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Spekulanten unter sich

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Zwei Anrufe später war zumindest bezüglich des Termins für den gemütlichen Abend unter Freunden alles geregelt. Fast alles. Von nun an bereiteten Marga die vielen Dinge, die es deshalb für sie vorzubereiten galt größeres Kopfzerbrechen: Rezepte wälzen, Zutaten und Getränke besorgen und natürlich in allererster Linie die Frage der passenden Dekoration. Ohne passende Deko keine Feier. Das ist bei der Marga immer so. Es ist nicht so, dass sie nicht gerne und gut kochen würde. Dass es schmeckt ist bei ihr selbstverständlich, aber den richtigen Pfiff, das Tüpfelchen auf dem I, den macht das Ambiente, das sie bisher immer perfekt zum Anlass abzustimmen verstand, auch wenn zu Beginn der Überlegungen stets eine unverhältnismäßige Hektik stand.

Immerhin waren es laut Kalender noch weitere zwei Wochen bis zum Aschermittwoch hin, also Faschingszeit, was zumindest die Auswahl des Themas enorm erleichterte. Luftschlangen auf dem Tisch, Servietten mit lustigen Motiven, sich um sich selbst drehende Spiralen über den Heizkörpern, die mittels Aufwind in wirbelnde Bewegung gerieten, das war ohnehin klar und zum größten Teil bereits vorhanden. Peter hatte dies zeitgleich mit dem Abbau der Weihnachtsdekoration anbringen müssen. Die dadurch unvermeidlich entstandenen häuslichen Spannungen hatten sich glücklicherweise mittlerweile gelegt. Immerhin musste Peter stundenlang immer wieder die Leiter hinauf und wieder herunter steigen. Seine Knie schmerzten und er sehnte ein Ende herbei, was jedoch in diametralem Gegensatz zu den ausufernden Wünschen seiner Frau stand. Jeder freie Quadratzentimeter des Wohnbereichs musste in ein Ausstellungsgelände für dekorative Lifestyleartikel verwandelt werden. Speziell zur Weihnachtszeit artete dies jedes Mal in einen erbitterten Wettbewerb um die Krone für prachtvollste, glitzerndste Dekoration aus, den seine Marga jeweils auf Platz zwei beendete, unmittelbar hinter den Käthe-Wohlfahrt-Läden. Doch derlei Sticheleien konnten die Marga nicht anfechten. Auch im aktuellen Fall war Marga wieder mit Volldampf bei der Sache.

Vielleicht könnte man, wenn schon keinen ausgewachsenen Hausball, dann doch wenigstens einen Kappenabend veranstalten. Dafür brauchte es dann nicht gleich ein aufwändiges Kostüm, auch ein lustiges Hütchen, eine Pappnase und etwas Schminke wären völlig ausreichend. Peter könnte ja die Glatze mit dem roten Haarkranz aufsetzen, die er sowieso immer im letzten Moment aus dem Fundus auf dem Dachboden hervor zog und dazu den Zylinder aus schwarzem Filzstoff. Das war damit bereits beschlossene Sache und abgehakt. Solche Entscheidungen konnte man ihm beim besten Willen nicht selbst überlassen. Er selbst würde natürlich die notwendigen Überlegungen wieder so lange aufschieben, bis es für etwas Besonderes ohnehin zu spät sein würde. Und dann würde es sowieso auf das erstbeste Teil hinauslaufen, das ihm bei seiner verzweifelten Suche auf dem Dachboden in die Finger fallen würde. Also die Glatze. Warum bis zum letzten Moment warten? Was erledigt ist, ist erledigt.

Für ihr eigenes Outfit würde sie sich mit der Maria kurzschließen und beraten was man machen könnte. Sie war immerhin die Gastgeberin und zudem eine Dame, da kam natürlich nicht irgend etwas x-beliebiges in Betracht. Es müsste schon etwas sein, das weder die Frisur in Mitleidenschaft zöge, noch beim Hantieren in der Küche hinderlich wäre. Sie hatte da doch noch so ein winziges, putziges Hütchen. Das konnte man mittels einer Klammer seitlich am Haar befestigen. Vielleicht noch eine bunte Fliege um den Hals. Das sollte reichen. Das Make-up wäre dann eine Aufgabe für die Maria, die als gelernte Kosmetikerin schließlich Profi ist und die sicher mit etwas Schminke in der Lage wäre etwas Originelles zu zaubern.

Ein weiterer Anruf bei den beiden Freundinnen und auch die wichtige Frage des Mottos konnte mit einem fetten Haken versehen werden. Auch die Gisela und die Maria fanden die Idee gut. Bassd scho. Sie freute sich schon sehr.

~

Als die Freunde am Samstagabend schließlich eintrafen, war tatsächlich alles so vorbereitet, genau wie sie es sich vorgestellt hatte. Auch die Ankömmlinge waren mehr oder weniger originell verkleidet. Die Damen mehr, die Herren weniger, was die drei Banausen aber nicht im Geringsten störte. Die Gisela trug ein buntes Kopftuch, sowie Ohrringe aus Messing von der Größe eines Kanaldeckels, wie ihr Mann despektierlich anmerkte und in der Hand hielt sie eine Tabakspfeife mit einem langen, elegant geschwungenem Mundstück. Zusammen mit der dunklen Schminke und den auffälligen Ringen an ihren kräftigen Fingern konnte man problemlos die Zigeunerin in ihr erkennen. Maria hatte sich eine lange, mit silbernen Fäden durchsetzte Perücke aufgesetzt, die wie eine Mähne herabhing und aus ihrer Stirn ragte ein langes, kerzengerades Horn heraus. Alles war in meisterlicher Manier ausgeführt, wie es von einer Kosmetikerin ihrer Klasse nicht anders zu erwarten war. Sie verkörperte unverkennbar ein Einhorn. Diese Fabeltiere waren dieses Jahr absolut in, nicht nur bei kleinen Mädchen. Simon und Lothar hatten, wie nicht anders zu erwarten war, keine Idee und als bedauernswerte, stressgeplagte Handwerksmeister angeblich auch keine Zeit sich über eine passende Maskerade Gedanken zu machen. Sie hatten Wichtigeres zu tun. Am Ende kam Simon, mit dem Rücken zur Wand stehend, auf eine geniale Lösung, auf die er dann auch mächtig stolz war. Das konnte er auch, zumindest aus seiner Sicht. Sie hatten ganz einfach ihre Berufskleidung getauscht. Lothar kam als Metzger, mit einem viel zu großen weißen Käppi auf dem Kopf, das Simon bei der Arbeit trug um das Hineinfallen von Haaren oder Schuppen in das Brät für die 1A bräunleinschen Bratwürste zu verhindern. Zudem hatte er ein T-Shirt mit aufgedrucktem Schweinekopf angezogen, das Simon einst anlässlich der Röthenbacher 900-Jahrfeier als optischen Blickfang für seine Grillstation anfertigen ließ. Nicht dass es notwendig gewesen wäre. Seine mehrfach preisgekrönten Bratwürste sprachen natürlich für sich. Da die beiden Herren von sehr unterschiedlichem Körperbau waren, schlackerte das Leibchen an Lothars zierlichem Körper wie an einem dramatisch unterernährten Kind, das sich heimlich eines von Vaters Hemden übergezogen hatte. Das Mützchen gar rutschte ihm ständig auf die Ohren herab. Umgekehrt funktionierte diese geniale Tauschidee natürlich nicht so gut, denn Simon hätte einen von Lothars Friseurkitteln sicher mit dem ersten kräftigen Atemzug komplett ruiniert. Immerhin trug er einen aufgeklebten schwungvollen Schnäuzer zur Schau, der dem von Horst Lichter in nichts nachstand. Um den Hals hatte er eine Schere und einen Kamm an einer Schnur hängen. Da schließlich erst im letzten Moment auf diese Idee gekommen war, musste er auch hier improvisieren und so hatte er kurz entschlossen die erstbeste Schnur genommen, die ihm in den Weg kam und das war halt nun mal die, mit der er sonst seine Räucherwürste abzubinden pflegte, bevor er sie im Laden mittels Fleischerhaken an die Decke hängte. Vermutlich war ihm selbst aufgefallen, dass er daher deutlich mehr nach Räucherkammer als nach Friseursalon roch. Also hatte er versucht, dieses Manko mit einer reichlichen Ladung Tropical Dream auszugleichen, da dieses Duftwässerchen in seiner Vorstellung einen perfekten Geruch nach Friseursalon erzeugen würde. So war es auch kein Wunder, dass Peter den Freund mit deutlichen Worten begrüßte.

„Servus Simon. Allmächd, du stinksd ja wahrhafdich wäi in Booder sei Hund.“

Diese Bemerkung ist nicht despektierlich gemeint, jedenfalls nicht so sehr, wie es der Wortlaut vermuten lassen könnte. Es handelt sich hierbei ein geflügeltes Wort aus der fränkischen Umgangssprache und bedeutet im Allgemeinen nichts anderes, als dass bei Friseuren sogar der Hund fein riecht und im vorliegenden Fall, dass Simon etwas zu viel des Guten bei der Verwendung eines Duftwässerchens getan hatte. Er musste damit ja nicht sparen, denn das Fläschchen stand immerhin seit Weihnachten vor drei Jahren ungeöffnet in seinem Alibertschränkchen.

Simon war ob Peters Lästerei keineswegs beleidigt, sondern stellte nur lakonisch fest.

„Ich geh ja schließlich als Dorfbooder, falls ers nunni gmergd hobd. Dou konni ja schlechd riechn wäi a Ring Stadtworschd.“

Die Stimmung schien also schon zu Beginn prächtig zu sein und machte Hoffnung auf einen launigen Abend im Kreis von Freunden. Das Essen verlief dann auch in der harmonischen und in freundschaftlichen Atmosphäre, die die Beziehung der drei Familien untereinander schon seit jeher auszeichnete. Als die Herren mit ihrem dritten Veldensteiner und dem ersten Schnaps und die Damen mit dem Abwaschen und Aufräumen in der Küche beschäftigt waren, war die Zeit gekommen, sich über die neuesten Nachrichten zu unterhalten.

„Hobd ers scho ghärd?“, meinte Lothar. „Der Radio hodds heid nachmiddooch brachd, dass etz in Nordrhein-Wesdfahln aa scho an Haufn Infizierde gibd. Wahrscheinli homm ser si alle auf an Kabbmabnd angschdeggd. Dess wird nu woss gebn, wenn dee närrischn Rheinländer am Rosnmondooch erschd richdi loslegn. Bei uns in Deitschland kommer beschdimmd aa bald mid grössere Brobleme rechner. Mid derer Globalisierung bleibd dess gor nedd aus“, orakelte der Aushilfsmetzger und wackelte dazu mit dem ausgestreckten Finger, so als wollte er seinem Gegenüber die Schuld dafür zuschieben, was er natürlich nicht beabsichtigte. Seine aufgeregte Gestik war lediglich Ausdruck seiner ehrlichen Befürchtungen.

„Naja“, räumte Peter ein, „mir wolldn ja im Abrill nach Münchn, erschd amal um unser neis Enggerla zu besuchn und dann wolld mer eigndlich weider nach Idalien, ins Biemonde, ins Wein- und Drüfflbaradies. Abber dess wird wohl kaum woss wern, wenns schdimmd, woss die Exberdn brognosdiziern. Dee dreedn ja neierdings alle Dooch im Fernseeng im Fümbferback auf. Demnach kummd dess Virus etz aa zu uns und werd si in kürzesder Zeid soweid ausbreidn, dass äs öffndliche Leben mehr odder wenicher stillgleechd wern muss. In Oberidalien überleegns ja grod scho a allgemeine Ausgangsschberre. Abber sei’s wäis mooch. Ich braucherd ja nedd unbedingd an Urlaub, abber mei glanne Bianca mächerdi scho amol besuchn.“

„So isses“, bestätigte Simon und fügte auch gleich hinzu, was er damit genau meinte. „Urlaub brauchd ner bloß der Mensch, der wo woss ärberd. Du bisd ja scho lang Rendner, dou brauchd mer doch ka Erholung mehr. Von woss denn? Nedd amal als Dedeggdief brauchd di im Momend anner. Etz bisd braggdisch scho äs zweide Mal in Rende gschiggd worn. Äs erschde Mal vo deiner Firma und etz als Dorfgriminaler. Du hosd doch etz scho fasd zwaa Jahr kann Einsatz mehr ghabd. Sinn die Verbrecher alle ausgschdorbn? Odder hosd ka Lusd mehr?“

„Schäi wärs, abber äs Gsindl sterbd ned aus, wäi mer sachd“, meinte Peter lachend, „aber ich misch mich ja nedd in Alles ei. Dou derfür hommer ja die Bollizei und in mein letzdn Fall hodd si der Schindler ja nedd amal so bläid ohgschdelld. Jednfalls war ich heilfroh, wäi er mid seiner gesamdn Kavallerie zu meiner Befreiung angrüggd is. Ich bin ehrlich gsachd froh, wenni nedd immer hindern Rüggn von der Marga ermiddln muss. Dee dauerndn Heimlichkeidn sinn unsern häuslichn Gliema aa nedd grad zudräglich.“

Und um von diesem brisanten Thema abzulenken, wechselte er schlagartig die Richtung.

„Abber woss anders, hobbd er von derer Sabine woss midgrichd?“

„Heimlichkeidn? Sabine? Woss soll nern dess bedeudn?“, fragte Lothar verwirrt. „Woss hosdn du mit andere Weibsbilder zu schaffn?“

„Loodah“, rief Peter kopfschüttelnd, „doch ka andere Frau! Sabine iss doch der Name von dem Sturm, der vor drei Dooch gedoobd hodd. Scho vergessn? Ich wolld bloß wissn, ob ihr an Schadn dervo dragn habd, bei dem Unwedder.“

Beide verneinten unisono. Aber über eine Verwüstung im Wald in Richtung Heinerslohe wusste Lothar zu berichten. Er bekam die Neuigkeiten in seiner Eigenschaft als Dorffriseur immer als Erster mit, als Erster unter den Männern versteht sich. Mit Gisela, der einzigen und zugleich besten Fleischereifachverkäuferin von Röthenbach konnte er diesbezüglich aber natürlich nicht mithalten. Wenn sie von einem Ereignis nichts gehört hatte, dann konnte man getrost davon ausgehen, dass es in der Realität schlicht und ergreifend auch nicht existierte.

Besagte Gisela konnte man gegenwärtig nicht dazu konsultieren. Sie war mit den anderen Damen noch in der Küche beschäftigt, inzwischen wahrscheinlich bereits beim Espresso aus Margas neuester Errungenschaft, einem chromglänzenden Kaffeevollautomaten mit allen Schikanen, also war es an Lothar die Verwüstungen zu beschreiben.

„In Richdung Heinersloh naus, dou hodds a ganze Schneisn in Wald neigschloong. Die Bäum liegn kreizaquer überanander. Deilweis hängers abber aa bloß nu an an seidener Fadn in der Lufd, weils von an anderen Baum am Umfalln ghinderd wern. Noch. Kein Mensch konn soong, wann dee dann endgüldich umfalln. Dou konn a einfacher Windstoß scho langer. Drum soll mer zur Zeid aa ned in Wald naus, wall mehr odder wenicher Lebnsgefahr bestehd. Die Waldbesitzer könner im Momend aa nu nix undernehmer hobbi ghärd, weil die Entfernung von dem Windbruch aa für sie selber zu gfährlich wär. Etz wardns, bis a sogenannder Harvester frei wird, der die diggsdn Baumstämm einfach mid an hydraulischn Greifer fesdhäld und der wo‘s undn dann aa glei absäächd und danach zielsicher und ohne Wackler ableechd wäi a Mikadostäbler. Abber dess konn nu dauern, weil der ganze Landgreis auf des Monsdergeräd warded.“

„Ja“, stimmte ihm Simon bei, „dess hobbi aa scho glesn. In der Zeidung war a längerer Ardiggl drin. Manche Bäum hodds ja glei midzsamds der Wurzl rausgrissn. Dou homm mir im Dorf direggd ja nu Glügg ghabd.“

„Dou konnsd Rechd haben“, fuhr Lothar nun fort, „Und dou wo‘s so steil nunder gäihd, wissd er scho, an der Schdell wo damals der Sommer Helfried den junger Kerl beobachded hodd, wäi er midsamds derer Gelddaschn und dee erbressdn hunderddausnd Euro abghaud iss. Dou derf mer etz überhaubd nimmer hie, weil dou scho a boar mordsdrummer Felsbroggn nundergschdürzd sinn und die Gefahr besteht, dass nu mehrer bassiern konn. Wissder scho, dou, wo undn die Bank an der Bushaldestelle stäihd. Du konnsd di doch beschdimmd nu an dee Schdell erinnern, Beder, an den Fall mid dem verschwundner Zahnarzdsohn und seiner syrischen Freundin.“

Die Freunde nickten zustimmend. Die Örtlichkeit und die damaligen Vorkommnisse hafteten immer noch deutlich in Peters Gedächtnis. Dieser Fall hatte ihm eine Menge Kopfzerbrechen bereitet, bevor er schließlich die beiden gesuchten Ausreißer finden und sowohl den Erpresser, als auch einen Mörder zur Strecke bringen konnte. Die beschriebenen Verwüstungen bedeuteten für ihn aktuell aber kaum eine Gefahr, denn in diese Gegend kam er so gut wie nie.

Sie erzählten sich noch die eine oder andere Neuigkeit, von der sie glaubten, dass sie auch für die beiden anderen von Interesse sein könnten. Bald stießen auch die Damen wieder zu ihnen und man zog vom abgeräumten Esstisch um auf die großzügige Couch der Kleinleins. Es wurde wieder einmal einer der beliebten Abende im Kreis der besten Freunde oder der BKS-Familie, wie man mittlerweile sagen musste.

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