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Prolog: Der Wandel ist hier.

Auf die Gefahr hin, dass Sie mich für verrückt erklären: Ich finde die Skandalmeldungen der jüngsten Zeit einfach großartig. Von Guttenberg bis Griechenland, von BayernLB bis Blatter, von Siemens bis Schlecker: Es ist das reinste Feuerwerk der frohen Botschaften.

Bevor Sie im Dreieck springen: Natürlich freue ich mich nicht darüber, dass unsere Regierenden sich ihre Titel erschleichen, europäische Staaten Bankrott anmelden, internationale Verbände im Geiste des fairen Wettkampfs sich als Sümpfe der Korruption erweisen, deutsche Traditionskonzerne sich Aufträge an ausländischen Märkten durch Schmiergelder erschließen und an jeder Ecke präsente Handelsketten ihre Mitarbeiter ausspionieren. Aber ich freue mich wie ein kleines Kind an Weihnachten darüber, dass diese Sauereien ans Licht der Öffentlichkeit kommen. Und zwar nicht hier und da, sondern jeden Tag, immer öfter, immer aktueller, boom, boom, boom – wie ich schon sagte, das reinste Feuerwerk.

Ich höre es gern krachen, denn auf jeder dieser Baustellen ist Abriss und Neubau angesagt. Und ich habe großen Spaß daran, der Abrissbirne noch einen Schubs zu geben und ihr beim Einschlag zuzuschauen. Noch größeren Spaß aber habe ich, wenn ich in dem ganzen großen Trümmerhaufen die Zeichen einer neuen Zeit aufblitzen sehe: Funkelnde Rohdiamanten, das Leuchten einer neuen Ära aus dem Innersten der falsch verdrahteten Gegenwart, wie Flickering Signals in der Physik. Keine Grenzen kennt meine Freude schließlich, wenn ich mitgestalten kann und dabei sein darf, wenn eine wachsende Wertegemeinschaft ein neues Haus auf dem Fundament baut, auf dem unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft fußt: dem Geist des wahren Unternehmertums – dem Geist der Freiheit, des Fortschritts und der Fantasie.

Doch immer der Reihe nach: Auch wenn ich aus den Ruinen der Baracken, die bereits eingerissen wurden, schon das Leuchten sehe – zunächst einmal haben wir noch kräftig mit dem Abriss zu tun und uns klar zu machen, warum all der Lärm notwendig ist, bevor er sich am Ende zu einer pyrotechnischen Sinfonie fügt und die Puzzleteile sich zu einem sinnvollen Ganzen fügen.

Es muss schlimmer werden, bevor es besser wird

Bringen wir erst einmal Ordnung in das ganze Durcheinander: Die Skandale unserer Zeit sind die ersten verstreuten Takte des Abgesangs der alten Eliten – die ersten Symptome einer todkranken Ethik, die von den Lenkern der alten Schule ihrer Werte beraubt und zum Zweck des Machtmissbrauchs pervertiert wurde.

Was mit der alten Schule gemeint ist, ist eine lange Geschichte. Ich versuche mich kurz zu fassen – und zwar im ersten Teil dieses Buches. Er enthält eine kleine Anatomie der Potenzialbremser und Innovationsverhinderer unserer Zeit. Anhand von Beispielen erläutere ich Ihnen dort zunächst, wie die Zentren der Macht im Allgemeinen und die Köpfe dieser Instanzen im Speziellen alles daran setzen zu verhindern, dass wir – als Gemeinschaft von Bürgern und Konsumenten, von Privatpersonen und Arbeitenden – unsere Werte zurückerobern. Ein intaktes und produktives Wertebewusstsein ist der Anfang jeder Erneuerung, denn der anhaltende Missbrauch jener Grundwerte ist es, der uns täglich zu schaffen macht. Es ist die zerrüttete Ethik der alten Garde, die uns in Ketten legt und den Fortschritt lähmt. Wir müssen im Zusammenhang betrachten, welche Auswirkungen dieser Missbrauch aufseiten der vermeintlich werteprägenden Instanzen der Macht auf unser Leben und unsere Arbeit hat, damit wir verstehen, warum wir unzufrieden sind. Wir müssen unsere Wahrnehmung dafür schärfen, dass es nicht auch, sondern vor allem Werte sind, die unsere Mitarbeiter produktiv und unsere Unternehmen effektiv machen. Das ist der erste Teil des Feuerwerks – noch nicht bunt und schön, aber laut und unübersehbar.

Innovation: Der krisensichere Erfolgsfaktor

Wenn wir diese Fassaden zum Einsturz gebracht haben, wird es Zeit, auf die Suche zu gehen nach den Flickering Signals, den Beispielen des Fortschritts in der Ruine der Ethik, im Schatten der alten Eliten. Naturgemäß äußert sich Fortschritt zuerst da, wo er auch gesellschaftlich gemacht wird: in der Wirtschaft.

Angesichts jüngster Ereignisse kann man über diese Aussage verblüfft sein: Gerade erst erholen wir uns von einer weltumspannenden Finanzkrise, die die deutsche Wirtschaft ebenso erschüttert hat wie den Rest der Welt; eine Krise, die Arbeitsplätze gekostet hat, die uns alle gezwungen hat, unseren Umgang mit Geld und vielleicht sogar ganz individuell unsere Prioritäten im Leben zu überdenken. Und schon steht die nächste Krise vor der Tür – „Lehman, die zweite“ ist im Herbst 2011 in aller Munde. Fakt ist jedoch auch: Jeder gesellschaftlichen Umwälzung, jeder zivilisatorischen Neuerung gehen massive Probleme voraus. Ein auslösendes Moment ist manchmal sogar die Voraussetzung dafür, dass eine Mehrheit darauf drängt, die politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse neu zu durchdenken.

Wie jede Krise bietet uns auch die Erschütterung der Finanzmärkte eine Chance. Sie zeigt uns überdeutlich: Trotz alledem ist genau hier in unserer Marktwirtschaft der Ort, an dem wir die Zukunft finden können, denn Innovation findet genauso wenig an den Börsen statt wie im Wirtschaftsministerium. Eine Finanzkrise ist keine Aussage über die Potenz einer Wirtschaft oder gar Gesellschaft, sondern über die ethische Beschaffenheit einer machttrunkenen „Elite“, die sich an Spekulationen weidet, anstatt die Realwirtschaft zu bedienen.

Als Einzelne stehen wir deshalb an einer Weggabelung: Wir können uns auf die Behebung der Missstände konzentrieren und, soweit es der einzelnen Führungskraft, dem einzelnen Manager, dem einzelnen Angestellten, der einzelnen Privatperson möglich ist, Vorkehrungen für die nächste Krise treffen, kurz: unsere Kräfte darauf bündeln, die Risiken auszugleichen und das Beste zu hoffen. Gewiss ist an dieser Front einiges zu tun, und wir tun auch gut daran, die Politik dabei zu beobachten und daran zu messen, wie sie mit den Gesichtern der Gier zu Gericht geht.

Wir können aber auch den anderen Weg gehen – im Rahmen der Möglichkeiten, die jedem Einzelnen an seinem individuellen Platz in der Gesellschaft und insbesondere in der Wirtschaft zur Verfügung stehen. Und die sind immer größer als wir glauben. Wir können dahin schauen, wo es ungeachtet jeder Krise unleugbar und ungebrochen vorwärts geht und wo, beflügelt durch gemeinsame Werte, jeder Einzelne tatsächlich seinen Beitrag leisten kann: in den Kernbereichen der Realwirtschaft, in den Werkstätten der Innovation, wo Kreativität möglich, erwünscht und sogar existenziell notwendig ist. Dort sitzt die Produktivität des Systems, dort gedeihen die tatsächlichen Potenziale unserer Wirtschaft – denn hier kommt es nicht auf Politik an, sondern auf Lösungen. Dort sitzen kleine Teams, die mit Feuereifer bei der Sache sind und in denen jeder Einzelne an effizientem Fortschritt interessiert ist. Denn dort sitzen wir: im mittleren Management, in der Produktentwicklung, in der Marketingabteilung, in der Personalverwaltung, in der internen und externen Unternehmenskommunikation, in der Herstellung, in der Fertigung am Fließband, in der Geschäftsführung, in der Unternehmensberatung, in kleinen Unternehmen oft an mehreren Stellen, als Gründer in allen Positionen gleichzeitig. Wir sitzen überall. WIR sind verantwortlich für den Fortschritt.

Hier ist der Punkt, an dem das Feuerwerk nicht mehr nur laut, sondern bunt und schön anzusehen ist: Das Feuerwerk der Flickering Signals, das ich im zweiten Teil dieses Buches abbrenne, zeigt Ihnen, wo die Innovation schon heute zu Hause ist, und von welchen Architekten das neue Haus einer fortschrittlichen Wertegemeinschaft gebaut wird auf dem Fundament der Leidenschaft derer, die sie begründen. Ebenso wie die Zeichen des Verfalls der alten Schule erkennt man auch die Pioniere einer neuen Schule nur, wenn man sie im Zusammenhang betrachtet.

Die Mechanik des Fortschritts

Wer angesichts von Finanzkrisen, nie eingelösten Regierungsversprechen, korrupten Bossen und des offensichtlichen Versagens all jener Instanzen, die exakt solche Katastrophen verhindern sollten, noch immer der Ansicht ist, dass Fortschritt und gesellschaftliche Erneuerung von den Mächtigen ausgehen sollten, dem sei gesagt: Vergiss es. Es liegt bei uns. Jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Jede Wirtschaft ist so stark wie ihre Macher. Oben wird der Rahm abgeschöpft, aber unten kommt die Milch raus.

Deshalb liegen auch die Stellschrauben, auf die es ankommt und auf die wir tatsächlich Einfluss haben, unter der lackierten Haube und mittendrin im Aggregat – da, wo die Kraft auf die Straße kommt. Ich will es nicht bestreiten: Auch in diesen Bereichen gibt es eine Vielzahl von hemmenden Faktoren. Wenn das Getriebe hakt, können wir nicht hochschalten. Im Gegensatz zu den Verwerfungen der Macht, die an der Spitze jedes Systems zu Blockaden führen, sind diese Faktoren jedoch in aller Regel weiche Faktoren, denen oft mit wenig Aufwand beizukommen ist. Manchmal allerdings muss in der Tat eine kleine Explosion her, damit der Motor wieder rund läuft.

Im letzten Teil des Buches gebe ich Ihnen deshalb die Zündschnur in die Hand – verbunden mit der ausdrücklichen Ermunterung, Ihr eigenes kleines Feuerwerk zu veranstalten. Oft sind die Lösungsmöglichkeiten ganz simpel und haben doch einen großen Effekt. Wir müssen nicht von vorn anfangen. Vor allem müssen, nein, dürfen wir nicht darauf warten, dass die da oben ihren Job machen, denn dann warten wir auf Godot.

Freude am Wandel

Wir brauchen keine neue Wertediskussion, sondern eine neue Wertekultur für die Gemeinschaft im Allgemeinen und die Wirtschaft im Speziellen. Eine, die Erfolg neu definiert; die Hierarchien neu denkt; die neue Wege der Zusammenarbeit fördert; die Unterschiede begrüßt und Synergien zelebriert; die Initiative honoriert anstatt Verantwortlichkeiten hin- und herzuschieben; die das Funktionieren der Gemeinschaft über das Ego setzt; die Werte transparent kommuniziert, anstatt gezielten Wertemissbrauch zu verschleiern; eine, in der jeder nicht nur seine Werte, sondern auch seinen Wert kennt.

Kurz: eine Unternehmenskultur, in der Werte gelebt werden, anstatt dass man darüber redet. Wir brauchen eine neue Businessethik, die nicht verordnet und aufgeklebt ist, damit das Unternehmen besser aussieht, sondern unsere Arbeit und damit unsere Unternehmen von innen erleuchtet und nach außen strahlen lässt.

Genau jetzt haben wir die einmalige Chance, uns von den Fesseln zu befreien, die uns von den Instanzen der Macht auferlegt wurden. Es ist an der Zeit, Gemeinschaften zu bilden anstatt Eliten zu definieren. Gemeinschaften, die sich nicht an Position, Macht und Status orientieren, sondern die wir an messbaren Erfolgen erkennen, an ihrer Bedeutung für das Gemeinwohl – und dem Grinsen in ihren Gesichtern, wenn es mal wieder richtig laut kracht und die Funken fliegen. So macht man das schließlich bei uns, wenn es eine freiheitliche Revolution zu feiern gilt: Man zündet ein Feuerwerk an.

Die frohe Botschaft dieses Buches lautet: Diese Revolution für eine neue Wertekultur ist bereits im Gange – aus der Wirtschaft heraus in die Gesellschaft hinein. Die eine strahlt dabei auf die andere aus. Von Ihnen ganz zu schweigen: Sie strahlen auf Ihre Mitarbeiter, Ihre Kollegen, Ihre Freunde und Ihre Kinder aus. Und jeder, der ein Feuerwerk veranstaltet, sollte jene, die sich zieren, zum Mitmachen motivieren, nein, mitreißen, damit es alle hören und sehen können:

Der Wandel ist hier.

Haben wir gemeinsam Spaß daran.

Wir statt Gier

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