waren. »Nicht mal ’ne Maus darf ungesehen ins Castle, Jungens. Diesen Amateuren werden wir’s mal zeigen. Die sollen sich noch wundern.«
*
Mylady stand am Fenster des Wohnzimmers hinter der Gardine und sah auf die schmale Straße hinunter. Ohne sich umzuwenden, winkte sie den Butler zu sich heran, der gerade den Mittagstisch für den Lunch deckte.
»Sehen Sie sich den VW mal an«, sagte sie, als Parker neben ihr erschien, »der fährt jetzt bereits zum zweiten Mal am Haus vorbei.«
»Und der Mann am Steuer scheint sich für dieses Ferienhaus zu interessieren, Mylady.«
»Genau das meine ich, Mister Parker.«
Der Butler hatte Zeit und Muße, sich das Gesicht des jungen Mannes am Steuer genau einzuprägen. Die-ses Gesicht hatte etwas Wölfisches an sich und sah dennoch nicht unangenehm aus. Neben dem Fahrer sah er einen wesentlich älteren Mann, der ihn deutlich an eine Spitzmaus erinnerte.
Der bereits angejahrte VW nahm Fahrt auf und fuhr hangab die Straße hinunter. Parker hatte dabei Gele-genheit, sich das Kennzeichen einzuprägen.
»Was sagen Sie dazu, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson unternehmungslustig. »Sind das die Send-boten dieses Subjektes Waters?«
»Damit ist durchaus zu rechnen, Mylady.«
»Dann dürfte ja bis zum Einbruch der Dunkelheit mit etwas Abwechslung zu rechnen sein.«
»Dies, Mylady, steht zu befürchten.«.
»Wie hat Waters uns aufspüren können?«
»Über die private Hubschraubergesellschaft, Mylady. Das war übrigens anzunehmen.«
»Unternehmen wir etwas? Vielleicht noch vor dem Lunch?«
»Mylady sollten den Lunch auf keinen Fall versäumen«, warnte der Butler höflich. »Mylady erwarten ein wenig Lachs, Cornish-Pastete und anschließend Mandelpudding nach Suffolk-Art.«
»Klingt nicht schlecht«, gab die Detektivin zurück, »gönnen wir den Waters-Individuen also noch etwas Freizeit. Aber nach dem Lunch, Mister Parker, erwarte ich Aktionen. Wir wollen diesem Frechling Waters den Nachmittag gründlich verderben.«
*
Parker hatte die Bestände in seinem schwarzen, abgeschabten Lederkoffer überprüft und war der Ansicht, daß dringend einige Zusatzkäufe notwendig waren. Er hatte sich mit dem Problem befaßt, das auf ihn warte-te. Mylady erwartete Aktionen, also mußte er wieder mal entsprechend vorbereiten.
Er ging von der richtigen Tatsache aus, daß das alte Gemäuer nicht zu stürmen sei. Dazu hätte wohl eine kleine Privatarmee zur Verfügung stehen müssen. Wenn man Waters beikommen wollte, mußte man zu un-gewöhnlichen Methoden greifen, zu Listen, die ein solcher Bursche sicher nicht kannte. Man mußte die Un-annehmlichkeiten, die Mylady versprochen hatte, in das Schloß hineintragen, ohne sich dabei selbst in unnö-tige Gefahr zu bringen.
Parker besaß so etwas wie ein fotografisches Gedächtnis und sah das Castle samt seinem Vorwerk noch genau und plastisch vor sich. Die Diestanz – und das erschien ihm wichtig – von dem letzten Hügel bis hin-über zum Schloß war mit geeigneten Mitteln durchaus zu überbrücken.
Parker teilte Mylady also seine Absichten mit und fand den ungeteilten Beifall seiner streitbaren Herrin. Angeregt durch Parkers Vorschläge, entwickelte sie zusätzlich noch einige recht interessante Denkmodelle.
»Kommen Sie, Kindchen«, rief sie ihrer Gesellschafterin Kathy zu, »wir werden einige Einkäufe machen. Wir wollen Waters doch nicht enttäuschen.«
»Könnte man nicht versuchen, während Ihrer Abwesenheit noch mal in das Haus einzudringen?« fragte Kathy Porter umsichtig.
»Was sagen Sie dazu, Mister Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler erwartungsvoll an.
»Wenn Mylady gestatten, werde ich einige Überraschungen für etwaige Besucher zurücklassen«, ver-sprach Josuah Parker.
»Sehr hübsch«, freute sich Lady Simpson, »aber richten Sie es so ein, daß wir, diese Lümmel anschließend auch identifizieren können.«
Parker ging auf diese Anregung nur zu gern ein, wodurch sich die allgemeine Abfahrt allerdings um fast eine halbe Stunde verzögerte. Was sich später auszahlen sollte, wie jetzt schon gesagt werden darf.
*
Ellis Kildare, der Henker des Syndikats, war ein schlauer Fuchs.
Gewiß, er hatte mitbekommen, daß der Butler samt Lady und Gesellschafterin weggefahren war, aber das besagte noch gar nichts. War das nur ein Trick, um ihn in eine vorbereitete Falle laufen zu lassen? Drehten sie gleich wieder um? Oder blieb einer dieses Trios hinter der nächsten Straßenbiegung zurück, um sich dann an das Haus anzuschleichen?
Kildare nahm sich Zeit, wie es seiner Arbeitsweise entsprach.
Er wechselte vor allen Dingen erst mal seinen Beobachtungsposten und baute sich vor einem Fenster an der Rückseite des Hauses auf. Von hier aus hatte er einen guten Blick in die rückwärtigen Gärten. Wenn einer des Trios – wahrscheinlich der Butler – sich zum Haus zurückschlich, dann sicher nur auf dem Umweg über die Gärten.
Kildare, mit einem Glas Milch bewaffnet, wartete also ab und merkte nicht, daß vorn auf der Straße wie-der ein alter, zerbeulter VW erschien, in dem zwei Männer saßen. Auch sie interessierten sich für das spitz-gieblige Fachwerkhaus, nachdem sie gemerkt hatten, daß die Bewohner weggefahren waren.
*
»Ich mach’ ganz auf die doofe Tour«, sagte Paul, die Spitzmaus.
»Fällt dir ja nicht besonders schwer«, erwiderte Cliff Caven ironisch.
»Das Türschloß ist für mich ein Kinderspiel«, redete Paul weiter, »du kannst ja später nachkommen.«
»Ich will nur wissen, wer die drei Leutchen sind«, gab Cliff zurück, »und laß alles an Ort und Stelle lie-gen, Paul. Klauen kannst du später immer noch. Die dürfen nicht merken, daß wir im Haus gewesen sind.«
Während Paul ausstieg und wie selbstverständlich auf das Fachwerkhaus zuging, zündete Caven sich eine Zigarette an und stand Schmiere. Es war eine Kleinigkeit gewesen, die Insassen des angeschossenen Hub-schraubers ausfindig zu machen. Der Pilot der kleinen privaten Fluggesellschaft hatte sich die Adresse her-auslocken lassen und war vor allen Dingen ahnungslos geblieben, wie Caven sofort bemerkt hatte. Jetzt war man also vor dem Haus dieses Trios und mußte sich überraschen lassen.
Paul, die Spitzmaus, hatte inzwischen mit Leichtigkeit die Haustür geöffnet. Als ehemaliger Einsteigedieb beherrschte er sein Handwerk. Er drückte die Tür auf und winkte zu Caven hinüber. Der junge Mann mit dem Wolfsgesicht stieg nun ebenfalls aus dem Wagen und ging auf das Haus zu. Selbst ein aufmerksamer Beobachter hätte sicher keinen Verdacht geschöpft, zumal diese Ferienhäuser ja immer wieder neue Gäste und damit auch neue Gesichter beherbergten.
»Wo fangen wir zuerst an?« fragte Paul Ratfield, als Caven ihn erreicht hatte. Sie standen bereits im Vor-flur und drückten die Tür hinter sich zu.
»Beim Gepäck«, entschied Caven. »Nimm du dir die oberen Räume vor, ich bleibe im Erdgeschoß. Und noch mal, Paul, es wird nichts abgeräumt! Behalt die Finger bei dir!«
Der Henker des Syndikats war inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß die Luft rein sei.
Er hatte sein Ferienhaus verlassen und erging sich im rückwärtigen Garten des Hauses. Dann machte er ei-nen kleinen Umweg und erreichte sehr schnell den Garten, der zum spitzgiebligen Fachwerkhaus gehörte.
Ellis Kildare wirkte in seiner Standardmaske ungemein echt. Ein etwas zerstreut aussehender Mann, of-fensichtlich ein Geistesarbeiter, kam, in Gedanken versunken, auf die. Rückseite des Ferienhauses zu und … hatte innerhalb weniger Sekunden das einfache Schloß an der rückwärtigen Tür geknackt.
Als er die Tür aufdrückte, vorsichtig und auch ein wenig mißtrauisch, merkte er überhaupt nicht, was sich über seinem Kopf abspielte.
Beim Aufdrücken der Tür spannte sich nämlich ungewollt eine dünne Nylonschnur, die oben im Rahmen der Tür durch eine kleine Öse lief, hinauf zu einem kleinen Plastikeimer weiterführte, wie er von spielenden Kindern bevorzugt wird, und dann diesen Eimer an- und schließlich umkippte. Dieser Eimer hing an dem Deckenbalken gleich an der Tür und war mit dem Henkel mittels einer Nylonschnurschleife befestigt wor-den.
Wie gesagt, Ellis Kildare war ahnungslos.
Er hatte die Tür so weit geöffnet, daß er gerade in die Küche schlüpfen konnte. Doch Parker hatte diese Vorsicht eines etwaigen Besuchers einkalkuliert. Der Plastikeimer über dem Kopf des Henkers neigte sich bereits bedrohlich.
Und dann passierte es.
Die Nylonschnur hatte den Plastikeimer endgültig zum Kippen gebracht.
Ein Schwall von klebriger Nässe ergoß sich auf das schuldige Haupt des Henkers, der völlig überrascht wurde. Er schnappte nach Luft und warf sich automatisch zurück. Doch der Guß hatte ihn bereits erwischt. Ellis Kildare mußte die Augen schließen. Die klebrige Flüssigkeit brannte wie Seifenschaum.
Er wußte natürlich sofort, daß er irgendwie erwartet worden war, und beeilte sich, schleunigst wieder im Grün des Gartens zu verschwinden. Der so zerstreut wirkende Fachschriftsteller zeigte jetzt, was in ihm steckte. Geschmeidig, durchtrainiert und gekonnt wetzte er durch die Sträucher und Büsche, um seinen Ke-menaten so schnell wie möglich wieder zuzustreben. Innerlich fluchte er auf den Butler, der ihm diese Falle gestellt hatte.
Ellis Kildare fragte sich allerdings unruhig, um welche Flüssigkeit es sich wohl handelte. Mit einfachem Wasser konnte sich dieser Butler doch unmöglich begnügt haben.
*
Paul Ratfield und Cliff Caven hatten überhaupt nicht begriffen, was sich an der rückwärtigen Küchentür abgespielt hatte. Ein Beweis für die an sich gekonnte Arbeit des Henkers.
Paul stand auf der unteren Stufe der altehrwürdigen Holztreppe und begab sich heiteren Sinnes nach oben. Mit irgendwelchen Überraschungen war ja nicht zu rechnen. Für ihn war eine Treppe eine Treppe und mehr nicht.
Paul, die Spitzmaus, huschte also nach oben und stieß einen entsetzten Schrei aus. Ratfield begab sich auf eine nicht eingeplante Luftreise.
Seine Schuhsohlen faßten nämlich plötzlich nicht mehr Schritt und Tritt. Ein Schmiermittel von besonderer Gleitfähigkeit hatte die Standfestigkeit aufgehoben.
Paul fiel zwar zuerst auf die Nase, überschlug sich dann aber, absolvierte eine Rolle rückwärts und legte den Rest der Stufen im freien Fall zurück. Er blieb auf dem Läufer am Fuß der Treppe liegen und hatte das sichere Gefühl, sich sämtliche Knochen gebrochen zu haben.
»Du Flasche!« Cliff Caven mußte lachen, ob er wollte oder nicht. Er half der Spitzmaus auf die Beine und sah Paul dann kopfschüttelnd an.
»Die Treppe …« stöhnte Ratfield, »das verdammte Ding!«
»Du wirst eben alt«, stellte Caven sachlich fest, »befaß du dich also mit dem Sekretär! Ich werde nach oben gehen.«
»Nein!« stöhnte Paul ahnungsvoll auf.
»Mach schon«, sagte Caven, der ihn mißverstand. Er nickte seinem älteren Begleiter zu und erklomm nun seinerseits die Treppe, optimistisch und schnell.
Paul wollte ihm noch eine Warnung nachrufen, doch dann brachte er nur ein leises Stöhnen zustande. Die Prellungen, die er davongetragen hatte, waren stärker als die gedachte Warnung.
Cliff Caven, der Mann mit dem Wolfsgesicht, hatte inzwischen die kritische Stelle erreicht.
Paul schloß ergeben die Augen und hielt sich die Ohren zu. Dennoch hörte er den ebenfalls überraschten Aufschrei und dann das Poltern auf den Stufen.
Cavens Füße waren auf dem Gleitmittel natürlich auch ausgerutscht. Der Mann mit dem Wolfsgesicht schlug auf die Stirn, verformte sich beim Abrutschen leicht die kräftig ausgebildete Nase und donnerte darin seinem Begleiter entgegen. Dabei löste sich, wie sich später herausstellte, ein oberer Schneidezahn.
Benommen blieb Caven neben Ratfield liegen. Dann schaute er hoch. Und das Wolfsgesicht glich jetzt dem eines überraschten Schafes. Was wohl in erster Linie mit der verformten Nase zusammenhing, die blute-te.
Caven erhob sich und sah Paul Ratfiel anklagend an.
»Konntest du Idiot denn nichts sagen?« fragte er wütend und ein wenig zischelnd, was aber mit dem Schneidezahn zusammenhing.
»Wollt ich doch«, erwiderte Paul und grinste wider Willen.
»Die Stufen sind eingeschmiert worden«, berichtete Caven unnötigerweise, da Paul es bereits wußte.
»Verdammt hinterlistig«, beschwerte sich Paul, »so was macht man einfach nicht.«
»Wir brauchen uns gar nicht weiter umzusehen«, sagte Caven und fingerte vorsichtig an seiner Nase her-um. »Die haben hier mit Besuch gerechnet und längst alles weggeräumt, was interessant sein könnte.«
»Laß uns gehen«, schlug Paul nervös vor, »wer weiß, was sonst noch für Überraschaungen auf uns war-ten.«
Cliff Caven pflichtete seinem Begleiter bei. Hier war für sie wirklich nichts mehr zu holen. Er humpelte zusammen mit ihm zurück zum Vorflur und zur Tür.
Und genau hier erlebten die beiden Helden eine zweite Panne. Sie ahnten ja nicht, welch ein guter Psycho-loge Josuah Parker war.
Caven entdeckte in dem großen Briefkasten unter dem Türschlitz eine Art Doppelbrief, der verschnürt und dazu noch versiegelt war. Ein Wertpäckchen hätte man nicht besser sichern können.
Caven bückte sich etwas mühsam und registrierte dabei, daß er sich die linke Hüfte verstaucht haben muß-te. Er sah durch die Sichtscheibe des Briefkastens, überlegte einen Moment und holte den Doppelbrief dann heraus. Die Versuchung war einfach unwiderstehlich.
»Josuah Parker«, las er die Anschrift. »Das Ding kommt aus London.«
»Mach’s doch auf«, schlug Paul vor.
Caven nickte. Er ging mit Paul zurück in den Wohnraum und machte sich mit spitzen und geschickten Fingern daran, den Doppelbrief aufzuschnüren. Vorher hatte er allerdings den Inhalt mit sensiblen Finger-spitzen abgeschätzt. Es war ihm vorgekommen, als habe er einen flachen Yaleschlüssel gefühlt.
Sie beugten, sich beide äußerst neugierig über das inzwischen geöffnete Päckchen. In dem wattierten Um-schlag befand sich ein flaches, fingerdickes Schächtelchen, neben dem tatsächlich ein Yaleschlüssel lag.
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte Caven.
»Und ich erst«, fügte Ratfield hinzu.
Die beiden Männer beugten sich noch tiefer über das flache Schächtelchen, das Caven zu öffnen sich be-mühte.
Er hätte es besser nicht getan …
Es handelte sich um ein Trickschächtelchen, das unter starkem Federdruck stand.
Als Caven endlich den Deckel hochgezerrt hatte, entspannte sich eine bis dahin zusammengedrückte Fe-der und schleuderte blitzartig ein graues Pulver in die Gegend. Und natürlich erst recht in zwei erwartungs-volle Gesichter.
Worauf Paul, die Spitzmaus, einen mittelschweren Hustenanfall erlitt und Tränen produzierte.
Cliff Caven hatte die Hauptladung abgekriegt.
Das graue Pulver nistete auf seinen Augäpfeln und reizte die Schleimhäute.
Caven weinte nicht, er heulte wie ein Schloßhund. Blind tappte er umher, unfähig, durch die Tränenschlei-er etwas erkennen zu können. Hinzu kam ein Hustenreiz, der ihn wie einen erkälteten Seehund bellen ließ.
»Weg«, krächzte Caven, was man ihm nicht verdenken konnte. »Abhauen, Paul …«
Unter Blinden ist der Einäugige bekanntlich der König. Diese Königsrolle mußte nun Paul übernehmen. Er nahm seinen Begleiter bei der Hand und lotste ihn vor das Haus. Es dauerte einige Zeit, bis sie den VW end-lich richtig angesteuert hatten. Paul übernahm das Steuer und rauschte verhalten los.
Er sah nicht besonders viel und hätte um ein Haar einen Hydranten mitgenommen. Er konnte den Zusam-menstoß zwar gerade noch vermeiden, knallte dafür aber mit dem linken Kotflügel gegen ein Straßenschild, demolierte die Wagentür und schlingerte anschließend in einem gewagten Slalom hangab die Straße hinun-ter.
*
Butler Parkers Einkauf hatte sich verzögert.
In Falmouth gab es nicht alle Dinge, die er für notwendig hielt. Parker, Lady Simpson und Kathy Porter waren also bis nach Plymouth gefahren, eine Strecke, die der hochbeinige Wagen mit Leichtigkeit geschafft hatte.
In Plymouth konnte Parker seine Vorräte endgültig ergänzen. Er sah sich sehr gründlich in einem Scherzar-tikelwarengeschäft um und kaufte in einem Spielwarengeschäft ein. Im Kofferraum seines Wagens lagen einige Pakete und eine kleine Stahlflasche, in der sich Wasserstoff befand. Diesen Artikel hatte er sich in einem Fachgeschäft für Industriebedarf besorgt.
Es dämmerte bereits, als Parker zurück nach Falmouth fuhr. Die Lichtverhältnisse entsprachen genau sei-nen Plänen. Es mußte vollkommen dunkel sein, wenn er vor dem Castle eintraf.
Als das hügelige Küstengelände in Sicht kam, schaltete der Butler die Scheinwerfer seines hochbeinigen Wagens aus. Er wollte vom Castle aus nicht gesehen werden. Stephan Waters sollte überrascht werden.
Diskret weckte er Agatha Simpson, die während der Rückfahrt ein kleines Nickerchen gemacht hatte. Sie war sofort da und sah sich unternehmungslustig um.
»Das Castle, Mylady«, meldete der Butler, der augestiegen war und die hintere Wagentür öffnete.
»Was machen wir zuerst?« erkundigte sich die Detektivin.
»Wenn Mylady erlauben, möchte ich mich zuerst mit der Versorgung des Schlosses befassen«, antwortete Parker. »Fehlendes Wasser und Licht erweisen sich stets als ausgesprochen hinderlich.«
»Wie lange werden Sie brauchen, Mister Parker?«
»Mylady sollten sich auf etwa eine halbe Stunde einrichten«, lautete die gemessene Antwort des Butlers, der anschließend den Kofferraum seines hochbeinigen Wagens öffnete und ihm einige wichtige Utensilien entnahm.
Dank seines fotografischen Gedächtnisses wußte er selbst in der Dunkelheit, wo er den Kontrollschacht fand, der von einem schweren, gußeisernen Deckel abgeschlossen wurde. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, bevor er sich auf den Weg machte.
»Kann ich wirklich nicht helfen?« erkundigte sich Agatha Simpson.
»Mylady sollten mir unter Umständen den Rückweg decken«, bat der Butler.
»Hoffentlich gibt es einen netten, kleinen Zwischenfall«, antwortete die Sechzigjährige sehnsüchtig.
»Mylady sollten nicht unbedingt den sprichwörtlichen Teufel an die imaginäre Wand malen«, gab Parker zurück, »wenn Sie erlauben, werde ich mich jetzt empfehlen.«
Parker blieb seitlich neben der schmalen Straße. Er mußte nur knapp hundert Meter gehen, bis er den ge-suchten Kontrollschacht gefunden hatte. Er sah zum Castle hinüber. Eine Reihe der hohen, schmalen Fenster war strahlend hell erleuchtet. Stephan Waters schien die Dunkelheit nicht sonderlich zu schätzen.
Mit einem mitgeführten Eisenhaken öffnete Parker den Kontrollschacht und leuchtete mit seiner Kugel-schreibertaschenlampe nach unten.
Er sah das gußeiserne Wasserrohr, das hier mit einem Hauptventil versehen war. Und zu seiner Freude entdeckte er daneben das sehr gut isolierte Elektrokabel für das Schloß. Besser hätte er es gar nicht antreffen können.
Parker brauchte nicht zu befürchten, über Waters hinaus andere Menschen zu schädigen. Außer dem Cast-le gab es hier weit und breit kein anderes Haus. Er durfte also recht ungeniert Vorgehen, was er auch sofort tat.
Parker wartete sicherheitshalber ein wenig, bevor er nach unten in den Kontrollschacht stieg. Bis zum Vorwerk, von dem aus die Kabelbrücke dann hinüber zum eigentlichen Castle führte, war es nicht besonders weit. Und daß dieses Vorwerk bewacht wurde, hatte er ja bereits beim ersten Besuch feststellen können.
Im Vorwerk rührte sich nichts. Wer dort auch immer Wache hielt, dachte sicher an nichts Böses. Parker beeilte sich, die Ruhe dieser Wache jäh zu beenden.
Ohne Hast oder Eile bemühte Parker sich nach unten in den Schacht und holte eine kleine Pappschachtel aus der mitgeführten Ledertasche. Er öffnete sie und stellte den etwas groß geratenen Wecker neben sich. Dieser Wecker sah harmlos und sehr poppig aus, doch er enthielt eine veritable Sprengladung, die mittels des Uhrwerks beliebig gezündet werden konnte. Im Zusammenbasteln solcher Geräte hatte der Butler eigentlich schon immer viel Geschick bewiesen.
Er sah sich das Hauptventil und die Elektroleitung genau an, Verbaute dann den Wecker und zog das Uhrwerk auf. Als er nach oben stieg, Hörte er plötzlich Schritte und leise Stimmen.
Parker zog es verständlicherweise vor, schleunigst den Kopf einzuziehen.
Die Schritte und Stimmen kamen näher.
»… reiner Humbug, hier durch die Gegend zu laufen«, sagte die erste Stimme verdrießlich.
»Man kann nie wissen«, meinte die zweite Stimme. »Ich weiß nicht, diesem Butler traue ich eigentlich al-les zu.«
»Butler … Butler! Wenn ich das schon höre! Der Chef tut ja gerade so, als hätten wir’s mit ’nem Wunder-knaben zu tun.«
Ein Streichholz wurde angerissen. Parker schnupperte den Rauch einer Zigarette. Die beiden Männer schienen sich in unmittelbarer Nähe des Kontrollschachts zu befinden.
Der Butler hatte plötzlich die Zwangsvorstellung, daß der Wecker ungewöhnlich laut tickte.
Wieviel Minuten mochten verstrichen sein? Die Zeit drängte. Die Frist bis zur Zündung der Sprengladung verkürzte sich immer mehr. Hoffentlich wanderten die beiden Männer endlich weiter, die hier offensichtlich eine Art Außenwache darstellten.
Die Schritte entfernten sich, aber die Stimmen waren nach wie vor zu hören. Und selbst, als die Schritte nicht mehr zu hören waren, ließen die Stimmen sich noch sehr gut unterscheiden. Parker riskierte einen Blick über den Rand des Schachts und sah es gar nicht gern, daß die Wachen es sich äußerst bequem gemacht hat-ten.
Sie nutzten eine kleine Bodenwelle, um eine Rast einzulegen. Vom Castle aus konnten sie nicht eingese-hen werden, also ungeniert rauchen. Sie hielten sich damit in unmittelbarer Nähe einer Sprengladung auf, die es wahrlich in sich hatte.
Der Butler sah sich außerstande, die beiden Herren freundlich aufzufordern, das Weite zu suchen. Sie hät-ten wohl mit tödlicher Sicherheit auf ihn geschossen. Zum anderen hatte er auch keine Lust, noch weiter in dem Schacht zu bleiben.
Doch Parker wäre eben nicht Parker gewesen, wenn er sich nicht zu helfen gewußt hätte.
Die Gabelschleuder, die er stets bei sich führte, weil sie eine einzigartige, geräuschlose Waffe war, half ihm aus seiner Verlegenheit. Parker steckte die beiden Hälften der zusammenlegbaren Zwille zusammen und legte eine Stahlkugel in die starke Lederschlaufe. Er strammte die beiden Gummistränge und schoß die Stahlkugel hinüber und hinunter auf das Vorwerk.
Der Erfolg war frappierend.
Die Stahlkugel klatschte klirrend gegen das Gemäuer des ersten Torbogens.
Die beiden Wachen schossen förmlich aus ihrer Deckung hoch und rannten dann in langen Sätzen hinunter zum Vorwerk. Sie mußten schließlich fest annehmen, daß dort Gefahr drohte …
*
Stephan Waters saß vor dem Farbfernseher und genoß einen Western. Der Film war spannend und lenkte ihn ab. Auf der Mattscheibe war eine Art Todeskommando zu sehen, das sich gerade an das von Indianern besetzte Fort heranschlich. Die drei ungemein mutigen Armeeleute schleppten eine mächtige Sprengladung durch die Gegend und befestigten sie links am Tor.
Die Lunte zischte, das Feuer fraß sich auf die Sprengladung zu.
Und dann passierte es …
Sie dröhnte und platzte auseinander, in einer wahren Orgie von Feuer und Rauch.
»Verdammt realistisch«, murmelte Waters, da sein Sessel, in dem er saß, gleichzeitig bebte. Sogar ein Fenster links hinter ihm löste sich klirrend und splitternd aus dem Bleirahmen.
Jetzt erst, mit einiger Verspätung, ging dem ehemaligen Gangsterboß ein Licht auf.
Die Detonation war echt!
Er warf sich erst mal zu Boden und robbte dann zur nahen Wand hinüber. Hier stand er auf und spähte durch das ehemalige Fenster hinaus auf das Vorgelände mit dem Vorwerk.
Er glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen.
Gegen den etwas helleren Nachthimmel sah er eine hohe Wasserfontäne, die gen Himmel stieg und eigent-lich recht gut aussah. Er hörte dazwischen das Knallen von elektrischen Entladungen und merkte erst jetzt, daß das Fernsehgerät nicht mehr arbeitete.
Er begriff.
Das Licht!
Waters rannte vom Fenster quer durch den Raum hinüber zum Lichtschalter und merkte dann, daß er sich dabei ans Knie stieß und fast über einen Beistelltisch fiel. Dann griff er nach dem Schalter und bewegte ihn.
Nichts …!
Nun kapierte er alles. Man hatte ihm Wasser und Licht abgestellt, obwohl er sicher war, die betreffenden Rechnungen stets pünktlich bezahlt zu haben.
*
»Das war schon recht hübsch«, lautete Myladys Urteil, als man wieder im Wagen saß und zurück zum Fe-rienhaus fuhr.
»Aber sehr ungesetzlich, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen.
»Haben Sie vergessen, daß er uns abschießen wollte?« grollte Lady Simpson. »Von den 45 Pfund mal ganz zu schweigen, die er nicht zahlen will.«
»Mit Nachforschungen der Polizei dürfte zu rechnen sein, Mylady.«
»Wird man eine ältere Frau, deren Gesellschafterin und ihren Butler verdächtigen?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, Mylady.«
»Sehen Sie, Mister Parker! Machen Sie sich also nur keine Sorgen. – Und wenn die Geschichte dennoch herauskommt, werde ich sie auf mich nehmen.«
»Dies, Mylady, würde ich nie zulassen.«
»Papperlapapp, Mister Parker. Reden wir nicht über Dinge, die nie passieren werden. Was steht als nächs-tes auf unserer Liste?«
»Die Störung der Nachtruhe Mister Waters.«
»Wann werden wir ihn stören?«
»Wenn, Mylady, dann schlage ich noch diese Nacht vor. Ein günstiger Zeitpunkt dürften die Stunden im ersten Morgengrauen sein.«
»Ich verlasse mich da ganz auf Ihre Erfahrungen, Mister Parker.« Agatha Simpson saß äußerst zufrieden im Fond des Wagens und freute sich bereits auf die nächste Überraschung. Waters hatte die Frechheit beses-sen, sie umbringen zu wollen. Dafür durfte er einiges erwarten.
Als man das spitzgieblige Fachwerkhaus erreicht und betreten hatte, stellte der Butler schnell fest, daß seine zurückgelassenen Fallen zugeschnappt waren.
»Auf der Treppe, Mylady, müssen sich zwei Männer aufgehalten haben. Sehr kurzfristig, um genau zu sein.« Parker hatte die Spuren auf dem Fußboden genau studiert, und las in ihnen wie in einem Buch. »Zu-dem dürfte das Doppelpäckchen sich als Köder sehr gut gemacht haben.«
»Lassen Sie sehen!« Agatha Simpson näherte sich ein wenig ungestüm dem Päckchen, das Caven und Paul Ratfield verständlicherweise zurückgelassen hatten.
»Mylady …«, warnte Parker, doch es war bereits zu spät. Die Detektivin begann bitter zu weinen, denn in der Reichweite des aufgerissenen Päckchens wirbelten wohl noch Spuren des Pulvers durch die Luft.
»Sonst noch etwas entdeckt?« schluchzte Lady Simpson ihrem Butler entgegen.
»Man scheint zusätzlich noch an der hinteren Küchentür gewesen zu sein«, meldete Parker. »Ich darf Mylady versichern, daß das Tränenpulver an sich nicht gefährlich ist.«
»Sie haben mich absichtlich nicht früh genug gewarnt«, behauptete Agatha Simpson grollend und hustend zugleich. »Ihren Sinn für Humor, Mister Parker, kann ich diesmal nicht teilen!«
*
Die Wasserfontäne aus dem zerstörten Kontrollschacht war inzwischen in sich zusammengefallen.
Der städtische Notdienst von Falmouth hatte aus gewerkschaftlichen Gründen zwar einen Werkstatttrupp zum Castle hinausschicken können, dafür aber die Zuleitung an anderer Stelle abgedreht. Waters besaß daher weder Licht noch Wasser. Wegen der Reparatur mußte er sich bis zum anderen Tag gedulden, wie man ihm am Telefon gesagt hatte.
Waters hatte sich inzwischen wieder beruhigt.
Gut, er hatte eine Schlappe einstecken müssen. Und gerade diese Schlappe hatte ihm deutlich gezeigt, wo der schwache Punkt in seiner Privatfestung sich befand. Er hatte bereits beschlossen, sich am anderen Tag ein Notstromaggregat zu besorgen. Noch mal würde es nicht gelingen, ihn von der Energie abzuschneiden. Und was das Wasser anbelangte, so mußte eine kleine Wasseraufbereitungsanlage her. Vielleicht konnte man aber auch die alte Zisterne im Castle wieder herrichten. Weitere schwache Punkte an seiner Verteidigungsan-lage hatte er nicht entdecken können. In das Schloß war ohne seine Erlaubnis nicht hineinzukommen, da konnte das Syndikat sich auf den Kopf stellen.
Waters hatte das Vorwerk räumen und den hochklappbaren Teil der Kabelbrücke aufziehen lassen. Jetzt war er gegen die Außenwelt vollkommen abgeschirmt. Man brauchte schon Flügel, um in das Castle zu ge-langen.
Natürlich hatte er noch mal einen ausgiebigen Kontrollgang durch das Schloß gemacht, begleitet von sei-nen drei Leibwächtern Artie, Ray und Cary. War es möglich, vielleicht mit einem Hubschrauber zu landen, um das Castle im Handstreich zu nehmen?
Nein, das schaffte selbst der kleine Helikopter nicht, dazu waren der Innenhof einfach zu schmal und die Türme zu eng.
Waters befand sich in seinem Schlafzimmer und sah zum Fenster hinaus.
Zufrieden sah er an den steilen, unerklimmbaren Felsen hinunter, die bis ins Wasser reichten. Auch sie wa-ren unbesteigbar. Jetzt hatte er sich derart eingeigelt, daß man den Eindruck gewann, er befinde sich in ei-nem anderen Land, weit von England entfernt.
Und dennoch, da war diese verflixte Unruhe, die ihn durch die Räume des oberen Stockwerks trieb.
Er wechselte über einen langen, düstern Korridor, dabei seine Taschenlampe ausgiebig benutzend, erreich-te die Vorderseite des Castle und beobachtete noch mal die Kabelbrücke mit dem fehlenden Stück am Toreingang. War diese Brücke mit irgendeinem technischen Trick zu bewältigen?
Die Antwort fiel erfreulich aus. Nein, auch das war nicht zu schaffen. Selbst ein Artist hätte hier kapitulie-ren müssen. Auf den Kabeltrossen waren dicke Blechmanschetten angebracht, die schärfe Halsbandstacheln trugen. Hier im Castle war man sicher, und das brauchte man sich noch nicht mal gründlich einzureden.
Waters marschierte zurück in sein Schlafzimmer und fragte über die Sprechanlage seine drei Leibwächter ab. Sie waren auf dem Posten und meldeten sich prompt.
Waters, der bereits im Bett lag, stand wieder auf und vergewisserte sich, daß die schwere Schlafzimmertür fest verriegelt war. Dann ordnete er noch mal die Schußwaffen, die in erreichbarer Nähe neben dem Bett standen oder lagen. Später schlüpfte er wieder ins Bett und versuchte zu schlafen.
Was ihm natürlich nicht gelang.
Zu überraschend war die Zerstörung der Wasser- und Elektroleitung für ihn gekommen. Damit war für ihn klar, daß die Lady, der Butler und die Gesellschafterin im Auftrag des Syndikats arbeiteten. Privatleute wä-ren zu solchen Aktionen nie fähig gewesen. Hier waren ausgesuchte Spezialisten am Werk, wie sie nur ein Syndikat bezahlen konnte. Waters fragte sich, ob es vielleicht sinnvoll war, sich mit diesem Syndikat zu ver-gleichen. Er kam zu dem Schluß, daß er seinen früheren Gegnern erst mal deutlich machen mußte, wie stark er, Stephan Waters, war. Nur aus einer Position der Stärke heraus konnte man sich mit dem Syndikat arran-gieren. Alles andere hätte nach Kapitulation ausgesehen.
*
Bis zum Morgengrauen fehlte noch eine halbe Stunde.
Josuah Parker befand sich bereits in der Nähe des Castle und suchte nach einem geeigneten Platz, um das Schloß unter Beschuß zu nehmen. Er entschloß sich für das unübersichtliche Gelände östlich des Castle.
Er hatte sich einen ausgesucht leistungsfähigen Sportbogen mitgenommen, der gut und gern in der Lage war, Entfernungen von weit über hundert Meter zu überbrücken. In einem Köcher befanden sich die dazu-gehörigen Pfeile.
Parker montierte die beiden Stabilisatoren am Boden und prüfte die Elastizität der Bogensehne. Dann machte er sich daran, die eigentliche Munition bereitzulegen.
Parker hatte natürlich keineswegs die Absicht, Menschen zu Schaden zu bringen. Ihm ging es nur darum, die Nachtruhe des ehemaligen Gangsterchefs ein wenig zu stören. Und die »Schweizer Kracher«, die er verwenden wollte, waren dazu bestens beeignet.
Das alte Gemäuer lag wie ein großer, massiger Block vor ihm. Kein Licht war zu sehen. Seine Rechnung schien aufzugehen. Um diese frühe Morgenstunde war das Schlafbedürfnis wahrscheinlich stärker als jede Wachsamkeit.
Parker hatte die »Schweizer Kracher« entsprechend seinen Absichten präpariert.
Die Feuerwerkskörper hatten von ihm eine etwas längere Zündlunte als normal erhalten. Parker mußte schließlich den Luftweg einberechnen, den diese Knallkörper zurückzulegen hatten.
Er zog die Pfeile aus dem Köcher und legte sie griffbereit neben sich, dann montierte er an ihren Spitzen die kleinen, harmlos aussehenden Feuerwerkskörper. Sie würden zwar die Treffsicherheit der Pfeile nachhal-tig beeinflussen, doch darauf kam es nicht so sehr an. Hauptsache, sie landeten hinter den Mauern des Cast-le. Das reichte bereits.
Der Butler begann mit seinem nächtlichen Ausgleichssport. Er legte den ersten Pfeil auf die Sehne und vi-sierte das Schloß an. Die Lunte am Knallkörper zischte und versprühte Funken.
*
Waters war doch noch eingeschlafen und saß plötzlich aufrecht im Bett, als der erste Feuerwerkskörper draußen im Innenhof detonierte.
Doch damit nicht genug. Dieser Kracher bestand im Grund aus vier getrennten Ladungen, die nacheinan-der zündeten und irregulär durch die Luft hüpften.
Waters hörte also die ersten Detonationen und hatte das sichere Gefühl, aus der Luft heraus angegriffen zu werden. Der erste Kracher torkelte und sprang durch den Innenhof und verursachte einen geradezu infer-nalischen Lärm.
Waters sprang aus dem Bett, griff automatisch nach seiner schweren Automatic und pirschte sich ans Fenster. Er stieß es auf und schaute nach unten.
Er begriff nicht, was er sah.
Ein zweiter und dritter Kracher zischte durch die Luft. Er sah deutlich die feuersprühenden Lunten, glaubte so etwas wie Pfeilschäfte zu erkennen und ging dann prompt in volle Deckung.
Die Kracher explodierten, was das Zeug hielt. Sie hüpften und torkelten feuersprühend durch den Innen-hof und schufen ein vielfältiges Echo, daß die Fensterscheiben zitterten.
»Artie! Ray! Cary!« brüllte Waters die Namen seiner Leibwächter und robbte vom Fenster zurück zum Bett und dann zur Tür. Für ihn war es klar, daß das Syndikat zum entscheidenden Schlag ausgeholt hatte. Man wollte ihn ausbomben und ausräuchern.
Nun, die drei Leibwächter hörten nichts.
Was aber auch wirklich zu verstehen war. Die »Schweizer Kracher« kamen jetzt in schneller Folge und schufen ein Chaos, wie man es sich wirkungsvoller nicht vorstellen konnte. Sie landeten auf den Plattformen der Türmchen, in Bogengängen und auf den Dächern. Flammenzungen leckten überall. Dachziegel prasselten in den Innenhof und Glas splitterte und klirrte.
Waters hatte seine Schlafzimmertür aufgeriegelt und rannte durch die langen, dunklen Korridore. Er schrie dabei immer wieder die Namen seiner Leibwächter, die allerdings nichts hören konnten. Artie, Ray und Cary hatten nämlich das dringende Bedürfnis verspürt, gerade jetzt die Kellerräume zu inspizieren. Was ihrem augenblicklichen Sicherheits- und Schutzbedürfnis entgegenkam. In den Gewölben fühlten sie sich nämlich ganz sicher.
Nicht so ihr Chef Stephan Waters.
Der ehemalige Gangsterboß hatte zudem noch großes Pech. Einer der Pfeile zischte in den Bogengang, durch den er gerade lief. Der an der Pfeilspitze befestigte Kracher dröhnte los und hüpfte dann unkontrol-liert hinter Waters her.
Spitze Schreie ausstoßend, ergriff Waters die Flucht, verfolgt von dem Feuerwerkskörper, der es auf ihn abgesehen zu haben schien. Waters war einfach nicht schnell genug. Er hörte dicht hinter sich das Krachen des kleinen, feuersprühenden Verfolgers und brüllte entsetzt auf, als die letzte Stufe dieses Lärmproduzen-ten auf seinen Rücken hüpfte.
Waters hatte das Gefühl, einen Fausthieb verpaßt zu bekommen, was natürlich reine Einbildung war. Er warf sich hin, drehte sich und schoß, was das Zeug hielt.
Später stellte sich heraus, daß er gar nicht so schlecht gewesen war.
Die Schüsse aus seiner Waffe hatten eine wertvolle, alte Standuhr, ein Ölgemälde, eine Glasvitrine und schließlich sogar noch die Flaschen der Hausbar getroffen. So gut hatte Waters es nämlich verstanden, die Schüsse zu streuen.
Und dann herrschte plötzlich Stille!
Waters erhob sich und atmete tief durch. Jetzt wurde ihm die Stille unheimlich. Er traute sich plötzlich nicht mehr, nach seinen drei Jungprofis zu rufen. Auf Zehenspitzen, vorsichtig wie ein Dieb, schlich er zu-rück aus dem Bogengang in die Zimmerfluchten und wartete dabei auf die nächsten Überraschungen. Es konnte doch unmöglich schon vorüber sein.
Er sah hinunter in den Innenhof.
Überall lagen die verglimmenden und noch leicht glühenden Feuerwerkskörper herum, Dinge, auf die er sich noch keinen Reim machen konnte. Waters vermißte weiterhin seine drei Leibwächter und wurde schrecklich wütend. Er fühlte sich von ihnen im Stich gelassen. Wo mochten Artie, Ray und Cary nur ste-cken? Sollte es sie vielleicht erwischt haben?
Waters trieb es wieder aus dem Zimmer hinaus, dann hinunter in den Innenhof. Er wollte endlich wissen, was man ihm da in solchen Massen ins Haus geschickt hatte.
Wenig später hielt er einen der glatten Pfeile in der Hand. Und langsam dämmerte ihm, auf welche Art und Weise man ihm mitgespielt hatte. Eine mehr als einfache, aber ungemein wirkungsvolle Methode, diese Sache mit den Pfeilen! Die Verwirrung war schließlich perfekt gewesen. Während seiner Meditation übersah Waters einen Pfeil, der durch die Luft zischte, quasi als letzte Erinnerung.
Der Pfeil prallte gegen einen Rundbogen, der »Schweizer Kracher« platzte donnernd auseinander.
Obwohl Waters wußte, um was es sich handelte, produzierte er erneut einen Schrei, ergriff die Flucht, und rannte direkt in sein Verderben.
Die letzte Stufe des Krachers jagte gegen sein Gesäß und platzte dort auseinander.
Waters brauchte anschließend eine halbe Stunde und etwa einen Meter Leukoplast, um den Schaden eini-germaßen zu reparieren.
*
»Es war wunderbar, Mister Parker«, lobte Agatha Simpson, die den Feuerzauber durch das Teleskop beo-bachtet hatte. Parker war ins spitzgieblige Fachwerkhaus zurückgekehrt und hatte Bericht erstattet.
»Ich muß zugeben, Mylady, daß auch ich recht angetan war«, antwortete der Butler.
»Wie eine Bühneninszenierung«, stellte Agatha Simpson fest. »Diese Methode sollte man sich merken, Mister Parker.«
»Wie Mylady befehlen«, sagte der Butler. »Ich könnte mir vorstellen, daß Mister Waters für den Rest der Nacht kaum noch schlafen wird.«
»Soll er über seine Sünden nachdenken.« Die Detektivin nickte grimmig-zufrieden. »Wann wird dieses Subjekt endgültig weich werden?«
»Dies, Mylady, läßt sich nur schwer vorhersagen«, entgegnete der Butler. »Mister Waters wird sich auf keinen Fall schnell geschlagen geben.«
»Ich verlasse mich da ganz auf Sie, Mister Parker. Was steht als nächstes auf Ihrer Liste?«
»Wenn Mylady gestatten, sollte man Mister Waters mit ausgesuchten Gerüchen belästigen.«
»In der kommenden Nacht?«
»Dazu bietet sich auch der nächste Tag an«, meinte der Butler. »Man sollte Mister Waters deutlich zeigen, daß nicht nur die Nachtstunden äußerst unangenehm sein können.«
»Eine hübsche Idee, Mister Parker«, antwortete die kriegerische Dame. »Sie scheinen Gefallen an der Sa-che zu finden.«
»In der Tat, Mylady«, räumte Parker ein. »Vor der nächsten Aktion sollte man sich aber sicherheitshalber mit jenen Besuchern befassen, die ungebeten hier ins Haus eindrangen.«
»Und wie wollen Sie die finden?« Agatha Simpson sah ihren Butler sowohl erwartungsvoll als auch gläu-big an. Sie hatte im Lauf der Zeit die Erfahrung gemacht, daß ihr Butler immer wieder Lösungen anzubieten hatte.
»Die Sonne wird es an den Tag bringen«, zitierte der Butler eine alte Spruchweisheit aus dem Volk.
*
Der Henker des Syndikats befand sich im Badezimmer, saß in der Wanne und schrubbte sich ausgiebig und verzweifelt. Ellis Kildare hatte seit einigen Stunden bemerkt, wie gezeichnet er war. Er hatte sich tat-sächlich nicht getäuscht. Die Flüssigkeit, die sich beim Öffnen der Küchentür über ihn ergossen hatte, war mit seiner Haut eine äußerst innige Verbindung eingegangen und schillerte und fluoreszierte in allen nur er-denklichen Farben.
Was Ellis Kildare natürlich störte.
Er wollte nicht wie ein Regenbogen auf zwei Beinen durch die Gegend laufen. Zudem konnte er sich leicht ausrechnen, warum man diese vertrackte Flüssigkeit in den kleinen Plastikeimer gefüllt hatte. Die In-sassen des spitzgiebligen Fachwerkhauses wollten auf diese Art und Weise herausfinden, wer sie besucht hatte.
Ellis Kildare entwickelte also ein wildes Reinigungsbestreben und Seifte sich gerade zum vierten Male gründlich ein. Zwischendurch stand er wieder mal kurz aus der Wanne auf und kontrollierte sein Gesicht im Spiegel.
Er hatte das dumpfe Gefühl, daß die Farben sich unter der Einwirkung der Seife nur noch verstärkten.
Dann allerdings blieb er wie erstarrt im warmen Wasser sitzen, als sich die Tür zum Badezimmer öffnete.
»Ich hoffe, Sie werden mein Erscheinen nicht unnötig mißdeuten«, sagte ein Mann, der seine schwarze Melone höflich lüftete. »Mein Name ist Parker. Josuah Parker!«
»Ja?« Ellis Kildares Gedanken überschlugen sich. Es war soweit! Man hatte ihn ausfindig gemacht. Jetzt würden die Konkurrenten, die das Syndikat auf seine Spur gesetzt hatten, erbarmungslos zuschlagen.
»Sie scheinen offensichtlich Schwierigkeiten mit Ihrer Haut zu haben«, stellte Parker fest.
»Los, tun Sie’s schon«, stieß Ellis Kildare hervor und starrte den Butler aus großen Augen an. Er rechnete mit einem schnellen Ende. Der Mann da vor der Wanne, dessen Gesicht so schrecklich ausdruckslos-höflich wirkte, war ein Fachmann von hohen Graden. Das hatte er auf den ersten Blick festgestellt. Darin kannte Kildare sich aus.
»Haben Sie besondere Wünsche?« erkundigte sich Parker gemessen. Er wußte zwar nicht genau, was der Mann in der Wanne meinte, aber er konnte es sich fast vorstellen. Auch Parker hatte erkannt, daß er einem Spezialisten gegenüberstand.
»Sie brauchen mich nicht gerade zu ertränken«, bat Kildare, dem diese Aussicht irgendwie schrecklich war.
»Vielleicht haben Sie einige Vorschläge zu machen?« Parker wußte nun, daß er mit seiner Ahnung richtig lag.
»Nehmen Sie schon Ihre Kanone!« Kildare hatte sich von seiner ersten Überraschung erholt und suchte verzweifelt nach einem letzten Ausweg.
»Ich hasse Schußwaffen.« Parker musterte den Henker des Syndikats kühl und gelassen.
»Arbeiten Sie mit dem Messer?« Kildare fühlte, wie es ihm eiskalt über den Rücken rieselte, obwohl das Wasser in der Wanne noch sehr warm war.
»Schneidwaren lehne ich ab.« Parker schüttelte verweisend den Kopf. »Finden Sie nicht auch, daß sie recht primitiv sind?«
»Naja. Mir sind Unglücksfälle auch lieber«, räumte der Henker ein.
»Sehen Sie, wir kommen uns bereits beträchtlich näher.« Parker nickte andeutungsweise. »Welche Metho-den haben Sie bisher bevorzugt?«
»Normale alltägliche Unglücksfälle«, gestand Ellis Kildare. »Sturz von der Leiter. Ausrutschen auf Trep-pen, elektrischer Schlag an irgendeinem Küchengerät. Na, Sie wissen schon.«
»Gift steht nicht in Ihrem Reportoire?«
»Selten«, gestand Ellis Kildare eifrig. »Läßt sich zu schnell nachweisen. Die Chemiker sind zu clever und kennen alle Tricks. Es geht nichts über einen alltäglichen Unglücksfall.«
»Sie arbeiten ohne Assistenten?«
»Natürlich! Übrigens ganz im Gegensatz zu Ihnen. Daß das Syndikat sich ein Trio zugelegt hat, ist mir neu.«
»Mylady ist sehr erfolgreich«, stellte Parker fest. Er ließ den Mann in der Wanne nicht aus den Augen und rechnete jeden Moment mit einem plötzlichen Überfall.
»Hat man Sie auf mich oder auf Waters angesetzt?« wollte Ellis Kildare wissen.
Er suchte nach wie vor nach einem Ausweg, doch bisher war ihm nichts eingefallen.
»Sie werden verstehen, wenn ich darauf nicht antworte«, erklärte der Butler. »Zudem hat man Sie ja auch offensichtlich auf uns angesetzt.«
»Das stimmt nicht!« Kildare schüttelte energisch den Kopf. »Ich wußte ja überhaupt nichts von Ihrer Existenz, bis ich die Sache mit dem Hubschrauber beobachtete und stutzig wurde. Alles Weitere wissen Sie ja inzwischen.«
»Sie waren ein wenig leichtsinnig, Mister …«
»Ellis Kildare«, stellte der Mann in der Wanne sich vor. »Irgendwann macht jeder einen ersten großen Fehler. Hören Sie, Mister Parker, ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.«
»Ich wußte, daß Sie dieses Thema berühren würden.«
»Hat also keinen Sinn, wie?«
Bevor Parker den Kopf schütteln konnte, hechtete Kildare sich aus der Wanne und rutschte dabei dum-merweise gründlich aus. Parker trat nur ein wenig zur Seite, als der Henker des Syndikats kopfüber auf dem Boden landete, gegen die Badezimmerwand schrammte und dann regunslos liegen blieb.
Josuah Parker überlegte, was er mit dem Mann anfangen sollte. Er war nicht weiter an ihm interessiert, zumal die zuständige Polizei ja niemals eine Handhabe gegen ihn haben würde.
*
Als der Henker wieder zu sich kam, glaubte er einfach nicht, daß er noch lebte.
Er fand sich auf dem Boden des Badezimmers wieder und überprüfte erst mal alle Knochen, die ihn schmerzten. Und es waren sehr viele, die sich deutlich meldeten. Er erhob sich und setzte sich auf den Rand der Wanne.
Er begriff einfach nicht, warum dieser Butler ihn hatte leben lassen. Er, Ellis Kildare, hätte wahrscheinlich anders gehandelt. Aber das sah letztlich nach einem besonders raffinierten Trick aus. Hatte der Butler nicht gesagt, er sei gegen Schußwaffen, Schneidwaren und Gifte? Sollte hier vielleicht ein tödlicher Unfall insze-niert werden?
Dieser Gedanke elektrisierte ihn.
Gas!
Kildare nahm sich erst gar nicht die Zeit, seinen Bademantel überzuwerfen. Er raste hinunter in den Wohnraum und kontrollierte die Gasheizung. Unheimlich, daß sie nicht eingeschaltet worden war, und zwar ohne Flamme. Diesen Trick hatte er in der Vergangenheit schon einige Male angewendet und immer mit töd-lichem Erfolg.
Was war mit dem Keller? War die Gasleitung dort angesägt worden? Oder befand sich eine Zeitbombe unter seinen Füßen? Der Henker drehte durch, was sicher nicht für große Klasse sprach. Er zeigte Nerven, was man in seinen Kreisen übelnahm.
Kildare riß die Kellertür auf und eilte nach unten.
Er übersah dabei seine nackten Füße und das leicht feuchte Holz der Treppe. Er hatte die Hälfte seines Weges noch nicht hinter sich gebracht, als er ausrutschte. Er stieß einen gellenden Schrei aus und segelte im freien Flug nach unten. Sein Kopf, der sich von der ersten Bauchlandung noch nicht erholt hatte, wurde er-neut einer harten Prüfung unterzogen, die das edle Haupt bedauerlicherweise nicht bestand.
Unglücksfall, dachte Kildare, bevor er bewußtlos wurde.
*
»Der Notarzt vermutet eine schwere Gehirnerschütterung«, meldete Parker Agatha Simpson. »Mister Kildare wurde sofort ins Hospital gebracht. Dort wird man übrigens sein angebrochenes Knie Und die bei-den gebrochenen Arme fachmännisch schienen.«
»Du lieber Himmel«, sagte die Detektivin beeindruckt, »den hat’s aber erwischt.«
»Ein typischer, häuslicher Unglücksfall«, bemerkte der Butler würdevoll.
»Hand aufs Herz, Mister Parker! Haben Sie da vielleicht etwas nachgeholfen?«
»Mylady!« Parker gab sich ein wenig entrüstet.
»Das sieht nach Ihrer Handschrift aus, Mister Parker.«
»Ich darf Mylady versichern, daß ich vollkommen unschuldig bin.«
»Schon gut, schon gut, Mister Parker.« Agatha Simpson glaubte ihm nicht so recht. »Hauptsache, dieser Mann kommt vorerst nicht aus dem Krankenhaus heraus.«
»Mit Sicherheit nicht, Mylady«, berichtete Parker weiter. »Der Arzt, den ich alarmieren konnte, rechnet mit etwa sechs Wochen.«
»Schadet diesem Killer nicht«, stellte Agatha Simpson grimmig fest. »Er hätte sonst uns umgebracht, nicht wahr?«
»Damit, Mylady, war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Er fühlte sich kontrol-liert und hätte wohl zu einem Gegenschlag ausgeholt.«
»Sie haben sich wieder mal als recht begabt erwiesen«, sagte die kriegerische Dame und zwinkerte ihm vertraulich zu. Man spürte deutlich, daß sie ihm kein Wort glaubte. Für sie stand es nach wie vor fest, daß er die Kellertreppe im Haus Ellis Kildares präpariert hatte. Davon ließ die Sechzigjährige sich nicht abbringen.
»Ich möchte und muß Mylady versichern, daß ich auf keinen Fall …«
»Sie müssen das abstreiten! Ich weiß!« Sie zwinkerte erneut. »Reden wir nicht mehr davon. Mir genügt es, daß dieses gräßliche Subjekt ans Krankenlager gefesselt ist und kein Unheil anrichten kann.«
Parker gab es daraufhin auf, noch weiterhin seine Unschuld zu beteuern. Mylady wollte einfach glauben, was nicht den Tatsachen entsprach.
»Wann befassen wir uns wieder mit Waters?« wechselte Agatha Simpson zu Parkers Erleichterung das Thema. »Wir sollten diesem Individuum keine unnötige Ruhe gönnen.«
»Sehr wohl, Mylady«, erwiderte Parker. »Vorher möchte ich aber noch die Spuren in den Hintergärten vernichten. Man braucht die Tropfspur der Flüssigkeit nicht unbedingt zu entdecken. Dies nur für den Fall, daß die Polizei erscheint.«
Parker hatte auf Grund dieser fluoresiernden Tropfspuren das Haus feststellen können, in dem Kildare Quartier bezogen hatte. Diese Leitlinie wollte er jetzt verschwinden lassen. Er war der Ansicht, daß eine Einmischung der Polizei diesem Stephan Waters nur unnötig half.
Mylady war mit Parkers Vorschlag natürlich einverstanden. Sie begab sich hinauf ins Giebelzimmer und beobachtete das Castle. In der Optik des Teleskops war das alte, starke Gemäuer sehr gut zu sehen. Das Schloß sah unbezwingbar und abweisend aus. Dennoch war Mylady guten Mutes.
Sie verfügte ja über einen Butler, der es spielend leicht mit einem Spezialisten des Syndikats aufnehmen konnte.
*
Nach dem Lunch – Parker servierte Pork sausages, eine Pastete aus Fleisch und harten Eiern und einen Apfelpudding – fuhren Parker, Lady Simpson und Kathy Porter hinüber nach Falmouth und mieteten sich dort ein recht starkes, seegängiges Boot, das einem kleinen Fischkutter glich. Während. Agatha Simpson das Boot inspizierte, verlud der Butler einiges Gepäck, das in Segeltuch verpackt war. Es war nicht festzustellen, was er da auf die Seereise mitnehmen wollte.
Parker, der das Ruder des Bootes übernehmen wollte, hielt sich bescheiden zurück, als seine Herrin das Kommando übernahm. Scheinbar unbewegt nahm Parker immerhin leicht erstaunt zur Kenntnis, daß Mylady sich auf einem Schiff gut auskannte. Sie legte geradezu meisterhaft ab. Daß sie dabei ein erfreulicherweise leeres Ruderboot mit dem Bug des Bootes zerschnitt und es anschließend überwalzte, war nur ein kleiner Schönheitsfehler, über den der Butler vornehmerweise kein Wort verloren.
In sanften Schlangenlinien steuerte Mylady dann das Boot aus dem Hafen, eine Flut von Schimpfworten und Protesten hinter sich lassend. Andere Fahrgäste im Hafen hielten ihre Künste als Freizeitkapitän wahr-scheinlich nicht für besonders gut. Darüber hinaus fehlte ihnen jene Vornehmheit, die den Butler auszeichne-te.
Erst als Agatha Simpson es sich in den Kopf gesetzt zu haben schien, einen mittelgroßen Frachter zu ram-men, sah der Butler sich nun doch genötigt, ein wenig korrigierend einzugreifen.
»Darf ich Mylady auf den Frachter aufmerksam machen?« meldete er sich zu Wort.
»Welchen Frachter?« Agatha Simpson hatte bisher souverän auf den Gebrauch ihrer Lorgnette verzichtet, auf jene Stielbrille also, die an einer Silberkette um ihren Hals hing.
»Achtern«, sagte Parker höflich und ohne die Ruhe zu verlieren, obwohl er bereits das wilde und heftige Gestikulieren der Männer an Bord des Frachters registriert hatte.
Mylady verstand den Hinweis nicht sonderlich gut und bewegte das Ruder genau mitschiffs auf den Frachter zu, der einen wilden Haken zu schlagen versuchte.
»Darf ich anregen, daß Mylady vielleicht die andere Richtung wählt?« schlug Parker würdevoll vor. Er grüßte mit seiner Melone gemessen in Richtung Frachter zurück.
Lady Simpson hatte inzwischen erkannt, was Parker vorgeschlagen hatte. Sie legte das Ruder hart herum und schrammte in nur sehr kurzer Entfernung an der Bordwand des Frachters entlang. Die riesige, dunkle Stahlmasse schien nun doch ihrer Aufmerksamkeit nicht mehr entgangen zu sein. Sie nahm ihre Lorgnette hoch und reagierte kopfschüttelnd und vorwurfsvoll.
»Nun sehen Sie sich doch diesen Lümmel an«, rief sie Parker zu. »Hat der Kapitän denn keine Augen im Kopf? So etwas müßte glatt verboten werden.«
»Sehr wohl, Mylady«, erwiderte Parker.
»Der Mann da oben auf der Brücke soll sich sein Lehrgeld zurückgeben lassen!«
»Wie Mylady meinen«, lautete Parkers ergebene Antwort.
»Dieser Anfänger hätte uns ja um ein Haar gerammt«, beschwerte sich die Detektivin weiter. »So etwas gehört vor ein Seegericht.«
Parker vermochte diesmal nicht zu antworten.
An der Reling des Frachters standen Matrosen und Offiziere. Sie belegten Lady Agatha, die man ja deut-lich am Ruder sah, mit ausgesuchten Schimpfworten und unzarten Anspielungen auf ihre Vergangenheit, die die resolute Steuermännin zu Parkers Kummer leider mitbekam.
»Haben Sie das gerade gehört?« wendete sie sich empört zu ihrem Butler um. »Galt das Suppenhuhn mir?«
»Ich bin nicht sicher, Mylady«, gestand Parker.
»Das wollen wir doch mal sehen!«
Lady Simpson sah streitlustig zu dem Frachter hinüber, der sie inzwischen fast passiert hatte. »Diesen Fle-geln werde ich es jetzt zeigen.«
Mylady drehte hart bei und versuchte ein Rammanöver. Parker schätzte die Entfernung ab und hielt es für ratsam besser nicht einzugreifen. Die Lady konnte dem Frachter nicht mehr gefährlich werden. Das Schiff war wesentlich schneller. Zudem geriet das Boot, indem sie sich befanden, in das aufgewühlte Kielwasser der großen Schiffsschraube. Agatha Simpson hatte alle Hände voll zu tun, das Boot und sich in der Gewalt zu halten.
»Haben Sie sich den Namen dieses Seelenverkäufers gemerkt?« wollte Agatha Simpson dann wissen, als alles vorüber war.
»Ich muß bedauern, Mylady«, entschuldigte sich Parker würdevoll. »In der Aufregung fehlte mir die Konzentration dazu.«
»Macht nichts«, sagte die Detektivin und sah dem davonziehenden Frachter nach. »Irgendwann werden sich unsere Wege mal kreuzen, aber dann kann man sich dort auf was gefaßt machen.«
*
Der Diesel des Bootes, das jetzt von Parker gesteuert wurde, tuckerte zuverlässig und monoton. Parker hatte einen weiten Bogen beschrieben und näherte sich nun von der Seeseite dem Castle.
Aus Gründen des Überraschungsmomentes hatte er Agatha Simpson und Kathy Porter hinunter in die Ka-jüte geschickt. Die beiden Frauen gaben sich mit Eifer einer Arbeit hin, die für das Gelingen des Planes wichtig war.
Parker stand in dem kleinen Ruderhaus und hatte aus Gründen der Tarnung seine schwarze Melone abge-nommen. Falls man vom Castle aus die See und damit auch das Boot beobachtete, wollte er nicht sofort identifiziert werden.
Die Gefahr, die Aufmerksamkeit der Schloßbewohner zu erregen, war allerdings gering. Auf dem Wasser der breiten, fjordartigen Bai befanden sich erstaunlich viele Boote. Falmouth war schließlich ein sehr belieb-ter Ferienort, und es herrschte um diese Zeit Hochsaison. Boote aller Größen waren auf dem Wasser, das von Parker gemietete konnte darunter kaum auffallen.
Langsam und unauffällig steuerte der Butler die steil abfallende Klippe an, auf der das mächtige Castle stand. Von der Wasserseite aus sah es sehr imponiernd und völlig unangreifbar aus. Dennoch rechnete der Butler sich Chancen aus, seinen Plan durchzuführen. Erwartungsgemäß kam der Wind aus Südwesten. Und eine bessere Richtung hätte er sich gar nicht wünschen können.
Parker verließ für einen Moment das Ruderhaus und ging hinunter in die Kajüte. Die beiden Damen hatten ganze Arbeit geleistet und bereits weit über zwei Dutzend Luftballons mit dem an sich recht gefährlichen Wasserstoff gefüllt. Die Ballons schwebten unter der niedrigen Decke der Kajüte und warteten auf ihre Fracht.
Diese Fracht nun war von Parker bereits im Ferienhaus zusammengemischt und hergestellt worden. Es handelte sich um kleine Glasampullen, die ungemein zerbrechlich aussahen und es auch waren. Sie enthielten eine braun-gelbe Flüssigkeit, eine Chemikalie, die es in sich hatte, wie sich später zeigen sollte.
Parker, der den Eifer Lady Simpsons nur zu gut kannte, schickte – wohlverklausuliert und überaus höf-lich – Mylady noch mal ins Ruderhaus. Das Befestigen der Ladungen an den Ballons wollte er lieber mit Kathy Porter vornehmen.
*
Stephan Waters Stimmung hatte sich erheblich gebessert.
Ein technisches Kommando der Städtischen Werke von Falmouth hatte inzwischen restlos den entstande-nen Schaden an der Wasser- und Elektroleitung behoben. Dennoch stand jetzt im Gewölbe des Schlosses eine Lichtmaschine mit einem beruhigenden Ölvorrat. Zudem hatte Waters sich noch eine Wasseraufberei-tungsanlage mitbringen lassen. Er fühlte sich jetzt unabhängig und unangreifbar. Wenn das Syndikat es für sinnvoll hielt, sollte es die Belagerung fortsetzen.
Waters hatte gerade die Landseite und die wieder hochgefahrene Kabelbrücke inspiziert und gönnte sich eine freundliche Ablenkung. Zusammen mit seinen beiden Jungprofis Artie und Ray stand er auf dem see-wärts gelegenen Wehrgang und sah auf die Bai hinunter. Er genoß sichtlich den Anblick der vielen Segel- und Motorboote.
»Wieder so ’n paar neugierige Touristen«, sagte Artie und deutete auf einen nicht gerade elegant ausse-henden Kutter, der langsam herantuckerte.
»Das Syndikat greift jetzt vom Wasser aus an«, frotzelte Ray ahnungslos und schmunzelte.
»An uns werden sie sich die Zähne ausbeißen«, prophezeite Waters lässig. »Wetten, Jungens, daß wir in spästestens einer Woche ’nen Vergleich auf dem Tisch haben werden?«
»Werden Sie darauf eingehen, Chef?« wollte Artie wissen.
»Nur wenn die Garantien sich sehen lassen können«, gab Waters zurück.
»Dem Syndikat würde ich nicht trauen«, schaltete Ray sich ein.
»Werde ich auch nicht so schnell.« Waters beugte sich vor, um den Kutter vor dem Steilriff besser sehen zu können. »Wenn die da unten so weitermachen, gehen sie baden.«
»Wäre mal eine Abwechslung«, behauptete Artie. »Ja, was sagen Sie denn dazu, Chef?«
»Was ist?« Waters Stimme klang schon wieder leicht beunruhigt.
»Ballons. Nichts als Ballons!« Artie wunderte sich.
»Mindestens zwei Dutzend«, stellte Ray fest. »Veranstalten die ein Fest an Bord?«
»Eine Ballonparty«, erwiderte Waters, der sich wieder beruhigt hatte. »Sieht recht hübsch aus.«
Womit der Gangsterchef wirklich nicht übertrieb.
Die Ballons, in allen Farben angemalt, stiegen schnell hoch, wurden dann von der von See kommenden sanften Brise erfaßt und genau auf das Schloß zugetrieben. An Schnüren baumelten kleine, nicht erkennbare Gegenstände unter den Gebilden aus Gummi und Luft. Vielleicht Reklame …
Das wenigstens deutete Artie an.
»Sicher eine Wettfahrt«, fügte Ray hinzu. »Wer am weitesten segelt, bekommt einen Preis.«
»Komische Dinger da unter den Ballons«, sagte Waters, der von einem seltsamen Gefühl der Ahnung er-faßt wurde. »Gefällt mir irgendwie nicht, Jungens. Gefällt mir gar nicht! Die Dinger treiben ja direkt auf das Schloß zu.«
»Aber haargenau!« freute sich Artie arglos. »Vielleicht können wir ein paar abfangen.«
Die drei Gangster traten von der Brüstung des Wehrganges zurück und sahen den auf sie zutreibenden Ballons entgegen. Sie trieben knapp über die Brüstung und standen dann genau über dem ersten Vorhof des Castle.
»Deckung! Volle Deckung!« brüllte Waters plötzlich, da der erste Ballon wie durch Zauberei auseinander-platzte.
*
Josuah Parker stand an Deck des leicht dümpelnden Kutters und hielt eine Remington Nylon 66 im An-schlag. Es handelte sich um ein sehr modernes Selbstlade-Kleinkalibergewehr, mit dem sich ohne jede Ver-zögerung vierzehn Geschosse nacheinander abschießen ließen. Das aufmontierte Fernrohr erleichterte die Zielarbeit.
Parker hatte sich daran gemacht, die treibenden Ballons über dem Castle abzuschießen.
Sein Plan war mehr als einfach.
Sobald die einzelnen Flugkörper über dem Castle trieben, holte er sie mit gezielten Schüssen herunter. Und wie sie zerplatzten! Der Butler erwies sich als Schütze von größter Präzision. Ein Ballon nach dem anderen gab seinen Geist auf, zerriß explosionsartig in der Luft und stürzte ab. Heraus fiel auch jedesmal die Ladung, die Parker den Ballons beigegeben hatte.
Agatha Simpson stand halb auf dem Niedergang zur Kajüte, sah durch ein Fernglas und kommentierte die Erfolgsserie des Butlers. Schuß auf Schuß peitschte aus dem Lauf, ein Ballon nach dem anderen kippte ab. Die Trefferquote des Butlers war enorm. Bis auf wenige Fehlschüsse war er genau im Ziel.
»Acht«, rief die Detektivin begeistert. »Nein, das hat nicht geklappt Mister Parker! Reißen Sie sich zu-sammen! Enttäuschen Sie mich nicht! Nein – zehn – Warum machen Sie nicht weiter?«
Sie nahm das Glas herunter und sah den Butler erstaunt an.
»Wenn Mylady gestatten, möchte ich nachladen«, erwiderte der Butler, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Dann machte er sich an die Arbeit, lud nach und feuerte erneut. Er schaffte noch fünf weitere Bal-lons, dann war der Schußwinkel derart ungünstig, daß er das Ballonschießen einstellen mußte.
Kathy Porter, die im Ruderhaus stand, wirbelte jetzt das Ruder herum und gab Vollgas. Sie hatte mit blo-ßem Auge erkannt, daß sich hinter den Zinnen des Castle etwas rührte. Wahrscheinlich wollten die Bewoh-ner des Schlosses das Feuer beantworten.
Parkers Reaktion war phantastisch.
Auch er hatte im Zielfernrohr gesehen, daß man zur Gegenwehr rüstete.
Um die Männer hinter der Brüstung ein wenig zu verunsichern, belegte er sie mit Dauerfeuer. Die Kleinka-libergeschosse spritzten gegen das Mauerwerk und zwangen die Männer hinter den Zinnen in Deckung. In-zwischen tuckerte der Kutter mit Volldampf zurück in die Bai.
Parker sorgte für zusätzlich Behinderung der Festungsbewohner.
Er warf einen seiner Spezialkugelschreiber auf das hintere Deck des kutterähnlichen Bootes, worauf sich eine gelbliche Rauchwolke erhob und das Boot einnebelte.
Der Südwestwind zerteilte die dichte Nebelwolke, zerlegte sie in einzelne Fetzen und sorgte für Unord-nung. Die durch die Schießerei alarmierten Touristenboote suchten entweder das Weite, oder aber näherten sich dem Nebel, um ihre Hilfe anzubieten.
Parker übernahm von Kathy Porter das Ruder und machte sich mit dem Boot davon. Er wollte keine Fra-gen beantworten, sondern möglichst ungesehen davontuckern. Er rechnete ohnehin damit, daß es noch Ärger mit den Behörden gab. Diese offene Feldschlacht konnte nicht mehr verheimlicht werden.
*
»Das kann nur die alte Schnepfe mit ihrem Butler gewesen sein«, regte sich Waters auf und starrte wütend hinunter auf die treibenden Nebelfetzen. »Warum ist denn niemand von euch mißtrauisch geworden?«
Artie, Ray und Cary verzichteten auf Entschuldigungen. Sie wußten längst, daß Waters nie die Schuld bei sich suchte. Er brauchte Blitzableiter.
Zudem war den drei Jungprofis ein böser Verdacht gekommen.
Aus der Richtung, in der Waters stand, kam ein penetranter Geruch nach faulen Eiern. Die drei Jungprofis sahen sich im schweigenden Einverständnis an und verbissen sich ein Grinsen. Sollte Waters etwas Allzu-menschliches passiert sein? War ihm die Überraschung vielleicht auf den Darm geschlagen?«
»Was soll das blöde Grinsen?« fauchte Waters seine drei Leibwächter an.
»Hier, stinkt’s«, stellte Artie kühn und ein wenig anzüglich fest.
»Und wie!« fügte Ray hinzu.
»Wie in einer Kloake!« präzisierte Cary.
»Wieso stinkt’s hier?« fragte Waters verblüfft.
»Das fragen wir uns auch«, gab Artie zurück, während er Ray und Cary augenzwinkernd musterte.
Waters schnüffelte jetzt auch, verzog die Nase wie ein schnupfengeplagtes Kaninchen und fuhr wie unter einem Fausthieb zusammen, als er den Geruch jetzt endlich wahrnahm. Und nun verstand er auch die zarten Anspielungen seiner drei Leibwächter.
»Seid ihr denn wahnsinnig!« brüllte er los. »Habt ihr noch alle Tasse im Schrank? Ihr glaubt doch nicht etwa, daß ich … ?«
»Wäre ja kein Beinbruch, Chef«, tröstete Ray.
»Das sind eben die Nerven«, konstatierte Cary.
»Das bin doch nicht ich!« Waters hatte endlich begriffen und deutete vom Wehrgang hinunter in den Vorhof. Er deutete speziell auf einige längliche Gegenstände, die an kleine Glaszylinder erinnerten. Aus die-sen zerbrochenen Zylindern strömte, deutlich sichtbar, ein braun-gelbes Gas, das sich träge über die Stein-platten des Vorhofes wälzte und dann auf die Mauern zukroch. Es stieg an den Mauerquadern hoch und wehte dann durch die geöffneten Fenster in das Haupthaus.
»Das ist ja nicht auszuhalten«, stöhnte Waters und hielt sich die Nase zu.
»Wie in einer Kläranlage«, beschwerte sich Artie.
»Das bringt mich um«, behauptete Ray.
»Eine Jauchegrube ist nichts dagegen«, präzisierte Cary ungeniert. »Jetzt müßte man eine Gasmaske ha-ben, Chef.«
*
»Was passiert ist, weiß ich nicht«, sagte Cliff Caven, der junge Mann mit dem Wolfsgesicht, »aber drau-ßen in der Bai muß es eine tolle Schießerei gegeben haben.«
Caven und Paul Ratfield, der an eine Spitzmaus erinnerte, hatten sich wieder in der Kneipe getroffen. Von hier aus konnten sie den Sporthafen genau unter Sichtkontrolle halten. Von diesem Lokal aus hatten sie auch die Abfahrt der Lady, des Butlers und der rothaarigen jungen Dame verfolgt. Sie hatten das Trio per Zufall hier in Falmouth entdeckt und sich an ihre Fersen geheftet. Caven wollte endlich wissen, mit wem er es zu tun hatte.
»Meinst du, die Knallerei hat sich um Waters gedreht?« erkundigte sich Paul Ratfield.
»Sieht ganz danach aus«, antwortete Caven. »Eben sind zwei Polizeiboote raus in die Bucht geprescht. Mal sehen, was die mitbringen.«
Sie verließen die Kneipe und wanderten unruhig auf dem Kai auf und ab. Bis Caven das Boot entdeckte, dem seine Gedanken galten. Es tuckerte ungemein friedlich und völlig unbeschädigt heran und verschwand dann hinter den Masten der festgemachten Segelboote im Sporthafen.
»Das werden wir uns mal aus der Nähe ansehen«, schlug Caven vor und rieb sich die immer noch bren-nenden Augen. Das Reizpulver aus dem Doppelbrief wirkte relativ lange.
»Und wenn die uns erkennen?« sorgte sich Paul, vorsichtig und ängstlich wie immer.
»Wie denn?« regte sich Caven auf. »Du gehst mir mit deiner Angst langsam auf die Nerven, Paul. Die ha-ben uns doch noch nie zu Gesicht bekommen.«
»Das stimmt«, gab Ratfield zu und vergaß wie Caven, daß auch seine Augen noch rot entzündet waren, brannten und hin und wieder tränten. Die beiden äußerlich so ungleichen Männer schlenderten zum Sportha-fen und bauten sich in der Nähe eines dort parkenden, hochbeinigen und schwarzen Wagens auf.
Agatha Simpson und ihre Gesellschafterin gingen voraus, Parker übergab dem Eigner den ausgeliehenen Kutter und wußte von nichts, als der Mann ihn nach der Schießerei draußen in der Bucht fragte.
Es war Parker gelungen, sich im Schutz der Nebelfetzen abzusetzen. Er hatte sich unter die vielen Boote gemischt, deren Besitzer die Gewässer in der Nähe des Schlosses aufsuchten. Vor lauter Booten hatte man den Kutter, von dem aus geschossen wurde, nicht mehr ausmachen können. Parker hoffte sehr, daß auch die Polizei nicht weiterkam. An bohrenden Fragen war er nicht interessiert.
Als er seiner Herrin und Kathy Porter nachging, beladen mit einem ansehnlichen Koffer, in dem sich das Kleinkalibergewehr und die Stahlflasche mit dem Wasserstoffgas befanden, fiel sein Blick auf zwei Touris-ten, die hinaus aufs Wasser sahen und einen sehr unbeteiligten Eindruck machten.
Parker verstaute den Koffer im Wagen und ging noch mal zurück zum Kutter. Er holte jetzt die Reiseta-sche von Lady Simpson und eine Art kleinen Seesack. Ihm fiel auf dem Rückweg zum Wagen erneut auf, daß die beiden Touristen unentwegt aufs Wasser blickten. Ihm fiel aber auch auf, daß beide Männer leicht entzündete Augen hatten und hin und wieder bellend husteten, woraus Parker seine Schlüsse zog.
Er unterhielt sich in seinem Wagen nur kurz mit Kathy Porter. Sie nickte, nahm ihre Umhängetasche, stieg aus dem Wagen, überquerte den Kai und verschwand in einer Teestube.
Parker sorgte inzwischen für Ablenkung und ließ sich noch mal auf dem Kai sehen. Die beiden Touristen hatten sich noch nicht vom Fleck gerührt und bestaunten weiterhin die See. Sie schienen sich in die Bucht unsterblich verliebt zu haben.
Mylady zog inzwischen die Scheibenvorhänge des hochbeinigen Wagens zu und wartete auf die Rückkehr des Butlers, die nicht lange auf sich warten ließ. Parker setzt sich ans Steuer und fuhr hinüber zur Teestube. Er parkte den Wagen so, daß die beiden Touristen am Kai nicht sehen konnten, wer ein- oder ausstieg.
Der Zufall spielte mit.
Aus der Teestube kam gerade eine junge Frau, die auf den Wagen zuging, sich dann aber in einen Mi-nicooper setzte, der von Parkers Fahrzeug voll verdeckt wurde. Was kein Kunststück war, denn der Wagen des Butlers zeichnete sich durch kräftige Ausmaße aus.
Parker fuhr sofort an, bog in die nächste Seitenstraße und fädelte sich in den Verkehr einer Hauptstraße ein.
»Ob sie das gemerkt haben?« fragte Agatha Simpson erwartungsvoll nach vorn zu Parker.
»Wahrscheinlich nicht, Mylady«, gab der Butler zurück. »Zudem werden sie Miß Porter auf keinen Fall wiedererkennen. Ihre Maske dürfte etwaige Probleme in dieser Hinsicht leicht lösen.«
*
Cliff Caven und Paul Ratfield achteten überhaupt nicht auf das schlanke Mädchen im Hauskittel, das ein billiges Einkaufsnetz in der Hand hielt und ihnen folgte. Sie wären nie auf den Gedanken gekommen, daß sie es mit jener attraktiven jungen Frau zu tun hatten, die sich stets in der Begleitung der Lady befand.
Der junge Mann mit dem Wolfsgesicht und der ältere Mann, der wie eine stets verängstigte Spitzmaus aussah, gingen auf einen nahen Parkplatz zu, wo ihr angejahrter VW stand. Sie passierten ihn und ver-schwanden dann in einem billigen kleinen Hotel, in dem sie ganz offensichtlich wohnten.
Was auch den Tatsachen entsprach, wie Kathy Porter herausfand. Mit wenigen Mitteln, die sie stets mit sich führte, hatte sie sich in einen völlig anderen Menschen verwandelt. Erfahrungsgemäß wurde eine Haus-angestellte mit einem Einkaufsnetz in der Hand glatt übersehen. Eine Perücke vervollständigte die Verwand-lung und machte sie total.
Es dauerte nur knapp fünf Minuten, bis die beiden Männer wieder aus dem Hotel herauskamen. Der junge Mann mit dem Wolfsgesicht trug eine lange Segeltuchtasche, aus der oben die Spitze einer Angelrute heraus-ragte, der ältere Mann hielt eine Segeltuchtasche in der Hand, in die gut und gern eine Maschinenpistole ge-paßt hätte. Schweigend marschierten sie nebeneinander zurück zum Parkplatz und verstauten die Utensilien in dem VW. Bald darauf fuhren sie los.
Kathy Porter ging zurück zu Agatha Simpson und Butler Parker. Sie berichtete, was sie gesehen hatte.
»Was hat das zu bedeuten, Mister Parker?« verlangte die Detektivin zu wissen.
»Ich fürchte, Mylady, darauf vorerst keine Antwort geben zu können«, bedauerte der Butler. »Die beiden Herren sind die Unbekannten in diesem Spiel.«
»Kreaturen dieses Waters?«
»Dies, Mylady, erscheint mir ausgeschlossen.«
»Könnten sie mit diesem Ellis Kildare unter einer Decke stecken?«
»Die Möglichkeit sollte man auf keinen Fall ausschließen«, räumte Josuah Parker ein. »Vielleicht klären die Dinge sich von allein. Es könnte durchaus sein, daß sie dem Ferienhaus einen weiteren Besuch abstatten werden.«
Parker hielt sich nicht genau an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit, als er seinen hochbeinigen Wagen zu-rück zum spitzgiebligen Fachwerkhaus lenkte. Die Straße dorthin schlängelte sich durch sanft hügeliges Ge-lände. So sehr Parker sich aber auch beeilte, der VW war weit und breit nicht zu entdecken. Er schien einen anderen Weg genommen zu haben.
Im Ferienhaus angekommen, bereitete der Butler erst mal den unvermeidlichen Tee, den er stilvoll servier-te. Danach begab er sich hinauf ins Dachzimmer und bemühte das Teleskop. Er verbrachte einige Zeit damit, das Castle und auch die nähere Umgebung des alten Gemäuers genau zu beobachten. Er suchte sehr gründ-lich die nahe gelegenen Klippen und Mulden ab.
»Hoffentlich bringen Sie gute Nachrichten?« erkundigte sich Agatha Simpson, als Parker in den großen Wohnraum zurückkehrte.
»Mylady werden zufrieden sein«, antwortete der Butler steif und würdevoll. »Das Schloß wird offen-sichtlich gelüftet. Es gibt kein Fenster, das nicht weit geöffnet ist.«
»Ihre Chemikalie scheint recht wirkungsvoll zu sein.« Lady Simpson lächelte schadenfroh.
»Ich möchte keineswegs übertreiben, Mylady«, entgegnete der Butler, »aber die Hersteller sind der An-sicht, daß selbst das oft zitierte Stinktier sich erschreckt zurückzieht, wenn es von den Düften dieser Chemi-kalie erreicht wird.«
»Sehr schade, Mister Parker, daß ich Waters jetzt nicht beobachten kann«, bedauerte Agatha Simpson. »Aber ich denke, ich werde ihn anrufen und mich nach seinem Befinden erkundigen.«
*
Stephan Waters litt deutlich unter Übelkeit und Brechreiz.
Die widerlichen Düfte hatten sich in dem Castle festgesetzt und hafteten wie zäher Leim an allen Wän-den. Schwefelwasserstoff, erfahrungsgemäß nach faulen Eiern riechend, war gegen diesen Geruch fast noch ein Parfüm.
Waters hatte sich auf die Plattform eines der kleinen Türmchen zurückgezogen und ließ sich von der fri-schen Seebrise auslüften. Ein Aufenthalt in den Schloßräumen war so gut wie unmöglich, obwohl sämtliche Fenster weit geöffnet waren.
Seine drei Jungprofis standen auf dem Wehrgang und schnappten ebenfalls nach frischer Luft. Auch sie sahen mitgenommen und bleich aus. Sie hatten sich wie ihr Chef häufig übergeben und verfluchten das alte Gemäuer, aus dem es vorerst kein Entrinnen gab.
Waters war, was seine Widerstandskraft anbetraf, knieweich geworden.
Da war ihm zuerst mal die Energieversorgung in die Luft gejagt worden. Dann hatte man ihn mit diesen teuflischen Knallen traktiert. Und jetzt dieser penetrante Gestank! Ganz zu schweigen von den Schüssen aus dem Hubschrauber. Er fühlte sich umstellt, belauert, auf der Abschußliste. Die Festung, die er für unein-nehmbar gehalten hatte, war brüchig geworden. Selbst dicke Mauern schützten nicht mehr vor List und Ein-fallsreichtum.
Waters zuckte zusammen, als der Wind ein wenig drehte und wieder den pestilenzartigen Gestank herauf auf die Plattform drückte. Der Mann hielt sich die Nase zu und kämpfte mit Übelkeit. Er hörte unter sich Stöhnen und schnelle Schritte.
Die drei Jungprofis waren von dem Gestank ebenfalls betroffen worden und wechselten schleunigst ihren Standort. Sie trabten im Schweinsgalopp zur anderen Seite der Umfassungsmauer.
Der ehemalige Gangsterchef kam zu dem Entschluß, sich wirklich mit dem Syndikat in Verbindung zu setzen. Schön, er war bereit, eine gewisse, nachträgliche Zahlung zu leisten, nur um endlich seine Ruhe zu haben.
Er pumpte sich noch mal voll mit halbwegs frischer Luft und wollte gerade die Mauerzinne verlassen, als dicht neben Ahm ein Geschoß aufschlug und als Querschläger davonzwitscherte.
Waters ging sofort in volle Deckung und verzichtete darauf, nach dem Schützen Ausschau zu halten. Der Trick und die Absicht waren ja klar. Zuerst hatte man ihn und seine Leibwächter ausgeräuchert und aus den schützenden Mauern getrieben. Und nun sollte er und seine Profis der Reihe nach abgeschossen wergen. Raffinierter ging es ja wohl nicht.
Waters kroch zur Treppe und begab sich notgedrungen hinunter in den Bereich der üblen Stinkstoffe. Er hatte gerade einen Verbindungskorridor erreicht, als er das Läuten des Telefons hörte.
Sich weiterhin die Nase zuhaltend, schwankte er durch den Gestank hinüber in den großen Raum und nahm den Hörer ab.
»Waters«, meldete er sich.
»Lady Simpson wünscht Sie zu sprechen«, hörte er die gemessene, kühle Stimme eines Mannes, die nur zu diesem verdammten Butler gehören konnte.
»Hören Sie, hören Sie genau zu, Parker«, schrie Waters aufgebracht. »Ich werde mit dem Syndikat ver-handeln, haben Sie mich verstanden? Stellen Sie die verdammte Schießerei ein! Ich werde verhandeln, haben Sie mich verstanden?«
»Lady Simpson«, gab Parker zurück, worauf die angeregte Stimme von Mylady zu hören war. »Wie geht es Ihnen? Sehen Sie jetzt endlich ein, Sie Flegel, daß man eine Agatha Simpson nicht unbestraft beleidigt?«
»Hören Sie, Mylady«, flehte Waters und würgte diskret. »Ich werde mit dem Syndikat verhandeln. Ich hab’ die Nase voll …!«
»Das kann ich mir gut vorstellen«, lautete Agatha Simpsons Antwort, »doch ein paar Dauerlüftungen, und schon werden Sie sich wieder wohl fühlen …«
»Der Gestank bringt mich um«, keuchte Waters.
»Das kommt davon, wenn man auf harmlose Touristen schießt«, tadelte die Detektivin, »und wenn man sich um die Erstattung von 45 Pfund drückt …«
»Sie haben doch zuerst geschossen«, näselte Waters aufgebracht, da er sich wieder die Nase zuhalten mußte.
»Sie sind nicht nur ein ausgemachter Flegel, sondern dazu auch noch ein schamloser Lügner«, grollte Lady Simpson.
»Und wer hat da eben erst auf mich geschossen?« Waters fächelte sich Luft zu, denn der Gestank im Zimmer wurde unerträglich.
»Geschossen?« Agatha Simpsons Stimme klang erstaunt.
»Tun Sie doch nicht so«, krächzte Waters, »vor ein paar Minuten … Ich hab? doch nicht geträumt …«
Bevor Waters sich weiter über dieses Thema ergehen konnte, klickte es in der Leitung, Agatha Simpson hatte aufgelegt. Wogegen Waters nichts einzuwenden hatte. Er warf seinerseits den Hörer in die Gabel und taumelte benommen zum Fenster, wo er seine Lungen einigermaßen mit frischer Luft füllte. Dann eilte er zurück zum Apparat und wählte die Nummer eines Mannes in London, von dem er sehr genau wußte, daß er einen direkten Draht zum Syndikat besaß.
Was Waters diesem Mann zu sagen hatte, klang reichlich konfus. Einmal, weil ihm zwischendurch immer wieder schlecht wurde, zum anderen aber auch, weil er sich aus diesem Grund nicht so recht zu konzentrie-ren vermochte. Seine hastig hervorgesprudelten Worte und Sätze aber liefen darauf hinaus, daß er Stephan Waters, mit dem Syndikat seinen Frieden machen wollte.
Er erhielt die recht zurückhaltenden Antwort, daß er gegen Abend einen Bescheid erhalten würde.
Waters war froh und ging zurück zum Fenster. Nachdem er sich leicht erholt hatte, hielt er sich die Nase zu und rannte zum Turm. Lieber dort oben auf der Plattform unter Beschuß liegen, als die pestartigen Gerü-che weiter erdulden zu müssen …
*
Parker war diesmal allein.
Er hatte den hochbeinigen Wagen rechts von der Zufahrtstraße zum Castle in einer Bodenfalte zurückge-lassen und lustwandelte gemessen durch das unübersichtliche Gelände, auf der Suche nach dem Schützen, von dem Waters am Telefon gesprochen hatte.
Parker ahnte, daß er es mit jenen zwei Männern zu tun hatte, deren entzündete Augen ihm am Kai in Fal-mouth aufgefallen waren. Diese beiden Männer mußten sich hier seitlich vom Schloß in den Hügeln und Klippen aufhalten. Warum sie Waters unter Beschuß genommen hatten, wollte er gern erfahren.
Wenig später stieß er auf den angejahrten VW.
Der Wagen stand in einer Bodensenke, verborgen von hüfthohem Gesträuch und kleinen Birken. Wegen seiner großen Roststellen paßte er sich der Umgebung erstaunlich gut an. Parker wollte bereits auf diesen Wagen zugehen, als er zwei Männer entdeckte, die sich gerade aus einem Versteck erhoben.
Sie sahen sich gleich wie Zwillinge und hatten dümmliche Gesichter. Besonders auffallend an ihnen aber waren die Maschinenpistolen, die sie mit sich trugen. Sie pirschten sich an den VW heran und benahmen sich dabei wie Indianer auf dem Kriegspfad. Es mußte sich um Waters Leute handeln, das stand für den Butler sofort fest.
Parker sah aber auch noch mehr.
Links vom VW, in dem Ausläufer der Bodensenke, erschienen zwei weitere Männer. Und das waren die beiden Strolche vom Kai. Er hatte sich ihr Aussehen genau eingeprägt. Sie waren offensichtlich ahnungslos, daß der VW bereits entdeckt worden war.
Der junge Mann trug ein Gewehr in der Hand, auf das ein Zielfernrohr montiert war, der kleinere, ältere Mann war mit einer Maschinenpistole bewaffnet.
Das Feuergefecht schien unvermeidlich.
Da der Butler unnötiges Blutvergießen haßte, sah er sich gezwungen etwas zu tun.
Und er tat etwas!
Wegen der Distanz mußte er auf sein Blasrohr verzichten, das sich im Stock seines altväterlich gebunde-nen Universal-Regenschirms befand. Er griff also auf seine Spezialwaffe zurück, setzte die Gabelschleuder zusammen und holte die dazugehörige Munition aus einer seiner vielen Westentaschen. Er verwendete dies-mal hartgebrannte Tonmurmeln, auf deren Wirkung er sich verlassen konnte.
Die Zwillinge hatten die beiden Näherkommenden inzwischen schon ausgemacht und wollten sich gerade in Deckung zurückziehen. Parker beeilte sich, die erste Tonmurmel auf die Luftreise zu schicken. Es ging um Sekunden.
Der erste Zwilling wurde voll rechts an der Schläfe erwischt und knickte in den Beinen ein.
Sein Partner schreckte zusammen, als er seinen Kumpan wortlos zu Boden gehen sah.
Er hatte ja nichts gehört und konnte sich daher dessen Konditionsschwäche nicht erklären. Er sah sich aber mißtrauisch nach allein Seiten um und ergriff dann sehr herzlos das Hasenpanier, ohne sich weiter um seinen Partner zu kümmern.
Parker stoppte diese Flucht mit einer zweiten Tonmurmel.
Der Mann wurde mitten im Lauf erwischt, schlug einen Purzelbaum und streckte sich dann weich ins Gras.
Doch er war von den beiden anderen Männern gerade noch gesehen worden.
Der junge Mann riß sofort sein Gewehr hoch und wollte schießen. Und das hatte der Butler nun gar nicht gern.
Er opferte also eine dritte Murmel und traf den jungen Mann mit dem Wolfsgesicht unterhalb des linken Backenknochens.
Darauf warf der Getroffene sein Gewehr weg, faßte bestürzt nach der schmerzenden Stelle und setzte sich auf die Knie. Dann kippte er langsam seitlich um.
Der ältere Mann mit der Maschinenpistole begriff, daß sie es mit einem unsichtbaren und unhörbaren Geg-ner zu tun hatten.
Geistesgegenwärtig hob er schleunigst die Arme samt der Maschinenpistole und deutete damit unmißver-ständlich an, daß er sich ergeben wollte.
*
Paul Ratfield hatte seine Geschichte beendet und musterte den Butler scheu und erwartungsvoll zugleich.
»Ich bin geneigt, Ihnen zu glauben«, sagte Parker. »Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen, Mister Rat-field.«
»Ja!?« Paul, die Spitzmaus, war bereit, alles zu tun.
»Setzten Sie sich ans Steuer und fahren Sie mit Cliff Caven auf dem schnellsten Weg zurück nach Lon-don.«
»Das hatte ich Cliff ja die ganze Zeit über vorgeschlagen. Aber er will ja unbedingt seinen Bruder rächen.«
»Durch einen Mord?« fragte Parker abweisend, »um dann selbst als Mörder angeklagt zu werden!?«
»Sag’ ich ja. Sag’ ich ja! Aber er will nicht hören!«
»Er wird von der Rückfahrt gar nichts merken«, versprach der Butler. »Gehen Sie hinüber zu den beiden Männern! Sie sind inzwischen zu sich gekommen.«
Paul Ratfield trabte ahnungslos zu den Maschinenpistolenbesitzern hinüber. Parker hatte also Zeit, seine Krawattennadel zu aktivieren. Er zog sie aus dem Binder, entfernte die kleine Sicherungskappe aus hauch-dünnem Plastik und drückte die präparierte Spitze in den Oberschenkel von Cliff Caven. Womit ein mittel-langer Tiefschlag garantiert war.
»Sie kommen gerade wieder zu sich«, berichtete der zurückkehrende Paul Ratfield eifrig.
»Sehr schön«, meinte Parker, »aber zurück zu Ihrem Begleiter, Mister Ratfield. Prägen Sie ihm in London ein, daß er es wohl mit dem Syndikat zu tun bekommen wird, wenn er sich weiterhin einmischt! Das wird ihn hinreichend warnen, denke ich.«
»Sie … Sie sind vom Syndikat?« stotterte Paul die Spitzmaus, beeindruckt.
»Sie werden verstehen, daß ich darauf nicht antworten werde«, erklärte der Butler streng. »Beeilen Sie sich also, nutzen Sie Ihre Chance! Und noch mal: Sollte Ihr Begleiter sich wieder einmischen, dann dürfte er keine Chance mehr haben! Zudem wird er in Kürze erleben, daß Mister Waters vor dem Richter stehen wird.«
»Wir … Wir sind schon unterwegs«, behauptete Paul Ratfield hastig und setzte sich ans Steuer.
»Ich will Sie beide nie wieder sehen«, sagte Parker zum Abschied. »Fahren Sie, als sei der leibhaftige Sa-tan hinter Ihnen her!«
Paul Ratfield sah kurz auf Cliff Caven und gab Gas. Der VW schoß los wie ein Rennwagen und rumpelte dann mit einwandfrei durchgeschlagenen Stoßdämpfern über das unebene Gelände.
Parker war sicher, diese beiden Männer nie wieder zu sehen. Er war froh, daß er die kindischen, zugleich aber auch lebensgefährlichen Racheaktionen abgestellt hatte. Die Herren Caven und Ratfield interessierten ihn nicht.
Er schritt nun zu den beiden Jungprofis hinüber, die er bereits vom Hotel in Falmouth her kannte.
Sie starrten ihn finster, aber auch nervös-ängstlich an. Parker hatte sie mittels einer privaten Handschelle miteinander verbunden und natürlich entwaffnet.
»Sie können gehen«, sagte er. »Ihrem Rückweg zum Castle steht nichts mehr im Weg.«
»Das kennen wir«, sagte Artie und schluckte, »sobald wir uns umgedreht haben, putzen Sie uns um!«
»Abgesehen von der Unterstellung befleißigen Sie sich einer Tonart, die ich nicht sonderlich schätze«, gab der Butler zurück. »Sie können wirklich gehen.«
»Da ist doch ein Trick bei!« behauptete Ray.
»In der Tat knüpfe ich an Ihrem Weggang eine Bedingung«, sagte Parker. »Sie sollten Mister Waters eine Botschaft überbringen.«
»Ja!?« Artie richtete sich noch steiler auf.
»In der kommenden Nacht wird das Castle seinen Besitzer wechseln«, verkündete der Butler den beiden Männern, »dabei wird es ein wenig turbulent zugehen. Hoffentlich sind Ihre Schutzräume gut abgestützt und gesichert.«
»W… W… Was soll das heißen?« fragte Artie.
»Bomben?« fragte Ray, der eine dumpfe Ahnung hatte.
»Warum wollen Sie sich freiwillig um die Überraschung bringen?« erwiderte Parker gemessen. »Übrigens würde ich gern erfahren, warum Sie nicht im Schloß sind?«
»Waters hat uns rausgeschickt«, antwortete Ray sofort. »Wir hatten die beiden Typen draußen in den Klippen entdeckt. Wir sollten sie hochnehmen.«
»Töten?«
»Aber nein!« sagten sie fast gleichzeitig und sahen sich unschuldig an. »Nur so ’n bißchen hochnehmen und dann verscheuchen …«
Parker verzichtete auf eine Antwort.
Er lüftete knapp seine schwarze Melone, schulterte die diversen, erbeuteten Waffen und verließ die bei-den, sehr beeindruckten Männer, die leise miteinander tuschelten.
Sie unterhielten sich über das Thema, ob es angebracht war, überhaupt noch mal ins Schloß zurückzukeh-ren.
*
Es war dämmerig geworden.
Waters stand auf einer Plattform und sah auf das Vorgelände hinunter. Artie und Ray waren schon seit ei-nigen Stunden überfällig. Da Waters aber bisher keine Schüsse gehört hatte, wußte er nicht, was sich da draußen zwischen den Klippen ereignet hatte.
Cary, sein dritter Leibwächter, machte sich ebenfalls seine Gedanken.
Er war inzwischen fest davon überzeugt, daß Artie und Ray sich abgesetzt hatten. Einmal wegen des pe-netranten Gestanks im Castle, zum anderen aber auch aus Gründen der Sicherheit. Sie hatten die Gelegenheit genutzt und Waters aufgegeben.
Nun zerbrach Cary sich den Kopf darüber, wie auch er das Weite suchen konnte. Er hatte keine Lust, wei-terhin für Waters den Kopf hinzuhalten. Das Syndikat war eben doch stärker. Gegen diese mächtige Organi-sation hatte man einfach keine Chance.
Weit unten im Castle meldete sich das Telefon.
Waters schrak deutlich zusammen und rannte dann los.
Der Bescheid aus London.
Er merkte in seinem Eifer nicht, daß Cary ihm klammheimlich und dazu noch auf Zehenspitzen folgte. Ca-ry wartete unten im Korridor, bis Waters in seinem Zimmer verschwunden war, dann pirschte er sich an der Tür vorbei und rannte durch lange Korridore, Hallen, Treppen und Gänge, bis er den Vorplatz erreicht hatte.
Waters aber hatte inzwischen den Hörer abgenommen und meldete sich.
»Hier London«, sagte eine kühle Stimme. »Waters, Sie haben die Schraube überdreht …«
»Wie … wie, bitte?« Waters stotterte aufgeregt, den Gestank im Raum merkte er im Moment nicht, dazu war er viel zu nervös.
»Sie haben einen Spezialisten von uns böse zugerichtet«, redete die kalte Stimme weiter. »Der Mann liegt jetzt im Krankenhaus. Brüche und schwere Gehirnerschütterung. So was verzeihen wir nicht! Niemals …«
»Wen soll ich ausgeschaltet haben?«
»Einen verdammt teuren Spezialisten«, wiederholte die kühle Stimme noch mal. »Der Mann liegt in Gips und ist für die nächsten Wochen nicht mehr einsatzfähig …«
»Das muß ein Irrtum sein«, verteidigte sich Waters.
»Uns machen Sie nichts vor«, drohte die Stimme aus London. »Sie haben da so ein seltsames Trio auf un-seren Mann angesetzt. Eine alte Lady, einen Butler und so ’n junges Ding … Keine schlechten Leute, zuge-geben, aber das ändert nichts an den Tatsachen!«
»Ich schwöre, daß ich damit nichts zu tun habe«, sagte Waters, um erst dann zu verstehen, von wem die Stimme aus London gesprochen hatte.
»Sagten Sie eine Lady, ein Butler und eine Gesellschafterin?«
»Sie kennen das Trio also!« Das klang wie eine Feststellung.
»Ja, natürlich … Aber …«
»Na also! Und während Sie unseren Spezialisten fertigmachen lassen, wollen Sie gleichzeitig mit uns ver-handeln? Sie sind wohl nicht recht bei Trost, wie?«
»Ich habe mit dem Butler und der alten Lady nichts zu tun. Ehrenwort! Die sind ja auch hinter mir her …«
»Faule Ausrede, Waters.«
»Ich schwöre! Die machen mir ja das Leben zur Hölle! Ich habe keine ruhige Stunde mehr … Warum hätte ich wohl sonst angerufen? Überlegen Sie doch mal! Das Trio ist nicht von London hierher geschickt wor-den?«
»Kommen Sie mir bloß nicht mit der Masche«, sagte die verärgerte Stimme. »Uns streuen Sie keinen Sand in die Augen, Waters. Sie wollen wohl auf Ahnungslosigkeit machen, wie? Na, schön, wir werden Ihnen bald mal zeigen, wie dumm wir sind! Machen Sie sich auf einiges gefaßt!«
Waters wollte erneut einen Schwur leisten, doch die Gegenseite hatte bereits aufgelegt. Der Mann nagte an seiner Unterlippe, schwitzte vor Angst und überlegte, wen man da wohl mit dem Spezialisten gemeint haben könnte, der jetzt im Krankenhaus lag. Er wußte doch schließlich genau, daß er damit nichts zu tun hatte.
Er rief nach Cary und bekam keine Antwort …
Waters irrte durch die Korridore, Gänge und Hallen und über Treppen, doch von Cary war weit und breit nichts zu sehen. Bis Waters ein schrecklicher Verdacht kam.
Er rannte hoch auf einen Turm und – entdeckte seinen dritten Leibwächter, der gerade den Rest der Ka-belstrecke hinter sich brachte.
Cary setzte sich nämlich ab und inspizierte keineswegs die Tragfähigkeit der Brückenhalterung.
Er saß rittlings auf dem dicken Kabelstrang und rutschte dem rettenden Festland entgegen. Er hatte es fast geschafft.
Waters sah rot vor Wut.
Er drehte durch.
Er riß die Pistole aus der Schulterhalfter und belegte Cary mit Dauerfeuer.
Drei Geschosse verfehlten das Ziel, das das vierte traf.
Cary erhielt einen schweren Schlag und wäre beinahe hinunter durch die hochgeklappte Brückenstelle ins Wasser gestürzt. Er hielt sich mit letzter Kraft fest und kletterte dann bedeutend langsamer weiter.
Waters schoß …
Er brachte noch einen zweiten Treffer an, bei dem es sich aber zu Carys Glück nur um einen Streifschuß handelte. Der dritte Leibwächter rutschte inzwischen im Zeitlupentempo in den Vorturm, wo die Kabel-stränge endeten, und entschwand seiner Sicht.
Waters war allein!
Er warf die Waffe ins Wasser und fühlte sich verlassen in dem großen, düsteren Castle, das an sich schon unheimlich wirkte.
Er lachte ein wenig irr und drohte Cary mit der geballten Faust, Cary sah überhaupt nicht hin. Er schleppte sich mühsam unten aus dem Turm heraus und machte sich dann humpelnd davon.
Waters bekam nicht mehr mit, daß Cary von einem sehr würdevoll gekleideten und auch aussehenden Mann empfangen wurde, der einen schwarzen Zweireiher und eine schwarze Melone trug.
*
Es war völlig dunkel geworden.
Neben Parkers hochbeinigem Wagen standen zwei Wagen der Polizei. Uniformierte Beamte hatten sich vor dem Vorwerk des Castle im Halbkreis aufgebaut und sicherten den Einsatz. Ein hoher Beamter unter-hielt sich angeregt mit Lady Simpson, Butler Parker und Kathy Porter.
»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich entschieden widersprechen«, sagte der Butler gerade gemessen. »Ein Sturm auf das Schloß würde unnötige Opfer kosten.«
»Sollen wir Waters etwa aushungern?« fragte der hohe Beamte ungeduldig und ein wenig von oben herab. Parker hatte die zuständige Behörde alarmiert und ihr Cary vorgeführt. Unter dem Eindruck der Schußver-letzung hatte Cary seine Geschichte erzählt, in der Waters sehr schlecht davongekommen war. Nun sollte der Schütze aus seinem Bau herausgeholt werden.
Parker hatte der Polizei gegenüber eine harmlose Story berichtet, in der es von Zufällen nur so wimmelte. Lady Simpson hatte diese Geschichte noch zusätzlich ausgeschmückt, während Kathy Porter sich ungemein scheu gezeigt hatte. Bei allem Mißtrauen der Polizei waren die zuständigen Beamten zu der Meinung ge-kommen, daß dieses skurrile Trio unmöglich aktiv gewesen sein konnte. Diesen drei Leuten war doch kaum etwas zuzutrauen.
»Wie bekommen wir Waters also aus seinem Bau?« fragte der Beamte noch mal.
»Mit einem entsprechenden Geräuschpegel«, schlug der Butler vor.
»Wie bitte?«
Parker verzichtete auf eine Antwort und ging zu seinem hochbeinigen Wagen. Er kümmerte sich nicht wei-ter um die neugierigen Zuschauer, die jeden seiner Handgriffe mit Mißtrauen beobachteten.
Parker holte drei straußeigröße Stahlblechbehälter aus einer einfachen Einkaufstasche und verdrehte die beiden Hälften gegeneinander.
»Was soll denn das sein?« fragte der hohe Beamte mißtrauisch. »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie keine Sprengstoffe verwenden dürfen.«
»Wenn Sie sich bitte überzeugen wollen, Sir.« Parker präsentierte eines der Stahlblecheier. »Es handelt sich, wie Sie sofort erkennen werden, um ein Alarmgerät für den privaten Haushalt. Dieses Gerät wird vor die zu sichernden Türen oder Fenster gestellt. Kippt dieses Alarmei um, dann stellt eine Quecksilberzunge den Kontakt zwischen der Batterie und dem Lautsprecher her. Die dabei entstehenden Geräusche möchte ich als überraschend bezeichnen.«
»Nicht schlecht!« Der hohe Beamte nickte schmunzelnd. »Aber glauben Sie wirklich, Waters damit her-auslocken zu können?«
»In Anbetracht seines augenblicklichen Nervenzustandes ist fest damit zu rechnen.«
Parker holte ein elastisches Brett aus seinem Wagen, auf dessen oberem Ende eine große Waschschüssel aus Plastik befestigt war. Er steckte das Brett vorn zwischen Stoßdämpfer und Kühler seines Wagens und bog das Brett weit herunter. Er hatte damit eine Riesenschleuder improvisiert, wie man sie sich wirkungsvol-ler nicht denken konnte.
Nicht nur der hohe Beamte staunte.
Die Uniformierten hatten sich um Parkers Wagen versammelt und sahen dem Schauspiel zu.
»Wenn ich Mylady jetzt bitten darf.« Parker sah Agatha Simpson höflich an, die daraufhin die drei Blech-eier in die festgenagelte Waschschüssel legte.
Parker bog das elastische Brett noch weiter zurück und ließ es dann zurückschnellen.
Zischend schossen die drei Geräuschgranaten durch die Luft und klatschten nach einigen Sekunden inner-halb des Castle genau in den Innenhof.
Gleichzeitig mit der Landung erhob sich ein spektakuläres Sirenengeheul, daß sogar die Beamten sich zwangsläufig die Ohren zuhielten.
*
Der hochgelassene Teil der Kabelbrücke klatschte herunter, das schwere Tor öffnete sich spaltbreit.
Wie wild aus der Maschinenpistole um sich feuernd, rannte ein einzelner Mann über die Kabelbrücke und ging zum Angriff über. Dabei stieß dieser Mann halbirre Schreie aus.
Er richtete keinen Schaden an, da die Wagen sich auf Parkers Wunsch hin weit zurückgezogen hatten. Die Beamten also lagen ganz in der Nähe des Vorwerks in sicherer Deckung und warteten, bis der Mann im wahrsten Sinn des Wortes sein Pulver verschossen hatte.
Während die Polizisten sich dann mit Waters befaßten und ihn überwältigten, lüftete Parker dem hohen Beamten gegenüber die schwarze Melone.
»Ich hoffe, Sir, Ihren Erwartungen entsprochen zu haben«, sagte er gemessen.
»Wann hören diese schreckliche Sirenen endlich auf?« wollte der Beamte wissen und hielt sich schnell wieder die Ohren zu.
»Dies, Sir, geschieht erst, wenn die Energie der Batterien sich erschöpft hat«, gab Parker zurück, »oder wenn man die Geräte abstellt, falls dies nach dem Aufprall noch möglich ist.«
»Ich kann Waters verdammt gut verstehen«, stellte der hohe Beamte beeindruckt fest. »Ich hätte auch ei-nen Ausfall versucht!«
»Werden wir noch gebraucht?« fragte Lady Simpson.
»Vielleicht morgen, Mylady, für das amtliche Protokoll. Was ich noch sagen wollte, Ihr Butler hat es aber in sich. Eine Rarität.«
»Wem sagen Sie das«, erwiderte Agatha Simpson und lächelte verschmitzt. »Manchmal bin ich sogar recht zufrieden mit ihm.«
Parker erwartete seine Herrin neben dem hochbeinigen Wagen und öffnete die hintere Tür.
»Soweit, so gut«, sagte Lady Simpson und sah sich nach Waters um, der im Licht der nun aufgedrehten Scheinwerfer gut zu erkennen war. Waters hat mit vielen Anklagen zu rechnen und dürfte dahin kommen, wohin er schon seit Jahren gehört.
»Aber wissen Sie, was mich ärgert, Mister Parker?«
»Wenn Mylady gestatten, vermute ich es in etwa.«
»Wie komme ich jetzt an die 45 Pfund, die dieser Waters mir noch schuldet?« grollte die Sechzigjährige, während sie in den Wagen stieg. »Ich muß schon sagen, Mister Parker, daß Ihnen die ganze Aktion nicht besonders gelungen ist …«
»Wie Mylady meinen«, erwiderte der Butler ungerührt und ohne mit der Wimper zu zucken. »Vielleicht erreiche ich beim nächsten Fall jene Perfektion, die Mylady von meiner bescheidenen Wenigkeit erwarten!«
ENDE