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ОглавлениеAm nächsten Tag gegen Mittag klingelte das Telefon. Martin war gerade dabei, sich eine Gemüsepfanne zuzubereiten. Zu seiner Überraschung war es Charlotte Driesig, die ihn wider Erwarten zu einem Vorstellungsgespräch zu sich nach Hause einlud. Martin bejahte sofort und verabredete sich mit ihr zum Kaffee. Gut gelaunt und hoffnungsvoll aß Martin seine mit Fetakäse überbackene Gemüsepfanne. Jetzt heißt es, einen guten Eindruck machen, dachte er. Vor der Verabredung musste er noch ins Fotostudio fahren, um einige Unterlagen und Präsentationsmappen mitzunehmen. Er wollte seinen Chef vorerst nicht über diesen möglichen Auftrag informieren, sondern erst einmal abwarten. Vielleicht täuschte er sich ja und die Annonce hatte mit dem Tod des fremden Mannes nichts zu tun.
Pünktlich um halb vier stand er in der Schubertstraße 25 vor einer großen dreistöckigen Villa. Diese war weiß verputzt und verfügte über große Terrassen im Parterre und ersten Obergeschoss, sowie einen kleinen gemauerten Balkon auf der Längsseite des zweiten Obergeschosses. Zwei große Säulen, die vom Boden hinauf bis zum Dach ragten, umrahmten die große Eingangstüre, die einen massiven und schweren Eindruck machte. Die Villa musste recht alt sein, mutmaßte Martin. Er schätzte sie aus der Zeit um 1900. Machte sie auch einen gewaltigen Eindruck auf Martin, so dachte er doch, dass in Kürze wohl eine Sanierung nötig wäre. Bei genauerem Hinschauen blätterte hier und da der Putz.
Er drückte den Klingelknopf. Kurze Zeit später öffnete eine dunkelhaarige, schöne, junge Frau die Tür.
„Ja bitte?“, vernahm er die Stimme, die er bereits vom Telefon her kannte.
„Ich habe eine Verabredung mit Frau Driesig“, verkündete Martin.
„Einen Moment bitte, kommen Sie doch herein.“ Sie führte ihn in die Halle der Villa, die bis zum Dach hinauf reichte und über eine große Treppe verfügte, die sich an den Wänden empor schlängelte. Dann ließ sie ihn für einen Moment alleine und verschwand durch eine der Türen. Er riss schnell den Mund weit auf und stieß ein leises „Pah“ aus. Jetzt musste er sich zusammenreißen und einen guten Eindruck machen. Schnell hopste er noch einmal und versuchte danach so ruhig wie möglich zu sein. Einen kurzen Moment später kam ihm Charlotte Driesig entgegen. Sie war Anfang bis Mitte Vierzig und hatte blonde kinnlange Haare. Ihre blauen Augen funkelten und ihre großen weißen Zähne strahlten, wenn sie lachte. Ihre Figur war feminin, verfügte aber dennoch über eine gewisse Stärke. Ihre Ausstrahlung erfüllte sogleich den gesamten Raum. „Sie sind Herr Fennberg?“ Freundlich reichte sie ihm zur Begrüßung die Hand. Martin bedankte sich für die Einladung und für das erste Vertrauen. Sie führte ihn in das Wohnzimmer des Hauses. Dieses war groß und hatte an der Stirnseite einen Kamin, der wohlige Wärme abgab. Die Decke war verziert mit farbigem Stuck und bunten Ornamenten. In der Mitte des Raumes stand eine große einladende Couchgarnitur mit grauem Stoffbezug und weißen Kissen auf einem alten Orientteppich. Die Wände waren grün tapeziert und an den Fenstern hingen bodenlange weiße Gardinen. An der anderen Stirnseite des Raumes waren Eichenregale angebracht, die die Bibliothek beherbergten. Davor stand ein Sessel mit einer goldenen Leselampe.
„Bitte, setzen Sie sich.“ Charlotte zeigte auf einen Platz auf der Couch.
„Ich danke Ihnen für die Einladung“, begann er nervös. „Ich muss zugeben, ich dachte, dass Sie mich nicht einladen würden, nachdem ich ohne Anmeldung einfach bei Ihnen angerufen hatte. Umso glücklicher bin ich, das Sie es dann doch getan haben. Ja, hier, wenn Sie wollen, haben Sie erst einmal meine Karte und einen Flyer unseres Fotostudios.“ Er räusperte sich, denn er redete sich gerade um Kopf und Kragen.
Charlotte lächelte ihn an und sagte nichts. Sie nahm den Flyer und sah ihn sich an. Ab und an nickte sie.
„Und hier können Sie sich ein Fotobuch anschauen, mit Bildern, die ich einmal bei einer Hochzeit fotografiert habe.“
Sie schaute sich auch das Fotobuch an und lächelte leicht. Danach blickte sie ihn an und meinte: „Ich habe mit meinem Verlobten gesprochen und ihm von Ihrem Angebot berichtet. Er findet es attraktiv, da Sie nicht nur die Hochzeit, sondern auch die Feierlichkeiten davor fotografieren wollen. Wir möchten gerne unseren Freunden und Verwandten eine bleibende Erinnerung in Form eines Fotobuches schenken. Wenn dies also in Ihrem Angebot enthalten ist, dann würden wir Ihnen vielleicht den Zuschlag erteilen.“
Martin atmete tief durch.
„Da ist die Sache mit dem Preis. Wie viel verlangen Sie für Ihr Angebot?“
Martin musste jetzt auf Nummer sicher gehen und einen nicht zu hohen Preis angeben. Er wollte unbedingt den Auftrag erhalten. Er sagte: „Mein Angebot enthält mehrere Fototermine, auch an den Abenden, wenn Feierlichkeiten stattfinden, und 25 fertig bearbeitete Fotobücher inklusive für 2000 Euro als Komplettpreis.“
Die Augen von Charlotte weiteten sich, als sie das Angebot hörte. „Nun“, antwortete Charlotte nach einer kleinen Denkpause, „leider muss ich Ihnen sagen, dass die Konkurrenz etwas preisgünstiger ist und so vielversprechend Ihr Angebot auch sein mag, ich fürchte, Sie sind leider umsonst hierhergekommen.“ Sie blickte ihn bedauernd an. 2000 Euro waren also zu viel gewesen und die Entscheidung für oder gegen ihn fällte das Geld.
Martins Gesichtszüge verrieten, wie enttäuscht er über diese Entscheidung war. „Und wenn wir preislich noch etwas herunter gehen würden, wäre das vielleicht doch eine Option für Sie?“ Er versuchte fast schon bittend seine Dienste unter Wert zu verkaufen, nur um diesen Auftrag zu erhalten, was bei Charlotte aber genau das Gegenteil bewirkte. Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nein“, sagte sie bestimmt, „ich denke, wir belassen es bei dieser Entscheidung. Es tut mir leid.“ Sie stand auf und deutete an, dass das Gespräch nun vorüber war. „Aber vielen Dank für Ihre Bemühungen.“
Martin und Charlotte reichten sich die Hände. Er packte seine Fotobücher und Flyer ein und fühlte sich unbehaglich. Stumm begleitete sie ihn bis zur schweren Eingangstüre. Als die Tür ins Schloss gefallen war, öffnete sich das Gartentor und eine großgewachsene blonde Frau mit schulterlangen welligen Haaren kam ihm entgegen. Sie nickte freundlich, lächelte und sagte: „Hallo.“ Martin bekam nur ein kleinlautes „Hi“ heraus. Seine Augen blickten in die der jungen Frau und ihm wurde sonderbar zumute. Seine Schritte führten ihn unwillkürlich an ihr vorbei. Gerne wäre er mit ihr ins Gespräch gekommen, aber kaum hatte er den Plan gefasst, sie anzusprechen, war sie bereits im Haus verschwunden. Er blieb stehen und schaute einen Moment auf die eben geschlossene Türe. Dann drehte er sich um und lief mit gemischten Gefühlen davon.