Читать книгу Nathan der Weise: Ein Dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen - Г. Э. Лессинг, Gotthold Ephraim Lessing - Страница 4
Erster Aufzug
Dritter Auftritt
ОглавлениеNathan und der Derwisch.
Derwisch.
Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!
Nathan.
Bist du's? Bist du es nicht?—In dieser Pracht,
Ein Derwisch!…
Derwisch. Nun? warum denn nicht? Läßt sich
Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?
Nathan.
Ei wohl, genug!—Ich dachte mir nur immer,
Der Derwisch—so der rechte Derwisch—woll'
Aus sich nichts machen lassen.
Derwisch. Beim Propheten
Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
Zwar wenn man muß—
Nathan. Muß! Derwisch!—Derwisch muß?
Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte?
Was müßt' er denn?
Derwisch. Warum man ihn recht bittet,
Und er für gut erkennt: das muß ein Derwisch.
Nathan.
Bei unserm Gott! da sagst du wahr.—Laß dich
Umarmen, Mensch.—Du bist doch noch mein Freund?
Derwisch.
Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?
Nathan.
Trotzdem, was du geworden!
Derwisch. Könnt' ich nicht
Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
Euch ungelegen wäre?
Nathan. Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl
Im Staat, ist nur dein Kleid.
Derwisch. Das auch geehrt
Will sein.—Was meint Ihr? ratet!—Was wär' ich
An Eurem Hofe?
Nathan. Derwisch; weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich—Koch.
Derwisch. Nun ja!
Mein Handwerk bei Euch zu verlernen.—Koch!
Nicht Kellner auch?—Gesteht, daß Saladin
Mich besser kennt.—Schatzmeister bin ich bei—
Ihm worden.
Nathan. Du?—bei ihm?
Derwisch. Versteht:
Des kleinern Schatzes,—denn des größern wartet
Sein Vater noch—des Schatzes für sein Haus.
Nathan.
Sein Haus ist groß.
Derwisch. Und größer, als Ihr glaubt;
Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.
Nathan.
Doch ist den Bettlern Saladin so feind—
Derwisch.
Daß er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen
Sich vorgesetzt,—und sollt' er selbst darüber
Zum Bettler werden.
Nathan. Brav!—So mein ich's eben.
Derwisch.
Er ist's auch schon, trotz einem!—Denn sein Schatz
Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst
Verlaufen—
Nathan. Weil Kanäle sie zum Teil
Verschlingen, die zu füllen oder zu
Verstopfen, gleich unmöglich ist.
Derwisch. Getroffen!
Nathan.
Ich kenne das!
Derwisch. Es taugt nun freilich nichts,
Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's
Noch zehnmal weniger.
Nathan. O nicht doch, Derwisch!
Nicht doch!
Derwisch. Ihr habt gut reden, Ihr!—Kommt an:
Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'
Euch ab.
Nathan. Was bringt dir deine Stelle?
Derwisch. Mir?
Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.
—Denn ist es Ebb' im Schatz,—wie öfters ist,
So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.
Nathan.
Auch Zins vom Zins der Zinsen?
Derwisch. Freilich!
Nathan. Bis
Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.
Derwisch.
Das lockt Euch nicht?—So schreibet unsrer Freundschaft
Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab
Ich sehr auf Euch gerechnet.
Nathan. Wahrlich? Wie
Denn so? wieso denn?
Derwisch. Daß Ihr mir mein Amt
Mit Ehren würdet führen helfen; daß
Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte.—
Ihr schüttelt?
Nathan. Nun, verstehn wir uns nur recht!
Hier gibt's zu unterscheiden.—Du? warum
Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
Was ich vermag, mir stets willkommen.—Aber
Al-Hafi Defterdar des Saladin,
Der—dem—
Derwisch. Erriet ich's nicht? Daß Ihr doch immer
So gut als klug, so klug als weise seid!—
Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
Soll bald geschieden wieder sein.—Seht da
Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
Eh' es verschossen ist, eh' es zu Lumpen
Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
Hängt's in Jerusalem am Nagel, und
Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.
Nathan.
Dir ähnlich g'nug!
Derwisch. Und Schach mit ihnen spiele.
Nathan.
Dein höchstes Gut!
Derwisch. Denkt nur, was mich verführte!—
Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?
Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?
Vermögend wär' im Hui den reichsten Bettler
In einen armen Reichen zu verwandeln?
Nathan.
Das nun wohl nicht.
Derwisch. Weit etwas Abgeschmackters!
Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;
Durch Saladins gutherz'gen Wahn geschmeichelt—
Nathan.
Der war?
Derwisch. "Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern
Zumute sei; ein Bettler habe nur
Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.
Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,
Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab;
Erkundigte so ungestüm sich erst
Nach dem Empfänger; nie zufrieden, daß
Er nur den Mangel kenne, wollt' er auch
Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe
Nach dieser Ursach' filzig abzuwägen.
Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild
Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!
Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,
Die ihre klar und still empfangnen Wasser
So unrein und so sprudelnd wiedergeben.
Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!"—
So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis
Der Gimpel in dem Netze war.—Ich Geck!
Ich eines Gecken Geck!
Nathan. Gemach, mein Derwisch,
Gemach!
Derwisch. Ei was!—Es wär' nicht Geckerei,
Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,
Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und
Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen?
Es wär' nicht Geckerei, des Höchsten Milde,
Die sonder Auswahl über Bös' und Gute
Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein
Und Regen sich verbreitet,—nachzuäffen,
Und nicht des Höchsten immer volle Hand
Zu haben? Was? es wär' nicht Geckerei…
Nathan.
Genug! hör auf!
Derwisch. Laßt meiner Geckerei
Mich doch nur auch erwähnen!—Was? es wäre
Nicht Geckerei, an solchen Geckereien
Die gute Seite dennoch auszuspüren,
Um Anteil, dieser guten Seite wegen,
An dieser Geckerei zu nehmen? He?
Das nicht?
Nathan. Al-Hafi, mache, daß du bald
In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte,
Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch
Zu sein verlernen.
Derwisch. Recht, das fürcht ich auch.
Lebt wohl!
Nathan. So hastig?—Warte doch, Al-Hafi.
Entläuft dir denn die Wüste?—Warte doch!—
Daß er mich hörte!—He, Al-Hafi! hier!—
Weg ist er; und ich hätt' ihn noch so gern
Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,
Daß er ihn kennt.