Читать книгу Hamburgische Dramaturgie - Г. Э. Лессинг, Gotthold Ephraim Lessing - Страница 26

Erster Band
Fuenfundzwanzigstes Stueck Den 24. Julius 1767

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"Essex selbst beteuert seine Unschuld; aber warum will er lieber sterben, als die Koenigin davon ueberzeugen? Seine Feinde haben ihn verleumdet; er kann sie mit einem einzigen Worte zu Boden schlagen; und er tut es nicht. Ist das dem Charakter eines so stolzen Mannes gemaess? Soll er aus Liebe zur Irton so widersinnig handeln: so haette ihn der Dichter durch das ganze Stueck von seiner Leidenschaft mehr bemeistert zeigen muessen. Die Heftigkeit des Affekts kann alles entschuldigen; aber in dieser Heftigkeit sehen wir ihn nicht.

Der Stolz der Koenigin streitet unaufhoerlich mit dem Stolze des Essex; ein solcher Streit kann leicht gefallen. Aber wenn allein dieser Stolz sie handeln laesst, so ist er bei der Elisabeth sowohl als bei dem Grafen, blosser Eigensinn. Er soll mich um Gnade bitten; ich will sie nicht um Gnade bitten; das ist die ewige Leier. Der Zuschauer muss vergessen, dass Elisabeth entweder sehr abgeschmackt oder sehr ungerecht ist, wenn sie verlangt, dass der Graf sich ein Verbrechen soll vergeben lassen, welches er nicht begangen, oder sie nicht untersucht hat. Er muss es vergessen, und er vergisst es wirklich, um sich bloss mit den Gesinnungen des Stolzes zu beschaeftigen, der dem menschlichen Herze so schmeichelhaft ist.

Mit einem Worte: keine einzige Rolle dieses Trauerspiels ist, was sie sein sollte; alle sind verfehlt; und gleichwohl hat es gefallen. Woher dieses Gefallen? Offenbar aus der Situation der Personen, die fuer sich selbst ruehrend ist.—Ein grosser Mann, den man auf das Schafott fuehret, wird immer interessieren; die Vorstellung seines Schicksals macht, auch ohne alle Hilfe der Poesie, Eindruck; ungefaehr eben den Eindruck, den die Wirklichkeit selbst machen wuerde."

So viel liegt fuer den tragischen Dichter an der Wahl des Stoffes. Durch diese allein koennen die schwaechsten, verwirrtesten Stuecke eine Art von Glueck machen; und ich weiss nicht, wie es koemmt, dass es immer solche Stuecke sind, in welchen sich gute Akteurs am vorteilhaftesten zeigen. Selten wird ein Meisterstueck so meisterhaft vorgestellt, als es geschrieben ist; das Mittelmaessige faehrt mit ihnen immer besser. Vielleicht, weil sie in dem Mittelmaessigen mehr von dem ihrigen hinzutun koennen; vielleicht, weil uns das Mittelmaessige mehr Zeit und Ruhe laesst, auf ihr Spiel aufmerksam zu sein; vielleicht, weil in dem Mittelmaessigen alles nur auf einer oder zwei hervorstechenden Personen beruhet, anstatt dass in einem vollkommenem Stuecke oefters eine jede Person ein Hauptakteur sein muesste, und wenn sie es nicht ist, indem sie ihre Rolle verhunzt, zugleich auch die uebrigen verderben hilft.

Beim "Essex" koennen alle diese und mehrere Ursachen zusammenkommen. Weder der Graf noch die Koenigin sind von dem Dichter mit der Staerke geschildert, dass sie durch die Aktion nicht noch weit staerker werden koennten. Essex spricht so stolz nicht, dass ihn der Schauspieler nicht in jeder Stellung, in jeder Gebaerde, in jeder Miene noch stolzer zeigen koennte. Es ist sogar dem Stolze wesentlich, dass er sich weniger durch Worte, als durch das uebrige Betragen aeussert. Seine Worte sind oefters bescheiden, und es laesst sich nur sehen, nicht hoeren, dass es eine stolze Bescheidenheit ist. Diese Rolle muss also notwendig in der Vorstellung gewinnen. Auch die Nebenrollen Mit der Rolle der Elisabeth ist es nicht voellig so; aber doch kann sie auch schwerlich ganz verungluecken. Elisabeth ist so zaertlich als stolz; ich glaube ganz gern, dass ein weibliches Herz beides zugleich sein kann; aber wie eine Aktrice beides gleich gut vorstellen koenne, das begreife ich nicht recht. In der Natur selbst trauen wir einer stolzen Frau nicht viel Zaertlichkeit, und einer zaertlichen nicht viel Stolz zu. Wir trauen es ihr nicht zu, sage ich: denn die Kennzeichen des einen widersprechen den Kennzeichen des andern. Es ist ein Wunder, wenn ihr beide gleich gelaeufig sind; hat sie aber nur die einen vorzueglich in ihrer Gewalt, so kann sie die Leidenschaft, die sich durch die andern ausdrueckt, zwar empfinden, aber schwerlich werden wir ihr glauben, dass sie dieselbe so lebhaft empfindet, als sie sagt. Wie kann eine Aktrice nun weiter gehen als die Natur? Ist sie von einem majestaetischen Wuchse, toent ihre Stimme voller und maennlicher, ist ihr Blick dreist, ist ihre Bewegung schnell und herzhaft: so werden ihr die stolzen Stellen vortrefflich gelingen; aber wie steht es mit den zaertlichen? Ist ihre Figur hingegen weniger imponierend; herrscht in ihren Mienen Sanftmut, in ihren Augen ein bescheidnes Feuer, in ihrer Stimme mehr Wohlklang als Nachdruck; ist in ihrer Bewegung mehr Anstand und Wuerde, als Kraft und Geist: so wird sie den zaertlichen Stellen die voelligste Genuege leisten; aber auch den stolzen? Sie wird sie nicht verderben, ganz gewiss nicht; sie wird sie noch genug absetzen; wir werden eine beleidigte zuernende Liebhaberin in ihr erblicken; nur keine Elisabeth nicht, die Manns genug war, ihren General und Geliebten mit einer Ohrfeige nach Hause zu schicken. Ich meine also, die Aktricen, welche die ganze doppelte Elisabeth uns gleich taeuschend zu zeigen vermoegend waeren, duerften noch seltner sein, als die Elisabeths selber; und wir koennen und muessen uns begnuegen, wenn eine Haelfte nur recht gut gespielt und die andere nicht ganz verwahrloset wird.

Hamburgische Dramaturgie

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