Читать книгу Die gröβte Ratte in diesem Land - Günther Janzyk - Страница 3

1971

Оглавление

An einem Freitagabend, Alois und ich sitzen gelangweilt, aber gut stoned vor unserem Stammlokal, kommt Bernd mit einem etwa 10 Jahre alten, etwas klapprig wirkenden Ford 12M vorgefahren. Stolz wie ein Puter steigt er aus:

„Ich hab heute meine Führerscheinprüfung bestanden. Und weil ich immer so nett und fleißig bin, haben meine Eltern mir den Wagen geschenkt.“

„Wann warst Du denn mal fleißig?“ fragt Alois.

„Vor drei Wochen habe ich den Rasen gemäht. Hatte ńe Vorahnung, dass das belohnt wird.“

Er strahlt übers ganze Gesicht.

„Kommt, wir machen ne Probefahrt.“

Gleichfalls grinsend steigen Alois und ich ein. Bernd setzt sofort zu einem Blitzstart an.

Ich kann mir eine spezielle Bemerkung nicht verkneifen.

„Ich glaub, es wird Zeit, dass die Leverkusener Straßen abgeriegelt werden.“

„Komm Günther, läster nicht. Bau uns lieber mal ne gute Tüte. Ich geb Dir auch die Blättchen.“

„Da kommst Du 10 Minuten zu spät. Wir haben gerade unser letztes Piece verraucht.“

„Dann fahr ich am besten bei Horst vorbei. Jetzt ist er bestimmt noch zu Hause. Und dann fahren wir alle zusammen nach Köln in die Altstadt und lassen die Sau raus.“

Wir haben gerade noch Glück, Horst in der Nähe seines Elternhauses zu erwischen. Er ist schon auf dem Weg zur Bushaltestelle. Mit quietschenden Bremsen hält Bernd neben ihm an.

„Komm, steig ein. Wir fahren alle zusammen in die Kölner Altstadt.“

„Wen hast Du denn dazu überredet, dass er Dir diese Rostbeule leiht? Hast Du überhaupt einen Führerschein?“

„Wie kannst Du nur an meinen Fähigkeiten zweifeln? Heute Morgen hab ich die Prüfung bestanden, und meine Eltern haben mir den Wagen geschenkt. Ist doch klar, dass sie mir nicht sofort einen Neuen kaufen.“

„Ich glaub, ich geh lieber zu Fuß.

„Komm, enttäusch mich nicht, ich krieg gleich Tränen in den Augen.“

„Lieber nicht. Bevor Du uns das antust, komm ich mit.“

Horst steigt ein, und gutgelaunt fahren wir Richtung Köln. Bernd drängt natürlich sofort wieder.

„Mein lieber Horst, Du kannst deine Stänkerei sofort wieder gutmachen, wenn Du für uns alle ’ne schöne Tüte baust. Könnte doch erheblich unsere Gesamtsituation verbessern.“

„Na gut. Aber nur, wenn Du mir versprichst, Dich auch mal auf die Strasse zu konzentrieren.“

Als der Joint sich dem Ende nähert, hat Horst eine Idee.

„Hör mal, Bernd. Was hältst du davon, wenn wir alle Geld für Sprit zusammenschmeißen und morgen früh nach Amsterdam fahren? Ich war zwar noch nie da, hab aber gehört, dass das Dope dort saubillig ist. Höchstens die Hälfte von dem, was es hier kostet. Wenn wir da ein bisschen einkaufen, es mit rüberbringen und hier wieder verkaufen, haben wir bestimmt Sprit und Spesen dicke wieder raus. Und noch in den nächsten Tagen genug für uns zu rauchen. Hundert Mark kann ich in das Geschäft investieren.“

„Geile Idee. Meine Mutter kann ich bestimmt auch überreden, dass sie nen Hunderter locker macht. Wenn ich ihr erzähle, ich will ans Meer und kann gleichzeitig fahren üben.

Und ich mach auch immer schön den Rasen, demnächst.“

Er dreht sich zu uns rum.

„Und was meint ihr dazu?“

„Kein Problem.“ Alois nickt zustimmend. „Kann mich auch mit 30 Mark an dem Geschäft beteiligen. Außerdem wollte ich schon immer nach Amsterdam.“

„Bei mir sieht es nicht ganz so rosig aus“, gebe ich zu. „Hab noch 25 Mark bis Ende nächster Woche. Die Fahrt würde mich schon reizen. Wenn euch allen 10 Mark von mir als Spritbeteiligung genügt und ich mich nur von Brötchen ernähre, wirdś schon hinhauen. Ich muss nur noch morgen früh dem Heimleiter erzählen, dass ich übers Wochenende zu meinen Eltern fahre. Sonst kriege ich Stunk.“

Mein übliches Problem. Seit Beginn meiner Lehrzeit bei der Bayer-AG bin ich in einem katholischen Jungmännerwohnheim untergebracht. Bevor ich nicht 18 bin, krieg ich keinen Haustürschlüssel und muss mich regelmäßig abmelden.

Alle sind mit meinem Vorschlag einverstanden und beteuern, dass sie keinen Kumpel hängen lassen.

In der Kölner Altstadt wird`s für mich mal wieder stinklangweilig, weil ich mir kein Getränk leisten kann. Jetzt brauche ich jeden Pfennig für Amsterdam und um nächste Woche über die Runden zu kommen. Den ganzen Abend, hängen wir in dieser Szenenkneipe und ich warte sehnlichst auf den Aufbruch.

Doch Bernd ist immer noch ganz begeistert mit einem reichlich kaputt aussehenden Mädchen im Gespräch vertieft. Der super-kurze Mini interessiert ihn dabei scheinbar mehr als ihr Gesicht. Plötzlich lässt er von ihr ab und kommt sichtlich aufgeregt auf mich zu.

„Stell dir vor Günther. Sie hat mich gefragt, ob sie bei mir schlafen kann. Das geht natürlich nicht, wegen meiner Mutter. Ich hab aber erst mal ja gesagt. Was hältst Du davon, wenn wir mit ihr zu Dir gehen, uns mit ihr ein bisschen amüsieren.“

Er zwinkert mir zu: „Und dann knackt sie bei dir!“

„Ich glaub, Du spinnst. Du weißt doch, dass ich im Heim wohne. Da sind die Wände so dünn, dass das halbe Heim alles mitkriegt. Außerdem hab ich gar keinen Bock auf die Frau. Die drückt doch bestimmt, so wie die aussieht. Frag mal lieber Horst oder Alois.“

Eigentlich macht mich die Situation schon neugierig. Immerhin bin ich jetzt 17, und bisher noch nicht dazu gekommen, irgendeine hetero-erotische Erfahrung zu machen.

„Also bei Horst geht es bestimmt nicht. Der kriegt auch Ärger zu Hause. Da bleibt mir nur noch Alois. Irgendwas muss ich mir auf jeden Fall einfallen lassen. Immerhin bin ich bekannt dafür, dass ich meine Versprechen halte.“

„Bei Wem?“ frage ich noch. Aber da ist er schon in Richtung Alois verschwunden. Wie ich von meinem Platz aus beobachten kann, scheint Alois einverstanden zu sein. Sie gehen gemeinsam zu dem miniberockten Mädchen und plaudern zu dritt. Kurze Zeit später steht noch ein weiterer, mir unbekannter Typ bei ihnen, den ich aufgrund seines Äußerlichen ebenfalls als Junkie einstufe. Alois gesellt sich zu mir.

„Da hab ich mir was eingebrockt. Ich will die Frau bei mir schlafen lassen, freu mich schon drauf, und jetzt versucht sie mir klarzumachen, dass ihr Bruder auch eine Bleibe braucht. Das stinkt mir gewaltig. Aber was soll ich machen, wo ich ihr doch schon versprochen hab, dass es geht. Er schläft auch gerne auf dem Fußboden, sagt er. Und es wäre ja nur für diese eine Nacht. Dem Bernd ist es auch noch egal, wenn wir zu sechst in seinem Auto fahren.“

Doch dieses Problem, was sechs Personen im Auto anging, löst sich schneller als wir ahnen. Keine fünf Minuten später ist das Mädchen verschwunden.

„Sie hat es sich anders überlegt“, meint ihr angeblicher Bruder mit Leidensmiene auf dem Gesicht. „Sie will lieber bei einer Freundin schlafen, doch da kann ich auf keinen Fall mit.

Ist bei mir echt nur für eine Nacht. Ich geh euch bestimmt nicht auf die Nerven.“

Wir merken, dass wir irgendwie reingelegt worden sind.

„Du musst spätestens morgen früh um zehn verschwunden sein“, wirft Bernd ein. „Wir wollen nämlich alle nach Amsterdam.“

Ich hätte ihn erschlagen können! Dass er sein Maul nicht halten kann! Der Typ wird sofort hellhörig.

„Was? Echt? Ihr wollt nach Amsterdam? Könnt ihr mich da nicht mitnehmen? Ich war schon etliche Male da und kenn die Stadt genauso gut wie Köln. Ihr wollt doch bestimmt was zu rauchen kaufen, und da kann ich euch Dealer zeigen, die euch total gute Preise machen. Wenn wir zu fünft fahren, wird’s auch für Jeden billiger mit dem Sprit.“

Mir passt das überhaupt nicht, doch die Anderen scheint er mit seinen Argumenten zu überzeugen. Wir brechen erst mal auf. Bernd fährt uns alle nach Hause und verspricht, uns am anderen Morgen einzeln wieder abzuholen. Alois beißt in den sauren Apfel und nimmt Herbert, so heißt der Knabe, mit zu sich nach Hause.

Bernd hält sein Versprechen und ist am nächsten Morgen sogar wider Erwarten pünktlich.

Unterwegs stellt sich heraus, dass Herbert tatsächlich ein Junkie ist. Er hat noch Spritze und Shore bei sich, die er unbedingt vor der Grenze verdrücken muss.

„Ist nur Pervitin“, beteuert er. „Was anderes würde ich nie nehmen.“

Ich glaube ihm kein Wort.

Wenigstens kennt er sich in Amsterdam tatsächlich gut aus. Auf direktem Wege führt er uns ins Zentrum, zeigt uns Paradiso, Melkweg und den Bahnhof und schlägt uns vor, irgendwo zu parken und das Geschäftliche zu Fuß zu regeln.

Bernd sammelt das Geld ein. Mit den 30 Mark von Alois plus 50 Mark von Herbert haben sie insgesamt 280 Mark zum Einkaufen. Dann trennen wir uns. Alois und ich spazieren durch die Grachten, während die anderen drei nach Dealern Ausschau halten. In einer Stunde wollen wir uns wieder am Auto treffen.

Als Alois und ich zurückkommen, sehen wir schon von weitem, dass die drei anderen ziemlich lange Gesichter machen.

„Was ist denn passiert?“ frag ich ahnungslos. War’s doch nicht so billig wie ihr geglaubt habt?“

„Der Typ hat uns bequatscht, dass wir Pervitin kaufen sollen“, erwidert Bernd und deutet dabei auf Herbert. „Weil wir angeblich das zehnfache daran verdienen können. Dann trafen wir am Bahnhof zwei Schwarze, die uns das beste Pervitin anboten; und kaum waren wir um die nächste Ecke, hielt mir einer eine Knarre direkt ins Gesicht und der Andere räumte uns die Taschen leer. Sogar meine schöne lederne Brieftasche, die mir meine Oma zum Geburtstag geschenkt hat, haben sie mir weggenommen.“

„Nun hör mal auf zu jammern“, wirft Horst ein. „Seinen Führerschein samt Ausweis hat man ihm gelassen. Wenigstens waren sie nicht scharf auf die Papiere. Ist ein verdammt beschissenes Gefühl, wenn einer mit ńer Knarre auf dich zielt. Wir können froh sein, dass es nicht schlimmer gekommen ist. Die Kohle ist allerdings komplett gezockt. Wir müssen jetzt mal nachzählen, wie viel wir noch insgesamt haben.“

Herbert hält zum Glück seine Klappe. Als wenn ich es geahnt hätte! Erst später erfahren wir, und diese Erfahrung musste ich selbst Jahre danach noch einige Male machen, dass in Amsterdam fast alle Schwarzen, die Dir Drogen anbieten - ohne Vorurteile zu haben oder rassistisch zu sein - nur auf Betrug oder Überfälle aus sind. Der brave Rest, möge mir meine Darlegung verzeihen.

Wir schmeißen alle unser letztes Geld zusammen und kommen auf knapp 35 Mark.

Horst ergreift die Initiative.

„Ich hab mal überm Daumen gepeilt ausgerechnet. Wenn wir 30 DM für Sprit verwenden, kommen wir nicht nur nach Hause, sondern können auch noch dicke morgen früh einen Abstecher nach Zandvoort ans Meer machen. Ich finde, wir sollten uns durch den Überfall nicht die ganze Fahrt verderben lassen, und bevor wir nach Hause fahren, einen ausgedehnten Strandspaziergang machen und eventuell ein bisschen schwimmen. Dann war wenigstens die ganze Fahrt nicht umsonst.“

Wir sind alle einverstanden.

„Ich hab noch ne andere Idee“, meldet sich Herbert. „Morgen früh sind wir bestimmt alle hungrig und fünf Mark für Essen ist echt ein bisschen wenig. Hier in Amsterdam gehen abends viele Leute auf der Straße betteln. Wir könnten das ruhig auch mal versuchen. Ist zwar Scheiße für uns, aber schließlich sind wir in einer richtigen Notsituation. Wir kriegen auf diese Weise bestimmt noch ein paar Kröten zusammen. Das ist meiner Meinung nach die beste Idee, wie wir den Abend nutzen können.“

Bernd, mit einem Gesicht wie ein geprügelter Hund, verfällt sofort wieder in den Jammerton.

„Wenn ich mir vorstelle, dass irgendjemand in Leverkusen davon erfährt, dass ich auf der Strasse betteln musste! Mein guter Ruf wäre sofort ruiniert.“

Ich klopfe ihm tröstend auf die Schulter.

„Mach dir nichts draus. Wo nichts ist, kann auch nichts ruiniert werden.“

Für diesen einen Moment kehrt der Humor wieder in uns zurück. Doch dafür wird der Abend umso frustiger. Auch für mich ein total beschissenes Gefühl, die Leute auf der Strasse um ein paar Cent anzubetteln. Ich glaube, den anderen geht es genauso. Aber um unser Zusammengehörigkeitsgefühl zu demonstrieren, schließt sich natürlich keiner aus. Wenn ich Herbert so beobachte, kann ich mich allerdings von dem Gedanken nicht losreißen, eine gewisse Routine in seinem Vorgehen zu entdecken. Im Endeffekt bringt uns diese Aktion etwas mehr als 12 Gulden.

Noch in der gleichen Nacht fahren wir nach Zandvoort, parken auf einem Parkplatz am Strand, und versuchen zu fünft im Auto ein bisschen zu schlafen.

Am anderen Morgen fühlen wir uns alle wie gerädert, und ich mache mich sofort auf den Weg, um ein preiswertes Frühstück aufzutreiben. Obwohl es relativ früh ist, vielleicht knapp 9 Uhr, ist es reichlich warm. Es scheint ein heißer, sonniger Tag zu werden. Ich finde relativ schnell eine rollende Imbissbude, wo ich preiswert Hot-Dogs, Milchbrötchen und Milch erwerben kann. Als ich mit der Beute zurückkomme, frühstücken wir gemeinsam am Strand in der Sonne. Die erste angenehme Situation seit unserem Aufenthalt in Holland.

Als alle einigermaßen satt sind, brechen wir zu einem Strandspaziergang auf. Außer mir, es fehlt mir die rechte Lust, ziehen alle ihre Schuhe aus und plantschen mit nackten Füssen im Meer. Ich trag freiwillig ihre Schuhe und lauf auf dem Sand nebenher. In etwa 50m Abstand vom Meer stehen an dieser Strandstelle Heuballen mit Brettern darüber, die als Sitzgelegenheiten dienen.

Um diese Uhrzeit sind sie noch alle unbesetzt, doch auf einem dieser „Bänke“ sehe ich, von uns aus in einiger Entfernung, ein Pärchen sitzen. Neben uns die Einzigen am Strand.

Mir scheint es sofort so, als würde der Junge in unsere Richtung winken. Die anderen vier kriegen das gar nicht mit. Als wir langsam näher kommen, wird sein Winken heftiger, und ich entschließe mich, zu ihm hinzugehen. Bereits einige Meter vor ihm spricht er mich freundlich auf Englisch an:

“Do you have fire? I forgot my lighter at home.“

„Yes“, antworte ich knapp und. reiche ihm mein Feuerzeug. Er greift in die Innentasche seiner Windjacke und holt - ich glaub meinen Augen nicht zu trauen - einen riesigen Joint hervor. Aus mindestens sechs oder sieben Blättchen gedreht!

„That’s beautiful“, entfährt es mir sofort, und ich setze mich neben die Beiden.

Genussvoll zündet er das Riesending an, inhaliert einige Male und reicht es an mich weiter. Der Joint schmeckt traumhaft, und schon die ersten Züge steigen mir zu Kopf.

Allmählich werden die anderen vier neugierig und stiefeln aus dem Wasser in unsere Richtung. Alle kriegen große Augen, als sie den Joint sehen. Hocken sich sofort in den Sand um uns herum. Nach einigen Kommunikationsversuchen stellt sich heraus, dass John, so heißt der edle Spender, Engländer ist und in Amsterdam auf einem Hausboot lebt. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich durch kleine Dealereien. Ich bin allerdings der einzige von uns fünfen, der relativ flüssig Englisch spricht, und so betätige ich mich für die anderen als Dolmetscher.

Nach einigem belanglosen Geplauder meint Alois zu mir:

"Frag ihn doch mal, ob er zufällig ein bisschen Dope bei hat, was er uns verkaufen kann.“

„Das bringt’s doch gar nicht. Wir haben doch alle keine Knete mehr.“

„Ich hab aber eine Idee. Vielleicht ist er einverstanden, wenn ich ihm meine Uhr als Pfand hier lasse. Dann fahren wir nächstes Wochenende nochmal hierher. Er kriegt dann sein Geld und ich meine Uhr zurück.“

Die Uhr von Alois ist zwar nicht besonders wertvoll, sieht aber so aus! Es ist eine der ersten Uhren ohne Zeiger, die auf den Markt gekommen sind. Sie zeigt die Zeit durch eine sich drehende Scheibe an. Man bekommt sie für 35 Mark bei „Tchibo“. Doch ich bin überzeugt, dass Alois es ehrlich meint, und so frage ich den Engländer erstmal, ohne die Tauschabsicht mitzuteilen, nach Dope.

Er hat! Aus seiner Jackentasche holt er ein etwa 12 Gramm schweres Stück roten Libanon hervor. Hart wie ein Stein, mit einem süßlichen schweren Geruch, wie man ihn nur selten erlebt. Vermutlich das gleiche, was wir soeben rauchten. 50 Gulden will er für das Prachtstück.

„Frag ihn auch mal nach Trips!“ drängt Alois weiter.

Zufällig bat er die auch noch. Er zeigt uns eine Streichholzschachtel, in der zwei rechteckige, bläuliche schimmernde Kristalle liegen. Angeblich aus Kalifornien. LSD in irgendein Kunstharz eingeschlossen, wie er mir erklärt. Sollen fünf Gulden das Stück kosten.

Ich versuche, meine Begeisterung zu verbergen, erzähle ihm von unserem Amsterdamer Missgeschick und schlage ihm das von Alois erdachte Tauschgeschäft vor. Es funktioniert. Ihm gefällt die Uhr gut genug, dass er uns den Klumpen Libanon zusammen mit den beiden LSD-Trips überreicht.

Horst baut sofort einen neuen Joint, während ich die beiden Trips mit einem Taschenmesser teile. Verrückt genug wie wir sind, Herbert verzichtet freiwillig, schlucken wir sofort und auf der Stelle unseren Anteil herunter. John, dem wir all dies verdanken, schreibt uns die Adresse von seinem Hausboot auf einen Zettel, und verabschiedet sich, nachdem der zweite Joint erloschen ist.

Dieses Zusammentreffen mit John ist für uns alle eine Sache, die wir uns nach dem gestrigen Frust niemals hätten träumen lassen. Es ist zwar kein Geld mehr da, aber wir haben einen dicken Klumpen bestes Dope, und es steht uns noch ein LSD-Trip am Meer bevor.

Bereits eine knappe Stunde später danken wir dem Himmel, dass John nicht mehr von den Trips dabei hatte. Obwohl jeder nur einen halben nahm, ist es für uns alle die stärkste Dosis, die wir bisher unserem Körper verabreichten. Ich weiß nicht, was die anderen für sich durchmachen, ich kann auf jeden Fall das Meer nicht mehr als Meer identifizieren. Ich sehe nur noch Farben. Auch fällt es mir verdammt schwer, die anderen Jungs voneinander zu unterscheiden. Sie lassen sich kaum fixieren. Hab ich mal einen von ihnen gesichtet, verläuft er sofort vor meinen Augen zu einem unförmigen blauen Klumpen, der auch noch zu mir spricht! Ich kugele mich stellenweise vor Lachen darüber.

Es ist schwer zu beschreiben, unter welchen Umständen wir den Tag über die Runden bringen. Abends sitzen wir noch über eine Stunde zu fünft im Auto, bevor wir uns entschließen können, endlich abzufahren. Ich bin heilfroh, dass Bernd die Autofahrerei einigermaßen auf die Reihe kriegt.

Doch das Pech will sich nicht abschütteln lassen! In einer Form, mit der wir in unserer Unerfahrenheit nicht rechnen. Am Zoll, bzw. an der Grenze gibt es keinerlei Probleme.

Trotz unserer dicken Augen können wir ohne großartige Kontrolle passieren. Es geschieht einige Kilometer hinter der Grenze, in Höhe von Hamminkeln bei Wesel.

"Irgendetwas stimmt nicht", meint Bernd ziemlich entsetzt. „Der Wagen zieht nicht mehr nichtig. Er wird immer langsamer. Ich fahr mal rechts ran.“

In dem Moment, wo er die Kupplung loslässt, werden wir von dem Bremseffekt durchgerüttelt. Der Wagen hält quasi von selbst am rechten Fahrbahnrand der Autobahn und gibt keinen Muckser mehr von sich. Wir sind alle noch ziemlich flippig und aufgelöst durch die Restwirkung des LSD, so dass keiner von uns den Ernst der Lage richtig erkennt. So steigen wir alle erstmal aus und schauen uns den Motor an.

Sieht völlig normal aus, doch wer von uns hat vorher jemals einen Motor gesehen!? Alois bekommt einen vernünftigen Gedanken.

„Etwa 100 Meter zurück habe ich ein Notruftelefon vom ADAC gesehen. Bist du Mitglied im ADAC, Bernd?“

„Ich hab das Auto doch erst drei Tage. Mein Vater ist aber im ADAC.“

„Na gut, lass uns hingehen und anrufen. Vielleicht helfen sie uns.“

Reichlich niedergeschlagen kehren die Beiden zurück.

„Sie helfen uns“, informiert uns Alois. „Aber erst morgen früh, gegen acht. Um diese Uhrzeit schicken sie keinen Wagen mehr raus. Und Bernd muss es bezahlen. Dass sein Vater Mitglied ist, zählt nicht.“

Das ist ein Hammer! Morgen früh um acht muss ich längst im Labor sein. Alois genauso.

Ferner haben wir alle seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen. Außerdem kein Geld, um mit dem Zug nach Hause zu kommen. Seit einer Stunde sind selbst die Zigaretten ausgegangen. Vom Durst und der Müdigkeit ganz zu schweigen. Jeder Einzelne von uns hat sich tierisch darauf gefreut, zu Hause wieder in seinem Bett zu liegen. Und, jetzt sind wir gezwungen, unter den ungünstigsten Umständen noch eine Nacht zu fünft auf der Autobahn zu verbringen.

Ein eventueller Ärger mit der Bayer AG ist für mich im Moment nur zweitrangig.

Autopannen können schließlich immer mal passieren. Hunger und Durst sind weitaus schlimmer. Doch wir haben noch unseren Klumpen Libanon. Das Einzige, von dem wir noch zehren könnten. Und eine kleine Pfeife, wodurch wir nicht auf Tabak angewiesen sind. Was bleibt uns anderes übrig, als das Zeug zu rauchen, wenn wir die Nacht einigermaßen über die Runden bringen wollen.

Kaum ist die erste Pfeife verraucht, hält direkt vor uns ein Polizeiwagen! Zwei Uniformierte steigen aus und gehen auf unser Auto zu. Panik! Horst nimmt den Klumpen sofort in den Mund. Wir anderen halten die Luft an.

„Dürfte ich mal bitte Ihren Führerschein und die Wagenpapiere sehen?“

Bernd reicht beides wortlos raus.

„Herr Lümmel, würden Sie uns bitte erk1ären, warum sie mitten in der Nacht auf der Autobahn anhalten?“

"Das ist wirklich keine Absicht, Herr Wachtmeister. Der Wagen rührt sich nicht von der Stelle, und der ADAC will erst morgen früh vorbeikommen."

"Machen Sie doch mal die Motorhaube auf und starten Sie."

Mit einer Taschenlampe wird der Motor beleuchtet. Bernd versucht zu starten. Es tut sich natürlich nichts.

"Wie die Sache aussieht, ist es ein Kolbenfresser", lautet der Kommentar des Polizisten, mit dem wir alle nichts anfangen können. Nie gehört das Wort.

"Ich sehe hier, dass Sie erst seit drei Tagen Ihren Führerschein besitzen. Hat man Ihnen nicht beigebracht, dass man bei jeder Panne auf der Straße ein Warndreieck aufstellen muss? Haben Sie überhaupt ein Warndreieck?"

Bernd glotzt ihn nur ratlos an und kriegt kein Wort heraus.

"Nun hol's schon raus und stell es auf", raunt Horst ihm zu und stößt ihn unsanft, aber unauffällig in die Rippen. Bernd steigt aus und öffnet den Kofferraum. Als der Polizeibeamte das Warndreieck sieht, sagt er:

"Weil Sie Anfänger sind, will ich diesmal von einer Anzeige absehen. Normalerweise kommen Sie unter fünfzig Mark nicht davon. Gute Nacht, Herr Lümmel."

Uns allen fällt ein Stein vom Herzen. Als ich dann noch Bernds Worte:

"Vielen Dank, Herr Wachtmeister", vernehme, muss ich einen aufkommenden Lachanfall unterdrücken.

Die restliche Nacht verbringen wir ungestört. Dank der guten Qualität unseres Dopes finden wir alle sogar reichlich Schlaf.

Am anderen Morgen wecken uns zwei Männer vom ADAC, Sie bestätigen den Kolbenfresser, und Bernd hört zum ersten Mal in seinem Leben, dass ein Auto neben Benzin auch ab und zu mal Öl braucht.

Sie schleppen das Auto samt Bernd nach Hamminkeln ab, wo er sich im Laufe des Tages, wie wir später erfahren, von seiner Mutter abholen lässt.

Wir anderen teilen uns in Zweiergruppen auf und versuchen es mit Trampen. Ich mit Alois, Horst mit Herbert. Trotz des Schlafs fühle ich mich absolut elend. Mich quält ein unbeschreiblicher Durst und ein Mordskohldampf. Mein Körper ist ausgelaugt durch die Nachwirkungen des LSD und der übertriebenen Kifferei. Hinzu kommt noch die immer stärker werdende Hitze und ein nicht enden wollender Fußmarsch zur Autobahnauffahrt Hamminkeln. Dort stehen wir bestimmt weitere zwei Stunden in der Sonne, bevor uns endlich ein Lkw-Fahrer mitnimmt.

Und das Pech will nicht aufhören! Der Lkw fährt nur bis Düsseldorf und lässt uns kurz vorher an einer Autobahnraststätte raus. Das bedeutet erst mal Wasser! Mir fallen die gezeichneten Wüstenwitze ein, wo ausgemergelte Männchen auf dem Bauch im Sand liegen und vor lauter Durst irgendwelchen Visionen unterliegen. Ich kann nicht mehr darüber lachen. Leitungswasser hat mir noch nie so gut geschmeckt und wird auch nie wieder so gut schmecken. Durch das Trinken kehren auch die Energien einigermaßen zurück. Und die brauchen wir.

Wir müssen noch einmal einen fast zehn Kilometer langen Fußmarsch bewältigen, um von dieser Raststätte zur Auffahrt Richtung Leverkusen zu gelangen. Als wir ein Stückchen quer durch den Wald gehen, weil es uns kürzer erscheint, stolpere ich auch noch, und ausgerechnet in eine Schlammgrube. So wie ich aussehe, kann man es als Glück bezeichnen, dass uns noch ein Autofahrer mitnimmt. Als ich in meinem Bett über alles nachdenke, hasse ich Amsterdam.

Zwei Jahre später

Die gröβte Ratte in diesem Land

Подняться наверх