Читать книгу Mords-Zirkus - Günther Dümler - Страница 11
In Röthenbach
ОглавлениеDie Marga hatte, als sie den unübersehbar auf dem Küchentisch liegenden Zettel gelesen hatte, sofort auf den Alarmmodus umgeschaltet und einen Rundruf bei Gisela und Maria gestartet. Zu Recht, denn immerhin wurde ihr soeben eine häusliche Katastrophe angekündigt. Auch wenn diese im entfernten Odalfing stattfand, so gehörte sie doch in die Kategorie von Ereignissen, die einen sofortigen Kriegsrat erforderten. Noch bevor sie mit Peter Kontakt aufnahm, musste jeder Aspekt der neuen Situation aus der Sicht krisenerprobter, weiblicher Spezialistinnen diskutiert und analysiert werden. Solche Angelegenheiten waren Chefsache. Wer im Bekanntenkreis hatte bereits einschlägige Erfahrung mit Stürzen von Haushaltsleitern und ähnlichen Unfällen gemacht? Was musste in einem solchen Fall als Erstes beachtet werden? Welche Versicherung wäre da überhaupt zuständig? Alles lebenswichtige Fragen, die man nicht leichtfertig in Männermanier vor sich herschieben oder gar völlig außer Acht lassen konnte.
Als sie Peter schließlich auf seinem Handy anrief, da war er bereits an Ingolstadt vorbei und würde in etwas mehr als einer Stunde zusammen mit seinen beiden neuen Schützlingen in Röthenbach eintreffen. Die guten Ratschläge allgemeiner Natur, die die Marga versuchte anzubringen, wies er ebenso rigoros zurück wie ihre konkreten Handlungsanweisungen. Peter kam sich vor, als würde jemand gegen seinen Willen ein gewaltig großes Fass voller Allerweltsweisheiten über ihm ausschütten. Ein Schaudern durchlief ihn. Ice Bucket Challenge auf Rödnbacherisch.
„Ja, jaaa, ja Marga. Horch etz langts widder amal. Dee Doggder in dem Granggnhaus in Münchn wissen scho woss machen. – Naa, dess glaabi nedd. – Nein, d a s g l a u b e i ch n i ch t ! - Dee wern sowoss scho nedd zum erschdn Mal machen. Beschdimmd nedd. Dess iss a schbezielle Unfallchirurgie! – Ja, Marga, ja. - Naa, nach Großhadern hommers nedd. – Etz hör hald amal auf mid deiner Baanigmache, mir iss etz worschd, woss der Gisela ihr Kusine brochn ghabd hodd. In anner Schdund binni derhamm und dann red mer weider. Also, bis dann. Ade! – Nedd etz! Ich bin im Audo, iech derferd eigndlich gornedd dellefoniern!“
„Uff“. Er schnaufte hörbar genervt aus. „Woss ner dee Weiber immer für a Gschieß machen müssn. Mer könnt scho maaner, die Weld gäihd under!“
Er drehte das Radio an in der Hoffnung, eine flotte Melodie würde ihn von der ganzen Aufregung etwas ablenken und für die dringend notwendige Beruhigung sorgen.
„Das ist Waaahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle - Hölle, Hölle, Hölle!“ tönte es aus den Lautsprechern. Wolfgang Petry war im Moment auch keine wirkliche Hilfe.
„Dess hodds etz aa nu brauchd. Hodd si denn heid alles geecher mich verschworn“ brummte er missmutig vor sich hin und drehte den Radioknopf sofort wieder ab.
„Host an Stress mit da Oma?“, wollte der Basti dann auch noch wissen.
„Naa“, versuchte Peter ihn zu beruhigen, „dess iss ganz normal. Frauen denner hald immer aweng überreagiern“ und auf Bastis verständnislosen Blick hin ergänzte er beruhigend: „Dess leechd si scho widder, wemmer erschd amaal derhamm sin.“
“De Mama is do fei grod aso. Immerzua muass ois perfekt funktioniern, sonst rastet ‘s immer glei aus. Do san hoit mir Männer scho vui cooler, gell.“
Peter schmunzelte leise vor sich hin über so viel Selbstbewusstsein, aber auch über die simple Vorstellung des Jungen vom Leben. Aber alles musste man mit gerade einmal Zwölf ja auch noch nicht wissen. Da würde er im Laufe des Erwachsenwerdens schon noch von selbst drauf kommen.
Der Rest der Fahrt verlief völlig ereignislos. Es war schon fast dunkel, als die Beiden Röthenbach erreichten und schließlich vor dem Haus der Kleinleins anhielten. Peter drückte kurz auf die Hupe, um ihre Ankunft anzuzeigen. Jetzt war es wichtig für gute Stimmung zu sorgen, bevor zweifellos die unvermeidliche zweite Runde des Schauspiels „Das arme Kind und die treu sorgende Großmutter“ beginnen würde. Es ging auch gleich mit einer heiklen Szene los.
„Allmächd Basti, lass di ner anschauer. Grouß bisd worn, seid mer dich äs letzde Mal gseeng homm. Mein Godd bisd du gwachsn, Kind! Lass der no glei a anschdändichs Bussi gebn!“
Mit diesen Worten hatte sie ihn auch schon gepackt und an ihren großmütterlichen Busen gedrückt. Das mit dem Wachsen war schon schlimm genug, als ob das ein einmaliger, unglaublicher Vorgang sei, wie die Geburt einer Kuh mit zwei Köpfen. Er kam sich kurzzeitig vor wie ein Schlachtochs, den der Metzger taxiert. Und dass man ihm auch noch bei jeder Gelegenheit unter die Nase reiben musste, dass er ein Kind sei, gefiel ihm noch viel weniger. Und dann noch die alberne Küsserei. Genau wie die Mama. Weiberleut sind einfach anders, unbegreifbar. Aber man musste gute Miene zum bösen Spiel machen, denn für die nächsten Wochen würde er hier überleben müssen und da blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als ein paar Kompromisse zu schließen. Immerhin waren das seine Großeltern und sie meinten es bestimmt nicht so. Alte Leute sind halt etwas eigenartig.
„So, etz geh rei. Kumm, bisd beschdimmd rechd müd nach derer ganzn Aufregung. Konnsd di glei aweng hinleeng und ausruher. Ich mach der derwall woss zum Essn. Der Opa hold scho dei Zeich alles rei und bringds auf dei Zimmer.“
Dass der Opa nach der langen Fahrt auch ein bisschen Ruhe gut gebrauchen hätte können kam ihr gar nicht erst in den Sinn. Wahrscheinlich war der Basti im Moment sogar noch um einiges besser drauf und aufgrund seines jugendlichen Alters sowieso fit wie ein Turnschuh. Aber es half nichts. Der Enkel war soeben in die persönliche Obhut der Marga übergegangen, sofern man nicht gleich von einer Inbesitznahme reden wollte.
Mit dem Ausruhen wurde es erst einmal nichts, für keinen der beiden Männer. Die Marga musste doch noch alles ganz genau erfahren und gab nicht eher Ruhe, bis alle bisherigen Erkenntnisse inklusive aller möglichen Komplikationen, sowie die Therapieansätze aus dem Erfahrungsschatz der Freundinnen ausgiebig diskutiert waren. Es war schon spät als der Basti endlich ins Bett kam. Die Oma hatte ihm im Gästezimmer ein Bett hergerichtet, sogar an eine bubengerechte Bettwäsche hatte sie gedacht. Glaubte sie jedenfalls. Den Basti hätte trotz seiner jungen Jahre und der ausgezeichnten Verfassung in der man sich in diesem Alter noch befindet fast der Schlag getroffen. Die Bettdecke zierte ein weißer Kreis auf weinrotem Untergrund, in den die Buchstaben 1.FCN hineingedruckt waren, mit anderen Worten ein riesiges Logo des 1. Fußballclub Nürnberg. Es dauerte daraufhin mindestens eine weitere halbe Stunde bis der Junge dazu überredet werden konnte, sich in diesem Konkurrenzdesign zur Ruhe zu begeben, sofern man das Wort Konkurrenz angesichts des Klassenunterschiedes zwischen dem ehemaligen und dem aktuellen Deutschen Rekordmeister überhaupt in den Mund nehmen durfte. Es stellte sich heraus, dass der Sohn, genau wie sein Vater – Peter erinnerte sich an lange Diskussionen aus der Zeit da die Heidi noch zuhause gelebt hatte – ein waschechter und unerschütterlicher Anhänger des FC Bayern München war. Die erste ernste Krise noch vor dem Auspacken der Koffer bahnte sich an.
Peter, dem als Fußballinteressiertem die Brisanz der Situation voll bewusst war, dachte unwillkürlich: „Das kann ja noch heiter werden.“ Die Oma aber meinte nur lapidar „Fußball ist Fußball“, arglos, wie so manches weibliche Wesen, zumal eines, das noch zu der Zeit geboren wurde als Fußball reine Männersache war. Wahrscheinlich gehörte sie sogar zu jenen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Vorschlag machten, man solle doch jedem der zweiundzwanzig Spieler einen eigenen Ball geben, damit der ewige Streit ein Ende hätte. Genug Geld sollten diese Profivereine schließlich haben. Naja, wenn man nicht schon ohnehin gewusst hatte, dass sie keine ausgewiesene Fußballkennerin ist, dann hätte sie es mit dieser lächerlichen Ansicht schon zum zweiten Mal hinreichend bewiesen. Aber woher sollte sie denn auch wissen, dass in finanzieller Hinsicht der 1.FCN, wie in so vielen Belangen, eine Ausnahme bildete und durchaus keine ruhmreiche. Irgendwann überwog dann die Müdigkeit doch noch die vereinstaktischen Vorbehalte und der Basti schlief endlich ein.