Читать книгу Hamburgische Dramaturgie - Г. Э. Лессинг, Gotthold Ephraim Lessing - Страница 5

Erster Band
Viertes Stueck Den 12. Mai 1767

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Aber von was fuer Art sind die Bewegungen der Haende, mit welchen, in ruhigen Situationen, die Moral gesprochen zu sein liebet?

Von der Chironomie der Alten, das ist, von dem Inbegriffe der Regeln, welche die Alten den Bewegungen der Haende vorgeschrieben hatten, wissen wir nur sehr wenig; aber dieses wissen wir, dass sie die Haendesprache zu einer Vollkommenheit gebracht, von der sich aus dem, was unsere Redner darin zu leisten imstande sind, kaum die Moeglichkeit sollte begreifen lassen. Wir scheinen von dieser ganzen Sprache nichts als ein unartikuliertes Geschrei behalten zu haben; nichts als das Vermoegen, Bewegungen zu machen, ohne zu wissen, wie diesen Bewegungen eine fixierte Bedeutung zu geben, und wie sie untereinander zu verbinden, dass sie nicht bloss eines einzeln Sinnes, sondern eines zusammenhangenden Verstandes faehig werden.

Ich bescheide mich gern, dass man, bei den Alten, den Pantomimen nicht mit dem Schauspieler vermengen muss. Die Haende des Schauspielers waren bei weitem so geschwaetzig nicht, als die Haende des Pantomimens. Bei diesem vertraten sie die Stelle der Sprache; bei jenem sollten sie nur den Nachdruck derselben vermehren und durch ihre Bewegungen, als natuerliche Zeichen der Dinge, den verabredeten Zeichen der Stimme Wahrheit und Leben verschaffen helfen. Bei dem Pantomimen waren die Bewegungen der Haende nicht bloss natuerliche Zeichen; viele derselben hatten eine konventionelle Bedeutung, und dieser musste sich der Schauspieler gaenzlich enthalten.

Er gebrauchte sich also seiner Haende sparsamer, als der Pantomime, aber ebensowenig vergebens, als dieser. Er ruehrte keine Hand, wenn er nichts damit bedeuten oder verstaerken konnte. Er wusste nichts von den gleichgueltigen Bewegungen, durch deren bestaendigen einfoermigen Gebrauch ein so grosser Teil von Schauspielern, besonders das Frauenzimmer, sich das vollkommene Ansehen von Drahtpuppen gibt. Bald mit der rechten, bald mit der linken Hand die Haelfte einer krieplichten Achte, abwaerts vom Koerper, beschreiben, oder mit beiden Haenden zugleich die Luft von sich wegrudern, heisst ihnen, Aktion haben; und wer es mit einer gewissen Tanzmeistergrazie zu tun geuebt ist, oh! der glaubt, uns bezaubern zu koennen.

Ich weiss wohl, dass selbst Hogarth den Schauspielern befiehlt, ihre Hand in schoenen Schlangenlinien bewegen zu lernen; aber nach allen Seiten, mit allen moeglichen Abaenderungen, deren diese Linien, in Ansehung ihres Schwunges, ihrer Groesse und Dauer, faehig sind. Und endlich befiehlt er es ihnen nur zur Uebung, um sich zum Agieren dadurch geschickt zu machen, um den Armen die Biegungen des Reizes gelaeufig zu machen; nicht aber in der Meinung, dass das Agieren selbst in weiter nichts, als in der Beschreibung solcher schoenen Linien, immer nach der naemlichen Direktion, bestehe.

Weg also mit diesem unbedeutenden Portebras, vornehmlich bei moralischen Stellen weg mit ihm! Reiz am unrechten Orte ist Affektation und Grimasse; und ebenderselbe Reiz, zu oft hintereinander wiederholt, wird kalt und endlich ekel. Ich sehe einen Schulknaben sein Spruechelchen aufsagen, wenn der Schauspieler allgemeine Betrachtungen mit der Bewegung, mit welcher man in der Menuet die Hand gibt, mir zureicht, oder seine Moral gleichsam vom Rocken spinnet.

Jede Bewegung, welche die Hand bei moralischen Stellen macht, muss bedeutend sein. Oft kann man bis in das Malerische damit gehen; wenn man nur das Pantomimische vermeidet. Es wird sich vielleicht ein andermal Gelegenheit finden, diese Gradation von bedeutenden zu malerischen, von malerischen zu pantomimischen Gesten, ihren Unterschied und ihren Gebrauch, in Beispielen zu erlaeutern. Itzt wuerde mich dieses zu weit fuehren, und ich merke nur an, dass es unter den bedeutenden Gesten eine Art gibt, die der Schauspieler vor allen Dingen wohl zu beobachten hat, und mit denen er allein der Moral Licht und Leben erteilen kann. Es sind dieses, mit einem Worte, die individualisierenden Gestus. Die Moral ist ein allgemeiner Satz, aus den besondern Umstaenden der handelnden Personen gezogen; durch seine Allgemeinheit wird er gewissermassen der Sache fremd, er wird eine Ausschweifung, deren Beziehung auf das Gegenwaertige von dem weniger aufmerksamen oder weniger scharfsinnigen Zuhoerer nicht bemerkt oder nicht begriffen wird. Wann es daher ein Mittel gibt, diese Beziehung sinnlich zu machen, das Symbolische der Moral wiederum auf das Anschauende zurueckzubringen, und wann dieses Mittel gewisse Gestus sein koennen, so muss sie der Schauspieler ja nicht zu machen versaeumen.

Man wird mich aus einem Exempel am besten verstehen. Ich nehme es, wie mir es itzt beifaellt; der Schauspieler wird sich ohne Muehe auf noch weit einleuchtendere besinnen.—Wenn Olint sich mit der Hoffnung schmeichelt, Gott werde das Herz des Aladin bewegen, dass er so grausam mit den Christen nicht verfahre, als er ihnen gedrohet: so kann Evander, als ein alter Mann, nicht wohl anders, als ihm die Betrueglichkeit unsrer Hoffnungen zu Gemuete fuehren.

"Vertraue nicht, mein Sohn, Hoffnungen, die betriegen!"

Sein Sohn ist ein feuriger Juengling, und in der Jugend ist man vorzueglich geneigt, sich von der Zukunft nur das Beste zu versprechen.

"Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft."

Doch indem besinnt er sich, dass das Alter zu dem entgegengesetzten Fehler nicht weniger geneigt ist; er will den unverzagten Juengling nicht ganz niederschlagen und faehret fort:

"Das Alter quaelt sich selbst, weil es zu wenig hofft."

Diese Sentenzen mit einer gleichgueltigen Aktion, mit einer nichts als schoenen Bewegung des Armes begleiten, wuerde weit schlimmer sein, als sie ganz ohne Aktion hersagen. Die einzige ihnen angemessene Aktion ist die, welche ihre Allgemeinheit wieder auf das Besondere einschraenkt. Die Zeile,

"Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft"

muss in dem Tone, mit dem Gestu der vaeterlichen Warnung, an und gegen den Olint gesprochen werden, weil Olint es ist, dessen unerfahrne leichtglaeubige Jugend bei dem sorgsamen Alten diese Betrachtung veranlasst. Die Zeile hingegen,

"Das Alter quaelt sich selbst, weil es zu wenig hofft"

erfordert den Ton, das Achselzucken, mit dem wir unsere eigene Schwachheiten zu gestehen pflegen, und die Haende muessen sich notwendig gegen die Brust ziehen, um zu bemerken, dass Evander diesen Satz aus eigener Erfahrung habe, dass er selbst der Alte sei, von dem er gelte.

Es ist Zeit, dass ich von dieser Ausschweifung ueber den Vortrag der moralischen Stellen wieder zurueckkomme. Was man Lehrreiches darin findet, hat man lediglich den Beispielen des Herrn Ekhof zu danken; ich habe nichts als von ihnen richtig zu abstrahieren gesucht. Wie leicht, wie angenehm ist es, einem Kuenstler nachzuforschen, dem das Gute nicht bloss gelingt, sondern der es macht!

Die Rolle der Clorinde ward von Madame Henseln gespielt, die ohnstreitig eine von den besten Aktricen ist, welche das deutsche Theater jemals gehabt hat. Ihr besonderer Vorzug ist eine sehr richtige Deklamation; ein falscher Akzent wird ihr schwerlich entwischen; sie weiss den verworrensten, holprigsten, dunke1sten Vers mit einer Leichtigkeit, mit einer Praezision zu sagen, dass er durch ihre Stimme die deutlichste Erklaerung, den vol1staendigsten Kommentar erhaelt. Sie verbindet damit nicht selten ein Raffinement, welches entweder von einer sehr gluecklichen Empfindung, oder von einer sehr richtigen Beurteilung zeuget. Ich glaube die Liebeserklaerung, welche sie dem Olint tut, noch zu hoeren:

    "—Erkenne mich! Ich kann nicht laenger schweigen;

    Verstellung oder Stolz sei niedern Seelen eigen.

    Olint ist in Gefahr, und ich bin ausser mir—

    Bewundernd sah ich oft im Krieg und Schlacht nach dir;

    Mein Herz, das vor sich selbst sich zu entdecken scheute,

    War wider meinen Ruhm und meinen Stolz im Streite.

    Dein Unglueck aber reisst die ganze Seele hin,

    Und itzt erkenn' ich erst, wie klein, wie schwach ich bin.

    Itzt, da dich alle die, die dich verehrten, hassen,

    Da du zur Pein bestimmt, von jedermann verlassen,

    Verbrechern gleichgestellt, ungluecklich und ein Christ,

    Dem furchtbarn Tode nah, im Tod noch elend bist:

    Itzt wag' ich's zu gestehn: itzt kenne meine Triebe!"


Wie frei, wie edel war dieser Ausbruch! Welches Feuer, welche Inbrunst beseelten jeden Ton! Mit welcher Zudringlichkeit, mit welcher Ueberstroemung des Herzens sprach ihr Mitleid! Mit welcher Entschlossenheit ging sie auf das Bekenntnis ihrer Liebe los! Aber wie unerwartet, wie ueberraschend brach sie auf einmal ab und veraenderte auf einmal Stimme und Blick und die ganze Haltung des Koerpers, da es nun darauf ankam, die duerren Worte ihres Bekenntnisses zu sprechen. Die Augen zur Erde geschlagen, nach einem langsamen Seufzer, in dem furchtsamen gezogenen Tone der Verwirrung, kam endlich

"Ich liebe dich, Olint,—"

heraus, und mit einer Wahrheit! Auch der, der nicht weiss, ob die Liebe sich so erklaert, empfand, dass sie sich so erklaeren sollte. Sie entschloss sich als Heldin, ihre Liebe zu gestehen, und gestand sie als ein zaertliches, schamhaftes Weib. So Kriegerin als sie war, so gewoehnt sonst in allem zu maennlichen Sitten: behielt das Weibliche doch hier die Oberhand. Kaum aber waren sie hervor, diese der Sittsamkeit so schwere Worte, und mit eins war auch jener Ton der Freimuetigkeit wieder da. Sie fuhr mit der sorglosesten Lebhaftigkeit, in aller der unbekuemmerten Hitze des Affekts fort:

    "—Und stolz auf meine Liebe,

    Stolz, dass dir meine Macht dein Leben retten kann,

    Biet' ich dir Hand und Herz, und Kron' und Purpur an."


Denn die Liebe aeussert sich nun als grossmuetige Freundschaft: und die Freundschaft spricht ebenso dreist, als schuechtern die Liebe.

Hamburgische Dramaturgie

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