Читать книгу Mords-Brocken - Günther Dümler - Страница 9
Eine schwere Geburt
ОглавлениеEinen Unfall hatte es gegeben und erneut hatte es die Heidi, die Tochter der Kleinleins betroffen. Doch im Gegensatz zu ihrem Sturz vor zwei Jahren handelte es sich diesmal nicht um ein gebrochenes Schlüsselbein. Sie trug diesmal überhaupt keinen Schaden davon, so wie damals, als sie beim Aufhängen der frisch gewaschenen Vorhänge von der Leiter fiel und in der Folge der 12-jährige Basti notgedrungen einige Wochen bei den Kleinleins verbrachte. Schuld war seinerzeit Bastis bester Freund, ein ausgewachsener Mischlingsrüde namens Jennerwein, ein schlimmer Vorwurf, den der Basti natürlich vehement bestritt, wie es Freunde eben für einander tun. In Ausübung seiner hoheitlichen Aufgaben innerhalb seines heimisches Reviers und in der Nachfolge seines Namenspatrons, des gleichnamigen bayerischen Volkshelden und Wilderers, hatte er die impertinente Nachbarskatze ohne Rücksicht auf etwaige im Weg befindliche Hindernisse verfolgt und im Verlauf dieser Hetzjagd unglücklicherweise die Haushaltsleiter mitsamt der Hausherrin zu Fall gebracht.
Nichts dergleichen war diesmal geschehen. Niemand hatte sich verletzt. Genau genommen handelte es sich gar nicht um einen Unfall im eigentlichen Sinn, sondern schon eher um ein ungeplantes Ereignis, eines von der Sorte, das man allenfalls lachend und augenzwinkernd zur Kenntnis nahm. Ein Unfall war es nur sprichwörtlich, nämlich insofern, dass die Heidi überraschend und völlig ungeplant noch einmal Mutter, der Basti stolzer Bruder eines kleinen Schwesterchens und die Kleinleins, die Marga und ihr Peter, zu beider großen Freude erneut Großeltern wurden.
Es war alles gut gegangen, Mutter und Kind, eine kleine Bianca, waren gesund und wohlauf. Alles wäre so schön gewesen, wenn sich das alles in einem anderen, einem normalen Jahr ereignet hätte und nicht ausgerechnet im Februar des Seuchenjahrs 2020, von dem man getrost annehmen durfte, dass es in die Annalen als das Coronajahr eingehen würde. Noch gab es in Bayern keine Ausgangsbeschränkungen, aber die Meldungen aus China, Italien und mittlerweile immer öfter auch aus dem Nachbarland Österreich, ließen nicht nur die Kleinleins das Schlimmste befürchten.
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Es ist der 13. Februar und noch früh am Abend. Marga und Peter sitzen beim Essen in der Küche und lauschen den neuesten Nachrichten, die mittlerweile nahezu stündlich aus dem Fernseher zu ihnen vordringen, von allen Sendern. Normalerweise ist den Kleinleins ihre Ruhe während der Mahlzeiten heilig und der „Abberaad“, wie altmodische Franken die Flimmerkiste immer noch nennen, daher konsequent ausgeschaltet. Im Moment aber überschlagen sich die Ereignisse derart, dass man eine Ausnahme macht. Das letzte Mal, dass die Kleinleins so viel Zeit vor dem Fernseher verbracht hatten, ist schon ewig her. Damals waren die ersten Menschen auf dem Mond gelandet und die Röthenbacher hatten, wie der ganze Rest der Welt, gebannt zugesehen. Diesmal handelte es sich nicht um eine technisch-wissenschaftliche Meisterleistung, sondern eher um ein weltweites Problem, vor dem die moderne Wissenschaft bisher noch kapitulieren musste. Nach Ansicht aller Experten konnte es noch mehr als ein Jahr dauern, bis man auf einen Impfstoff oder wenigstens auf eine wirksame Medizin zur Eindämmung der Krankheit hoffen durfte.
Der Moderator kommentiert eben die neuesten Meldungen von der Coronafront. Immer häufiger bestimmen erschreckende Berichte von der neuen Seuche die Berichte, von der Pandemie, die vom chinesischen Wuhan aus ihren Anfang nahm und die sich anschickte die ganze Welt in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Marga schüttelt immer wieder ungläubig den Kopf und seufzt schließlich.
„Allmächd, etz homm dee scho widder 100 Doode mehr. Woss ner dess für a Grangheid iss, sowoss hommer ja doch nu nie ghabd. Hoffentlich kummd des nedd aa nu zu uns rüber.“
Peter stimmt ihr ebenso betroffen dreinschauend zu.
„Dei Word in Goddes Ohr. Vor über hundert Jahr, dou hodds schon amal die sogenannde spanische Gribbe gebn, dess muss ähnlich schlimm gwesen sei. Vielleichd sogar noch schlimmer, mer wass ja nunni, wie’s dessmal nausgehd. Abber damals war die Medizin ja aa nu nedd so weid wäi etz. Heidzudooch hädd mer mid sowoss doch nimmer grechnd. Mer gehd ja immer dervo aus, dass a Doggder, und wenns aa an Spezialisdn braucherd, alles widder richdn konn, abber dess woss mer dou sichd, dess iss scho hard. Dou maani, wern mer nu Allerhand derlebn. Wemmer denkd, wenn irgndwo a Unglügg bassierd iss, mid, sagn mer amal hundert Obfer, dou hodds doch daachelang Sondersendunger im Fernseeng gebn, alle warn zudiefsd bedroffn. Etz gibds scho über hundert Doode pro Dooch. Wo soll dess bloß nu hieführn? Einfach unglaublich iss dess.“
Und nach einem mitfühlenden Seufzer fügte er hinzu:
„Dess hädd uns grad nu gfehld, dass dess bei uns aa so schlimm wird. Immerhin wolln mer doch nach Osdern zu der Heidi fahrn und von dord aus weider nach Idalien. Abber wennsd siggsd, woss dou in China lous iss, dou derf ja scho gar ka Mensch mehr aff die Strass.“
Marga, die sich eine derartige weltweite Ausbreitung noch viel weniger vorstellen konnte, versuchte ihren Mann und wohl noch mehr sich selbst zu beruhigen.
“Naja, so vill Menschn fahrn ja nedd nach China und durch die Luft konn der Virus ja nedd kummer. Dess hodd doch der Exberde vorhin gsachd.“
Peter war da völlig anderer Meinung. Auch er machte sich schon seit Tagen Gedanken über das was kommen könnte. Es ist nicht so, dass er glauben würde, ein Virus könnte fliegen, aber bezüglich der Übertragungswege war er weit weniger optimistisch.
“Des brauchds ja aa gor nedd. Denk amal, wer heidzudooch alles gschäfdlich nach Asien verreisd odder dee dausende von Durisdn, dee allaans in Nämberch tagtäglich rumrenner. Dou gäihd dess rugg-zugg. Gottseidank iss der Christkindlesmarkd scho gwesen, abber denk ner blous amal an die Spillwarnmesse. Dess computergschdeuerde Blasdiggzeich kummd doch zu neunzg Brozend aus China.“
Das mit den 90 Prozent war nicht ganz so sicher, vielmehr ein plakativer Ausdruck für sehr, sehr viel. Marga nickte denn auch zustimmend. Sie hatte auch schon einen Grund ausgemacht, den sie für die drohende weltweite Katastrophe verantwortlich machte. Vor allem die Lebensgewohnheiten der Chinesen waren ihr äußerst suspekt. Speziell die Ernährungsweise dieser undurchsichtigen Asiaten stand im Fokus ihrer Verdächtigungen.
„Naja, wundern brauchd mer si eigndlich abber aa widder nedd, wemmer denkd, woss dee alles essn, Ratzn, Schlanger, Ungeziefer, Schwalbnnesder. Dou grausds der doch. Drum gäih ich aa gor nedd su gern mied, wenn die Schwarms immer zu den Chinesn nach Erlnbach wolln. Dordn iss alles so arch gwürzd. Dou mergsd doch gor nimmer, aus woss dess Essn gmachd is. Dee wern scho wissen warum!“
Peter dagegen probierte gerne einmal etwas Neues und hatte schon alleine deshalb ein entspanntes Verhältnis zur chinesischen Küche. Deshalb versuchte dagegen zu halten.
„Dess konn alles in China sei, vor allem in dene rückständichn Browinzn, nedd amal so arch in Beeking odder Schanghai odder in anner andern von dene haufn Millionenstädte, woss dee so homm. Wennsd die Bilder im Fernseeng odder in Illustrierde siggsd, dann sinn dee dord middlerweil hübbermodern. Dou kummer mir scho gor nimmer mied. Und außerdem, die Chinesn bei uns, des sinn doch meisdns gar kanne, dess sinn haubdsächlich Vietnamesn oder Dailänder und dergleichn. Und dann, muss mer sagn, bei uns, dou gibds ja schließlich aa suwoss wie a Gsundheidsamd, woss die Hygiene in die Wärdshäuser überwachd. Dou bassierd überhaubds nix.“
Damit war das Thema erst einmal durch, sowohl bei den Kleinleins, als auch in der Nachrichtensendung. Weitere Themen schien es zur Zeit ohnehin nicht zu geben, denn unmittelbar darauf erschien bereits die Wetterkarte auf der Mattscheibe.
Wenig später hatten sich die beiden Kleinleins wieder etwas beruhigt und sahen einigermaßen entspannt auf dem bequemen Sofa sitzend zu, wie sich die Kandidaten beim perfekten Dinner schlugen. Angesichts von getrüffelten Nudeln und perfekt gebratener Rinderlende hatte die Marga die Katastrophenmeldungen schon wieder verdrängt und völlig neue Pläne.
„Horch Beder, sollerd mer nedd widder amal die Bräunleins und Schwarms eiladn, bevor bei uns evenduell aa nu so a Ausgangsschberre kummd? Wer wass, wie lang mer dess überhaubd nu derf!“
„Brima Idee“, meinte der Angesprochene, der immer Lust auf eine gepflegte Unterhaltung in angenehmer Atmosphäre hatte.