Читать книгу Das Wort Gottes: Top Secret - Günter Laube - Страница 5
2. Die Stadt, die niemals schläft
ОглавлениеNew York, USA
Sonntag, 7:00 p.m.
Wir landeten pünktlich auf dem JFK-Flughafen im New Yorker Stadtteil Queens. Die Stadt empfing mich mit dunklen Wolken und Regen. Hoffentlich kein schlechtes Omen!
Wie von Christina angekündigt wurde ich erwartet. Zwei FBI-Agenten, ein Mann und eine Frau, passten mich bei der Sicherheitskontrolle ab und geleiteten mich zu ihrem Wagen, einer dunklen Limousine.
»Special Agents Donovan und Miller«, stellte der Mann sie vor. Er sah aus als ob er nebenbei bei den L. A. Lakers in Diensten stand. Groß und durchtrainiert konnte auch der unauffällige dunkle Anzug sein Erscheinungsbild nicht schmälern. Seine Kollegin trug einen etwas auffälligeren farbigen Hosenanzug und wirkte ebenfalls austrainiert. »Wenn Sie uns bitte folgen, Mister Carter, wir bringen Sie zu Assistant Director Anderton. Für Ihr Gepäck wird ebenfalls gesorgt.«
Es sollten die einzigen Worte bleiben, die bis zum Eintreffen im Büro des hiesigen Leiters des FBI gesprochen wurden. Die Frau fuhr und konzentrierte sich ganz auf den Verkehr. Miller hielt es nicht für notwendig, mich noch mal anzusprechen, doch bald kam mir die Idee, dass sie vielleicht auch Anweisung erhalten hatten, mich nicht in meinen Gedankengängen zu stören. Das war dem Nimbus der Abteilung V zu verdanken. Außer dem Quietschen der Scheibenwischer und dem ab und zu brummenden Motor war nicht viel zu hören. Mir kam das entgegen, so konnte ich in aller Ruhe die Fahrt durch die größte nordamerikanische Stadt, die ich in den letzten Jahren durch meinen Beruf so gut kennen gelernt hatte, genießen.
Wir fuhren auf der Atlantic Avenue durch Brooklyn und überquerten den East River auf der Brooklyn Bridge - eine Fahrt von einer dreiviertel Stunde. Viele mit Regenschirm bewaffnete Wochenendausflügler waren unterwegs, und der Strom an Touristen schien in diesem Jahr mal wieder besonders groß zu sein - trotz drastisch gestiegener Sicherheitsmaßnahmen und Einreisebestimmungen. Nach einer weiteren Viertelstunde erreichten wir das Gebäude am Federal Plaza, den Sitz des New Yorker FBI. Assistant Director Anderton - der Leiter des hiesigen FBI-Büros - war etwa fünfzig Jahre alt und von hoher, breitschultriger Gestalt, die ihm in seinem Beruf durchaus Vorteile verschaffen durfte. »Assistant Director Frederick Anderton«, stellte er sich vor.
»Carter, John Carter. Angenehm.«
Er reichte mir seine Rechte und drückte kräftig zu. Ich hielt dieser Geste lächelnd stand.
»Danke sehr, Agents, das wäre zunächst alles«, verabschiedete Anderton mein Empfangskomitee. Die beiden zogen sich diskret zurück. Dann genoss ich seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Zunächst schien er mir ein wenig verärgert zu sein. Ohne Einleitung fragte er mich: »Und Sie kommen wirklich extra aus L. A. hierher, um den Cartwright-Fall zu übernehmen?« Er schüttelte verständnislos den Kopf.
»Ja, so ist es. Mein Chef - ich habe noch nicht mit ihm gesprochen, sondern nur mit seiner Sekretärin - scheint sehr viel Wert auf Aufklärung dieses Falles zu legen.«
»Ja, ich habe heute Morgen ebenfalls mit ihr gesprochen. Sie hat Sie mir angekündigt.«
»Dann sind Sie also vorbereitet«, wagte ich einen ersten Vorstoß.
Doch er nahm mir schnell den Wind aus den Segeln: »Tut mir leid, Special Agent, aber wir haben noch keine Ergebnisse. Die Ermittlungen laufen zwar auf Hochtouren, aber wir haben mit den anderen Morden weit mehr Probleme!«
»Andere Morde? Welche anderen Morde?«
»Ach, das wissen Sie noch gar nicht?« Er gestattete sich den Anflug eines Lächelns, das allerdings etwas gequält wirkte, und griff nach einem Blatt auf seinem Schreibtisch. »Innerhalb von sechsunddreißig Stunden wurden an diesem Wochenende sechs Menschen getötet. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag wurde in Queens ein Mann erschossen, auf offener Straße. Keine Zeugen. Kein Motiv erkennbar. Freitag Nachmittag das nächste Opfer. Ebenfalls erschossen, keine Zeugen, kein Motiv erkennbar. In der Nacht von Freitag auf Samstag der nächste Tote, diesmal in Manhattan, in der Nähe des Madison Square Garden. Tatwerkzeug war diesmal ein Messer und das Opfer eine Frau. Drei Stiche, jeder davon war tödlich. Im Laufe des Samstags drei weitere Tote, ein Erwürgter in Brooklyn, ein Mann in Chinatown und eine Frau auf Long Island, die von einem Auto überfahren wurde. Der Mann wurde aus geringer Distanz erschossen. Und am Abend schließlich Ihr Mann, Nummer sieben. Er wurde niedergestochen.«
»Hm. Eine ganz ordentliche Quote. Und es gibt keine Zusammenhänge zwischen den Morden oder den Opfern?«
»Keine. Die verschiedenen Tötungsarten deuten auf unterschiedliche Täter, vielleicht sogar Motive. Unsere Spezialisten sind noch dabei, entsprechende Profile zu erstellen. Ich räume ihnen allerdings keine große Chance ein, einen Zusammenhang zu finden, denn bis auf die Tatsache, dass alle Opfer von außerhalb kamen und keine New Yorker waren, gibt es keine Gemeinsamkeiten. Vier von ihnen waren Ausländer, und damit kommen wir dann ins Spiel.«
»Ja, das übersteigt die Zuständigkeit der Polizei natürlich. Haben Sie denn in Bezug zu den Ausländern bereits eine heiße Spur? Vielleicht kennt man die an anderer Stelle, oder es waren einfache Touristen, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren?«
»Den Gedanken hatte ich auch bereits. Und ich habe in Langley angefragt und um Unterstützung gebeten.«
»Und unsere Kollegen von der CIA haben natürlich sofort alles stehen und liegen lassen als Ihre Anfrage kam?«, fragte ich ironisch.
»Natürlich«, erwiderte er in dem selben Tonfall. »Und sie arbeiten noch daran.«
»Hmm.«
»Genau. Erst mal stecken wir fest. Raubmord kann man bei den ersten sechs Opfern ausschließen, bei allen Leichen fand man Brieftasche oder Ähnliches, daher konnten sie auch so schnell identifiziert werden. Es scheint völlig willkürlich zu sein, ohne jeden Zusammenhang; ein erster Verdacht geht in Richtung eines psychopathischen Serienkillers, doch finden Sie den mal in einer solchen Metropole und ohne weitere Zeugen. Und nun kommen Sie von der Spezialabteilung und haben einen einfachen Raubmord aufzuklären. Das verstehe ich nicht!«
»Ich verstehe es auch nicht. Noch nicht. Aber mein Chef wird schon so seine Quellen haben.«
»Anzunehmen«, brummte Anderton.
»Was wissen Sie sonst noch von den Toten?«
»Das erste Opfer kam aus Argentinien, das zweite aus Honduras, die ermordete Frau aus Russland, und der vierte Tote war vor einer Woche aus Israel eingereist. Ein Mann aus Malaysia und eine Frau aus Atlanta setzen die traurige Bilanz dann fort, bevor Ihr Mann, Cartwright, schließlich ermordet wurde. Und der nutzte New York als Zwischenstation.«
»Also zwei Opfer aus den Staaten?«
»Richtig. Inklusive Cartwright. Aber der nimmt wie gesagt eine Sonderstellung ein. Für die anderen sechs gilt: kein Motiv. Die Ermordeten wurden weder beraubt noch wurde ihnen in irgendeiner Weise weitere Gewalt angetan. Sexualdelikte sind bei den Frauen ebenfalls auszuschließen. Die Senatorin und der Polizeichef hatten ein Gespräch, das eher als Monolog zu bezeichnen war, der Bürgermeister ist 'not amused', das State Department hat sich bereits eingeschaltet und verlangt Ergebnisse, natürlich am Besten bis gestern. Das israelische Außenministerium hat inzwischen interveniert und möchte über den Stand der Ermittlungen informiert werden, und es ist anzunehmen, dass auch die anderen Toten noch zu einigen Verwicklungen auf internationalem und diplomatischem Parkett führen werden. Von der toten Russin ganz zu schweigen! Sie war bereits zwei Wochen in den Staaten. Die übrigen Ermordeten waren noch nicht so lange im Land, zwischen einer Woche und drei Tagen. Der letzte, der ankam, war der Argentinier. Am Mittwoch.«
»Und der wurde als Erster getötet. Sehr seltsam. Ob das wohl eine erste Spur sein könnte?«
Er zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Im Moment lässt sich weder etwas dafür noch dagegen sagen.«
»Tja«, überlegte ich laut, »ob die Kollegen von der Polizei mehr wissen als wir? Immerhin dürften die Beamten von den zuständigen Revieren die Spuren ...«
»Nein, Carter! Ich verstehe es nicht. Wochenlang ist alles ruhig, kein Toter, nur hier und da ein paar Verletzte nach einer Schlägerei, und auch in den Monaten davor nur zwei Drogentote ... - aber kein Mord! Und jetzt sieben innerhalb kürzester Zeit! Dieses Wochenende wird in die Geschichte eingehen! Und es ist eine traurige Geschichte, auf einmal haben wir hier Krieg! Ich gehe fest davon aus, dass die Morde zusammenhängen, so viele Zufälle gibt es nicht! Aber die einzelnen Polizeireviere sind damit überfordert, definitiv. Die können die überregionalen Zusammenhänge gar nicht erkennen. Daher müssen wir ermitteln und möglichst schnell Ergebnisse liefern.«
»Da möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken, ich habe gerade einen politisch angehauchten Fall abgeschlossen.«
»Danke. Ja, ich hörte davon, gute Arbeit.« Er atmete tief durch, und nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Vielleicht ergibt sich ja doch irgendwo eine Spur, ein Hinweis, ein Zeuge. Ein Motiv ist im Moment noch nicht erkennbar, aber irgendwo müssen wir ja ansetzen. Sie könnten uns eigentlich mehr helfen, wenn Sie sich an die anderen Morde, die offenkundig einen weitaus dubioseren Hintergrund haben, halten würden als an diesen Cartwright! Meiner Meinung nach ist der, so traurig es ist, Opfer eines Raubmordes geworden. Er wollte nach Hause und wurde überfallen. Ihm wurde seine Tasche gestohlen, und bevor der Täter auch noch seine Brieftasche oder andere Wertgegenstände an sich nehmen konnte, wurde er gestört und musste fliehen. Die Indizien sprechen eine deutliche Sprache.«
»Trotzdem werde ich dem Revier, das für diesen Cartwright zuständig ist, noch einen Besuch abstatten.«
Anderton schien etwas pikiert zu sein. »Wenn Sie es für nötig halten!«
Er hielt es offenbar nicht für nötig!
»Aber ich sage Ihnen, dass dieser Tote der einfachste Fall von allen sieben ist! Einer meiner Agenten hat sofort nachdem die Meldung reinkam, auf dem zuständigen Polizeirevier angerufen und erfahren, dass der Täter eine Tasche entwendet hat. Sehr wahrscheinlich ein Notebook. Dafür gibt es auf dem Schwarzmarkt durchaus einen dreistelligen Betrag. Wenn Sie mich fragen, ist das ein Motiv!«
»Dann gab es also Zeugen?«
»Ja, die gibt es, zwei Polizeibeamte haben die Tat beobachtet, konnten aber nicht eingreifen.«
»Hmm. Hat Ihr Mann mit den beiden gesprochen?«
»Nein, aber der Bericht gibt alles wieder, und wenn die beiden etwas vergessen haben zu erwähnen, ist es nicht unsere Schuld.«
Ich stöhnte innerlich auf. Mit dieser Einstellung konnte ich mich selbstverständlich nicht abfinden und hakte mit fester Stimme nach: »Er war also selbst nicht da und hat sich auch nicht das Opfer oder die restlichen Beweisstücke angesehen?«
Anderton schien es nicht zu gefallen, dass ich - wieder einmal - auf seine Bemerkung nicht eingegangen war. Er runzelte die Stirn. »Wozu?«, fragte er dann, und sein Ton war jetzt merklich schärfer und passte zu seiner Mimik. »Für ihn und auch für mich ist die Sache klar. Der Tote ist Amerikaner, kam aus dem Urlaub aus der Schweiz und wurde hier nach seiner Rückkehr überfallen. Raubmord. Klare Sache. Die anderen Opfer machen mir wirklich weit mehr Sorgen. Wir sehen einfach keinen Zusammenhang zwischen Ihrem Toten und den anderen sechs, und selbst zwischen denen fällt das schon schwer. Aber wenn Sie unbedingt Ihre Zeit verschwenden wollen ..., bitte sehr!«
»Wir werden sehen«, beschied ich ihm, nun etwas kurz angebunden. Allmählich reichte es mir, für ihn war die Sache ja schon völlig klar, ohne dass irgendetwas wirklich aufgeklärt war. Fehlt nur noch eine Presseerklärung, und dann gehen wir wieder zur Tagesordnung über! »Wie gesagt, mein Chef wird schon einen Grund gehabt haben, mich auf den siebten Toten anzusetzen.«
»Hmm.« Der Zweifel in seiner Stimme war eigentlich eine Frechheit, doch sagte er jetzt nichts mehr. Denn in diesem Sinne weiter zu widersprechen, hätte auch bedeutet, meinem Chef zu widersprechen, und das konnte er sich selbst als Assistant Director nicht erlauben.
»Es wäre nett, wenn sie Ihre ersten und auch folgende Ergebnisse an meine Abteilung weiterreichen würden. Ich werde veranlassen, dass es umgekehrt ebenso läuft. Vielleicht können wir die Fälle ja gemeinsam klären, und sie von zwei Seiten her angehen«, startete ich einen Versuch, den Besuch nicht mit Misstönen zu beenden.
»In Ordnung, Mister Carter. Ich werde das Nötige veranlassen.«
Ich reichte ihm die Hand und verabschiedete mich. »Danke sehr, Mister Anderton!«
»Auf Wiedersehen!«
*
Ich hatte das Gebäude kaum verlassen, da klingelte es: Christina!
»Hi, Christina!«
»Hallo, John! Wie war dein Flug? Bist du gut gelandet?«
»Oh ja, bin ich, und der Flug war in Ordnung, alles zeitgemäß, ganz wunderbar, trotz nicht gerade urlaubstauglichem Wetter hier an der Ostküste. Ich habe sogar schon den ersten Termin hinter mir.«
»Ja, es tut mir doch auch leid, dass sich dein Urlaub auf Hawaii ein wenig verzögert und wir dir hier kein solches Wetter bieten können, aber das gehört nun mal zum Job. Und dein erster Termin? Das ging ja wirklich schnell. Ach ja, ich habe ein wenig die Zeit vergessen, ich musste für unseren Chef noch einige Dinge recherchieren. Und was sagt unser Kollege in New York?«
Das war mal wieder typisch Christina. Drei Themen in einem Atemzug behandeln. Ich musste fast lachen, doch beherrschte ich mich und antwortete in normalem Tonfall: »Nun, ich will es mal so ausdrücken: Er misst den anderen sechs Morden in der Stadt eine größere Bedeutung zu.«
»Weitere sechs Morde? In New York? Wann?«
»Gerade erst. An diesem Wochenende, seit Freitag. Und nicht einer ist einfach aufzuklären.«
»Ach herrje, das wusste ich ja gar nicht!«
»Tja, aber woher wusstest du dann von Cartwright?«
»Vom Chef. Ich war gerade zehn Minuten im Büro und hatte noch nicht einmal meine Sachen im Schrank verstaut, da rief er mich schon. Ich sollte ihm einige Personalakten von bestimmten Agenten besorgen. Und sobald ich das getan hatte, hat er sich dich ausgesucht, und ich musste dich nach New York lotsen. Dazu hat er mir einige Informationen gegeben, und ich musste nur noch einige Details ausarbeiten. Und dann habe ich dich schließlich angerufen.«
»Aha.« Ich erinnerte mich an den morgendlichen Anruf nur widerwillig, ließ mir jedoch nichts anmerken. »Und wie kam er zu der Nachricht?«
»Ich weiß es nicht, und im Moment ist er, glaube ich, nicht in Stimmung, irgendetwas gefragt zu werden.«
»Na, egal. Er wird schon seine Quellen haben.«
»Die hat er, ganz bestimmt. Und was machst du jetzt?«
»Ich werde dem zuständigen Revier und ihrem stellvertretenden Captain einen Besuch abstatten.«
»Oh ja, das könnte neue Erkenntnisse liefern. Viel Glück!«
»Danke! Bye, Christina!«
»Bye, John!«
Ich verwahrte meinen elektronischen Helfer wieder in meiner Tasche. Erst jetzt nahm ich bewusst war, dass es aufgehört hatte zu regnen. Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass es Zeit wurde, wenn ich heute noch irgendetwas erreichen wollte.
*
Ich stand vor dem Dritten Polizeirevier, das mir Christina als das in unserem Fall zuständige angegeben hatte.
An der Ecke Fifth Avenue East / neunundvierzigste Straße war vor noch nicht allzu langer Zeit ein neues, neunstöckiges Haus entstanden. Das Grundstück ist jetzt von Grünflächen eingefasst und zum Nachbargrundstück hin - einem Bürogebäude - sogar mit mehreren kleinen Bäumen bepflanzt. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt der neunzehn Gebäude umfassende Komplex des Rockefeller Center und zieht allein auf Grund seiner Größe jeden der sechzigtausend täglichen Besucher in seinen Bann. An der Straßenseite befindet sich ausreichend Parkraum, sowohl für die Beschäftigten als auch für Besucher, und direkt vor dem etwas zurück gelegenen Gebäude sind zusätzlich noch einmal zwölf Parkplätze für Einsatzwagen reserviert. Eine breite, zehnstufige Treppe führt empor zum Haupteingang, einer verglasten und elektronisch gesteuerten Tür.
Schusssicher, genau wie die Fenster im Erdgeschoss, hatte ich mit Kennerblick schnell festgestellt.
Per elektronischer Chipkarte konnten sich die Beamten und Angestellten Zugang zum Gebäude verschaffen, indem sie dieselbe an ein vor der Tür angebrachtes Lesegerät hielten. Selbstverständlich wurde der Platz zusätzlich mit Videokameras überwacht, der Wachhabende saß - wie ich später in Erfahrung brachte - direkt linker Hand in einem Büro, woran sich der Bereitschaftsraum anschloss, in dem permanent eine Sicherheitsmannschaft Dienst tat.
Auch wenn ich noch nicht lange hier war, hatte ich seit kurzer Zeit das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Doch trotz unauffälliger aber intensiver Suche konnte ich keine Verdächtigen ausmachen. Ich wunderte mich über mich selbst. Wenn ich schon diese 'Gefühle' hatte, konnte ich mich bisher auch darauf verlassen, daher drehte ich eine kleine Runde über den Parkplatz - von einem Grünstreifen zum anderen - und anschließend sogar die Straße mehrere hundert Meter hinauf und auf der Gegenseite wieder zurück. Doch auch jetzt bemerkte ich niemanden, der mich beobachtete. Nur das Gefühl in meiner Magengrube blieb. Ich atmete tief durch, spürte meine Waffe im Schulterhalfter und wurde etwas ruhiger. Ich schritt zurück zum Parkplatz und stellte mich so, dass ich sowohl diesen als auch die Straße in beide Richtungen beobachten konnte.
Doch es tat sich nichts Erwähnenswertes, und ich stieg die Stufen zum Gebäude empor, um mich zu erkundigen, ob der Stellvertreter des Captains noch im Dienst war.
Er war es nicht, wie ich vom Wachhabenden nach Vorzeigen meines Ausweises zu hören bekam. Er musste seine Frau und seinen neugeborenen Sohn aus dem Krankenhaus holen und wäre nur in absoluten Notfällen erreichbar.
Ich dankte für die Auskunft und verließ das Gebäude wieder. Eben überlegte ich, welchen Weg ich jetzt einschlagen wollte, da bog ein Streifenwagen von der Straße ab und hielt auf dem Parkplatz vor dem Gebäude - ganz in meiner Nähe.
Der Beifahrer, ein Sergeant, stieg aus und kam auf mich zu: »Guten Abend, Sir, kann ich Ihnen helfen?«
Er war mindestens so groß wie ich und mochte dreißig Pfund mehr wiegen. Und er war der Senior und Wortführer des Zweierteams. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er Ende des Monats in Pension gehen sollte. Seine über dreißig Dienstjahre als Polizist sah man ihm allerdings erst auf den zweiten Blick an. Offenbar hatte er bereits vor langer Zeit eine interne, mentale Schutzmauer um sich gezogen - so wie es auch Ärzte oder Rettungssanitäter machen, um die Erlebnisse des Arbeitsalltags nicht ständig mit sich herum tragen und vor allem nicht in die Privatsphäre mitnehmen zu müssen.
Er war mir auf Anhieb sympathisch und einer spontanen Eingebung folgend antwortete ich: »Danke, ja ..., ich denke doch. Mein Name ist Carter, John Carter, ich bin Special Agent vom FBI und soll mich der Sache mit dem unbekannten Toten, der gestern wahrscheinlich Opfer eines Raubmordes geworden ist, und den Ihre Kollegen entdeckt haben, annehmen.« Ich zeigte ihm meine Marke.
»Na, das nenne ich mal Zufall! Wir waren es, die ihn entdeckt haben ..., das heißt, wir haben sogar den Täter gesehen und waren der Grund, dass er geflüchtet ist.«
»Ach!« Ich beglückwünschte mich insgeheim zu meinem Entschluss, mit den beiden zu reden. Indem ich den Tonfall zum Schluss dieser Silbe ein wenig hob und gleichzeitig meine Augen etwas mehr öffnete, signalisierte ich meinem Gegenüber, dass er mich neugierig gemacht hatte, und dass ich nicht abgeneigt war, weitere Mitteilungen zu hören.
Und er enttäuschte mich nicht: »Mein Name ist William Parker, ich hatte gestern Nachmittag, zur Zeit der Tat, Dienst und bin mit meinem Kollegen unterwegs gewesen. Streifenroutine.«
Sein Kollege war ein junger Mexikaner, von der Gestalt eher schmal gebaut, wirkte jedoch sehr drahtig und sportlich. Er war inzwischen ebenfalls ausgestiegen, um das Fahrzeug herum gekommen und reichte mir nun die Hand: »Officer Pablo Fernando Sanchez, angenehm.«
Er hatte einen überraschend kräftigen Händedruck und machte einen wenn auch etwas zurückhaltenden, so doch ebenfalls sympathischen Eindruck.
Ich beschloss, mir von den beiden Augenzeugen schon einmal alle Einzelheiten schildern zu lassen. Auch wenn es vielleicht nicht unbedingt der Dienstweg sein mochte, ersparte mir das unter Umständen das lästige Durcharbeiten und Lesen von in nüchterner Sprache abgefassten Berichten. Außerdem wusste ich aus Erfahrung, dass 'oben' nie alles ankam, was 'unten' verarbeitet wurde. Der heutige Besuch bei Assistant Director Anderton war mir noch gut in Erinnerung.
»Das nenne ich ja einen Wink des Schicksals, direkt die beteiligten Beamten zu treffen! Würden Sie mir den Tathergang vielleicht kurz schildern?«
Parker räusperte sich. Ganz offensichtlich kam es nicht jeden Tag vor, dass sich ein FBI-Beamter für seine dienstlichen Belange interessierte.
»Ja ..., also, wir waren ganz normal auf Streife ...«, begann er etwas zögerlich.
»Wie jeden Tag!«, fiel Pablo ein.
»Ja, wie jeden Tag«, bekräftigte sein älterer Partner. »Es war eigentlich ein eher ruhiger Tag - die Zentrale hatte nur einmal wegen eines Verkehrsrowdys um Verstärkung gebeten - den haben wir dann sehr bald zusammen mit den Kollegen erwischt. Ein Autodieb, der auf frischer Tat ertappt worden und geflüchtet war. Aber sonst war den ganzen Tag nicht viel los. Wir konnten sogar eine gemütliche Kaffeepause einlegen.« Ein verlegenes Lachen schloss sich an letztere Bemerkung an.
Ich übte mich in Geduld. Auch ein äußerst erfahrener Polizeibeamter zeigt sich in gewissen Situationen als nur allzu menschlich, und je mehr Details er erwähnte, umso eher konnte ich meinen Fall vielleicht lösen und gen Westen zurück fliegen.
»Wir haben da eine Stelle, die ist zum Kaffee trinken wie geschaffen, und wir haben die ganze Straße ...«
Sämtliche Details der Kaffeepause brauchte ich jedoch nicht wirklich für meine Ermittlungen zu erfahren und unterbrach ihn in höflichem Ton mit einem Lächeln: »Sergeant, ich möchte Ihnen Ihre Kaffeepause nicht verderben, glauben Sie mir!«
»Oh ja!« Mit einem verständnisvollen Nicken überging er ihre Kaffeepause und setzte neu an: »Wir haben einen Mann beobachtet, der die Straße entlang schlenderte, auf uns zu. Er schien zwar ein bestimmtes Ziel zu haben ...«
»Aber er hatte wohl Zeit, vermutlich wollte er langsam zum Bahnhof gehen«, fügte Sanchez hinzu.
Parker warf ihm einen strafenden Blick zu, und sein junger Kollege verstummte. »Ja, vielleicht war er auf dem Weg zum Bahnhof. Penn Station ist ja schließlich nicht weit.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich.
»Okay, und dann trat auf einmal dieser Typ an ihn heran. Den haben wir dann auch beobachtet. Ziemlich genau sogar. Es machte zunächst den Eindruck, dass der Größere, der Mörder, den anderen wie einen Fremden ansprach, dass sie sich also nicht kannten.«
Sanchez nickte.
»Und aus dem Gespräch, oder vielmehr aus Mimik und Gestik, war zu vermuten, dass es sich vielleicht um eine Wegbeschreibung handelte.«
»Okay«, ermunterte ich ihn fortzufahren.
»Ja, und dann gerieten die beiden auf einmal in einen Streit«, erklärte der Sergeant.
»... und der Größere drohte ihm mit der Faust«, fügte der Mexikaner hinzu.
»Richtig. Der Streit wurde immer heftiger und lauter, und schließlich blitzte das Messer in der Hand auf, und bevor wir noch reagieren konnten, hatte der Typ schon zugestochen«, schilderte Parker den Tathergang als ob er ihn noch einmal miterleben würde.
»Dann blickte er sich schnell um, ob er beobachtet worden war«, fügte der Mexikaner hinzu. »Das war bestimmt ein Profi, er hatte dieses gewisse Etwas - keine unnötigen, zeitraubenden Aktionen ...«
»Und dabei hat er uns gesehen!«, fiel der Sergeant ein.
»Ja, und auf einmal sahen wir, wie er sich über den am Boden Liegenden beugte. Das war natürlich eindeutig, und ich habe den Wagen beschleunigt. Aber noch bevor ich die Sirene anstellen konnte, griff er sich noch schnell die Tasche und ist abgehauen. Das war ein Notebook - klarer Fall!«, stellte Pablo im Brustton der Überzeugung fest.
»Ja, das kann sein. Das Format würde wohl übereinstimmen. Allerdings kenne ich mich mit diesem neumodischen Kram nicht so genau aus«, gab Parker zu. »Aber das muss ich in meinem Alter wohl auch nicht mehr!«
»Nein Sergeant, bestimmt nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein Notebook war, die Tasche ließ in der Tat darauf schließen«, erklärte der junge Officer.
»Aber genau gesehen haben Sie es nicht?«, hakte ich nach.
»Nein. Nur die Tasche«, erwiderte Parker für beide.
»Aber da war ein Notebook drin, da bin ich mir hundertprozentig sicher!«, betonte Pablo noch einmal.
»Vielen Dank, meine Herren, das war eine erstklassige Zeugenaussage zum Tathergang«, lobte ich die beiden. »Und wenn es sich tatsächlich um ein Notebook handeln sollte, werden wir das herausbekommen. Haben Sie sonst noch etwas beobachtet? Vielleicht in der Umgebung?«
»Nein, sonst nichts mehr.« Er sah mich wieder wie entschuldigend an. »Nun ja, wir sind dann selbstverständlich zu dem Opfer hingegangen und haben Erste Hilfe leisten wollen. Aber da kam leider jede Hilfe zu spät, das sah man sofort. Der Typ hatte ihm das Messer in die Brust gerammt, erst von oben, dann zweimal von unten, wahrscheinlich mitten ins Herz! Ich habe schon ein paar Tote gesehen. Echt brutal! Und das vielleicht wegen eines Computers!« Parker seufzte.
Offenbar empfand er die Tat als persönliche Beleidigung für sich selbst und sein Revier, in dem in der Regel recht wenig kriminelle Energie registriert wurde.
Eine kurze Pause entstand, in der jeder seinen Gedanken nachhing. Ob in der Tasche wirklich ein Notebook war? Eigentlich müsste doch eine Überwachungskamera den Typen erfasst haben. Wir müssten nur bei der NSA anfragen und ...
»Wie kommt es eigentlich, dass das FBI einen Beamten auf diesen Fall ansetzt? Ist der Tote ein besonderer Mann gewesen?«, unterbrach Sanchez meinen Gedankengang.
»Ich bin Angehöriger der Abteilung V beim FBI, zu deren Aufgaben auch der Antiterrorkampf zählt.«
Der Sergeant musterte mich beinahe ehrfürchtig. Dann wandte er sich seinem Kollegen zu: »Pablo, du hast heute die Ehre, einen zur Elite der Special Agents des FBI gehörenden Agenten vor dir zu sehen. Das ist wahrlich nicht jedem Polizeibeamten vergönnt.«
Der junge Officer betrachtete mich fast staunend.
Sein Sergeant jedoch war nicht wiederzuerkennen. Sein Blick hatte noch immer einen ehrfürchtigen Charakter als er seinem Kollegen erklärte: »Diese Abteilung ist erst vor einigen Jahren gegründet worden - auf Initiative des Kongresses, dem die Geheimdienste, die man teilweise auch nicht mehr unter Kontrolle zu haben schien, nicht reichten, um das Land vor so viel krimineller Energie zu schützen. Das Justizministerium hat einen Sonderetat erhalten, und der war auch dringend notwendig. Allein die zusätzliche Ausbildung der Agenten dauert ein komplettes Jahr und kostet drei Millionen Dollar pro Person! Die Ausbilder sind nicht nur ehemalige Fallschirmjäger, Kampfschwimmer, Angehörige von Sondereinsatzkommandos und anderen Spezialeinheiten, sondern auch Wissenschaftler verschiedener Gebiete. Sie alle haben viel Zeit und Mühe darauf verwendet, diese Agenten zu den besten Beamten zu machen, die wir haben. Die Ausbildung ist härter als alles, was du dir vorstellen kannst. Wenn du auf dem Zahnfleisch aus der Sporthalle kriechst, dann fangen die erst an zu trainieren! Und danach lernen sie Politik, Geographie, Medizin, Psychologie, Sprachen oder wirtschaftliche Zusammenhänge. Und das Handwerkszeug eines jeden Polizisten beherrschen sie im Schlaf. Sie alle sind Meister der Selbstverteidigung, sowohl waffenlos als auch mit Waffen. Fehlschüsse mit jeder Waffe der Welt überlassen sie allerdings anderen. So unbedeutenden Leuten wie uns zum Beispiel. Dass jeder nicht nur Auto oder Motorrad fahren, also zu Lande unterwegs sein kann, sondern auch zu Wasser und in der Luft, versteht sich von selbst. Sie sind nebenbei auch als Piloten oder Kapitäne zu gebrauchen, da sie die erforderlichen Lizenzen und Patente erworben haben. Auch das gehörte zur Ausbildung. Das einzige, was diese Agenten nicht fahren oder fliegen können, dürfte ein Raumschiff sein. Die Abteilung hat seit ihrem Bestehen eine Aufklärungsquote von einhundert Prozent!«
War im Gesicht von Sanchez vorher ein Staunen zu erkennen, so drückte es jetzt Fassungslosigkeit und ebenfalls zunehmend Ehrfurcht aus.
»Langsam, langsam, Sergeant. Sie übertreiben da aber ganz gewaltig«, versuchte ich die reißerisch aufgemachte Darstellung etwas zu neutralisieren. - Umsonst!
»Das glaube ich nicht, Mister Carter ..., nein, ganz bestimmt nicht!« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe von Ihrer Truppe gehört, von ehemaligen Kollegen, die bei den Marines, bei den Rangers und einigen anderen Vereinen gedient haben. Sie waren unter strengster Geheimhaltung in Fallschirmjägerverbänden und in Kampfschwimmereinheiten, dort wurde ihre Ausbildung in Spezialkursen optimiert. Und immer wenn die Sprache auf die Abteilung V des FBI kam, legten sie eine fast heilige Bewunderung an den Tag. Sie haben sich in den paar Jahren einen Ruf erworben, der seinesgleichen sucht!«
»Was zeichnet diese Leute denn sonst noch aus, Sergeant?« Der junge Officer hatte sich von seinem Staunen gelöst.
»Unterm Strich wahrscheinlich die ganzheitliche Ausbildung. Die Ausdauer und den eisernen Willen eines Marathonläufers, die Variabilität eines Zehnkämpfers, die Körperbeherrschung eines Hochseilartisten und andere Eigenschaften in einer Person vereint. Aber es sind nicht nur diese Eigenschaften, die einen jeden dieser Special Agents auszeichnen, sondern auch andere Tugenden. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass du dich mit unserem Gast auch in deiner Muttersprache unterhalten könntest.«
»Ach ja?« Pablo richtete seinen Blick von seinem Sergeant auf mich. »Habla usted español? - Sprechen Sie Spanisch?«
»Si claro, porque mi madre es mexicano! - Ja natürlich, denn meine Mutter ist Mexikanerin!«
Parker stand erwartungsvoll da und nickte nur. »Was sagt man dazu? So viel Spanisch verstehe ich gerade noch, dass Sie also im wahrsten Sinne des Wortes muttersprachlich bedingt Spanisch sprechen. Aber frag ihn in einer anderen Sprache, und er wird dir ebenso antworten!« Er blickte seinen jungen Kollegen wieder an.
»Ich kann sonst keine Sprache, Sergeant.«
»Wie nicht anders zu erwarten war«, brummte Parker und sah mich an. »Aber Sie sprechen sicherlich noch andere Sprachen, habe ich Recht?«
»Oui«, sagte ich und erlaubte mir ein leichtes Lächeln.
Befriedigt nickte der Sergeant vor sich hin und warf seinem Partner einen Ich-hab-es-ja-gewusst-Blick zu. »Siehst du, ich habe es dir ja gesagt! Die Jungs haben eine All-Inclusive-Ausbildung, sie sind einfach die Besten!«
»Aber Sergeant, jetzt übertreiben Sie schon wieder. Erzählen Sie mir lieber, was Sie gestern Abend noch beobachtet und vielleicht herausgefunden haben!«, forderte ich ihn auf und lenkte die Aufmerksamkeit des aufgewühlten Polizeibeamten zurück auf mein eigentliches Anliegen.
»Jawohl, Mister Carter! Aber ich fürchte, dass wir Ihnen nicht sehr viel mehr berichten können.«
»Höchstens die Zettel ...«, warf Pablo ein.
»Ja, richtig!«, stieß Parker hervor. »Das hatte ich ganz vergessen!«
»Zettel?«, hakte ich nach.
»Ja, wir haben den Toten dann kurz durchsucht ..., nach einem Anhaltspunkt ..., wer er ist und so weiter, während wir auf die Kollegen gewartet haben. Und dabei haben wir dann die Zettel gefunden, die drei Zettel in seiner Brieftasche! Das waren die einzigen Sachen, die nicht ganz alltäglich waren - und die sogar einem normalen Polizeibeamten aufgefallen sind!« Parker lachte.
»Danke sehr, da haben Sie mich jetzt aber neugierig gemacht. Wo sind die Zettel denn jetzt?«
»Der zuständige Captain ..., Captain Williamson, hat sie, zusammen mit den anderen Habseligkeiten, die sich in den Taschen des Opfers befunden haben. Genauer gesagt, liegen sie ordentlich aufbereitet auf einem Tisch in einem Raum neben seinem Büro.«
Ich trat einige Schritte zurück, blickte empor und betrachtete das Polizeigebäude. »Und wo und wann finde ich Ihren Captain Williamson und sein Büro?«
»Oh, morgen erst wieder«, meinte Sanchez und lächelte. »Der Sohn vom Sergeant hat sein freies Wochenende. Aber morgen früh ab acht Uhr ist er wieder in seinem Büro im zweiten Stock anzutreffen.«
»Sein Sohn?« Ich war leicht irritiert.
Parker grinste. »Captain Williamson ist etliche Jahre jünger als ich, und mein Vorname ist William. Da hatten die Kollegen nichts besseres zu tun als mir per Wortspielerei einen Sohn anzuhängen. Banalitäten des Alltags. Beim FBI gibt es so etwas sicherlich nicht, oder?«
Jetzt verstand ich. »Oh doch, ein ganz so lustloser Haufen, wie wir oft dargestellt werden, sind wir denn doch nicht!«
»Richtig menschlich.« Sanchez grinste. »Vielleicht mache ich ja noch Karriere und komme auch zu Ihrem Verein.«
»Ach was, du grüner Junge und zum FBI!«, fuhr ihm sein Sergeant über den Mund. »Das kannst du meiner Schwiegermutter erzählen!«
Die beiden schienen sich gut zu kennen und auch trotz oder gerade wegen des Altersunterschiedes wunderbar zu harmonieren. Ich erkannte jedoch, dass ich jetzt nicht mehr tun konnte. Immerhin hatte es das Schicksal schon gut mit mir gemeint, dass mir hier die beiden Beamten vom Tatort in die Arme gelaufen waren.
Ich verabschiedete mich von den beiden Zeugen. Sie gingen in das Gebäude, und ich schlug den Weg zu meinem Hotel ein, denn es war inzwischen sehr spät geworden. Für heute hatte ich wahrlich genug erfahren.
*
Christina hatte mir ein Zimmer im Waldorf Astoria, dreihunderteins Park Avenue, gebucht. Die Palmen im Eingangsbereich ließen wenigstens ein bisschen Urlaubs- und Hawaiistimmung in mir aufkommen, und der Luxus des Hotels entschädigte mich ebenfalls ein wenig. Meine Kreditkarte und mein Ausweis verschafften mir Zugang zur Suite fünfhundertzwölf im fünften Stock, einem gemütlichen und sicherlich nicht billigen Quartier, unweit des Polizeireviers. Dort wartete auch bereits mein Gepäck auf mich, ein Service unseres hiesigen FBI-Büros. Organisation ist das halbe Leben!
Auch der Central Park, an den ich manch gute Erinnerung hatte, war nicht weit, und ich freute mich bereits auf eine kleine Jogging-Runde, die ich dort gleich zu absolvieren gedachte. In der Tasche, die ich gepackt hatte, waren Trainingsklamotten und Wäsche zum Wechseln. Ich zog mich um.
Trotz fortgeschrittener Stunde waren noch so viele Menschen unterwegs, dass man meinen konnte, es wäre erst Nachmittag. Ja, diese Metropole ist in der Tat die Stadt, die niemals schläft. Sicherlich kann man das auch von anderen Städten behaupten, doch die größte Stadt im wirtschaftsstärksten Land der Welt erbringt in vielerlei Hinsicht Superlative.
Ich war noch keine zehn Minuten unterwegs, da hatte ich wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Nach weiteren fünf Minuten war aus dem Verdacht Gewissheit geworden. Ungefähr hundert Meter hinter mir mussten sich mindestens zwei Personen befinden, die mich verfolgten.
Ich wartete eine günstige Gelegenheit ab, um ein paar Stretching-Übungen einzulegen und sah mich unauffällig um.
Nichts. Keine verdächtige Person, geschweige denn zwei oder drei. Sollte ich mich doch getäuscht haben?
Ich lief weiter, und nach einer guten halben Stunde stand ich wieder vor der grauen Fassade meines Hotels. Ich klopfte sorgfältig meine Schuhe ab und betrachtete meine Umgebung - wieder unauffällig aber desto intensiver.
Und wieder bemerkte ich nichts Verdächtiges.
Ich tat mein 'Gefühl' als Hirngespinst ab und schob es auf meinen übermüdeten Zustand, ging auf mein Zimmer und verriegelte trotz allem sorgfältig die Tür und zog die Fenstervorhänge zu. Nach ein paar Stretching- und Gymnastikübungen genoss ich eine erfrischende Dusche und versenkte mich anschließend in eine kleine Meditation. Früher hatte ich meditieren immer als unmännlich angesehen - und den Frauen überlassen. Doch als ich eines Tages mit einer Freundin an einem Yogakurs teilnahm, erkannte ich wie wohltuend und erholsam so etwas sein kann. Und auch wenn die Freundin irgendwann aus meinem Leben verschwand - und ich aus ihrem -, die Meditation blieb, und sie verhalf mir zu guten Resultaten bei meiner Arbeit - und von Zeit zu Zeit dabei, meine Energiespeicher wieder aufzufüllen.
Zum Abschluss führte ich mir die Ereignisse des Tages noch einmal zu Gemüte und legte mir einen Plan für den nächsten Tag zurecht, bevor ich schlafen ging.