Читать книгу Faules Ei - Günther Tabery - Страница 4
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ОглавлениеMartin und Veronika saßen gemeinsam am Frühstückstisch. Er hatte heute Spätschicht im Fotostudio Foto-Schönit und musste erst um 14 Uhr im Ladengeschäft sein. Veronika hatte ihren ersten Kunstkurs in der Kunsthalle Karlsruhe um 12 Uhr. So lasen sie ohne Zeitdruck die Badischen Neuesten Nachrichten und den heute neu erschienenen Kurier. Martin las gerne die Kleinanzeigen. Er liebte es, Schnäppchen zu machen und Einrichtungsgegenstände, Kleider, Möbel und dergleichen billiger zu erwerben. Letzten Sommer hatte er für kleines Geld ein neues, sehr gut erhaltenes Bett für Veronika und ihn erworben. Das hatte ihn höchst erfreut und jedem erzählte er noch wochenlang von dem günstigen Kauf.
„Hier bitte, die Zeitung“, Veronika reichte ihm die BNN über den Tisch. „Gibst du mir dann den Kurier, wenn du ihn ausgelesen hast?“
„Einen Moment noch, du kannst ihn gleich haben.“ Er war noch ganz im Kleinanzeigenteil vertieft. Dann plötzlich las er laut vor: „Wohnungsentrümpelung, Freitag, den 18.05.2017, 17 bis 18 Uhr, Bergstraße 155, bei Dujardin klingeln.“ Er blickte Veronika mit funkelnden Augen an.
Diese begriff nicht, was er damit andeuten wollte. Die Anzeige sagte ihr im ersten Moment nichts.
„Dujardin!“, wiederholte Martin. „Das ist doch der Name des verstorbenen Mannes, von dem Pfarrer Rebler erzählt hatte. Hier steht, dass seine Wohnung entrümpelt wird. Ich möchte da unbedingt hingehen und sehen, wie dieser Mann gewohnt hat.“
„Ach Martin, lass doch gut sein. Lass den Mann in Frieden. Wir haben genug zu tun in der nächsten Zeit.“
„Du musst ja nicht mitkommen, wenn du nicht magst.“
Veronika schaute Martin verärgert an. Sie wusste genau, wenn sich Martin etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte sie dem nichts entgegensetzen. „Glaubst du denn, dass es dort irgendein Geheimnis gibt?“, fragte sie schließlich.
„Nein, nicht wirklich, aber ich bin neugierig. Also, was ist, kommst du mit?“
Widerwillig gab sie nach. Martin freute sich sehr. Vielleicht gibt es etwas zu entdecken, sagte er sich.
Martin und Veronika stiegen ins Auto. Er hatte sich zuvor bei Google-Maps angeschaut, wo in Bruchsal die Wohnung von Otto Dujardin lag. Es ging vorbei am Schlachthof in Richtung Heidelsheim. Martin bog in eine am Rand von Bruchsal gelegene Straße ein. Das Haus war das letzte auf der rechten Seite, kurz bevor die Felder begannen. Da Martin immer sehr pünktlich war und er es hasste, wenn man zu spät kam, waren sie eine Viertelstunde vor der eigentlichen Aktion dort.
„Hier ist es, Bergstraße 155.“ Martin las die Klingelschilder und sogleich fand er auch den Namen Dujardin. Er klingelte. Auch wenn sie etwas zu früh dran waren, hoffte er, dass bereits jemand da war. Er wollte unbedingt der erste sein und sich die Wohnung genau anschauen. Zu spannend erschien es ihm, die Einrichtung zu sehen von jemandem, der offenbar niemanden interessiert hatte. Es erklang ein Summton und die Tür öffnete sich. Sie stiegen hinauf ins zweite Obergeschoss. Eine freundliche, großgewachsene Frau, adrett gekleidet mit dunkelblonden kurzen Haaren und einer randlosen Brille empfing beide in der Eingangstür. Martin klärte ab, dass sie wegen der Entrümpelung gekommen waren. Die Frau nickte und bat Martin und Veronika hinein.
Die Wohnungseinrichtung enttäuschte Martin sehr. Es schien alles sehr normal zu sein. Jedes Zimmer hielt genau das, was der Name versprach. Das Einzige, was Martin auffiel, war, dass alles so penibel aufgeräumt war. Alles war akkurat angeordnet, nichts stand einfach nur so herum. Die Einrichtung war zeitlos, weder modern noch antik. Ein Möbelstück, das Martin ansprechend fand, war ein alter Sekretär, der im Wohnzimmer neben einer großen Topfpflanze stand. Er war das Einzige seiner Art. Martin fragte die Frau, ob er ihn anfassen und öffnen durfte. Die Frau bejahte und sogleich betastete, befühlte er das alte Holz. „Schöne Maserung“, murmelte er. „Ich schätze, dass das Stück aus Kirschholz gefertigt wurde.“ Wieder bejahte die Frau und fügte hinzu, dass er sich wohl gut mit Möbelstücken auskennen würde. Geschmeichelt öffnete Martin die Schubladen. Sie gingen nur schwer auf. Enttäuscht musste Martin feststellen, dass die Schubladen bereits leer geräumt waren. Oberhalb der Schubladen gab es eine Schreibplatte, die aufgeklappt werden konnte. Kleine Fächer, Ablagen und Schublädchen verbargen sich im Inneren. Martin gefiel der Sekretär außerordentlich gut. Und da sich sonst nichts Außergewöhnliches in der Wohnung finden ließ, beratschlagte er mit Veronika, ob sie diesen Sekretär nicht einfach mitnehmen sollten.
„Aber gerne können Sie den Sekretär mitnehmen oder zu einem späteren Zeitpunkt abholen“, stimmte die Frau zu. „Ich reserviere ihn Ihnen bis morgen Abend.“ Martin bedankte sich und erklärte, dass er zum Transport morgen mit einem Freund kommen würde. Das war kein Problem. Sie besprachen einen geeigneten Zeitpunkt, der allen passte. Bevor Martin und Veronika aufbrachen, ging Martin auf die Toilette. In dem großzügig gehaltenen Badezimmer gab es einen mächtigen Spiegelschrank. Neugierig, wie Martin war, öffnete er die Seitentüren. Dort standen zu seiner Freude noch Ottos Hygieneartikel, Parfüms und allerlei Arzneimittel. Der Mann hatte Geschmack, dachte Martin, als er ein bestimmtes Eau de Toilette in die Hand nahm: `Terre d´Hermès´. Das kannte Martin und mochte es sehr gerne. Er stellte es wieder in den Spiegelschrank zurück. Dann nahm er ein Kästchen heraus mit verschiedenen Arzneimittel. Dort waren unter anderem `Aspirin´, `Tantum Verde´ gegen Hals- und Rachenentzündungen, Pflaster und ein Mittel gegen Magenverstimmungen darin. Etwas dürftig, dachte Martin, wir zu Hause haben mehr in unserem Arzneikasten. Da entdeckte er eine Schachtel, die ganz in der hinteren Ecke des Schrankes stand. Er nahm die Schachtel heraus und las: „Penicillin“. Hm, dachte Martin, da hat er wohl eine eitrige Angina gehabt oder sonst etwas Unangenehmes. Erstaunlich war aber, dass es eine große Menge an Penicillin war. Ein Teil war noch da, er hatte wohl nicht alles gebraucht oder er war noch krank, als er seinen Unfall hatte. Er stellte die Schachtel wieder zurück. In der anderen Spiegelseite waren Bürsten, Kämme, Rasierzeug und Cremes. Alles in allem war auch die Einrichtung im Badezimmer nicht sehr aufregend. Etwas enttäuscht drückte er die Spülung und verließ das Zimmer. Martin und Veronika verabschiedeten sich und machten den andern Leuten Platz, die zur Entrümpelung gekommen waren.
Stumm stiegen sie in Martins Corsa. Veronika wusste genau, was Martin im Kopf herumging. Er hatte so gehofft, dass er auf etwas Ungewöhnliches stoßen würde, aber so wie es ausschaute, war dies nicht so.
Sie tröstete ihn damit, dass sie sowieso keine Zeit hätten für Geheimnisse und Ermittlungen, da ihre Hochzeit in drei Wochen stattfinden würde und noch so viel zu organisieren sei. Martin blickte Veronika an. Er wusste, dass sie Recht hatte. Trotzdem fühlte er sich wie ein kleines Kind, dem man gerade die Vorfreude auf ein schönes Geschenk genommen hatte, weil man ihm gesagt hatte, er bekomme zum Geburtstag ein schönes Paar Lackschuhe.
„Alter Grummelwummel!“, Veronika strich ihm über den Kopf. Martin grunzte und startete den Motor.
Es klingelte an der Tür. Veronika öffnete und verkeilte die Eingangstür, sodass sie nicht wieder zufallen konnte. Unten hörte sie das Ächzen und Stöhnen zweier Männer. Nach etwa zehn Minuten kamen Martin und sein Freund Gerald um die Ecke gebogen. Sie trugen den Sekretär hinauf, was ziemlich beschwerlich ausschaute. Veronika konnte nicht mit anpacken, da der Hausflur sehr eng war. Oben angekommen stellten sie den Sekretär im Wohnzimmer ab. Veronika hatte den Platz dafür bereits leergeräumt.
„Er ist nicht so schwer, aber sperrig“, meinte Martin und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. „Vielen Dank, Gerald.“
„Aber bitte, keine Ursache. Ich helfe euch gerne. Es war mir ein Vergnügen.“ Gerald war ein alter Freund von Martin, der direkt aus Bruchsal kam. Mit ihm hatte er schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Einmal waren auch sie in einen Mordfall verwickelt gewesen. Seit dieser Zeit war die Freundschaft noch enger geworden. „Wenn du mich nochmal brauchst, dann melde dich einfach.“
Martin trank noch mit Gerald ein Bier zusammen und erzählte ihm die Geschichte, wie er zu dem Sekretär gekommen war. Aber auch Gerald meinte, dass wahrscheinlich nichts Außergewöhnliches zu finden sei. Ein armer Tropf sei er, der auf unglückliche Weise gestorben war. Nicht hinter jeder Geschichte stecke ein Mordfall. Martin pflichtete ihm bei.
Spät am Abend nahm Martin eine Politur und ein Tuch und machte sich daran, den Sekretär frisch aufzubereiten. Er begann mit den unteren Schubladen. Nach und nach arbeitete er sich nach oben hin vor. Als er eine der kleinen oberen Schubladen öffnete, merkte er, dass er diese ganz herausnehmen konnte, wenn er sie ein bisschen anhob. „Wie praktisch“, sagte er sich. So konnte er die Schublade besser reinigen. Als er den Schacht polierte, stieß er mit der Hand an etwas, was im Inneren, hinter der eigentlichen Schublade postiert war. Er nahm sein Handy, schaltete die Taschenlampenfunktion ein und leuchtete in den Schacht. Dann zog er heraus, was dort hineingelegt wurde. Er legte es auf den Tisch.
„Veronika, komm mal schnell her!“, rief er.
Als Veronika neben ihm stand, zeigte er auf seine Fundsache. Es war ein kleines Notizbuch, ein Bündel Geldscheine mit einem Zettel und eine Fotografie.