Читать книгу Mords-Brocken - Günther Dümler - Страница 12
Der Feind rückt näher
ОглавлениеGut drei Wochen waren seit den beiden denkwürdigen Kappenabenden vergangen, dem recht harmlosen in Röthenbach und dem fatalen in Gangelt. Inzwischen hatte sich gezeigt, dass sich das Virus von dem kleinen Gangelt ausgehend in weite Teile Deutschlands ausgebreitet hatte. Auch in Baden-Württemberg schien sich ein Infektionsnest zu bilden. Die dort Erkrankten hatten ausnahmslos in Italien, genauer in Südtirol oder dem Piemont Urlaub gemacht. In Italien, dem ersten europäischen Hotspot, hatte die Epidemie bereits ein verheerendes Ausmaß erreicht. Die komplette Ausgangssperre, die zuvor nur in Norditalien gegolten hatte, war nun über ganz Italien ausgeweitet worden. Die Fernsehbilder zeigten leergefegte, von bewaffneten Militärstreifen kontrollierte Straßen.
Gleichzeitig wurde in Spanien der Weltfrauentag mit Massendemonstrationen und großem Tamtam gefeiert, Verbrüderungs-, sorry, Verschwesterungsszenen eingeschlossen, mit fatalen Folgen. Wie sich bald herausstellte, hatten sich dabei Zehntausende infiziert und bildeten somit die Basis für eine todbringende Krankheitswelle, die nach einem weiteren Monat bereits mehr als 20000 Todesopfer gefordert haben würde.
Die Unvernunft wurde aber auch hierzulande auf die Spitze getrieben. Als Italien bereits komplett abgeriegelt war, waren noch ganze Reisegruppen, vor allem aus der Tübinger Gegend, zum Skilaufen nach Südtirol aufgebrochen. Entsprechend hoch waren danach die Ansteckungszahlen. Den Vogel schoss jedoch eine Gemeinde in Österreich ab. Als kein vernünftiger Mensch mehr die Augen vor dem kommenden Inferno verschließen konnte, feierte im Tiroler Ischgl die Apres-Ski-Gemeinde fröhlich weiter, so als ob es kein Morgen gäbe. Doch der Morgen kam natürlich und er war verheerend. Zahllose Erkrankungen hatten hier ihren Ausgangspunkt mit Auswirkungen bis ins entfernte Island. Als andernorts bereits Menschen mangels Beatmungsmöglichkeiten dem sicheren Tod überliefert werden mussten, dachten die Tiroler Behörden nicht im Ansatz daran, das fröhliche Treiben zu beenden. Während die Kassen munter klingelten blieben die Alarmglocken stumm. Die Lifte liefen munter weiter und was weit schlimmer war, auch die Partys in den zahlreichen Unterhaltungsbetrieben der Region. 'Schifoan, jojojojo! Schifoan! Jo, Schifoan is des leiwandsde, woss mer si nur vurstölln ko-o-onn!', schallte es aus den Lautsprechern.
Die WHO erklärte Covid-19, wie man die Seuche nun immer häufiger nannte, zur Pandemie. Das bedeutet, dass man einer weltweiten Ausbreitung mit hunderttausenden von Opfern ins Auge sehen musste. Alle Kontinente waren mittlerweile betroffen, angeblich mit Ausnahme der USA, wo Präsident Trump immer noch von einer kleinen Grippe faselte, die man mit einer Einreisesperre leicht in den Griff bekommen werde. In Deutschland wurden nun alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen verboten. Das betraf natürlich auch die Fußball-Bundesliga. Eine heilige Kuh der Deutschen war in Gefahr geschlachtet zu werden. Die Nachholpartie Mönchengladbach gegen Köln wurde als Geisterspiel ausgetragen, also ohne Zuschauer, was allerdings tausende Unbelehrbare nicht daran hinderte, sich vor dem Stadion lauthals grölend zu versammeln. Nicht alle hatten offenbar den Schuss gehört, der die Welt in Zukunft in eine kollektive Schockstarre versetzen würde. Die Politik in Deutschland diskutierte bereits über Schulschließungen und die Bundeskanzlerin sprach von der größten Herausforderung für unser Land seit dem 2. Weltkrieg.
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Es ist Freitag und somit der Tag, an dem sich die Röthenbacher Freunde zu ihrem traditionellen Schafkopfabend im Goldenen Adler treffen. Dass der heutige Freitag auf einen 13. fällt ist sicher Zufall. Angesichts dessen, was den Röthenbachern ins Haus steht, könnte aber selbst der nüchternste Betrachter des Geschehens, durchaus abergläubisch werden.
Der Adler ist noch gut besucht. Im Ort sind ja schließlich noch keine Infektionen bekannt geworden. Die Menschen sehen bisher offenbar keinen Anlass die Öffentlichkeit zu meiden. Man will es sich noch einmal richtig gut gehen lassen bevor die Krise auch Röthenbach erreicht. Dass sie kommt scheint sicher, nur wann? Immerhin hat Ministerpräsident Söder, zusammen mit der Kanzlerin, heute Mittag im Fernsehen bereits eindringlich gemahnt, ab morgen nur noch in dringend notwendigen Fällen das Haus zu verlassen, sei es zum Einkaufen oder auf dem Weg zur Arbeit. Gaststätten, Kultureinrichtungen und Spielplätze sollen geschlossen bleiben. Selbst Besuche bei Verwandten, die nicht in der gleichen Hausgemeinschaft leben, sollen tunlichst unterbleiben, vor allem um die Älteren in den Familien zu schützen, die statistisch gesehen wesentlich häufiger von schweren Verläufen der Krankheit und Todesfällen betroffen sind als Jüngere.
Die drei Familien sitzen an ihrem angestammten Tisch. Sie werden sich an die neuen Vorschriften halten und sich wer weiß wie lange nicht mehr zu Gesicht bekommen, aber heute wollten sie sich unbedingt noch einmal treffen. Schließlich fühlen sie sich allesamt kerngesund. Die Herren plus Maria spielen einen gepflegten Schafkopf, während Marga und Gisela miteinander ratschen.
„Woss sagsdn etz zu dene neier Coronaregln?“, fragte Marga die Freundin.
„Unser neis Enggerler seeng mer etz auf jedn Fall nimmer so schnell. Zum Glück simmer ja vor vierzehn Dooch nu schnell nach Odalfing nunder gfahrn zur Heidi. Der Beder hädd ja wahrscheinli nu länger rummdroddld. Abber ich hobb gsachd, nix dou und Rechd hobbi ghabd. Etz gängerds scho nimmer. Allmächd, iss dee Glaa oadli“, geriet sie umgehend ins Schwärmen.
„Dee wennsd oolachsd, dann fängd sie a glei äs Grinsn oh, übers ganze Gsichd. Ich sooch ders, ich bin ganz hin und wech. Mer maanerd grad, sie däd scho richdi flirtn, so freindlich schaud an des Kindler an. Und etz dess. Wer wass, wann mer äs nächsde Mal widder hiefahrn könner. Mir zreißds ja schier äs Herz, wenni bloß droo denk.“
„Ja, solangs so glaa sinn, sinns am schönsdn“, stimmte die Gisela zu. „Dou machns ja so schnell Fordschridde, beinah jedn Dooch könners woss Neis. Dess iss wergli schee. Abber wenn dee Grangheid etz erschd richdich zu uns kummd und wenns ner bloß annähernd so schlimm werd wäi in Idalien odder Ösderreich, dann schauds zabbnduusder aus in die nächsdn Monade, vielleichd a ganz Jahr hobbi ghörd.“
„Monade? Maansd so lang dauerd dess. Dee wern doch bald an Imbfschdoff habn. Wenn dess a ganz Jahr dauerd, dann läffd ja die Glaa scho, bevor mers äs nächsde Mal seeng. Um Godds Willn, so schlimm werds doch nedd glei wern.“
Die Marga war so aufgeregt, dass sie bislang gar nicht bemerkt hatte, dass ihr Magen bereits angefangen hatte sich laut knurrend bemerkbar zu machen. Vielleicht liegt es ja an der Aufregung, die ihr etwas auf den Magen geschlagen war, dachte sie, doch ein Blick auf die Uhr bestätigte ihr, dass zweifellos auch eine gehörige Portion Hunger dafür verantwortlich war. Auch die Kartler hatten offenbar schon Appetit. Wie immer legten sie nach einer geraumen Zeit eine Pause ein, um sich an der hervorragenden Küche des Goldenen Adler gütlich zu tun, zum letzten Mal für vielleicht längere Zeit. Auf einen Wink hin erschien prompt die Resi mit den Speisekarten. Sie war schon lange Jahre Bedienung im Adler und kannte die Gäste und ihre Gewohnheiten in- und auswendig.
„So, iss Zeid für die Essensbause?“ fragte sie freundlich in die Runde, während sie die umfangreichen, ledergebundenen Karten verteilte. „Lassd eich Zeid, ich kumm dann scho widder, abber heid iss wergli der Deifl los. Scheind’s wolln alle noch amal woss Gscheids essn, bevors ab morgn nix mer gibd.“ Sprach es und verschwand eilig in Richtung Tresen.
Die Auswahl dauerte wie immer nicht sehr lange, da fast jeder sein Leibgericht bestellte, wozu er eigentlich auch gar keine Karte benötigt hätte. Selbst die Marga war inzwischen wieder unter die Normalos gegangen. Ihr zaghafter Versuch in die Welt der Vegetarier einzutauchen konnte bereits beim letzten Osterfest vor knapp einem Jahr als gescheitert betrachtet werden. Der Hase, den sie in der Osternacht verputzt hatte, war noch aus Bio-Schokolade. Der leckere Lammbraten am Tag darauf dagegen bereits wieder feinste Qualität aus der Metzgerei Bräunlein. Es war aber auch zu schwierig, nur für Peter die feinsten Gerichte zu zaubern und selbst nichts davon zu genießen.
Eine Zeit lang herrschte Ruhe, nur ein leises, genüssliches Schmatzen war zu vernehmen. Als die Resi abgeräumt hatte und man die zuvor unterbrochenen Tätigkeiten wieder aufnehmen wollte, kam der Wirt zu ihnen an den Tisch, um sich zu erkundigen, ob es denn geschmeckt habe und um ein bisschen Smalltalk zu machen. Ein guter Wirt hält seine Stammgäste bei Laune.
„Gudn Ahmd beinander! Und, hodds gschmeggd?“
Hatte es natürlich, wie immer.
„Einwandfrei! Und Karl, wie schauds bei eich aus?“, fragte Peter zurück. „Wenn ab morgn die Wärdschafdn gschlossn werdn, dann wärds beschdimmd nedd so einfach für eich.“
„Ja, dess wassi selber nunni so genau. Es kummd hald drauf an, wäi lang mir zoumachn müssn. Zwaa Wochn iss nu ka Broblem, so lang hobbi ja sonsd aa in der Urlaubszeid gschlossn und dess iss hald dann heier scho im März. Abber wenns länger dauerd, dann gud Nachd. Ich hobb keine Ahnung, wäi ich dann meine Rechnunger zahln soll.“
Verständiges Kopfnicken war die Reaktion auf das Gesagte. Keiner hatte jedoch einen guten Rat parat. Es waren alle gleich geschockt von den Auswirkungen und wer weiß, was alles noch zusätzlich auf die Menschen zukommen würde.
„Wenigsdns die Resi und in Koch konni in Kurzarbeid schiggn, dee sinn fesd angschdelld“, fuhr Karl Bernreuther, der Adlerwirt fort, „abber alle Andern, die stundnweisn Aushilfen homm nadürli dann kann Verdiensd mehr. Ich wass bisher nu gar nedd, ob für dee aa sowoss wäi Kurzarbeid infrage kummd. In der Küchn brauchi ja dann aa ka Bersonal mehr. Ausser, ich schdell vorübergehend auf Außer-Haus-Verkauf um. Dou mussi mer nu Gedankn machen, wäi i dess alles organisier. Alles zu seiner Zeid. Lusdich wärds aff kann Fall. Ich hoff ja immer nu, dass die Sach schneller beendet iss, als wäi mer etzerdla annimmd. Etz wenns wärmer werd im Frühjahr, dann härd doch die Gribbe aa immer schlagardich auf.“
„Dess glaubi nedd“, meinte Lothar. „Schau amal nach Idalien. Hosd du schon amal in frühere Jahre was midgrichd, dass dausende von Menschen in Kranknhäuser sterbn? Also ich fürchd, dess mid dem Corona iss a ganz a anders Kaliber.“
„Also ich hobb da a Whatsapp grichd von an Bekanndn, dou stehd, dass an Erkältung jedes Jahr mehr Menschn sterbn als wäi an dem Corona. Dou schau her.“
Der Wirt holte sein Handy hervor und zeigte Lothar die betreffende Nachricht. Da stand tatsächlich:
Danach folgte eine krude Verschwörungstheorie, die darin gipfelte, dass es sich bei Corona um eine von den Pharmaunternehmen geschürte Panik handle, mit dem Zweck Masken, Desinfektionsmittel und Medikamente usw. zu verkaufen. Anschließend folgte eine Behauptung, die Wahrscheinlichkeit als unter 50-jähriger an Corona zu sterben, läge bei 1:45 Millionen, also bei weniger als 2 Personen auf ganz Deutschland bezogen. Selbstmord würde 28 mal mehr Todesopfer fordern als Corona.
Peter, der neben Lothar saß, war neugierig geworden.
„Zeich amal. Woss stehdn da?“, und nach einem kurzen Moment des Nachdenkens legte er richtig, beinahe zornig, los.
„Und dess soll von an Universidädsbrofessor stammer? Dess glaubsd doch selber nedd. Dou schau amal her, an Erkältung sinn in die erschdn 2 Monade heuer scho 69602 Menschn weltweid gstorbn. Glaubd anner allen Ernsdes a Brofessor däd Erkältung schreibn? Wergli nedd, des wär dann allenfalls Influenza odder vielleichd nu Gribbe, abber Erkäldung, dassi nedd lach. Laienhafder gehds ja gar nimmer. Du wassd doch nedd amal, ob dei Nachbar a Erkäldung hodd und dee dou, dee wissen dess für die ganze Welt. Und 153696 Selbstmorde. Woher wass mer denn dess so genau? Horch amal, dou kenn ich an Herrn von der Grimminalbollizei in Nämberch, der hädd alaans in unsern Rödnbach scho 5 Selbstmorde mehr diagnosdizierd als dann wergli gwesn sinn. Außerdem sacherd a Fachmann Suizid und nedd Selbstmord.“
Trotz des ernsten Themas und Peters sichtlicher Erregung lachten die Anwesenden bei der Erwähnung von Hauptkommissar Schindler kollektiv auf. Doch Peter war noch nicht fertig.
„Und dann die Behaubdung, dass die Pharmaindustrie des ganze Corona zur Umsatzsteigerung anzeddld hädd. Dee wärn doch heilfroh, wenns überhaubd genuch Maskn und Schutzkleidung für die Krankenhäuser herbringerdn, von die Brivadbersoner ganz zu schweign. Na, suwoss debberds hobbi denn doch nunni ghärd. Dess woss die Aaner midn Kobf und ihrn Einsatz aufbauer, dess reißn solche verantwordungslosn Verharmloser midn Arsch glei widder ei. Dess glaubsd doch nedd wergli Karl, odder?“, wandte er sich direkt an den Wirt.
„Naa, nana“, stammelte dieser nur abwehrend, so sehr hatte ihn der heftige Ausbruch Peters erschreckt, „ich wolld bloß amal zeing, dass auch andere Ansichdn gibbd und woss zur Zeid im Indernedd alles underwegs iss.“
Wahrscheinlicher aber war, dass er sich angesichts eines längeren Verdienstausfalls an jeden Strohhalm klammerte, so unrealistisch er auch sein mochte. Man konnte ihm die Sorge auch kaum verdenken.