Читать книгу Die gröβte Ratte in diesem Land - Günther Janzyk - Страница 5

2.Kapitel

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Ehe und Kriminalität

1974-76

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Als meine Lehrzeit vorbei ist, kündige ich dem Jungmänner-Wohnheim und miete zusammen mit Alois eine Wohnung in Opladen. Aus verschiedenen Gründen kommt es etwa sechs Monate später zum Bruch zwischen uns beiden, und ich zieh wieder aus.

Direkt ins Nachbarhaus, in eine etwas kleinere Wohnung, zusammen mit Norbert.

Ich kenne ich von der Firma Bayer her - er absolvierte parallel zu mir eine Glasbläserlehre - und auch von der Szene. Ebenfalls ein leidenschaftlicher Kiffer und gelegentlicher LSD-Schlucker, der genau wie ich den Junk verabscheut. Durch Kameradschaftlichkeit und Sympathie erweckt er in mir das Gefühl, dass ich es länger mit ihm aushalten könnte. Er ist zwar starrköpfig, wodurch es anfänglich kleinere Reibereien zwischen uns gibt, doch im Allgemeinen kann man unser Zusammenleben als harmonisch bezeichnen.

In dieser Zeit gerate ich erstmals auf illegale Abwege. Gemeinsam mit meinem besten Freund Georg kaufe ich ein billiges Auto. Einen alten Ford 12 M, der in der Regel eine Woche von mir und die andere Woche von Georg gefahren werden soll. Das klappt bestens, da wir meistens sowieso zusammenhängen. Mit diesem Auto fahren wir des Öfteren nach Holland, kaufen dort preiswert 50 bis 150 Gramm Haschisch ein und versuchen, es in zehn- oder zwanzig Mark-Piece an den Mann zu bringen.

Doch leider sind wir unfähig, auch nur das Geringste daran zu verdienen. Den größten Teil rauchen wir selbst. Und unseren Kunden gegenüber sind wir viel zu großzügig. Sind schließlich alles unsere Freunde. Nachdem wir endlich begriffen haben, dass wir nur für das Spritgeld nebst unserem Eigenkonsum ein viel zu großes Risiko eingehen, geben wir es auf.

Einige Monate vor meinem 21. Geburtstag lerne ich Jutta kennen. Sie ist die neue Freundin von Albert, eines gemeinsamen Freundes von Norbert und mir, der uns oft in unserer Wohnung besucht. Ein bildhübsches Mädchen von 19 Jahren mit langen, leicht gewellten dunkelbraunen Haaren. Klein, zierlich, püppchenhaftes Gesicht und einen Busen, der für ihren kleinen Körper etwas zu groß geraten scheint. Sie wirkt auf Jeden der sie zum ersten Mal sieht, wie ein unschuldiges, frühreifes Kind, das eine gewisse Hilflosigkeit ausstrahlt. Arbeitet als Dekorateurin im Kaufhaus Woolworth.

Durch Alberts Beziehung zu Jutta ergibt sich automatisch auch unser Kontakt zu ihr. Zu viert verbringen wir den größten Teil unserer Wochenenden. Mich wundert ein wenig an Jutta, dass sie zugibt, außer uns keine Freunde zu haben. Nur eine Freundin, mit der sie sich einmal im Monat trifft. Doch denke ich nicht weiter darüber nach. Alles läuft gut, bis zu meinem Geburtstag.

Ich veranstalte eine kleine Fete in unserer Wohnung und lade hierzu etwa 15 Personen aus unserem Bekanntenkreis ein. Unter ihnen auch Albert und Jutta. Auf dieser Fete inszeniert Jutta einen Bruch mit Albert, indem sie sich mir regelrecht an den Hals wirft und Albert völlig links liegen lässt.

Albert verlässt demonstrativ unsere Wohnung und solidarisch mit ihm einige weitere Gäste. Ich weiß genau, dass es eine krumme Tour von Jutta ist, genieße es aber für mich, weil sich endlich mal wieder ein Mädchen für mich interessiert. Außer einigen flüchtigen homosexuellen Kontakten und einer gelegentlichen erotischen, aber geschlechtsverkehrlosen Beziehung zu einer lesbischen Freundin, haben sich für mich bis dahin immer noch keine längerfristigen Kontakte ergeben.

Noch am selben Abend schläft Jutta bei mir und mit mir. Ich entdecke erotisches Neuland, Orgasmen bis zur Erschöpfung! Jutta nimmt die Pille und alles ist problemlos.

Und sie kann, genauso wie ich, einfach kein Ende finden. Mir ist es in dieser ersten Nacht mindestens fünfmal gekommen und ihr mindestens zehnmal. Das verstärkt unsere gegenseitige Zuneigung erstmal enorm.

Von dem Tag an sehen wir uns regelmäßig, und ich bin glücklich. Innerlich habe ich mich schon nach einer festen Beziehung gesehnt. Nach Zärtlichkeit, Geborgenheit und natürlich auch nach Erotik. Sehr schnell schmieden wir Pläne für eine gemeinsame Wohnung.

Nur ohne Heirat, oder zumindest Verlobung ist das nicht drin! Es ist fast unmöglich, einen Vermieter zu finden, der unverheiratete Pärchen in sein Haus ziehen lässt. Wenn sie es gewollt hätte, wäre ich in meiner Verliebtheit im Stande gewesen, sie auf der Stelle zu heiraten.

So suche ich erstmal intensiv nach einer gemeinsamen Wohnung, Es dauert fast vier Monate, bis ich eine geeignete finde und darin einziehe, um das traute Heim vorzubereiten.

Ihren und meinen Eltern kündigen wir unsere Verlobung an. Wir kaufen uns Ringe, werden aber von unseren Eltern nicht richtig ernst genommen. Juttas Eltern hätten erleichtert sein müssen, wenn Jutta zu mir gezogen wäre. Sie leben mit fünf Kindern, Jutta ist die Älteste, in einer viel zu kleinen Wohnung. Doch Juttas Vater, ein netter, verständnisvoller Mann, macht den Kompromissvorschlag, bis Ende des Jahres abzuwarten. Sollte unsere Beziehung bis dahin noch genau so gut sein, darf sie bei mir einziehen. Wir fügen uns brav und wollen warten. Immerhin ist man erst mit einundzwanzig Jahren volljährig.

Unsere Beziehung klappt prima. Die intensive Verliebtheitsphase verläuft völlig stressfrei.

Das einzige, was mich nervt, sind ihre Lügereien bei vielen Kleinigkeiten. Mit fällt es nicht auf, dass sie mich belügt. In der Regel sind es ihre Eltern, denen sie schon bei unwesentlichen Kleinigkeiten die tollsten Geschichten erzählt. Einfach nur so. Und sie erwartet von mir volle Rückendeckung bei eventuellen Rückfragen ihrer Eltern. Mir ist das peinlich, und wenn ich den Versuch starte, mit ihr darüber zu reden, weicht sie mir aus. Oder wird böse, von wegen:

"Das geht dich nichts an."

Ich verkneife mir erstmal die Diskussionen darüber und führe es auf ihr Alter zurück. Sie ist ja noch jung, denke ich bei mir. In ein, zwei Jährchen, wenn sie etwas reifer wird, lässt das bestimmt von alleine nach.

Der erste "dicke" Stress beginnt, nachdem ich bereits einige Wochen in unserer zukünftigen gemeinsamen Wohnung lebe. Aufhänger ist mein größtes Laster, das Dope!

Wir sitzen zusammen in einer Wiesdorfer Szenenkneipe als Georg, immer noch mein engster Freund, uns auf einen Joint in sein Auto einlädt. Jutta macht plötzlich ein langes Gesicht.

"Ich will nicht, dass du mitgehst und rauchst."

"Aber warum denn nicht? Den ganzen Tag hab ich nichts geraucht und sonst kommen auch nie Einwände von Dir. Im Gegenteil, meistens rauchst Du doch gerne mit. Du kannst mitkommen, Georg hat uns beide eingeladen.

"Das ist mir egal. Ich hab mir das überlegt. Ich werde in Zukunft nicht mehr rauchen und für Dich ist das auch besser."

"Ich versteh dich nicht. Du weißt doch, dass ich das nie übertreibe. In fünf Minuten bin ich wieder zurück."

Ich halte das für eine Laune, die sich bald wieder legt. Und so geh ich allein mit Georg mit. Als ich zurückkomme, sehe ich, dass Jutta nicht mehr da ist. Vielleicht auf dem Klo?

Doch nach zehn Minuten ist immer noch keine Jutta in Sicht. Ich verabschiede mich von Georg und geh mit schnellem Schritt Richtung Busbahnhof. Da steht sie tatsächlich an der Haltestelle ihres Busses. Wirkt von weitem etwas verloren. Wie ein Kind, das verzweifelt seine Eltern sucht. So lieb wie möglich geh ich auf sie zu.

"Komm, Jutta, sei nicht böse. Ist doch gar nichts Schlimmes passiert. Erzähl mir ruhig mal, was Du dir so alles überlegt hast."

Nicht die geringste Reaktion. Sie steht einfach da, glotzt geradeaus und als ich mich vor sie stelle, guckt sie regelrecht durch mich durch. Ich streichel über ihr Haar.

Sofort schlägt sie meine Hand weg.

"Las mich!" ist das einzige, was sie in einem scharfen Ton von sich gibt. Danach wieder Schweigen. Ich fühle mich hilflos. Keinen Schimmer, was in so einer Situation zu tun ist.

Und mein sanfter Rausch, die Wurzel des Übels, ist jetzt natürlich hinderlich. So fasse ich den Entschluss, ebenfalls zu schweigen und Zuneigung zu zeigen. Bisher habe ich sie immer nach Hause gebracht, warum nicht auch heute.

Als der Bus kommt, steigen wir beide ein. Unterwegs gebe ich mir noch mal einen Ruck und streichel ihren Arm.

"Ich hab gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!"

Ich bin richtig erschrocken, so giftig zischt sie mich an. Echte Wut spiegelt sich in ihrem Gesicht. Mir kommen Zweifel und was noch schlimmer ist, Schuldgefühle! Ganz elend ist mir zumute. Ich begleite sie noch zur Wohnung ihrer Eltern, um meine Zuneigung weiterhin zu zeigen, und mache mich ebenso wortlos auf den Nachhauseweg.

Eine ganze Woche lässt sie sich nicht bei mir blicken. Hab auch meinerseits keine Lust, mich mit ihr in Verbindung zu setzen. Fühl mich zwar schuldig, sehe aber nicht ein, dass ich von einem auf den anderen Tag, nur weil Jutta es so will, etwas aufgebe, was ich gerne mache.

Einige Tage später klingelt abends meine Türglocke. Ich drücke den Summer und sehe Jutta die Treppe rauskommen.

"Hey, hallo Günther", ruft sie mir freundlich entgegen. Ich bin erleichtert. Sie küsst mich auf die Wange und tritt ein.

"Na, was hast du in den letzten Tagen so getrieben?"

"Och,

das

Übliche.

War

mit

Georg

unterwegs

und

zweimal

auf

einer

Gewerkschaftssammlung."

"Und, hast du geraucht?"

Die Frage kommt zu plötzlich. In .Sekundenbruchteilen muss ich mich entscheiden, damit es nicht auffällt. Ich lüge.

"Nein. "

Sie fällt mir sofort um den Hals und bedeckt mich mit Küssen.

"Hab mir schon gedacht, dass du vernünftig wirst, wenn ich dir ein paar Tage Zeit zum Nachdenken lasse. Wenn du doch geraucht hättest, wäre ich sofort wieder nach Hause gefahren. Dann wär’s aus gewesen mit uns. Doch jetzt will ich dich belohnen."

Ihre Hand öffnet sofort den Reißverschluss meiner Hose.

Was sollte ich davon halten? Eigentlich eine ganz klare Erpressung. Oder so was Ähnliches wie Hundedressur. Wenn du schön tust, was ich sage, belohne ich dich, und wenn du dich sträubst, bestrafe ich dich. Verlieren will ich sie nicht und ausgehungert nach Sex bin ich auch. So wird unser Bett an diesem Abend zum Versöhnungsort.

Um zukünftigen Stress zu vermeiden, nehme ich mir naiver weise vor, heimlich zu rauchen. Funktioniert auch anfangs ganz gut, wir verstehen uns wieder prima. Doch ein neues Problem taucht auf: Eifersucht! Bevor wir uns kennen lernten, erzählte ich ihr oft, wie unerfahren ich im sexuellen Bereich bin. Und plötzlich glaubt sie mir nicht mehr.

Sieht in jedem Mädchen aus meinem Freundeskreis eine Nebenbuhlerin und unterstellt mir Verhältnisse. Mit Engelszungen rede ich auf sie ein, kann sie aber nur zum Teil beschwichtigen.

Und wieder schiebe ich es auf ihre Jugend und denke: Lass sie erstmal etwas älter werden und bei mir wohnen, dann wird sich schon alles zum Besten wenden.

Und wie das Schicksal es so will, entdeckt sie eines Tages, wir sitzen in einer der Szenenkneipen, gerötete Augen bei mir. Sofort ist sie wütend.

"Du hast geraucht!"

"Ja, heute Mittag. Aber nur einen ganz kleinen Zug."

"Du bist ein Schwein. Zuerst versprichst du mir, aufzuhören, und dann machst du es doch. Jetzt weiß ich endlich, was ich von dir zu halten habe."

Vor lauter Wut stehen Tränen in ihren Augen.

"Was soll denn der Quatsch. Ich find das überhaupt nicht schlimm. Die ganzen Wochen hab ich ausgesetzt und nur, weil ich mir heute einen Zug genehmigt hab, machst du so ein Theater."

Plötzlich fängt sie an zu schreien. Das ganze Lokal wird auf uns aufmerksam.

"Du bist ein verdammtes, widerliches Schwein!“

Dann Schluchzen, das immer stärker wird, und vor den Augen aller sackt sie zusammen!

Bleibt regungslos am Boden liegen.

"Schnell, ruf einen Notarztwagen", hör ich einen der Gäste dem Keeper zurufen. Alle starren mich an, als hätte ich sie umgebracht. So ähnlich fühl ich mich auch. In diesem Moment kommt Georg rein.

"Las gut sein", ruf ich sofort dem Keeper zu. "Ich bring sie selber weg. Komm, Georg, las sie uns ins Auto bringen."

"Was ist denn passiert?"

"Erzähl ich dir später."

Unterwegs messe ich ihren Puls. 120 Schläge pro Minute! Die gleiche Frage im Krankenhaus.

"Wir haben uns gestritten, sie wurde hysterisch und ist zusammengeklappt“, gebe ich zur Antwort.

"Hat sie das öfters?"

"Weiß ich nicht. Ich hab das heute zum ersten Mal erlebt."

Man gibt ihr eine Spritze und nach einigen Minuten kommt sie wieder auf die Beine.

Schweigend und weiß wie eine Wand. Georg und ich fahren sie nach Hause. Den ganzen Weg über gibt sie kein einziges Wort von sich. Und wieder fühle ich mich schuldig.

Am nächsten Tag ruft sie mich an.

"Hallo Günther. Ich halte es für besser, wenn wir uns trennen."

Ihre Stimme klingt richtig heiter, als wenn es ihr Spaß machen würde, mir das zu erzählen. Ich kann mir keinen Reim daraus machen. Warte, ob sie noch mehr erzählt.

Doch es kommt nichts, obwohl sie immer noch dran ist. Ich breche das Schweigen.

"In etwa hab ich damit gerechnet. Ist zwar traurig, aber bestimmt besser so."

Klick! Aufgelegt! Naja, wenigstens keine großen Diskussionen.

Mit unserem Vermieter muss ich mir allerdings was einfallen lassen. Wenn wirklich Schluss ist, kann ich die Wohnung verlieren. Der Mietvertrag läuft auch auf ihren Namen.

Aber erstmal nicht dran denken.

Die nächsten Tage verbringe ich wie gewohnt mit Georg. Momentan wohnt er mit Conny zusammen. Ein nicht sehr intelligentes, aber erträgliches Mädchen. Er hat auch eine Menge Probleme mit ihr, allerdings völlig anderer Natur. Irgendwie fehlt mir die Lust, mich in Wiesdorf rumzutreiben, und so sitzen wir meistens in ihrer gemeinsamen Wohnung. Spielen Karten, trinken Wein und gehen auch schon mal für ein Stündchen im nahe gelegenen Wald spazieren.

Etwa zwei Wochen nach meiner Trennung, an einem Freitag, ruft Georg mich mittags im Labor an.

"Kommst du heute Abend wieder vorbei?"

"Klar, wenn du meinst."

"Prima. Ich hab zwei Trips aufgetrieben. Wir könnten sie in Orangensaft auflösen und zusammen mit Conny teilen."

"Super. Ich freu mich. Gegen Sieben steh ich bei dir auf der Matte."

Das ist wenigstens mal wieder eine Abwechslung. Schon mehr als sechs Monate hab ich kein LSD mehr zu mir genommen. Es gab kaum noch welches auf dem Markt, und wegen Jutta hab ich mich auch nicht mehr darum bemüht.

Abends läuft alles wie besprochen. Auch Conny freut sich. Wir kommen alle drei total gut drauf und haben einen Mordsspaß zusammen. Nur die Wohnung wird plötzlich zu eng und ist nicht mehr zu ertragen. Ich mache deshalb den Vorschlag, zu Fuß nach Wiesdorf zu gehen. Es sind zwar acht Kilometer, doch unter LSD kann man ohne Probleme noch weitere Strecken bewältigen. Beide stimmen zu und wir marschieren los.

In Wiesdorf angekommen wird sofort unsere Stammkneipe angesteuert. Ausgerechnet heute haufenweise Bekannte unter den Gästen. Wir haben alle drei nicht die geringste Lust, uns auf irgendwelche Gespräche einzulassen. Doch etliche Male hör ich aus irgendeiner Ecke:

"Hallo Günther, wo ist denn Jutta heute?"

Oder:

"Warum bist du denn heute alleine? Hatte Jutta keine Lust, mitzukommen?"

Völlig genervt gebe ich jedes Mal ein "Keine Ahnung" zur Antwort und steuere sofort auf den einzigen noch freien Tisch zu. Wir setzen uns.

Immer noch recht starke, nicht enden wollender Halluzinationen. Auf dem Tisch bilden sich ständig Ornamente, die sich im Rhythmus der Musik aufblähen, auseinanderplatzen und wieder neue bilden. Ganz schön heavy. Eine Weile geben wir uns der Atmosphäre hin, gehen gefühlsmäßig in ihr unter. Georg kommt von der Toilette zurück.

"Jutta sitzt da hinten am Tisch. Muss gerade reingekommen sein, als ich pinkeln war. Ist mit ihrer Freundin Heidi zusammen."

Ich stöhne.

"Ist mir im Moment echt egal. Will sich bestimmt genauso am Wochenende amüsieren, wie jeder andere auch. Hat sie denn irgendwas gesagt?"

"Ne, nur gegrüßt."

"Naja, wenn sie da sitzt, hat sie mich bestimmt schon gesehen. Was soll’s. Ist sowieso Schluss."

Doch dem sollte nicht so sein. Einige Minuten später steht sie an unserem Tisch. Wirkt recht bunt aus meiner Perspektive. Ohne Begrüßung spricht sie mich an.

"Kannst du mal mit mir rauskommen? Ich muss mit dir reden."

"Ne, lass mal. Hab ich überhaupt keinen Bock drauf."

"Es ist aber wichtig. Es geht um meine Sachen in der Wohnung."

Das versteh ich überhaupt nicht.

"Ich kenn die Wohnung ganz gut, und ich weiß genau, dass keine Sachen von Dir da sind."

"Natürlich sind Sachen von mir da. Komm jetzt endlich."

Sie ist richtig ärgerlich und zieht mich am Arm.

"Na gut", sag ich und bin gespannt, was sie wohl meint.

Hätte ich mehr Erfahrung mit der weiblichen Psyche, wäre ich wahrscheinlich sofort drauf gekommen. Kaum sind wir draußen, fällt sie mir um den Hals. Und heult!

"Mir tut das alles schrecklich leid. Ich wollte nicht so gemein zu dir sein. Ich hab dich doch lieb. Seit einer Woche geh ich schon jeden Tag hierhin, nur um dich zu treffen."

Usw., usw. Zwischendurch hemmungsloses Schluchzen. Ich bin richtig gerührt und bringe kein Wort raus. Aber sie.

"Las uns bitte zu dir nach Hause fahren. Ich will heute Nacht gerne bei dir bleiben."

Jetzt muss ich mit offenen Karten spielen.

"Nach langer Zeit hab ich gerade heute LSD genommen. Willst du immer noch mit?"

Sie ist die Liebenswürdigkeit in Person. Ich kann’s kaum fassen.

"Klar. Find ich gar nicht so schlimm. Ich werd auch nicht mehr meckern, wenn du rauchst. Aber übertreibs nicht!"

"Das hab ich noch nie. Las uns wieder reingehen und den anderen Bescheid sagen, dass wir abhauen."

So beginnt unsere Beziehung von neuem. Das gesamte Wochenende kommen wir kaum aus dem Bett. Leider sollte ich mich noch oft an dieses Wochenende erinnern und mich darüber ärgern, dass ich mich drauf einließ.

Bis zum Jahresende, die Zeit, wo sie noch bei ihren Eltern wohnt, hört der Stress wegen dem Rauchen auf. Doch dafür gibt es ständig Reibereien wegen anderer Dinge.

Hauptsächlich Eifersucht. Die verstärkt sich eher, obwohl völlig grundlos.

Ich bin viel zu bequem, um mich um andere Mädchen zu bemühen. Hinzu kommt ihre chronische Lügerei, die sich nach ihren Eltern nun auch auf mich auswirkt. Mir fällt dabei auf, dass sie sich manchmal so stark in Lügengeschichten hineinsteigert, dass ihr die Wahrheit nicht mehr bewusst, bzw. völlig aus ihrem Gedächtnis gelöscht ist. Gebe ich mir Mühe, ihr die Wahrheit zu verdeutlichen, endet es mit Hysterie. Also las ich es und geh dem Problem aus dem Weg. Und wie so oft sage ich mir:

Lass sie erst mal bei dir wohnen, dann hört das alles auf. Dann kennt sie deinen Lebensrhythmus besser und merkt, dass dir andere Frauen egal sind. Und wenn das mit dem Lügen nicht nachlässt, gehst du mit ihr zu einem Psychiater.

Das Verrückte ist, ich glaub selber dran. Glaube, dass Reife den Charakter verändert und Liebe psychische Störungen heilt?!

Anfang Januar 1976 zieht sie bei mir ein. Meine Hoffnung erfüllt sich in den ersten Wochen. Es macht ihr Spaß, nicht mehr ans Elternhaus gebunden zu sein. Sie ist nett, freundlich und verschönert die Wohnung. Was Inneneinrichtung angeht, bin ich absoluter Laie und kann keinerlei Faible dafür entwickeln. Jutta hingegen, als gelernte Dekorateurin, stellt ihre beruflichen Fähigkeiten unter Beweis.

Jeden Morgen fahren wir mit dem gleichen Bus zur Arbeit, sind abends etwa zur gleichen Zeit zu Hause und gehen kaum noch aus. Oft hocken wir vor dem Fernseher, oder wir vertreiben uns sonst wie miteinander die Zeit. Trautes Heim, Glück allein. Hauptsächlich aus Sparsamkeitsgründen. Wir schmieden gemeinsam Urlaubspläne. Wollen zum Nordkap und brauchen ein Auto dafür.

Zu dem Zeitpunkt verdient sie knapp 700 Mark netto - Dekorateur ist allgemein ein schlecht bezahlter Beruf - ich etwa das Doppelte. Es reicht zwar, um neben der Miete ein Auto zu unterhalten, jedoch nicht, um noch irgendwelche Möbel zu kaufen. Doch darauf legen wir beide keinen besonderen Wert. Das Auto ist uns wichtiger. Alles, was in unserer Wohnung steht, ist entweder vom Sperrmüll oder geschenkt. Wir schlafen zusammen in einem uralten Sprungfederbett, ein Geschenk ihrer Oma, von 90 cm Breite und sind zufrieden damit.

Doch je länger wir zusammen leben, desto mehr merke ich, was ich die ganze Zeit unbewusst verdränge. Ihr Lügen hört nicht auf und auch die Eifersucht wird ständig schlimmer. Sogar so schlimm, dass ich mit dem dicksten Stress rechnen muss, wenn ich auf der Straße ein anderes Mädchen nur anschaue, oder mich, mit einer weiblichen Person aus unserem Bekanntenkreis zu lange unterhalte. Es wirkt sich sogar auf männliche Personen aus. Ob wir zu Hause Besuch haben oder bei Bekannten eingeladen sind, ich kriege Ärger, sobald ich mich mit jemandem länger als einige Minuten unterhalte. Jutta fühlt sich sofort vernachlässigt. Ist von sich aus nicht in der Lage, auf andere Personen zuzugehen und sich ihrerseits zu unterhalten.

Und wieder kommt etwas Neues zum üblichen Stress hinzu. Sie gewöhnt sich an, mich für fast alles, was ich ihr ihrer Meinung nach "antue", zu bestrafen. Ab und zu mit Zärtlichkeitsentzug und manchmal, indem sie Dinge, die mir gehören, kaputtmacht oder verschwinden lässt. Auch bekommt sie auf der Straße oder in Lokalen hysterische Anfälle, oder sie beteiligt sich tagelang nicht an der Hausarbeit. Ich fange so langsam an zu verzweifeln. Überlege ernsthaft, ob ich sie schlagen soll. Bringe das aber als eingefleischter Pazifist nicht fertig.

So versuche ich mit meinen schwachen Psychologie-Kenntnissen, Jutta zu analysieren.

Als Älteste von fünf Kindern in einer viel zu kleinen Wohnung aufgewachsen, hat sich durch immer neue Säuglinge ständig von den Eltern vernachlässigt gefühlt, sucht jetzt in mir, neben dem Mann, auch einen Vaterersatz usw.

Ich gebe mir Mühe, mit Jutta darüber zu reden. Sie bestätigt sogar den größten Teil meiner Theorien und meint, ich soll ihr Zeit lassen. Mir gibt dass Hoffnung. Doch verzweifle ich erneut als ich sie auf ihre Lügen anspreche. Sie streitet diese entschieden ab und wird böse. Was soll ich machen? Eine neue Lüge! Damit es nicht schlimmer wird, wechsel ich das Thema. So klammere ich mich monatelang weiter daran, dass ich ihr nur Zeit lassen muss. Zeit, um selbständig zu werden?

Die Fahrt zum Nordkap wird eine richtige Erholung vom Beziehungsstress. Jedenfalls empfinde ich es als Erholung, in drei Wochen nur zweimal von ihr "bestraft" zu werden.

Einmal habe ich es gewagt, mich mit einem Mädchen in Finnland zu lange zu unterhalten und werde daraufhin prompt am gleichen Abend aus der Sauna, die wir besuchen, ausgesperrt. Als ich nach dem ersten Schwitzen in den See springe und anschließend wieder rein will, ist die Tür von innen verriegelt. Splitternackt stehe ich draußen und hämmere vergeblich gegen die Tür. Der halbe Campingplatz wird auf mich aufmerksam.

Muss ein lächerliches Bild gewesen sein!

Auf der Autobahn in Schweden, Jutta sitzt gerade am Steuer, fährt vor uns ein Bus mit 10-12 jährigen Mädchen. Kindern! Die Mädchen winken und ich winke zurück. Das ist ein Fehler!

Mit einem Ruck reißt Jutta, etwa bei Tempo 100, das Lenkrad zur Seite und bringt den Wagen ins Schleudern. Nur durch einen absolut glücklichen Zufall ist nichts passiert.

Ich hab’s nicht fertig gebracht, sie zu verprügeln, und genauso wenig, sie zu verlassen.

Wie schwach ich bin, zeigt sich etwa 9 Monate später. Gelegentlich erhalten wir Besuch von unseren Eltern. Für ihre Eltern und auch für meine ist es unverständlich, in einem gemeinsamen Hausstand zu leben, ohne "anständige" Möbel zu besitzen. Und es ist höchst unschicklich, zusammen zu leben, ohne verheiratet zu sein. Auch unser Vermieter meldet sich dahingehend öfter und droht mit Kündigung, falls wir nicht bald das Aufgebot bestellen. Unsere Eltern machen es uns auf andere Weise schmackhaft.

Meine: „Wenn ihr heiratet, richten wir euch komplett das Wohnzimmer ein. Mit Teppichboden!“

Ihre: „Wenn ihr heiratet, richten wir euch das Schlafzimmer ein. Mit großem französischen Bett!“

Ein Teufelskreis! Und Jutta schnurrt und gurrt. Ist so lieb wie noch nie. Ich will eigentlich nicht. In mir sträubt sich alles dagegen. Doch ein großes Bett ist schon toll, vom Teppich im Wohnzimmer ganz zu schweigen. Und Jutta ist ja immer noch jung, ändert sich bestimmt, wenn man ihr Zeit lässt. Zudem steht es für mich fest, dass ich im Herbst meinen Job bei Bayer kündige, um mich auf einer Chemotechniker-Schule weiterzubilden. Mit der Arbeitsamt-Unterstützung, die ich dann erhalte, ist nicht mal mehr das Auto drin. Und wenn schon ohne Auto mit wenig Geld leben, ist es in einer toll eingerichteten Wohnung angenehmer zu ertragen. All diese Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, bevor ich letztendlich zusage.

Am Polterabend merke ich am deutlichsten, wie schwach und feige ich bin. Da unsere Wohnung viel zu klein ist um alle Gäste aufzunehmen, richte ich unsere Garage als Partyraum ein. Dort soll sich der Trubel abspielen. Für die menschlichen Bedürfnisse der männlichen Gäste steht der Garten zur Verfügung, wogegen die weiblichen Gäste die Toilette im Hausflur benutzen sollen. Mindestens hundert Leute erscheinen an diesem Abend. Der größte Teil bringt Geschenke mit. Meine Aufgabe zu Beginn des Abends besteht hauptsächlich darin, die Geschenke in Empfang zu nehmen und rauf in die Wohnung zu befördern. Treppe rauf, Treppe runter. Nicht sehr abwechslungsreich, macht aber Spaß, wenn es um Geschenke geht.

Auf einem der häufigen Rückwege zur Garage öffnet sich die Toilettentür im Flur und ich sehe Birgit vor mir, ein Mädchen aus meiner Ex-Laborantenklasse. Ich freue mich, sie hier zu treffen, da ich bis dahin noch kein einziges Wort mit ihr wechseln konnte. Auf diese Weise beginnt ein kleiner belangloser Plausch im Hausflur. Kurze Zeit später erlischt das Flurlicht - wie so oft in Hausfluren eine 2-Minuten-Schaltung - und ich gebe mir keine Mühe, erneut auf den Schalter zu drücken. Durch die noch offene Toilettentür fällt genug Licht auf uns. Es vergehen nur einige Minuten, bis das Flurlicht wieder angeht und jemand die Treppe heraufkommt.

Jutta!

In meinem Kopf rast es. Ich weiß genau, was sie jetzt denkt! Hab von allein schon keine Lust mehr, mich weiter mit Birgit zu unterhalten. Sehe auch an Juttas langem Gesicht, dass sich mein Gedankengang bestätigt. Und ich weiß genau, dass alle Diskussionen mit ihr darüber völlig sinnlos sind. Birgit merkt auch sofort, was los ist, und so gehen wir gemeinsam runter und mischen uns unter die Gäste. Den ganzen restlichen Polterabend verbringe ich mit einem total beschissenen Gefühl im Magen und gebe mir Mühe, Jutta aus dem Weg zu gehen. Habe Angst vor dem, was eventuell kommt. Auch Jutta geht mir aus dem Weg. Bei dem Trubel eine Kleinigkeit.

In dieser Nacht sind wir allerdings nicht allein in der Wohnung. Meine Eltern nächtigen im Wohnzimmer, welches nur durch einen Bambusvorhang von unserem Schlafzimmer getrennt ist. Das gibt mir Hoffnung auf eine ruhige Nacht.

Doch ich täusche mich. Wir liegen kaum nebeneinander im Bett - im neuen Französischen - gerade ist das letzte Licht gelöscht, da geht’s los. Laut! Damit meine Eltern auch nichts versäumen.

"Du Schwein! Ich hab genau gesehen, was Du mit ihr gemacht hast."

Ihre Phantasie scheint keine Grenzen zu kennen.

"Du kannst gar nichts anderes gesehen haben, als eine belanglose Plauderei. Ich hab sie nicht mal berührt.“

"Lüg mich nicht an. Du bist eine ganz gemeine Sau. Du hast sie geküsst und wer weiß, was Du noch alles mit ihr getrieben hast."

In ihren Augen stehen die üblichen Tränen und blanker Hass. Ich versuche, ganz ruhig zu bleiben.

"Die ganze Situation hat im Höchstfall fünf Minuten gedauert. Ich hab nicht im Traum daran gedacht, ihr irgendwie näher zu kommen."

Ihre Stimme wird schrill. Sie schreit noch einmal:

"Du verdammtes, elendes Schwein", und gräbt dann plötzlich, mit einer Wucht, die ich ihr nicht zugetraut hätte, ihre Fingernägel in meine Brust. Diese Reaktion und der darauf folgende Schmerz lassen mich auf der Stelle hellwach werden. Ich knipse das Licht an, sehe, dass meine Brust voller Blut ist und gebe ihr, zum ersten Mal in meinem Leben, reflexartig eine schallende Ohrfeige.

Jutta schaut mich an, als könne sie's nicht fassen, fängt hemmungslos an zu schluchzen und stammelt zwischendurch anklagend die Worte:

"Du hast mich geschlagen! Du hast mich geschlagen!"

So, als hätte ich jetzt ein noch größeres Verbrechen begangen. Ich merke gar nicht, dass in diesem Moment bereits meine Mutter hinter mir steht. Ebenfalls heulend.

"Kinder, Kinder! Was soll denn mit Euch werden? Ihr wollt doch morgen heiraten?!"

Das ist zu viel für mich! Ich springe aus dem Bett, steige wortlos in meine Klamotten und verlasse die Wohnung. Gehe zielstrebig in die Garage und zapf mir aus dem noch nicht geleerten Fass ein großes Bier.

Mein Entschluss steht fest. Ich werde alles platzen lassen! Ich geb die Geschenke wieder zurück und heirate nicht! Ist zwar peinlich, aber so kann ich nicht leben. Ich koche vor Wut.

Aber leider keine Viertelstunde. Jutta steht in der Garagentür. Langsam kommt sie auf mich zu und setzt sich neben mich. Ich bin gewillt, mich auf nichts, aber auf absolut gar nichts, einzulassen.

"Mach mir bitte auch ein Bier."

"Mach dir Dein Bier selber."

"Ich kann das nicht so gut wie du. Zapf mir doch bitte eins."

Ihre Stimme ist weich, kindlich. Ich zapfe.

"Mir tut das alles schrecklich leid. Ich weiß, dass ich Dir Unrecht getan hab. Komm, vertrag Dich wieder mit mir."

"Ich hab die Schnauze gestrichen voll. Du kannst mich mal!"

Und wieder heult sie. Bringt aber zwischendurch Worte zustande.

"Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht hab. Was kann ich denn anderes tun als mich bei dir entschuldigen? Ich lieb Dich doch. Ich will doch nur bei Dir sein."

Sie wirft sich mir um den Hals und schluchzt weiter. Ich werde butterweich und fange an, ihr Haar zu streicheln.

"Weißt du was, Günther? Am liebsten würde ich mit dir ganz, ganz weit weg sein."

Es fehlen nur noch rosa Wölkchen und eine Schnulze von Peter Alexander im Hintergrund. Natürlich heiraten wir am nächsten Tag.

*

Hatte ich in all der langen vorehelichen Zeit noch große Hoffnung auf ein harmonisches Eheleben, so wird diese Hoffnung schon wenige Wochen nach unserer Hochzeit gänzlich zerstört.

Mir kommt es vor, als breitet sich das Gefühl in ihr aus, sie hat mich sicher. Jetzt kann überhaupt nichts mehr passieren, jetzt ist er bis an mein Lebensende an mich gekettet.

Es artet in regelrechtem Psychoterror aus. Die Eifersucht wird so extrem, dass ich schon freiwillig kaum aus dem Haus gehe. Und wenn, will sie unbedingt mit; oder ich muss ihr genau Rechenschaft ablegen, wohin ich gehe und was ich tue. Auch kriegen wir kaum noch Besuch von gemeinsamen Bekannten, ursprünglich alte Freunde von mir. Georg musste kurz vor unserer Hochzeit zum Bund und von den anderen hören wir kaum noch etwas. Den Grund dafür erfahre ich durch Zufall, als ich in der Mittagspause den Jungen eines mit uns befreundeten Pärchens treffe. Ich spreche ihn an:

"Hallo Gerd. Warum hast du dich denn so lange nicht gemeldet? Lass uns doch mal wieder zusammen mit Elke und Jutta was unternehmen. Oder kommt vorbei."

Ziemlich schroff gibt er mir zur Antwort:

"Was soll denn der Quatsch? Du hältst doch sowieso nichts von uns. Findest uns doch stinklangweilig. Mach deinen Kram mal schön alleine."

Ich kann kaum glauben, was ich da höre. Obwohl es im Hinterstübchen irgendwo klingelt.

Doch ich brauch Bestätigung.

"Mein lieber Gerd. Wir kennen uns jetzt fast drei Jahre. Ich bin ziemlich enttäuscht, dass du mir zutraust, solche Dinge von mir zu geben. Mich interessiert, wo du das her hast."

"Als wir das letzte Mal bei euch waren, sagte Jutta uns, kurz bevor wir gegangen sind, wir sollten vorläufig nicht mehr vorbeikommen. Du hättest gesagt, man könnte mit uns sowieso nichts anfangen, traust dich aber nicht, uns das zu sagen."

"Wieso hab ich das denn nicht mitgekriegt? Ich war doch den ganzen Abend dabei."

"Du warst gerade pinkeln bei diesem Wortwechsel."

Das genügt! Da liegt also der Hund begraben! Noch am gleichen Abend stelle ich Jutta zur Rede. Sie streitet nicht nur alles ab, sondern behauptet sogar, Gerd hätte sie noch nie gemocht und mir das Ganze erzählt, um einen Keil zwischen uns zu treiben. Um unsere Ehe kaputtzumachen! Da ich ihr das natürlich nicht abkaufe, und weiterhin Gerds Worten Glauben schenke, endet das Gespräch, wie gewöhnlich, mit einem von Juttas hysterischen Anfällen.

Langsam aber sicher gelange ich an den Punkt, wo für mich das Maß tatsächlich gestrichen voll ist. Ich kann und will nicht so mein ganzes Leben verbringen! Aus der Wohnung kann ich sie nicht rausschmeißen, weil ich wegen des Mietvertrags dann selber ausziehen müsste, und eine neue, eigene Wohnung ist aus finanziellen Gründen auch nicht drin. Es sind nur noch etwa sechs Wochen, bis meine Chemotechniker-Ausbildung beginnt, und mein Einkommen während dieser Zeit auf etwa 700 Mark sinkt.

Vor allem, ob jetzt oder später, eine Scheidung kostet einen Haufen Geld. Und das will ich, bei all dem Schlamassel, den ich bisher mit ihr durchmachen musste, auf gar keinen Fall ausgeben.

So schmiede ich erstmal für mich den Plan, noch weitere zwei Jahre geduldig auszuhalten. Solange, bis meine Chemotechniker-Ausbildung vorüber ist. Und dann, hinter ihrem Rücken, mich in einer anderen Stadt um einen Job bemühen, und bei Nacht und Nebel mit den notwendigsten persönlichen Sachen die Wohnung verlassen.

Abhauen! Ohne dass sie weiß, wo ich zu finden bin! Dieser Plan bzw. dieses Ziel beruhigt meine Nerven enorm. Er tut mir gut, dieser Gedankengang, denn wenn ich zu allem, was Jutta betrifft, schon Ja und Amen sage, halte ich die zwei Jährchen locker aus.

Die Kündigung bei der Firma Bayer und der anschließende Schulbeginn bei der Rheinischen Akademie in Köln sind für mich der Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt.

Es ist schön, wieder Schüler zu sein. Nicht mehr so früh aufstehen, oft nachmittags alleine zu Hause, Zeit genug zum Lernen. Weitere angenehme Begleiterscheinung ist unsere, aus nur acht Schülern bestehende Klasse und etwa hundert jüngere Mädchen, die von der gleichen Schule als PTA’s (Pharmazeutisch technische Assistentinnen) ausgebildet werden.

Und ich nutze meine Freizeit zu Hause zum Lernen. Es macht mir Spaß, und ich kann mich mehr von Jutta distanzieren, indem ich mich in die Bücher verschanze. Es gelingt mir sogar einige Male, wenn Klausuren bevorstehen, Jutta zu überreden, alleine auszugehen, oder ihre Freundin zu besuchen. Als "Preis" dafür muss ich allerdings den gesamten Haushalt alleine führen. Einschließlich Kochen. Immerhin geht sie arbeiten, und ich nicht.

Dass unser Einkommen nur um zehn Mark differiert, zählt dabei nicht. Doch ich trag es gelassen, da ich schon immer gerne gekocht habe und auch das sauber halten der Wohnung belastet mich nicht weiter.

Mein Bekanntenkreis erstreckt sich zu dieser Zeit nur noch auf drei männliche Personen, die mich gelegentlich zu Hause besuchen. Wilfried, ein 17 jähriger Junge aus der Nachbarschaft, der gerne mit mir Schach spielt und ab und zu mit mir raucht. Iwan, ein kleiner witziger Jugoslawe in meinem Alter, der genauso gern Schach spielt wie ich und im Gegensatz zu Wilfried ein gleichwertiger Gegner ist, und letztendlich Gerd, der, mittlerweile ohne Freundin, gerne auf ein Pfeifchen und ein Pläuschchen vorbeikommt.

Georg hat sich beim Bund auf acht Jahre verpflichtet, und da wir beide kein Auto mehr haben, sind wir füreinander schwer erreichbar.

Jutta zieht zwar jedes Mal ein langes Gesicht, wenn einer der drei mich besucht, aber wenigstens macht sie kein Theater. Iwan und Gerd verhalten sich ihr gegenüber relativ cool und ignorieren sie einfach. Wilfried ist der Einigste, mit dem sie auch mal von sich aus ein Gespräch anfängt.

Von Iwan erhalte ich den Tipp, mir doch mal die Noppenstraat in Arnheim anzusehen.

Eine Straße, in der man in jedem Haus offiziell kleinere Mengen Haschisch für den eigenen Gebrauch kaufen könne. Spottbillig und mindestens fünf Sorten zur Auswahl. Ich will es zuerst gar nicht glauben, doch Iwan bietet mir an, einen Wochenendausflug mit seinem Auto dorthin zu unternehmen. Er selbst raucht schon über zwei Jahre nicht mehr.

Akzeptiert es aber bei anderen und hat Lust zu dieser Fahrt und auf das Chinarestaurant gegenüber der Noppenstraat, von dem er sehr schwärmt. Die Fahrt reizt mich natürlich auch und selbst Jutta ist begeistert, endlich mal wieder zu Hause raus zu kommen.

Alles ist genauso, wie Iwan es uns geschildert hat. Eine etwa 100 m lange Sackgasse mit insgesamt zehn Häusern, in deren Erdgeschoß man durch die Fenster eine Art Ladentheke sieht. An diesem Samstagmittag ist allerdings nur in einem der Häuser jemand anzutreffen. Er lehnt aus dem Fenster und fragt uns sofort als wir auf gleicher Höhe sind:

"Hallo, seid ihr hier, um was zu kaufen?"

Wir nicken und er kommt sofort runter, öffnet die Tür und bittet uns rein. Jetzt sehe ich auch, was die provisorischen "Ladentheken“ enthalten, was ich durch die Fenster nicht richtig erkennen konnte. Zumindest diese enthält so an die hundert verschiedene Rauchgeräte. Noch nie zuvor sah ich solch eine Sammlung von Pur-Pfeifen, Shiloms, kleine Wasserpfeifen, Bongs und vieles mehr. Ein überwältigender Anblick für einen leidenschaftlichen Raucher. Der Holländer bemerkt sofort mein Erstaunen und grinst mich an.

"Such dir schon mal eine davon aus. Sie sind zum Probieren der Sorten."

Ich nicke nur. Spiel den Coolen. Er fragt weiter:

"Für welche Sorte interessiert ihr euch denn? Und wie viel wollt ihr kaufen?"

"Schwarzen, wenn der da ist", gebe ich zur Antwort. "Je nach Preis 20-25 Gramm."

Ich habe Glück. Er holt einen Klumpen Afghan, bei dessen Anblick mir das Wasser im Mund zusammenläuft.

"Der kostet drei Mark zwanzig das Gramm. Dies hier sind 22 Gramm. Die kannst du für siebzig Mark haben. Aber probier erstmal."

22 Gramm sind beim Schwarzen vom Volumen her nicht besonders viel, da es eine sehr schwere Sorte ist. Der kleinste Krümel muss schon wirken bei einer durchschnittlichen Qualität. Also kneife ich mit dem Fingernagel ein streichholzkopfgroßes Stück ab, roll es in winzige Würstchen und zieh mir diese mit einem Zug in einer kleinen Pur-Pfeife durch.

Und warte fachmännisch. Gutes Dope wirkt schließlich erst nach etwa zehn Minuten. Ich bereue es nicht. Hab selten so lange gebraucht, bis ich mein Portemonnaie aus der Hose hatte.

Wir verabschieden uns sofort und steuern das Chinarestaurant an. Ich bin zufrieden. Seit ich rauche, habe ich noch nie so preiswert kleinere Mengen von solcher Qualität erworben.

Über zwei Monate komme ich mit diesem Klumpen erstmal aus. Kann alleine wegen der Schule und aus finanziellen Gründen nicht allzu viel rauchen. Will es auch gar nicht.

Doch als das Piece verraucht ist, überrede ich Iwan zu einem nächsten Ausflug.

Von da an fahren wir etwa alle 6-8 Wochen zur Noppenstraat und bringen außer einer kleineren Menge Dope auch Zigaretten und preiswertere Lebensmittel mit nach Deutschland. Manchmal hat Iwan keine Lust oder keine Zeit, leiht mir in solchen Fällen aber sein Auto. An der Grenze gibt es nie Probleme. Jutta, Iwan und ich sehen alle drei nicht wie "potentielle Drogentypen" aus und die Mengen sind jedesmal so klein, dass sie sich problemlos in unseren Mündern verstauen lassen.

Bei den Jungs von der Noppenstraat stellen wir im Laufe der Zeit fest, dass es ihnen lieber ist, wenn sie größere Mengen als unsere Rauchpiece verkaufen können. Sie machen öfters das Angebot, uns Mengen von mehr als einem Kilo ohne Aufpreis nach Deutschland zu liefern. Doch davon wollen wir nichts wissen. Hätten auch gar nicht gewusst, woher wir das Geld dafür nehmen sollen. Und noch mal in meinem Leben kleine Piece in der Szene zu verkaufen, ist ein haarsträubender Gedanke für mich.

Mit Jutta läuft es in dieser, meiner anfänglichen Schulzeit, nicht allzu stressig. Meine Fluchtgedanken helfen eine ganze Menge dabei. Es macht mir allerdings große Sorgen, dass sie wegen etlicher "Krankheiten", die sich bei ihr einstellen, nur noch unregelmäßig arbeiten geht. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Nierenschmerzen und heftige Bauchkrämpfe während der Menstruation sind am häufigsten vertreten.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr ihre Arbeitsstelle absolut zum Hals raushängt. Unter anderem wegen ständiger Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern und dem niedrigen Gehalt. Der Arzt, den sie aufsucht, ist bekannt dafür, dass er lang und gerne krankschreibt. So bleibt sie immer häufiger zu Hause.

Nicht, dass sie mich stört. Sie lässt mich lernen und weiterhin die Hausarbeit machen, da sie ja schließlich krank ist. Liegt meistens im Bett oder geht einkaufen. Meine Hauptsorge ist dabei die Firma "Woolworth", die sich das sicher nicht mehr lange mit ansehen wird.

Ich

kann

mir

ausrechnen,

dass

sich

bei

ihrem

niedrigen

Gehalt

die

Arbeitslosenunterstützung nur auf ein Minimum beläuft.

Ich ahne zu diesem Zeitpunkt noch nicht, auf welche Weise sich dieses und noch einige andere Probleme von alleine lösen sollten.

Die gröβte Ratte in diesem Land

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