Читать книгу Mords-Zirkus - Günther Dümler - Страница 13
Ein halber Preuße
ОглавлениеPeter hat schon bei der Heirat seiner Heidi mit einem Preußen befürchtet und das sind Menschen, die aus Oer-Erkenschwick stammen nun mal, dass ein zukünftiger Enkel einmal nur ein halber Franke sein würde, halb Preiß, halb Frangge. Aber wo die Liebe hinfällt, da fällt sie hin. Da kann man nichts machen. Sie lässt sich da keine Vorschriften machen. Die Heidi nicht und die Liebe schon gleich gar nicht. Die Heidi war mit ihrem Markus so augenscheinlich glücklich, dass es die Eltern schließlich auch waren. Der Markus stellte sich in der Folge sogar als perfekter Ehemann und sehr angenehmer Schwiegersohn heraus. Bassd scho. Trotzdem nagte die Unterbrechung der Jahrhunderte währenden Linie rein fränkischer Ahnen schon ein bisschen an Peters Stolz. Und nun stellte sich sogar heraus, dass so gut wie gar nichts von dem fränkischen Erbe übrig geblieben war. Der Basti war in der Tat halb Preiß, halb Oberbayer. Na, wenigstens in den paar Wochen, die sie zusammen verbringen würden, würde er seiner Pflicht zur Erhaltung des fränkischen Kulturerbes nachkommen und dem letzten Spross einer jahrhundertelangen Ahnenreihe reinrassiger Kleinleins schon das eine oder andere von seinen glorreichen Wurzeln vermitteln.
Sie hatten nach den ganzen Aufregungen des Vortags alle nicht ganz so gut geschlafen wie sonst und saßen daher schon sehr früh am reichlich gedeckten Frühstückstisch. Die Marga hatte alles aufgefahren, was Kühlschrank und Keller zu bieten hatten. Selbst gemachte Marmelade eingeschlossen. Sogar der Jennerwein hatte eine Sonderportion Leckerli bekommen. Er soll doch auch nicht leben wie ein Hu…. . Naja, er soll halt auch spüren, dass er in Röthenbach willkommen ist. Und das waren die zwei Neuankömmlinge tatsächlich. Doch was sollte man mit einem zwölf Jahre jungen Burschen anstellen, wenn man sich selbst zwar nicht gerade zum alten Eisen zählte, aber doch kaum mehr Kontakt mit der Jugend hatte. Normalerweise. Und was hatte Röthenbach schon für einen Buben aus der Großstadt zu bieten? Radfahren könnten die zwei, solange die Marga ihre tägliche Hausarbeit erledigte. Ein Fahrrad, das für einen Zwölfjährigen geeignet wäre, ließe sich bestimmt irgendwo finden. Peter könnte ja eines der alten Räder, die noch von ihren Kindern im Schuppen lagerten – man wirft nichts Gutes weg, wer weiß wofür man es nochmal brauchen kann – in Gang setzen. Oder sie könnten alle zusammen nach Nürnberg in den Tiergarten fahren. Aber nicht heute. Das Kind muss sich erst einmal von seinem Schreck erholen, entschied Marga. Man musste die Sache langsam angehen. Da hatte sie eine Idee:
„Horch Beder, du konnst doch dem Basdi erschd amaal unser Rödnbach zeign, dasser si glei aweng auskennd und wass, wo er dou überhaubd iss. Und ich ziech derwall des Bedd widder ab und such a andere Beddwäsch raus. Dem Basdi solls doch a gfalln bei uns.“
Ein Gedanke, auf den Peter nie gekommen wäre. Auf den mit der Bettwäsche. Aber auch der Junge winkte lässig ab.
„Konnst scho lassn, Oma, brauchsd da koa Oabat macha. Bei der Nacht hobi ja eh die Augn zua.“
Der Bursche schien ja tatsächlich ein waschechter Kleinlein zu sein. Immer praktisch. Peter und Basti marschierten los, der Jennerwein immer ein paar Schritte voraus. Ab und zu schaute der sich um, ob nicht bald einer seiner Begleiter ein Stöckchen werfen würde und wohl auch weil er sich nicht auskannte. Peter zeigte seinem Enkel das ganze Dorf, den Sportplatz, die Kirche, wo er und die Marga immer sonntags hingingen, den Friedhof, wo seine Vorfahren ruhten, das Rathaus oder besser gesagt das Gebäude in dem die Ortsverwaltung ihre zwei Amtszimmer hatte. Und den steinernen Gedenkstein in der Form eines mittelalterlichen Sühnekreuzes, dessen Einweihung anlässlich der Neunhundertjahrfeier der Dorfgründung – über deren Sinn gingen die Ansichten der Alteingesessenen immer noch weit auseinander - für so viel Aufregung gesorgt hatte. Der Opa erzählte dem Basti von dem großen Ereignis, dem Mittelaltermarkt und dem Ansinnen des Bürgermeisters den Kleinleinschen Garten umgraben zu lassen um den Originalstein aus dem Jahr 1114 zu finden, was Peter seinerzeit jedoch energisch abgeschmettert hatte. Seine Rosen waren ihm heilig. Von den Morden im Umfeld des Ereignisses sagte er vorsichtshalber nichts. Er wollte den Buben doch nicht verschrecken.
Peter hatte schon seit jeher Talent dafür, seine Mitmenschen zu parodieren. Besonders dafür geeignet waren natürlich diejenigen, die sich durch die eine oder andere Macke von der Allgemeinheit abhoben. Und dazu gehörte ganz gewiss der Bürgermeister Holzapfel, der bei seinen großspurigen Reden immer wie einst Franz-Josef Strauß auf den Zehenspitzen zu wippen pflegte. Eben ahmte ihn Peter nahezu perfekt nach und er war gerade unter heftigem Rollen der Rs bis zu einem wiederholten „Meine lieben Bürrrgerinnen und Bürrrger von Rrröthenbach“ gekommen, als ihn der Basti unterbrach.
„Und wia war des nacha mit dem Mord in dem Bierzelt, Opa? De Mama hod zwar ned ois erzählt, oba dass du dee Verbrecher auffliagn hosd lassn, des hobi scho mitgriagt. Zeigst mer amoi, wo des war?“
Peter dachte kurz nach. „Na ja, warum nedd“, sagte er schließlich, „dess iss etz aa scho worschd und dess iss ja etz scho widder a boar Jahr her. Inzwischn iss ja aa widder im wahrsten Sinn des Wordes a Gras übber di Sach gwachsen.“
Als sie sich der besagten Wiese näherten, staunten die zwei nicht schlecht. Da stand eine ganze Reihe bunter, farbenfroher Fahrzeuge, wie lose hingeworfene Legobausteine auf der grünen Wiese verteilt. Was hatte das zu bedeuten, gab es wieder ein Volksfest? Bei näherem Hinsehen erkannten die beiden Neuankömmlinge ihren Irrtum. Mit großen, schwungvollen Buchstaben war auf zweien der grell angemalten Wohnwagen die Aufschrift Zirkus Bellini angebracht. Zirkus! Was für ein geschäftiges Treiben. Man hörte schon von weitem ein Rufen und Hämmern, Metall auf Metall. Muskulöse Männer schleppten lange Stangen, brachten Zeltplanen und Absperrgitter herbei. Eine schlanke, durchtrainierte Frau kletterte einen Mast hoch, um ein Seil zu befestigen. Der Zeltaufbau war in vollem Gange. Jetzt fiel es Peter auch wieder ein. Hing nicht bereits gestern Vormittag, als er die Frühstücksbrötchen holte, ein entsprechendes Plakat an der Tür zur Bäckerei Hufnagel? Er hatte es nicht weiter beachtet, denn seine Gedanken waren zu diesem Zeitpunkt vollauf mit Margas bevorstehendem Ausflug in die Stadt ausgelastet, der bevorstehenden Hochzeit von Maria und Lothar, sowie dem riesigen Loch in der Haushaltskasse, das die Einkaufstour seiner besseren Hälfte voraussichtlich reißen würde.
Sie näherten sich dem geschäftigen Treiben, um besser sehen zu können, als einer der Arbeitenden sie anrief:
„Den Hund sollten sie besser an die Leine nehmen. Nichts für ungut, aber unsere Tiere werden sonst schnell unruhig.“
Basti pfiff nach dem Jennerwein, der, allerdings erst nach wiederholter Aufforderung, unwillig zu seinem Herrchen zurückkam. Auch Hunde sind hin und wieder neugierig. Peter nahm ihn an die Leine und hielt in gut fest. Die drei blieben noch eine Weile stehen und beobachteten interessiert den Aufbau. Es handelte sich um keinen großen Zirkus, wohl eher um ein kleines Familienunternehmen, das sich mit Müh und Not durchschlug. Peter zählte ganze vier Wohnwagen, einer davon von modernerer Art, wie sie auch auf Campingplätzen zu finden waren, die anderen waren mehr umgebaute Bauwagen, dafür aber mit eindrucksvoller Farbgestaltung, welche auf Anhieb tatsächlich eine gewisse Zirkusromantik vermittelte. Einige weitere Anhänger schienen nicht unbedingt zu Wohnzwecken genutzt zu werden. Vielleicht wurden darin ja die wilden Tiere transportiert, die ein solcher Zirkus sicher mit sich führte. Basti dachte sofort an Löwen und Tiger. Einen Elefanten hatten sie wohl nicht, der hätte in keines der vorhandenen Gefährte gepasst. Die Beiden schauten noch eine Weile zu. Gerade als sie sich wieder auf den Weg machen wollten, da kletterte ein etwa sechzig- bis siebzigjähriger Mann aus dem neutralen Wohnwagen. Er hatte trotz seines Alters noch pechschwarze Haare und machte auch sonst einen durchtrainierten Eindruck. Vielleicht spielte ja auch er noch einen aktiven Part in den Vorstellungen. Peter schaute genauer hin. Er hatte sofort ein unbestimmtes Gefühl den Mann schon einmal gesehen zu haben. Doch er kannte niemand aus dem Zirkusumfeld und spätestens als die anderen Akteure ihn Annunzio riefen, war er sich völlig sicher, dass er einer ziemlich großen Ähnlichkeit mit einer anderen Person aufgesessen war. Er grübelte noch eine Weile darüber nach, gab es dann aber endgültig auf. Einen Annunzio kannte er nicht, jedenfalls nicht persönlich. Da gab es einmal vor Jahrzehnten einen Annunzio Mantovani, aber das war ein Orchesterleiter, der für seine Klangteppiche und einen extrem weichen Sound, hervorgerufen von Unmengen von Geigen, bekannt war. Damals, als Peter noch ein junger Mann war und Tanzen zu seinen bevorzugten Hobbies zählte. Seither hatte er diesen Namen nicht mehr gehört. Nein, ein Träger dieses seltenen Namens wäre ihm sicher im Gedächtnis hängen geblieben.
Es wurde Zeit für das Mittagessen und so drehten die beiden Betrachter um und strebten Margas kulinarischem Angebot zu. Es gab Schäuferle mit Kloß und Salat, Lektion eins in Sachen fränkisches Erbe. Um es gleich vorweg zu nehmen. Die erste Lehrstunde war ein totaler Fehlschlag. Viel zu fett und das einzige, was bei den Knödeln an Semmeln erinnerte waren die angerösteten Wegglerswürfel, die Bräggerler, die Marga, wie es sich gehörte, in die Mitte der Klöße appliziert hatte und die dafür sorgten, dass diese schön weich wurden ohne zu verkochen. Mit Bastis geliebten Semmelknödel hatten sie deshalb aber noch lange nichts gemein. Er begann sich Sorgen zu machen, wie er hier in der Provinz überleben sollte. Very strange, diese Franken. Und dann erst noch die Sprache. Er mochte seinen Opa ja, sehr sogar, aber dessen Versuche ihm fränkisch beizubringen waren schon nervtötend. Ohzullds Buddlersbaa hatte er nachsagen sollen und Gaggerler, aber dazu hatte er einfach keine Lust und er hoffte sehr, dass auch der Opa bald keine mehr haben würde. Zum Sprachunterricht, versteht sich. Aber der Zirkus interessierte ihn sehr und wollte ihm gar nicht mehr aus dem Kopf gehen. Vielleicht durfte er später ja noch einmal hingehen, alleine natürlich, und einfach nur zusehen, wie das Zelt aufgebaut wurde und wie sich das Lagerleben in einem Zirkus so gestaltete.
Der Opa hatte glücklicherweise schon wieder anderes im Kopf.
„Horch“, sagte er eben zur Großmutter, „horch amaal, auf dem Zirkusbladds dou iss a Mann gschdandn, dou hädd ich mein Groong verwedded, dassi denn schon amaal wo gseeng hobb. Abber ich konn mi nedd ums Verreggn mer erinnern, wo dess war. Abber iss ja aa worschd, wahrscheinli schaud er blouß jemand ähnlich, denn ich früher kennd hobb.“
„Dess kummd alles blouß von deine immerwährendn Dedeggdivgschichdn. Hinder alln und jedn siggsd du ann Verdächdichn“, gab ihm seine Marga klar und deutlich zu verstehen, was sie von seinem Hobby hielt.
„Ich sooch ja aa blouß, dasser mer bekannd vorkommd, von an Verdächdichn odder dergleichn hobbi doch garnix gsachd“, verteidigte er sich und in dem Bestreben den Frieden im Hause Kleinlein augenblicklich wieder herzustellen sandte er noch ein versöhnliches „Naja, iss ja aa worschd“ hinterher.