Читать книгу Todwald - Günter Huth - Страница 7
Prolog
ОглавлениеEr schwebte in absoluter Dunkelheit. Das Bewusstsein der eigenen Existenz kehrte nur sehr langsam zurück. Für eine nicht messbare Zeit empfand er sich in einem angenehmen körperlosen Schwebezustand, der ihm das unbestimmte Gefühl von Wärme und Geborgenheit suggerierte. Zögerlich, fast widerwillig, fand er in die Gegenwart zurück. Sein erstes reales Empfinden war höchst unangenehm und dominierte schlagartig seine übrigen Wahrnehmungen: Seine Zunge war geschwollen und fühlte sich wie ein Fremdkörper an. Er kannte diese sandige Trockenheit und den damit verbundenen ekelhaften Geschmack zur Genüge. Schon viele Male war er nach einem Alkoholexzess so aufgewacht. Er schluckte hart. Es dauerte etwas, bis er so viel Speichel gesammelt hatte, dass das Schlucken einigermaßen schmerzfrei geschah.
Mühsam öffnete er die Augen. Er erschrak zutiefst. Seine Wahrnehmung veränderte sich nicht! Mehrmals hintereinander senkte und hob er die Augenlider, aber die völlige Dunkelheit blieb. War er erblindet? Hastig wollte er sich mit der Hand über die Augen fahren. Aber das war nicht möglich! Es dauerte einige Zeit, bis er begriff. Seine Hände waren fixiert, unverrückbar festgebunden. Jetzt spürte er auch seinen übrigen Körper. Er musste nackt sein, denn seine Haut hatte direkten Kontakt mit der glatten, kühlen, aber nicht harten Unterlage, auf der er festgeschnallt war. Deutlich fühlte er mehrere über seinen Körper gespannte breite Bänder, die so gut wie keine Bewegungen zuließen. Die Arme waren an seiner Seite fixiert. Lediglich den Kopf konnte er etwas hin und her bewegen. Die wohlig warme Geborgenheit verflüchtigte sich. Mit seinen frei beweglichen Fingerspitzen berührte er die nackte Haut seines Oberschenkels. Er war teilweise mit einem Tuch zugedeckt.
Langsam kroch Panik in ihm hoch. Was war mit ihm geschehen? Wo befand er sich? Er öffnete den Mund und gab einige krächzende Laute von sich. Das Ergebnis war ein trockener Husten, der seinen Brustkorb erschütterte. Er wollte tief Atem holen, doch das wurde durch den unnachgiebigen Brustgurt erschwert. Für einen Moment hatte er das schlimme Gefühl, ersticken zu müssen.
»Hallo …«, krächzte er kläglich. Dann lauter: »Hallo, ist da jemand?«
Das Geräusch einer sich öffnenden Tür fiel mit dem Aufflammen mehrerer greller Neonlampen zusammen, deren Licht wie Blitze auf seine Netzhaut traf und ihn zwang, geblendet die Augen zu schließen.
Er hörte harte Schritte, die sich ihm näherten. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er den Menschen zu erkennen, der sich jetzt über ihn beugte.
»Bitte … bitte …«, stammelte er. »Was ist …?«
Die blonde Frau, deren Gesicht hinter einer Schutzmaske verborgen war, blieb neben ihm stehen und musterte ihn aus kalten Augen. Jetzt sah er, dass sie einen weißen Kittel trug. War sie eine Ärztin?
»Bitte, wo bin ich? Was geschieht mit mir?« Die trockenen Stimmbänder versagten ihm fast den Dienst. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Angst trieb seinen Blutdruck in die Höhe. Neben ihm begann ein Kontrollgerät im Rhythmus seines rasenden Herzens zu piepsen.
Die Frau zeigte keinerlei Reaktion auf seine Fragen. Langsam griff sie in ihre Kitteltasche und holte eine aufgezogene Spritze hervor. Ohne ein Wort der Erklärung schob sie das Tuch vom Arm des Gefesselten und trieb die Nadel in einen Zugang, den er an seinem Handrücken erkennen konnte. Gleichmäßig, ohne Hast, drückte die Frau den Kolben herunter und die klare Flüssigkeit in der Spritze gelangte in seinen Blutkreislauf. Alle seine Abwehrversuche wurden von den Fesseln unterbunden. Die Frau blieb stehen und beobachtete über den Monitor des Kontrollgeräts wortlos, wie das Medikament wirkte.
Die Betäubung kam wie eine heftige Welle und schwemmte jegliche Gedanken weg. Das Letzte, was er spürte, war die Rückkehr eines unbestimmten Gefühls von Wärme und Geborgenheit.