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Melanie

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Welche Gefühle waren besonders signifikant vor dem Einsatz?

Besonders in Erinnerung ist mir die Angst geblieben. Angst, dass unsere Beziehung die Situation nicht aushält. Viel schlimmer war jedoch die Panik, dass ihm etwas passieren könnte. Diese Ängste ließen sich auch nicht abschalten. Sie waren für eine lange Zeit sehr gegenwärtig.

Welche Gefühle waren besonders signifikant während des Einsatz?

Während des Einsatzes überfiel mich so häufig die Einsamkeit. Ich saß alleine auf dem Sofa und die Gedanken fingen an zu kreisen. Oftmals kam dann eins zum anderen und versank immer tiefer in dem Sog der Gedanken.

Welche Gefühle waren besonders signifikant nach dem Einsatz?

Jeder Einsatz hat auch irgendwann ein Ende. Dieses sollte auch bei uns kommen. Ich erinnere mich noch genau daran, dass ich im letzten Einsatzmonat übermäßig aufgeregt war. Ich schmiedete Willkommenspläne und konnte nichts Anderes fühlen, außer große Freude. Nicht mehr lange und es war geschafft. Dann konnte ich "meinen Soldaten" endlich wieder in die Arme schließen.

Gab es besondere Rituale vor dem Einsatz?

Wir hatten keine Rituale vorher, da wir viel zu sehr beschäftigt mit dem waren, was auf uns zukommen sollte.

Gab es besondere Rituale während des Einsatz?

Während des Einsatzes hatten wir ein Ritual: wir haben jeden Sams­tag geskypt. Eine Sache hatte ich für mich persönlich noch, das war aber kein Ritual war, sondern mehr ein Verhalten, welches ich mir zu dieser Zeit angeeignet hatte. Ich habe ihm jeden Tag einen paar Zeilen geschrieben. Mal waren es nur vier Zeilen, ein anderes Mal waren es mehr. Ich habe meine Briefe dann gesammelt und einmal wöchentlich an ihn geschickt.

Gab es besondere Rituale nach dem Einsatz?

Auch nach dem Einsatz hatten wir keine festen Rituale. Wir waren hauptsächlich damit beschäftigt, uns wieder zu finden und die ge­meinsame Zeit zu genießen.

Welche Momente sind dir besonders in Erinnerung ge­blieben und warum?

Besonders der Abschied am Flughafen ist mir in Erinnerung ge­blieben. Es hat nicht viel gefehlt und wir wären zu spät angekom­men. Vor lauter Aufregung und Anspannung haben wir nämlich erst an dem falschen Ort gewartet. Als wir dann endlich den Treff­punkt gefunden hatten, fragte mich der Spieß, ob bei mir alles in Ordnung sei. Weinend jammerte ich ein ‘Nein‘.

Dann kam der Moment, an dem Andreas sein Gepäck aufgeben musste. Die Worte 'nun geht es los' waren schier unbegreiflich und trotz­dem mehr, als real. Wie ferngesteuert, klammerte ich mich an meinen Mann. Ich wollte ihn nicht loslassen, denn das hieß ja, dass ich ihn gehen lassen müsste. Dies galt es zu verhindern. Auch wenn ich wusste, dass es früher oder später doch so kom­men würde, kostete ich den Moment der Nähe aus. Dann kam die Trennung. Er ging in den Boardingbereich und ich schaute ihm nach.

An den Flughäfen gibt es diese Besucherplattformen, wo man die Flugzeuge beobachten kann. Dort habe ich mich hingesetzt und auf den Start gewartet. Mir war einfach noch nicht danach, Heim zu fahren. Noch bevor das Flugzeug startete, telefonierten wir ei­nige Male. Doch auch das ging nicht mehr, als das Flugzeug auf die Startbahn rollte. So saß ich also auf der Besucherplattform und schaute dem Flugzeug, samt meinen geliebten Andreas, noch lan­ge nach, ehe es am weiten Himmel aus meinem Blickfeld ver­schwand.

Es war Zeit für mich, die Heimreise anzutreten. Immer noch total benommen von den ganzen Emotionen, setzte ich mich hinter das Steuer seines Autos. Ich steckte den Schlüssel in das Zündschloss und der Wagen sprang an. Keine fünf Kilometer waren es, die ich zurücklegte, als die Tankleuchte zu blinken begann und mir ver­kündete, dass das Auto auf Reserve fuhr. Eine abstruse Situation. Ich konnte nicht anders und musste lachen. Diese letzte Botschaft von Andreas war typisch.

Welche Probleme sind während des Einsatz aufgetaucht?

Während des Einsatzes gab es nur ein Problem, welches zugleich äußert tragisch war: der Tod seiner Oma.

Zwar deutete sich ihr Sterben schon an, nichts desto Trotz schlummert die Hoffnung in einem, dass es anders kommen würde

.Dann kam aber doch der Anruf seiner Mutter, dass Andreas' Oma von uns gegangen war. Gleichwohl wir uns darauf eingestellt hatten, war es tiefe, traurige Endgültigkeit, welche mit dem Anruf zu mir ge­tragen wurde. Wir beendeten das Gespräch mit den Worten, dass seine Mutter ihn anrufen werde, um ihn diese traurige Botschaft mitzuteilen. So geschah es dann auch und ich wartete eine gefühl­te Ewigkeit auf Andreas' Anruf. Dann klingelte das Telefon. Ich ging dran und wir schwiegen beide, so tief saß die Trauer. Endlich brach er das Schweigen und wir redeten. Wir sprachen über Erin­nerungen, über die gemeinsame Zeit mit seiner Oma. Während wir telefonierten, erzählte er mir, dass er sich bereits schon vor dem Abflug von seiner Oma verabschiedet hatte. Ein Abschied für im­mer. Andreas musste es geahnt haben. Er schrieb noch einen letz­ten Brief an seine verstorbene Großmutter, welchen ich auf der Beerdigung vorlas. Ein sehr emotionaler Augenblick. Nach seiner Ankunft in Deutschland sind wir gemeinsam zu dem Grab gefah­ren, so konnte er noch einmal ganz persönlich Abschied nehmen.

Haben sich auch positive Momente während des Einsatz er­geben?

Kleine Inseln des Glücks haben sich, während der Einsatzzeit auch aus dem Meer der Einsamkeit und des Vermissens, erhoben. Eine, dieser Inseln, waren die Briefe und Päckchen, die wir uns gegen­seitig schickten. Ich war maßlos glücklich, wenn ich im Briefkasten eine Nachricht von ihm fand.

Auf eine andere Art und Weise empfand ich das einander vermissen eben­falls als positiv. Natürlich war es teilweise schier unerträglich, trotzdem hatte es im Nachhinein etwas Gutes. Ich lernte ihn so Wert zu schätzen, wo ich es in anderen Situation, vielleicht als eine Selbstverständlichkeit angesehen hätte. Diese Erkenntnis war für mich persönlich sehr aufschlussreich und hatte etwas Beruhi­gendes.

Wie hast du die Betreuung empfunden? Hast du dich gut in­formiert und vorbereitet gefühlt? Gab es Situationen, die du bemängelst, oder be­sonders gut gefunden hast?

Die Familienbetreuung fand ich als sehr gut. Ich habe mich wäh­rend der Veranstaltungen sehr wohl und auch aufgenommen gefühlt, obwohl ich manchmal alleine dort war. Die Angebote waren ebenfalls toll, es hat richtig Spaß gemacht. Vielleicht lag das aber auch dar­an, dass die Familienbetreuungsstelle von Andreas' Spieß und gu­ten Kameraden geleitet wurde. Dies schaffte eine gewisse Ver­trautheit. Selbst während der Dienstzeit hätte ich weinend zu ih­nen hingedurft. Wir hätten gesprochen und ich wusste, sie wären für mich da gewesen. Egal, mit welchem Anliegen, oder in welcher Verfassung ich sie aufgesucht hätte, sie hätten immer ein offenes Ohr und auch Zeit für mich gehabt. Ein sehr beruhigendes Gefühl, besonders, weil es mir Sicherheit gab.

Abschließend kann ich dazu sagen, dass es in meiner Einsatzzeit, in Sachen Betreuung, nichts auszusetzen gab.

Wie ist dein Umfeld mit der Situation umgegangen? Wie waren die Reaktionen vor, während und nach dem Einsatz?

Ich hatte das Gefühl, dass sich mein Umfeld nicht großartig verän­dert hat. Der Umgang war normal, wie immer. Ich wurde weder bemitleidet, noch doof von der Seite angemacht, weder von der Familie, Verwandten, Freunden noch Bekannten.

Anders war es an den Tagen, die mir zu schaffen machten. Da war mein Umfeld zum Glück da und hat mich aufgefangen. Wir nann­ten es 'spezielles Aufbauprogramm'. Entweder ging es zum Shop­pen, oder wir kochten ausgiebig. Das gab mir meistens wieder den Halt, welchen ich brauchte, um meinen Optimismus wieder zu finden.

Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, würdest du man­che Sachen anders machen und wenn ja oder nein, wieso?

Diese Frage kann ich insofern beantworten, dass ich schon etwas ändern würde. Ich habe Andreas damals einige Vorwürfe, haupt­sächlich über WhatsApp, gemacht. Zum Beispiel machte ich ihm Vorhaltungen, weil er sich nicht regelmäßig gemeldet hat. Im Nachhinein tut mir das sehr leid. Jetzt, wo ich einiges mehr weiß, als zu dem Zeitpunkt damals, verstehe ich es besser. Es gibt eini­ges, was ich damals nicht so gesehen habe. Natürlich wollte ich meinem Soldaten das Leben nicht schwermachen. Doch die Sorge um ihn war zu groß. So schrieb ich ihm regelmäßig Nachrichten. Blieb eine Nachricht unbeantwortet, dachte ich sofort an das Schlimmste. Das war für mich natürlich auch purer Stress. Für den nächsten Einsatz, nehmen wir uns beide mehr Verständnis vor. Ich dafür, dass er einiges dort zu tun hat und mir nicht sofort antwor­ten kann und er, dass er schnellst möglich antwortet, damit ich beruhigt bin.

Was würdest du aus deinen persönlichen Erfahrungen her­aus anderen Raten, die gerade vor dem Einsatz stehen, mit­ten im Einsatz sind und wo der Einsatz gerade zu Ende ge­gangen ist?

Schwierig, dies pauschal zu beantworten. Jeder geht schließlich anders mit der Situation des Einsatzes um. Einige sind ziemlich entspannt, während für andere eine kleine Welt zusammenbricht.

Aus meiner Erfahrung heraus kann ich nur jedem raten, mit dem Partner über die Ängste zu reden und auch die Ängste des Gegen­übers zu akzeptieren und ernst zu nehmen. Oftmals nimmt das den Druck und die Last vom Herzen. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es vorher Klarheit schafft, das ist besonders wich­tig. Wer weiß, ob man sonst noch einmal die Möglichkeit be­kommt. Immerhin will man seinen Partner nicht während des Ein­satz damit zur Last fallen.

Während des Einsatzes würde ich jedem raten, sich jemanden für Gespräche zu suchen. Natürlich sollte und muss man seinem Part­ner auch sagen, wenn etwas vorgefallen ist. Nichts desto trotz denke ich, dass kein Soldat hören möchte, wie sehr seine Frau zu­hause leidet und weint. Zumal er aus der Ferne nichts tun kann und ihm die Hände gebunden sind. Selbst, wenn er sich mal nicht meldet, bin ich davon überzeugt, dass er sich über eine liebe 'Gu­te-Nacht-Nachricht' mehr, als nur freuen wird. Das gibt demjeni­gen Kraft und er weiß, dass er nicht vergessen wurde.

Für die Zeit nach dem Einsatz würde ich raten, beiden Parteien Zeit und genügend Freiraum zu lassen. Das Team muss sich erst wiederfinden. Bei uns war es am Anfang so, dass Andreas mir viel im Weg stand. Nach vier Monaten des Alleinseins, war ich es einfach nicht mehr gewohnt, jemanden in der Wohnung zu haben. Gewisse Abläufe und Bewegungen waren Routine geworden und plötzlich kam ich nicht, ohne einen Umweg um Andreas herum, vom Herd zum Tisch.

Insgesamt hat es bei uns knapp vier Wochen gedauert, bis ich mir selbst sagen konnte: „Okay, er ist wieder da. Alles ist gut.“.

Zum Abschluss von mir für dich

Ich habe meinen Soldaten schon als Soldat kennen gelernt. Es wird gesagt: "Dann wusstest du ja, worauf du dich einlässt.". Nein, das wusste ich nicht! Ich wusste, dass er oft weg sein würde, Lehrgänge, Einsatz... Aber worauf ich mich da wirklich eingelassen habe, wusste ich erst an dem Tag, als er mir sagte, dass er in den Einsatz geht. Es ist "nur" die Türkei - zu der Zeit war es dort noch bedeutend ruhiger als jetzt - meinte er. Trotzdem hatte ich Angst. Sämtliche Horrorszenarien liefen in meinem Kopf ab. Es war schlimm, aber nach einiger Zeit habe ich mich damit abgefunden. Ändern konnte ich es nicht.

Es war nicht sein Einsatz, es war unser Einsatz und er war absolut machbar.

In diesem Einsatz haben uns besonders zwei Lieder begleitet. Das eine ist von Omi – 'Cheerleader', ein Charthit während der Einsatz­zeit. Das andere ist von Scooter und heißt 'Can't stop the Hardcore', welches mein Grußlied bei Radio Andernach für ihn war. Beide Lieder erinnern uns immer und ständig an den Einsatz AF TUR, in der Türkei.

Ich weiß, dass noch mehr Einsätze anstehen. Die werden aber ganz anders werden, denn wir sind nun Eltern eines zauberhaften Jungen.


Emotionale Fronten - Wenn die Seele im Einsatz ist

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